Poonal Nr. 187-188

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 187/188 vom 11.04.1995

Inhalt


HONDURAS

MEXIKO

MEXICO

LATEINAMERIKA

Unsicherheit und autoritäre Staatsform gehen Hand in Hand

BRASILIEN

Für eine Mehrheit ist das Leben nur ein erniedrigendes Überleben

KUBA

HAITI

GUATEMALA

Frage: Komandant Monsanto, in der Nähe eines Gebäudes der

GUATEMALA


HONDURAS

Wehrpflicht abgeschafft

(Mexiko-Stadt, 7. April 1995, POONAL).- Die überwältigende Mehrheit der honduranischen Parlamentsabgeordneten hat am 6. April für die Abschaffung der Wehrpflicht gestimmt. Diese bestand seit dem vergangenen Jahrhundert. Parlamentspresident Carlos Flores sprach von einem „ungeheuren Fortschritt“ seines Landes für die Stärkung der zivilen Gesellschaft. Die liberale Abgeordnete Victoria Contreras kommentierte den Agenturmeldungen zufolge: „Ab heute werden unsere Söhne auf die Straße gehen können, ohne wie die Tiere gejagt zu werden“. In der Vergangenheit hatte die Armee des öfteren Zwangsrekrutierungen durchgeführt. Aufgrund ihres Widerstandes hatte sich die endgültige Beseitigung der Wehrpflicht längere Zeit hinausgezögert. Die Entscheidung des Parlaments, mit 125 von 128 Stimmen gegen die Wehrpflicht zu stimmen, ist auch ein kleiner Sieg des Staatspresidenten Carlos Reina gegen die Militärs. Reinas Regierung brachte den entsprechenden Gesetzentwurf ins Parlament. Die Militärs haben öffentlich versichert, die Entscheidung der Abgeordneten zu respektieren. Aus ihrem Mißfallen machten sie allerdings kein Hehl.

MEXIKO

Direktverhandlungen zwischen Regierung und Zapatisten

(Mexiko-Stadt, 9. April 1995, POONAL).- Einen Tag vor Ablauf der im Gesetz für den Dialog, die Versöhnung und den Frieden in Chiapas vorgesehenen Frist trafen sich Delegationen der mexikanischen Regierung und der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) am 9. April in dem Ort San Miguel, Chiapas. San Miguel wurde für die Dauer des sechsstündigen Treffens zur „freien Zone“ erklärt. Gesprächsthema waren einzig und allein die Verfahrensweise bei zukünftigen Gesprächen sowie Thema und der Ort des nächsten Treffens. Ergebnisse waren bei Redaktionsschluß noch nicht bekannt. Beide Konfliktparteien entsendeten jeweils fünf Delegationmitglieder. Auch Mitglieder der Nationalen Vermittlungskommission kamen nach San Miguel. Soweit im Vorfeld durchsickerte, nahmen weder Innenminister Esteban Moctezuma noch Rebellensprecher Subcomandante Marcos an dieser ersten Zusammenkunft teil.

Wie bei den Gesprächen zwischen Regierung und Guerilla im Februar 1994 in San Cristóbal bildeten Nicht-Regierungsorganisationen einen „Sicherheitsgürtel“ um den Verhandlungsort. Die Bundesarmee zog sich aus der unmittelbaren Umgebung zurück. Die Zapatisten betrachteten in einem am Samstag bekanntgewordenen Kommuniqué die Sicherheitsbedingungen für ihre Mitglieder als nicht gegeben, wollten ihren Angaben zufolge mit der Zustimmung aber ihre „aufrichtige Dialogbereitschaft“ zeigen. Der Subcomandante Marcos forderte Innenminister Moctezuma in einer weiteren Botschaft auf, „gegen uns zu kämpfen, um zu sehen, wer mehr wirkliche Entspannungs- und Friedenszeichen auf mexikanischer Erde setzt“.

MEXICO

Erklärung zur Indígena-Autonomie

(März 1995, alai-POONAL).- Dreizehn Organisationen der mexikanischen Indígena-Völker veröffentlichten vor kurzem ein gemeinsames Dokument zur Automiefrage. Es wird an dieser Stelle mit leichten Kürzungen veröffentlicht.

Die Indígena-Völker gegenüber der Nation

Mehr als 500 Jahre haben wir Indígena-Völker Mexikos die Marginalisierung, die Armut, die Diskriminierung, den Ausschluß, die Verachtung unserer kulturellen Formen erlitten. Während dieser ganzen Zeit wollten sie uns davon überzeugen, unsere Probleme seien die Folge unserer Kultur. Wir sind heute davon überzeugt, daß unsere Lage, in der wir leben, tatsächlich daraus resultiert, daß wir Indio-Völker von der Macht, von der Möglichkeit, Teil der nationalen Entscheidungen zu sein, die das ganze Land und unsere Regionen, Landkreise und Gemeinden betreffen, ausgeschlossen sind. Das Problem liegt daher nicht in unserer Kultur, sondern in unserer fehlenden politischen Macht im Dienste unserer Völker.

Andererseits lösen sich die Probleme der Indio-Völker Mexikos nicht anhand von Projekten oder Programmen, die rein wirtschaftlichen oder sozialen Charakter haben. Die Erfahrung im Laufe von fünf Jahrhunderten hat deutlich gezeigt, daß Programme keine grundlegenden und dauerhaften Lösungen für Marginalisierung und Armut darstellen, wenn sie nicht auf der Beteiligung der Indígenas beruhen und von deren eigenen Konzepten und eigenen Autoritäten mit ausreichender Macht ausgehen. Der geschichtliche Prozeß, in den wir Völker hineingezogen wurden, ist die Geschichte der Vertreibung gewesen. Wir wurden von unserem Territorium und unseren Reichtümern getrennt, von unserem Land, von unseren eigenen gesellschaftlichen Organisationsformen, in vielen Fällen von unseren Sprachen und Kleidern, von Festen und Feiern. Es wurde versucht, uns von unseren Wurzeln und unserem Wesen zu trennen. Außerdem soll uns unsere Zukunft als Individuen, als Gruppen, als Völkern genommen werden. Die Vertreibung ist von Unterwerfung begleitet worden: die Einsetzung der Autoritäten, der Organisationsformen, wie das Land zu benutzen und bearbeiten ist, wie wir uns zu heilen und zu erziehen haben. Ganz allgemein werden uns ohne Respekt die Regierungsprogramme mit Autoritarismus aufgezwungen. Unsere Würde wird mit Füßen getreten.

Unser Autonomievorschlag

Wir Indio-Völker denken darüber nach, wie wir die großen Probleme, die uns belasten, lösen können. Wir sind zu dem Schluß gekommen, daß es nur eine Möglichkeit gibt, unsere Situation zu ändern: eine Transformation der ganzen Gesellschaft zu fordern, die unsere volle Beteiligung bei den Entscheidungen und bei der Handhabung der öffentlichen Fragen beinhaltet. Wir wollen über die Angelegenheiten unserer Gemeinden und Völker entscheiden, aber auch am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellem Leben unserer Regionen, unserer Bundesstaaten und des ganzen Landes teilnehmen. Wir sind zum dem Schluß gekommen, daß die Lösung unserer Probleme in Mexiko die Festlegung eines Autonomiestatus erfordert. Die aktuelle Staatsordnung (zentralisiert, ausschließend, autoritär, gleichförmig machend und die Pluralität leugnend) muß zu einem Staat der Autonomien werden, damit der Respekt gegenüber der Pluralität möglich ist und sich die Türen für die Beteiligung der Indio-Völker bei der Definition eines Landes für alle öffnen.

Die Autonomie, die wir vorschlagen, ist kein neues Ausschlußprojekt und soll auch nicht die große Hoffnung der Mehrheit der Mexikaner*innen auf Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit an den Rand drängen. Im Gegenteil, die Autonomie ist der Vorschlag der Indígenas, um zum ersten Mal in der modernen Geschichte in das demokratische Leben einzutreten. Sie ist auch der Beitrag der Indio-Völker zur Bildung einer demokratischeren, gerechten und menschlicheren Gesellschaft auf landesweiter Ebene. In diesem Sinn identifiziert sich unsere große Autonomieforderung mit dem Streben aller nicht-indigenen Mexikaner*innen, die eine neue Gesellschaft wollen. Unser großes politisches Autonomieprojekt sieht das Zusammenleben unter den Prinzipien der Gleichheit und des Respektes vor. Das heißt, die Festlegung von multi-kulturellen und multi-ethnischen Gebieten.

Unser Projekt ist landesweit. Erstens, weil es die Einheit, die alle Mexikaner*innen im Laufe der Geschichte gebildet haben, weder leugnet noch zurückweist. Wir wollen eine politische Lösung für alle im Rahmen der Integrität der großen mexikanischen Nation. Aber wir glauben, daß die politische, soziale und wirtschaftliche Ordnung, die eine kleine Gruppe aufgezwungen hat, unsere Einheit schwächt. Denn sie schließt die Mehrheit aus, verachtet unsere Wurzeln, drängt die Besitzlosen an den Rand und spaltet die Leute. Unsere Autonomie will Formen der Eigenregierung auf kommunaler, Landkreis- und regionaler Ebene; autonome Regionen im Rahmen der nationalen Einheit. Darum handelt es sich nicht um einen separatistischen Vorschlag. Das halten wir Indio-Völker für eine unfruchtbare Idee. Mit der Autonomie wollen wir uns als wahrhaftige Mexikaner*innen fühlen und wollen es sein, Teil eines lebendigen Vaterlandes und unseres Vaterlandes. Solange zahlreiche ausgeschlossene Indio-Völker in Mexiko existieren, kann es in Mexiko keine Demokratie geben.

„Solange zahlreiche ausgeschlossene Indio-Völker in Mexiko existieren, kann es in Mexiko keine Demokratie geben“

Was wir hier vorstellen ist keine Laune einiger weniger. Für die Indio-Völker ist die Autonomie eine tiefe Empfindung. Sie ist auch eine jahrhunderte alte Lebensform, die sich in den Tatsachen ausdrückt, im täglichen Leben der Gemeinden, in den Formen, sich zu organisieren, die Arbeit zu regeln, unsere Zeit zu gebrauchen, unseren Besitz, unseren Glauben zu praktizieren, unsere Autoritäten zu ernennen, zu respektieren und uns zu respektieren. Die Autonomie ist die Basis unseres Lebenssystems. Wir wollen, daß diese Praktiken und Lebensformen Teil des politischen Systems des Landes werden. Die de facto-Autonomie soll sich auch in eine rechtliche Autonomie wandeln. Aber die Autonomie reduziert sich nicht nur auf die Gemeinde. Diese sollen nicht weiter von den Regierungen in Diskriminierungsreservate für die Völker verwandelt werden, die uns vom Land isolieren, unsere Selbstbestimmungs- Spielräume reduzieren; die uns von den übrigen mexikanischen Brüdern isolieren und trennen wollen, die ebenfalls für Demokratie, Gerechtigkeit und Freiheit kämpfen. Die Gemeinde ist die Basis der Autonomie, aber diese geht darüber hinaus, sie sucht die Völker unter eigenen Regierungen mit regionalem Charakter zu einen. Wir Völker verlangen eine neue Ebene der autonomen Regionalmacht, zusätzlich zu den Ebenen Bund, Bundesstaat und Landkreis. All dies innerhalb der nationalen Einheit.

Die Autonomie aufbauen

Wir haben die Klarheit über unsere unverzichtbaren Ziele, die unser großes Autonomieprojekt will. Aber wir glauben: das Projekt ist in seinen Einzelheiten noch nicht völlig definiert. Die konkrete Definition der Autonomie muß aus der Diskussion, dem Nachdenken und den Vereinbarungen zwischen den Völkern entstehen. Wir erklären den Prozeß der Autonomie mit dieser großen Debatte formell für eröffnet. Wir Organisationen und Autoritäten der Indio-Völker werden sie im ganzen Land intensivieren. Wir müssen diskutieren, analysieren, welche Rechte unsere Autonomie einschließt; wie wir unsere autonomen Regierungen in den Gemeinden, in den Landkreisen organisieren wollen. Wie wir unsere regionale autonome Regierung bestimmen wollen, die für die regionalen Interessen unserer Völker eintritt. Wie wir diese regionalen Autoritäten wählen wollen und welche Maßnahmen sie ergreifen werden, um die Probleme unserer Völker zu lösen. Die große Autonomie, für die wir kämpfen, kann nicht innerhalb des aktuellen Rechtssystems und der aktuellen territorialen Ordnung des Landes verwirklicht werden. Das Recht muß sich verändern, unser politisches und rechtliches System muß sich öffnen, um den Rechten der Völker und ihrer Autonomie Platz zu verschaffen. Unsere Verfassung muß geändert werden. Alle Kapitel und Artikel, die unsere Teilnahme als Völker blockieren, müssen verschwinden. Wir müssen eine pluralistische Verfassung schaffung, die den Unterschied, unsere kulturelle Unterschiedlichkeit respektiert. Ein neuer Bundespakt ist erforderlich.

Wir haben ein Recht auf ein Leben in Würde, in Wohlstand

Wir Indio-Völker haben im Laufe der Geschichte unser Blut und unser Opfer beigetragen, um diese Nation aufzubauen. Auf dem Schlachtfeld haben wir für die nationale Ehre gekämpft. Unsere Maya-Brüder in Chiapas bringen nun ihren Opferanteil, um die Demokratie zu schaffen. Doch wir Indio-Völker tragen stillschweigend im ganzen Land, ohne daß die Presse das hervorhebt, unsere Toten bei, indem wir für die Demokratie, für Land und Territorium, für die Freiheit kämpfen. Dieses Opfer soll nicht vergebens bleiben. Wir wehren uns dagegen, daß man uns weiter ausschliessen will und wir werden das nicht zulassen. Wir haben ein Recht auf ein Leben in Würde, in Wohlstand. Unser Gesang, unser Glück, unsere Gesundheit, unsere Freude sollen für unsere Völker in diesen neuen Zeiten zurückkehren. Wir fordern die Autonomie für alle Indio-Völker in Mexiko. Die Indio-Völker Mexikos rufen alle Mexikaner und Mexikanerinnen guten Willens und guten Herzens auf, unser großes politisches Autonomieprojekt zu stärken und zu unterstützen. Niemand sollte an der Aufrichtigkeit unserer Worte zweifeln. Wir haben einen Weg ohne Rückkehr begonnen. Wir werden alle zusammen auf dieser Suche nach dem neuen Tagesanbruch marschieren, bis wir unser Ziel erreicht haben.

LATEINAMERIKA

Die Menschenrechte in den 90er Jahren, Teil II

(Lima, März 1995, noticias aliadas).- Teil I befaßte sich hauptsächlich mit allgemeineren Überlegungen zu den Menschenrechten. Teil II beleuchtet Schlaglichtartig die Situation in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern und geht ausführlich auf den Fall Brasilien ein. Carlos Tautz analysiert die extreme Polarisierung der brasilianischen Gesellschaft und sieht darin eine zentrale Ursache der permanenten Gewalt; in einem Interview äußert sich der Bischof von Sao Paulo zum Kampf gegen Armut und Unterdrückung eines Großteils der Bevölkerung. Teil III wird in der nächsten Ausgabe von POONAL die Situation in den anderen lateinamerikanischen Ländern eingehender behandeln.

Unsicherheit und autoritäre Staatsform gehen Hand in Hand

Von Raúl Leis

Im Jahr 1994 starben in Lateinamerika und der Karibik 456.000

Menschen durch Gewalttaten, das sind pro Tag im Durchschnitt 1.250 Menshen. Kolumbien, Puerto Rico, Mexiko, Panama und Venezuela haben die zweifelhafte Ehre, die höchsten Mordraten auf dem Kontinent aufzuweisen. Mittlerweile gewinnen jene an Zulauf, die einen härteren Einsatz des Staates (gelegentlich auch die Todesstrafe) fordern. Sie glauben, nur unebittliche Gegengewalt des Staates sei noch ein taugliches Mittel. Für diejenigen, die das Problem mit einer differenzierteren Strategie angehen wollen, geht der Kampf gegen die Gewalt mit dem landesweiten Kampf gegen die Armut und das Elend einher. Zwischen beiden gibt es eine Ursache-Wirkung-Beziehung. Mehr noch: Richter*innen, Polizist*innen, Abgeordnete, Funktionär*innen müssen sich mit der Zivilgesellschaft zusammentun, um Alternativen und menschlichere Optionen herauszuarbeiten.

Menschenrechte im Länderüberblick

Honduras: Zögerliche Anstrengungen

Die Regierung des Präsidenten Carlos Reina macht ernsthafte, wenn auch in der Praxis zögerliche Anstrengungen, die Menschenrechtsverletzungen zu stoppen. Ein Regierungsbericht untersuchte 180 Fälle von politischen Morden und Verschwindenlassen. Im Gegensatz zu anderen Ländern der Region nennt das Dokument die Namen der Verantwortlichen dieser Verbrechen. Die Regierung hat gleichfalls den Familienangehörigen der Verschwundenen eine Entschädigung zugesagt. Sie versucht, die Wehrpflicht abzuschaffen (s. Honduras-Artikel in dieser Ausgabe). Menschenrechtsgruppen hatten diese Forderungen erhoben.

Ecuador: Menschenrechte als Unterrichtsfach

Die Menschenrechte sind mittlerweile zum Schulfach erhoben worden. Das Bildungsministerium unterschrieb ein Abkommen mit Amnesty International, um den Menschenrechtsunterricht zu einem Teil der Grundschulausbildung zu machen. Das Abkommen hat eine Dauer von drei Jahren. Es schließt die Ausbildung der Lehrer*innen und die Erstellung didaktischen Materials ein. „Das ist eine Entwicklung im Kampf für die Gültigkeit der Menschenrechte. Ihre Verletzung soll nicht wegen fehlender Vorbeuge- und Bewußtseinsarbeit weitergehen“, meint Verónica Zambrano, Generalsekretärin von ai in Ecuador. Ähnliche Initiativen gibt es derzeit laut Zambrano in Argentinien, Chile, Costa Rica, Paraguay und Venezuela.

Bolivien: Diktator in Haft

General Luis García Meza, der zu Beginn der 80er Jahre eine elfmonatige blutige Diktatur anführte, wurde von Brasilien ausgeliefert. Im März 1994 wurde er festgenommen, nachdem er fünf Jahre flüchtig gewesen war. Der Exdiktator wurde vor Gericht gestellt und zu 30 Jahren Halft veurteilt – die Höchstrafe, die die bolivianische Rechtsprechung vorsieht. García Meza ist für tausende von politischen Morden und Fälle des Verschwindenlassens verantwortlich. Außerdem war er Komplize und Schutzpatron der Drogenhändler.

Uruguay: Erinnerung an die Verschwundenen

Das Bürgermeisteramt von Montevideo widmete den Verhafteten und Verschwunden Amerikas ein Grundstück. In der Begründung heißt es, die Ehrung „wird dazu beitragen, das kollektive Gedächtnis zu behalten, damit die Stimmen derer hörbar sind, die für die menschliche Würde streiten, nicht nur die Stimmen derjenigen, die persönlich litten, sondern auch die der zukünftigen Generationen.“ Eine der Charakteristiken des sogenannten schmutzigen Krieges in vielen lateinamerikanischen Ländern während der 70er Jahre war das Verschwindenlassen. Bis heute ist der Verbleib zehntausender Personen unbekannt. „Das Verschwindenlassen einer Person ist nicht nur ein Verbrechen der Vergangenheit, sondern der Gegenwart. Es wird noch lange Zeit bestehen, wenn nichts wirksames unternommen wird, ihm ein Ende zu setzen“, sagten die Initiator*innen.

Karibik: Wiedereinführung der Todesstrafe

Das Henken von drei überführten Mördern auf den Antilleninseln San Vicente & Granadinas war keine gute Nachricht für die Menschenrechtsorganisationen der Region. Das „Vorbild“ lieferte ein ähnlicher Fall in Trinidad und Tobago, wo im Juli 1994 ein Mörder aufgehängt wurde. Jamaica führte die Todesstrafe im Januar wieder ein. Diese ist in 30 Ländern der Karibik gültig, war aber fast 20 Jahre lang nicht angewendet worden.

Kolumbien: Morde an Straßenkindern

Straßenkinder sind nach wie vor häufig der Gewalt von paramilitärischen Gruppen ausgesetzt. Die sogenannte „soziale Reinigung“, die Todesschwadrone gegen die Straßenkinder durchführen, ist in den letzten Jahren nach Regierungsangaben sogar noch gewachsen. Ein Bericht der Staatsanwaltschaft von Bogotá zeigt, daß die Zahl der ermordeten Kinder in kurzer Zeit angewachsen ist. In der zweiten Jahreshälfte 1992 wurden 608 Kinder umgebracht. Im Vergleichszeitraum 1993 sind es 702 Kinder und 1994 steigen die Morde im den letzten sechs Monaten des Jahres auf 757. Der Bericht kommentiert: „Das schlimmste ist nicht nur das Ansteigen der Morde, sondern die Straffreiheit, die die Verbrechen umgibt.“ Das Kolumbianische Institut für die Familienfürsorge spricht von 4.500 Straßenkindern in der Hauptstadt.

Brasilien: Hinrichtung auf offener Straße

Polizisten haben einen Verdächtigen, der angeblich eine Apotheke ausgeraubt hatte, auf offener Straße hingerichtet. Der Mord wurde vom Fernsehen übertragen. Die Polizei hatte den Verdächtigen Cristiano Mesquita Melo festgenommen und anschließend erschossen. Acht von zehn Personen, die bei einer Fernsehstation anriefen, befanden, der Polizist habe korrekt gehandelt. Ein am Folgetag in der Zeitung „Jornado de Brasil“ veröffentlichter Kommentar meinte, daß „ein Teil der Bevölkerung jetzt Massenhinrichtungen als eine Lösung gutheißt, dem organisierten Verbrechen entgegenzutreten“. Die Bewohner*innen aus Mittelklasse- und Reichenvierteln sind dafür, den Militärs völlige Freiheit zu geben, um die Kriminalität in den Favelas zu kontrollieren.

Argentinien: Mörder in Uniform können ruhig schlafen

Die Mörder in der Armee können beruhigt sein. Präsident Carlos Menem hat erneut die Empörung der Menschenrechtsgruppen provoziert, indem er den im Ruhestand lebenden Korvettenkapitän Adolfo Scilingo aus der argentinischen Marine verstießen hat. Scilingo hatte über die Morde an politischen Häftlingen unter der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 berichtet. Lebende Gefangene wurden aus Marineflugzeugen über dem Meer und über Flüssen in den Tod geworfen (vgl. vergangene Poonal-Ausgabe Nr. 187). Es ist nicht das erste Mal, daß Menem sich weigert, die Menschenrechtsverletzungen zu kritisieren. Anfang November 1994 gratulierte er den Militärs, die Gruppen der Linken während der Diktatur ausgelöscht zu haben. Die Ständige Versammlung für Menschenrechte, eine der acht Menschenrechtsgruppen in Argentinien, schloß den Präsidenten daraufhin aus ihren Reihen aus.

BRASILIEN

Extreme Polarisierung droht Gesellschaft aus dem Gefüge

zu heben

Von Carlos Tautz

Die brasilianische Gesellschaft kennzeichnet eine extreme Polarisierung: Während eine kleine Minderheit große Reichtümer anhäuft, verarmt ein großer Teil der Bevölkerung zusehends. 1994 wies das Bruttosozialprodukt die besten Daten seit 1987 auf und wuchs um 5,67 Prozent gegenüber dem Vorjahr, in dem es 456 Milliarden Dollar erreichte. Bei etwa 154 Millionen Einwohner*innen wäre das ein Pro-Kopf-Einkommen von jährlich 3.140 Dollar. Doch die Einkommenskonzentration in Brasilien ist brutal. Nach Untersuchungen des Brasilianischen Geografie- und Statistikinstitutes (IBGE) für das Jahr 1990 verdienen 10 Prozent der reichsten Brasilianer*innen die Hälfte des nationalen Jahreseinkommens. Die 10 ärmsten Prozent müssen 0,8 Prozent des Jahreseinkommens unter sich aufteilen.

Extreme Konzentration: Zehn Prozent verdienen die Hälfte des Nationaleinkommens

Der „Plan Real“, das Programm, daß dem Regierungskandidaten Fernando Henrique Cardoso half, die Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr zu gewinnen, stabilisierte die Wirtschaft und führte zum Aufschwung der Industrieproduktion. Diese wuchs 1994 um 7,6 Prozent. Die Arbeitslosigkeit, eines der graviwerendsten Probleme, verminderte sich jedoch nur geringfügig. Nicht- offizielle Statistiken gehen von bis zu 15 Millionen Arbeitslosen aus. Wenn man die Unterbeschäftigten dazuzählt – diejenigen, die weniger als den Mindestlohn verdienen und keine Arbeitsgarantien haben – kommt man auf 45 Millionen Brasilianer*innen ohne feste Beschäftigung.

32 Millionen Menschen unterhalb der Armutsgrenze

Die Initiative „Kampagne gegen den Hunger“ nennt die Zahl von 32 Millionen Menschen im Land, die heute unterhalb der Armutsgrenze leben. Fünf Millionen Landarbeiter*innen haben kein Land zu bearbeiten. Herbert de Souza Betinho, Direktor der Kampagne, ist ein Sprecher dieser Besitzlosen gewesen. Fast eine Million Freiwillige engagierten sich vor zwei Jahren in Nicht- Regierungsprogrammen, um Lebensmittel zusammenzubekommen und kostenlos zu verteilen sowie Arbeits- und Einkommensquellen zu schaffen. Weihnachten 1994 wurden allein in der Stadt Rio de Janeiro fast 600.000 Tonnen Lebensmittel verteilt. „Diese Arbeitslosigkeit und die fehlende Agrarreform sind eine soziale Zeitbombe, die jeden Moment explodieren kann“, sagt Betinho.

Seit November übernimmt die Armee Aufgaben der Polizei und patroulliert in den Straßen von Rio de Janeiro. Sie fällt auch in die Armenviertel (Favelas) und die Häuser der Arbeiter*innen ein. Personen, die ohne formale Anklage ins Gefängnis kommen, werden bis zu einem Monat ohne Außenkontakt gelassen. Nach offiziellen Angaben sollen so der Drogenhandel und das organisierte Verbrechen bekämpft werden. Diese haben in Rio de Janeiro tatsächlich unerträgliche Ausmaße angenommen. Doch „die Lösung liegt nicht im Eingreifen des Militärs, versichert der Soziologe Caio Ferraz. Er leitet das soziale Zentrum „Haus des Friedens“ in der Favela Vigario Geral, einem der gewalttätigsten Viertel in der Stadt. Vor drei Jahren war Vigario Geral der Schauplatz eines Massakers an 21 Arbeiter*innen. Begangen wurde es von Militärpolizisten, die eine Todesschwadron bildeten. Im Haus des Friedens starben fünf Personen einer Familie. Dabei zeigte gerade die Arbeit von Caio Ferraz die Möglichkeit, diese Art „historischen Determinismus“ in den Favelas zu durchbrechen. Das Haus des Friedens befindet sich nur wenige Meter von einem großen Verkaufsplatz für Drogen entfernt. Doch im Haus erhielten hunderte Jugendliche eine Berufsausbildung, die ihnen den Ausstieg aus dem Drogenhandel ermöglichte.

Für eine Mehrheit ist das Leben nur ein erniedrigendes Überleben

– Interview mit Paulo Evaristo Arns, Erzbischof von Sao Paulo

Frage: Was bedeuten für Sie die Menschenrechte? Was ist die Priorität, wenn von dem Thema gesprochen wird?

Arns: Von Menschenrechten sprechen heißt heute, den Grundwert des Lebens mit Würde als elementares Recht aller zu verteidigen, nicht nur als das einer privelegierten Minderheit. Wir bestehen auf der Frage der Würde, denn für eine Mehrheit, die unter den Bedingungen absoluter Armut lebt, ist das Leben nur ein erniedrigendes Überleben. Die Bedeutung der Menschenrechte umfaßt die individuellen Freiheiten, die politischen Rechte und die sozialen Rechte in voneinander abhängiger Form. Unmöglich, in Freiheit zu sprechen, wenn es keine Möglichkeit zu wählen gibt. Wir können nicht die Allgemeingültigkeit der politischen Rechte, lebenswichtig für eine demokratische Gesellschaft, preisen, wenn die Wähler*innen abstimmen müssen, aber von den übrigen Rechten wie Bildung und Gesundheit ausgeschlossen sind. Darum steht heute an erster Stelle, die Grundbedürfnisse der Bedürftigen und Verlassenen aller Art – besonders der Kinder, Alten und Kranken – zu sichern.

Frage: Wer sind heute die größten Menschenrechtsverletzer? Wer sind die Opfer?

Arns: Menschenrechtsverletzter gibt es sowohl im privaten wie im öffentlichen Bereich. Behörden und Verantwortliche in öffentlichen Ämtern verletzten die Menschenrechte, wenn sie die sozialen Vorrangigkeiten vergessen. Vor allem in den Bereichen der Gesundheit und des Schutzes gegen die willkürliche Gewalt, deren Opfer die Armen, die Schwarzen, die diskriminierten Grupppen sind. Auf gesellschaftlichem Gebiet sind in der Nordregion und im zentralen Westen, den Bundesstaaten Para und Tocantins, die Großgrundbesitzer und ihre Komplizen verantwortlich für Morde und Gewalttaten jeglichen Typs gegen kleine Bäuer*innen, Gewerkschafter*innen, Anwält*innen und Gläubige. Es besteht das ernste Problem der Straffreiheit, selbst wenn die Verantwortlichen bekannt sind. In den städtischen Zonen sind es die „Auslöschtrupps“, die häufig aus Mitgliedern der Militärpolizei bestehen und sich gegen Kinder und Jugendliche, im allgemeinen Schwarze und Arme richten. Genauso werden die Rechte der Indígena- Gruppen verletzt, die ihr Land und ihre Kultur verteidigen. Und in allen diskriminierten Gruppen sind die Frauen am meisten von Willkür und Gewalt betroffen.

Frage: Welche Fortschritte gibt es bei den Menschenrechten in Brasilien?

Arns: Was die Bundesregierung angeht, so scheint sie empfindlicher für diese Probleme als die vorherigen Regierungen zu haben. Die Behörden sind über die ständigen schlechten Nachrichten besorgt, die im Ausland verbreitet werden und sich wahrscheinlich auf die finanzielle Hilfe auswirken. Es gibt einen Fortschritt in der Zivilgesellschaft. Die Organisationen für die Verteidigung und Förderung der Rechte wachsen und konsolidieren sich. Ein Beispiel ist die landesweite Mobilisierung der Kampagne gegen den Hunger und für das Leben.

Frage: Was ist die Beziehung zwischen der Befreiungstheologie und den Menschenrechten?

Arns: Zuerst sollte man daran erinnern, daß die Befreiungstheologie die ständige Anwesenheit Gottes in der menschlichen Geschichte stark hervorhebt, besonders als Befreier. Sie unterstreicht das göttliche Handeln zugunsten der Unterdrückten. Das deutlichste biblische Fundament für die Befreiungstheologie ist das Buch vom Exodus. Denn dieses enthält die minutiöse Beschreibung der Befreiung Israels aus der Knechtschaft in Ägypten. Die Befreiungstheologie macht daraus ist in gewisser Weise ein „Beispiel“. Sie weitet das göttliche Handeln auf alle analogen geschichtlichen Situationen aus.

Die Befreiungstheologie hebt die Armen, die Unterdrückten als theologisches Subjekt her. Der Befreiungstheologie kommt das große Verdienst zu, die Interpretationen der Begriffe von „Bruder, Schwester“ anzuklagen, die durch die Vorurteile von Klasse, Kultur, Ethnie und Geschlecht verdorben sind. Die Befreiungstheologie fordert, daß die rechtlichen und sozio- ökonomischen Strukturen, die die Armen aus der Gesellschaft ausschließt, moralisch verurteilt werden.

Frage: Welche Rolle spielt die Kirche im Kampf für die Menschenrechte?

Arns: Die feste und bedingungslose Unterstützung aller Initiativen, die gegen die Vorurteile, die Privelegien auf allen Ebenen kämpfen. Ohne Angst, angeklagt zu werden, einer Partei oder einer Ideologie anzuhängen. Zusammengefaßt: Die Kirche will ein Aktionsbündnis mit allen Gruppen, die sich für Gerechtigkeit für alle einsetzen.

KUBA

US-Unternehmen verhandeln über Rückgabe enteigneten Besitzes

(Havanna, 6. April 1995, prensa latina-POONAL).- In diesen Tagen machen nordamerikanische Unternehmen auf Kuba ihre Forderungen bezüglich der Besitztümer geltend, die nach der Revolution enteignet wurden. Dies berichtete John Kavulich, Unternehmer und Präsident des Handels- und Wirtschaftsrates USA-Kuba, gegenüber Prensa Latina. Kavulich sprach von „kreativen Lösungen“, die die kubanische Regierung und andere Institutionen des Landes während der vergangenen drei Jahrzehnte präsentiert hätten. Die nordamerikanische Seite begänne aber erst jetzt, über ihr enteignetes Vermögen zu verhandeln. Der Geschäftsmann wies darauf hin, daß Havanna bereits mit Unternehmen aus Spanien, England, Frankreich und Mexiko entsprechende Abkommen abgeschlossen habe. Die daraus resultierenden Verpflichtungen würden erfüllt. Der harte Kurs der verschiedenen US-Regierungen gegenüber Kuba wurde unter anderem immer wieder mit dem Hinweis auf die Enteignungen gerechtfertigt. Auch die Clinton-Administration hat in jüngst er Zeit von dieser Argumentation Gebrauch gemacht.

HAITI

Im Vorfeld der Wahlen: Gewalt, Betrug und Unregelmäßigkeiten

(Port-au-Prince, 7. April 1995, hib-POONAL).- Die Vorbereitungen für die Parlamentswahlen im Juni werden zunehmend kritisiert. Der allgemeine Zustand der Unsicherheit, Kritik an Unregelmäßigkeiten, Betrug und Begünstigung lassen den ganzen Prozeß zweifelhaft erscheinen. Präsident Jean-Bertand Aristide sah sich daher am 6. April veranlaßt, Gastgeber für ein Treffen mit den Führer*innen von mehr als 20 Parteien zu spielen. Anwesend waren auch die neuen Verantwortlichen für die Besatzung, UNO-Vertreter Lakhdar Brahimi und US-General Joseph Kinzer.

Anselm Remy, der Vorsitzende des vorläufigen Wahlrates versicherte am selben Tag, die Wahlen seien unparteiisch. Er versprach jedoch, den Klagen nachzugehen. Er fügte hinzu, nichts gegen die Gewalt und die Unsicherheit machen zu können. „In diesem Moment kann sich niemand, niemand gut fühlen“, sagte er. Der Wahlrat selber hat die Entwicklung kritisiert, vor allem die fehlende Kontrolle, die er in vielen Bereichen hat. So bedauerte Remy am 3. April die einseitige Entscheidung einer der US-Regierung nahestehenden Organisation, die Stimmzettel in Kalifornien drucken zu lassen. Obwohl der Wahlrat nicht damit einverstanden ist, „ist klar geworden, daß das Geld US-Geld ist“. Remy wies darauf hin, daß über die Hälfte des Wahlbudgets von den USA finanziert wird, nur sechs Prozent kommen von der haitianischen Regierung. Der Rest fließt durch die Hände der UNO-Verwalter, die entscheiden, wann und wie das Geld verteilt wird.

Viele der fast 3.000 WählerInnen-Registrierungsbüros im Land berichten über Korruption, Betrug und Gewalt in Zusammenhang mit den Wahlvorbereitungen. Die haitianische Presseagentur (AHP) beschrieb am 6. April eine Reihe von bewaffneten Überfällen auf Wahlbüros im Artibonite-Tal. Die Angreifer, die teilweise als Mitglieder der paramilitärischen Front für den Haitianischen Fortschritt (FRAPH) identifiziert wurden, vertrieben die Anwesenden und raubten Material. Es gibt auch Berichte, die von ehemaligen Putschunterstützer*innen als Leiter*innen der Wahlbüros sprechen. In Cite Soleil wurde am 5. April der Funktionär eines Wahlbüros wegen Unregelmäßigkeiten verhaftet. In Cap-Haitien protestierten Volksorganisationen gegen Unregelmäßigkeiten und Betrug. Mehr als ein Dutzend Gruppen beklagten die Kontrolle der Büros durch ehemalige Putschbefürworter, die die Leute kaufen. Die Gruppen verlangten eine Beteilung bei den Entscheidungen über die Wahlvorbereitungen.

Mehrere politische Parteien bezeichnen das Vorgehen des Wahlrates als verfassungswidrig und parteiisch. Sie „drohen“ sogar damit, die Wahlen zu boykottieren. Allerdings gibt es einen ironischen Beigeschmack, daß viele von ihnen das Vorgehen der Putschregierung drei Jahre lang tolerierten und sogar daran beteiligt waren. Neue Stimmen reihen sich ein. So sagen Parteien, die 1990 Aristide unterstützten – darunter die Nationale Front für den Wechsel und die Demokratie (FNCD) und die KONAKOM – die Wahlen würden „zugunsten einer wohlbekannten politischen Partei“ organisiert. Dabei spielen sie unschwer erkennbar auf die neue Lavalas- Plattform an, die aus der „Oganizasyon Politik Lavalas“, der „Pati Louvri Barye“ und dem „Mouvement pour l'Organisation du Pays“ besteht. Die Beschuldigungen lassen einen sich entfaltenden Machtkampf für die kommenden zwei Monate voraussagen.

GUATEMALA

Guerillakommandant Monsanto: Wir wollen an den Wahlen teilnehmen

Der Kommandant der URNG, Pablo Monsanto, äußerte sich am 3. April 1995 in Mexiko-Stadt auf einer Pressekonferenz zu den Friedensverhandlungen und den Perspektiven der Guerilla nach einem Abkommen mit der Regierung. POONAL hat die Äußerungen aufgezeichnet.

Frage: Komandant Monsanto, in der Nähe eines Gebäudes der

guatemaltekischen Regierung, in dem sich am Wochenende UNO-

Generalsekretär Boutros Boutros Ghali mit Präsident Ramiro de Leon

Carpio traf, explodierte eine Bombe. Einige Stimmen machen die Guerilla, die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG), dafür verantwortlich. Was sagen Sie zu den Anschuldigungen?

Monsanto: Die URNG ist in keinster Weise für diese Akte verantwortlich. Wir verneinen kategorisch, daß Einheiten der URNG daran teilgenommen haben. Es ist nicht das erste Mal, das man uns dieser Art Aktionen in so wichtigen, so entscheidenden Momenten für das Land anklagt. Die Absicht ist, die URNG für Geschehnisse verantwortlich erscheinen zu lassen, um den Friedensprozess zu behindern.

Unserer Auffassung nach gibt es innerhalb der Armee und anderer Machtbereiche einige Sektoren, die den Frieden behindern. Das hat sich seit den jüngsten Ereignissen verschärft, insbesondere seit Verwicklungen zwischen den Militärs und dem CIA publik geworden sind. Die Maßnahmen des US-Außenministeriums und die Auswirkungen des Hungerstreiks von Jennifer Harbury (vgl. vorherige POONAL- Ausgaben; die Red.) haben einige Teile des guatemaltekischen Militärs in eine ziemlich schwierige Situation gebracht. Dazu kommt natürlich das jüngste Abkommen über die Identität und Rechte der Indígenas, das diesen Sektoren offensichtlich nicht gefällt.

Frage: Nach dem erwähnten Abkommen: Wie ist der Stand der Verhandlungen? Wielange dauert es noch bis zu einem Friedensabkommen?

Monsanto: Jetzt ist vereinbart, daß die (Konflikt-)Parteien am 10. April den Vereinten Nationen die Vorschläge zum Thema der sozio- ökonomischen Situation und der Landfrage überreichen. Die UNO wird ihr Konzept als Arbeitsdokument am 20. April bekanntgeben. Wir wissen nicht, wieviel Zeit die Diskussion des Themas beanspruchen wird, denn es handelt sich um ein äußerst komplexes, schwieriges Thema. Wir gehen mit dem politischen Willen an den Verhandlungstisch, es so schnell wie möglich abzuschließen und zu einer Vereinbarung zu kommen. Wenn der Verhandlungskalender eingehalten wird und die Unterzeichnung des Friedens im August kommt, gut. Wir arbeiten dafür, aber können nicht hundertprozentig garantieren, daß dies so geschehen wird.

Frage: Die URNG will an den Wahlen im Oktober dieses Jahr direkt oder indirekt teilnehmen. Welchen Sinn sieht sie darin? Ist es nicht sehr gefährlich, in einem breiten Bündnis mit Parteien wie beispielsweise den Christdemokraten zusammenzuarbeiten, die einen Tag den Ex-Diktator Rios Montt unterstützen wollen, den anderen Tag Bischof Quezada Toruñno und am nächsten Tag wieder jemand ganz anderen?

Monsanto: Wir haben entschieden, an den Wahlen teilzunehmen. Dabei richtet sich unsere Beteiligung an erster Stelle darauf, ein Bündnis für die Demokratie in Guatemala zu fördern. Dessen Ziel muß es sein, die Kräfte der Rechten zu schlagen. Innerhalb dieses Bündnisses können alle Kräfte sein, die mit diesem Ziel übereinstimmen. Das Wichtige ist für uns in diesem Fall nicht ihre Vergangenheit. Wenn wir die Vergangenheit jedes einzelnen Politikers in Guatemala überprüfen, wäre es sehr schwierig, ein Bündnis aus unbefleckten Politikern zu bilden. Wir sind realistisch in diesem Sinn. Wir wollen eine Plattform, deren Inhalt dem Wesen nach demokratisch ist und die als Ziel ein Projekt der wirtschaftlichen Entwicklung hat, die das Land aus der Krise herausbringt und mit sozialer Gerechtigkeit durchgeführt wird.

GUATEMALA

Gericht kippt Steuergesetz: Weniger Einnahmen für die Regierung

(Guatemala, 6. April 1995, cerigua-POONAL).- Der Verfassungsgerichtshof hat vorläufig das neue Steuergesetz aufgehoben, das der Kongreß vor kurzem verabschiedet hatte. Nach Schätzungen der Finanzministerin Ana de Molina bedeutet dies Mindereinnahmen von 620 Millionen Quetzales (mehr als 100 Millionen Dollar) für den guatemaltekischen Staat. Die Unternehmerverbände hatten bei dem Gerichtshof mit der Begründung Klage eingereicht, das Gesetz verletzte die Verfassung. Während Molina beklagte, nun seien die „sozialen Investitionsziele“ kaum noch zu erreichen, schlug der Vertreter der guatemaltekischen Handelskammer die sofortige Privatisierung der staatlichen Dienstleistungen, einschließlich des Kommunikationswesens und des Gesundheitssektors, vor.

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