Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 17. Februar 2004
Inhalt
MEXIKO
GUATEMALA
EL SALVADOR
NICARAGUA
HAITI
VENEZUELA
KOLUMBIEN
ECUADOR
CHILE
ARGENTINIEN
URUGUAY
LATEINAMERIKA
MEXIKO
Geldtransfers der Migranten aus den USA steigen
Von Gerold Schmidt
(Mexiko-Stadt, 12. Februar 2004, npl).- Es gibt Landgemeinden in Mexiko, in denen die Zahl der zurückgebliebenen Einwohner niedriger ist als die der ausgewanderten. In Bundesstaaten wie Michoacán oder Jalisco stellt es keinen Einzelfall dar, dass ganze Generationen junger Männer und zunehmend auch junger Frauen ihre Dörfer verlassen, um legal oder illegal die Grenze Richtung USA zu überschreiten und dort Arbeit suchen. Kein Wunder, wenn angesichts dieser anhaltenden Entwicklung die so genannten „Remesas“, die Auslandsüberweisungen der Migranten an die nicht mitgegangenen Familienmitglieder, Jahr für Jahr an Bedeutung gewinnen.
Dennoch löste die vor kurzem durch die mexikanische Zentralbank bekannt gegebene Rekordziffer von 13,26 Milliarden Dollar Remesas im Jahr 2003 Überraschung aus. Die Steigerung gegenüber dem Vorjahr betrug 35 Prozent. Nur aus dem Erdölexport bekommt Mexiko noch mehr Devisen. Die ebenfalls wichtigen Dollareinnahmen aus dem Tourismus sind von den Remesas inzwischen weit abgehängt worden. Auch ausländische Direktinvestitionen in Mexiko blieben 2003 mit elf Milliarden deutlich unter der Remesa-Summe. Bedenkt man, dass die Zentralbank längst nicht alle Remesas erfasst, erhöht sich die Relevanz der Auslandtransfers aus den USA an Familienmitglieder in der mexikanischen Heimat weiter. Es ist nicht abwegig, von über 20 Milliarden Dollar auszugehen.
Eine jüngst vorgenommene Untersuchung der Interamerikanischen Entwicklungsbank stellt fest, dass 18 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Mexiko regelmäßig Geldtransfers ihrer migrierten Familienmitglieder bekommen. Ähnlich kalkuliert die Zentralbank: Nach deren Rechnung bessert jeder vierte mexikanische Haushalt sein Einkommen mit den Remesas auf. Es ist die Summe kleiner Einzelüberweisungen, die dazu beiträgt, im Rahmen einer seit drei Jahren praktisch stagnierenden Wirtschaft den mexikanischen Binnenmarkt zu stützen. Durchschnittlich erhalten die überwiegend armen Empfängerfamilien monatlich 250 Dollar. Das sind in Mexiko gut zwei Mindestlöhne. „Eine absolut nicht zu verachtende Zahl“, stellt die Zentralbank fest. Und fast ein Vermögen im Vergleich zur Unterstützung durch staatliche Programme.
Angesichts der Größenordnung – nach Mexiko fließen fast so viele Remesas wie an den Rest Lateinamerikas zusammen – haben sich staatliche Instanzen, aber auch die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) für Wege ausgesprochen, die Überweisungen in produktive Projekte der Heimatgemeinden zu kanalisieren. Die Erfolgsaussichten sind nicht nur wegen technischer Probleme gering. Ein entscheidender Faktor ist die Armut, die viele Mexikaner ja erst in die USA treibt. Die Stadt León gab eine regionale Studie über die Verwendung der Remesas in Auftrag. Das Ergebnis: 77 Prozent der Geldtransfers werden für den Kauf von Lebensmitteln verwandt. Eine Zahl, die erschreckend viel darüber aussagt, welche Einkommensbedingungen für einen großen Teil der Bevölkerung in Mexiko herrschen.
Die Remesas sind für viele Familien überlebenswichtig, sie wecken aber ebenso Begehrlichkeiten bei weniger notleidenden Institutionen. Über Gebühren verdienen sich die Transfervermittler eine goldene Nase. Da der Kampf um ein Stück vom Remesa-Kuchen härter geworden ist, sind zwar die Kommissionen zurückgegangen. In Einzelfällen betragen sie aber immer noch 20 Prozent der Überweisung und im Durchschnitt etwa 10 Prozent. Verstärkt geraten überweisende Einrichtungen wie beispielsweise Western Union wegen zwielichtiger Gebührenberechnungen und mangelnder Informationspolitik selbst vor US-Gerichten in die Defensive. Traditionelle Geschäftsbanken hoffen, verstärkt am Geschäft teilzuhaben. Hüben wie drüben hätten sie das Geld der Remesas gerne direkt auf ihren Konten. In den USA steht dem entgegen, dass schätzungsweise 70 Prozent der mexikanischen Migranten illegal sind und nur unter großen Schwierigkeiten offiziell ein Konto eröffnen können. In Mexiko verfügen nur 22 Prozent der Bevölkerung über ein Bankkonto.
Auf dem außerordentlichen Amerika-Gipfel im Januar in der mexikanischen Stadt Monterrey nahmen die 34 Teilnehmerstaaten das Thema Remesas in die Abschlusserklärung auf. Bis 2008 soll über verschiedene Wege eine Gebührenreduzierung um 50 Prozent erreicht werden. Im mexikanischen Parlament ist zu diesem Zweck erstmals eine Unterkommission eingerichtet worden. Das Hauptproblem wird damit nicht an der Wurzel gefasst: Mexiko ist wie andere Länder nicht in der Lage, der eigenen Bevölkerung ausreichend Einkommen und Beschäftigung zu bieten. So werden die Remesas Ende dieses Jahres wohl mit einem neuen Rekord aufwarten.
GUATEMALA
Widerstand gegen US-Truppen
(Guatemala, 11. Februar 2004, cerigua-poonal).- Menschenrechtsaktivisten lehnen den unmittelbar bevorstehenden Einsatz von US-Truppen in Guatemala ab. Sie bezeichnen diese Maßnahme als schwerwiegende Verletzung der Souveränität des Landes.
Die Exekutive unterbreitete dem Kongress einen Gesetzesentwurf, um den erneuten Einmarsch der US-amerikanischen Truppen in das Land zu autorisieren. Ziel sei es, gemeinsame Patrouillen mit dem guatemaltekischen Militär im Kampf gegen den Drogenschmuggel durchzuführen. Diese Maßnahme ist Teil des Plans Maya-Jaguar, der gemeinsam mit den militärischen Kräften des Nordens in Guatemala bereits durchgeführt wurde.
Der Leiter der Nichtregierungsorganisation Grupo de Apoyo Mutuo (GAM) Mario Polanco forderte, dass sich die Regierung dem Vorhaben der US-Behörden widersetzen solle. Die USA sei in der Vergangenheit einer der wichtigsten Helfer des guatemaltekischen Militärs in der so genannten Aufstandsbekämpfung gewesen. Diese habe mehr als 200.000 Menschen das Leben gekostet.
Der Plan Maya-Jaguar wurde im Jahr 1998 zum ersten Mal im Land durchgeführt. 2003 kamen US-Militärs nach Guatemala, um vor allem im Norden bei der Durchführung von Infrastruktur-Projekten zu helfen. Die Teilnahme der nordamerikanischen Truppen bei diesem Einsatz fand im Rahmen des Programms Nuevos Horizontes (Neue Horizonte) statt.
Fehlende Basisversorgung an Schulen
(Guatemala, 11. Februar 2004, cerigua-poonal).- In mehr als 80 Prozent der Institute und öffentlichen Schulen in der Hauptstadt fehlen seit Anfang des Schuljahres Basisleistungen wie Wasser, Strom, Telefonleitungen und auch Lehrer. Dies gab Calixto Morales, Leiter der nationalen Studentenorganisation Guatemalas ONEG (Organización Nacional de Estudiantes de Guatemala) bekannt.
Morales erklärte der Nachrichtenagentur cerigua, dass es trotz der unternommenen Anstrengungen, um diese Leistungen wieder zur Verfügung stellen zu können, keine erwähnenswerten Veränderungen in den betroffenen Einrichtungen gegeben habe. Er beklagte die prekären und unmenschlichen Unterrichtsbedingungen, von denen eine breite Bevölkerungsschicht derzeit betroffen sei. Vielerorts gebe es nicht einmal Wasser, geschweige denn Sanitäranlagen.
Die Vereinigung wird der Bildungsministerin Maria del Carmen Aceña in der kommenden Woche einen Forderungskatalog überreichen. Sollten ihre Forderungen jedoch auf taube Ohren stoßen, so werde man zu tatkräftigeren Maßnahmen übergehen, schloss Morales.
EL SALVADOR
Richter und Präsident streiten ums Bandengesetz
(Montevideo, 9. Februar 2004, púlsar).- Die Richter El Salvadors beklagen sich über das Einmischen und den Druck seitens des Gesetzgebers bezüglich der Umsetzung des „Bandengesetzes“. Indes kritisiert der Präsident Francisco Flores, dass „einige Richter“ sowie die politische Opposition dem Land „erheblichen Schaden“ zufügen würden, indem sie die Anwendung des im vergangenen Oktober in Kraft getretenen Gesetzes in der Rechtspraxis behinderten.
Bei den von „hohen Beamten ausgesprochenen Drohungen wie: Wenn das Bandengesetz keine Anwendung findet, wird es euch das Volk noch büßen lassen“ handele es sich um handfeste Fälle von Einmischung, Erpressung und Bedrohung, beklagte der vertretende Richter des Forums der Unabhängigen und Demokratischen Richter El Salvadors. „Wir sprechen nicht vom Bandengesetz, sondern von der Missachtung des Prinzips der rechtlichen Unabhängigkeit, die es uns Richtern erlaubt, die Gesetze auf Grundlage der Verfassung und der internationalen Abkommen auszulegen“, fuhr der Richter fort.
Flores seinerseits erklärte: „Aufgrund der mangelnden Bereitschaft einiger Richter, die Landesgesetze anzuwenden, sind Tausende, ich wiederhole Tausende, bereits gefasster Krimineller auf freien Fuß gesetzt worden“. In der Rechtspraxis „verweigern die Opposition und einige Richter den ehrlichen und arbeitsamen Bürgern ihr Recht auf Frieden und Sicherheit und verteidigen stattdessen die Existenzberechtigung von kriminellen Gruppen“, sagte der Präsident weiter.
NICARAGUA
Erdölfirmen drängen in Indígena-Gebiete
(Managua, 10. Februar 2004, adital-poonal).- Vier US-amerikanische Gesellschaften werden aller Voraussicht nach noch in diesem Jahr mit der Förderung von Erdöl und -gas beginnen. Dies soll stattfinden, sobald die Verhandlungen mit der Regierung über eine 5-Jahres-Konzession für etwa 25.000 Quadratkilometer Land und Meer abgeschlossen sind. Davon betroffene Indígena-Gruppen lehnen die Konzession ab.
Bei den vier US-amerikanischen Kapitalgesellschaften, die im September die Ausschreibung gewonnen haben, handelt es sich um Infinity, MKJ Exploraciones, Oklanicsa und Hellen Greathouse. Die Öffnung Nicaraguas für ausländische Erdölfirmen wurde im Jahr 1979 nach der sandinistischen Revolution gestoppt und im Juli 2002 von Präsident Enrique Bolaños wieder aufgenommen.
Mit den Bohrarbeiten soll begonnen werden, sobald die Untersuchungen über die Umwelteinwirkungen abgeschlossen sind und man bestimmen kann, ob die Vorkommen „einfach zu fördern sein werden, ob es dabei Schwierigkeiten geben könnte und ob es kostspielig sein wird“, erklärt der nicaraguanische Direktor von Hidrocarburos, Fernando Ocampo. Jedoch gebe es wissenschaftliche Nachweise über Vorkommen in der Karibik Nicaraguas mit einem Ausbeutungspotenzial von 50 Jahren.
Die Konzession erstreckt sich auf Gebiete, die bis zur Meeresgrenze Nicaraguas in der Karibik reichen (ausgenommen der Insel Corn, der Cayos Miskitos, Perlas und weiterer in dieser Zone gelegenen Inseln) sowie im Pazifik (ausgenommen der Strände). Ferner umfasst die Konzession einen Landstrich der karibischen Küste und ein weiteres Gebiet zwischen Managua und dem Bezirk Rivas im Süden Nicaraguas.
In den Gemeinden in der Karibik wird jedoch bezweifelt, dass die Regierung die wirtschaftlichen und technischen Mittel besitzt, um die ausländischen Firmen zu kontrollieren und mögliche Umweltschäden zu vermeiden. Der Miskito-Führer Humberto Thompson, Mitglied der Umweltgruppe Red Oil Watch in Mittelamerika, erinnerte an die seit 1930 in Nicaragua von ausländischen Firmen bei der Suche nach Erdöl verursachten Schäden.
Ocampo hingegen weist darauf hin, dass eine der modernsten Techniken zum Auffinden möglicher Rohölvorkommen verwendet werde: der Einsatz von Schallwellen. Dieser stelle keine Bedrohung für das Meeresleben dar. Ferner würden die Explosionen auf dem Land kontrolliert und in Gebieten durchgeführt, die weit entfernt von den Laich- und Nistgebieten der Schildkröten, Vögel und wildlebenden Fauna lägen.
„Die Regierung verspricht, dass es Arbeitsplätze geben werde, die eine Lösung unsere Armut seien. Die Geschichte anderer Länder wie Ecuador und Guatemala hat dies jedoch nicht bestätigt. Die Indígenas, die in den ländlichen Gebieten der Erdölvorkommen leben, sind weiterhin arm“, erklärte Thompson nachdrücklich.
Die Einheimischen befürchten, dass die transnationalen Unternehmen ihnen den Zugang zu traditionellen Fischgebieten versperren, weil sie „zuerst militärischen Schutz zur Kontrolle der Zugänge aufstellen werden“, behauptet Thompson.
In der Karibik leben ca. 140 Indígena-Gemeinden, die sich aus 70.000 bis 80.000 Personen der Volksgruppen Miskito, Sumo, Rama und Garífuna sowie verschiedener Mestizen zusammensetzen. In diesem Gebiet, das vom restlichen Land isoliert ist und über wenig Infrastruktur verfügt, beträgt die Armut der Bevölkerung ca. 80 Prozent. Die Menschen leben hauptsächlich vom Fischfang und marginaler Landwirtschaft.
HAITI
Bewaffnete Banden dominieren das Geschehen Immer mehr Diktaturanhänger auf Seiten der Rebellen
Von Andreas Behn
(Berlin, 17. Februar 2004, npl).- Auch nach gut zwei Wochen geht der Aufstand rebellierender Gruppen in Haiti unvermindert weiter. Inzwischen sollen elf Städte und Ortschaften unter Kontrolle der Rebellen stehen, mindestens 55 Menschen wurden bei den Kämpfen in fast allen Landesteilen getötet. Seit dem 5. Februar halten schwerbewaffnete Banden die vierwichtigste Stadt des Karibiklandes, Gonaives, am Montag eroberten sie die 87.000 Einwohner zählende Stadt Hinche in Zentralhaiti.
Allerorten fordern die Rebellengruppen wie die politische Opposition den Rücktritt von Präsident Jean-Bertrand Aristide. Der zeigt sich von allem unbeeindruckt, beschwört den „Kampf gegen den Terrorismus“ und kündigte am Wochenende die Rückeroberung einiger besetzter Städte an. Gerüchte, dass es bereits seinen Rückzug vorbereite, wurden nicht bestätigt.
Derweil fällt es den politischen Parteien und zivilen Gegnern von Aristide immer schwerer, sich von dem brutalen Vorgehen der Rebellentrupps zu distanzieren, ohne zugleich ihr Profil als Alternative zum derzeitigen System zu verlieren. „Es gibt zwei Optionen, eine legale, der wir angehören, und eine gewalttätige, die wir nicht gutheißen,“ versucht der Sozialist Serge Gilles, einer der Sprecher der „Demokratischen Plattform“ aus Parteien und Gruppen der Opposition, seine Position zu erklären. Und für die Gewalttaten in Gonaives sei Aristide selbst verantwortlich: „Es ist ein Problem der Regierungspartei Lavalas, denn diejenigen, die dort den Aufstand proben, rebellieren gegen ihren eigenen Chef,“ sagt Gilles.
Fraglos war die „Kannibalenarmee“, die seit dem Aufstand in Gonaives in aller Munde ist, zuvor ein Aristide-treuer Schlägertrupp. Erst als es zum Streit mit dem Präsidenten kam, wurde sie zur Rebellengruppe. Es ist durchaus die Schuld von Aristide, dass diese schwerbewaffneten Banden soviel Macht in Händen halten. Mangels anderer Optionen und fehlendem politischen Instinkt setzt der ehemalige Laienpriester und Hoffnungsträger des verarmten Landes seit mehreren Jahren auf solche Gruppen, die er bewaffnet und zur Durchsetzung seiner Ziele auf der Straße einsetzt. Noch halten die meisten dieser Banden, zumeist junge Menschen aus den Elendviertel – der sozialen Basis Aristides, ihrem Idol und Präsidenten die Treue. Doch es ist eine fragwürdige Macht, die seitens der Opposition zurecht gegeißelt wird.
Die Oppositionsbewegung hingegen wird nicht nur durch die Teilhabe enttäuschter Schlägertrupps diskreditiert. Die Mutmaßungen, dass viele Aktive und Anhänger der vergangenen Militärdiktatur seit längerem auf einen Umsturz in Haiti hin arbeiten, bestätigen sich zunehmend. Jüngstes Indiz dafür ist das Auftauchen von Louis-Jodel Chamblain, einem Kopf der Militärdiktatur von General Raoul Cedras (1991-1994) und damals Chef der paramilitärischen Todesschwadron FRAPH. Chamblain soll, unterstützt von weiteren 40 ehemaligen Militärs, den Angriff auf Hinche angeführt haben. Angeblich soll er zusammen mit Guy Philippe, dem Ex-Polizeichef von Cap Haitien, gerade aus dem Exil in der benachbarten Dominikanischen Republik nach Haiti gekommen sein. Ein Sprecher in Santo Domingo bestätigte, dass Philippe, der im Jahr 2001 einen Putsch gegen Aristide versucht haben soll, nach Haiti ausgereist sei. Berichte, denen zufolge weitere 20 Exilierte über die Grenze gelassen wurden, dementierte der Sprecher. Jetzt verkündete der 36-jährige Philippe im Radio, dass er sich der Rebellenbewegung von Gonaives, FRAA, angeschlossen habe und sich im Kampf gegen Aristide mit Louis-Jodel Chamblain zusammen tun werde. In London erklärte amnesty international, dass die Beteiligung von bekannten Menschenrechtsverletzern an dem Aufstand in Haiti besorgniserregend sei.
Kämpfe um die Macht weiten sich aus
Von Andreas Behn
(Berlin, 16. Februar 2004, npl-poonal).- „Die ganze Opposition ist sich einig: Präsident Aristide muss weg,“ erklärt Leslie Maximilien von der Front zur Rettung Haitis. „Doch sollten die Rebellen gewinnen, wird es nur zu internen Fraktionskämpfen kommen, und es wird uns noch schlechter gehen als derzeit,“ ergänzt der Oppositionspolitiker. Das Dilemma liegt auf der Hand: Seit Jahren versuchen die Gegner des einstigen linken Hoffnungsträgern Jean Bertrand Aristide mit Protesten, Wahlboykott und Intrigen an die Macht zu kommen – ohne Erfolg, da Aristide bei vielen Armen im Land noch Rückhalt hat und inzwischen auch vor brutaler Repression nicht zurück schreckt. Erst skrupellosen Schlägertrupps und obskuren paramilitärischen Gruppen gelingt es dieser Tage, in einigen Landesteilen die Staatsmacht zu verjagen. Doch dass diese Kräfte eine wirkliche Alternative zum ehemaligen Laienpriester Aristide und seiner „Bewegung Lavales“ darstellen, glauben nur diejenigen unter den Oppositionellen, denen die jahrzehntelangen Militärdiktaturen in Haiti als Vorbild dienen.
Jeden Tag spitzt sich die Lage in dem Karibikstaat, der sich die Insel Hispañola mit der Dominikanischen Republik teilt, weiter zu. Inzwischen werden heftige Kämpfe zwischen Rebellen und der Polizei, manchmal unterstützt von Aristide-Getreuen Trupps, auch aus der zweitgrößten Stadt Cap Haitien im äußersten Norden gemeldet. Von weit über zehn Toten ist dort die Rede, angebliche Anhänger der jeweils anderen Seite werden vertrieben und ihre Häuser in Brand gesteckt.
Während sich die bewaffneten Rebellen von der Anti-Aristide-Front und die Polizei in manchen Landesteilen blutige Kämpfe liefern, demonstrierten am Sonntag (15. Februar) in der Hauptstadt Port-au-Prince etwa 1000 Menschen friedlich für den Rücktritt Aristides. Aufgerufen hatte die Demokratische Plattform, der unter anderem die „Organisation des Kämpfenden Volkes (OPL) des Oppositionellen Gerard Pierre-Charles sowie der ehemalige Kulturminister und Koordinator ökumenischen Menschenrechtszentrums Jean-Claud Bajeux angehören. Man unterstütze nicht das gewaltsame Vorgehen der Bewaffneten, habe aber die gleichen Ziele, hieß es: den Sturz Aristides.
Seit Anfang Februar sollen über 50 Menschen bei den brutalen Schlachten getötet worden sein. Besonders heftig ging es im Osten in der Stadt Gonaives zu, wo die Rebellen inzwischen die Macht übernommen haben. Andere Ortschaften konnten Polizeieinheiten widersprüchlichen Berichten zufolge zurückerobern. In einigen Gegenden kommt es bereits zu Versorgungsengpässen, da viele Konfliktherde sich entlang der wichtigsten Straßenverbindung von der Hauptstadt Port-au-Prince nach Cap Haitien konzentrieren.
Dem ärmsten Land Amerikas gelingt es nicht, politische, geschweige denn ökonomischen Stabilität zu entwickeln. Nur für kurze Zeit war der heute 50-jährige Aristide ein Hoffnungsschimmer: Wenige Monate nach seiner furiosen Wahl zum ersten demokratisch gewählten Präsidenten überhaupt wurde er 1991 weggeputscht. Bei seiner Rückkehr aus dem Exil mit Hilfe einer US-Intervention 1994 waren die Vorzeichen schon verändert, und nach seiner Wiederwahl im Jahr 2000 setzte er nur noch auf neoliberale Wirtschaftspolitik gepaart mit populistischem Gehabe.
Die Opposition wirft ihm Vetternwirtschaft und persönliche Bereicherung vor. Auch internationale Organisationen haben das Vertrauen in Aristide verloren und strichen dem Land Gelder und Kredite, was der Lage im Land nicht unbedingt förderlich ist. Doch dass der Präsident aller Proteste zum trotz nicht geschasst wird, liegt auch an der Opposition selbst: Sie vereint nur der Hass auf Aristide, von politischen Optionen ist selten etwas zu vernehmen. Ihr Spektrum reicht von linken Aktivisten über Bürgerliche, Konservative bis hin zu Rechtsextremen und fragwürdigen Militärs. Auch wenn sie sich jetzt wortreich von den Ausschreitungen der Rebellen distanziert, ist dies für viele, die vor allem neue Gewaltwellen in Haiti fürchten, nicht unbedingt glaubwürdig.
Dass die undurchsichtige Opposition in Haiti eine äußerst fragwürdige Option ist, meint auch der „Council on Hemispheric Affairs“ (COHA) mit Sitz in Washington. Am Dienstag kritisierte der renommierte Thinktank die Haltung der US-Regierung zu Haiti scharf: Durch die Unterstützung einer antidemokratischen Opposition gefährde sie dort die öffentliche Ordnung. Die Stellungnahme spricht von „finanziellen und ideologischen Verbindungen“ zwischen der haitianischen Opposition und der US-Regierung. Zudem wirft sie der Opposition vor, stets Verhandlungen boykottiert zu haben und das Risiko einzugehen, die Insel in „ein Gebiet grausamer Kämpfe“ zu verwandeln.
VENEZUELA
Streit um Referendum heizt Stimmung an
Von Andreas Behn
(Berlin, 15. Februar 2004, npl).- Überraschend friedlich verlief am Samstag (14. Februar) eine Demonstration der Opposition in der venezolanischen Hauptstadt Caracas gegen die Regierung unter dem umstrittenen Präsidenten Hugo Chávez. Einige zehntausend Menschen marschierten von verschieden Punkten der Stadt Richtung Zentrum. Zu Zusammenstößen mit der Polizei oder Anhängern von Chávez kam es nicht. Vizepräsident José Vicente Rangel sprach von einer „unauffälligen“ Veranstaltung, beglückwünschte die Demonstranten aber für ihr „ziviles und friedliches“ Auftreten. Seitens der Veranstalter hieß es, „die Mehrheit des Volkes hat erneut gezeigt, dass sie Neuwahlen will“.
Die Stimmung im Land ist extrem angespannt, seitdem der Nationale Wahlrat (CNE) am Donnerstag die Entscheidung über ein von der Opposition gefordertes Referendum auf den 29. Februar verschoben hat. In mehreren Städten, unter anderem in der Andenstadt Merida und in Valencia, gerieten Anhänger von Regierung und Opposition aneinander. Es tauchten Flugblätter auf, in denen abtrünnige Militärs für das Wochenende indirekt zum Sturz der Regierung aufriefen. Auch das US-Außenministerium trug zur Verunsicherung bei, indem es am Donnerstag vor einem Ausbruch der Gewalt in Venezuela warnte. US-Bürger im Land sollten sich durchgehend „über eventuelle Veränderungen der politischen Situation auf dem laufenden halten“, verlautete aus Washington.
Regierungsvertreter warfen der Opposition vor, wie am 11. April vor knapp zwei Jahren eine Aufruhrstimmung zu verbreiten. Damals war ein Putschversuch im Anschluss an eine Demonstration nur knapp vereitelt worden. Vorsorglich errichteten Chávez-Anhänger ein Zeltlager vor dem Gebäude des Wahlrates – sehr zum Missfallen der Demonstrationsanmelder, die bis dorthin marschieren wollten.
Streitpunkt ist ein Referendum, das über den Verbleib von Präsident Chávez in seinem Amt befinden soll. Die neue, von Chávez initiierte Verfassung sieht vor, dass alle Mandatsträger nach der Hälfte ihrer Amtszeit per Referendum abgewählt werden können. Angesichts der extremen Polarisierung in Venezuela wurde von beiden Seiten eine Unzahl solcher Referenden angestrengt, nicht nur gegen Chávez, sondern auch gegen diverse Parlamentarier mit dem Ziel, das mit 84 zu 81 Stimmen äußerst knappe Kräfteverhältnis im Kongress zu verändern.
Allerdings bestehen Zweifel, ob es der Opposition Anfang Dezember gelang, genügend Stimmen für die Durchführung eines Referendums über Hugo Chávez zu sammeln. Enrique Mendoza, Sprecher der Oppositionsplattform Coordinadora Democratica (DC), erklärte, die 3,4 Millionen gesammelten Stimmen seien mehr als genug, auch wenn einige ungültige darunter seien. Präsident Chávez hingegen sprach am Freitag von einem „massiven Betrug“ und präsentierte Wahlzettel von bereits verstorbenen Menschen oder ganze Serien, die von ein und derselben Person ausgefüllt wurden. Er kündigte an, eine Entscheidung des CNE für das Referendum vom Obersten Gericht prüfen zu lassen. Julio Borges von der Oppositionspartei „Primero Justicia“ hingegen drohte, man werde ein Nein seitens des CNE „nicht akzeptieren“.
Die Organisation Amerikanischer Staaten OAS und das Jimmy-Carter-Zentrum, die den ganzen Prozess überwachen, riefen zur Ruhe auf und warnten vor Aufrufen zu Gewalt. Auch Brasiliens Präsident Lula da Silva wandte sich gegen eine „Radikalisierung“ in Venezuela, die „in einen Krieg münden“ könnte. Die Eile der Opposition in Sachen Referendum liegt unter anderem an dem Wortlaut der Verfassung: Sollte das Referendum vor dem 19. August stattfinden, müssten Neuwahlen ausgeschrieben werden, danach – wegen des nahenden Endes der Legislaturperiode – würde der Vizepräsident das Staatsoberhaupt ersetzen.
Die Lage in Venezuela beschäftigte diese Woche auch den deutschen Bundestag. Die CDU hatte die Debatte mit dem Ziel beantragt, die Unterstützung der venezolanischen Opposition und ihres Referendums gegen Chávez zu erwirken. Der CDU-Lateinamerikaexperte Peter Weiss vertrat die Auffassung, dass Hugo Chávez mit seiner Haltung zum Referendum „den letzten Anschein demokratischer Legitimation“ verloren habe. Der Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele hielt dagegen, dass sich die venezolanische Opposition bei dem Putschversuch im April selbst unglaubwürdig gemacht habe und dass Chávez immer noch eine sehr breite Unterstützung im Land habe. Während die FDP klagte, Präsident Chávez ruiniere das potenziell reiche Land, konterte Ströbele, dass die Opposition das Land verarmen lasse, da sich ihre Aktivitäten negativ auf das Pro-Kopf-Einkommen auswirkten.
Regierung erkennt kolumbianische Flüchtlinge an
(Caracas, 10. Februar 2004, adital). Die Nationale Kommission für Flüchtlingsangelegenheiten (Comisión Nacional de Refugiados) hat 47 kolumbianischen Antragsstellern Asyl gewährt. Damit ist Venezuela nach Einschätzung des UN-Hochkommissars für Flüchtlinge (Alto Comisionado de las Naciones Unidas para los Refugiados – ACNUR) Ruud Lubbers einen historischen Schritt zum Schutz von internationalen Flüchtlingen gegangen.
Die UN-Behörde erhielt gestern (9. Februar) die offizielle Mitteilung von den Fortschritten der Nationalen Kommission. Demnach erkennt das veränderte Nationale Gesetz für Asyl- und Flüchtlingsangelegenheiten die kolumbianischen Flüchtlinge an. Die Antragssteller erhalten legale Papiere, so dass sie vor dem Gesetz anerkannt werden. Folglich werden sie das Recht auf Arbeit haben und in Venezuela offiziell studieren dürfen.
Die Nationale Kommission für Flüchtlingsangelegenheiten, die im Juli 2003 einberufen wurde, ist zuständig für die Beurteilung von Asylanträge in Venezuela. Die Kommission nahm an der Erarbeitung des neuen Gesetzentwurfs teil. Dieser wurde auf Betreiben der Regierung eingebracht. Für die kolumbianischen Opfer des Konfliktes ist die Anerkennung des Asylantenstatus ein wichtiger Schritt, der ihnen erlaubt, auf legaler Grundlage ein neues Leben in Venezuela zu beginnen.
Momentan haben 2338 Flüchtlinge einen Antrag auf Anerkennung des Flüchtlingsstatus gestellt. Weitere Länder, in denen kolumbianische Flüchtlinge auf Anerkennung hoffen, sind die Nachbarländer Ecuador, Peru, Panama und Costa Rica.
KOLUMBIEN
Ölarbeitergewerkschaft kündigt Streik an
Von John Ludwick
(Barrancabermeja, 9. Februar 2004, na-poonal).- Die mitgliederstärkste Arbeiterorganisation Kolumbiens, der Gewerkschaftsbund der Ölindustriearbeiter USO (Unión Sindical Obrera de la Industria del Petróleo), hat eine unbefristete Arbeitsniederlegung angekündigt. Sie will damit ihren Widerstand gegen die Beschneidung der Arbeitsrechte und Privatisierungspläne für das staatliche Ölunternehmen Empresa Colombiana de Petróleos (ECOPETROL) zum Ausdruck bringen.
Dass es zu einem Streik kommen würde, war schon seit Ende letzten Jahres abzusehen. Damals zog sich ECOPETROL aus den Tarifverhandlungen zurück und kündigte an, ein Schlichtungskomitee einzuberufen, das die Entscheidung durchsetzen sollte. Die USO war nicht bereit, das Schlichtungskomitee anzuerkennen oder daran teilzunehmen, sondern bestand auf einen direkten Dialog mit dem Unternehmen. Die Gewerkschaft rief den Obersten Gerichtshof an, damit dieser die Entscheidung des Schlichtungskomitees blockiere.
Auf einer Vollversammlung Mitte Januar in der Ölförderstadt Barrancabermeja stimmten die Vertreter der USO zum ersten Mal seit 27 Jahren für eine Arbeitsniederlegung. Zwar muss nun noch ein Termin für den Streikbeginn festgelegt werden, aber nach Auskunft des Vorsitzende der USO Gabriel Alvis laufen die Vorbereitungen „24 Stunden täglich“. Auch wenn die Gewerkschaft nach wie vor bereit sei, zu verhandeln, sei es unwahrscheinlich, dass ECOPETROL wieder an den Verhandlungstisch zurückkehre, sagte der USO-Vorsitzende. Der Streikaufruf wird für Ende Februar erwartet.
Man werde streiken, um sich für die kolumbianische Ölindustrie einzusetzen und die Privatisierung der ECOPETROL aufzuhalten, hieß es seitens der Gewerkschaft. Weitere Forderungen beziehen sich auf bevorstehende Reformen und die damit einhergehende Aufweichung von Arbeitsrechten. So ist z.B. Einstellung von Zeitarbeitern ohne gewerkschaftliche Anbindung geplant, die schlechter verdienen und keinerlei Sicherheiten genießen.
Die USO wirft Präsident Álvaro Uribe vor, das lukrativste staatliche Unternehmen des Landes einfach zur Versteigerung freizugeben. Im vergangenen Jahr war der Betrieb neu strukturiert und in ein dreiteiliges Unternehmen aufgeteilt worden. Nach Auffassung der Gewerkschaft wurde ECOPETROL durch diese Maßnahme sichtlich geschwächt. Die Aufteilung sei mit dem Ziel erfolgt, ausländische Käufer anzuziehen.
Obwohl die Regierung die Privatisierungspläne bislang nicht bestätigt hat, gibt es nach Auffassung des Gewerkschaftsführers auf Landesebene Jorge Gamboa darüber kaum Zweifel. Neben der Neustrukturierung habe die Zunahme der Bildung so genannter „Gesellschaften“ mit multinationalen Unternehmen bei ECOPETROL zu einer spürbaren Schwächung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit geführt, so Gamboa. Ebenso verhindere ein Mitte 2003 verabschiedetes Gesetz die Durchführung eigener Bohrungen zur Erschließung neuer Ölreserven. Dies aber ist bei der Ölförderung von zentraler Bedeutung, um die Konstanz der Fördermenge sicherzustellen. Tatsächlich ist die Produktion von ECOPETROL derzeit auf eine Tagesfördermenge von 116.000 Barrel gefallen. Insgesamt beträgt diese in Kolumbien 650.000 Barrel. Auch der Anteil von ECOPETROL an der Gasförderung beläuft sich nur mehr auf drei Prozent.
Nach Meinung von Gamboa wird die Privatisierung negative soziale Folgen haben, da ECOPETROL jährlich zwei Milliarden US-Dollar in die Bereiche Bildung und Gesundheit investiert. „Im Falle einer Privatisierung ist von den multinationalen Unternehmen kein einziger Peso für solche sozialen Dienstleistungen zu erwarten. Sie werden lediglich Steuern bezahlen“, folgert Gamboas.
Inzwischen ist eine Schlacht der Wort entbrannt. Als Antwort auf die Abstimmung für einen Streik beteuerte der ECOPETROL-Vorsitzende Isaac Yanovich, er begreife die Schlussfolgerungen der USO nicht. Schließlich geschehe die Einberufung eines Schlichtungskomitees „in völliger Übereinstimmung mit den kolumbianischen Gesetzen“.
Obwohl sich die Reihen der USO in den letzten zehn Jahren gelichtet haben – inzwischen sind nur noch 6.000 Ölarbeiter in dieser Gewerkschaft organisiert, in der Vergangenheit waren es 15.000 – ist die USO nach wie vor die mitgliederreichste Gewerkschaftsformation in Kolumbien. Nach Jahren der Angriffe sind die Arbeiterorganisationen des Landes an einen kritischen Punkt gelangt. Informationen des Internationalen Bündnisses Freier Gewerkschaftsorganisationen CIOSL (Confederación Internacional de Organizaciones Sindicales Libres) zufolge waren 184 der im Jahre 2002 in ganz Lateinamerika ermordeten Gewerkschaftsmitglieder Kolumbianer. 2003 wurden 72 Mitglieder der wichtigsten Arbeitergewerkschaft CUT (Central Única de Trabajadores) umgebracht. Seit Beginn der Neunzigerjahre sind in Kolumbien mehr als 2000 gewerkschaftlich organisierte Arbeiter ermordet worden.
Darunter hatte auch die USO zu leiden. Innerhalb der letzten zehn Jahre haben mehr als 600 Mitglieder Morddrohungen erhalten, 250 von ihnen mussten in Folge dessen in andere Landesteile oder ins Ausland fliehen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten sind 89 Mitglieder ermordet worden, meist durch paramilitärische Gruppen. Sie hinterließen 600 Witwen und Waisen.
ECUADOR
Radio Luna soll geschlossen werden
(Montevideo, 4. Februar 2004, púlsar-poonal) Der Bund der Kichwa-Bevölkerung Ecuadors ECUARUNARI (Confederación de Pueblos de la Nacionalidad Kichwa del Ecuador) hat eine Anordnung des Präsidenten Lucio Gutierrez bezüglich dem Radiosender La Luna kritisiert. Der Staatschef will gesetzlich gegen La Luna vorgehen.
Mit seiner Anordnung, die am 3. Februar über einen Fernsehsender bekannt gemacht wurde, will Gutierrez erreichen, dass die zuständigen Kontrollbehörden dem Radio die Frequenz entziehen. Damit müsste La Luna dichtmachen und die Frequenz würde einem anderen Eigentümer übergeben.
Der juristische Angriff gegen den Radiosender könnte den Hintergrund haben, dass dieser Sender das gute Bild von Gutierrez und seiner Regierung angreift. Dabei öffnet der Sender lediglich seine Mikrofone, damit die Zuhörer selbst ihre Meinung über das zum Ausdruck bringen können, was im Land vor sich geht. Radio Luna hat die indigene Bewegung und die ecuadorianische Bevölkerung in den Kämpfen der letzten Zeit begleitet.
Über die Frequenz 99.3 FM von Quito, die La Luna benutzt, verfügt das Zentrum für populäre Erziehung (Centro de Educación Popular, CEDEP). Der Sender ist unter anderem ein „Kind“ des lateinamerikanische Netzwerk ALER, das auch in der ecuadorianischen Hauptstadt angesiedelt ist. CEDEP und ALER kritisierten jüngst die willkürliche Festnahme des ECUARUNARI-Präsidenten Humberto Cholango vom vergangenen Dezember sowie das Attentat auf den Präsidenten des Dachverbands der indigenen Völker Ecuadors CONAIE (Confederación de Nacionalidades Indígenas del Ecuador) Leonidas Iza am 1. Februar.
CHILE
Prozess wegen „Verschwindenlassens“ eines Journalisten
(Santiago de Chile, 10. Februar 2004, adital-poonal).- Die Kapitäne zur See (im Ruhestand) Guillermo Vidal Hurtado und Germán Valdivia wurden wegen der Entführung des Journalisten Jaime Aldoney Vargas vor Gericht gestellt. Aldoney war im September 1973 in Valparaíso verschwunden. Die Richterin Gabriela Corti hat wegen desselben Delikts bereits sechs weitere Marineoffiziere vor Gericht gestellt: den Konteradmiral Ernesto Huber von Apen, die Kapitäne Sergio Mendoza Rojas, Patricio Villalobos Lobos und Jaime Undargarín Romero, den Unteroffizier Manuel Bush López sowie den Leutnant Pedro Arancibia Solar. Alle Betroffenen sind im Ruhestand.
Der 30-jährige Aldoney war sozialistischer Stadtrat von Limache und von der Regierung Allende einbestellter „politischer Wirtschaftsprüfer“ der Brauerei CCU (Compañía de Cervecerías Unidas). Außerdem leitete er ein Radioprogramm in einem Sender in Limache, während er im nahegelegenen Valparaíso Journalismus studierte.
Zur Zeit von Aldoneys Verschwinden war Huber von Apen Chef des Luft- und Marinestützpunktes „El Belloto“, wo der Journalist zum letzten Mal lebend gesehen worden ist. Die Kapitäne zur See Vidal Hurtado und Valdivia waren Leutnants, als Aldoney an seinem Arbeitsplatz bei der CCU kurz nach dem Militärputsch im September 1973 festgenommen und zum Stützpunkt „El Belloto“ gebracht wurde. Dort wurde er vermutlich hingerichtet und seine Leiche über dem Pazifischen Ozean abgeworfen.
Der Abgeordneten Laura Soto der Partei für die Demokratie (PPD) zufolge, die als Klägerin in diesem Prozess fungiert, erstatteten die Angeklagten dem damaligen Chef des Stützpunktes Huber von Apen Bericht über den Tod Aldoneys. Dies beweise, dass die Marine entgegen der bisherigen Darstellung doch Kenntnis von dem Fall hatte. Soto kritisierte die bisherige Haltung der Marine im Prozess und bezichtigte sie, den Fall verschleiern zu wollen. „Die Marine hat entgegen unserer öffentlichen und formalen Forderungen im Prozess nicht mit uns zusammengearbeitet. Sie ist sogar so weit gegangen, die Tatsachen völlig zu verdrehen,“ sagte sie. Die Richterin Gabriela Corti ordnete die präventive Festnahme der angeklagten Ex-Militärs an.
Jugendliche: Kein Hoheitsrecht für Bolivien
(Santiago de Chile, 12. Februar 2004, sem-poonal).- Der Konflikt zwischen Chile und Bolivien über Boliviens´ Petition für einen Zugang zum Meer scheint in letzter Zeit auch die jungen Menschen Chiles zu beschäftigen. 78,9 Prozent der zwischen 15 und 20-jährigen glauben, dass die Lösung dieses Problems nicht in einem Hoheitsrecht für Bolivien liege. Dies geht aus einer Studie des Zentrums für Strategie, Soziales und Mediation der Universität der Künste und Kommunikationswissenschaft (UNIACC) hervor.
Dennoch ist diese Sichtweise nicht ausschlaggebend. 60,3 Prozent der Jugendlichen denkt, dass die Regierung eine flexible Haltung einnehmen sollte. Diese sollte bereit sein, mit Bolivien zu verhandeln. Nach Worten von Jorge Schaulsohn, dem Direktor des Studienzentrums, zeigt dies, dass es keine nationalistische Sichtweise des Konfliktes gebe und Bereitschaft herrsche, eine Vereinbarung zu treffen. Außerdem, sagte er, zeigten diese Ziffern, dass die jungen Menschen informiert seien und eine klare Position zu den wichtigen Themen des Landes beziehen würden.
ARGENTINIEN
Ehemaliges Folterzentrum soll „Museum der Erinnerung“ werden
(Buenos Aires, 11. Februar 2004, ecupress).- Die „Esma“, offiziell Militärschule und inoffiziell größtes Folterzentrum während der letzten Militärdiktatur Argentiniens, soll künftig ein „Museum der Erinnerung“ werden. Außerdem soll dort ein „Archiv der Erinnerung“ entstehen. Diese Entscheidung traf Präsident Nestór Kirchner bei einer gemeinsamen Zusammenkunft mit verschiedenen Menschenrechtsorganisationen am vergangenen Montag (9. Februar).
Der Beschluss gelangte über den Menschenrechtsbeauftragten der Regierung Eduardo Luis Duhalde im Anschluss an das Treffen an die Öffentlichkeit. Es wird vermutet, dass Kirchner die Entscheidung persönlich noch einmal bei einem Staatsakt am 24. März bekannt geben wird. Dann jährt sich zum 28. Mal der Militärputsch von 1976.
Eduardo Luis Duhalde wurde außerdem vom Präsidenten damit beauftragt, die juristischen Fragen bei einer Umwandlung der „Esma“ vom militärischen Gebiet hin zu einem öffentlichen Gebäude zu klären.
Die Idee, das ehemalige Folterzentrum in ein Museum der Menschenrechte zu verwandeln, existiert bereits seit 1998. Zu diesem Zeitpunkt plante die Regierung von Carlos Menem, das Gebäude abzureißen und anschließend dort einen Park und ein „Denkmal der nationalen Einheit“ zu errichten. Dieses Vorhaben wurde von Menschrechtsorganisationen und verschiedenen Politikern energisch bekämpft. Sie plädierten stattdessen dafür, die „Esma“ als historisches Gebäude und Ort des kollektiven Gedächtnisses zu erhalten.
URUGUAY
Wasser und Kieselsäure gegen Auslandsschulden
(Montevideo, 10. Februar 2004, comcosur).- Jorge Ruiz Garaterguy, ein der Partei Colorado angehörender Vorkandidat der Bewegung „Movimiento Treinta y Tres Orientales“, kritisierte gestern vor der Kommission zur Verteidigung von Wasser und Leben (CDAV) Verhandlungen, die der uruguayische Botschafter in Washington Hugo Fernández Faingold mit den USA eingeleitet hatte. Demnach soll der zu Uruguay gehörenden Teil des Wasserreservoirs Guaraní und die Region des schwarzen Sandes an der Küste von Roche als Garantie für Auslandsverschuldung verbucht werden.
Ruiz Garateguy schloss sich gestern der Gruppe an, die eine Verfassungsreform anstrebt, um die Privatisierung von Wasserressourcen zu verbieten. Der Politiker sagte, dass eine ihm vertraute Führungspersönlichkeit der Partei Colorado zwischen Oktober und November letzten Jahres unfreiwillig an einem Treffen von Regierungsvertretern und ausländischen Geschäftsmännern teilgenommen habe, das in der Residenz des uruguayischen Botschafters in den USA Hugo Faingold (Sanguinettismo) stattgefunden habe.
Laut seinen Aussagen sei bei diesem Geschäftsessen „die Region des schwarzen Sandes der Küste von Roche zum Thema der Verhandlungen“ geworden. Das Gebiet verfügt über reichhaltige Kieselsäurevorkommen (Kieselsäure ist ein essentielles Schwermetall für die Informatikindustrie). „Ebenso wurde über die Grundwasserversorgung verhandelt“. Vermutlich sei diese als Aktiva in die Rechnung bei neuen Verschuldungen einbezogen worden.
Ruiz sagte, man habe die Möglichkeit diskutiert, dass ausländischen Körperschaften der Zugang zu den wichtigsten Süßwasserreservaten (international bekannt als Wasserreservoir Guaraní und in Uruguay bekannt unter dem Namen Wasserreservoir Tacuarembó) verschafft werden soll, damit sie dort ihren Geschäften nachgehen können.
Der Vorkandidat der Partei Colorado – er gehört zum Kreis des „progressiven Pols“ der Partei – ist der Meinung, dass die Privatisierung der Wasserversorgung die Zukunft des Landes ernsthaft in Mitleidenschaft zieht. Die Kommission zur Durchführung der Reform, die die Dienste der Wasserversorgung als unverkäuflich erklärte, wird am 22.März dieses Jahres gegen das Vorhaben mobilisieren. Dieser Tag ist der Internationale Tag des Wassers. Damit soll die Debatte an die Öffentlichkeit gebracht werden.
LATEINAMERIKA
Menschenrechte: Kampagne für sexuelle Vielfalt
(Havanna, 10. Februar 2004, sem-poonal).- Das lateinamerikanische Frauengesundheitsnetzwerk „Red de Salud de las Mujeres Latinoamericanas y del Caribe“ hat eine Kampagne gestartet, um zu erreichen, dass auf der 60. Jahresversammlung der UN-Menschenrechtskommission (UNCHR) eine Resolution für die Freiheit der sexuellen Orientierung angenommen wird.
Das am 1. Februar veröffentlichte Kommuniqué ruft dazu auf, bei den auf der besagten Tagung vertretenen Regierungen stimmberechtigter Länder dringende Lobbyarbeit zu leisten. Auch sollen jene Regierungen angesprochen werden, die zwar keine Stimmmöglichkeit besitzen, aber positiven Einfluss auf die anderen Delegationen ausüben können.
Das Kommuniqué wurde im elektronischen Rundbrief „Mujer Saludable“ (Gesunde Frau) veröffentlicht. Es heißt darin, es sei „erneut mit einem stark polemischen Klima und offenen Angriffen seitens der konservativsten Delegationen unter Führung des Vatikans und islamischer Staaten, die jeglichem Fortschritt (bei sexuellen Rechten) traditionell ablehnend gegenüberstehen, zu rechnen“. Eine Unterschriftensammlung zur Unterstützung der Initiative findet sich auf folgender Internetseite: http://web.archive.org/web/20040213122204/http://ilga.info:80/brazilianresolution/petition.asp?LangueID=5.
Der Resolutionsentwurf „Menschenrechte und sexuelle Orientierung“, in dem die Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen, Transsexuellen und Transvestiten verteidigt werden, ist am 17. April 2003 von Brasilien eingebracht worden. Nach heftigen Debatten wurde die Abstimmung jedoch auf dieses Jahr verschoben.
Der Text äußert „tiefe Besorgnis über die weltweiten Menschenrechtsverletzungen, die Personen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung erfahren“ und ruft alle Staaten auf, jene Rechte zu fördern und zu schützen.
Sollte die Initiative angenommen werden, wäre das die erste Resolution in der Geschichte der UNO, die „unzweideutig“ feststellen würde, dass „in der sexuellen Orientierung der Opfer begründete Vergehen Menschenrechtsverletzungen sind“, hieß es in einer Stellungnahme der Internationalen Kommission für die Menschenrechte von Schwulen und Lesben IGLHRC (International Gay and Lesbian Human Rights Commission).
„Jahrelang argumentierte die Achse Vatikan – Islamische Konferenz – USA in der Richtung, dass das Thema sexueller Rechte ein Spleen der reichen Länder wäre, dass solch eine Lappalie den wichtigen Fragen, mit denen sich die armen Länder herumplagen, nur Zeit raube“, bekräftigte Alejandra Sardá, Koordinatorin des IGLHRC-Programms für Lateinamerika und die Karibik. Im Interview mit „Mujer Saludable“ stellte Sardá fest, dass die Haltung Brasiliens die Situation radikal verändert habe. „Wieder einmal hat Lateinamerika in Fragen der Humanität die Initiative ergriffen“, ergänzte sie.
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