Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 225 vom 10. Januar 1996
Inhalt
MEXIKO
BOLIVIEN
EL SALVADOR
HAITI
KUBA
LATEINAMERIKA
GUATEMALA
CHILE
MITTELAMERIKA
MEXIKO
Zapatist*innen wollen neue politische Bewegung gründen
– Vierte Erklärung des Lacandonen-Urwaldes
(Mexiko-Stadt, 3. Januar 1996, POONAL).- Neuer Vorstoß der Aufständischen im mexikanischen Bundesstaat Chiapas: In der Vierten Erklärung des Lacandonen-Urwaldes, vom Subcomandante Marcos per Video verlesen, kündigt die Zapatistische Armee für die Nationale Befreiung (EZLN) die Grüdung einer breiten politischen Bewegung an. Gestützt auf die zapatistischen Rebellen soll sie „zivilen, friedlichen, unabhängigen und demokratischen“ Charakters sein. Eine politische Kraft, die nicht als Partei organisiert ist und nicht die Machtübernahme will. Damit reagiert die EZLN zum 2. Jahrestag ihres Aufstandes konkret auf die Ergebnisse der landesweiten Befragung im August 1995, zu der sie aufgerufen hatte. Von den über 1 Million Menschen, die daran teilnahmen, stimmte jeweils etwa die Hälfte für eine allein von den Zapatisten getragene politisch-zivile Organisation bzw. für den gleichberechtigten Zusammenschluß mit anderen Gruppen. Die EZLN versucht das Dilemma dem Anschein nach jetzt dadurch zu lösen, daß sie sich als Kristallisationspunkt der zukünftigen „Zapatistischen Kraft für die Nationale Befreiung“ (FZLN) sieht. Als politisch- militärische Organisation wird sie zudem nicht verschwinden. Die Abgabe der Waffen steht trotz der verschobenen Gewichtung zugunsten einer zivilen Bewegung nicht zur Debatte.
Das Video mit ZapatistInnensprecher Marcos wurde am Neujahrstag in dem Ort „La Realidad“ im Lacandonen-Urwald gezeigt. Dort wie in den Orten „La Garrucha“, „Morelia“ und „Oventic“ feierten die Zapatisten und ihre Sympathisanten seit dem 28. Dezember mit einem Kulturprogramm die Einweihung von vier neuen Aguascalientes. Als Antwort auf die Zerstörung des schon legendären Treffpunktes der Nationalen Demokratischen Konvention vom August 1994 durch die mexikanische Bundesarmee hatte Marcos vor drei Monaten die Gründung dieser Zentren nach dem Motto „schafft ein, zwei, ganz viele Aguascalientes“ angekündigt. Sie sind als Kulturstätten mit Bibliothek, Videoausrüstung, Kindergärten und Gesundheitsstationen konzipiert. UnterstützerInnengruppen richten derzeit weitere „Aguascalientes“ in der Hauptstadt und der nördlichen Grenzstadt Tijuana ein. Die politische Offensive der Zapatist*innen ließ zum Jahresende die Befürchtungen einer militärischen Konfrontation zwischenzeitlich anwachsen. Die mexikanische Armee verstärkte ihre Truppenpräsenz in der Nähe der neuen Kulturzentren. Erst intensive Verhandlungen, in die die Nationale Vermittlungskommission CONAI und die Parlamentskommission COCOPA eingeschaltet wurden, führten zu einer Absprache zwischen Innenministerium und Zapatist*innen.
Besonders angespannt war die Situation in Oventic. Dort äußerte sich die Bevölkerung lautstark gegen die Präsenz der Soldaten. Oventic liegt im Gegensatz zu den anderen drei Festorten nicht im Urwald, sondern in den Altos de Chiapas nur 15 Kilometer vom Verhandlungsort San Andrés Larráinzar und knapp 40 Kilometer von San Cristóbal de las Casas entfernt. Die Zapatist*innen planten ursprünglich sogar eine Militärparade in dem Ort, verzichteten dann jedoch darauf. Die Anwesenheit des Comandante David als Vertreter des Geheimen Revolutionären Indígena-Komitees der EZLN war Herausforderung genug an die staatlichen Autoritäten. In keinem der vier Aguascalientes kam es zu größeren Zwischenfällen. Die Zapatist*innen suchten sich für ihre Initiative einen günstigen Zeitpunkt aus: Am 3. Januar begann in San Cristóbal das fünftägige Nationale Indígena-Forum. Die EZLN konnte es trotz anfänglichen Widerstandes der Regierung mithilfe der COCOPA durchsetzen. Bereits am 10. Januar schließt sich die neue Verhandlungsrunde mit der Regierung zum Thema Indígenarechte und -kultur an. Damit sind eine breite Aufmerksamkeit und ein Diskussionsforum für die neuen Vorstöße der Zapatist*innen gesichert. Welche Dynamik sie entwickeln, wird das neue Jahre zeigen.
Führung der Schuldnervereinigung „El Barzón“ verhaftet
(Mexiko-Stadt, Dezember 1995, POONAL).- Die Staatsanwaltschaft der mexikanischen Hauptstadt bereitete der Schuldnervereinigung von vorwiegend landwirtschaftlichen Produzenten, „El Barzón“, eine vorweihnachtliche Überraschung besonderer Art. Sie verhaftete am 23. Dezember zwei Mitglieder aus der nationalen Führung der Organisation. Gegen weitere „Barzonistas“ bestehen Haftbefehle. Der Buchstabe des Gesetzes wurde dabei nicht so genau genommen. Weder der verhaftete José Enrique Puebla Ramos noch Alfonso Ramírez Cuellar bekamen einen Haftbefehl präsentiert. Cuellar wurde von einem hohen Beamten der Staatsanwaltschaft regelrecht in eine Falle gelockt. Er traf den Beamten ihn einem Restaurant, um mit ihm über die wenige Stunden zuvor erfolgte Verhaftung von Ramos zu sprechen. Dort tauchten trotz gegenteiliger Zusicherungen des Funktionärs nach wenigen Augenblicken dutzende bewaffnete Polizisten auf, die Cuellar abführten. Die Behörden begründeten die Verhaftung mit einer Verurteilung zu drei Jahren Gefängnis, die ein Richter gegen Cuellar und Ramos wegen ihrer Beteiligung an einer Blockade vor einem Autounternehmen am 6. März dieses Jahres ausgesprochen hatte. Die Betroffenen selbst erfuhren von dem Urteil nach eigenen Angaben erst zufällig im Gefängnis, weil ein Mithäftling Radio hörte. Nach vielfältigen Protesten kamen sie allerdings gegen eine Kaution noch vor Jahresende wieder frei.
Cuellar und Ramos sowie weitere Sprecher des Barzón machen politische Motive für das Vorgehen der Staatsanwaltschaft verantwortlich. Sie sehen zudem einen direkten Zusammenhang mit dem Einbruch in ihrem Hauptstadtbüro zwei Tage vor den Verhaftungen. Dabei entwendeten die Diebe die komplette Datenbasis der Organisation und tausende von Dokumenten. „El Barzón“ ist in den vergangenen zwölf Monaten zu einem sehr unbequemen Gegenspieler der Regierung und der Banken geworden. Ursprünglich als Schuldnervereinigung mittelständisch orientierter Landwirtschaftsproduzenten in den nördlichen Bundesstaaten entstanden, hat sich die Organisation im Kontext der mexikanischen Wirtschaftskrise in erstaunlich kurzer Zeit über das ganze Land ausgeweitet. Der Barzón spricht von 700.000 bis 800.000 Mitgliedern insgesamt. Ein Jahr nach der Gründung des Hauptstadtverbandes hat die Organisation dort bereits fast 20.000 Mitglieder – Tendenz wie überall im Land steigend. Längst haben sich Schuldner auch aus Bereichen außerhalb der Landwirtschaft angeschlossen.
Mit zum Teil spektakulären Aktionen vor der mexikanischen Börse, den Banken und Regierungseinrichtungen, der Einstellung von Kreditzahlungen und mit der öffentlichen Diskussion über das Wirtschaftsprogramm konnte „El Barzón“ die Regierung zeitweise zum Dialog zwingen. Unter anderem wurde eine Einstellung des gerichtlichen Vorgehens gegen zahlungsrückständige Schuldner erreicht. Die Regierung versprach außerdem „entspannende“ Maßnahmen. Das Vorgehen in den Vorweihnachtstagen deutet nicht darauf hin. Der gewählte Zeitpunkt half den Behörden auch nicht, die Verhaftungen in aller Stille über die Bühne gehen zu lassen. Intellektuelle, politische Parteien, die Landesweite Vereinigung Demokratischer Anwälte und verschiedene Schuldnerorganisationen solidarisierten sich innerhalb weniger Stunden mit Cuellar und Ramos. Sie forderten ihre sofortige Freilassung. Die beiden erklärten im Gefängnis gegenüber der Presse: „Die Regierung irrt sich, wenn sie glaubt, die Schuldnerbewegung im Land zu entmutigen, indem sie einige Führer des Barzón einkerkert. Die Bewegung wird nicht aufzuhalten sein, solange es keine Veränderung der Wirtschaftspolitik des Regimes gibt.“ Mit der spektakulären Verhaftung hat die Staatsanwaltschaft dem Barzón möglicherweise zu einem noch stärkeren Mitgliederzuwachs verholfen.
„Golfkrieg“ in Morelos – Ein Dorf läßt sich das Wasser nicht abgraben
(Tepotzlán, 27. Dezember 1995, POONAL).- Ein Golfclub ist aller Laster Anfang. Das jedenfalls meint ein großer Teil der Bevölkerung des Ortes Tepoztlán im mexikanischen Bundesstaat Morelos. Sie wehren sich mit allen Mitteln gegen die Pläne einer Unternehmensgruppe, die sich hinter dem Kürzel „KS“ verbirgt. KS will auf einer Fläche von 200 Hektar im Randbereich der Gemeinde Rasen pflanzen und einen Golfplatz mit Clubatmosphäre anlegen. Bisher hat der hartnäckige Widerstand der Tepoztecos dies verhindert. Sie jagten vor einigen Monaten kurzerhand ihren Bürgermeister aus dem Amt, der mit der Unternehmensgruppe und den staatlichen Behörden kooperierte. Bei von der Bevölkerung organisierten Wahlen bestimmten sie einen neuen Ortsvorsteher. Dieser erklärte Tepoztlán Anfang Oktober angesichts fehlender Anerkennung der Bundesstaatsregierung zum „freien Landkreis“. Eigentliches Entscheidungsgremium in Tepoztlán ist jedoch das inzwischen auf 150 Mitglieder angewachsene Komitée der Tepoztekischen Einheit (CUT).
Das CUT versucht, den Golfclub auf dem Verhandlungswege zu verhindern. Zum Jahresende nahm der Konflikt jedoch an Schärfe zu. Ein Richter in Cuernavaca, der Hauptstadt von Morelos, sprach über die Weihnachtstage Haftbefehle gegen 14 CUT-Mitglieder wegen Beteiligung an einem Mord aus. Bei einem Streit zwischen verschiedenen Gruppen war Anfang Dezember ein Verwandter des Ex- Bürgermeisters angeschossen worden. Er erlag den Schußverletzungen eine Woche später. Nach zahlreichen Zeugenaussagen befand sich ein Großteil der Beschuldigten jedoch während des Konfliktes nicht am Tatort. Der Rest hatte demnach keine Waffen. Nach der Version des CUT wurde das Todesopfer aus Versehen von Mitgliedern seiner eigenen Gruppe getroffen. Trotz der Zweifel am Tathergang verhaftete die Gerichtspolizei am 26. Dezember bereits einen der Angeklagten. Die Mitglieder des Komitées der Tepoztekischen Einheit sprechen von „einer „Unterdrückungsmaßnahme, um die Bewegung zu zerstören“. Dennoch werde es weitere Gespräche mit Uernehmern und Regierungsstellen geben.
Die Tepoztecos haben Angst um ihre Wasserversorgung. Seit 1972 bestehen die Pläne für die Golfanlage. Bisher konnte jedoch keine der im Zeitverlauf beteiligten Unternehmensgruppen die Ortsbewohner davon überzeugen, mit dem Wasserverbrauch für die 200 Hektar Rasenfläche die Wasserversorgung der Tepoztecos nicht zu beeinträchtigen. Die „KS“ legte dem mexikanischen Umweltministerium anscheinend sogar falsche Dokumente vor, um die Bauerlaubnis zu bekommen. Nach Protesten wurde diese zwischenzeitlich wieder zurückgezogen, dann jedoch das Verbot wieder aufgehoben. Das CUT hat mehrmals betont, den Golfclub auf keinen Fall zuzulassen. Die fehlende Beteiligung der Bevölkerung an der Projektplanung ist nach der Angst um das Wasser einer der wichtigsten Beweggründe für die stolzen Tepoztecos. Versuche des Gouverneurs von Morelos, die unbotmäßigen Bürger in den Griff zu bekommen, scheiterten bisher. Mit Unterstützung des Bundesstaatsparlaments ernannte er dreimal einen Bürgermeister für Tepoztlán. Die traten jedoch jeweils kurz nach ihrer Ernennung zurück und erkannten das CUT als die entscheidende Autorität an. Die Presse bezeichnet das Kräftemessen inzwischen als „Golfkrieg von Tepoztlán“. Angesichts der Haftbefehle ist die Situation im Rathaus des Ortes angespannt. Das Komitée versicherte jedoch, nicht klein beizugeben. Die Behörden sollten gewarnt sein. In seinem großen Werk „Land und Freiheit“, in dem John Womack die mexikanische Revolution in Morelos beschreibt, werden die Tepoztecos als die treuesten und hartnäckigsten Anhänger des Revolutionshelden Emiliano Zapata dargestellt.
„Wir brauchen das Wasser zum Überleben“
– Interview mit José Flores Ayala, Mitglied des Komitées der
Tepoztekischen Einheit (CUT)
Frage: In Tepoztlán jagte die Bevölkerung den alten Bürgermeister aus dem Amt und wählte sich ein eigenes Gemeindekomitée. Alles wegen eines Golfclubs. Wie fing das an?
Ayala: Der eigentliche Grund für den zivilen Widerstand der Bevölkerung und die Wahl der eigenen Autoritäten war die Tatsache, daß die Unternehmer über die Bevölkerung hinweggingen. Über eine organisierte Bevölkerung. Sie haben ihre Versprechen nie eingelöst. Sie haben nie wirklich mit der Bevölkerung gesprochen, gesagt, das haben wir vor und wir möchten Eure Beteiligung, Eure Hilfe. Sie haben ihr Projekt einfach nur Industriellen, Leuten mit Geld präsentiert und die Bevölkerung ignoriert. Sie haben nicht berücksichtigt, daß der Wasserverbrauch für uns ein lebenswichtiger Faktoren ist. Sie haben in keinster Weise nachgewiesen, daß das Wasser für 200 Hektar Rasenfläche und die Versorgung des Golfplatzes ausreicht. Woher werden sie also die Flüssigkeit nehmen? Wir brauchen das Wasser zum Überleben. Wir hängen von dieser Wasserreserve ab.
Wieviele Leute sind insgesamt im Komitée der Tepoztekischen Einheit (CUT)?
Am Anfang gründete sich das sogenannte Basiskomitée mit etwa 50 Personen aus Stadtvierteln sowie zu Tepoztlán gehörenden Ortschaften und Colonias (Aussenbezirke). Dann hat sich das CUT nach und nach erweitert. Heute besteht diese Führung aus schätzungsweise 150 Leuten.
Vor wenigen Tagen erließ ein Richter aus der Bundesstaatshauptstadt Cuernavaca 14 Haftbefehle gegen Mitglieder des CUT wegen der Beteiligung am Mord gegen einen Verwandten des Ex-Bürgermeisters Alejandro Morales. Was sagen Sie zu den Vorwürfen?
Sie gehen von falschen Voraussetzungen aus. Die Beschuldigten sollen an einem Konflikt teilgenommen haben, den eine Gruppe Krimineller auslöste. Wir nennen sie hier die 'feige Diebesbande', angeführt von Martín Rivera Galicia. Dieser schoß und verwundete in der Konfusion einen seiner Compañeros (der acht Tag später starb. Die Red.) Das ist die Darstellung, die wir erhalten haben. Wir, die angeklagt sind, waren gar nicht dabei. Wir kamen nach dem Konflikt. Darum glauben wir, es handelt sich um eine Repressionsmaßnahme, um die Bewegung zu zerstören. Wir sind absolut davon überzeugt, daß sie dies nicht erreichen werden. Wir werden auf eine Art reagieren, die uns erlaubt, unser Recht zu vertreten und uns zu verteidigen. Sie klagen uns ungerechterweise an. Viele Personen waren nicht einmal in der Nähe, weil sie woanders arbeiteten. Und jetzt werden plötzlich Haftbefehle gegen uns erlassen.
Am 26.Dezember 1995 hat die Gerichtspolizei bereits ein CUT- Mitglied verhaftet. Wie werden Sie reagieren? Sich verstecken?
Wir werden eine Verteidigung aufbauen, um die Unschuld der Betroffen zu beweisen. Ich beispielsweise soll der intellektuelle Drahtzieher des Verbrechens sein. Ich habe nie in meinem Leben an Taten dieser Art teilgenommen und war nie dafür verantwortlich. Ein Mord ist schon ein schwerer Vorwurf, nicht wahr? Es sind Erfindungen, damit sie uns, die wir auf die Verteidigung der Interessen der Bevölkerung setzen, kaltgestellt werden können. Das wird hier niemals geschehen. Wir werden Schutzmaßnahmen ergreifen. Wir werden unsere Unschuld beweisen. Ausgangspunkt der Bewegung und des CUT war die Verhinderung des geplanten Golfclubs in Tepoztlán. Gibt es derzeit Gespräche, Verhandlungen mit der Regierung, dem Ummweltministerium oder der Bundesstaatsregierung?
Zur Zeit sind sie suspendiert wegen der Feiertage. Wir haben Ferienzeit. Aber die Gespräche werden weitergehen. Es gibt schwerwiegende Meinungsunterschiede. Nach unserer Auffassung gibt es für den Golfclub keinen vernünftigen Grund. Er dient ausschließlich dem Großkapital, das kommt, um seine Geschäfte zu machen. Das Volk interessiert sie nicht. Wir haben einen Ausgangspunkt, der nicht diskutiert wird: Jede Entwicklung hier in Tepoztlán muß die Meinung, das Gefühl der Bevölkerung beachten. Denn sie wird sicher immer auf einige ihrer Lebensverhältnisse Einfluß haben. Wir sind diejenigen, die JA oder NEIN sagen müssen. Sie werden uns keine Projekte aufdrücken können, die wir nicht wollen, die mit unserer Lebensart nicht übereinstimmen. Und in diesem Fall wurde sogar versucht, mit gefälschten Dokumenten die Genehmigung zu erschleichen. Wir haben den Umweltbehörden gezeigt, daß sie hereingelegt worden sind.
Das Unternehmen 'KS', das den Golfplatz bauen will, argumentiert mit neuen Arbeitsplätzen…
Wir haben uns ganz deutlich zu den angebotenen Arbeitsplätzen geäußert: Das sind nicht die Arbeitsplätze, die die Bevölkerung braucht. Die einzigen Stellen, die sie anbieten, sind Hilfsdienste. Das heißt, Rasenschneider, Tellerwäscher, Wachposten, Reinigungsdienste, usw. Wir brauchen Arbeit, aber nicht solche Aktivitäten. Unsere Kinder sind in die Schule gegangen und haben sich für andere Dinge vorbereitet. Wir haben hier Akademiker, Ärzte, Krankenschwestern, Lehrer, Ingenieure, Leute aus allen Berufssparten. Wir wollen eine andere Art von Arbeitsplätzen, nicht die angebotenen. Die Leute arbeiten hier auf dem Land und verdienen sehr gut. Der hier vereinbarte Mindestlohn sind 35 Pesos am Tag (der von der Regierung festgelegte Mindestlohn bewegt sich zwischen 16 und 20 Pesos, G.S.). Das reicht zum Leben. Außerdem gilt er bei einem Arbeitstag von 7 Uhr morgen bis 3 Uhr nachmittags. Das ist hier auf natürliche Art institutionalisiert, die Behörden setzen da nichts fest. Und niemand arbeitet für weniger.
Gilt das, seitdem sich Tepoztlán Anfang Oktober als 'freier Landkreis' erklärt oder schon länger?
Das war schon früher so. Die Löhne richten sich nach der Inflation. Wenn die Lebenshaltungskosten steigen, steigen automatisch die Löhne. Für 1996 wird der Lohn wohl auf 40 Pesos erhöht werden.
Die Mehrheit der Tepoztecos ist sicher gegen den Golfclub. Aber genauso sicher wird es Leute geben, die damit einverstanden sind. Wie ist das Verhältnis zu diesen Leuten? Ich habe hier Graffitis 'Verräter raus', 'Tod den Verrätern' gesehen.
Frei heraus gesagt: Die Mehrheit lehnt sie ab. Die Befürworter äußern sich nicht öffentlich. Es gibt die Kampagne bestimmter Wirtschaftskreise und der Regierung. Sie haben es geschafft, einige zu manipulieren, sie kaufen Stimmen, versprechen gewisse Vergünstigungen. So bewegen sie einige zur Mitarbeit. Aber es ist kein freier, sondern ein induzierter Wille. Das führt zu einer sehr sporadischen Meinungsäußerung. Aber wirklich öffentlich demonstriert haben sie bisher nicht. Zum Teil werden sie herangekarrt', um bei Veranstaltungen gegen Bezahlung anwesend zu sein. Die Leute hier (im Rathaus, d. Red.) sind dagegen aus freier Entscheidung da, aus eigenem Interesse, nicht aus fremdem. Die Mehrheit der Bevölkerung will den Golfclub nicht.
Aber nochmal zu dem 'Verräter raus'. Ist das wirklich ernst gemeint?
Hier in Tepoztlán gibt es bestimmte moralische Prinzipien. Grundlagen. Wir sind uns selbst gegenüber sehr viel strenger, was die Anwendung bestimmter Regeln angeht. Eine Person, die Dinge aus purem Eigeninteresse, nicht aus dem Interesse der Gruppe unternimmt, sieht sich einer gewissen Ablehnung gegenüber. Die Bevölkerung akzeptiert sie nicht. Die Person steht einer aktiven Mehrheit gegenüber. Eine Minderheitengruppe könnte in einem bestimmten Moment die gemeinsame Sache lähmen, in dem sie sehr eigennützige Interessen in den Vordergrund stellt. Sie haben das Recht dazu. Aber sie müssen auch die Folgen bedenken: Die Mehrheit der Bevölkerung lehnt dies ab. Den meisten der Befürworter ist ein Arbeitsplatz versprochen worden, deshalb machen sie mit. Das stößt bei den Gegnern des Golfplatzes natürlich auf Ablehnung.
In Tepoztlán leben viele Ausländer. Wie verhalten sich diese in dem Konflikt?
Es gibt eine kosmopolitische Gemeinde hier. Es dürften so um die 20 Nationalitäten sein: Deutsche, Engländer, Franzosen, Holländer, Italiener, usw. Ob sie wollen oder nicht, sie haben sich an die Bedingungen anzupassen, die die Bevölkerung bestimmt. Sie kommen oft mit ihrer Rente hierhin, oder arbeiten in der Industrie, sie wollen wegen des kulturellen Umfeldes in Tepoztlán leben. Für die Bevölkerung bedeuten sie kein Problem. Sie passen sich leicht an, tragen zu den sozialen Aktivitäten bei. Im konkreten Fall akzeptieren sie den Widerstand der Bevölkerung, viele haben sich der Bewegung angeschlossen. In ihren Ländern haben sie gelernt, daß sie die Umwelt schützen und in einer gesunden Umgebung leben müssen – mit den eigenen, hier in der Bevölkerung sehr verwurzelten Traditionen.
Am Ortseingang und an anderen Stellen sind mehrere Barrikaden aus Steinen errichtet. Fürchten Sie eine Konfrontation mit staatlichen Sicherheitskräften? Und glauben Sie wirklich, diese Barrikaden könnten dann etwas nutzen?
Nein. Das sind keine wirklichen Barrikaden. Sie sind einfach ein Ausdruck dafür, daß es hier einen Kampf gibt. Alle Leute können herein und heraus, wann sie wollen. Wenn die Regierung die Gemeindebüros besetzen will, dann werden sie das durchführen können. Denn sie werden sicherlich nicht mit Holzstöcken und Steinen kommen, sondern mit Panzern. Da nützen die Barrikaden überhaupt nichts. Sie sind da, um eine bestimmte Ruhe und eine bestimmte Richtung des Durchgangsverkehrs zu garantieren. Die uns erlaubt, festzustellen, welche Personen kommen. Es gab da Vorfälle. Beispielsweise sind Kriminelle gekommen. Sie sind hier festgenommen und den Behörden übergeben worden. Zum Teil kamen sie mit Maschinengewehren oder Pistolen verbotenen Kalibers. Die Barrikaden drücken eine bestimmte Ablehnung aus. Niemand wird geschädigt. Sie bieten einen gewissen Schutz, sie stellen eine Form der Sicherheit für uns da. Derzeit gibt es keinen Raub, keine Überfälle. Einer paßt für den anderen auf und wir helfen uns. In einem der Büros habe ich gerade ein Gemälde mit den beiden Revolutionshelden Emiliano Zapata und Pancho Villa sowie dem Subcomandante Marcos gesehen. Ich will mich nicht auf den Weg der Waffen beziehen: Aber läßt sich folgern, daß die Tepoztecos die Ideen der Zapatisten moralisch unterstützen?
Zu diesen erwähnten Personen: Gerade Zapata ist hier ein Symbol. Praktisch ein Held. Er kam mit vielen der Alten aus dem Ort zusammen, die noch leben und am bewaffneten Kampf der mexikanischen Revolution teilnahmen (Zapatas Geburtsort Anenecuilco liegt wie Tepoztlán im Bundesstaat Morelos, d. Red.). Zapata war eine nicht korrumpierbare, sehr anständige Person. Die Bevölkerung hat sich mit ihm und seinem Kampf identifiziert. Denn hier wird für das Land, die Freiheit, die Demokratie gekämpft. Diese Faktoren sind eng miteinander verknüpft. Die Revolution ist hier sehr stark in der Erinnerung der Menschen hier verankert, auch bei den jüngeren. Wir fühlen uns mit den Leuten in Chiapas solidarisch verbunden. Sie treten dafür ein, daß sie selbst ihr Schicksal bestimmen können. Für Autonomie, für die Freiheit der Bevölkerung, sich ihre eigenen Autoritäten wählen zu dürfen wie im Fall Toztlán. Da gibt es viele Verbindung. Eine Harmonie der Ideen. Aber hier gibt es keinen bewaffneten Kampf.
BOLIVIEN
Entführter Ex-Minister auf freiem Fuß
(Mexiko-Stadt, Dezember 1995, POONAL).- Der Unternehmer und ehemalige bolivianische Planungsminister Samuel Doria Medina ist seit dem 17. Dezember wieder frei. Er war am 1. November in der Hauptstadt La Paz von Unbekannten entführt worden (vgl. POONAL Nr. 218). Angaben über mögliche Lösegeldzahlungen der Familie gibt es nicht. Der 37jährige Medina ist Hauptaktionär der Tageszeitung „Hoy“ und des Unternehmens „Bolivianische Zemtentgesellschaft“. Sowohl angebliche Mitglieder der Guerilla-Armee Tupac Katari (EGTK) als auch der Bewegung Kommission Néstor Pérez Zamora (CNPZ) übernahmen die Verantwortung für die Entführung. Doch die derzeit in La Paz inhaftierte Führung beider Gruppen leugneten diese Version. Ihre jeweiligen Organisationen seien aufgelöst. Ein weiteres Gerücht bringt die peruanische Guerilla Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru (MRTA) mit der Entführung in Verbindung. Doria Medina gibt an, seine Entführer nie gesehen zu haben. Er sei in einer zwei Quadratmeter großen und akustisch isolierten Zelle gefangen gewesen.
EL SALVADOR
Sánchez alter und neuer Koordinator der FMLN
(Mexiko-Stadt, Dezember 1995, POONAL).- Salvador Sánchez heißt der alte und neue Generalkoordinator der Frente Farabundo Martí für die Nationale Befreiung (FMLN). Die Mitglieder bestätigten ihn auf ihrem dritten Landeskongreß. Sánchez erklärte die Krisen innerhalb der FMLN für beendet. Das nun in eine Partei umgewandelte ehemalige Guerillabündnis werde sich nun mit ganzer Kraft der Aufgabe widmen können, „für die Interessen der Salvadoreaner*innen zu kämpfen“.
HAITI
Preval mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt
(Mexiko-Stadt, 24. Dezember 1995, POONAL).- Die Präsidentenwahl auf Haiti hat der Kandidtat der regierenden Lavalas-Koalition, René Preval, erwartungsmäß gewonnen. Preval bekam offiziell 87,9 Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Wahlbeteiligung erreichte allerdings nur 28 Prozent. León Jeune, ein unabhängiger Kandidat, folgte abgeschlagen mit 2,5 Prozent der Stimmen auf dem zweiten Platz. Der Sozialist Víctor Benoit als Dritter erreichte 2,3 Prozent. Der 52jährige Preval ist von Beruf Agronom. Er gilt als politisch linksstehend und war unter dem noch amtierenden Präsidenten Jean Bertrand Aristide schon einmal Premierminister. Mit der Unterstützung von Aristide gab es keinen Zweifel an Prevals Wahl. Selbst der riesige Abstand zu den Gegenkandidaten darf unter den gegebenen Umständen nicht als unerwartet gelten. Wenn Preval am 7. Februar sein Amt antritt, wird es dennoch eine Besonderheit geben: In der Geschichte des Landes ist es die erste Regierungsübergabe zwischen zwei von der Bevölkerung gewählten Präsidenten.
KUBA
Keine Fünfjahrespläne mehr
(Mexiko-Stadt, Dezember 1995, POONAL).- Kuba schafft erstmals die früher in den sozialistischen Ländern übliche Fünfjahresplanung ab. Die Projektionen im Rahmen des neuen Haushaltsgesetzes und des Nationalen Wirtschaftsplans beziehen sich nur auf das Jahr 1996. Die Verabschiedung von Gesetz und Plan wird durch das Parlament geschehen. Es muß über die Vorschläge und Empfehlungen entscheiden, die elf Parlamentskommissionen abgeben.
Vizepräsident Lage sieht Aufschwung – aber er ist noch schwach
(Havanna, 20. Dezember 1995, prensa latina-POONAL).- „Der Anfang des Starts“, so bezeichnete Carlos Lage die kubanische Wirtschaftsentwicklung 1995. Mit einem Wachstum von 2,5 Prozent kann erstmals von einer Kehrtwende gesprochen werden. Der Vizepräsident des Landes wies aber auch darauf hin, daß die Produktionserhöhung nicht ausreichend ist. Die Werte bezögen sich auf das Vorjahr und das äußerst niedrige Niveau, auf das die Ökonomie in den Jahren der sogenannten Spezialperiode gefallen sei. Lage erwähnte zudem die schlechte Zuckerrohrernte, die geringste seit 1989 und einer der ertragärmsten in den gesamten Jahren der kubanischen Revolution. Auf der anderen Seite konnte er die Verbesserungen nennen: Die Nickelproduktion stieg um 65 Prozent, die Tabakerzeugung kletterte um die Hälfte, Düngemittel standen um 100 Prozent mehr zur Verfügung als noch ein Jahr zuvor. Die Zementindustrie wuchs um 31, der Tourismussektor um 20 Prozent.
Lage gab zu, die Geldkonzentration in den Händen von 14 Prozent der Bevölkerung habe Ungleichheit geschaffen. Dennoch seien die Grunddienstleistungen für die Bevölkerung wie Bildung, Gesundheit, Wasser- und Stromversorgung davon nicht betroffen. Dennoch sei das Wachstum nicht in der erwünschten Weise auf die Lebensqualität der Kubaner*innen durchgeschlagen. „Wir arbeiten dafür, daß es 1996 höher sein wird als dieses Jahr“, erklärte der Politiker. Er kündigte die Bewertung aller Unternehmen an, um sie im Sinne der Effizienz neu zu strukturieren. Dies jedoch ohne eine „Schockpolitik“. Die Umwandlung in Genossenschaften oder andere Eigentumsformen für kleine und mittlere Unternehmen würden untersucht. Es sei aber nicht sofort damit zu rechnen. Die Reformen dienten dazu, das einheimische sozialistische System an die aktuellen Bedingungen anzupassen ohne das Ziel zu haben, den Wandel zum Kapitalismus durchzuführen, „wie das heute in der Welt verstanden wird.“
LATEINAMERIKA
Kinder und Gewalt – Die Rechte der Kinder (Teil II)
(Lima, Dezember 1995, noticias aliadas-POONAL).- Obwohl die Nachrichten über die Ermordung von Straßenkindern, die häusliche Gewalt und den sexuellen Mißbrauch die Titelzeilen einnehmen, ist die vielleicht gravierendste Form der Gewalt an Kindern in Lateinamerika die Armut und die Unterernährung. Dadurch werden sie zu einem Leben am Rand der Gesellschaft verurteilt. Während die Wissenschaftler*innen die langfristigen Auswirkungen der Unterernährung in den ersten beiden Lebensjahren auf Lernvermögen und Intelligenz untersuchen, sehen diejenigen, die mit Kindern arbeiten, die Folgen direkt. „Die Unternährung hinterläßt ihre Spuren“, ist Myrna Mencomo, Leiterin der Ernährungsabteilung des Kinderkrankenhauses in Panama-Stadt überzeugt. „Das Fehlen gewisser lebenswichtiger Vitamine und Proteine provoziert einen dauernden Gehirnschaden. Er verhindert die Aufnahme von Information. Sie werden niemals gute Schüler*innen sein.“ Die langfristigen Folgen für die lateinamerikanische Gellschaft sind tiefgreifend.
„Der leichte geistige Rückstand verewigt die Armutsbedingungen und macht es unmöglich, daß sich die Lücke zwischen Reichen und Armen verkleinert“, meint die Psychaterin Martha Rondón in Peru. Die Kinder, die mit leeren Mägen in die Schule gehen, haben nach ihrer Erfahrung Konzentrations- und Lernschwierigkeiten. Die Wahrscheinlichkeit für einen Schulabgang oder das Scheitern in der Schule steigen. Rondóns Kollege Alberto Perales konstatiert für sein Land: „Wir müssen die Tatsache akzeptieren, daß Peru eine Gruppe von Kindern hervorbringt, die im Erwachsenenalter auf einem immer mehr von Konkurrenz geprägten Markt benachteiligt sind. Sie werden Teil einer Bevölkerung bilden, die angesichts einer Reihe von Mißtänden verletztlich ist.“ Rondón sieht sie als Teil „einer Armee von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten. Die verheerenden Auswirkungen sind in der ganzen Region sichtbar. Die panamerikanische Gesundheitsorganisation stellte fest, daß ein siebenjähriges armes venezolanisches Kind im Durchschnitt sieben Zentimeter kleiner ist als ein gleichaltriges reiches Kind. Weitere Ergebnisse der Studie: Jedes dritte venezolanische Kind ist mangelernährt, jedes siebte wiegt zu wenig. Nur ein Drittel der Kinder im Schulalter beendet die Grundschule. Die Schwierigkeiten sind für die lateinamerikanischen Kinder in den 90er Jahre größer geworden. Jedesmal mehr Familien leben in Armut. Die Kinder sehen sich immer stärker gezwungen, auf der Straße zu arbeiten, um zur Familienwirtschaft beizutragen. Die Scharen von Kindern in den großen Städten, die arbeiten oder betteln, sind nur die sichtbare Spitze des Eisberges. Er steht für die Tragödie, der sich die lateinamerikanische Bevölkerung im Kindesalter gegenübersieht. Geschädigt durch Unterernährung, Krankheiten und mangelnde Bildung sehen sich die Kinder in einem Teufelskreis von Armut, Kriminalität und Marginalisierung gefangen. Das baut eine unüberwindliche Mauer zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen auf.
Die Konvention über die Rechte der Kinder
Die Konvention über die Rechte der Kinder wurde 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. Als Kind wird jede Person unter 18 Jahren angesehen, es sei denn, sie hat aufgrund bestimmter Gesetze das Erwachsenenalter früher erreicht. Bis auf Haiti haben alle Länder Lateinamerikas die Konvention unterzeichnet. Die Mehrheit der Länder hat die 54 Artikel der Konvention benutzt, eigene Schutzgesetze für Kindheit und Jugendalter zu entwickeln. Einige der Rechte des Kindes sollen hier kurz erwähnt werden:
– Das unveräußerliche Recht auf Leben. – Das Recht auf freie Meinungsäußerung zu allen das Kind betreffenden Angelegenheiten, wobei seine Meinungen Berücksichtigung finden müssen. – Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit zu friedlichen Zwecken. – Das Recht auf die bestmögliche Gesundheit und medizinische Versorgung. – Das Recht auf Bildung in Grundschulen und weiterführenden Schulen. – Schutz vor Arbeit, die die Gesundheit oder die körperliche Entwicklung schädigt oder seine Erziehung behindern. – Das Recht auf Ruhe, Vergnügen, Spiel und dem Alter angemessene Erholungsaktivitäten. – Schutz vor sexueller Ausbeutung. – Schutz vor Folter, grausamer Behandlung oder Strafen, vor illegaler oder willkürlicher Freiheitsberaubung. – Schutz vor der Einziehung zum Militär im Alter von unter 15 Jahren.
GUATEMALA
Neue Landbesetzungen
(Guatemala 3. Januar 1996, cerigua-POONAL).- Ein Führer der BäuerInnenorganisation des Hochlandes (CCDA) hielt im Gespräch mit Cerigua Landbesetzungen auch in diesem Jahr für sehr wahrscheinlich, falls die Regierung sich weiterhin weigere, den Forderungen der Bäuer*innen nach Land entgegenzukommen. Außerdem sei aufgrund der extrem niedrigen Löhne mit größeren Konflikten auf dem Land zu rechnen. Leocadio Juracán von der CCDA verwies darauf, daß die offiziellen Löhne der Landarbeiter*innen augenblicklich 15.95 Quetzales (2.70 US$) pro Tag betragen. Eine Summe, die nach seinen Worten gerade einmal die Hälfte des Mindestbedarfs einer Familie (mit im Schnitt sechs Mitgliedern) decke. Juracán informierte bereits über eine der ersten Besetzungen 1996. In dem Ort San Lucas Tolimán in der Provinz Sololá ließen sich 240 landsuchende Bäuer*innen auf unbewohntem Terrain der Finca Santo Tomás Perdido nieder. Zur gleichen Zeit seien 40 bewaffnete in das nahe gelegene Dorf „San Francisco“ eingedrungen. Dort besetzten mehr als 200 Indígenas am 11. Dezember 1994 unbewirtschaftetes Land. Ziel der Polizeiaktion sei es, Druck auf die Besetzer*innen und das Nationale Institut der Agrartransformation (INTA) auszuüben. Die CCDA forderte die Beamten des INTA auf, mit den landlosen Bäuer*innen zu verhandeln, um eine baldige Lösung zu finden. Zudem verlangt die Organisation, die Mindestlöhne für Landarbeiter*innen zu überprüfen. Den Bewohner*innen ländlicher Gebiete müßten in Zukunft ein Leben in Würde führen können.
Steuererhöhung treibt Preise in die Höhe
(Guatemala, 3. Januar 1995, cerigua-POONAL).- Aufgrund der Anhebung der Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte ab dem 1. Januar haben sich die Kosten für den Grundnahrungsbedarf um 25 Prozent erhöht. Die Erhöhung der Mehrwertsteuer von sieben auf zehn Prozent wurde als Teil einer Steuerreform vom Kongreß bewilligt. Sie rief jedoch starke Proteste bei den Gewerkschaften, unter ihnen die Dachverbände Einheit für Gewerkschafts- und Volksaktionen (UASP) und Allgemeine ArbeiterInnenzentrale Guatemalas (CGTG), hervor. Nach einer Umfrage der Tageszeitung „Siglo Veintiuno“ betreffen die Preiserhöhungen hauptsächlich Lebensmittel und betragen sechs bis 25 Prozent. Felix Hernández, Generalsekretär des Nationalen Verbandes der staatlichen Angestellten (FENASEP) gab bekannt, die Gewerkschaften würden gemeinsam gegen die Preiserhöhungen der Grundnahrungsmittel kämpfen, um der illegalen Bereicherung der Händler entgegenzuwirken. Auf der andere Seite kündigte der Regierungssprecher Héctor Luna „strikte“ Preiskontrollen“ der Regierung an. Er blieb jedoch die Antwort schuldig, wie dies konkret aussehen solle.
CHILE
Erstes Treffen der Sexarbeiterinnen
(Santiago de Chile, Januar 1996, fempress-POONAL).- In der chilenischen Hauptstadt Santiago de Chile hat die Frauenrechtsorganisation „Angela Lira“ mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums das „Erste Nationale Treffen der chilenischen Sexarbeiterinnen“ organisiert. Mehr als 50 Repräsentantinnen aller Regionen des Landes sowie Abgeordnete aus Mexiko und Venzuela diskutierten die Probleme ihrer Arbeit. Sie sprachen ebenso über die Gesellschaft, die sich weigert, sie als Menschen anzuerkennen. Die Prostituierten nannten Übergriffe durch die Polizei, Fälle von sexuellem Mißbrauch und Erpressung. Sie machten deutlich, daß sie nicht mehr als „ein Infektionsherd, ein kranker Körper und eine Risikogruppe“ angesehen werden wollen. Ein konkreter Vorschlag war die Gründung einer legalen Organisation, um ihre Interessen vor den öffentlichen Stellen zu vertreten. Natalia González, Direktorin von „Angela Lira“ sagte: „Wir wollen eine zentrale Organisation.“ Der Verband „Angela Lira“ hat heute landesweit etwa 400 Mitglieder und bietet ärztliche, psychologische und rechtliche Hilfe sowie Workshops zum Thema Selbstbild und Selbstvertrauen an. In Chile ist die Prostitution vom Gesetz verboten. Das zwingt die Sexarbeiterinnen in die Illegalität und und schließt sie von öffentlichen Versorgungsleistungen aus.
MITTELAMERIKA
Frauen im bewaffneten Kampf
– Auswirkungen des Krieges auf Sexualität und Mutterschaft
(San Salvador, Januar 1996, fempress-POONAL).- Die Realität Mittelamerikas wird seit Jahrzehnten von bewaffneten Konflikten und Bürgerkriegen bestimmt. Heute diskutiert die Linke, auch im Zusammenhang mit dem Aufstand der EZLN in Mexiko, viel über das Für und Wider des bewaffneten Kampfes. Zum ersten Mal taucht in diesen Diskussionen nun auch ein feministischer Standpunkt auf, mittels dessen die Motivation der Guerilleras, der Preis ihrer Beteiligung am bewaffneten Kampf sowie die Folgen für sie selbst und die sozialen Bewegungen ihres Landes analysiert werden. In diesem Rahmen führte die feministische Organisation „Las Dignas“ (die Würdigen) in El Salvador eine Forschung über die Auswirkungen des Krieges auf die Sexualität (Konzept und Praxis) und Mutterschaft der Frauen der Nationalen Befreiungsfront Farabundi Marti (FMLN) durch. Dieselben Fragen wurden von 40 Frauen aus Mittelamerika und Chiapas während eines Treffens im Dezember in San Salvador erörtert.
Sowohl in der Untersuchung als auch während des Treffens stimmten die Frauen darin überein, daß die Auseinandersetzung mit dem Thema alte Wunden aufreiße und Werte infrage stelle, die ihnen nach wie vor viel bedeuten. Dazu käme das Risiko, von den Genoss*innen als „konterrevolutionär“ bezichtigt zu werden. Nichtsdestotrotz sei es an der Zeit, die Mythen, Illusionen und das Leben der Frauen zu untersuchen, die an bewaffneten Konflikten teilgenommen haben und/oder es noch heute tun. Ein wichtiger Punkt dieser Diskussion ist der Mythos des „hombre nuevo“ („Neuer Mann“). Das Konzept des „hombre nuevo“ ist – wohl auch im Sinne Che Guevaras – korrekter als „neuer Mensch“ übersetzt worden. („Hombre“ bedeutet im Spanischen sowohl „Mann“ als auch „Mensch“. Anm. der Red.). Seine legendenumrankte Verkörperung erfuhr das Konzept durch Che Guevara selbst, der tausende von Aktivist*innen zu Entsagung und grenzenlosem Opfer für die Revolution motivierte. Dieser „Neue Mann“ sei jedoch zu abstrakt, um noch erfolgreich nachgeahmt zu werden und habe außerdem bedeutende Fehler aufzuweisen. Die Teilnehmerinnen stimmten darin überein, daß „Che“ eine erstaunlioche Ähnlichkeit mit den asexuellen Engeln der katholischen Kirche gehabt und stets einen großen Abstand zu weltlichen Dingen wie Affekt und Subjektivität gehalten habe.
Sexualität und Mutterschaft sind jedoch zentrale Aspekte der weiblichen Identität. Die Tatsache, daß diese negiert werden mußten, wirkte sich negativ auf die revolutionären Aktivitäten aus. Viele Zeugnisse von Guerrilleras bestätigen die doppeldeutigen sexuellen Botschaften, die sie von ihren Genossen empfingen: Auf der einen Seite wurden sie kritisiert, wenn sie sich nicht „solidarisch“ zeigten, d.h. keine sexuellen Beziehungen zu Männern haben wollten, die täglich ihr Leben aufs Spiel setzten. Falls sie sich jedoch dazu bereit erklärten, litt ihr guter Ruf und sie konnten nicht in der revolutionären Hierarchie aufsteigen. So mußten die Frauen eigentlich immer einen politischen Preis für ihre Sexualität zahlen. Diese Erfahrungen bestimmen auch heute noch das Leben der Frauen: viele wissen nach wie vor nicht, ob sie richtig oder falsch gehandelt haben. Viele verdrängen ihre Erfahrungen und versuchen (vergeblich), die Vergangenheit zu vergessen. Ihre aktuellen Ängste drehen sich um die Gefahr, die die Sexualität scheinbar beinhaltet: unfähig, das Schöne ihrer sexuellen Erfahrungen anzunehmen, können sie ihre Sexualität weder akzeptieren, noch erfüllt leben. So pendelt ihre Vorstellung zwischen den asexuellen Engeln der Vergangenheit und den brutalen Vergewaltigern der Gegenwart.
Die Mutterschaft ist ein anderer Bereich, mit dem sich die Ex- Guerrilleras schwertun. Viele von ihnen verschoben die Mutterschaft auf später, um sich voll und ganz der revolutionären Sache zu widmen – um dann „später“ festzustellen, daß ihre biologische Uhr abgelaufen war. Andere, die schon Kinder hatten oder sie während des Krieges bekamen, gaben sie zu ihren Verwandten oder Freunden in Pflege. Heute stehen sie Kindern gegenüber, die sie nicht kennen, Frauen, die die (soziale) Mutterschaft für sich beanspruchen und einem großen Desinteresse seitens ehemaliger Genoss*innen begegnen. Sie stehen allein mit der Schuld, der Desillusion und ihren Kindern da. Die Frauen sind auch heute noch davon überzeugt, daß die Armut und soziale Ungerrechtigkeit ihrer Gesellschaften ein ausreichender Grund für ihre Beteiligung am Kampf waren. Aber in Bezug auf die Erfüllung ihrer persönlichen Wünsche, auf ihre persönlichen Erfolge stellen sie sich heute die Frage: War es das wirklich wert? Die Vergangenheit läßt sich nicht mehr ändern. Aber es ist wichtig, darüber herrschte Konsens im Plenum, das Thema weiter zu analysieren, um nicht die selben Fehler zu wiederholen.
Wenig Übereinstimmung beim Gipfeltreffen
(Mexiko-Stadt, Dezember 1995, POONAL).- Der 17. Regionalgipfel der mittelamerikanischen Regierungsoberhäupter Mitte Dezember in Honduras wird nicht als bahnbrechend in die Geschichte eingehen. Nach dreitägigen Verhandlungen unterzeichneten die Teilnehmer*innen einen Vertrag zur demokratischen Sicherheit, der nur einen Bruchteil der ursprünglich vorgesehenen Vereinbarungen darstellt. Der Vertrag bezieht sich auf die kollektive und solidarische Verteidigung für den Fall einer bewaffneten Agression durch ein nicht-mittelamerikanisches Land – solange dies mit den Verfassungen der Länder der Region übereinstimmt. Ansonsten gab es Absichtserklärungen, gegen Verbrechen und Autoraub vorzugehen und ein gemeinsames Stromnetz zu errichten. Die Schlußzeremonie in dem Ort San Pedro Sula verzögerte sich drei Stunden, weil Panama und Costa Rica ihre Vorbehalte gegen den Vertrag zur Demokratischen Sicherheit nicht aufgaben. Es sind die beiden einzigen mittelamerikanischen Länder ohne Armee. Aufgrund des Widerstandes von Panama und Costa Rica wurde zudem das Thema Militärbasen aus dem Vertragswerk gestrichen. Ein geplanter Pakt zur Reduzierung der Streitkräfte scheiterte am hartnäckigen Widerstand des salvadoreanischen Präsidenten. Der Premierminister von Belize sowie die Vizepräsidenten Panamas und Nicaraguas verließen Honduras vor Ende des Treffens. Der mittelamerikanische Gipfel wurde zudem durch den Tod eines Campesinos überschattet. Bei der Eröffung demonstrierte eine Gruppe von Bäuer*innen vor dem Tagungsort. Die Polizei ging gegen die Demonstrant*innen vor und machte von ihren Schußwaffen Gebrauch. Acht Campesinos erlitten zum Teil schwere Verletzungen, an denen einer zwei Tage später starb.
Der Hilfsbischof von San Salvador, Rosa Chávez, kritisierte die mittelamerikanischen Regierungen scharf. Es fehle ihnen an „Mut“, Verpflichtungen zur Entmilitarisierung der Region einzugehen. Wörtlich fügte er hinzu: „Der Gipfel griff bei Themen von vitalem Interesse zu kurz, um Mittelamerika demokratische Sicherheit genießen zu lassen.“ Der Bischof bezeichnet 1995 als ein Jahr des Pessimismus, der Enttäuschungen und für die Salvadoreaner*innen fast fatal.
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