Poonal Nr. 219

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 219 vom 16. November 1995

Inhalt


KUBA

HAITI

LATEINAMERIKA

MEXIKO

NICARAGUA

GUATEMALA

BRASILIEN

CHILE


KUBA

Besuch von US-Kriegsveteranen

(Havanna, 8. November 1995, prensa latina-POONAL).- Am 8. November ist eine 20köpfige Gruppe von US-Kriegsveteranen auf Kuba eingetroffen. Sie verletzten dabei geltende Bestimmungen der Regierung in Washington, da sie ohne offizielle Erlaubnis der US- Administration auf die Karibikinsel reisten. Die Veteranen aus den Kriegen in Vietnam, Korea und dem 2. Weltkrieg umgingen die Regelung, indem sie von Mexiko aus Kuba anflogen. Innerhalb der Kampagne „Reisefreitheit“, zu der sich etwa 50 Organsiationen aus den USA zusammengeschlossen haben, ist dies die siebte derartige Aktion seit 1993. Die Teilnehmer*innen erwarten bei der Rückkehr theoretisch bis zu zehn Jahren Haft oder Geldstrafen von maximal 250.000 Dollar.

Im Rahmen des einwöchigen Aufenthaltes, den das kubanische Institut für Völkerfreundschaft (ICAP) organisiert, stehen Gespräche mit den Behörden, Spendenübergaben für Bildungseinrichtungen und Krankenhäuser sowie ein Besuch von Playa Giron (Schweinebucht) auf dem Programm. Für den 11. November, dem Tag der Kriegsveteranen in den USA, ist eine Mahnwache vor der Militärbase Guantanamo vorgesehen, die die USA auf Kuba unterhalten. „Das Ziel ist es, die Gesetze gegen die Reisen nach Kuba als verfassungswidrig herauszustellen“, begründete Nancy Jakubiak ihre Teilnahme. Sie ist die einzige Veteranin der Gruppe und die erste nordamerikanische Frau, die in einer Kampfeinheit diente. Ein anderer Kriegsveteran in der Gruppe, Ed Miles, bezeichnete das Embargo gegen Kuba als „grausam und unmoralisch“.

Einreiseerleichterungen für Exilierte

(Mexiko-Stadt, 8. November 1995, POONAL).- Kubanische Exilanten – mit Ausnahme von „Feinden und Verbrechern“ – sollen künftig einfacher in ihre Heimat zurückkehren dürfen. Das ist eines der Ergebnisse des 2. Treffens mit der Auslandsgemeinde, das vom 3. bis 6. November in Havanna stattfand. Das bisherige Visum, dessen Bearbeitung sich oft bis zu zwei Monaten verzögerte, ist nicht mehr nötig. Stattdessen soll jetzt eine zweijährige Reiseerlaubnis erteilt werden, die beliebig viele Reisen während dieses Zeitraumes nach Kuba ermöglicht und erneuert werden kann. Über Details wie die maximale Dauer jedes einzelnen Aufenthaltes ist jedoch noch nicht entschieden worden. Die Erleichterung der Einreise war eine der Forderungen, die die 357 Teilnehmer*innen des Treffens – davon mehr als 220 aus den USA – von der kubanischen Regierung gefordert hatten. Beobachter*innen der zweiten „Konferenz über Nation und Emigration“ schätzten die Atmosphäre als wesentlich entspannter als beim ersten Treffen im April 1994 ein. Sogar der ehemalige Sprecher des Diktators Fugencio Batista kündigte an, seine endgültige Rückkehr nach Kuba regeln zu wollen; er sei bereit, dies von Präsident Fidel Castro persönlich zu erbitten. Gutiérrez Menoyo, Konferenzteilnehmer und 22 Jahre unter der kubanischen Revolution in Haft, sprach von einem „Willen zur Veränderung“ der Regierung. Nach dem offiziellen Abschluß des zweiten Treffens mit der kubanischen Auslandsgemeinde empfing Castro die Teilnehmer*innen persönlich. Einzelheiten über den dabei stattfindenden Meinungsaustausch wurden jedoch nicht berichtet.

HAITI

Subventionen für Importreis

(Port-au-Prince, Oktober 1995, hib-POONAL).- Ende September kündigte die haitianische Regierung die Ankunft von zwei Bootsladungen „Jumbo Reis“ aus den USA an. Der Preis für die fünf- Pfund-Packungen war mit umgerechnet 1,3 Dollar niedriger als der übliche Marktpreis. Die Subventionsaktion der Regierung fiel mit den Veranstaltungen zum vierten Jahrestag des Staatsstreiches und dem Beginn des neuen Schuljahres zusammen. Eltern mit schulpflichtigen Kindern stehen zu dieser Zeit unter besonders starkem finanziellen Druck. Die Reisaktion scheint ein Versuch der Regierung und speziell von Präsident Jean Bertrand Aristide zu sein, den Protesten der Bevölkerung gegen die anhaltend hohen Preise für Güter des Grundbedarfs, Transport, Gesundheitsversorgung und Schulgebühren zu sein. Seit dem 29. September wiederholten die Radiostationen Werbespots an die Bevölkerung, in denen über die gesenkten Reispreise berichtet wurde. In der ultra-konservativen Zeitung „Le Nouvelliste“ verkündete eine ganzseitige Anzeige stolz: „Der zwischen dem Privatsektor und dem Präsident etablierte Dialog hat eine beträchtliche Reduzierung des Preises für einen Sack Reis auf dem Markt um fast 15 Prozent erlaubt.“ Doch während die Aktion der Regierung einen Popularitätsgewinn bringen mag und die armen Stadtbewohner*innen einige Wochen lang ein paar Cents sparen können, gibt es auch viele Verlierer*innen.

In der Hauptstadt wird der Jumbo Reis unter dem Preis anderer US- Sorten verkauft. Verheerender ist jedoch die Preisunterbietung des auf Haiti angebauten Reis. Dieser wird pro Meßkanne für mindestens 25 Gourdes verkauft, die Jumbo-Version aber für 21 Gourdes. Das Ergebnis ist noch mehr Gegenwind für die örtlichen Reisproduzent*innen. Sie verlieren und es wird die Basis der einheimischen Produktion zerstört. Die Wirtschaft des Landes wird noch abhängiger. Der Jumbo Reis kann in der Hauptstadt auch für 20 Dollar pro Sack gekauft werden, etwas billiger als vorher. Die Bezahlung ist nur in US-Dollar auf ein eigens dafür eingerichtetes privates Bankkonto möglich. Aber nicht jeder kann den Reis so kaufen. Der Handel wurde mit Großimporteuren abgeschlossen, die die Verteilung regeln. Dabei hatte anscheinend Robert Wawa die Hand an führender Stelle im Spiel. Er unterstützte 1988 die illegale Regierung von Leslie Manigat, die drei Monate an der Macht blieb. Um von den Importeuren den Reis kaufen zu können, ist eine Mindestabnahme von 300 Säcken bestimmt. Das heißt: die Profiteure sind die Großimporteure selber sowie eine Reihe mittelgroßer Zwischenhändler und Verteiler. Die städtischen Verbraucher*innen sind die kurzfristigen „Gewinner“. Dabei ist allerdings anzumerken, daß die Weiterverkäufer in Les Cayes und anderen Städten den Regierungspreis von 21 Gourdes pro Meßkanne nicht respektierten.

Die Regierung hat bei landesweiten Ansprachen und bei Treffen mit den Bäuer*innen wiederholt versprochen, die ländliche und nationale Produktion zu schützen. Doch statt beispielsweise in die haitianische Reisproduktion zu investieren, indem sie den einheimischen Reis kauft und ihn für die Verbraucher*innen subventioniert oder indem sie den Reisfamer*innen mit massiven Kreditprogrammen, Infrastruktur oder technischer Beratung unter die Arme greift, kauft die Regierung Reis von US-Produzent*innen – die selber von den US-Steuerzahler*innen subventioniert werden – und unterstützt dann einen Super-Niedrigpreis auf Haiti. Das widerspricht ihren eigenen Ankündigungen. Die Regierung sagt andererseits immer, ihre Politik sei durch die „Regeln“ des „freien Handels“ bestimmt. Sie könne daher keine Preise festsetzen. Genau dies hat sie jetzt getan. Warum kann sie das gleiche nicht für andere Produkte tun? Weiter hat die Regierung ständig die Notwendigkeit von „Wettbewerb“ betont. Nun reicht sie erneut einen großen Konsortium von Geschäftsleuten – von denen viele große Profite mit Schmuggel gemacht haben – die Hand, indem diese auf einem fast monopolartigen Markt verdienen können, wo keine wirkliche Konkurrenz besteht.

Währenddessen liegen die „Gemeindegeschäfte“, die die Regierung im vergangenen Frühjahr ankündigte danieder. Die Geschäfte sollten Waren zu niedrigeren Preisen anbieten und von Volksorganisationen geführt werden. Viele von den Läden sind geschlossen, andere haben ein ungenügendes Angebot. Obwohl darüber keine Äußerungen in jüngster Zeit existieren, scheint die Regierung die Gemeindegeschäfte nicht ernstzunehmen. Jumbo Reis wird dort nicht verkauft. Wenn die Läden Produkte brauchen, gehen sie auf den Grossmarkt in der Hauptstadt und kaufen von den Zwischenhändlern. Eine im August gemachte Untersuchung der Organisation KODENA -eine der Gruppe, die die Läden managt – ergab kaum niedrigere Preise in den Gemeindegeschäften als auf dem Markt. KODENA verlangte vom Präsident und der Regierung, das Projekt ernsthafter anzugehen: „Wenn der Präsident den Willen hat, die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu erfüllen… wäre es kein großes Opfer, die Gemeindegeschäfte besser zu organisieren.“

Die Reis-Initiative hat unter denen, die über Entwicklung oder mit den Bäuer*innen zusammen arbeiten, viele Fragen geweckt. Agrarwissenschaftler*innen der haitianischen Organisation ANDAH greifen diese Art Regierungspolitik an. Die Bewegung gegen den Internationalen Währungsfonds beklagt eine Politik, den „Regierungsbauch“ für „ausländische Produkte, besonders US- Produkte zu öffnen“. Sie bemerkt: „Bis heute können die Bäuer*innen ihre Produktionskosten für Reis nicht decken, weil die zwiespältige Regierungspolitik darin bestehts, von den großen US- Farmer*innen anstatt von ihnen zu kaufen.“ KODENA schreibt in der August-Studie, die Gemeindegeschäfte könnten nur eine kurzfristige Lösung sein. „Wir denken, der Staat sollte seine Verantwortung akzeptieren und für die Bäuer*innen landwirtschaftliche Ausbildung, Genossenschaften, Kredite etc. organisieren, um die Agrarentwicklung des Landes zu fördern. Das ist der einzige Weg, der Situation ökonomischer Dominierung zu entkommen.“

Claudette Werleigh ist neue Premierministerin

(Mexiko-Stadt, 8. November 1995, POONAL).- Am 7. November trat die neue haitianische Premierministerin Claudette Werleigh ihr Amt an. Bis zum Vortag war sie noch Außenministerin für ihr Land gewesen. Sie ist die erste Frau an der Spitze einer Regierung auf Haiti und gilt als enge Vertraute von Präsident Jean-Bertrand Aristide. Während Aristides Exilzeit in den USA, war sie Mitglied von dessen Regierungsbüro in Washington. Im August 1993 trat sie den Außenministerposten an. Werleighs Vorgänger Smarck Michel war vor wenigen Wochen aufgrund von Differenzen mit Aristide über den Wirtschaftskurs des Landes zurückgetreten. Von der neuen Premierministerin, eine ausgebildete Soziologin, ist zu erwarten, daß sie den Forderungen der internationalen Gemeinschaft nach einem neoliberalen Wirtschaftskurs Haitis mehr Widerstand entgegensetzt als Michel. Beim Amtsantritt warnte sie jedoch bereits, sie werde „keine Wunder“ vollbringen können. Werleigh betonte die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit zwischen Regierung und Parlament. Ihre offizielle Amtseinführung wurde vom Mord an dem Abgeordneten Jean Hubert Feuille von der Lavalas Plattform überschattet. Mehrere Unbekannte erschossen Feuille beim Verlassen einer Bank, raubten ihn aus und flüchteten mit dem Geld. Ein Begleiter wurde schwer verletzt. Der ermordete Politiker war ein Vetter von Präsident Aristide.

LATEINAMERIKA

Pinochet lehnt Menschenrechte ab – zu kommunistisch

(Mexiko-Stadt, 8. November 1995, POONAL).- Auf der XXI. Konferenz der amerikanischen ( d.h. der US-amerikanischen und der lateinamerikanischen) Streitkräfte in Bariloche, Argentinien, sicherten die Militärs zu, die demokratischen Regierungen der Region zu unterstützen. Die größte Aufmerksamkeit erregte jedoch Chiles Streitkräftechef und ehemaliger Diktator Augusto Pinochet. Durch den Beifall chilenischer und deutscher Anhänger in Bariloche ermutigt, machte der General einen Ausflug ins Stadtzentrum. Dort mußte er sich unter den Buhrufen der Tourist*innen und Einwohner*innen des Erholungsortes jedoch schnell zurückziehen. Die örtliche Menschenrechtsvereinigung erklärte Pinochet zur „persona non grata“. Auf einer Pressekonferenz hatte der Ex-Diktatur kurz zuvor versichert, niemals seine Verurteilung durch die Gerichte seines Landes wegen der Menschenrechtsverletzungen unter seinem Regime zu akzeptieren. „Die Menschenrechte sind ein Banner des Kommunismus“, erklärte Pinochet. Nach dieser Aussage unterstrich er, als Streitkräftechef seines Landes „mache ich das, was mir der Präsident sagt“.

Menschenrechte der Indígenas – Fallbeispiele (Teil II)

(Lima, Oktober 1995, noticias aliadas-POONAL).- Der zweite Teil der Sondernummer von Noticias Aliadas über die Menschenrechte der Indígenas greift streiflichtartig weniger bekannte Fälle in den Ländern des Kontinents auf. Im dritten Teil werden weitere Beispiele aus einigen Ländern etwas ausführlicher dargestellt werden.

Mexiko Die schlimmste Dürre dieses Jahrhunderts in dem nördlichen Bundesstaat Chihuahua bedeutet für die Bevölkerung der Tarahumaras, die auf 80.000 Personen geschätzt wird, eine Katastrophe. In den vergangenen zwei Jahren sind etwa 1.000 Tarahumaras – überwiegend Kinder – an Hunger und Durst gestorben. 90 Prozent der Bevölkerung leidet an Unterernährung. Die Indígenas flüchteten vor drei Jahrhunderten in die hoch gelegenen und erodierten Zonen der Sierra Tarahumara, nachdem sie den europäischen Invasoren unterlegen waren.

Honduras Die Miskitos, Tawahka, Sumus und Pech leben in der honduranischen Mosquitia-Region, einem weitreichenden Gebiet tropischer Wälder, das sich von den niedrig gelegenen nordöstlichen Zonen des Landes bis zur Grenze mit Nicaragua erstreckt. Sie haben ihre Kräfte vereint, um die Umweltschäden sowie die Ausbeutung der Naturreichtümer in ihrem angestammten Gebiet zu kontrollieren. Mit Hilfe der Kommission für die Entwicklung der Mosquitia wird eine Untersuchung über Landbesitz mit der Ausarbeitung von Katastern und der Legalisierung der Ländereien der Region durchgeführt. Ziel ist es dabei, die Kolonisierung durch die Mestizen und die Zerstörung der Wälder auf den Böden, die den Indígenas gehören, zu stoppen.

Panama Die Ethnie der Ngobe-Bugle verhandelt mit der Regierung die Ausbeutung der Minenvorkommen auf ihrem Gebiet. Anfang des Jahres wurden die Proteste verschiedener Indígena-Gemeinden durch die Polizei aus der Provinz Veraguas brutal unterdrückt. Die Indígenas wandten sich gegen die Grubenabbau von Mineralien aus dem Cerro Pelado (übersetzt: kahler Hügel). Diese bergige Gegend gehört zu dem Gebiet, das die Ngobe-Bugle traditionell bewohnen. Die 180.000 Angehörigen dieser Ethnie verlangen die Autonomie über ein 11.000 Quadratkilometer großes Gebiet, das Teile der westlichen Provinzen Chiriquí, Veraguas und Bocas del Toro umfaßt. Genau dort befinden sich die wichtigsten Minenvorkommen Panamas. „Früher waren das Singen der Vögel und die Stimmen der spielenden Kinder die einzigen Geräusche, die wir auf dem Cerro Pelado hörten. Jetzt hören wir den Lärm der schweren Maschinen und der Helikopter“, sagt die Indígena Virginia Concepción. „Die Anwesenheit dieser Fremden auf unseren Böden tritt unsere Rechte mit den Füßen und beleidigt uns.“

Chile Die chilenische Regierung unternahm eine erste gerichtliche Aktion, um eine Mapuche-Familie zu schützen, die in einem Stadtviertel der Hauptstadt Santiago Opfer ständiger rassistischer Attacken ist. Die Maßnahme basiert auf dem chilenischen Indígena- Gesetz. Den Schutzantrag stellte die Nationale Vereinigung für Indígena-Entwicklung (CONADI) für José Ayancan, seine Frau Adriana und seine beiden kleinen Töchter, die seit zwei Jahren wegen ihrer Eigenschaft als „Indios“ körperlich und verbal angegriffen werden. Diese Attacken und andere Beweise rassistischer Diskriminierung sind keine Ausnahmen in Chile. Es ist jedoch das erste Mal, daß ein Fall auf der Grundlage des seit zwei Jahre gültigen Gesetzes vor die Gerichte gebracht wird.

Kolumbien Die Wayu-Indígenas, die die nördliche Halbinsel Guajira besiedeln bekamen gerade gerichtlich das Recht auf ein würdiges Leben zugesichert, das ihnen im Zuge der „Modernität“ verweigert wurde. Das kolumbianische Verfassungsgericht verurteilte die Regierung dazu, „der Wayu-Gemeinde ihre Rechte auf Arbeit, Gesundheit, Bildung, Trinkwasserversorgung und ihre soziale und kulturelle Entwicklung zu garantieren“.

Venezuela In Caracas erschien das erste in der Sprache der Bari geschriebene Buch. „Die Alten erzählen“, ist der Titel. Die Herausgeberin, eine junge Dozentin, heißt Nubia Korombara oder Biiktu Shaa in der Bari-Sprache. Die Ethnie bewohnt die Sierra von Perija, an der Grenze zu Kolumbien. Sie zählt heute noch etwa 1.500 Mitglieder. In der Vergangenheit waren die Bari nahezu unbesiegbare Krieger. Im 20. Jahrhundert verloren sie jedoch 90 Prozent ihres Territoriums angesichts des Vormarsches der Viehzüchter und Ölgesellschaften.

Surinam Die Amazonas-Indígenas und die Schwarzen-Gemeinden der Cimarronas verlangen von der Regierung, keine weiteren Konzessionen für den Holzeinschlag und die Minenschürfung zu erteilen, bis ihr Land respektiert wird. Die vier eingeborenen Ethnien und die Schwarzen- Gemeinden haben sich zusammengetan, um die Kontrolle über ihr Land zu erlangen. Im Schlußkommuniqué ihres Treffens heißt es: „Wir, die Indígenas und Nachfahren der Cimarrones, die seit Jahrhunderten in Surinam leben, erheben jetzt die Stimme, weil wir fühlen, daß der Moment gekommen ist, unser Recht auf Selbstbestimmung auszuüben. Die Regierung Surinams begann Anfang der 90er Jahre, ausländischen Unternehmen Konzessionen für die Ausbeutung der reichen Minenvorkommen zu erteilen.

Brasilien In diesem Jahr haben sich 36 Guarani-Kaiowa im Bundesstaat Südlicher Mato Grosso umgebracht. Die 25.000 Mitglieder dieses Stammes leben in 22 Reservaten, wo sie unter zahlreichen Krankheiten, Hunger und verschiedenen sozialen Problemen – darunter der Alkoholismus – leiden. Antonio Brand, Mitglied des Indigenen Missionsrates (CIMI), weiß keinen sicheren Grund für die Suizide der Indígenas zu nennen, die unter den Guaranis im Mato Grosso 161 Opfer seit 1986 gefordert haben. Doch Brand gibt einen Hinweis: „Ohne physischen Raum, dazu verurteilt, ihr Dorf zu verlassen, um auf Plantagen oder den Alkoholfabriken der Region zu arbeiten, verlieren die Guaranis ihre Identität und laufen Gefahr, in weniger als 20 Jahren zu verschwinden.“

MEXIKO

Im Landkreis Nicolas Ruiz keine Stimme für die PRI

(San Cristóbal de las Casas, 6. November 1995, POONAL).- Chiapas hat seinen ersten „rebellischen“ und „zapatistischen“ Landkreisbürgermeister, wenn man der einheimischen Presse glauben will. In Nicolás Ruiz, einem der kleinsten der 111 Landkreise (Municipios) in Chiapas südlich von San Cristóbal gelegen, hatte keine Partei rechtzeitig zu den Wahlen am 15. Oktober einen Kandidaten aufgestellt. Es war damit auch der einzige Municipio im Bundesstaat, in der die regierende Partei der Institutionellen Revolution (PRI) niemand für das Bürgermeisteramt präsentieren konnte. Die Bevölkerung hatte die Beteiligung an den Wahlen abgelehnt. Die Nachwahl war daher nur eine Geste, dem Gesetz genüge zu tun. Gemäß der Tradition hatte sich die Bevölkerung auf einer Vollversammlung bereits vorher mehrheitlich auf ihren neuen Bürgermeister Jesús Ramírez López geeinigt. Er trat am 5. November auf der Liste der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) an. Die auf der Versammlung getroffene Entscheidung war der Tradition nach für alle Wähler*innen bindend. Insofern stellte sogar die einzige Gegenstimme, die López erhielt, eine Überraschung da.

Die Wahlbeteiligung in dem Landkreis, in dem nur knapp 3.000 Menschen wohnen, war mit 56 Prozent nicht hoch, lag jedoch deutlich über dem Durchschnitt von 44 Prozent bei den regulären Wahlen am 15. Oktober. Für die Bevölkerung scheint die Eigenschaft „rebellisch und zapatistisch“, zwar wichtig zu sein, kommt aber in der Bedeutung offensichtlich an zweiter Stelle. Den Zeitungen nach erwähnen die Bewohner*innen vorrangig die Tatsache, in einem Landkreis „frei von PRIistas“ zu leben. Am Beispiel Nicolás Ruiz wird der radikale Wandel zumindest in Teilen des Bundesstaates deutlich: Noch bei den Bürgermeisterwahlen 1991 erhielt die PRI die Gesamtheit aller abgegebenen Stimmen. Bei den Gouverneurswahlen im August 1994 dagegen stimmte die Bevölkerung bereits geschlossen für den damaligen Kandidaten und heutigen „Gouverneur in Rebellion“ Amado Avendaño.

Endgültiger Freispruch für Gloria Benavides

(Mexiko-Stadt, 7. November 1995, POONAL).- Die Anklage gegen María Gloria Benavides Guevara, die von der Bundesstaatsanwaltschaft als Subcomandante Elisa der Zapatischen Armee für die Nationale Befreiung (EZLN) angesehen wird, ist vollständig fallengelassen worden. Der zuständige Richter Ortiz Cruz sprach sie von den Vorwürfen „Aufruhr, Rebellion und illegalem Waffenbesitz“ frei. In seiner Begründung spricht der Richter unter anderem von einer Verfassungsverletzung bei der Hausdurchsuchung, die am 8. Februar dieses Jahres zu ihrer Verhaftung führte. Danach mußte sie 156 Tage zusammen mit ihrem damals gerade 18monatigen Sohn in einer kleinen Haftzelle verbringen. Im Juni wurde sie unter Auflagen freigelassen und hatte sich einmal wöchentlich bei Gericht melden müssen. Bei der jüngsten Präsentation wurde ihr der Beschluß des Richters mitgeteilt. Benavides zeigte sich von der Entscheidung überrascht. Sie äußerte die Vermutung, daß „die Regierung schon mit diesem ganzen gerichtlichen Prozeß aufhören will, der haltlos und absurd ist. Für mich ist es eine Hoffnung, daß die Prozesse gegen die 19 verhafteten, angeblichen Zapatisten, die sich in einer ähnlichen Situation wie ich befinden, eine Lösung finden.“ Der Fall von Benavides weckte in der Tat Erwartungen auf weitere Freilassungen. Derselbe Richter Ortiz Cruz hat auch die Prozesse gegen sieben am 8. Februar in Veracruz verhaftete angebliche Zapatisten unter seiner Verantwortung. Diese sitzen derzeit noch in einem Gefängnis der Hauptstadt.

NICARAGUA

Regierung in Frauenhänden

– von Lidia Hunter

(Managua, 6. November 1995, sem-POONAL).- Mit der überraschenden Wahl von Julia Mena zur Vizepräsidentin der Republik im vergangenen Monat erweiterte sich der Spielraum für die nicarguensischen Frauen. Die Aussichten auf wichtige Posten bei den allgemeinen Wahlen in 1996 sind gestiegen. Nicaragua ist das einzige Land in Lateinamerika, in dem nun zwei Frauen an der Spitze der Regierung stehen. Die Präsidentin Violeta de Chamorro gewann die Wahlen von 1990. Die 45jährige Dozentin und Parlamentsabgeordnete der Unabhängigen Liberalen Partei (PLI) setzte sich gegen drei Mitbewerber durch. Sie wird ihr neues Amt voraussichtlich bis zum Regierungswechsel im Januar 1997 innehaben. Mena ersetzt ihren Parteigenossen Virgilio Godoy. Dieser trat am 19. Oktober zurück, um als Präsidentschaftskandidat der PLI antreten zu können. Das unerwartete Abstimmungsergebnis zugunsten der Politikerin ist mehreren Faktoren zu verdanken. Sie wurde erst wenige Stunden vor der Wahl als Kandidatin aufgestellt. Die wichtigsten Parlamentskräfte einigten sich nach intensiven Gesprächen anscheinend fast in letzter Minute darauf, den konservativen Kandidaten Fernando Zelayas Rojas nicht ins Vizepräsidentenamt zu wählen. Rojas galt als der Favorit von Präsidentin Chamorro. Zudem bestand die PLI offensichtlich hartnäckig darauf, das Amt in ihren Reihen zu behalten. „Die Vizepräsidentschaft gehörte uns und wir wollten sie bis zum Ende der Regierungszeit behalten“, so der PLI-Abgeordnete Aníbal Martínez, der zugunsten seiner Parteikollegin von der Kandidatur zurücktrat. Unabhängig von den Gründen, die letztendlich zu ihrer Wahl führten, bezeichnete Mena nach der Vereidigung ihren Sieg als „einen Triumph vor allem der nicaraguensischen Frau“. Im Fernsehen erklärte sie: „Die Zeit wird beweisen, daß wir Frauen die Fähigkeit zu regieren haben.“ Sie äußerte ihre Bereitschaft „Hand in Hand“ mit Chamorro zu arbeiten.

Der Aufstieg von Julia Mena kommt nicht überraschend. Aus einer armen Familie kommend, konnte sie mit Stipendien studieren und ist seit den 80er Jahren in der PLI aktiv. 1990 kam sie als Abgeordnete ihrer Partei für ihre Heimatprovinz Granada ins Parlament. Seitdem war sie stellvertretende Parteivorsitzende, Präsidentin des Parteienbündnisses UNO und Generalsekretärin der UNO-Parlamentsfraktion. Ihr neues Amt als Vizepräsidentin der Republik hat nach Einschätzung der politischen Expert*innen in Nicaragua nur eine dekorative Funktion. Doch auch die symbolische Macht hat Einfluß. Guillermo Cortes, Direktor der Zeitschrift „Periodistas“ sieht in der Wahl ein „erfrischendes Bad für das Land, trotz der Möglichkeit, daß der Posten ohne Funktionen und ein unnütz besetzter Stuhl bleibt.“ Sowohl Chamorro als auch Mena wurden aufgrund der politischen Konjunktur, nicht wegen ihrer eigenen politischen Verdienste gewählt. Aber die Frauen haben ihre Präsenz in Staat und Regierung in den vergangenen Jahren steigern können. Derzeit werden vier staatliche Behörden von Frauen mit dem Rang einer Ministerin geleitet. Im Justizwesen sind inwischen 44 Prozent Frauen, vor zehn Jahren waren es erst 33 Prozent. Im Parlament stellen die Frauen 16 der 92 Mitglieder, 1980 waren es ganze sechs Frauen.

GUATEMALA

Präsidentschaftswahlen: Die Rechte siegt

(Mexiko-Stadt, 12. November 1995, POONAL).- Am Sonntag hat die guatemaltekische Bevölkerung einen neuen Präsidenten gewählt. Außerdem entschied sie über die Zusammensetzung des Parlamentes und über die Gemeinderegierungen. Um das höchste Amt im Staat bewarben sich 19 Kandidaten. Erste Ergebnisse lagen bei Redaktionsschluß noch nicht vor. Wirkliche Chancen werden jedoch nur dem konservativen Bewerber und früherem Bürgermeister von Guatemala-Stadt, Alvaro Arzú, eingeräumt. Arzú ist Mitglied der Partei der Nationalen Vorhut (Avanzada Nacional). Möglicherweise erreichte er bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit. Sollte es zu einer Stichwahl kommen, so ist dort der ebenfalls rechtsgerichtete Alfonso Portillo von der Republikanischen Guatemaltekischen Front des Ex-Diktators General Ríos Montt sein voraussichtlicher Gegner. Montt selber sowie seiner Ehefrau war die Kandidatur vom Obersten Gerichtshof des Landes wegen der Putschvergangenheit des Generals verwehrt worden. Die guatemaltekischen Militärs, ohne die ihm Land auch nach neun Jahren ziviler Regentschaft nichts läuft, scheinen sich auf Arzú festgelegt zu haben.

Obwohl das Wahlergebnis keine Überraschung bezüglich des Nachfolgers von Präsident Ramiro de León Carpio erwarten läßt, wurde der Urnengang nicht ohne Spannung verfolgt. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten riefen praktisch alle Gesellschaftsgruppen zur Stimmenabgabe auf. Die Friedensnobelpreisträgerin von 1992, Rigoberta Menchú, die erst im vergangenen Jahr aus ihrem Exil in Mexiko zurückkehrte, führte speziell in den Indígena-Gemeinden eine Kampagne gegen die Wahlenthaltung durch. Auch die Guerilla der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) rief auf, die Stimme für „demokratische Kandidaten“ abzugeben. Bei den letzten außerordentlichen Parlamentswahlen 1994 lag die Wahlbeteiligung unter 20 Prozent. Eine deutlich höhere Beteiligung könnte diesmal zusammen mit dem einmütigen Wahlaufruf aller Gesellschaftsgruppen den Siegern eine ganz andere Legitimität geben als frühere Entscheidungen.

Für die guatemaltekische Linke, die bisher Wahlen in Guatemala als weitgehend sinnlos ansah und sie zumindest implizit boykottierte, stellt die neue Haltung ein erhebliches Risiko dar. Erst vor wenigen Monaten gelang es ihr, mit dem Demokratischen Bündnis Neues Guatemala (FDNG) eine Wahlallianz zustande zubringen. Zahlreiche Persönlichkeiten aus der Gewerkschafts- und Volksbewegung sowie dem wissenschaftlichen Bereich bewarben sich für die FDNG für Abgeordnetenposten. Doch als Präsidentschaftskandidaten suchte sich das Bündnis ausgerechnet Jorge Gonzalez del Valle aus. Dieser war unter dem für zahlreiche Massaker verantwortlichen Ríos Montt Präsident der guatemaltekischen Nationalbank und wird selbst in den eigenen Reihen als Opportunist eingestuft. Die Aufstellung von Gonzalez hat die FDNG zudem nicht vor Beschuldigungen der Militärs und indirekt sogar des Präsidenten geschützt, sie sei nichts anderes als die Partei der Guerilla. Fehlende Finanzkraft, ein spät gestarteter Wahlkampf und die Angriffe und Einschüchterungsversuche der Rechten werden sich im Ergebnis für die linke Allianz bemerkbar machen. Nachdem sie selbst mitgeholfen hat, die Wahlen im Vorfeld zu legitimieren hat, wird es für sie schwer werden, ein schlechtes Resultat nur mit Manipulationen und Unterdrückung zu rechtfertigen.

Einfluß könnten linke Wahlbündnisse und die immer stärker werdende Bewegung der Indígenas, der Bevölkerungsmehrheit, am ehesten in den Lokalregierungen gewinnen. Auf dieser Ebene konnten neben den Parteien auch sogenannte Bürgerkomitees Kandidaten aufstellen. Die Hoffnung auf demokratische Alternativen findet jedoch enge Grenzen. Auch Präsident Ramiro De Léon, der als Menschenrechtsbeauftragter ein gewisses Profil erlangte, zeigte wenig Mut, aus dem Schatten der Militärs hervorzutreten, als er 1993 die Nachfolge des erfolglosen „Eigenputschisten“ Jorge Serrano angetreten hatte. Selbst bei vorhandenem Willen werden die Handlungsmöglichkeiten von Carpios Nachfolger beschränkt sein. Die UNO-Mission zur Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala stellte eben erst einen „Rückschritt“ bei den Menschenrechten fest. Das an 11 Campesinos durch Soldaten verübte Massaker Anfang Oktober spricht eine deutliche Sprache. Die vor einer Woche verübte Entführung eines knapp zweijährigen Neffen von Rigoberta Menchú, der wahrscheinlich mit dem Sohn der Nobelpreisträgerin verwechselt wurde, gilt als weitere Warnung an die Opposition, das herrschende System in Guatemala nicht in Frage zu stellen.

BRASILIEN

Teilweise Einigung zwischen MST und dem Bundesstaat Sao Paulo

(Mexiko-Stadt, 6. November 1995, POONAL).- Die Bewegung derer ohne Land (MST) wird im Bundesstaat vorerst keine weiteren Landbesetzungen vornehmen. Ein entsprechendes Abkommen mit den Behörden gilt zunächst bis Jahresende und wird sich unter bestimmten Bedingungen automatisch verlängern. Die Regierung von Sao Paulo verpflichtet sich, in den kommenden Monaten 2.100 Eigentumstitel an Campesinofamilien zu vergeben. Ende Dezember sollen weitere 1.000 Familien ihr Land offiziell bekommen. Der Bundesstaat sagte Kredite für die Anfangskosten der Produktion auf dem neuen Land zu. Gelingt es der Regierung, in den ersten drei Monaten 1996 zusätzlich 550 Familien mit Boden zu versorgen, verspricht die MST als Gegenleistung keine weiteren Besetzungen in diesem Zeitraum. Die Frist verlängert sich ein zweites Mal, wenn bis zum 30. Juni noch einmal 450 Campesinos Land zugeteilt bekommen.

Das Abkommen kam nach einem langen Verhandlungsgespräch der Führer*innen der Campesino-Organisation mit dem Gouverneur von Sao Paulo, Mario Covas und dem Vorsitzenden des Nationalinstituts für Siedlung und Agrarreform (Incra), Francisco Grazziano, zustande. Der Konflikt hatte sich verschärft, nachdem etwa 500 Mitglieder der Bewegung Derer ohne Land die Einrichtungen der Energiegesellschaft von Sao Paulo und einer großen Finca besetzten. Sie waren damit nicht auf die Bitte nach einem Stillstand der Aktionen eingegangen, die Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso gefordert hatte. Gegen vier Führungsmitglieder der MST bestehen Haftbefehle, die in zwei Fällen bereits zur Ausführung kamen. Die MST kündigte an, der Interamerikanischen Menschenrechtkommission (CIDH) der Organsition Amerikanischer Staaten (OAS) einen Bericht über die Gewalt auf dem Land zu überreichen. Sie arbeitete das Dokument gemeinsam mit einer Landkommission der Kirche aus. Danach wurden in den vergangenen 20 Jahren 1.500 Bäuer*innen in Brasilien ermordet. Nur in 52 Fällen kam es zum Prozeß. Die Menschenrechtskommission wird am 4. Dezember nach Brasilien kommen.

CHILE

Frei paktiert mit der Rechten

(Mexiko-Stadt, 5. November 1995, POONAL).- Der chilenische Kongreß muß in diesen Tagen über ein Gesetzesprojektes entscheiden, daß Präsident Eduardo Frei mit der rechtsgerichteten Partei der Nationalen Erneuerung verhandelte. Thema der Verhandlungen waren die Menschenrechtsverletzungen unter der Diktatur. Frei bezeichnete seine Gespräche als „einen großen Schritt, die nationale Versöhnung zu erreichen“. Die Sozialistische Partei, die der Regierungskoalition angehört, dagegen wies die Absprache mit der Rechten zurück. Die Kommunistische Partei sprach davon, der Präsident wolle ein „Schlußpunktgesetz“ durchsetzen.

Bereits Anfang Mai hatte Frei einen Gesetzentwurf zu Verfassungsreformen und einen weiteren zu Menschenrechtsfragen im chilenischen Kongreß eingebracht. Dort fehlte ihm jedoch die notwendige Mehrheit. Unter anderem ist dies dem Umstand zuzuschreiben, daß acht Senatoren nicht gewählt, sondern noch unter der Diktatur ernannt wurden. Die Senatoren der Partei der Nationalen Erneuerung wenden sich noch stärker als ihre eigene Parteiführung gegen Reformen und eine Aufklärung der Vergangenheit. Die jetzt getroffene Absprache könnte es möglich machen, 550 Fälle von verhafteten und danach verschwundenen Personen wieder aufzurollen. Dafür würden Sonderrichter*innen bestimmt, die die Zeugenaussagen Beteiligter unter dem Siegel der Verschwiegenheit anhören. Dies könnte das Schicksal hunderter Personen unter dem Militärregime von General Augusto Pinochet aufklären, hätte jedoch keine Bestrafung der Täter zur Folge. Gleichzeitig wäre es der Militärjustiz gestattet, 22 Prozesse, in denen Armeeangehörige ausdrücklich verwickelt sind, unter ihrer Rechtsprechung zu behalten.

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