Poonal Nr. 177

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 177 vom 23.01.95

Inhalt


MEXIKO

LATEINAMERIKA

VENEZUELA

KUBA

GUATEMALA

HAITI

NICARAGUA

„Die Spaltung der FSLN ist eine Tatsache“


MEXIKO

 Misereor dementiert Verbindungen zur EZLN

(Mexiko-Stadt, 16. Januar 1995, POONAL).- Die katholische Spendenorganisation Misereor mit Sitz in Aachen schickte eine zweiköpfige Abordnung nach Mexiko. Der Grund: Misereor wollte dem mexikanischen Innenministerium die Arbeit der Organisation in Chiapas erklären. Konservative Kreise in Mexiko, einige Medienanstalten und Abgeordnete der regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) hatten Misereor und die ebenfalls katholische Organisation Adveniat in den vergangenen Monaten beschuldigt, über den Bischof Samuel Ruiz García aus San Cristóbal die Nationale Zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) zu unterstützen. Die geforderten Beweise legten sie jedoch niemals vor.

Da die Kampagne gegen Misereor, an der unter anderem mexikanische Militärs beteiligt sind, weiterging, schickte die Organisation ihre Mitarbeiter Heinz Bernd Krauskopf und Juan F. Josi zu Gesprächen mit der Regierung und der katholischen Kirchenhierachie nach Mexiko. Misereor sandte von 1984 bis 1994 etwa 46 Millionen Mark nach Mexiko. Wie die von Krauskopf und Josi mitgebrachten Dokumente belegen, gingen gut 10 Prozent der Gelder (5 Millionen Mark) nach Chiapas. Damit wurden Ausbildungsprojekte in der Landwirtschaft, Rechtsberatung, Gesundheitsvorsorge und die Sozialarbeit der Kirche gefördert. 3,5 Millionen Mark gingen an die Diözese von San Cristóbal, die mit dem Geld hauptsächlich die guatemaltekischen Flüchtlinge unterstützte. Krauskopf und Josi wiesen darauf hin, daß alle von Misereor genehmigten Projekte von Unternehmen ueberprüft werden, die mit der Organisation nichts zu tun haben. Auf diese Weise werde sichergestellt, daß die Gelder nicht in andere Kanäle geleitet würden.

 

 Innenminister trifft Subcomandante Marcos

(Mexiko-Stadt, 16. Januar 1995, POONAL).- Bischof Samuel Ruiz García hatte frohe Kunde: In einer von „Aufrichtigkeit und Respekt“ geprägten Atmosphäre kamen „an einem Ort im Lacandon- Urwald“ der mexikanische Innenminister Esteban Moctezuma, der Subcomandante Marcos und der Bischof selbst zusammen. Es war das erste direkte Treffen von mexikanischer Regierung und der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) seit dem 3. Mai 1994. An diesem Datum trafen sich der ehemalige Friedensbeauftragte der Regierung, Manuel Camacho, mit dem Rebellenführer Marcos in dem von den Zapatisten kontrollierten Ort Guadelupe Tepeyac. Auch diesmal fand die Begegnung in der Nähe dieses Ortes statt. Jetzt werden in Kürze Verhandlungen über die Beilegung des Konfliktes und die Forderung der EZLN erwartet.

Das Treffen trug zur weiteren Entschärfung der Lage bei, nachdem sich die mexikanische Bundesarmee und die EZLN in der Nachweihnachtszeit nur wenige hundert Meter entfernt gegenübergestanden hatten. Die Zapatisten verlängerten in einer ersten Reaktion die von ihnen vorher mehrmals um sechs Tage verlängerte Feuerpause auf unbestimmte Zeit. In einem Kommuniqué versicherten sie, „eine ernsthafte Anstrengung bei der Suche nach einer politischen Lösung“ zu machen. Sie versprachen gleichzeitig, „keine Verträge mit der Bundesregierung hinter dem Rücken der Bevölkerung“ abzuschließen. Die mexikanische Regierung befahl den Teilrückzug der offiziellen Armee und eine Reduzierung der Militärpatrouillen in Chiapas. Der Vorsitzende der Nationalen Vermittlungskommission (CONAI), Bischof Ruiz, warnte jedoch vor überzogenden Erwartungen. Der Konflikt in Chiapas werde nicht bald gelöst sein, „denn es handelt sich nicht um ein lokales, sondern um ein landesweites Problem.“

 

LATEINAMERIKA

 Haben die bewaffneten Bewegungen noch eine Zukunft (Teil II)

Im ersten Teil der Analyse (Poonal Nr. 176) wurde die Entstehung der bewaffneten Befreiungsbewegungen in Lateinamerika und die beiden markantesten Entwicklungen, die die Guerilla auf dem gesamten Kontinent nachhaltig geprägt haben, dargestellt: Die kubanische Revolution 1959 und der sandinistische Triumpf in Nicaragua 1979. Der mexikanische Politiloge Jorge Castañeda äußerte sich in einem Interview sehr skeptisch über die Zukunft der lateinamerikanischen Befreiungsbewegungen. Der zweite Teil der Analyse beschäftigt sich mit der Situation der bewaffneten Befreiungsbewegungen in Mittelamerika.

Mittelamerika: Im Schatten Che Guevaras

Es hätte eine Szene in irgendeiner lateinamerikanischen Universität in den 60er Jahren sein können. Student*innen der San Carlos Universität in Guatemala hatten Barrikaden aufgebaut. Sie warfen Molotowcocktails und schossen hausgemachte Mörser ab. Die Student*innen protestierten gegen die Preiserhöhungen des öffentlichen Personentransports. Die Polizei ging mit Schlagstöcken und Tränengas vor. Dann eröffnete sie das Feuer. Die Student*innen flüchteten sich auf den Campus. Später kamen sie in der Rechtsfakultät zusammen, um die Verluste zu zählen. Mehrere Kommiliton*innen waren verschwunden, ein 21jähriger Jurastudent umgekommen. Erschöpft ließen sich einige unter die Tische fallen. Andere, das Gesicht unter Masken versteckt, formierten sich in kleinen Gruppen und sprachen mit gesenkter Stimme. Im Hintergrund füllte das Gesicht Che Guevaras ein enormes Transparent an der Wand. (Diese Schilderung bezieht sich auf Vorgänge in Guatemala- Stadt am 11. November 1994. Vgl. POONAL Nr. 169; die Red.)

Zu Beginn der 60er Jahre, nach der kubanischen Revolution, schlossen sich junge Leute au dem gesamten Kontinent der Guerilla an, um die bedrückenden Zustände in ihren Ländern gewaltsam zu verändern. Einige wenige bewaffnete Bewegungen und reformistische Regierungen, die an die Macht kommen konnten, erzielten gewisse Erfolge im Gesundheits-, Bildungs- und Infrastrukturwesen (Guatemala 1944-54, Kuba und Nicaragua). In einigen Ländern konnten die Guerillagruppen die Regierung an den Verhandlungstisch zwingen, wie die Nationale Befreiungsfront Farabundi Marti (FMLN) in El Salvador. In Guatemala war die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) 1980/81 einem militärischen Sieg nahe. Heute schließen jedoch selbst ihre enthusiastischen Anhänger*innen diese Möglichkeit aus. Dennoch hat die Existenz der URNG die Regierung dazu gebracht, am Verhandlungstisch zumindest die Entmilitarisierung und eine Demokratisierung des Landes zu diskutieren.

Nach Alfonso Bauer, einem Guatemalteken, der mit den revolutionären Regierungen Guatemalas, Chiles, Kubas und Nicaraguas arbeitete und der Zeuge der Geburt mehrerer bewaffneter Bewegungen war, können diese sich heute hauptsächlich wegen des feindlichen internationalen Klimas nicht durchsetzen. „Wenn es die Opposition der USA gibt, stoßen die Entwicklungen früher oder später auf Hindernisse, die zum Bankrott führen. Der zynische Fall, wo eine Bewegung sich rettete, ist Kuba. Aber dies mit Opfern. Die USA erlaubten (ähnliches) nicht in Guatemala, Nicaragua, Chile. Für mich ist das der wichtigste Faktor“, meint Bauer. Aber die bewaffneten Bewegungen der Zukunft können aus einigen der Fehler lernen, die in Mittelamerika begangen wurden. Diese Probleme zeigen sich in den Spaltungen, die augenblicklich die Sandinist*innen in Nicaragua und die FMLN in El Salvador durchmachen. In Guatemala glauben viele, daß sich die URNG nach der Unterzeichnung des Friedensvertrages – wenn sie ihn unterschreibt – in mindestens zwei Parteien aufteilen wird.

Schwieriger Übergang von der bewaffneten Bewegung zur politischen Partei

Geht es nach Bauer und anderen Expert*innen, so nährten die leninistischen und stalinistischen Tendenzen innerhalb der Sandinisten, der FMLN, der URNG und anderer Guerillagruppen die Intoleranz gegenüber jeglicher Kritik und abweichender Meinung. Diese Tendenzen, die für den Kampf im Untergrund notwendig waren, schaden den Bewegungen heute. Sie behindern ihre Fähigkeit, den Übergang von bewaffneten Organisationen zu politischen Parteien zu bewerkstelligen. „Die Vorherrschaft des Marxismus-Leninismus und die Betonung des Klassenkampfes gegenüber den Rassen- und Geschlechterunterschieden führte dazu, daß wichtige Aspekte der Realität aus dem Gesichtsfeld verloren gingen. Das ist beispielsweise der Fall der ethnischen Frage in Guatemala“, erklärt Alfonso Bauer.

Die Diktaturen im Stile der Bananenrepubliken sind durch gewählte Zivilregierungen ersetzt worden. Doch die politischen Systeme sind korrupt und geben noch kein Forum für Meinungsäußerung ab. Die neoliberalen Wirtschaftspolitiken zerstören die wenigen bestehenden sozialen Dienstleistungen. Jüngste Statistiken über das Lebensniveau in Lateinamerika zeigen: Die Grundbedingungen, die vor drei Jahrzehnten bewaffnete Bewegungen entstehen ließen, existieren immer noch. In einigen Fällen sind sie sogar noch schlimmer geworden. Wenn über die Lebensfähigkeit der bewaffneten Bewegungen in den 90er Jahren nachgedacht wird, ist eines deutlich: Solange Lateinamerika über keine friedlichen Mittel für gesellschaftliche Veränderungen verfügt, bleiben diese Organisationen bestehen. Die URNG und die Zapatisten in Mexiko haben dies bewiesen.

„Die URNG brauchte 30 Jahre, einen nationalen Dialog zu fordern, um auf die Regierung Druck auszuüben, sich zu ändern. Die Zapatisten fingen ihren Kampf mit dieser Forderung an. Sie wollen nicht die Macht mit den Waffen, sondern eine multi-ethnische und wirklich demokratische Regierung“, analysiert Bauer. Er ist überzeugt, daß die nächste Revolution von den Mayas angeführt wird und in ihr die Lektionen zum Ausdruck kommen, die von den anderen bewaffneten Gruppen gelernt wurden. „Ich glaube, das ist eine Zeitfrage. Ich rechne damit, daß in etwa 10 Jahre die Reife für diese große Allianz da ist, die aus Teilen der Zivilgesellschaft, den Ladinos und den Indígenas bestehen könnte.“

Nicaragua: Wohin gehen die Sandinisten? Sozialismus oder Sozialdemokratie?

Die Nationale Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) macht eine Krise durch, die wahrscheinlich in ihrer Spaltung enden wird. Das bedeutet einen harten Schlag für das Projekt, das einmal zu den größten revolutionären Hoffnungen in Lateinamerika gehörte. Die Ereignisse der vergangenen Monate – Meinungsverschiedenheiten über die Verfassungsreformen, die Parteiaustritte des Dichters und Priesters Ernesto Cardenal und von Sergio Ramírez, die Absetzung von Carlos Chamorro Barrios, Direktor des Presseorgans der FSLN, der Barricada – deuten darauf hin, daß der Bruch der sandinistischen Partei unvermeidlich ist.

Die Wortgefechte und Keilereien zwischen dem radikalen Flügel, der sich unter der Leitung von Daniel Ortega weiterhin FSLN nennt, und der gemäßigteren „Sandinistischen Erneuerungsbewegung“ (MRS) von Sergio Ramírez lassen viele denken, daß der Streit persönliche Ambitionen beider Führer widerspiegelt. In Wirklichkeit sind auf dem Grund dieser Krise des Sandinismus tiefe ideologische Differenzen begraben. Dazu kommen Meinungsverschiedenheiten bei der Interpretation der jüngsten Geschichte und der zukünftigen Perspektiven Nicaraguas, die sich mit dem Kampf um die Macht vermischen. Für beide Flügel liegen die in den 80er Jahren verkündeten Wahlsprüche der sandinistischen Revolution weit weg.

Wie andere revolutionäre Bewegungen Mittelamerikas lehnten die Sandinist*innen am Ende den bewaffneten Kampf als Mittel zur Rückkehr an die Macht ab. Die Ortega-Gruppe definiert die FSLN in ihrem Programm („Die Demokratische Linke“) als eine revolutionäre Partei, die für einen humanistischen und demokratischen Sozialismus kämpft. Sie schlägt ein Projekt vor, das auf der demokratischen Entwicklung der örtlichen, regionalen und nationalen sowie der assoziativen Macht fußt (unter assoziativer Macht werden Genossenschaften und von den Arbeiter*innen geleitete Unternehmen verstanden).

Die Anhänger*innen von Ramírez dagegen, die als Sozialdemokraten bezeichnet werden, schlagen einen Sandinismus vor, „der zu den Mehrheiten zurückgeht“. Als die „Erneuer*innen“ bekannt, wollen sie die FSLN als eine partizipative Partei mit breitem Diskussionsspielraum und einer (von der Basis; die Red.) gewählten Führung. Sie haben die Vorstellung von einem „partizipativen“ Wirtschaftssystem, das die Ärmsten begünstigt. Sie glauben, die Verbesserung der repräsentativen Demokratie biete den Arbeiter*innen genauso viele Vorteile wie ein erneuerter Sozialismus. Unter den Verteidiger*innen des Sozialismus sind die Sandinist*innen des Parteiapparates und der Gewerkschaftsbewegung. Zu den „Erneuerern“ gehören Abgeordnete, Künstler*innen, Freiberufler*innen, Großgrundbesitzer*innen und Unternehmer*innen.

Beide Gruppen träumen davon, 1996 an die Macht zurückzukehren. Aber mit nur 25 Prozent der WählerInnenstimmen hinter sich müssen die Sandinister sehr wahrscheinlich Bündnisse eingehen, um ihr Vorhaben zu erreichen. Die „Erneuerer“ einerseits müssen ihre Fähigkeit beweisen, eine Mitte-Links-Koalition anzuführen. Auf der anderen Seite stehen die „Orthodoxen“ vor der Aufgabe, das Image einer korrupten Partei loszuwerden. Dies haftet der FSLN an, seit sie das unter der sandinistischen Regierung beschlagnahmte Eigentum unterschiedslos unter ihre Parteimitglieder verteilte. „Piñata“ hieß das. So oder so: Die Hauptherausforderung für die Sandinisten, Orthodoxe und Gemäßigte, sowie für die ganze nicaraguanische Gesellschaft besteht darin, die Demokratie auf politischer, sozialer und wirtschaftlicher Ebene zu stärken.

 

VENEZUELA

 Telenovelas untergraben Arbeit der Frauenbewegung

– Von Giovanna Merola

(Caracas, Januar 1994, fempress-POONAL).- Was sind die Hauptsorgen junger Venozolanerinnen von heute? Eine Umfrage unter 14 bis 16jährigen Schülerinnen der Mittelklasse in der Hauptstadt Caracas zeigt: Das Abitur machen, vielleicht ein Universitätsstudium oder eine technische Ausbildung absolvieren und sich, wenn das nicht schon vorher passiert, sich spätestens danach zu verheiraten. Eine Minderheit erklärt, vielleicht in dem studierten Bereich arbeiten zu wollen. Angesichts dieser Antworten kann der Unterschied zu den Antworten vor zwei Jahrzehnten nicht allzu groß sein. Das ruft doch Erstaunen hervor. Was ist mit den Ideen des Feminismus der 70er Jahre passiert? Was ist von der feministischen Bewegung in unserem Land wirklich übriggeblieben? Warum richtet sich das Hauptstreben im Leben der jungen Mädchen nach der Heirat, um danach – vielleicht – zu arbeiten?

Als einen Grund könnte der starke Einfluß der Telenovelas genannt werden, die in Venezuela den wichtigsten täglichen Programmpunkt in den Fernsehkanälen darstellen. Sie sind speziell für weibliche Zuschauer konzipiert worden – sowohl in den Abend- als auch in den Nachtstunden. Dieses Genre der Seifenoper, das unter anderem den Intellektuellen, Soziolog*innen und Psycholog*innen soviel Stoff zum Diskutieren gegeben hat, bestimmt weiterhin die Verhaltensweise von Millionen Personen, die diese stark ideologisierten Geschichten passiv konsumieren. Zwischen dem Publikum und denen, die die Drehbücher der Telenovelas schreiben, gibt es keine Möglichkeit eines kritischen, konstruktiven oder bereichernden Austausches.

Andererseits ist es bemerkenswert, wie der Einfluß und die Faszination dieser Geschichten, die im allgemeinen romantisch und trivial sind, sogar über die nationalen Grenzen hinausgehen. Die Einnahmen Venezuelas durch die Lizenzvergaben von Telenovelas wurden 1992 auf 60 Millionen US-Dollar geschätzt. Das liegt weit über den Ergebnissen anderer Exportindustrien oder derselben Branche in konkurrierenden Ländern wie Mexiko, Argentinien und Brasilien. Darum sind die Standardkonventionen, wie sich eine Frau verhalten sollte, was ihre erstrebenswerten Ziele sein sollten, ein Schablone, die in mehr als 38 Länder der ganzen Welt exportiert wird. Unzweifelhaft bleibt dies eine nicht zu unterschätzende Methode, den Prototyp Frau zu stärken, den die feministische Bewegung vor mehr als zwei Jahrzehnten zu entideologisieren begann. Der Erfolg der Telenovelas ist gerade in der Ankerfunktion zu finden, die sie den Frauen angesichts der Unsicherheit einer Welt bieten, die sich unweigerlich ständig ändert.

 

KUBA

 Lichtblick in der Landwirtschaft

– Von Gabriel Mellas

(Havanna, 17. Januar 1995, prensa latina-POONAL).- Es gibt Aussichten, den Niedergang der kubanischen Landwirtschaft in diesem Jahr zu stoppen. In den offiziellen Berichten wird bereits für das Jahr 1994 von einer „leichten Erholung“ gesprochen. Der Landwirtschaftsminister Alfredo Jordan machte unter anderem Anreize für die Arbeiter*innen dafür verantwortlich. Die landwirtschaftliche Produktion ist aber noch weit davon entfernt, die Nachfrage der Bevölkerung zu erfüllen. Ein Beispiel ist die Milchproduktion. Sie ist gegenüber 1989 um zwei Drittel gesunken. Der Viehbestand liegt immer noch ein Drittel unter der Zahl von 1989, erhöhte sich aber im Vergleich zu 1993. So konnten die Fleischrationen zumindest etwas erhöht werden. Hoffnungen ruhen auf neugeschaffenen Produktionsgenossenschaften, die aus ehemaligen Staatsländereien entstanden. Inzwischen sind 112.000 Menschen in den 1.200 Produktionsgenossenschaften beschäftigt. Bisher arbeiten allerdings nur 60 Prozent dieser Kooperativen rentabel.

 

GUATEMALA

 Europäische Organisationen fordern Einhaltung der

Menschenrechtsvereinbarungen

(Guatemala, 18. Januar 1995, cerigua-POONAL).- 108 Organisationen und Persönlichkeiten aus acht europäischen Ländern forderten in einer Zeitungsanzeige die guatemaltekische Regierung auf, die körperliche Unversehrtheit der Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen und der internationalen Beobachter*innen zu garantieren. Die Unterzeichner*innen aus Österreich, Italien, Spanien, Holland, Dänemark, der Schweiz, Frankreich und Deutschland drückten ihre Sorge über die Situation in Guatemala aus und verwiesen auf Berichte des erzbischöflichen Menschenrechtsbüros in der Hauptstadt. Sie forden von „den guatemaltekischen Autoritäten, den zivilen und den militärischen, den ganzen notwendigen politischen Willen, damit die Einhaltung der von der Regierung und der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) unterschriebenen Vereinbarungen respektiert wird“. Unter den Einzelpersonen, die das Dokument unterzeichneten befinden sich Universitätsdekane und -Professor*innen, Parlamentsabgeordnete, Anwält*innen, Wissenschaftler*innen und Bürgermeister*innen.

 

 Erzbischof wehrt sich gegen Regierungsanschuldigungen

(Guatemala, 20. Januar 1995, cerigua-POONAL).- Die höchste Autorität der katholischen Kirche, Erzbischof Próspero Penados, wies Anklagen des Regierungsrepräsentanten Héctor Rosada bei den Friedensverhandlungen mit der Guerilla zurück. Rosada hatte die Delegiert*innen der Versammlung der Zivilen Gesellschaftsgruppen (ASC) als „radikal“ und „ideologische Verwandte“ der Guerilla bezeichnet. Die ASC repräsentiert elf gesellschaftliche Gruppen. Sie werden von dem Bischof Quezada Toruño geleitet. „Ich weiss nicht, welche Gründe Rosada hat, so etwas zu sagen“, erklärte der Erzbischof zu den Vorwürfen. Die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) hatte vor einer Woche vorgeschlagen, die Vorstellungen der ASC zu drei Verhandlungsthemen mit der Regierung komplett in ein Abkommen zu übernehmen. Erzbischof Penados kommentierte: „Das heißt nicht, daß wir (mit der Guerilla) einverstanden sind.“

 

 UNO-Kommission hat ihr erstes Büro eröffnet

(Guatemala, 17. Januar 1995, cerigua-POONAL).- Die UNO-Mission zur Internationalen Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA) kommt langsam ihrer Aufgabe nach. Am 17. Januar machten sich die Gruppen für die Regionalbüros in der nördlichen Provinz Petén und der westlichen Provinz Zacapa auf den Weg. In der Bezirkshauptstadt Cantabal, Ixcán, eröffnete die MINUGUA ihr erstes von insgesamt fünf regionalen Unterbüros. Im Ixcán leben viele Menschen, die durch den bewaffneten Bürgerkrieg aus ihren ursprünglichen Wohnorten vertrieben wurden. Außerdem hat sich dort ein Teil der aus Mexiko zurückgekehrten Flüchtlinge angesiedelt. In weiten Teilen des Ixcán wird nach wie vor gekämpft. Der UNO- Mission wurden bereits Klagen über Todesdrohungen und Einschüchterungen überreicht. Missionschef Leonardo Franco äußerte sich zuversichtlich, daß die UNO sich nach der vollständigen Einrichtung aller Büros „ganz dem Problem der Menschenrechte widmen kann“. Weitere Unterbüros werden in Escuintlá, Nebaj (Quiché), Barillas (Huehuetenango) und San Marcos sein. Noch ist nicht bekannt, wann sie eröffnet werden.

 

HAITI

 Wahrheitskommission konstituiert sich

(Port-au-Prince, 12. Januar 1995, hib-POONAL).- Nach massiven Forderungen der Bevölkerung hat die Regierung am 21. Dezember 1994 endlich eine „Wahrheitskommission“ ins Leben gerufen. Menschenrechtler*innen begrüßten die Entscheidung. Doch die Entscheidung der Einsetzung hat noch nichts mit der systematischen Untersuchung und Verurteilung der Verbrecher*innen des Staatsstreiches und früherer Zeiten zu tun, die für den politischen Fortschritt Haitis notwendig wären. Das Justizministerium, allen voran Justizminster Mallebranche, hat sich bisher noch nicht zu dieser Frage geäußert.

Die Wahrheitskommission, geführt von dem Soziologen Francoise Boucard, soll aus drei Haitianer*innen und drei Ausländer*innen bestehen. Bisher stehen die anderen Mitglieder aber noch nicht fest. Es gibt keinen MitarbeiterInnenstab und es soll nur die Putschperiode untersucht werden. Die Arbeitsgruppe, die in Beratungen mit Präsident Jean-Bertrand Aristide über die Zusammensetzung der Kommission entscheidet, hofft, daß das Mandat bis zum 7. Februar 1986 rückverlängert wird. „Der (dreijährige) Zeitraum ist zu begrenzt, weil der Putsch Teil einer Reihe von Aktionen ist…, verknüpft mit vielen anderen Verbrechen, die bis 1986 zurückgehen“, bemängelte ein prominenter Menschenrechtsaktivist. Ein anderer bemerkte, die Hauptverantwortung der Regierung sei es nicht, eine Kommission zu gründen, was eine begrüssenswerte Initiative sei, sondern der Bevölkerung wirkliche Gerechtigkeit zu verschaffen. „Die Kommission könnte von der wirklichen Problematik ablenken oder mißbraucht werden“, befürchtet er.

Erfahrungen aus El Salvador stimmen pessimistisch

Bevor die Kommission ihre Arbeit aufnehmen kann, wird sie die Mitarbeit und die technische Hilfe internationaler Institutionen suchen. Eingeschlossen sind dabei die ÖA und die Vereinten Nationen. Wenn die Untersuchungen sechs bis neun Monate nach dem offiziellen Arbeitsbeginn abgeschlossen sind, kann das Justizministerium entscheiden, ob es den Empfehlungen folgt oder nicht. Selbst wenn es der Wahrheitskommission gelingen sollte, die Verbrechen der vergangenen drei oder acht Jahre darzulegen, so bezweifeln doch viele, daß der Bericht zu weiteren Maßnahmen führt.

Eine ähnliche Anstrengung in El Salvador bewies die massive Beteiligung von US-Armee und -Geheimdienst bei den Verbrechen, die in überwältigender Mehrheit dem us-unterstützten Militär zugeschrieben wurden. Doch statt dem Rat zu folgen, die Streitkräfte zu reformieren, Gerichtsverfahren zu eröffnen und andere Reformen durchzuführen, verabschiedete das salvadoreanische Parlament eine Woche nach dem Bericht eine Generalamnestie

Justiminister Mallbranche will belasteten Richter im Amt belassen

Als Haitis Justizminister Mallebranche vom Miami Herald über die Wahrheitskommission befragt wurde, zeigte er kein Interesse. Er äußerte nur, sie werde von einem „Francoise Irgendwer“ geleitet. Bei einem kürzlichen Besuch in Jeremie traf er sich mit einem Richter, der auch eine führende Position in der paramilitärischen FRAPH hatte. Diesem versicherte Mallebranche, er werde sein Amt trotz seiner Vorgeschichte behalten. Anscheinend plant er keine einzige Reform oder zumindest Untersuchungen über die Putschverbrecher. Dem Miami Herold sagte er: „Das ist nicht meine Rolle.“ Der bereits erwähnte Menschenrechtler, der anonym bleiben will, meinte dazu: „Was wir über das Justizministerium hören, ist empörend. Der Staat sollte sofort Reformen einleiten, um all die korrupten Richter*innen loszuwerden. Die Suche nach Gerechtigkeit sollte in dem Moment beginnen, in dem es ein Opfer gibt. Die Entwicklung kann nicht aufgeschoben werden.“

Unterdessen ist es die Organisation US-AID, die sofortige Schritte unternimmt. Sie schwärmt rasch über das Land aus. Nach Verlautbarungen ihres Chefs, Brian Atwood, gibt es bereits Justiz- Ausbildungsprogramme in neun „Schwerpunktstädten“. Atwood sagt, AID plane die Ausbildung und Neuausrüstung der Gerichte als Teil einer 3-Millionen-Dollar Vereinbarung mit der Regierung und dem Ministerium. Dieses Dokument wurde nicht veröffentlicht. Der Menschenrechtler mutmaßt: „Vielleicht arbeiten sie an dieser ‚Reform‘, damit es keine wirkliche Reform gibt.“ Die Hauptsorge ist, daß die Wahrheitskommission und andere Maßnahmen unter der direkten Kontrolle einer Militärbesatzung stehen.

 

NICARAGUA

 Ramírez will eine neue Partei gründen

(Managua, 20. Januar 1994, Apia-POONAL).- Die Spaltung der FSLN ist nun offiziell. Im Parlament beanspruchen nunmehr zwei Fraktionen das sandinistische Etikett. Und schon bald wird die Spaltung die gesamte sandinistische Bewegung erfaßt haben: Der Reformist Sergio Ramirez hat die Gründung einer neuen Partei angekündigt.

Die kleinere Gruppe mit zwei Frauen und fünf Männern kann behaupten, die von der Parteiführung gewollte Vertretung zu sein. Die zweite Gruppe mit 32 Abgeordneten gehört zum Reformerflügel des inzwischen aus der Partei ausgetretenen Sergio Ramírez. Unter Berufung auf den in den Statuten festgelegten Fraktionszwang hat die Fraktionschefin Dora Maria Tellez die Minderheitengruppe vor ein paar Tagen vor die Wahl gestellt, entweder die Mehrheitsentscheidungen mitzutragen oder die Fraktion zu verlassen. Die sandinistische Minderheit wählte den Bruch. Doch bereits in den letzten Monaten hatten die beiden Gruppen unterschiedlich abgestimmt, unter anderem in den Frage der Verfassungsreform und der Wahl des neuen Parlamentspräsidiums.

Die Parlamentsfraktion hat sich aufgespalten

Die im Parlament vollzogene Spaltung wird schon bald die gesamte sandinistische Bewegung erfassen. Denn die Gründung einer neuen Partei durch den Reformerflügel ist bereits beschlossene Sache. Sergio Ramirez arbeitet bereits mit großem Ehrgeiz an diesem Projekt, das wahrscheinlich am 21. Februar, dem 61. Todestag Gerneral Sandinos, der Öffentlichkeit vorgestellt werden soll. Die Reformer hoffen, daß ein Viertel der sandinistischen Basis sofort der neuen Partei beitritt.

Doch worin unterscheiden sich die beiden Flügel. Die Definition des Sandinismus war schon immer sehr ungenau. Die Orthodsoxen der „Demokratischen Linken“ wollen – ihrer Rethorik zufolge – den Klassenkampf fortsetzen und an der Revolution festhalten. Sie setzen auf die Gewerkschaften als Massenbasis, um gegen die unpopuläre Wirtschaftspolitik der Regierung zu mobilisieren. Gleichzeitig nutzen sie den Druck, um mit der Regierung Verhandlungen zu führen. Für den Boykott der Verfassungsreforme, die die Führung um Daniel Ortega noch vor einem Jahr abgesegnet hatte, suchten sie sich so seltsame Bündnispartner wie die Liberal-Konstitutionalistische Partei des ultrarechten Bürgermeister von Managua, Arnoldo Alemán.

Die Reformer*innen setzen weniger auf Massenmobilisierung als auf die Stärkung der Institutionen. Deswegen haben sie die Verfassungsreformen, die das Parlament und die Justiz gegenüber der Regierung aufwerten, unterstützt. Die Reformer bemängeln vor allem die mangelnde Demokratie in der sandinistischen Bewegung. Daniel Ortega suche nicht die öffentliche Auseinandersetzung, sondern wolle unter Ausschaltung der Nationalversammlung und der Partei einen politischen Konsens mit der Regierung aushandeln.

Vergebliche Schlichtungsbemühungen von Henry Riuz

Auf beiden Seiten gab es Leute, die eine Versöhnung anstrebten und die Spaltung verhindern wollten. Der ehemalige Revolutionskommandant und spätere Planungsminister Henry Ruiz, ein Mann, dessen Integrität unbestritten ist, versuchte bis zuletzt den Dialog. Er hat zwar Partei ergriffen für die Erneuer um Ramírez, er weigert sich aber, freiwillig aus der FSLN auszutreten. „Ich bleibe in der Partei, bis sie mich rausschmeißen.“

Unabhängig vom Zerwürfnis der beiden Fraktionen hat er mit einer Gruppe von sandinistischen Expert*innen eine wirtschaftspolitische Strategie entworfen, die zur Plattform einer künftigen Regierung werden könnte. Die Auslandsschulden von zehn Milliarden Dollar erklärt er für schlicht unbezahlbar. Wollte Nicaragua seinen Verpflichtungen nachkommen, so müßte Nicaragua jährlich um 60 Prozent wachsen. Daher schlägt er vor, die Schulden durch Verhandlungen und den Aufkauf von Schuldtiteln an der Börsen um 90 Prozent zu kürzen. Mit Krediten und durch Beratung sollen vor allem kleine und mittlere Betriebe, die das Rückgrat der nicaraguanischen Wirtschaft bilden, unterstützt werden.

Ruiz war auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Europa, um das Programm vorzustellen und finanzielle Unterstützung dafür aufzutreiben, als Sergio Ramírez mit seinem Austritt die Spaltung besiegelte. Auf der Rückreise hatte er bei Daniel Ortega, der in Kuba nach einem Herzinfarkt in ärztlicher Behandlung ist, einen letzten Vermittlungsversuch unternehmen wollen. Doch dafür ist es nun zu spät.

 

„Die Spaltung der FSLN ist eine Tatsache“

 Interview mit Dora Maria Tellez, Chefin der sandinistischen

Parlamentsfraktion.

Frage: Sergio Ramírez hat vor wenigen Tagen die Gründung einer neuen Partei angekündigt. Unterstützen sie das Vorhaben?

Tellez: Die Spaltung der FSLN ist eine Tatsache. Immer mehr Mitglieder treten aus, um eine neue politische Kraft aufzubauen, die zu den politischen, ethischen und moralischen Prinzipien des Sandinismus, von denen die offizielle Partei abgewichen ist, zurückkehrt. Sergios Ankündigung ist eine Antwort auf den Druck der sandinistischen Basis, die eine neue Struktur verlangt. Auperdem hat sie damit zu tun, daß er ausgetreten ist und daher eine neue Partei braucht.

Frage: Du bist aus dem Nationaldirektorium zurückgetreten, aber nicht aus der Partei. Ist das Taktik?

Tellez: Das ist eher eine Frage der Formalitäten. Alles zu seiner Zeit.

Frage: Die sogenannte Demokratische Linke wirft euch vor, der Diskussion ausgewichen zu sein. Die Reformist*innen hätten ja an den Sitzungen des Nationaldirektoriums gar nicht mehr teilgenommen.

Tellez: Das stimmt nicht. Wir wollten innerhalb der Partei die Diskussion entfachen, noch vor dem außerordentlichen Parteitag im vergangenen Mai, auf dem Kongreß und nachher im Direktorium. Ich bin immer dabeigewesen bis die Orthodoxen den einstimmigen Beschluß, ein Paket von Verfassungsreformen ins Parlament zu bringen, plötzlich brachen. Damals sahen wir, daß wir dort nichts mehr verloren hatten. Die Orthodoxen hatten sich der Strukturen bemächtigt und wir (Henry Ruiz, Mirna Cunningham, Luis Carrion) waren nur mehr Dekoration.

Frage: Wann wurden Eure Vorschläge diskutiert?

Tellez: Überhaupt nicht. Wir sind der Meinung, daß sich die FSLN vor den Wahlen 1996 modernisieren und die inneren Strukturen demokratisieren muß. Aber das Thema wurde nie aufgegriffen. Denn wenn man von Wahlen spricht, muß man von Kandidat*innen sprechen und darüber, ob Daniel Ortega noch einmal antreten soll. Ich wollte später als Fraktionschefin in der Partei nochmals über die Verfassungsreformen das Eigentumsproblem diskutieren. Aber ich lief gegen eine Wand.

„Daniel Ortega hat viel zur Spaltung beigetragen“

Frage: Warum habt Ihr auf dem Parteitag nicht offensiver Eure Meinun vertreten?

Tellez: Der Parteitag war nicht für echte Diskussionen angelegt. Wir hatten es in der Vorbereitungsphase schon vergeblich versucht. Daniel Ortega setzte dann seine Maschinerie in Gang und arbeitete mit allen Tricks.

Frage: Zum Beispiel?

Tellez: Druck auf die Delegierten, Drohungen, Schmeicheleien. Die Orthodoxen schärften allen ein, daß die von den ihren abweichenden Positionen reaktionär seien. Natürlich wollte keiner als Rechtsabweichler gelten. Außerdem hatten die meisten Delegierten Angst vor einer Spaltung und sie glaubten, wenn sie dem orthodoxen Flügel die Mehrheit verschafften, dann werde die Einheit bewahrt. In Wirklichkeit hat dieses Votum aber die Spaltung gefördert.

Frage: Die Reformist*innen sind eine Handvoll Intellektuelle. Über welche Basis verfügt ihr?

Tellez: Die sandinistische Basis. Wir haben Guerillaveteran*innen, Bauern und Bäuerinnen, Hausfrauen, Akademiker*innen, Kaufleute und Intellektuelle auf unserer Seite. Die meisten Anführer sind Intellektuelle. Aber das ist bei der Demokratischen Linken auch nicht anders. Daniel Ortega ist ein Intellektueller, Tomas Borge und Bayardo Arce sind Unternehmer. Schon als wir Somoza stüzten, wurde die Revolution von Intellektuellen angeführt. Das ist kein Geheimnis und keine Schande.

Frage: Aber gibt es jemanden, der es mit Charisma von Daniel Ortega aufnehmen kann?

Tellez: Wir wollen es gar nicht mit Daniels Charisma aufnehmen. Eine politische Partei ist etwas anderes als ein Caudillo. Daniel hat viel zur Spaltung der FSLN beigetragen. Als Caudillo mag er viele AnhängerInne haben. Aber wozu braucht der Sandinismus einen Caudillo.

„Wir wollen nicht unseren eigene kleinen Caudillo aufbauen. Wozu braucht der Sandinismus einen Caudillo?“

Frage: In Nicaragua haben sich aber meistens Caudillos durchgesetzt.

Tellez: Auch wenn es so ist, bringt es mich nicht dazu, meinen eigenen kleinen Caudillo aufzubauen. Wir versuchen doch gerade dieses politische System in Nicaragua umzukrempeln. Wenn wir Caudillos wollen, warum sollten wir uns dann um eine Verfassungsreform bemühen?

Frage: Geht es zwischen Demokratischer Linker und Reformist*innen letzten Endes mehr um Fragen der Form oder tatsächlich um Inhalte?

Tellez: Es geht um Inhalte. Dazu gehören die Verfassungsreformen, die Demokratisierung des Staates und der Gesellschaft, die Stärkung der Institutionen. Die Orthodoxen sind offenbar nicht interessiert, die Formierung von Gruppen mit wirtschaftlicher Macht zu kontrollileren. Wir schon, weil diese Gruppen die Demokratisierung liquidieren. Auch was die Natur einer politischen Partei betrifft, haben wir grundsätzliche Differenzen.

Frage: Die Orthodoxen werfen Euch vor, mit den Verfassungsreformen die Agrarreform zu verraten.

Tellez: Das ist Demagogie. Die Landreform ist voll abgesichert. Wir haben sogar der Regierung die verfassungsmäßige Verpflichtung auferlegt, dem reformierten Sektor technische Beratung zuteil werden zu lassen.

Frage: Was ist dann der Unterschied zwischen den Reformen, die vor einem Jahr einstimmig in der Sandinistischen Verfassung genehmigt wurden und denen, die Ihr gegen den Willen der Orthodoxen im Parlament beschlossen habt?

Tellez: Außer der Stichwahl bei den Präsidentschaftswahlen und der Direktwahl der Bürgermeister handelt es sich nur um unwesentliche Details. Wir wollen die Reformen und suchen uns dafür Verbündete. Die Orthodoxen haben eine Allianz mit der Regierung und wollen die Reformen so verändern, daß diese Allianz hält. Das sind zwei unterschiedliche Ansätze.

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