Poonal Nr. 048

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 48 vom 15.06.1992

Inhalt


GUATEMALA

EL SALVADOR

NICARAGUA

HAITI

FRAUEN


GUATEMALA

Rechtsextreme drohen Serrano

(Guatemala, 10. Juni 1992, NG-POONAL).- Verschiedene Gruppierungen, die dem extremen rechten Spektrum in Guatemala zugeordnet werden, haben den Rücktritt von Präsident Jorge Serrano Elias gefordert. Bereits in den vergangenen zwei Monaten hatte eine Welle von Bombenanschlägen, für die zu einem großen Teil rechtsradikale Gruppierungen verantwortlich gemacht wurden, die Autorität der Regierung untergraben. Hintergrund der Konflikte, so mutmaßen politische Beobachter, ist die – den rechtsextremen Kräften zu weiche – Haltung der Regierung gegenüber der Aufstandsbewegung „Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas“ (URNG). Einer der hervorstechendsten Köpfe der extremen Rechten ist General Luis Ernesto Sosa Avila, Ex-Präsidentschaftskandidat der Bewegung der Solidarischen Aktion (MAS) und Fahnenträger der US- Intervention von 1954. Er forderte den sofortigen Rücktritt von Serrano Elias, da sonst Aktionen unternommen würden, um ihn abzusetzen. Sosa Avila versicherte, daß er im Namen der Frente Civico Nacional, einer bislang unbekannten Partei, spreche. Bereits einige Wochen zuvor hatte jener General der Regierung ein 48-stündiges Ultimatum gesetzt, den Mord an einen offensichtlich aus kriminellen Motiven ermordeten General aufzuklären.

Sosa Avila und seine Nationale Bürgerfront forderten nicht nur die Absetzung von Serrano Elias, sondern schlugen auch eine Alternative vor, die dem Machtwechsel einen verfassungskonformen Anstrich geben würde: der gegenwärtig als Vizepräsident amtierende Gustavo Espina Salgnerc, der als einer der führenden Köpfe der ultrarechten Fraktionen innerhalb der Regierung gilt, solle die Präsdentschaft übernehme. Serrano Elias hielt sich in Brasilien auf, als die offenen Putschdrohungen gegen ihn ausgesprochen wurden. Wenn Serrano Elias also Spaß am Reisen habe, „dann soll er doch weiter durch die ganze Welt reisen und nicht mehr nach Guatemala zurückkommen, zuvor aber soll er die Präsidentschaft an Espina abgeben“, warnte der Oberst Sosa Avila. Nach Einschätzungen politischer Beobachter sind diese rechtsextremen Gruppierungen letztlich verantwortlich für eine große Zahl der Bombenanschlägen in den vergangenen zwei Monaten, die Schäden in Höhe von über einer Million Dollar verursacht haben und ein Klima von Terror und Gewalt in der guatemaltekischen Hauptstadt forcierten.

Die Forderung nach dem Rücktritt von Serrano Elias steht im Zusammenhang mit der Unzufriedenheit bei Teilen der Armee über die Entscheidung zum Dialog mit der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG), der einen politischen Ausweg aus dem bewaffneten Konflikt ermöglichen soll. Der hartnäckige Widerstand der Streitkräfte gegen eine Verständigung mit der Guerilla ist eines der Haupthindernisse bei der Weiterführung des Friedensdialoges. Mit dem Versprechen, den seit über drei Jahrzehnten anhaltenden Bürgerkrieg in Guatemala zu beenden, hatte Serrano vor anderthalb Jahren Präsidentschaftswahlkampf für Furore gesorgt und viele Wähler auf seine Seite gezogen. Vor diesem Hintergrund wachsender Destabilisierung haben sich selbsternannte „Offiziere der Berge“ in zahlreichen Presseerklärungen gerühmt, in dem „schmutzigen Krieg“ der Streitkräfte gegen die Bevölkerung eine führende Rolle gespielt zu haben. In den vergangenen 30 Jahren wurden in Guatemala rund 100 000 Personen aus polischen Gründen ermordet, etwa 40 000 Menschen wurden verschleppt und gelten als verschwunden.

Der Anfang des Jahres ernannte Verteidigungsminister, der General José Dominto Garcia Samayoa, unterstützte die reaktionäre Offensive, indem er eine Diffamierungskampagne gegen die Volksorganisationen initiierte. Insbesondere beschuldigte er das Komitee der Bäuerlichen Einheit (CUC), der „politische Arm“ der URNG zu sein – was in Guatemala einem Todesurteil gleichkommt. Aus diesem Grunde hat sich die gesamte Leitung des CUC auf den Weg zum Nationalpalast gemacht, um dort direkt mit dem Präsidenten Serrano Elias zu sprechen und sich den legalen Status ihrer Organisation bestätigen zu lassen. Die Aktivitäten des CUC sind geschützt von den verfassungsmäßigen Grundrechten, die die Organisationsfreiheit für die guatemaltekischen Bürger garantieren. Gleichzeitig verschärft sich der Druck auf eine andere wichtige Bauernorganisation, den Rat der Ethnischen Gemeinden Runujel Junam (CERJ). Gegen den CERJ-Führer Amelcer Méndez Urizar, dessen Haus vor zweieinhalb Wochen mit Granaten angegriffen worden ist, erließ am vergangenen Freitag ein Strafrichter in El Quiché einen Haftbefehl, nachdem der Lehrer von einem örtlichen Militärkommissar angeklagt worden war. Währenddessen ließ Serrano die von ihm selbst gestellte Frist von zwei Wochen verstreichen. Innerhalb dieses Zeitraums, so hatte er versprochen, werde er einen Friedensvorschlag der URNG reagieren.

Streitkräfte wehren sich erfolgreich gegen Abrüstung

(Guatemala, 5.Juni 1992, Cerigua-POONAL).-Das guatemaltekische Militär, dem schwerste Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen werden, hat sich nicht nur hartnäckig gegen jegliche Versuche, die Streitkräfte zu verringern, gewehrt, sondern sogar – und das ist derzeit einmalig in Zentralamerika – eine weitere Aufrüstung durchgesetzt. Die offizielle Begründung dafür ist, daß das Militär die einzige Institution sei, die das Gesamtwohl des Landes sichern könne. Die nachdrückliche Bekräftigung von Verteidigungsminister General Jose Garcia – der gleichzeitig auch Präsident des Zentralamerikanischen Verteidigungsrats (CONDECA) ist -, daß die 45.000 Mann starken Verbände auf keinen Fall reduziert würden, ist eine offene Brüskierung der anderen Länder und steht im Gegensatz zu dem Vorschlag der Delegation des Europäischen Parlamentes, die Ende Mai die Region besuchte. Die Regierungen von Nicaragua, Honduras und El Salvador haben sich auf Anraten des Europaparlaments und von UNICEF bereit erklärt, ihre Streitkräfte zu reduzieren. In einem Dokument, das den Dialogprozeß vorantreiben soll, teilte die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) mit, daß das Militär seine Funktionen mißbrauche und Aufgaben übernehme, die ihm nicht zuständen. Deswegen sei es notwendig, die Aufgaben der Streitkräfte neu zu definieren.

Minister Garcia kündigte an, daß sobald ein Friedensabkommen mit der Guerilla unterzeichnet worden sei, die Streitkräfte den neuen Umständen angepaßt werden – was seinem Verständnis nach keineswegs reduzieren bedeutet. Im Gegenteil, die Beteiligung des Militärs soll auf Bereiche des zivilen Lebens erweitert werden, so beispielsweise auf den Straßenbau, die Drogenbekämpfung und den Umweltschutz. Im Südosten Guatemalas erhielten die Streitkräfte angesichts erneuter Aktionen der Guerilla Verstärkung. Der Verteidigungsminister hingegen versicherte, die militärischen Aktionen der Widerstandskämpfer*innen seien zurückgegangen. Im gleichen Zug offenbarte General Garcia den Beschluß, zweitausend Bauern an der Südküste modernste technische Waffen für die Zivilapatrouillen (PAC) zukommen zu lassen. Die Zivilpatrouillen bilden eine paramilitärische Institution, die dem Militär untersteht. Die Unterstützung der Zivilpatrouillen, die wiederholte Male für Menschenrechtsverbrechen verantwortlich gemacht worden sind, stellt eine offene Provokation der Vereinten Nationen sowie zahlreicher guatemaltekischer Gemeinden und Organsationen dar, die deren Auflösung fordern.

Staatlicher Terror gegen Schulen

Die Vereinigung der Bäuer*innen der Südküste (UCS) gab bekannt, daß das Militär in über 20 Gemeinden der Provinzen San Marcos, Esquintla, Quetzaltenango und Retalhuleu die Bevölkerung terrorisiere und einschüchtere. Laut der UCS fallen die Militärangehörigen in Schulen im Süden Guatamalas ein, wo sie die Lehrer aus den Klassen zerren und in die PAC zwangsrekrutieren und Kinder einsperren und sexuell mißbrauchen. Die Behauptung des Verteidigungsministers, die militärischen Auseinandersetzungen zwischen Armee und Guerilla seien zurückgegangen, wirkt paradox in Anbetracht der Aufrüstung der Truppenbestände und der steigenden Zwangsrekrutierungen unter der Landbevölkerung für die Aufständsbekämpfung. Welchen Sinn machten dann diese Maßnahmen – ohnehin gelten die guatemaltekischen Streitkräfte als die größten und am besten ausgestatteten in Zentralamerika.

EL SALVADOR

Kritik an Konjunkturbericht der Regierung

(San Salvador, 07.Juni 1992, Salpress-POONAL).- Der salvadorianische Präsident Alfredo Cristiani teilte am 1. Juni in seinem dritten Jahresbericht zur Lage der Nation mit, daß die Wirtschaft im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent gewachsen sei. In diesem Jahr rechnet die Regierung mit einer Steigerung um 4,5 Prozent. Juan Jose Martell, Abgeordneter der Oppositionskoalition Convergencia Democratica (CD), kommentierte den offiziellen Bericht mit der Bemerkung, daß dieser „vorübergehend den Eindruck erweckt habe, daß der Präsident von einem ganz anderen Land spreche, einem Land, in dem alles reibungslos funktioniere, während die Realität ja ganz anders aussieht“. Wenngleich die Aufstandsbewegung FMLN die Initiative der Regierung beim Verhandlungsprozeß als „tapfer“ bezeichnete, disqualifizierte sie deren Wirtschaftsplan, da das Ansteigen von Armut und Arbeitslosigkeit auf das vollständige Fehlen sozialer Leistungen für die Bevölkerung hinweise.

UNO moniert Verstöße gegen Friedensabkommen

(San Salavdor, 07.Juni 1992, Salpress-POONAL).-Der UNO- Generalsektretär Boutros Boutros Ghali hat in einem Bericht an den Sicherheitsrat zwar die Einhaltung des Waffenstillstandes in El Salvador gelobt. Gleichzeitig wies er aber auch auf „schwerwiegende Verzögerungen bei der Ausführung verschiedener Punkte des Abkommens“ zwischen der Regierung und der Aufstandsbewegung FMLN hin. Laut Ghali haben besagte Verzögerungen „das Vertrauen beider Parteien in die guten Absichten der jeweils anderen untergraben“. In seinem Bericht informierte Ghali über besorgniserregende Verstöße, angefangen bei der offiziell immer noch nicht aufgelösten Zollpolizei bis hin zu Verdächtigungen, die FMLN habe falsche Angaben über ihren Waffenbestand gemacht. Als Reaktion auf Ghalis Bericht forderte der UN-Sicherheitsrat die Regierung und die FMLN am 3. Juni auf, ohne weitere Verzögerungen den Friedensvereinbarungen nachzukommen. Der Sicherheitsrat insistierte, daß beide Parteien ihren guten Willen unter Beweis stellen und die Vereinbarungen genau einhalten müßten. Die für die nationale Versöhnung notwendige Desmobilisierung und grundlegende Reformen müßten eingeleitet werden. Die katholische Kirche bezeichnete den UN-Bericht am 7. Juni als „sehr gut“. Der Erzbischof von San Salvador, Monsignor Arturo Rivera Damas, äußerte, daß beide Seiten das Gutachten in Betracht ziehen müßten, da es äußerst objektiv sei. Es streiche die positiven Errungenschaften heraus, verheimliche aber nicht die Konfliktpunkte zwischen der Regierung und der FMLNM. Iqbal Riza, Chef der UN-Beobachterkommission in El Salvador (ONUSAL), äußerte am 2. Juni die Hoffnung, die Abkommenspartnern könnten in nächster Zukunft praktische Lösungen zur Durchführung der Friedensvereinbarungen finden. Riza erklärte, daß beide Seiten sich darauf verständigt hätten, ideologische und politische Differenzen zurückzustellen und konkrete Lösungen anzustreben.

NICARAGUA

Regierungspartei oder oppositionelles Sammelbecken – die FSLN in der Krise

(Mexiko, Juni 1992, alai-POONAL).- Die innere Krise der FSLN verlangt eine dringende Abstimmung ihres Strategieprogramms. Nach der Wahlniederlage der Sandinisten im Jahr 1990 hat sich die interne Krise der stärksten Oppositionspartei immer weiter zugespitzt und den Charakter einer öffentlichen Debatte zwischen ihren Führer*innen angenommen. Einer der Vorfälle, der in jüngster Zeit zu Auseinandersetzungen in der sandinistischen Führungsmannschaft geführt hat, ist die militärische Auszeichnung des US-amerikanischen Militärattachees durch den Befehlshaber der Sandinistischen Volksarmee (EPS), General Humberto Ortega Savedra. Die Verleihung des „Camilo Ortega“-Ordens, der den Held*innen und Märtyrer*innen der Revolution vorbehalten ist, führte zu starker Kritik aus den sandinistischen Reihen, etwa von Luis Carrìon. Diese Kritik stieß auf keinen Widerhall beim Generalsekretär der FSLN, Daniel Ortega, der seinen Bruder mit der Äußerung verteidigte, daß dies eine souveräne Entscheidung des Militärbefehlshabers sei, die der Verbesserung der Beziehungen zu den USA diene.

Schon wurden Stimmen laut, die das EPS von einem revolutionären und anti-imperialistischen Rückhalt gegenüber der Regierung von Violeta Chamorro in ein Manipulationsinstrument der Präsidentin und den USA verwandelt sahen. Außer Frage steht, daß die Streitkräfte mittlerweile gegen die Bevölkerung, die sich gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung erhebt, gewaltsam vorgeht. So beispielsweise bei Auseinandersetzungen am 24. April dieses Jahres in Estelì im Norden des Landes. Dort haben sich Ex-Contras, Sandinst*innen und Teile der Landbevölkerung – in Überwindung vorheriger politischer Grenzen – zu einer Protestbewegung (den sogenannten „Revueltos“) gegen die von der Regierung eingeführte, neoliberale Wirtschaftspolitik zusammengeschlossen. Es kam zu einem Todesfall und mehreren Verletzten. Bei derselben Aktion desertierten sechs Polizeiangehörige, die sich so dem Angriffsbefehl auf die Rebellierenden wiedersetzten. Einen Monat zuvor, am 26. März, waren zum ersten Mal seit zwölf Jahren wieder Polizei und Armee gemeinsam gegen die Zivilbevölkerung vorgegangen.

Basis gegen Parteiführung

Einer der Konfliktpunkte ist die Position der FSLN gegenüber der Regierung von Violeta Chamorro und den USA. Seit ihrem Machtverlust vor zwei Jahren hat die Frente eine Vermittlerrolle in Konflikten mit Arbeiter*innen und Bauern übernommen. Auf der Basis ihrer Konzertationspolitik als grundlegendes Mittel im Volkskampf hat sie sich auf die nationale Sicherheit und die Fortsetzung des geltenden politischen Modells festgelegt. Diese Haltung der Führung hat zu einem profunden Unbehagen bei der Basis geführt. So bezichtigte beispielsweise Lucio Jimenez – Führer der Nationalen ArbeiterInnenfront und Mitglied der Sandindistischen Nationalversammlung – seine Kommandatur der Kollaboration mit der Regierung, da die Spitze der FSLN so wichtige Streiks wie den Ausstand der Zuckerrohrarbeiter*innen nicht ausreichend unterstützt habe. Die Kommandanten Tomàs Borge und Daniel Ortega äußerten lapidar, daß sie dem Chaos und der sozialen Instabilität feindlich gegenüberstünden. Antworten, die die Sandinist*innen um so mehr auf dem Hintergrund beunruhigen, daß sämtliche Vorschläge der FSLN an die Chamorro-Regierung zunächst der Nationalversammlung vorgelegt werden müssen – dies geschah jedoch häufig nicht. Immer deutlicher wird die Kluft zwischen den gewerkschaftlichen Kämpfen und den parteipolitischen Strategien der FSLN.

Die FSLN-Basis verfolgt zudem mit Argwohn die Annäherung zwischen den Sandinisten und der Regierung. Die FSLN sei keine Oppositionspartei mehr, sondern biete sich immer deutlicher als Regierungspartner an, obwohl sich die Mehrheit der Sandinist*innen gegen ein „Mit-Regieren“ ausgesprochen habe. Gleichzeitig wurde die Bildung einer „Zentrumsgruppe“ bekannt, die politische Posten anstrebt, zu der auch die Interessen der sandinistischen Kommandos des EPS gezählt werden müssen. Im Gegensatz zu den auf Regierungsbeteiligung abzielenden Ansätzen der FSLN-Führung stehen die Versuche an der Basis, die Proteste gegen die Regierung zu konzentrieren. Ein Beispiel dafür ist das Entstehen neuer Aufstandsbewegungen wie die bereits erwähnten „Revueltos“. Zudem bildeten im März 300 Frauen die Frente Nora Astorga (in Hommage an eine Märtyrerin der Revolution) und besetzten Regierungsbüros. Von anderer Seite verlautete, daß die am 28. Februar gegründete Nationale BäuerInnenkoordiantion (CNC) mit 5000 Mitgliedern starken Zulauf sowohl aus den Reihen der Contras wie der Sandinistischen Armee erhalte. Gleichermaßen koordiniert die Sandinistische Gewerkschaftszentrale (CST) landesweite Protestaktionen. Am 30. März entstand die „Coordinadora Nacional Popular“ (CNP), die u.a. Arbeiter*innen der FNT, Sandinist*innen, Kriegsopfer, Händler*innen, eine Arbeitslosenorganisation, Indìgena-Führer*innen aus Yatama an der Atlanktikküste und Ex-Contras vereint. Die CNP scheint zur stärksten Sammelbewegung der Volkssektoren aufgestiegen zu sein und die FSLN in dieser Funktion abgelöst zu haben.

HAITI

Proteste gegen neuen Regierungschef

(Haiti-Info, 10.6.1992).- Marc Bazin, der Vorsitzende der konservativen Partei MIDH (Mouvement pour l'Instauration de la Democratie en Haiti) ist von der Junta, die im September des vergangenen Jahres den gewählten Präsidenten Jean-Betrand Aristide gestürzt hatte, zum neuen Premiermnister ernannt worden. Die Ernennung Bazins rief im Land selbst und auf internationaler Ebene scharfe Proteste hervor. Bazin war bei den Präsidentschaftswahlen 1990 ein Bündnis mit der PANPRA von Serges Gilles (Mitglied der Sozialistischen Internationale) und einer kleineren Gruppierung (MNP 28) eingegangen. Sie hatten gemeinsam 14 Prozent der Stimmen errungen und landeten abgeschlagen hinter Aristide (67 Prozent) auf dem zweiten Platz. Marc Bazin hatte bereits unter dem ehemaligen haitianischen Diktator Duvalier ein Ministeramt inne und arbeitete für die Weltbank. Er galt als der Favorit der USA. Der derzeitige Präsident Nerette wird sein Amt niederlegen, sobald Bazin vom Parlament bestätigt worden ist. Die Ernennung Bazins und die Weigerung der Putschisten, den legitimen Präsidenten Aristide wieder als Staatsoberhaupt einzusetzen, hat national und international Proteste hervorgerufen. Das US-Außenministerium ließ verlauten, nur eine Rückkehr von Aristide sei akzeptabel. Die nordamerikanische Regierung werde der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) und der UNO eine militärische Intervention zur Wiedereinführung der Demokratie in Haiti vorschlagen. Der Generalsekretär der OAS, Joao Baena Soares, bezeichnete die Nominierung Bazins als Weiterführung des Staatsstreichs. Auch das französische Außenministerium verurteilte den Versuch, dem Putsch nachträglich einen legalen Anstrich zu verpassen. Frankreich werde nur die sogenannte Washingtoner Vereinbarung, die die Rückkehr des gestürzten Präsidenten vorsieht, unterstützen.

Die politischen Parteien in Haiti haben unterschiedlich auf die Nominierung Bazins reagiert. Die PANPRA von Serge Gilles äußerte Zweifel, daß Bazins die derzeitige Krise lösen könne. Der Senatspräsident Dejean Belizaire begrüßte dagegen die Ernennung. Die stärkste Parlamentsfraktion FNCD kündigte an, aus Protest gegen den neuen Regierungschef den Sitzungen des Senats künftig fernzubleiben. Die neue Regierung werde sich nur mit Hilfe starker Repression an der Macht halten können. Gleichzeitig mehrten sich die Protestaktionen gegen die Putschisten, die mit unverminderter Härte gegen Oppositionelle vorgeht. So verwandelte sich das Begräbnis des Großhändlers Georges Izmery in einen Demonstration, die von vielen Menschen begleitet wurde. Die Polizei ging gewaltsam gegen den Trauerzug vor. Aus den Slumgebieten werden nächtliche Schießereien gemeldet, jeden Morgen würden zahlreiche Leichen auf den Straßen gefunden. Zahlreiche Menschen wurden in Les Cayes und Camp-Perrin verhaftet, nachdem ein Polizeiposten von Unbekannten angezündet worden war. Die Polizei nahm auch Amtsträger der Stadt und einige Priester fest, durchsuchte den Bischofssitz von Les Cayes und plünderte etliche Häuser. 40 Angehörige der Kirchenkonferenz haben die Gewalt der Sicherheitskräfte verurteil. Schüler und Studenten protestierten mit der Vernichtung von Examensunterlagen gegen die Junta und griffen vereinzelt Polizisten an. Zahlreiche Schüler und Studenten sind verhaftet und mißhandelt worden. Ärzte des Generalkrankenhauses in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince klagten die Armee an, eine Person in dem Hospital ermordet und einen gerade operierten Patienten entführt zu haben.

FRAUEN

Die schwarzen Frauen in Lateinamerika

(Ecuador, Juni 1992, Alai-POONAL).- Vom 29. bis 25 Juli findet in der Dominikanischen Republik das Erste Treffen Schwarzer Frauen aus Lateinamerika und der Karibik statt, das von einer Kommission koordiniert wird, in der Organisationen aus Brasilien, Uruguay, Haiti, der Domininikanischen Republik und anderen Karbibikinseln vertreten sind. Sergia Galvan ist Mitarbeiterin dieser Koordination und erläutert in einem Gespräch mit der Agentur ALAI die Idee des Treffens: „Die Situation schwarzer Frauen in Lateinamerika und der Karibik ist bislang weder vertieft, noch jemals im überregionalen Zusammenhang analysiert worden.“ Konkrete Ziele des Treffens sind: ein Netzwerk schwarzer Frauen in Lateinamerika und der Karibik zu gründen, das den Austausch und die Kommunikation zwischen den verschiedenen Gruppen erleichtern und die Organisierung schwarzer Frauen in den jeweiligen Ländern fördern soll; Austausch von Informationen, Dokumentationen, Untersuchungen, Diskussionen; Einfluß nehmen auf die feministischen Organisationen und Frauengruppen, damit diese die Diskussion über Rassismus und die ethnischen Konflikte einbeziehen; und schließlich die Erarbeitung von Aktionsstrategien gegen Rassismus. Im folgenden erzählt Sergia Galvan von der Organisation schwarzer Frauen auf dem Kontinent von ihren Ansätzen und ihrem Verhältnis zu anderen Bewegungen.

Frage: In welcher Weise sind schwarze Frauen in Lateinamerika und der Karibik gegenwärtig organisiert?

Sergia Galvan: Der Organisierungsprozeß der schwarzen Frauen auf dem Kontinent ist sehr schwach, so daß wir nicht einmal von einer Bewegung schwarzer Frauen sprechen können. In einigen Ländern gibt es Organisationen schwarzer Frauen. Das Land, das am ehesten so etwas wie eine schwarze Frauenbewegung hat, ist Brasilien: dort gibt es tatsächlich die Erfahrung intensiver Auseinandersetzungen und einen höheren Organisationengrad schwarzer Frauen. Aber in den meisten anderen Ländern gibt es entweder schwache oder gerade erst gegründete Organisationen, oder es gibt sie überhaupt nicht. Zum Beispiel besteht eine Organisation in Venezuela gerade mal drei Jahre, ebenso in der Dominikanischen Republik. Dies hat die Organisation des Treffens sehr erschwert. Wir mußten die feministischen Gruppen der verschiedenen Länder um Unterstützung bitten, und dabei haben wir gemerkt, daß die meisten der feministischen Frauen gar nicht mit schwarzen Frauen als ethnische Gruppe arbeiten. Diese organisatorische Schwäche ist genau der Ansatzpunkt für das Treffen, mit dem wir den Organisierungsprozeß schwarzer Frauen fördern wollen.

Frage: Welches sind Euere wichtigsten Forderungen?

Wichtig ist, daß die meisten dieser Organisationen eher im Zusammenhang mit der Befreiungsbewegung der Schwarzen als mit der Frauenbewegung entstehen. Die Mehrzahl sind also gar keine feministischen Gruppen und haben oft nicht einmal geschlechtsspezifische Forderungen. Dennoch gibt es in Brasilien, in Uruguay, in der Dominikanischen Republik, in Venezuela und Kolumbien Organisationen, die angefangen haben, die Geschlechterfrage einzubeziehen. Die Hauptforderungen beziehen sich vor allem auf den Kampf gegen Diskriminierung: in der Erziehung, in der Gesundheitspolitik, im Alltagsleben und in der Sexualität. Im allgemeinen sind die Forderungen wenig geschlechtsspezifisch

Frage: Als ein Ziel des Kongresses hast Du die Schaffung von Freiräumen in den feministischen Organisationen erwähnt. Wie hat sich bislang die Beteiligung schwarzer Frauen im Innern der feministischen Bewegung ausgedrückt? Inwiefern haben diese eine Position gegenüber der ethnischen Problematik bezogen?

Es ist eines der Defizite der feministischen Bewegung, daß diese ganze Problematik bis jetzt noch nicht vertieft, nicht behandelt, nicht analysiert, nicht zu einem Teil der Strategien der feministischen Bewegung in Lateinamerika geworden ist. Die Situation schwarzer Frauen in den Organisationen ist nicht beachtet worden. Außerdem hat es bei der Mehrzahl der feministischen Kongresse auch keine bedeutende Beteiligung schwarzer Frauen gegeben, da deren Probleme nicht als einer der Leitlinien des Kampfes der Bewegung begriffen worden sind. Wir gehen davon aus, daß die ethnische Frage bzw. die Probleme schwarzer Frauen sehr viel mit der Situation der Frauen allgemein zu tun hat: es betrifft alles, was mit Sexualität zu tun hat, mit der Identitätsbildung, mit der Subjektivität der Frauen und mit dem Alltagsleben. Die Unterdrückung, die auch ethnisch bedingt ist, drückt sich im Arbeitsleben, in dem Bereich der Bildung aus. Die schwarzen Frauen sehen sich, neben ihrer geschlechtsspezifischen und klassenbedingten Unterdrückung, mit einer spezifisch ethnischen Unterdrückung konfrontiert. Wir glauben also, daß dies eine Realität ist, die von der feministischen Bewegung nicht länger unberücksichtigt bleiben darf. Deshalb haben wir uns zum Ziel gesetzt, die Reflektion und Problematisierung dieser Situation innerhalb der Bewegung anzukurbeln. Es handelt sich um eine komplexe Frage, eben weil es ein ethnisches Problem ist, und das sogenannte Rassenproblem berührt die Machtstrukturen auf institutioneller Ebene, auf staatlicher Ebene, in der Bildung, in der Kirche, im Alltagsleben und in der Welt der Wirtschaft. Eine wesentliche Dimension ist die Identitätsbildung der schwarzen Frauen. Schwarz wird häufig mit etwas Schlechtem, Häßlichem, Illegalem assoziiert. Ein Beispiel dafür ist die Sprache: „die schwärzeste Nacht meines Lebens“, der „Dollar-Schwarzmarkt“ (also der illegale Markt), „die schwarze Seele“ (also die schlechte Seele, der schlechte Mensch). Dies alles beeinflußt wesentlich die Herausbildung von Identität. Weil schwarz mit häßlich assoziiert wird, haben wir es mit Frauen zu tun, die sich häßlich fühlen, die diese Identität ablehnen.

Sexuelle Fantasien der Weißen

Wir sehen, daß schwarze Frauen oft eine sehr geringe Selbstachtung haben; wir sehen außerdem, daß sie ihre Kraft, ihre Sexualität, ihre Ethnie, ihre Kultur ablehnen. Diese Probleme kommen dann auch in der Welt des öffentlichen Lebens zum Ausdruck. Außerdem beeinflußt auch das staatliche Handeln den Rassismus und die Herausbildung ihrer Identität als Frau. So haben zum Beispiel die massiven Sterilisationskampagnen eine rassische, eine ethnische Komponente. Ebenso der gesamte Frauenhandel: die Frauen, die nach Europa oder in den Mittleren Orient gezwungen werden, um dort als Prostituierte zu arbeiten, sind in der Mehrzahl schwarze Frauen. Dabei spielen eine Reihe von Mythen über die Sexualität der schwarzen Frau eine Rolle: die unersättliche, die alles verschlingende Sexualität, etc. Die schwarze Frau geht also in diese Länder, um die sexuellen Fantasien weißer Leute zu befriedigen. Im Bildungsbereich ist die Beteiligung der schwarzen Frauen entwürdigend, oder es gibt sie schlichtweg überhaupt nicht. Auch in den Massenmedien werden wir ignoriert. Das ist ein weiterer Faktor, der in der Identitätsbildung eine Rolle spielt: es wird die abwesende Frau geschaffen, die nicht vertretene Frau, die Null-Frau. Wenn wir es als feministische Bewegung nicht schaffen, angesichts dieses Problems Antworten zu finden, werden wir unserer eigenen feministischen Utopie nicht gerecht werden. Es wird ein verdorbener Feminismus sein, wenn er nicht die Realität dieser großen Gruppe schwazer Frauen zur Kenntnis nimmt und einbezieht. In der Mehrzahl der Kongresse von Frauen aus Lateinamerika und der Karibik ist die Beteiligung der schwarzen Frauen sehr begrenzt; ich selbst hatte Gelegenheit, an einigen regionalen Treffen teilzunehmen, mit zwei- bis dreitausend Frauen, wo es dann eine Beteiligung von 10 bis 15 schwarzen Frauen gibt. Das ist ein großes Problem, aber ich habe auch die Hoffnung, daß sich in der feministischen Bewegung eine Bresche schlagen läßt, um dieses Problem zu diskutieren.

Frage: Wie sind die Frauenorganisationen innerhalb der antirassistischen oder schwarzen Bewegungen aufgenommen worden?

Nun, auch innerhalb dieser Organisationen gibt es einen ständigen Kampf, vor allem mit den feministischen Gruppen, die einen geschlechtsspezifischen Ansatz haben. Da gibt es den Kampf mit der patriarchalen Welt, da die Organisationen der schwarzen Bewegungen nicht außerhalb des Patriarchats stehen. Dort befinden wir Frauen uns auch in einem spezifischen Kampf, weil wir die Geschlechterfrage in den ethnischen Kampf einbringen müssen. Innerhalb anderer sozialer Organisationen dreht sich der Kampf in erster Linie darum, die ethnische Frage einzubeziehen. Aber ein wichtiger Teil der aktuellen Diskussion, dieses Versuchs, die schwarzen Frauen in Lateinamerika und der Karibik zu organisieren, ist die Verknüpfung der ethnischen mit der geschlechtsspezifischen Dimension. Zum Beispiel stoßen wir bei unseren Diskussionen auf ein großes Problem: den schwarzen Vergewaltiger. In unseren Ländern wird der schwarze Vergewaltiger oftmals angeklagt, weil er schwarz ist; das Vorgehen der Justiz wird bei einem schwarzen Vergewaltiger anders sein als bei einem weißen Vergewaltiger. Dies stellt für uns als Feministinnen ein großes Problem dar, weil wir einerseits dafür eintreten müssen, daß man ihn nicht wegen seines Schwarz-Seins anklagt, andererseits wollen wir, daß man ihm als Vergewaltiger den Prozeß macht. Deshalb ist es uns wichtig, daß die feministische Bewegung sich dieser Problematik annimmt, weil ich glaube, daß sich so ein Ausweg aus diesem Dilemma finden läßt.

Frage: In diesem Jahr, in dem eine Bewegung gegen die 500 Jahre Kolonialismus auftritt, werden einige neue Paradigmen zum ethnischen Zusammenleben in Lateinamerika formuliert. Wie siehst du die Beteiligung schwarzer Frauen innerhalb dieser neu entstehenden Bewegung?

Wir gehen davon aus, daß der offizielle Ansatz der 500-Jahres- Feiern den Rassismus stärkt. Aber in den Alternativveranstaltungen wird die Frage der „negritud“ (des Schwarz-Seins) nur ungenügend berücksichtigt. Der Alternativslogan war „500 Jahre Widerstand der Indianer und der Völker“; erst aufgrund starken Drucks von seiten der schwarzen Bevölkerung wurde auf dem Treffen in Guatemala der Zusatz gemacht: „500 Jahre Widerstand der Indianer, der Schwarzen und der Völker“ (500 años de resistencia india, negra y popular). Das heißt, nicht einmal in der Alternativkampagne war die Problematik der schwarzen Bevölkerung und des Rassismus auf dem Kontinent bedacht worden. Für uns war es sehr aufschlußreich, zu sehen, daß alle Energien auf die indigenistische Frage konzentriert waren. Wir glauben, daß es auch eine rassistische Haltung ist, die schwarze Identität und Präsenz auszublenden. Wir hoffen, daß unser Treffen ein Beitrag zu dieser Diskussion sein kann, daß die Volksorganisationen, die sozialen Organisationen und die fortschrittlichen Gruppen, die sich an der 500-Jahre-Kampagne beteteiligen, auch die Frage der „negritud“ einbeziehen, und das nicht bloß als Anhängsel. Es ist wirklich ermüdend, daß wir selbst in der Alternativkampagne darum kämpfen mußten, daß die schwarze Problematik einbezogen wird. Daher hat sich unsere Arbeit vor allem auf den Bildungsbereich konzentriert: die Organisation von Workshops und Seminaren, um die Diskussion zu verbreiten.

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