Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 192 vom 09.05.1995
Inhalt
GUATEMALA
PERU
MEXICO
HAITI
WELTFRAUENKONFERENZ
COSTA RICA
ECUADOR
BRASILIEN
URUGUAY
GUATEMALA
UNO und Katholische Kirche besuchen Widerstandsdörfer
(Guatemala-Stadt, 5. Mai 1995, cerigua-POONAL).- Eine Delegation der guatemaltekischen Bischofskonferenz unter Führung des Bischofs der Provinz Petén besuchte am 4. Mai in Begleitung einer führenden Mitarbeiterin der UNO-Mission zur Internationalen Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA) ein sogenanntes Widerstandsdorf im guatemaltekischen Teil der Selva Lacandona. Die Widerstandsdörfer im Petén wurden von den Überlebenden der Massaker gegründet, die die guatemaltekische Armee in den Jahren 1981 bis 1982 an der Zivilbevölkerung verschiedener landwirtschaftlicher Kooperativen verübte.
Das Dorf „Esmeralda“, in dem seit 14 Jahren hunderte von Personen, hauptsächlich Frauen und Kinder, überleben, erhielt zum ersten Mal in seiner Geschichte derart hochkarätigen Besuch. Die guatemaltekische Regierung und die Armee haben in der Vergangenheit die Existenz der Widerstandsdörfer stets geleugnet. „Es besteht kein Zweifel mehr, daß wir Zivilpersonen sind, Frauen, Kinder, Greise, und keine Kämpfer*innen,“ betonte ein Repräsentant der Widerstandsdörfer. Er wiederholte die Forderung der Bewohner*innen, in Frieden und Gerechtigkeit zu leben, ohne permanent der Mitgliedschaft in der Guerilla beschuldigt zu werden. Die MINIGUA versprach, den Problemen der durch den Krieg entwurzelten Bevölkerung besonderes Augenmerk zukommen zu lassen.
Guerilla fügt der Armee 28 Verluste zu
(Guatemala-Stadt, 4. Mai 1995, cerigua-POONAL).- Nach Angaben der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) hat die Guerilla den Regierungstruppen in mehreren Gefechten im Norden des Landes insgesamt 28 Verluste zugefügt. Allein bei einem bewaffneten Zusammenstoß am 30. April in der Provinz Quiché habe die Armee 19 Verluste erlitten. Durch Raketenbeschuß habe die URNG in verschiedenen Militäreinrichtungen beträchtlichen Sachschaden verursacht.
Explosion beschädigt mehr als 150 Geschäfte
(Guatemala-Stadt, 4. Mai 1995, cerigua-POONAL).- Durch eine Dynamitexplosion inmitten eines belebten Viertels im Westen der Hauptstadt wurden am frühen Morgen des 4. Mai 150 Geschäfte beschädigt. Präsidenten Ramiro de León bezeichnete den Vorfall als „terroristischen Akt“. Den genauen Schaden der Detonation konnte die Feuerwehr noch nicht genau beziffern. Unklar sind bislang auch die Hintergründe des Anschlags.
PERU
Fujimoris Wiederwahl amtlich
(Mexiko-Stadt, 6. Mai 1995, POONAL).- Der peruanische Wahlrat hat am 5. Mai Staatschef Alberto Fujimori offiziell zum Sieger der Präsidentschaftswahlen erklärt. Fujimoris zweite Amtszeit beginnt am 28. Juli dieses Jahres und endet am 28. Juli im Jahr 2000. Seine Stellvertreter sind Ricardo Márquez und César Paredes. Der Wahlrat sprach dem alten und neuen Präsidenten 64,4 Prozent aller am 9. April abgegebenen Stimmen zu. Die ihn unterstützende Koalition Cambio 90-Nueva Mayoría wird von den 120 Sitzen im Parlament 67 besetzen. Sprecher der Oppositionsparteien kündigten an, wegen zahlreicher Unregelmäßigkeiten die Annullierung der Parlamentswahlen zu beantragen. Der Wahlrat hatte fast drei Millionen Stimmen für ungültig erklärt.
MEXICO
Mai-Parade – Gewerkschaft will nicht mehr vor der Regierung
defilieren
(Mexiko-Stadt, 2. Mai 1995, POONAL).- Diesmal grüßte der mexikanische Präsident zum 1. Mai nicht vom Balkon des Nationalpalastes. Doch diesmal wären auch keine jubelnden Gewerkschafter an ihm vorbei defiliert. Zum ersten Mal seit der Gründung der regierungstreuen Gewerkschaftsverbände in den 30er Jahren hatte deren Führung den Demonstrationsmarsch zum 1. Mai abgesagt. Die Gewerkschaftsoberen fürchteten den Zorn Basis, die die Regierung für die grassierende Wirtschaftskrise verantwortlich macht. Ganz mochte die Gewerkschaftsführung allerdings nicht auf den Schulterschluß mit der Regierung verzichten. Mit dem greisen Fidel Velazquez vom Gewerkschaftsbund CTM an der Spitze zog die Führungsequipe der organisierten Arbeiterschaft indes eine geschlossene Veranstaltung mit 8.000 ausgewählten, jubelnden Mitgliedern vor. Dort konnte Präsident Ernesto Zedillo denn auch ohne Furcht davon reden, den zukünftigen Wohlstand teilen zu wollen.
Den Zocalo, den Platz vor dem Nationalpalast, füllten an diesem 1. Mai 1995 die unabhängigen Gewerkschafter. Nie zuvor war es ihnen gelungen, am Tag der Arbeit ins Zentrum der Macht vorzudringen. In den vergangenen Jahren hatten Polizeieinheiten stets verhindert, daß die offiziellen Feiern gestört wurden. Nur kleinen Gruppen gelang es hin und wieder, sich inmitten der Beifall klatschenden Menge mit Protesten bemerkbar zu machen. Diesmal zogen einige hunderttausend Menschen auf den großen Platz vor dem Sitz des Präsidenten. Ein Redner nannte sogar die Zahl von 1,5 Millionen, die Polizei dagegen wollte nur 60.000 Demonstrant*innen gesehen haben.
Übereinstimmend forderten alle Redner*innen grundlegende politische und wirtschaftliche Veränderungen. Mit einem sehr starken Aufgebot waren Arbeiter*innen des städtischen Busunternehmens Ruta-100, das die Hauptstadtverwaltung Anfang April in Konkurs gehen ließ, vertreten. Daneben waren vor allem Beschäftigte der Autonomen Nationaluniversität und Lehrer*innen zum Zocalo gezogen. Bemerkenswert war auch die starke Beteiligung der Schuldnervereinigung „El Barzon“. Sie gehört zu den am besten organisierten Gruppen im ganzen Land und hat mehrere Millionen Mitglieder. Bislang hatte sich der Barzon von Kundgebungen der politischen Opposition weitgehend ferngehalten.
Der Demonstration der unabhängigen Gewerkschaften auf dem Zocalo war der Premierencharakter deutlich anzumerken. Es fehlte eine einheitliche Regieführung, der Ablauf war nicht immer reibungslos. Als eine Gruppe von Demonstrant*innen versuchte, das Tor zum Nationalpalast aufzustoßen, drohte gar ein Zusammenstoß mit Polizei- und Armee-Einheiten. Nach Ansicht vieler Beobachter*innen hatten Provokateure den Vorstoß zum Präsidentenpalast initiiert, um Polizei und Armee zu gewaltsamem Einschreiten zu bewegen und die Demonstration im Chaos enden zu lassen. Eine Eskalation konnte jedoch verhindert werden. Der erste Aufmarsch der unabhängigen Gewerkschaften und Teilen der regierungstreuen Arbeitervertretungen wurde so zu einem eindrucksvollen Ereignis. Die Regierung scheint die Kontrolle über den 1. Mai verloren zu haben. Vor wenigen Jahren wäre das noch undenkbar gewesen.
HAITI
Aristide trifft sich mit Campesinobewegungen
(Port-au-Prince, 5. Mai 1995, hib-POONAL).- Am 30. April kam Jean- Betrand Aristide mit mehreren hundert Landarbeiter*innen zusammen. In Begleitung einiger Minister und Chavannes Jean-Baptiste von der Campesinobewegung Nasyonal Kongre Papay hörte er Klagen über fehlendes Land und die schlechte Versorgung. Er benutzte die Gelegenheit, mehrfach zu erklären, daß er derzeit wenig Kontrolle über den Staat und dessen Mängel habe. Gleichzeitig wies er darauf hin, er sei der einzige wirkliche Anwalt der Bevölkerung in der Regierung. Den Landarbeiter*innen sagte er: „Ihr seid der Staat“. Sie müßten dafür arbeiten, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen und den „Wagen“ vorwärts zu bringen.
Aristide kündigte die Gründung eines Agrarreforminstitutes an. Unter Beifall versprach er die sofortige Verteilung von Landtiteln an einige der anwesenden Gruppen. Treffen wie dieses hat der Präsident in letzter Zeit häufiger organisieren lassen. Dabei scheint er sich von seiner eigenen Regierung distanzieren zu wollen. Die Hälfte der Bevölkerung Haitis lebt auf dem Land, die Agrarfrage ist daher von entscheidender Bedeutung für die Lebenssituation der meisten Haitianer*innen – und somit auch für die Popularität des Präsidenten, der bei den kommenden Parlamentswahlen auf eine deutliche Mehrheit im Parlament hofft.
Lehrer*innen und Schüler*innen protestieren gemeinsam
(Port-au-Prince, 4. Mai 1995, hib-POONAL).- Mehrere tausend Lehrer*innen und Schüler*innen haben am 3. Mai für eine bessere Bezahlung der staatlichen Lehrkräfte und für bessere Arbeits- und Lernbedingungen in den Schulen demonstriert. Die Schulen blieben an diesem Tag geschlossen. Die Proteste richteten sich vor allem gegen Bildungsminister Emmanuel Buteau. Der Marsch führte vom staatlichen LehrerInnenkolleg zum Bildungsministerium, wo UNO- Soldaten den Eingang versperrten, und ging weiter zum Nationalpalast. Ein Sprecher einer der zwei Gewerkschaften, die die Demonstration anführten, kritisierte die Vernachlässigung des staatlichen Bildungswesens im Vergleich zu den Budgeterhöhungen anderer Ministerien.
Parlamentswahlen: Fassade für US-Hegemonie
(Port-au-Prince, April 1995, hib-POONAL).- Die USA wollen ihren starken Einfluß auf Haiti aufrechterhalten. Am 9. März 1995 versicherte der stellvertretende US-Außenminister Strobe Talbott den nordamerikanischen Senatoren: nach dem Truppenrückzug „werden wir über die Internationale Entwicklungsagentur (US-AID) und den Privatsektor (auf Haiti) am Ball bleiben“. Das Konzept, durch finanzielle und wirtschaftliche Abhängigkeiten die Kontrolle über andere Länder zu halten, ist nicht neu. John F.Kennedy erklärte die Strategie 1962 in seiner Rede über die „Allianz für den Fortschritt“ so: „Auslandshilfe ist eine Methode für die USA, eine Einfluß- und Kontrollposition in der ganzen Welt aufrechtzuerhalten und eine große Zahl von Ländern zu stützen, die Opfer der kommunistischen Bedrohung werden könnten.“ Zwar ist die „kommunistische Bedrohung“ mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion weitgehend verschwunden, die finanzielle Hilfe der USA ist jedoch nach wie vor deren strategischen Interessen untergeordnet. Die konkurrenzlose Vorherrschaft Nordamerikas hat indes die Spielräume vergrößert. Zählten die USA bis Mitte der achtziger Jahre noch vornehmend blutige Diktaturen in Lateinamerika zu ihren engen Verbündeten, so haben sie dort mittlerweile gewissen demokratischen Reformen zum Durchbruch verholfen, in demokratischen Wahlen gewählte Zivilist*innen haben längst die früheren Militärmachthaber von der Macht verdrängt.
Die gesellschaftliche Struktur hat sich indes nicht verändert, in den meisten Ländern verfügt eine kleine Oberschicht über den Grund und Boden, während die Mehrheit der Bevölkerung in großer Armut lebt. Wahlen haben vor diesem Hintergrund die wichtige Aufgabe, zumindest eine formaldemokratische Fassade aufrecht zu erhalten und die faktische Entrechtung eines Teils der Bevölkerung zu verschleiern.
Auf Haiti wird im Sommer ein neues Parlament gewählt. Das Land erlebt eine schwierige und von Widersprüchen gekennzeichnete Situation. 6000 ausländische Soldaten sind im Land stationiert und üben die Funktion einer Besatzungsmacht aus. Dazu kommen „Berater*innen“ in den Ministerien und strenge wirtschaftliche Auflagen. Haiti ist kein souveränes Land. Auf der anderen Seite herrschen Unsicherheit und Terror. Bewaffnete Banden, einige aus ehemaligen Soldaten oder paramilitärischen Einheiten zusammengesetzt, agieren nach Belieben, sie erpressen und bedrohen, vergewaltigen und morden. Die Entwaffnung der bewaffneten Milizen ist fehlgeschlagen, die Besatzungstruppen befleißigen sich einer ungeahnten Höflichkeit gegenüber den Paramilitärs, den Mitgliedern der FRAPH und der berüchtigten Tonton Macoutes. In Armee und Polizei haben bekannte Menschenrechtsverletzer nach wie vor hohe Posten inne.
„Auf Haiti herrscht eine Sklavenmentalität“
Trotz verfassungswidriger und undemokratischer Aspekte haben die für den Sommer vorgesehenen Wahlen eine Reihe von glühenden Befürwortern sowohl auf Haiti wie im Ausland gefunden. Die Internationale Zivile Mission der UNO, die Psychologischen Operationseinheiten (MIST) der UNO, das Amerikanische Institut für die freie Arbeitsentfaltung (AIFLD, 1962 geschaffen, um die lateinamerikanischen Gewerkschaften zu unterwandern), die US- Entwicklungsorganisation AID und seine Spender, die Internationale Migrationsorganisation (OIM) und das Nationalie Demokratische Institut (NDI): sie alle protegieren die Wahlen mit Seminaren, Werbekampagnen im Fernsehen, Spenden, Beratung, Broschüren, Flugblättern und finanziell gut ausgestatteten „Gemeindeprojekten“. Obwohl Schätzungen schwierig sind, scheinen allein die OIM und das NDI zusammen ein Budget von mehr als 20 Millionen Dollar für ihre Arbeit zu haben. Ein Blick auf ein Merkblatt, das die OIM für ihre Feldforscher*innen vorbereitete (aber angeblich nie verteilt haben will) zeigt, daß die Organisation die Haitianer*innen nur als bedingt demokratiefähig einschätzt:
„Auf Haiti herscht weiter eine Sklavenmentalität: Du bist der Chef, ich muß das machen, was Du sagst, aber Du must mir helfen, für mich und meine Familie zu sorgen… Auf Haiti akzeptieren die Massen ihr Schicksal, sie arbeiten hart, um zu überleben, so hart, daß sie entweder keine Zeit oder keine Energie haben, für die Verbesserung ihrers Schicksals zu kämpfen… In die haitianische Mentalität ist ebenso eingegraben, daß Du das Recht hast, alles zu machen, was Du willst, wenn Du Chef wirst… Im allgemeinen respektieren die Leute die befehlende Person und gehorchen ihren Regeln – Widerspruch wird aufgrund der Angst selten ausgesprochen. Es ist sinnvoll, diese Person herauszufinden, sich ihr vorzustellen und so einen Zugang zu bekommen… Es ist ausreichend (und sehr wichtig), daß sich diese Person nicht gegen Deine Einmischung sträubt… Viele Leute werden nicht verstehen, was Demokratie bedeutet…“
„Grundätzlich haben wir auch Vorbehalte gegen eine unkontrollierte Ausweitung der der politischen Demokratie“
Der Harvard-Professor Samuel P. Huntington schrieb 1975 in der Regierungsstudie „Die Krise der Demokratie: Bericht über die Regierungsfähigkeit von Demokratien an die Trilaterale Kommission“, Demokratie müsse zwar gefördert, aber auch kontrolliert werden, damit die Unterdrückten nicht aufbegehrten. Die Gefahr, so meinte das ehemalige Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, liege nicht „in interner Subversion von der Rechten oder Linken, obwohl beide Möglichkeiten existieren könnten“, sondern in „einer äußerst gebildeten, mobilisierten und partizipativen Gesellschaft… Grundätzlich haben wir auch Vorbehalte gegen eine unkontrollierte Ausweitung der der politischen Demokratie“. (Die trilaterale Kommission war aus einflußreichsten Persönlichkeiten der USA, Europas und Japans zusammengesetzt, die in verschiedensten Politik- und Wirtschaftsbereichen arbeiteten. Sie entstand 1973 auf Initiative von David Rockefeller und kann als Versuch gewertet werden, die Regierungs- und Nicht-Regierungspolitik mit dem Ziel eines größeren Nutzens für das transnationale Kapital zu beeinflussen).
Um sich der veränderten Welt anzupassen, entwickelten die USA Programme und Einrichtungen, die sich der „Demokratie-Förderung“ widmen sollten, etwa Institutionen wie die Nationale Stiftung für die Demokratie (NED), das „Zentrum für Demokratie“ (CFD, seit 1991 auf Haiti aktiv), die Internationale Stiftung für Wahlsysteme (IFES, auf Haiti engstens in den Wahlprozeß einbezogen), das NDI usw. Das AIFLD (ebenfalls auf Haiti aktiv), dessen Ansehen aufgrund seiner Verbindungen zum CIA und wegen verdeckter Aktionen Schaden litt, hat eine bemerkenswerte Auferstehung erlebt und erhält nun einen großen Teil der NED-Gelder. Im Jahr 1991 war in einem NED-Magazin zu lesen, die „Zivilgesellschaft“ könne „ein vermittelnder Anwalt zwischen Individuum und Staat sein, fähig, Konflikte zu lösen und das Verhalten ihrer Mitglieder ohne öffentlichen Zwang zu kontrollieren“.
Die Wichtigkeit der Demokratieförderung bestand nicht nur darin, stabile, respektierte Gesellschaften zu gründen, sondern ebenso die notwendigen Bedingungen für das Eindringen ausländischen Kapitals zu schaffen. Ein AID-Bericht von 1990 sagt es ohne Umschweife: „Demokratie ist komplementär und unterstützend beim Übergang zu marktorientierten Wirtschaften.“
Ein Blick nach El Salvador
Im März 1994 fanden in El Salvador Wahlen unter Bedingungen statt, die den heutigen auf Haiti nicht unähnlich waren. Das von den Vereinten Nationen forcierte Friedensabkommen beendete den zwölfjährigen von den USA finanzierten Krieg gegen die Nationale Befreiungsfront Farabundi Marti (FMLN). Eine „Wahrheitskommission“ veröffentlichte einen Bericht über die Unterdrückung. Doch wenige der Empfehlungen wurden befolgt und wie auf Haiti herrschte Straffreiheit. Die repressive Nationalpolizei war immer noch über das ganze Land verteilt und die neu ausgebildete Nationale Zivilpolizei – von denselben US-Einrichtungen unterrichtet wie auf Haiti – kam nur langsam voran und hatte bekannte Menschenrechtsverletzer in ihren Reihen.
Neben der Präsenz von AID, NDI, AIFLD, usw. gab es drei Hauptkennzeichen im Wahlkampf: – die Repression: Mindestens 32 FMLN-Führer*innen wurden ermordet. Das war eine unmißverständliche Warnung an jene, die für grundlegende Veränderungen zu stimmen gedachten. – technischer Wahlbetrug: Hunderttausende konnten sich aufgrund „bürokratischer“ Probleme nicht ins Wahlregister einschreiben. Am Wahltag wurden mindestens 100.000 weitere Personen am Urnengang gehindert. Fehlender Transport, Armeepräsenz in früheren FMLN- Hochburgen und andere Hemmnisse hielten die Wähler*innen fern. Auch der Wahlbetrug alten Stils fehlte nicht: die Toten wählten mit, Stimmen wurden gekauft. – starke Militärpräsenz der USA: El Salvador wurde nicht besetzt wie Haiti. Doch 1993 lancierte das nordamerikanische Verteidigungsministerium die „Operation Feste Straßen“ und entsendete hunderte US-Truppen mit umfassender Ausrüstung, um mit der salvadoreanischen Armee im Land zu arbeiten. Diese Teams bauten Schulen und Brücken in den Gemeinden, in denen die regierende ARENA-Partei das Sagen hatte. Eine eindeutigeBotschaft.
Das Ergebnis: Die FMLN verlor und die ARENA gewann. Die Beobachter*innen der UNO und der USA segneten die Wahlergebnisse wie erwartet ab, so wie es jüngst in Peru, Paraguay, der Dominikanischen Republik und Mexiko geschah. Die Situation auf Haiti ist zwar nicht identisch mit der in El Salvador, aber es gibt Gemeinsamkeiten. Die Repression wird toleriert, gelegentlich auch selbst organisiert, um die Demokratie- und Volksbewegung, die den USA nur begrenzte Sympathien entgegenbringt, in die Defensive zu drängen. Allerdings ist selbst die Vorstellung, die Aristide- nahe Lavalas-Bewegung könnte gewinnen, kein wirkliches Schreckgespenst mehr für die USA.
Die USA und der Privatsektor können mit der neuen, gezähmten Lavalas-Bewegung genauso zusammenarbeiten wie mit den meisten anderen traditionellen politischen Parteien. Jetzt ist ein gigantischer Apparat installiert, der der jeweiligen Regierung keinen Handlungsspielraum läßt. Die rigorosen wirtschaftlichen Richtlinien sind festgeklopft, das Besatzungsprinzip hat sich durchgesetzt und Demokratie ist auf fragwürdige Wahlen reduziert. Anders als im Fall El Salvador ermuntern die USA zu hoher Wahlbeteiligung, selbst wenn sie in der Tradition ihres „check- and-balance“-Prinzips gern eine „moderatere“ Partei als stärkste Fraktion im Parlament sähen.
Entgegen der Hoffnungen aller Planer*innen verlief die WählerInnenregistrierung bisher allerdings schleppend. Die Öffentlichkeit hat aus drei Gründen wenig Enthusiasmus gezeigt: wegen der Repression, wegen der Enttäuschung über die derzeitige Regierung und weil es bei den Juni-Wahlen „nur“ um Parlaments- und Gemeinderatssitze geht. Haitis „politische Kultur“ ist nun einmal mehr auf den Nationalpalast konzentriert. Die US-Regierung braucht diese Wahlen, um definitiv nachzuweisen, daß die „Demokratie“ „hergestellt“ wurde. Das Ergebnis der Wahlen gerät dabei beinahe in den Hintergrund: Egal wer gewählt wird, die nordamerikanische Vorherrschaft ist gesichert.
WELTFRAUENKONFERENZ
„Eine feministische Anstrengung in antifeministischer Welt“
Interview mit der mexikanischen Antropologin und Feministin Marcela Lagarde
(San José, 24. April 1995, sem-POONAL).- Frage: Was ist Ihre Perspektive für die IV. Weltfrauenkonferenz in Peking? Was haben die Frauen seit dem letzten Treffen in Nairobi erreicht?
Lagarde: Zur Zeit von Nairobi konzentrierte sich die politische und praktische Philosophie des Feminismus sehr darauf gehört zu werden. In Lateinamerika sind wir unseren Weg gegangen, haben gelernt, viel geforscht. Es sind viele Frauenorganisationen jeglichen Typs entstanden, Frauengruppen, die sich niemals mit solchen Sachen befaßt haben – und das alles innerhalb von zehn Jahren. In der ganzen Welt sind viele Frauenbewegungen entstanden. Mit verschiedenen politischen Ideologien und Ideen, aber mit gemeinsamen Zielen. Sie haben den Sprung geschafft, sie sind präsent, machen Vorschläge und haben Einfluß. Die Weltfrauenkonferenz in China ist nur ein Bestandteil unserer Entwicklung. Mir erscheint es sehr traurig, immer noch diese Weltkonferenzen zu haben. Das bedeutet, daß die Unterdrückung der Frauen immer noch besteht. Aber gleichzeitig hat die Konferenz eine große politische Bedeutung: die Zusammenkunft von Frauen aus den Regierungen und Nicht-Regierungsorganisationen, alle Teil der feministischen Bewegung.
Frage: Die drei Schwerpunkte in Peking sollen Frieden, Gleichberechtigung und Entwicklung der Frauenfrage sein. Welche Bedeutung messen Sie diesen Punkten bei?
Lagarde: Sie sind fundamental. Ich füge einen weiteren Punkt hinzu: die Demokratie. Es muß erwähnt werden, weil es nicht so selbstverständlich ist. In den letzten Jahren sind die Perspektiven, die Vorschläge und die Projekte im Hinblick auf die Geschlechterfrage ein Thema in der Politik geworden. Das scheint mir ein Fortschritt zu sein, aber gleichzeitig wird sie technokratisiert. Wichtig ist, behaupten zu können, sie sei vorhanden, der Inhalt ist unbedeutend. Die Regierungen und internationalen Organismen machen viel öffentliche Politik und Projekte über die Geschlechterfrage und Entwicklung. Doch sie machen die Geschlechterfrage ohne Feminismus und die Entwicklung ohne Demokratie. In Ländern wie den unseren erscheint mir der Zusammenhang zwischen Entwicklung, Feminismus, Frieden und Demokratie entscheidend zu sein. Es handelt sich um Probleme am Ausgang des Jahrhunderts, die für die Frauen nicht gelöst sind und wenn sie für uns nicht gelöst sind, sind sie für die Welt nicht gelöst.
Frage: Was wird auf dem Frauentreffen in China passieren?
Lagarde: Es wird politische Auseinandersetzungen, Konfrontation, Meinungsverschiedenheiten geben. Niedergeschlagenheit und Faszination. Das politische Aufeinandertreffen wird viel stärker sein als in Nairobi, denn in letzter Zeit hat es ein soziales Wachstum des Feminismus auf lokaler und regionaler Ebene gegeben. In Peking werden Frauen aus allen Politikebenen zusammentreffen und sie werden eine konzentrierte Erfahrung machen.
Frage: Glauben Sie, daß die Frauen vorbereitet sind, eine politische Führung in ihren Ländern und in der Welt auszuüben?
Lagarde: Die Frauen haben sich immer weiter vorangekämpft, wir haben voneinander gelernt und immer mehr Frauen haben wichtige Posten in der Gesellschaft erklommen. Ich kenne viele außergewöhnliche Frauen. Sie können argumentieren und streiten, sie sind erfinderisch und kreativ. Wir wollen, daß alle Frauen fähig sind, 'Nein' zu sagen, 'Ja' zu sagen, ihren Willen zu formulieren. Das bedeutet die Fähigkeit, Politik zu machen.
Frage: Immer noch gibt es eine allgemeine Abneigung gegen den Feminismus und die Feministinnen. Die Begriffe werden auf den Kampf gegen den Mann reduziert…
Lagarde: Peking ist eine feministische Anstrengung, auch wenn nicht alle dem Ereignis diesen Namen geben. Es findet inmitten eines organisierten Anti-Feminismus statt. Dieser hat in der Welt seine Institutionen, Regierungen, Armeen, Quellen finanzieller und produktiver Art, Geisteshaltungen. Der Anti-Feminismus agiert, ist neubelebt und gestärkt, denn er hat in der Debatte mit dem Feminismus gelernt, andere Argumente vorzubringen, obwohl diese normalerweise sehr archaisch und schlecht begründet sind. Wir können den Feminismus legitimieren, ihn von Mythen befreien, uns mit ihm identifizieren, ihn für jede Frau zugänglich machen und für jeden Mann, der bereit ist, scharf und ohne böse Absicht zu denken.
COSTA RICA
UNO-Konvention gegen Diskriminierung ratifiziert
(San José, Mai 1995, sem-POONAL).- Das Parlament Costa Ricas hat dieser Tage die „Interamerikanische Konvention zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“ der UNO ratifiziert. Diese Konvention erkennt das Recht der Frauen auf ein Leben ohne Gewalt an und soll supranationale Mechanismen gegen die Geschlechterdiskriminierung schaffen. 14 weitere lateinamerikanische Länder haben sie bereits unterzeichnet. Nach der costaricanischen Gesetzgebung erhält diese Konvention Verfassungsrang. Dies verpflichtet die Regierung, wirksame Maßnahmen zur Verhinderung und Sanktionierung von Gewalt gegen Frauen zu ergreifen.
ECUADOR
Erdölbosse Argentiniens und Chiles bei Flugzeugabsturz umgekommen
(Mexiko-Stadt, 7. Mai 1995, POONAL).- Bei dem Absturz eines Privatflugzeugs beim Anflug auf den Flughafen von Quito sind in der Nacht zum 4. Mai fast die gesamten Führungsspitzen des chilenischen staatseigenen Erdölförderkonzerns (ENP) und der argentinischen YPF (mit 20prozentiger Staatsbeteiligung) ums Leben gekommen. Nachdem zunächst einer widersprüchlichen Version zufolge das Flugzeug in der ecuadorianischen Stadt Machala notgelandet sein sollte, erklärte der argentische Präsident Menem am Morgen den Tod der Spitzenmanager. Die Maschine zerschellte demnach aus ungeklärten Ursachen, nachdem sie aus der Hauptstadt die Landeerlaubnis erhalten hatte. Während die ecuadoreanische Seite von optimalen Wetterbedingungen spricht, ist in der Menem-Version von Nebel die Rede. Sofort nach der Nachricht vom Absturz erlitten die Aktien der argentinischen YPF an den Börsen von New York und Buenos Aires beträchtliche Kurseinbussen. Eines der Opfer, der Chef der ENP, wurde inletzter Zeit als Nachfolger des chilenischen Wirtschaftsminister gehandelt.
BRASILIEN
Bedrohung der Atlantischen Küstenregenwälder
(Rio de Janeiro, Mai 1995, ibase-POONAL).- Die Nationale Bewegung der Opfer von Staudämmen (MAB) und die lokale Volksbewegung gegen den Ribeira-Staudamm versuchen, die Küstenregenwälder in Sao Paulo vor einem geplanten Staudammbau am Ribeira do Iguapó, einem der letzten lebendigen Flüsse des Bundesstaates, zu retten. Dort beabsichtigt die Votorantim-Gruppe, eines der mächtigsten Industrieunternehmen Brasiliens, den Bau des Tijuco Alto Hydroelectric, ein Staudamm zur Stromerzeugung. Die gesamte Anlage soll privat finanziert werden und der gesamte Strom soll für ein neues Aluminiumwerk der Votorantim-Gruppe verwendet werden. Soziale und Umweltkosten dagegen werden in der Planung nicht berücksichtigt, sie müssen von der Allgemeinheit getragen werden. Weichen müßten diesem Damm große Teile des Küstenregenwaldes Sao Paulos (an dieser Stelle befinden sich rund 80 Prozent des Bestandes von ganz Sao Paulo), traditionelle Bevölkerungsgruppen inklusive der Erben verschiedener Quilombos. Das sind ehemalige Fluchtdörfer entlaufener Sklaven, die vor mehr als hundert Jahren gegründet worden waren. Eine vorläufig ausgesprochene Lizenz zum Bau wurde wegen Verfahrensfehlern widerrufen.
Fabio Feldmann, Umweltsekretär des Staates Sao Paulo und unterschiedliche nationale und internationale Umweltverbände erklärten die IBAMA zur Hauptverantwortlichen dafür, daß das Regierungsdekret 750/93 zum Schutz der atlantischen Regenwälder nicht umgesetzt und eingehalten wird. Auch der aktuellen Regierung warfen sie vor, dieses Dekret zu mißachten.
Das Dekret wird als eine der fortschrittlichsten und wichtigsten Hilfen zum Umweltschutz in Brasilien angesehen. Es wurde 1993, nach längerer Auseinandersetzung mit unterschiedlichen interessierten Organisationen von Präsident Itamar Franco festgeschrieben. Seitdem wurde es auch als Basis für internationale Verträge benutzt, z.B. für das Pilotprogramm zur Rettung der Tropenwälder Brasiliens, oder das Mata Atlantica- Programm, die beide auch von der UNESCO anerkannt wurden.
Schon im ersten Jahr nach Erscheinen des Dekretes taten sich aber die IBAMA und der damalige Umweltminister Henrique Brandáo Cavalcante vor allem dadurch hervor, daß sie die erwünschte Wirkung des Dekretes durch unterschiedliche und sich widersprechende Verordnungen wieder unterliefen. Nun wies die Leitung der IBAMA ihre Büros in den brasilianischen Bundesstaaten sogar regelrecht an, das Dekret zum Schutz der Mata Atlantica nicht mehr zu beachten. Sie benutzte dabei Argumente, mit denen Holzexportfirmen vor keinem Gericht hätten bestehen können, hätten sie versucht, dergleichen zum Kaschieren illegaler Rodung zu gebrauchen.
Paradoxerweise wurden die Verantwortlichen dafür nun aber sogar mit Beförderungen auf höhere politischen Positionen belohnt. Sra. Nilde Pinheiro übernahm die Hauptgeschäftsleitung der IBAMA, Ex- Minister Henrique Brand¶o Cavalcante wurde von der Regierung zur Präsidentschaft einer Kommission zur wirtschaftlichen Entwicklung vorgeschlagen. Brasiliens Umweltverbände begannen heute deshalb eine Kampagne zum Schutz der Atlantischen Regenwälder, bei der auch internationale Umweltverbände mitwirken.
Landkonflikte zwischen Großgrundbesitzern und Indígenas
Rio de Janeiro, Mai 1995, ibase-POONAL).- In Palmeira dos Indios, Alagoas wächst die Spannung zwischen den Xukuru-Kariri und militanten Großgrundbesitzern. Anfang dieses Jahres war der Kazike Luzarel Ricardo von den Farmern umgebracht worden. Die Täter blieben trotz der Initiative des Indianermissionsrates CIMI und der Indianerkommission Ost-Nordost auf freiem Fuß. Dann kehrte der Xukuru-Kariri Zé Novo nach der Erledigung einer Angelegenheit nicht mehr nach Hause zurück. Eine Woche zuvor war der Großgrundbesitzer Hélio Alves von der Umweltbeh÷rde IBAMA beim Holzfällen im Indianergebiet gestellt worden.
Als die IBAMA-Beamten das geschlagene Holz und die Arbeitsgeräte konfiszierten, gab der Großgrundbesitzer Schüsse in die Luft ab, um die Indianer einzuschüchtern. Indianer und Missionare gehen von einem politischen Mord an Zé Novo aus, da dieser im letzten August die Leitung bei einer Wiederbesetzung indianischen Landes übernommen hatte.
Die Bedrohung der Indianer ist alltäglich in der Region. Am Internationalen Tag der Frau nahmen Indianerinnen an einem Demonstrationszug teil, wurden jedoch von den Großgrundbesitzern abgedrängt und verfolgt. Das CIMI-Büro wird telephonisch überwacht und Drohungen werden ausgesprochen. „Hört auf damit, Land zu nehmen und es den Indianern zu geben.“
Die Studien der staatlichen Indianerschutzbehörde FUNAI bestätigen, daß die Ländereien (13.000 Hektar zusammenhängendes Land), rechtmäßig den Indianern zustehen. Die Demarkationsvorbereitungen wurden 1993 begonnen. Seit dem 19. März versucht nun eine Delegation der Indianer in Gesprächen mit der FUNAI und dem Justizminister zumindest die bereits versprochene Arbeitsgruppe der FUNAI zur Demarkation ihres Gebietes durchsetzen zu können.
Mehrheit für Privatisierung
(Rio de Janeiro, Mai 1995, ibase-POONAL).- Die Mehrheit der Brasilianer*innen wünscht die Privatisierung von staatlichen Monopolbetrieben. Dies geht aus einer repräsentativen Umfrage des Instituts Vox Populi hervor, an der 3.100 Personen teilnahmen. Im Telekommunikationsbereich sind 44 Prozent sind für eine Privatisierung der staatlichen Telekommunikationsgesellschaft, 33 Prozent sind dagegen, die Stromversorgung sehen 45 beim Staat in schlechten Händen, 32 Prozent wünschen keine Veränderung. Für die Privatisierung der Petrobras (Erdöl) sind 42 Prozent, 35 Prozent sind dagegen. Bei der Companhia Vale do Rio Doce (Bergbau) votierten 41 für und 30 gegen den Verkauf. Allein die Bundesbank Banco do Brasil möchten die Brasilianer*innen der Umfrage zufolge nicht in private Hände geben. 39 Prozent stimmten gegen die Privatisierung, 38 waren dafür.
Allerdings dürfte die Umfrage die privatisierungsbereite Regierung von Fernando Enrique Cardoso kaum beruhigen. Denn sie zeigt gleichsam auch ein politisch bedenkliches Widerstandspotential gegen eine weitreichende Privatisierungspolitik – selbst wenn ein bisheriges Tabu, die Privatisierung der Ölgesellschaft Petrobras, dem Symbol der nationalistischen Bewegungen der 50er Jahre, aufgebrochen wurde.
URUGUAY
Anzeige gegen Innenminister wegen Mord an Demonstrant
(Montevideo, Mai 1995, mate amargo-POONAL).- Am 24.August letzten Jahres war es während der Ausweisung dreier Basken zueinem blutigen Polizeieinsatz vor dem Krankenhaus „El Filtro“gekommen. Während die Staatsanwaltschaft immer noch gegen einige Polizisten und Demonstrationsteilnehmer*innen ermittelt, hat die Auseinandersetzung über die Vorfälle jetzt noch einmal eine neue Dimension bekommen. Die Mutter Fernando Morronis, der bei dem Polizeieinsatz getötet worden war, hat gegen den damaligen Innenminister Gianolla Anzeige erstattet. Der Schriftsatz ist nicht nur von Norma Morroni, sondern auch von E. Fernandez Huidobro, Jose Mujica, Jorge Zabalza und Lopez Mercao unterzeichnet, die im Zusammenhang mit den gleichen Ereignissen wegen Vergehen gegen das Pressegesetz angeklagt sind.
Die Mutter von Morroni gab folgende Begründung für ihr Vorgehen an: „Die Anzeige wurde gegen die Personen gestellt, die für den Einsatz während der Ausweisungen verantwortlich waren. Wir klagen niemanden direkt des Mordes an, aber wir möchten zumindest sehen, wie die Verantwortlichen reagieren. Was ich wirklich will, ist Gerechtigkeit; ich will, daß über den Tod meines Sohnes Gerechtigkeit gesprochen wird. Denn es war ein ungerechtfertigter Tod, ein Mord.“ Der Staatsanwalt hat bis jetzt nicht feststellen können, wer für den Tod verantwortlich ist, da sich die Polizisten gegenseitig decken und jegliche ernsthaften Ermittlungen erschweren. Es wurde zwar gegen sieben Polizisten Anklage erhoben, gegen keinen von ihnen jedoch wegen Mordes. Eine der mit dem Fall befaßten Rechtsanwältinnen erklärte, daß es genügend Anhaltspunkte gebe, um zu beweisen, dass der Polizeieinsatz in dieser Nacht von höherer Stelle verfügt worden war.“Der erste Anhaltspunkt ist der Einsatzbefehl, der vom damaligen Innenminister unterschrieben ist, und der eindeutig aussagt, wer für den Einsatz verantwortlich war, wer Einsatzleiter war, etc. Außerdem handelte es sich bei dem Vorgehen der Polizisten nicht um Exzesse von drei oder vieren, sondern um einen zeitlich koordinierten Einsatz. Das alles läßt darauf schließen, daß es entsprechende Befehle von höherer Ebene gab und nicht untere oder mittlere Befehlsempfänger verantwortlich sind, die der Staatsanwalt wegen Befehlsgehorsam von der strafrechtlichen Verfolgung ausnehmen will. Gianolla, immer noch Ehrenmitglied des Vorstandes der Partido Nacional, hat die Anklageerhebung gegen sich als „absurd“ bezeichnet.
Zur gleichen Zeit ist einer der drei ausgewiesenen Basken nach seinem Freispruch durch die spanischen Justizbehörden nach Uruguay zurückgekehrt. Es handelt sich um Mikel Ibanez, der sich wieder in Uruguay niederlassen und weiter seinem Beruf als Koch nachgehen will. In seinen ersten Erklärungen nach seiner Rückkehr äußerte er Erstaunen und Dank für die Reaktion der Uruguayer*innen. Besonders bedankte er sich bei den Ärzten und Angestellten des Krankenhauses „El Filtro“, wo die drei Basken aufgrund der Folgen ihres Hungerstreiks interniert waren. Über die Gründe für seine Festnahme in Uruguay gab er an, daß die Regierung Felipe Gonzalez einen Erfolg gegen die Befreiungsbewegung des Baskenlandes habe vorweisen müssen und der gewünschte Schlag in Uruguay erfolgt sei. Ibanez habe es für unmöglich gehalten zu beweisen, daß alle Aussagen gegen ihn unter Folter erpresst worden seien. „Während des Prozesses hatten die anderen Angeklagten jedoch erklärt, ihre Aussagen aufgrund von Misshandlungen gemacht zu haben.
Familienangehörige von Verschwundenen fordern Aufklärung von Menem
(Montevideo, Mai 1995, mate amargo-POONAL).- Die Familienangehörigen der in Argentinien Verschwundenen Uruguayer*innen haben sich in einem Brief an den argentinischen Präsidenten Menem gewandt. Darin beziehen sie sich auf die Aussagen des argentinischen Korvettenkapitäns Scilingo über die Morde an von den Militärs festgenommenen Personen in der „Escuela de Mecanica de la Armada“ in den Jahren 1976-1983. Der Brief, der sich an Menem in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber der Streitkräfte richtet, weist darauf hin, daß mehr als 130 Uruguayer*innen in Argentinien verschwunden sind, von denen man mit Sicherheit weiß, daß sie von den argentinischen Streitkräften festgenommen wurden. Unter Berufung auf internationale Menschenrechtsabkommen, die Argentinien unterzeichnet hat, wird eine vollständige Liste der in besagter Militärschule festgenommenen Uruguayer*innen gefordert. Des weiteren wird eine rückhaltlose Aufklärung der Vorfälle verlangt, d.h. „wie, wann und wer sie festgenommen hat und ihr letztendliches Schicksal bestimmt hat“.
Auf der anderen Seite haben die selbstkritischen Aussagen des Generaloberst, Martin Balza, in Uruguay Auswirkungen gezeigt. Balza, Generalstabschef des argentinischen Heers, hatte die Verantwortung der Militärs für die Menschenrechtsverletzungen während der Militärdiktatur in Argentinien zugegeben. Der uruguayische Verteidigungsminister, Dr. Raul Iturria, hatte daraufhin weit von sich gewiesen, daß die Aussagen Balzas über das Verhalten der argentinischen Militärs während des „schmutzigen Krieges“ irgendeine Auswirkung auf die uruguayischen Streitkräfte haben könnten. Zu gleicher Zeit hatte der uruguayische Präsident, Sanguinetti, während dessen erster Regierungszeit das Amnestiegesetz für Militärs verabschiedet worden war, an einem Treffen mit höchsten Militärangehörigen teilgenommen. Das wird als klares Indiz gewertet, daß Regierung und Militärs die Reihen schließen, um eine erneute öffentliche Diskussion des Themas zu verhindern.
Menschenrechtsorganisationen haben in diesem Zusammenhang betont, daß das Amnestiegesetz zwar die Verantwortlichen von der strafrechtlichen Verfolgung wegen Folter, Mord und anderer Delikte ausnehme, gleichzeitig aber vorsehe, das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären. Letzteres ist aufgrund der geringen Kooperationsbereitschaft der Militärs bisher nicht ernsthaft versucht worden.
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