Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 118 vom 08.11.1993
Inhalt
HAITI
MEXIKO
GUATEMALA
KOLUMBIEN
KUBA
EL SALVADOR
MITTELAMERIKA
LATEINAMERIKA
(Mate Amargo – POONAL).- Die lateinamerikanische Linke steht jetzt
HAITI
Haitianischer Journalist in Miami ermordet
(Port-au-Prince, 30. Oktober 1993, HIB-POONAL).- Ein bekannter haitianischer Journalist wurde am 24. Oktober in Miami ermordert. Der Mord an Dona St. Plite ist der dritte Anschlag auf demokratisch eingestellte haitianische Journalisten in den USA innerhalb von zwei Jahren. St. Plite, der seit 1986 ein zweistündiges Programm präsentierte, wurde vor einer Schulaula von mehreren Schüssen getroffen und starb wenig später im Hospital.
Als Geschäftsmann und aktives Mitglied der Gruppe Veye Yo (Beobachte sie) der Ti Legliz (kleine Kirche) war St. Plite in der Schule, um an einer Spendensammelung für die Familie eines anderen getöteten Journalisten, seines früheren Kollegen Fritz Dor, teilzunehmen. Dor und ein weiterer Journalist, Jean-Claude Olivier, wurden 1991 erschossen. Der Bundesstaat Florida hat zwei professionelle Killer dafür verurteilt.
„Der Mord an St. Plite war definitiv politisch bestimmt“, sagte Rolande Dorancy, die Direktorin des Haitianischen Flüchtlingszentrums in Miami. Einige sagen, daß St. Plite auf einer Liste stand, die 36 demokratisch eingestellte Haitianer*innen in der „Diaspora“, daß heißt in der haitianischen Gemeinde außerhalb Haitis, umfaßt. Ein anderer Haitianer, der ungenannt bleiben möchte, sagte, daß die antidemokratischen Kräfte „eine Terrorkampagne“ gegen jene Haitianer*innen in den USA begonnen hätten, die für die Demokratie arbeiten.
Zumindest sind zwei weitere demokratisch eingestellte Haitianer in diesem Jahr ermordet worden. Der 33jährige Lionel Louis wurde am 11. September erschossen. Er war Sprecher des Komite Beton Devan ONI (Komitee der Straße gegenüber der UNO), das seit dem Putsch eine ständige Mahnwache vor der UNO abgehalten hat. Einige Monate vorher, am 5. Juni wurde der Geschäftsmann Wilner Boucicault, 44 Jahre alt, bei seiner Arbeit erschossen.
Präsident Aristide wird unter Druck gesetzt
(Port-au-Prince, 31. Oktober 1993, HIB-POONAL).- Nach dem Scheitern der Rückkehr des gewählten Präsidenten Aristide erwarten der Präsident und seine Sympatisant*innen eine Reaktion der Internationalen Gemeinschaft. Die große Angst besteht in diesen Tagen in der Drohung der internationalen Kräfte, den Prozeß von Governor's Island zu beenden.
Präsident Jean-Bertrand Aristide und die Bewegung im allgemeinen befinden sich unter dem Beschuß einer Offensive von zwei Seiten: den internen rechten Kräften, die die Streitkräfte einschließen und ihren internationalen Unterstützer*innen. In sorgfältig geplanten Angriffen stärken sich diese beiden Sektoren gegenseitig, während sie sich auf ihr Endziel zubewegen – den Präsidenten in Mißkredit zu bringen und somit seine Rückkehr zu verhindern.
Der Terror hat kein Ende
Die Unterstützer*innen des Putsch-Regimes verstärkten ihre Einschüchterungskampagne nach dem 3. Juli mit Terror und Massaker an der Bevölkerung. Am hellichten Tag erschoßen sie Demokraten wie Antoine Izmery, den Justizminister Guy Malary und Führer*innen der Armenviertel. Das Rathaus, das Parlament und seit kurzem die komplette Zone um den Regierungspalast werden von den schwer bewaffneten paramilitärischen Attachés kontrolliert. Fast die gesamte öffentliche Verwaltung wurde von ihnen zum Erliegen gebracht.
Gleichzeitig ist das Militär voll in den Krieg gegen die verfassungsmässige Regierung eingetreten. Es schreibt Briefe und gibt Erklärungen ab, die die Regierung von Robert Malval in die Defensive zu drängen versuchen. Die Putschunterstützer*innen haben mit dem „Krisenkomitee“ ebenfalls eine Offensive begonnen. Es trat illegal zusammen, um eine neue Tagesordnung vorzuschlagen. In einem entscheidenden Moment wurde dies von den Offiziellen der UNO und der USA sowie einer falscher Berichterstattung Dutzender Korrespondent*innen unterstützt, die das Komitee als eine repräsentative Gruppe beschrieben.
Die Hauptakteure dieser Gruppe sind Antoine Joseph, Präsident der Abgeordnetenkammer, Mitglied der Bewegung für die Einführung der Demokratie auf Haiti (MIDH); Julio Larosiliere von der Vereinigung der Nationalen Fortschrittlichen Demokraten (RDNP), ehemaliger Schatzmeister des Senats, der eine Korruption auf hohem Niveau überwachte; Thomas Eddy Dupiton, wortgewaltiger Verteidiger des Staatsstreiches; Bernard Sansariq, kürzlich in einem der Presse im geheimen übergebenen Dokument als Agent des CIA identifiziert und Duly Brutus von der Nationalen Fortschrittlichen Revolutionären Haitianischen Partei (PANPRA), bekannt durch seine Sabotage der Washingtoner Vereinbarungen von 1992.
Das Ergebnis dieser Machenschaften insgesamt ist, daß über keines der im Abkommen (von Governor's Island) geforderten Gesetze abgestimmt worden ist, obwohl der Präsident das Parlament schon Anfang September zusammenrief.
Die USA erkennen das illegale „Krisenkomitee“ an
In entscheidenden Momenten der letzten Wochen haben die USA und andere die Offensive vor Ort unterstützt – mit Erklärungen oder Aktionen wie mit dem Rückzug der Harlan County und mit ständigem Druck auf den Präsidenten, obwohl er alle Schritte des Abkommens erfüllt hatte.
Die USA üben weiterhin Druck auf Aristide aus, damit er über sein Amnestiedekret hinausgeht und für ein Amnestiegesetz stimmt – ein Schritt, der im Abkommen nicht vorgesehen ist. Die Erklärungen und Manipulationen der nordamerikanischen Botschaft auf Haiti sind mit den Offensiven der Rechten vor Ort und den Angriffen in Washington gut koordiniert. Das jüngste Beispiel ist die offene und ausdrückliche Unterstützung der US-Botschaft für das pro-Putsch eingestellte „Krisenkomitee“, das einen Elf-Schritte-Plan präsentierte, um die momentane Situation „aufzulösen.“ Obwohl das Komitee illegal ist, erkannte die Botschaft die Gruppe an und – was noch schlimmer ist – erklärte den Vorschlag für positiv.
USA forden für die Militärs einen Zugang zur Regierung
Noch bevor die verfassungsmäßige Regierung sich zu dem Plan äußerte, lud der Vermittler der UNO/OEA, Dante Caputo verschiedene ausländische Persönlichkeiten einschließlich Jimmy Carter ein, um sicherzustellen, daß die demokratischen Parlamentarier*innen zurückkehren und (darüber) abstimmen können. Durch den neuen Botschafter William Swing übten die USA auch Druck auf Premierminister Malval aus, damit dieser seine Regierung für die Putschisten öffne. Diese am 20. Oktober gemachte Forderung, daß promilitärische Minister im Kabinett vertreten sein sollen, ist eine Forderung der Putschführer.
Diese Angriffe und Machenschaften im letzten Moment auf lokaler und internationaler Ebene dürfen nicht überraschen. Die Befürworter des Staatsstreiches beabsichtigen, daß Präsident Aristide nicht zurückkehrt. Sie sabotieren das Abkommen. Wenn die USA sich gezwungen sehen, die Rückkehr des Präsidenten zu aktzeptieren, wird es ein „verkleinerter“ Präsident sein, der nicht in der Lage ist, die amerikanische Vorherrschaft zu bedrohen. Die USA haben ihr „Gleichgewichtssystem“ noch nicht vollständig entwickelt. Die traditionellen nordamerikanischen Vertreter – Marc L. Bazin, Déjean Belizaire, Dupiton und andere – raubten das Land aus und waren korrupt. Sie zeigten sich unfähig, die nordamerikanischen Interessen zu verteidigen. Daher haben die USA objektiv ein Interesse an den zuletzt eingetretenen Verzögerungen.
Als sich Präsident Aristide am 28. Oktober mit einer Erklärung an die UNO wandte, in der er sich gegen die lokalen und internationalen Offensiven wehrte und gleichzeitig der internationalen Gemeinschaft zu versichern suchte, daß er weiterhin an den Liberalismus glaubte. Er sprach sich jedoch gegen einen unkontrolierten Neoliberalismus aus, als er über einen Artikel der haitianischen Verfassung sprach, der den Unternehmen nur dann „wirtschaftliche Freiheit“ garantierte, wenn sie sich nicht „sozialen Interessen“ entgegenstellten.
Aristide lehnt eine allgemeine Amnestie weiterhin ab
Aristide gab verschiedene Garantien ab, versuchte aber auch Druck auf die internationale Gemeinschaft auszuüben, die keine positive Rolle beim Verlauf des Abkommens gespielt hat. Er forderte eine „absolute und ganzheitliche Blockade“ sowie den Rücktritt von Cedras, von Oberst Michel Francois und dem gesamten Oberkommando der Streitkräfte. Trotz der nicht endend wollenden Unterdrückung auf Haiti verband der Präsident jedesmal, wenn er von der Versöhnung – einer von Beginn an auferlegten Bedingung – sprach, diese mit der Gerechtigkeit. Die Straflosigkeit weist er weiterhin zurück.
Aristide ging auch in die Offensive, als er den Putsch als „Völkermord“ bezeichnete – ein Verbrechen, daß internationalen Verträgen zufolge nicht amnestiert werden kann. „In rechtmäßiger Ausdrucksweise kann der Mord eines Volkes als nichts anderes als Völkermord bezeichnet werden“, sagte er. Aristide entlarvte weiter die Putschunterstützer*innen, die angeblich Nationalisten sind, ihre imperialistischen Verbündeten und ihre wahren Ziele: „Ihr Ziel ist es auszulöschen, um zu herrschen“, sagte er. „Herrschen, um den demokratischen Prozeß zu vernichten und ihn durch den Neokolonialismus zu ersetzen.“ Er griff auch den Drogenhandel an und offerierte Zahlen darüber, wieviel Geld das haitianische Militär aus dem Drogengeschäft zieht. (Auch dies kann nicht amnestiert werden.)
Es kann sein, daß diese Oppositionskräfte inner- und ausserhalb des Landes einen Vorteil aus der Tatsache zu ziehen versuchen, daß der Präsident nicht wie vorgesehen gestern zurückkehrte. Vielleicht werden sie einen pseudo-legalen Staatsstreich versuchen und eine „provisorische Regierung“ errichten und zu neuen Wahlen aufrufen. Ganz egal welches Abenteuer sie eingehen wollen, die extremistischen Kräfte müssen schnell agieren, bevor der Vorschlag von Caputo über „dringende Verhandlungen“ von den anderen Sektoren akzeptiert wird. Unter diesen Umständen muß die Regierung Malval vorsichtig operieren und darf unter keiner Bedingung abtreten. Dieses entstehende Machtvakuum würde den rechten Kräften sicher einen Vorwand für den Versuch eines Abenteuers bieten, daß zum Scheitern verurteilt ist.
MEXIKO
Menchú bestürzt über mögliche Absetzung des Bischofs Samuel Ruiz
(Mexiko-Stadt, 4. November 1993, cerigua-POONAL).- Rigoberta Menchú, Friedensnobelpreisträgerin 1992, drückte heute ihre Bestürzung über die mögliches Absetzung des Bischofs der Diozöse San Cristobal de las Casas, Samuel Ruiz, aus. Sie sandte einen Offenen Brief an den obersten katholischen Kirchenführer, Papst Johannes Paul II. Dem Bischof haben verschiedene soziale Sektoren aufgrund der Nachricht, daß die Bischofskonferenz des Vatikans seine Absetzung gefordert hat, in den letzten Tagen ihre Unterstützung ausgedrückt. Ruiz leitet die Diozöse im Süden Mexikos seit 33 Jahren.
Menchú wies darauf hin, daß sie persönlich die „Solidarität und Nähe“ des Bischofs erfahren habe. Sie erklärte, sie stehe in der tiefen Schuld der von Ruiz geleiteten Diozöse San Cristobal de las Casas. Dort habe man ihr geholfen, sich vom Verlust ihrer nächsten Familienangehörigen zu erholen, die im vergangenen Jahrzehnt vom guatemaltekischen Militär ermordet wurden.
Der Bischof hat auch direkt an der Rücksiedlung der guatemaltekischen Flüchtlinge im Süden Mexikos mitgearbeitet. Sie appellierte an des Papstes „Sensibilität als Priester“ und versicherte, daß „Don Samuel“ mit seinen Taten und Worten unter den 40.000 offiziell anerkannten Flüchtlingen im Südosten Mexikos das „Evangelium verbreitet hat“.
GUATEMALA
Vertriebene besetzen Land
(Guatemala, 25. Oktober 1993, NG-POONAL).- Der Nationale Rat der internen Vertriebenen Guatemalas (CONDEG) hat die Regierung aufgefordert, dringende Maßnahmen zu ergreifen, um das Problem der internen Vertriebenen zu lösen, die ihre Heimatorte in den Provinzen wegen der Angriffe des Militärs verlassen müssen. Der Forderung schloß sich die Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchú Tum an, die die Landbesetzung durch Vertriebene in Guatemala-Stadt rechtfertigte. Sie versicherte, daß die Situation der Bauern und Bäuerinnen, die seit dem vergangenen Jahrzehnt als Flüchtlinge in den guatemaltekischen Städten sind, gelöst werden muß und daß sie jetzt Land zum arbeiten und wohnen brauchen. Anfang November haben dagegen rund 200 Polizisten Landarbeiter*innen vetrieben, die an der Südküste Guatemalas zwei Fincas besetzt hielten, um der Beachtung ihrer Forderungen nach Landbesitz und Produktionsmöglichkeiten Nachdruck zu verleihen.
Der Führer des CONDEG, Lorenzo Pèrez, sagte, daß die Besetzung der Grundstücke der Nationalen Wohnungsbank (BANVI), wo sie die Siedlung „Mario Antonio Diaz“ gründeten, von den Regierungsautoritäten unterstützt werden müsse. Denn die Vertriebenen befänden sich in einer schwierigen Situation. Menchú Tum erklärte, daß sie Informationen erhalten habe, daß ständig Gruppen von Unbekannten in diese Siedlung kämen, um die dort wohnenden internen Vertriebenen einzuschüchtern. Dies bedeute, so die Nobelpreisträgerin, eine Verletzung der Menschenrechte der dort wohnenden Personen.
Sie gab bekannt, daß die Stiftung Vicente Menchú eine Schule und ein Gesundheitszentrum in der Siedlung finanzieren werde. Diese befindet sich in der Zone 21, im Süden der Hauptstadt. „Ich rufe die BANVI dazu auf, daß sie das Problem dieser Vertriebenen zu lösen versucht“, sagte Rigoberta Menchú.
Polizei vertreibt Landarbeiter*innen an der Südküste
Mehr als 200 Polizeikräfte haben Landarbeiter*innen vetrieben, die an der Südküste Guatemalas zwei Fincas besetzt hielten, um der Beachtung ihrer Forderungen nach Landbesitz und Produktionsmöglichkeiten Nachdruck zu verleihen.
Die Landarbeiter*innen entschieden sich mit ihren Familien dafür, diese Fincas zu besetzen, nachdem die sogenannte „Centavo- Stiftung“, die von der staatlichen US-amerikanischen Entwicklungsbehörde AID zur Verwaltung der Produktion bestimmt war, versuchte, sich das von den Campesinos bearbeitete Land anzueignen.
Während der Vertreibung wurde nach Angaben der Betroffenen ein Landarbeiter der Finca Las Victorias, auf der 60 Familien wohnen, verletzt. Die Finca befindet sich im Zuständigkeitsbereich von Santa Bárbara in der südlichen Provin Suchitepéquez. Die Landarbeiter*innen fügten hinzu, daß die Nationalpolizei mit übertriebener Gewalt bei der Vertreibung der Campesinos vorging. Dies bezieht sich sowohl auf die Finca Las Victorias als auch auf die Finca La Concha. Auf letzterer in der Gemeinde San Juan Bautista, ebenfalls Provinz Suchitepéquez, wohnen 100 Familien.
Gerüchte über Putsch gegen Staatspräsident De León
(Guatemala, 25. Oktober 1993, NG-POONAL).- Der konservative politische Führer Rodolfo Rosales García-Salas hat am 25. Oktör versichert, daß die von Präsident Ramiro De León Carpio gemachte Ankündigung des Ausnahmezustandes eine Maßnahme ist, einem Putschversuch entgegenzutreten.
Es wurde bekannt, daß es am Sonntag ungewöhnliche Militärbewegungen in der Hauptstadt und in der Gemeinde Palín in der südlichen Provinz Esquintla, in der sich die Präsidentenfinca befindet, gegeben habe. Militärsprecher verharmlosten den Vorfall und sagten „es waren Routineangelegenheiten“, obwohl bekannt wurde, daß mehrere Panzerfahrzeuge und Soldaten sich auf die Staatsfinca zubewegten.
Der Abgeordnete der ehemaligen Regierungspartei Bewegung der Solidarischen Aktion (MAS), Erlindo Alvarez, warnte dagegen, daß der Ausnahmezustand nicht angewendet werden könne. Das Wahlgesetz sieht vor, daß während eines Prozesses wie der durch den Präsidenten einberufenen Volksbefragung alle individuellen Bürgerrechtsgarantien bestehen bleiben müssen.
Laut den Erklärungen von Rosales bedeutet die Aufhebung der verfassungsmäßigen Rechte „nichts anderes als eine Lebensversicherung der Regierung von De León Carpio“. Der Abgeordnete Alvarez Del Cid, Parteigänger des ehemaligen Präsidenten Jorge Serrano Elias, drückte dagegen seine Unterstützung für den derzeitigen Regierungschef aus, damit dieser die Garantien aufhebe. Es sei der einzige Weg, die Kriminalität zu bekämpfen.
Hinter den Kulissen die Militärs
Von Francisco Molina
(Mexiko-Stadt, 4. November 1993, NG-POONAL).- Angesichts der ungewöhnlichen Militärbewegungen sowohl in der Hauptstadt als auch in der unmittelbaren Nähe in Palín, Provinz Escuintla, am vergangenen Wochenende (gemeint sind der 23./24. Oktober; die Red.) schienen die Gerüchte über einen möglichen Putsch nicht unbegründet.
Es sei daran erinnert, daß einige Analytiker über mögliche Differenzen in der Militärspitze spekuliert haben. Sie gehen von den Beschuldigungen aus, die ehemalige Militärs gemacht haben, die im Gefängnis Pavoncito einsitzen. Diese hatten Militärchefs, Unternehmer und einige Abgeordnete bezichtigt, an dem Raub von Luxusautos beteiligt und in Entführungen verwickelt gewesen zu sein sowie Todesschwadronen zu organisieren, um politische Gegner auszulöschen. Außerdem berichteten sie über geheime Friedhöfe in mehreren Militärbasen.
Dazu kommen die angeblichen Selbstmorde einiger der 37 wieder festgenommenen Häftlinge, die vor einigen Wochen geflüchtet waren. Wegen der eisernen Sicherheit des Gefängnisses ließ die Flucht schwere Zweifel aufkommen. Darin verwickelt waren auch die jetzt anklagenden ehemaligen Militärs: Francisco Solbal Sontay und Tiburcio Hernández, in Haft wegen des Verbrechens am Nordamerikaner Michel Devine sowie der Seargent Noel de Jesús Beteta Alvarez, der die Anthropologin Myrna Mack Chang ermordete. Dazu kommt der wegen der Mitgliedschaft in einer Autobande angeklagte Zivilist Guillermo Lemus.
Die Häftlingsgruppe nannte jedoch keine Verantwortlichen, nachdem bekannt wurde, daß sie Drohungen und Geldangebote von einem Militärfunktionär erhielten, der ins Gefängnis kam, um vertraulich mit den Betroffenen zu sprechen.
In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, daß eine Gruppe unzufriedener Militärs Spekulationen über einen Staatsstreich provozierte und den Präsidenten Ramiro De León Carpio veranlaßte, öffentlich die Möglichkeit zu erwägen, den Ausnahmezustand auszurufen. Ebenso wurde auf die überraschende Versöhnung der zwei Abgeordnetenblöcke im Hinblick auf die Säuberung hingewiesen. Dies könnte zum Teil das Ergebnis eines Abkommens zwischen verärgerten Militärs und den Parlamentariern sein, um die Macht gegenüber dem Regierungschef und dem Verteidigungsminister zu stärken. Denn die von der Regierung geplante Volksbefragung betrifft alle Abgeordneten, nachdem Ramiro De León Carpio nicht mit der Gruppe der No-Depurablen (Gruppe von Abgeordneten, die sich von der vorgesehenen Säuberung des Kongresses nicht betroffen fühlt, weil sie sich frei von Korruption sieht; die Red.) paktieren wollte.
Man spricht konkret von Militärs, die der Christdemokratie nahestehen wie die Generäle Alejandro Gramajo (ehemaliger Verteidigungsminister), Edgar Godoy Gaytán und Leonel Bolanos Chavez. Godoy Gaytán war Chef des präsidentiellen Generalstabs (EMP), als Noel Jesús Betata Myrna Mack tötete und der Seargent unter seinem Befehl stand. In diesem Moment war Bolanos Verteidigungsminister.
Offensichtlich planten diese Militärs einen Staatsstreich, um Nachforschungen über die Menschenrechtsverletzungen und die Schaffung der Wahrheitskomission unmöglich zu machen.
Volksbefragung tritt in eine neue Etappe ein
Von Francisco Molin
(Guatemala, 22. Oktober 1993, NG-POONAL).- Die von Präsident Ramiro De León Carpio angestrebte Volksbefragung, um die Abgeordneten und Richter aufgrund zahlreicher Anklagen von Korruption und Nachlässigkeit zu ihrem Rücktritt zu zwingen, ist in eine neue Phase eingetreten. Der Verfassungsgerichtshof erklärte am 22. Oktober eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (CSJ) für ungültig.
Mit der Maßnahme des obersten verfassungsmäßigen Gerichtes bleibt die legale Entscheidung des CSJ ohne Wirkung, der seinerseits die Entscheidung des Obersten Wahlgerichts (TSE) über die Gültigkeit der vom Regierungschef verlangten Befragung für nichtig erklärt hatte, weil er das in der Verfassung festgelegte Gebot der Unabhängigkeit der Staatsgewalten verletzt sah.
Die Kraftprobe zwischen Regierung und Kongreß bzw. Oberstem Gerichtshof geht damit in eine neue Runde. Das was zukünftig geschehen wird, kann nicht genau vorausgesagt werden. Bis zum Moment ist die legale Möglichkeit der Volksbefragung wie ein Tischtennisball zwischen den Gerichten hin und her gespielt worden, ohne daß das letzte Wort gesprochen wurde. Die den totalen Rücktritt von Abgeordneten und Richtern unterstützenden Sektoren meinen natürlich, daß die Entscheidung des Verfassungsgerichtes den Streit endgültig beendet. Aber es bleibt die Reaktion der Betroffenen abzuwarten, die es nicht unbeachtet lassen werden, daß die Urteile dieses Gerichtes nicht zwingend sind. Dies hat kürzlich schon der Präsident selbst bewiesen:
Vor einigen Wochen verlangte das Gericht die Absetzung des gerade ernannten Öffentlichkeitsministers (in Guatemala eine Mischung aus Justiz- und Innenminister; die Red.) Guerra Cahn wegen beleidigender Äußerungen über die Verfassungsrichter. Aber es stieß mit der Haltung De León Carpios zusammen, der die Erfüllung der Verfügung mit dem Hinweis verweigerte, sie habe keine Rechtskraft.
In politischen Kreisen wird die Volksbefragung hinterfragt, weil sie sich mit anderen Staatsgewalten überlagert. Die zivilen Sektoren kritisieren, daß die den Bürger*innen gestellten Fragen zwei Sachen miteinander verbinden wollen: Die von der Bevölkerung geforderte Säuberung und eine ausdrückliche Stärkung des Präsidenten. Man muß abwarten, was das Ende dieser juristischen und politischen Kontroverse sein wird.
Gleichzeitig wird jedoch eine andere Tatsache von höchster Bedeutung an den Tag gelegt: Wenn der Kongreß und der Oberste Gerichtshof aufgelöst werden, würde der Regierungschef als absoluter Schiedsrichter des nationalen Lebens übrigbleiben. Dies bedeutete die Umwandlung in eine Diktatur. Auf den Punkt gebracht: Die Militärs wären die Gewinner, weil der Präsident keine Parteistruktur hinter sich hat.
Militärisches Patt zwischen Guerilla und Streitkräften
Von Ileana Alamilla
(Mexiko-Stadt, 29. Oktober 1993, cerigua-POONAL).- Nach 33 Jahren internen Krieges bestehen die Gründe für den bewaffneten Konflikt in Guatemala nicht nur fort, sie haben sich noch vertieft. Die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Konflikte verschärfen sich, doch die Regierung und die Streitkräfte scheinen ernsthafte Verhandlungen mit der Guerilla weiterhin nicht aufnehmen zu wollen. Trotz der vielfältigen Versuche verschiedener Regierungen, den Krieg zu bagattelisieren, besteht dieser Aspekt des nationalen Lebens im Alltag, er ist zum Greifen nahe und zu einem Eckpunkt der Kontroversen geworden. Im Laufe der Konfrontation – und vor allem die letzten Kämpfe zwischen Guerilla und Streitkräften in Betracht ziehend – hat sich gezeigt: So viele Offensiven das Militär auch startet, um die Aufständischen auszulöschen, es ist nicht in dem Zustand und hat nicht die Fähigkeit, die Guerilla militärisch zu besiegen. Den Rebellen ist es andererseits genausowenig gelungen, die Streitkräfte an den Rand einer Niederlage zu bringen. So haben beide Seiten eine Art Gleichgewicht auf diesem Feld erreicht.
Der auf eine politische Lösung des bewaffneten Konfliktes zielende Verhandlungsprozeß zwischen der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) und der Regierung/Armee scheint daher einen Ausweg zu zeigen. Er könnte die angemessenen Bedingungen schaffen, um die strukturelle Staatskrise zu lösen und die Basis für eine wirklich demokratische Gesellschaft bilden. Die Verhandlungen sind jedoch in Gefahr. Vor allem, weil die Streitkräfte und die wirtschaftlich mächtigen Sektoren auf den Krieg gesetzt haben. Als Konsequenz haben sich die Aktionen der Guerilla intensiviert: Sabotage von Strommasten, Sprengung von Brücken und mehrere Dutzend Verluste in den Reihen der Armee. Diese mußte nach schweren Gefechten im Norden, Süden und Westen des Landes kürzlich zugeben, daß die Guerilla in der Lage ist, der Armee und der Oligarchie weiterhin auf dem militärischen Gebiet zu antworten.
Militärische Konfrontationen nehmen wieder zu
Der Oberkommandierende der Streitkräfte hat die Zahl der Guerilleros nach Informationen des Geheimdienstes auf 800 bewaffnete Guerilleros, Sympathisanten und Aktivisten beziffert. Wenn dies richtig wäre, gäbe es nicht einmal ein politisches Patt, geschweige denn ein militärisches. In dieser hypothetischen Situation würde der guatemaltekische Staat in keinster Weise bedroht sein und dann müßte er sich nicht an den Tisch setzen, um eine Pause des Konfliktes zu verhandeln, der aus seiner Sicht gar nicht besteht.
Seit dem Beginn der direkten Verhandlungen zwischen Guerilla, Regierung und Armee haben die Streitkräfte jedoch hohe Militärfunktionäre für eine Teilnahme an dem Prozeß abgestellt. Diese Situation legt folgende Schlußfolgerung nahe: Die guämaltekische Armee, eine der am besten ausgebildeten und beratenen Streitkräfte des Kontinents, ist nicht in der Lage, den militärischen Gegenspieler entscheidend zu schwächen; Nur so erhalten auch die erneuten Versuche, die Zahl der Soldaten zu erhöhen (nach offiziellen Angaben 65.000) sowie die hartnäckige Weigerung, die paramilitärischen Verände wie die Zivilpatrouillen (nach offiziellen Angaben 500.000) aufzulösen, einen Sinn.
Ebenfalls existiert in Guatemala die Doktrin der Nationalen Sicherheit, die dem Staat einen Aufstandsbekämpfungscharakter verleiht. Dieser basiert auf der Militarisierung der guatemaltekischen Gesellschaft und erlaubt den Streitkräfte eine „legale“ Vorherrschaft, um die Kräfte der URNG zu bekämpfen und dabei die Zivilregierungen zu benutzen. Von 1970 bis 1993 hat die Armee laut ihren Erklärungen die Guerilla mindestens 25mal „geschlagen“. Die Gefechte gehen jedoch jedesmal mit stärkerer Intensität fort.
Verteidigungsminister: Die Guerilla ist schon tot
Die letzten Erklärungen des Verteidigungsstabschefes General Josè Quilo, die Guerilla sei total geschlagen und habe schon keine Truppen mehr, um den Krieg fortzusetzen, reflektieren genau die Unmöglichkeit der guatemaltekischen Militärs, die URNG bewegungsunfähig zu machen. Der Verteidigungsminister General Mario Enríquez war deutlicher, als er darauf hinwies, er könne die Guerilla nicht einmal mit 150.000 Soldaten schlagen.
Pablo Monsanto, Guerillakommandant und Mitglieder der URNG-Führung sagte, daß die während der 33 Kriegsjahre in Guatemala alle Verteidigungsminister die Guerilla als besiegt erklärt haben. Dennoch bleibt sie eine ihrer Hauptsorgen. Ein militärischer Ausweg, wie es die Regierung und die aktuelle Militärspitze versuchen, scheint unmöglich. Die Wirtschaft des Landes liegt nieder. Statt die Infrastruktur oder neue Unternehmen zu fördern, hat der Staat jahrelang Millionen für den Krieg ausgegeben.
Während in Guatemala der bewaffnete Konflikt nicht endet, wird es keine politische Stabilität, keine wirtschaftliche Entwicklung und ebensowenig Frieden und Demokratie geben. Dies führt zu dem Schluß, daß dringend angemessene Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Gründe dafür zu lösen. Dies kann nur durch ernsthafte Verhandlungen geschehen. Danach rufen die Guatemalteken.
KOLUMBIEN
Armee an Massakern beteiligt
(Bogotá, November 1993, AC-POONAL).- Das Departement Valle im Südwesten Kolumbiens wird von einer Welle der Gewalt erschüttert. Menschen verschwinden, werden ohne gerichtliche Verfahren hingerichtet. Die Verbrechen werden offensichtlich von bewaffneten Drogenhändlern und der Armee begangen. Den Höhepunkt stellt ein Massaker an 13 Kleinbauern in der Gemeinde Riofrio dar, daß später als Gefecht mit Aufständischen dargestellt wurde.
Die Zeitungen feierten die Massaker als eindrucksvolle Treiumpfe über die Guerilla. „Tödlicher Schlag gegen die ELN“, „Dreizehn Mitglieder der Guerillaeinheit erschossen“, „erfolgreichste Aktion gegen die Verbelendeten der ELN“ – so betitelten die Zeitungen einen Bericht, der von der 3. Armeebrigade herausgegeben wurde. Darin berichtet die Armee von einem wichtigen Sieg über die Aufständischen, 13 Guerilleros seien getötet worden. Die offiziellen Darstellungen wurden jedoch von Überlebenden des Massakers widerlegt: Tatsächlich handelte es sich bei den Getöteten nicht um Rebellen, sondern um Kleinbauern und angesehene Personen des Dorfes.
Nach den Zeugenaussagen umstellte eine Gruppe von Vermummten, vermutlich von einem Drogenhändler mit dem Decknamen „Banana“ angeheuert, um 5.30 Uhr am 5. Oktober das Haus der Familie Ladino, in dem der 75jährige Vater, dessen Frau, drei Kinder, eine Schwägerin und vier Enkel wohnten. Gleichzeitig drang eine andere Gruppe bewaffneter Männer in das wenige Meter entfernte Haus der Familie Molina ein und brachte sie in das Nachbarhaus. Beide Familien wurden zusammengepfercht, geschlagen, gefotert und die Frauen vergewaltigt. Dann zwangen die Bewaffneten alle Personen, aus dem zweiten Stock des Hauses zu springen. Bis um 11 Uhr, so die Zeugenberichte, wurden beide Familien hingerichtet und ihre Leichname im Umkreis von 300 Metern verteilt. Die Soldaten der 3. Armeebrigade täuschten nun ein Gefecht mit Guerilleros vor, schossen mehrere Stunden Granaten ab und feuerten aus Maschinengewehren. Zeugen des Massakers an ihrer Familie und den Nachbarn wurden die Großmutter der Familie Ladino und ihre vier Enkelkinder.
Augenzeugen beobachteten das Massaker
Es ist bekannt, daß Einheiten des Bataillons Palacé alle Zufahrtstraßen in die Region seit 5.30 Uhr besetzt hielten und den Zugang verhinderten. In der Mitteilung des Bataillons heißt es allerdings: „Nach erfüllter Mission, um zehn Uhr morgens, eine Stunde nachedem ein Informant die Präsenz einer Gruppe von Guerilleros in einem Bauernhaus gemeldet hatte, begann zwischen den Guerilleros und 34 Soldaten ein Gefecht, bei dem nach einer Stunde sieben Männer und sechs Frauen getötet und Kriegsmaterial sichergestellt wurden. Rund 11 Guerilleros konnten flliehen. … Keiner der Aufständischen konnte identifiziert werden, als die Untersuchungsbehörde die Leichen barg, mit Ausnahme von Luis Carlos Cárdenas, dem Kommandanten der Guerillaeinheit.“
Nachdem die Aussagen der Überlebenden bekannt wurden, begaben sich Mitglieder des Büros für besondere Untersuchungen der Staatsanwaltschaft an den Tatort, um die Vorgänge zu untersuchen. Die Familienangehörigen und die Menschenrechtsorganisationen erwarten, daß die Verbrechen aufgeklärt und die Verantwortlichen bestraft werden. Die Aussichten sind jedoch nicht sehr groß. Denn Oberstleutnant Becerra Bohórquez, der die Aktion befehligte, hatte bereits 1988 ein Massaker auf den Bananenplantagen „La Honduras“ und „La Negra“ kommandiert. Zwar wurde eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet und von einem Gericht verurteilt. Die gleiche Instanz erklärte später einige Zeugenaussagen jedoch für ungültig und revidierte das Urteil. Das Verfahren wurde eingestellt.
Ein ähnlicher Fall ereignete sich am 22 September im der Gemeinde Betulia im Departement Santander. Soldaten des Bataillons Luciano D'Elhuyrt der 5. Armeebrigade nahmen den Bauern Pedro Carvajal Sandoval fest, ermordeten ihn und erklärten ihn anschließend zu einem Guerillero der ELN.
KUBA
Regierung und Exil-Kubaner*innen nähern sich an
Von Raimundo Lopez
(Havanna, 2. November 1993, Prensa Latina-POONAL).- Reymundo del Toro, Führer einer Auswandererorganisation der Kubaner in den Vereinigten Staaten, versicherte in Havanna, daß die Aufhebung des von Washington auferlegten Embargos eine Normalisierung der Beziehungen zwischen dem Auswanderersektor und der Insel erlauben würde. „Das ist das Erste, danach sehe ich überhaupt kein Problem bei der Familienzusammenführung, bei den Besuchen von der einen oder anderen Seite“, so del Toro, der Präsident des Cubano- Amerikanischen Komitees ist. Das Komitee hat seinen Sitz in New Jersey, aber Mitglieder in allen Bundesstaaten der USA, in Kanada und Kolumbien.
Del Toro erklärte, daß das Komitee zusammen mit anderen Gruppen von im nördlichen Nachbarland ansässigen Kubanern intensiv für das Ende der von den USA seit mehr als 30 Jahren geführten Wirtschafts-, Handels- und Finanzblockade arbeitet. Während seines Interviews mit Prensa Latina informierte der vor 14 Jahren in die Vereinigten Staaten emigrierte del Toro über zwei Umfragen der John Hopkins Universität. Sie bestätigen, daß die Mehrheit der in den USA lebenden Kubaner gegen die nordamerikanische Politik (gegenüber Kuba) ist.
Umfragen belegen: 83% der ausgewanderten-Kubaner*innen sind gegen das US-Handelsembargo
Weiter sagte er, daß bei einer zwischen 1989 und 1990 gemachten Umfrage 83 Prozent der Befragten sich gegen die Blockade aussprachen. Sogar im Jahr 1992, trotz der intensiven Kampagne über ein nahes Ende des Sozialismus auf Kuba, behielten 73 Prozent der Befragten diese Einstellung. Del Toro lobte auch den vom Außenminister Roberto Robaina gemachten Vorschlag über die Realisierung eines Treffens in Havanna zwischen Vertreter*innen der kubanischen Gemeinde im Ausland und auf der Insel: „Dieser Vorschlag war wunderbar, denn so etwas wurde seit langer Zeit sehnsüchtig erwartet und würde eine viel bessere, viel enthusiastischere Arbeit erlauben. Die Kubaner*innen würden sich nicht als Exilierte, sondern als Bürger*innen dieses Landes mit Wohnsitz an einem anderen Ort fühlen.“
Die Idee zu diesem Dialog, der laut Robaina die Beziehungen zwischen den zwei Gruppen normalisieren soll, entstand während eines Treffens des Außenministers mit etwa 200 in den USA ansässigen Kubaner*innen. Del Toro vertritt den Standpunkt, daß Themen wie Solidarität mit Kuba, die wirtschaftliche Hilfe, die kubanische Identität aller, sowie kultureller, sozialer, politischer und wirtschaftlicher Austausch im Mittelpunkt stehen sollten. Er hob hervor, daß einer der grundlegendsten Anliegen das Prinzip der Selbstbestimmung Kubas sein müsse. „Der Respekt vor der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Volkes ist die Grundlage für eine gute Entwicklung und eine gute Beziehung zwischen den beiden Teilen.“ Er unterstrich auch, daß diejenigen, die sich für die Emigration entschieden, kein Recht haben, in die Entscheidungen ihrer zurückgebliebenen Landsleute zu intervenieren.
„Die Kubaner außerhalb des Landes muß schlicht und einfach die Sorge bewegen, dabei zu helfen, daß sein Land seine Ziele erreicht“, betonte er. Er stellte klar, daß in diesen Gesprächen die Minderheitengruppen ausgeschlossen sein müssen, die mit Terrorismus gegen ihr Heimatland kämpfen oder die den Interessen der USA nahe stehen, wie z.B die Organisationen des Unternehmers Jorge Mas Canosa und dem Journalisten Carlos Alberto Montaner. „Wir wollen, daß das kubanische Volk für sich selbst entscheidet. Es sollen keine von der Regierung der Vereinigten Staaten auferlegten Dinge sein.“
„Unsere Gemeinde“, so hatte Außenminister Roberto Robaina die Auswanderer*innen, die in den letzten 34 Jahren Kuba verließen, wenige Tage zuvor bezeichnet. Derart versöhnlich hat in der Vergangenheit noch kein kubanisches Regierungsmitglied über die im Ausland lebenden Kubaner*innen gesprochen, die bislang meistens als Gegner*innen der Revolution angesehen wurden. Anfang Oktober hatte Robaina während eines Besuchs des Außenministers bei den Vereinten Nationen etwa 200 Vertreter*innen gemäßigter und konservativer kubanischer Gruppen in New York getroffen (vgl. Poonal Nr. 117).
EL SALVADOR
Neue Initiativen im Kampf um die Agrarreform
(27. Oktober 1993, Alai-POONAL).- Im folgenden äußert sich Carlos Rodríguez, Mitglied der Nationalen Vereinigigung der Landarbeiter*innen (ANTA) von El Salvador und Vertreter dieser Organisation in der Demokratischen Bauernallianz (ADC) zur Situation der Landarbeiter*innen. Die ANTA, die 1985 gegründet wurde, vereinigt hauptsächlich die Gruppen, die nicht von der Agrarreform profitieren und landlose Bauern.
„Als LandarbeiterInnenorganisation vertreten wir Tausende von landlosen Campesinos. Seit der Gründung von ANTA fordern wir eine Ausweitung der Agrarreform. Die Antwort der Regierungen war: gewaltsame Vertreibungen und Betrug an den Landarbeiter*innen. Darum haben wir als Organisation die Notwenigkeit gesehen, Strategien zu entwickeln, die Schritt für Schritt das Problem des Landbesitzes lösen. Es gab legale als auch Tatsachenaktionen (mit letzteren sind Landbesetzungen gemeint; die Red) sowie Treffen mit Regierungsfunktionären. Die direkte Aktionen haben waren nötig, damit die Campesinos das Land zugesprochen bekommen. Denn diese Regierung macht nur Zugeständnisse, wenn sie keinen Ausweg mehr sieht. So verhandelt sie nur einen kleinen Teil der Fälle, um die wir Campesinos sie bitten.“
„Im Jahr 1983 gaben sie dem Gesetz für die Agrarreform den Gnadenstoß, als die verfassungsgebende Versammlung den Artikel 105 der Verfassung verabschiedete. Von diesem Moment an schützte die Regierung alle Personen mit mehr als 100 bis 150 Hektar Landbesitz. Das war die Grenze, die die Agrarreform für eine Person vorgesehen hatte. Aber der bestehende Verfassungsartikel 105 erweitert diese Grenze auf maximal 245 Hektar. Den Landbesitzer*innen wurde im Dezember 1986 drei Jahre Zeit gewährt, darüber liegenden Besitz zu verkaufen, zu vererben oder zu verschenken. Bei jedem Eigentümer mit mehr als 245 Hektar hätte der Staat per Gesetzeskraft intervenieren müssen.“
„In diesem Bereich arbeitet ANTA, sie drängt auf die Erfüllung der Verfassung. Denn es gibt viele Eigentümer, die die verfassungsmäßig vorgegebene Grenze überschreiten. Diese Eigentümer haben sich in Besetzer der Staatsländereien verwandelt und die Regierung handelt nicht. Mehr noch, sie schützt sie, indem sie vorgibt, es gäbe keine Ländereien mit mehr als 245 Hektar. Aber die Campesinos kennen diese Fincas, denn sie haben mehr als 30 Jahre darauf als Knechte gearbeitet. Aus diesem Grund hat es zwei Kampagnen gegeben, um die Erfüllung des Artikel 105 zu erzwingen.“
Regierung gibt illegalen Landbesitz zu
„Bei diesen Kampagnen von 1990 und 1991 besetzten die Landarbeiter*innen 49 Fincas, um sie zu bewirtschaften. Die Kampagne endete in einer Verhandlung mit der Regierung und bis heute halten wir diese Besitztümern besetzt, obwohl es Festnahmen, Verfolgungen und Kreditbeschränkungen für die Landarbeiter*innen gegeben hat. Jetzt verhandeln wir mit der Regierung die juristische Situation für die Landarbeiter*innen dieser Ländereien.“
„In diesem Jahr 1993 hat es eine weitere Aktion für die Erfüllung der Verfassung gegeben. Wir fingen im April an und bis jetzt sind neun Ländereien in den Händen der Campesinos. Mit dieser Maßnahme haben wir die Regierungshaltung weich geklopft, denn jetzt gibt sie zu, daß die Besitztümer zu groß sind. Der Landwirtschaftsminister gab bekannt, daß 53 Fincas mit einem Überhang von 13.000 Manzanas (1,413 Manzanas sind 1 Hektar; die Red.) entdeckt wurden. Wir glauben, daß es insgesamt mehr als 100.000 Manzanas sind, die bei Grundstücken größer als 245 Hektar zusammenkommen.“
„Und darauf zielt unser Kampf. Zuletzt wurde eine Arbeitskommission gegründet, die aus Vertreter*innen der Regierung, der FMLN, der ADC und ONUSAL besteht. Ihre Hauptaufgabe ist es, die Lage der 49 Besitztümer zu verifizieren, die 1990/91 besetzt wurden. Es wird eine die Landarbeiter*innen begünstigende Lösungerwartet.“
Die Demokratischen Bauern- und BäuerInnenallianz
Die Demokratischen Bauern- und BäuerInnenallianz (ADC) entstand im Oktober 1989 als Ergebnis der Übereinstimmung zwischen Campesino- Organisationen, die das Projekt der Agrarreform gegenüber den Privatisierungsabsichten der Regierung verteidigten. Zur Zeit sind ihr 23 der wichtigsten LandarbeiterInnenorganisationen des Landes angeschlossen, einschließlich der von der Reform in ihren verschiedenen Phasen begünstigten Gruppen (hauptsächlich Kooperativen) und der nicht-begünstigten (Kooperativen des traditionellen Sektors, LandarbeiterInnenvereinigungen ohne Land oder Pächter).
Die ADC hat folgende Forderungen in ihrem Programm:
– Die Verteidigung der Kooperativen der Ersten Reformphase. So wendet sie sich gegen die schon gefällten Vertreibungsurteile des Obersten Gerichtshofes und gegen die noch anhängigen Prozesse, oder gegen den Druck der Aufteilung (Parzellierung). – Den Schuldenerlass für die Landwirtschaft – Die Anwendung der ursprünglichen Zweiten Reformphase (Enteignung von Ländereien größer als 100 Hektar), was die Änderung des Verfassungsartikels 105 notwendig macht.
MITTELAMERIKA
Angriff auf guatemaltekische Jornalist*innen verurteilt
(San Salvador, 4. November 1993, cerigua-POONAL).- Das „Mittelamerikanische Treffen von Medien der alternativen und Volkskommunikation“ verurteilte in San Salvador den gewaltätigen Angriff gegen acht guatemaltekische Journalist*innen. Gleichzeitig verlangte es von der Regierung des Präsidenten Ramiro De León Carpio Achtung vor der Pressefreiheit und eine Bestrafung der Verantwortlichen für die Attacke gegen die Berichterstatter*innen. Die Vertreter*innen von 25 alternativen und Volksmedien der mittelamerikanischen Region drückten auch ihre Besorgnis über die Drohungen gegen einige ausländische Korrespondent*innen aus. Ebenfalls verurteilten sie die Passivität der Sicherheitskräfte, die stumme Zeugen der Prügel für die Pressemitarbeiter*innen waren.
An dem Treffen in der salvadoreanischen Hauptstadt vom 29.-31. Oktober nahmen Vertreter*innen von Pressemedien und Institutionen aus den fünf mittelamerikanischen Ländern Nicaragua, Guatemala, Honduras, El Salvador und Costa Rica teil. Einberufen hatten es INSISTEM aus El Salvador, Pensamiento Propio aus Nicaragua und Cerigua aus Guatemala, um über die Lage der Medien in der Region zu diskutieren. Zu den wichtigsten Übereinkünften der alternativen Medien gehörte es, ein regionales Netz zu gründen, um Informationen auszutauschen, und die Ausbildung der mittelamerikanischen Journalist*innen zu verbessern.
LATEINAMERIKA
Journalistenföderation beklagt Gewalt gegen Medien
Von Iván Canelas Alurralde und Luis Suárez; Präsident bzw. Generalsekretär der Lateinamerikanischen JournalistInnenföderation (FELAP)
(Mexiko-Stadt, 3. November 1993, Felap-POONAL).- Die Unterdrückung und die Angriffe gegen Journalist*innen in einigen lateinamerikanischen Ländern reißen nicht ab. Die letzten Anklagen und Informationen, die die Lateinamerikanische JournalistInnenföderation (FELAP) erhalten hat, klagen besonders Kolumbien, Guatemala, Paraguay, Mexiko und Haiti bei diesen Taten an.
Aus Santafé de Bogotá berichtet der FELAP-Vizepräsident Reinaldo Ramírez, daß am 28. September in Popayán (Provinz Cauca) der Journalist José Martínez Espinoza ermordet wurde. Er leitete in diesem Ort den Radionachrichtendienst „El Yunque“ und die Zeitung „Avanzada Liberal“. Der 63jährige Kollege war bekannt für seine Anklagen gegen korrupte Funktionäre. Am folgenden Tag wurde in der kolumbianischen Hauptstadt der Journalist Bienvenido Lemus während eines Überfalls verletzt.
Aus Guatemala informierte die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú, die auch Mitglied der Untersuchungskommission über Angriffe gegen Journalist*innen (CIAP) ist, daß am 28. Oktober mehrere Unbekannte auf Journalist*innen einschlugen, die über den Kongreß berichten. Acht von ihnen wurden verletzt. Menchú beurteilt es als sehr verdächtig, daß die Polizeikräfte nicht dagegen einschritten, daß eingeschleuste Personen vor ihren Augen mit Stöcken auf die Journalist*innen einschlugen. Das Ereignis wird als Einschüchterungsaktion gegenüber den Massenmedien angesehen, um die Verbreitung der Wahrheit über die Entwicklung der aktuellen Krise in Guatemala zu verhindern.
Aus Asunción klagt die Gewerkschaft der Journalist*innen Paraguays (SPP) durch ihren Vorsitzenden Pedro Benítez Aldana und seine Stellvertreterin Magdalena Riveros an: In der Nacht des 30. Oktobers griffen Unbekannte in der Stadt Juan León Mallorquín, Provinz Alto Paraná, brutal den Korrespondenten der Tageszeitung „Ultima Hora“, Emilio Ortiz, an. Sie schlugen den Journalisten und ließen ihn liegen, bis er Hilfe von Nachbarn erhielt. Wochen vorher hatten andere Journalist*innen Drohungen erhalten: Juan Carlos Salinas, Korrespondent des Privaten Kommunikationsnetzes von Ciudad del Este; Héctor Guerín, Korrespondent von ABC in derselben Stadt sowie Blanca Mino, Journalistin von Radio Mburucuyá.
Was Mexiko angeht, so drückt die FELAP ihren energischen Protest gegen den Angriff auf den Journalisten und Schriftsteller Rene Aviles Fabila aus. Fabila, Direktor von „El Buho“, der Kulturbeilage der Tageszeitung „Excélsior“, wurde wahrscheinlich Opfer der mexikanischen Sicherheitspolizei (die mexikanische „policía judicial“ ist dafür bekannt, daß sie oft im „rechtsfreien“ Raum agiert. Ihre Mitglieder tragen nur zivil und sind über die Regierungsbehörde „Secretaria de Gobernación“ direkt dem Präsidenten unterstellt; die Red.).
In Argentinien wandte sich angesichts der Häufigkeit der Angriffe und der von der Untersuchungskommission über Angriffe gegen Journalist*innen (CIAP) berichteten Ereignisse der Präsident des Lateinamerikanischen Parlamentes, Humberto Celli, an den argentinischen Innenminister Dr. Carlos Ruckauf. Er bat ihn, die Attacken gegen zahlreiche argentinische Journalist*innen im September zu untersuchen und ein Ergebnis darüber vorzulegen.
Aus Haiti gelangen gleichfalls Informationen über ständigen Druck auf die Massenmedien und über Angriffe und Drohungen gegen Journalist*innen.
Das Dilemma der Linken
3. und letzter Teil Von Eleuterio F. Huidobro
(Mate Amargo – POONAL).- Die lateinamerikanische Linke steht jetzt
sowie auch in Zukunft folgendem Dilemma gegenüber: Da ist auf der
einen Seite das „Wiedererstarken“ des rechten Nationalismus, in
dem Bündnisse gegen den Imperialismus angeboten und auch eingefordert werden und auf der anderen Seite der Imperialismus, der widerum Bündnisse gegen die „Wiedergeburt“ rechter nationalistischer und militaristischer Bewegungen anbietet und einfordert.
Natürlich ist das eine Vereinfachung, aber sie hilft, eine grausame und wenig angenehme Realität zu begreifen. Das tatsächliche Leben ist natürlich komplizierter und das Problem könnte auch folgendermaßen beschrieben werden: Ein Sektor des Imperialismus fordert und bietet gemeinsam mit einem Sektor der Militärs Bündnisse gegen einen anderen Sektor des Imperialismus und der Militärs, oder umgekehrt.
Nach dem Desaster in Vietnam entwickelte das Pentagon parallel die Strategie der „Konflikte niederer Intensität“ (Low Intensity Conflict / LIC). Diese Strategie ist heute, nach dem Zusammenbruch der UdSSR, die vorherrschende Strategie derer, die im Pentagon das Sagen haben und wird auch von den Eliten anderer einflußreicher Länder sowie von bürgerlich-militärischen Sektoren in der Peripherie getragen. Die LIC beruht auf einer zentralen Grundannahme: Die Blöcke (Ost-West Konflikt, Bipolarität) existieren so nicht mehr. Folglich gibt es auch keine Konflikte „höherer Intensität“ mehr, und die Probleme zwischen den USA, Japan und Europa werden auf andere Weise geregelt.
Das „Problem der dritten Welt“
Als einziges größeres Problem bleibt das der Dritten Welt. Das heißt: Eine Reduzierung der Armeen (auch in den USA) und die Schaffung schneller Eingreiftruppen in jedem Land, die schnell zu multinationalen Interventionstruppen zusammengestellt werden können. Diese dienen der Aufstandsbekämpfung im Inneren sowie zu Auslandseinsätzen und sollen die neue Weltordnung durchsetzen, die parallel dazu noch politisch und juristisch über den Weltsicherheitsrat der Vereinten Nationen „legitimiert“ wird. Es wird auch noch eine weitere Funktion erfüllt, da die Ausgaben gesenkt werden und der Staatsapparat verkleinert wird, weil Schulden eingetrieben oder in international gehandelte Schuldverschreibungen umgewandelt werden können. Dadurch soll jede unkontrollierte Entwicklung verhindert werden, die von zu großen Militärapparaten ausgehen könnte. Der Fall Saddam Hussein ist hier nur ein Beispiel. Die Militärs in der Dritten Welt sind natürlich nicht in der Lage, die Sicherheit der USA ernsthaft in Frage zu stellen, aber sie können für Instabilität sorgen. Darum wird von Seiten der USA momentan die Doktrin der „Nationalen Sicherheit“ durch den Begriff der „Nationalen (und weltweiten) Stabilität“ ersetzt. Das ist völlig logisch. Als es noch die UdSSR gab, war sie das zentrale Problem die Sicherheit der USA. Nachdem diese Sicherheit „gewonnen“ wurde, kann es jetzt nur noch um die Erhaltung der Stabilität gehen.
Die andere Sichtweise geht von einer gegenteiligen Theorie aus: Das „Dreieinhalb-Gespann“ ( USA, Japan, Europa, 1/2 Rußland) – es sollte nicht vergessen werden, daß Rußland nukleare Zähne hat – wird sich nicht ohne größere Probleme behaupten können. Diese Annahme führt natürlich zu etwas anderen Schlußfolgerungen und läßt auch andere Nuancen in der politischen Einschätzung erkennen: Die Sozialdemokraten, der „fortschrittliche“ Flügel der US- Demokraten und z.T. auch Japan haben erkannt, daß die Probleme der Dritten Welt zumindest etwas gelindert werden müssen, damit Verelendung und Armut nicht so groß werden, daß sie zum Risikofaktor für die innere Sicherheit werden. Sie wären sogar zu strukturellen Veränderungen bereit, wenn ihre eigenen Interessen nicht sonderlich berührt werden (z.B. beim Großgrundbesitz). Dadurch wecken sie aber logischerweise die Geister veralteter, ausgedienter Oligarchien und anderer Gesellschaftsschichten, die von den unbarmherzigen kapitalistischen Anpassungsmaßnahmen betroffen sind. Es werden so nicht nur Bündnisse bis hin zur Linken gefordert und angeboten, sondern es ist sogar erklärtes Ziel, solche Bündnisse aufzubauen.
Auch bei der Kostenfrage ist es nützlich, die schwerwiegenden Probleme armer (und auch reicher) Länder zu neutralisieren, indem man auf die Unterstützung der „Linken“ setzt, vor allem, wenn diese Linke politisches Gewicht hat. Ich gebe zu, daß hier die Frage berechtigt ist, was denn nun wiederum von dieser „Linken “ zu erwarten ist. Gibt es heute überhaupt eine andere Möglichkeit? Wir stehen – auf jeder Seite – vor strategischen Entscheidungen von ungeheurer Tragweite, so wie auch die Veränderungen, die in der Welt stattgefunden haben, von ungeheurer Tragweite sind.
Imperialismus unter neuen Bedingungen?
Es ist auch die Frage berechtigt, ob die sozialdemokratischen Ansätze in Lateinamerika mehr sind als die Vorhut der europäischen imperialen Penetration, in ihrem Machtkampf mit den USA, und ob die „progressiven“ Vorschläge“, die aus den USA kommen, mehr sind als eine an die neuen Bedingungen angepaßte imperiale Variante. Auch ist die Frage berechtigt, ob bei diesem Machtkampf nicht auch Japan – und China – mitmischen.
Diese z.Zt. in den USA herrschende politische Strömung hat eine Kampagne gegen den Neoliberalismus begonnen. Sie ist ein Warnruf, auch angesichts der Erfolge des japanischen Imperiums, das auf einem keineswegs neoliberalen Kapitalismusmodell basiert. Diese neuen Töne in den politischen Predigten bekommen wir auch aus nächster Nähe mit. Sanguinetti (Ex Präsident; bekannter „Colorado“ Politiker; A.d.Ü) hat sie z.B sehr schnell gelernt. Es sind wohl dieselben Leute, die auf eine Utopie setzen, die den Kapitalismus erträglich machen, indem sie ihn reformieren. Diese Reformen würden auch die Möglichkeit beinhalten, Aristokratien in der Bürokratie, in der Arbeiterschaft sowie beim Militär zu schaffen, auf denen die Utopie sozial basiert. Dies gilt nicht nur für die Zentren, wo das schon immer so war, sondern jetzt auch für uns. Natürlich gibt es auch genaue Vorstellungen, was die Gewerkschaften betrifft… Die Herausbildung der (Militär-)Blöcke entstand nach dem zweiten Weltkrieg. Sie bedeutete, um es mit den Worten der brasilianischen Militärs auszudrücken, ein hohes Konfrontationspotential und sehr niedrige Instabilität. Das Ende der Bipolarität führte hingegen zwar zu einem geringen Konfrontationspotential, aber auch zu einem hohen Maß an Instabilität. Die Multipolarität vor dem zweiten Weltkrieg hatte jedoch auch zu einem hohen Maß an Konfrontation geführt. Das ist der Grund, warum wir diese Artikelserie mit dem Problem der Geburtstage begonnen haben, mit all den Launen oder Möglichkeiten, sich diese auszuwählen: Denn alles was geschieht und geschehen wird, ist, einschließlich der Erinnerungen, bereits in der Gegenwart zu erkennen.
Darum fangen wir mit der Schlacht am Ebro (spanischer Bürgerkrieg) an, die historisch betrachtet in München (Münchner Abkommen) entschieden wurde. Wenn wir die Existenz des anfangs beschriebenen Dilemmas anerkennen, beziehen wir uns auf etwas, was tiefe, weitreichende historische Wurzeln hat. Was die Bündisse der Linken mit den Rechten anbetrifft: Stalin mit Hitler. Oder China (nachdem es die UdSSR als sozialimperialistisch bezeichnet hatte) in verschiedenen Ländern der Dritten Welt und in verschiedenen Konflikten…
Was die Linke im Bündnis mit den USA betrifft, so könnten wir auf Stalin zurückkommen oder auf China mit Nixon, oder um nicht so weit zu gehen, auf die argentinische Linke mit Herrn Braden (US- Botschafter?) gegen Perón…
Was die Auseinandersetzungen innerhalb der Linken anbelangt: Alle, die sich aus den vorher beschriebenen Bündnissen ergeben haben oder der Krieg zwischen China und Vietnam und heute ganz aktuell, Estelí….
Was Konflikte zwischen rechten Militärs, oder exakter gesagt, zwischen rechten Putschisten und den USA angeht, so reicht es aus, die Jahrgänge der Militärzeitschrift El Soldado durchzublättern und sich daran zu erinnern, was in Lateinamerika etwa ab 1973, nach dem „Durchschlagen des gordischen Knotens“, geschehen ist. Kurz nachdem die USA im Cono Sur diese Militärs gegen die eigene Bevölkerung losgelassen hatten. Auch daher kommen die Staubkörner aus denen der Schlamm von heute besteht. Zur selben Zeit verbündeten sich die USA mit China, „gaben Vietnam auf“ und kümmerten sich um die schlimmen Folgen des Yom Kippur Krieges für ihre Ölinteressen. Später kam die Regierung Carter, die mit einigen Diktatoren, hier speziell mit Somoza, brach. Der Malvinenkrieg 1982 war dann „der Gipfel“ für viele lateinamerikanische Militärs, vor allem für die brasilianischen.
Das alles ist kein Zufall. Ab 1976 gab es eine entscheidende Wende in der Politik der Sozialistischen Internationale gegenüber Lateinamerika, die auch sofort in die Tat umgesetzt wurde. Von daher ist der Einfluß der Sozialistischen Internationale, zunächst in Zentralamerika und Venezuela, später auf dem ganzen Kontinent, das Ergebnis eines historischen Prozesses, aber gleichzeitig auch eine ganz bewußt getroffene, strategische Entscheidung. Auch aus diesen Staubkörnern besteht der Schlamm von heute. Darum darf man sich nicht wundern, wenn man den (sozialdemokratischen, A.d.Ü.) Einfluß heute in El Salvador oder in Nicaragua bemerkt, um nur zwei Beispiele zu nennen.
„Verunglimpfung von Staatsorganen“ Unser Artikel in der Mainummer der Zeitschrift „Mate Amargo“ (s. POONAL XX) hat uns eine Verurteilung wegen „Verunglimpfung von Staatsorganen“ eingebracht. Wir warfen Präsident Lacalle vor, eine miserable Politik zu betreiben, was die internen Kräfteverhältnisse des Militär anbetrifft. Wir haben darauf hingewiesen, daß innerhalb der Militärs Beratungen über „die Lage der Nation“ stattfinden („konspirativ“, unter Ausschluß der Öffentlichkeit, versteht sich) und wir haben auf neue Probleme hingewiesen. Man braucht keine Glaskugel, um wie eine Wahrsagerin in die Zukunft zu sehen. Es reicht, zu lesen.
Während ich diese Zeilen schreibe, wird das Land von der Aufdeckung eines Spionagefalls zwischen/unter Generälen geschüttelt. Im Land wird dieser Zustand der „internen Beratungen der Militärs“ nicht nur durch die abgehörten Gespräche, sondern auch durch die massenhaft verteilten Flugblätter dieser „Guardia de Artigas“ ( rechte, nationalistische Militärs mit antiimperialistischem Diskurs, A.d.Ü.) bemerkt. Die Bevölkerung darf sich zu recht überrascht zeigen durch diese Enthüllungen. Die Presse – manche äußerten sich völlig überrascht – und das politische System dürften es eigentlich nicht sein.
Das politische System deswegen nicht, weil ein ganz wichtiger politischer Sektor sich sehr aktiv an diesen Auseinandersetzungen innerhalb der Streitkräfte beteiligt. Nicht etwa von außen, nein ganz direkt von innen. Die Frente Amplio ist eine der wenigen politischen Kräfte, die sich nicht an dieser, ach, so lebenswichtigen „Versammlung“, beteiligt hat. Wir haben uns bemüht, die Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit – und manchmal auch die aktuellen – anzuklagen. Das ist sehr wichtig, aber dabei sind wir stehengeblieben. Wir haben uns damit beschäftigt, welche Militärs befördert werden sollen.
Wir analysieren ganz intensiv die Doktrin der nationalen Sicherheit und bemerken dabei kaum, daß es schon eine neue Doktrin gibt (die wir dann 20 Jahre später analysieren, wenn es unwiderruflich zu spät dafür ist…). In der Zwischenzeit mischen das „Foro Batllista“, Jorge Batlle, Pacheco und Lacalle (alle sind bürgerliche, rechte Politiker/Parteien, A.d.Ü.) kräftig mit beim politischen Wettstreit der Militärs.
Zur Doktrin der nationalen Sicherheit
Man darf auch nicht außer acht lassen, daß Aguerrondo (Chef des militärischen Geheimdienstes, A.d.Ü.), der in dem Fall Berríos (Mitarbeiter des chilenischen Geheimdienstes DINA, der von chilenischen, argentinischen und uruguaischen Militärs aus dem Verkehr gezogen/entführt wurde; A.d. Ü.) und in den Abhörskandal verwickelt war, ein Mann des Vertrauens von Präsindent Lacalle ist, der von Amado (einer der abgehörten Generäle, A.d Ü.) der „Guardia de Artigas“ ausdrücklich gelobt wurde.
Man darf auch nicht vergessen, daß das „Peitho-Institut“, genauer gesagt der Sozialforscher Juan Rial, der dem „Foro Batllista“ (und damit Ex-Präsident Sanguinetti, A.d.Ü.) nahesteht, von den venezolanischen Militärs (hier v.a. Aufstandsgeneral Chávez) mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, eine Agentur des Imperialismus zu sein. Die Venezolaner behaupten, daß sie Koautoren des „Bush- Handbuchs“ (The Military and Democracy: The Future of Civil- Military Relation in Latin America), von Luis Goodman; Johanna Mendelson und Juan Rial seien, das von der US-Regierung entworfen und finanziert wurde.
Diesen (venezolanischen, A.D.Ü.) Militärs zufolge werden in diesem Handbuch sehr schwerwiegende Themen behandelt, die uns alle betreffen: Die Doktrin der Nationalen Sicherheit wird durch den Begriff der Nationalen Stabilität ersetzt. Die Verschmelzung der drei Waffengattungen (Heer, Marine, Luftwaffe) zu einer, neue Feindbilder schaffen….
Da wir dieses „Bush-Handbuch“ nicht besitzen, können wir auch nicht beurteilen, ob dort wirklich alles so steht, wie es die venezolanischen Militärs behaupten, was aber auch nicht so wichtig ist. Wichtig ist jedoch, was die venezolanischen Militärs zum Ausdruck bringen, weil wir daraus möglicherweise Schlußfolgerungen ziehen können, warum in Montevideo eine Bombe hochgegangen ist.
Aber es gibt dazu noch mehr zu sagen. Laut der venezolanischen Militärs schlägt das US State Department in seiner Erklärung Nr: 158 vom März 1987 vor, folgende Institutionen zu demontieren: Die Kirche, die Streitkräfte und die Gewerkschaften in Lateinamerika, weil sie „hierarchisch strukturiert sind und autoritäre Verhaltensmuster aufweisen“, die der aktuellen Politik der USA entgegenlaufen….
Das aktualisierte „Projekt Demokratie“
Die venezolanischen Militärs weisen auch darauf hin, daß das „Projekt Demokratie“, das die Regierung Reagan für diese Region entworfen hat, regelmäßig aktualisiert wurde. Ab 1986 sieht dieses Projekt unter anderem vor ein „demokratisches Netzwerk“ aufzubauen, das stark genug ist, um sich gegen Kommunisten und Militärs durchzusetzen, die gleichermaßen als Feinde betrachtet werden….
Wir wollen auf solchen Statements nicht weiter eingehen, weil es heute für uns am wichtigsten ist mit aller Kraft darauf hinzuweisen, daß all diese, Uruguay und die Streitkräfte betreffenden Probleme, extrem schwerwiegend sind und es sich dabei auf keinen Fall um ein Rand-oder ein vorübergehendes Problem handelt.
Sie bilden Teil eines Problems und eines Dilemmas, das den ganzen Kontinent durchzieht. Die Militärs diskutieren und was sie diskutieren sind keine Hirngespinste, weder für sie, noch für andere. Die rechten Parteien und der Imperialismus beteiligen sich aktiv an diesen Diskussionen. Die Linke, also wir, laufen Gefahr entweder im Abseits zu stehen, oder einfach benutzt zu werden. Diese Diskussion ist nicht nur theoretisch: Sie ist schon konkret geworden. In Venezuela mit den bekannten Auswirkungen. In Estelí mit Toten unter Genossen. In Montevideo mit Bombenanschlägen und Morden, ohne daß sich jemand dazu bekannt hätte.
Selbstverständlich, nach allem was ich in diesen drei Artikeln geschrieben habe, teile ich persönlich die Auffassung von Shafik Handal zur Charakterisierung der Clinton Regierung. Diese Meinung war beim Foro de Sao Paulo in der Minderheit geblieben. Natürlich ist es nicht so wichtig, ob man viele oder wenige Stimmen im Foro von Sao Paulo bekommt, wo die Linke Lateinamerikas wichtige Themen unserer Zeit diskutiert. Was wirklich wichtig ist, ist sich darüber bewußt zu sein, das dieses Problem existiert.
„Wir waren nie Speichellecker“ Ich unterstütze – natürlich tue ich das – die Maßnahmen, der kubanische Regierung. Sie sind auch ein Teil des Dramas unserer Zeit. Wir waren immer, fast schon aus Prinzip, Kritiker, schwer zu bändigen, undogmatisch, immer dagegen…
Wir waren nie Speichellecker, nicht als Individuen und auch nicht als Organisation. Das wäre für uns das Schändlichste…. Schlimmer als die Niederlage. Wir glauben, daß wir diese (für uns) Tugend haben, weil wir Uruguayer sind und weil es bei uns zur nationalen Identität gehört gescheiterte Helden zu haben (Nationalheld: General Artigas), zu gewinnen, obwohl man eigentlich chancenlos ist, auf der Seite des Schwächsten stehen…..
Die Würde arm, klein und wenige zu sein, ist ein Teil unserer Landkarte und unserer Geschichte. Jeder ist, wie Gott ihn erschaffen hat, manchmal sogar noch schlimmer; sagt Sancho Panza. Die Uruguayer*innen, ob Gott sie nun erschaffen hat oder wer auch immer, sie sind genau so: Ein kriegerischer Grenzfall, immer zwischen den Mächtigsten dieser Welt, seit Menschengedeken. Wir waren nie auf der Seite eines Imperiums. Und so schlimm erging es uns auch: Wir haben von allen Prügel bezogen, bis zum Völkermord. Und wir haben auch an alle „ausgeteilt“, mit unseren bescheidenen Mitteln… aber wir haben es ihnen gezeigt. Und wir haben „eingesteckt“. Und das Produkt dieser „Schule des Lebens“: Uruguay war und ist „Tierra Purpúrea“; (fruchtbare purpurrote Erde; so in etwa A.d. Ü.). Durch dieses Wunder, und nur dadurch, bleibt dieser kleine Fleck auf der Weltkarte. Und er bleibt ein unabhängiger Fleck.! Natürlich stehen wir auf der Seite Cubas!
Aber bitteschön. Egal, ob man gewinnt oder verliert. Wenn man auf der anderen Seite stünde, hieße das zunächst einmal sich mit den Speichelleckern herumschlagen zu müssen. Es sind die gleichen wie früher, immer die selben. Es würde für uns auch „Erbärmlichkeit“ bedeuten. Da wäre es schon besser sich eine Kugel in den Kopf zu schießen …
Vor die Wahl gestellt, sich lieber die Kugel zu geben (die das Problem nicht löst, aber „immerhin wär's was“, wie Benedetti sagt), oder sich in diese selbstmörderischen Erbärmlichkeit zu begeben, viele – wir können sie schon sehen, hören, lesen ertragen…- haben sich für Letzteres entschieden: Es sind die leblosen Mumien, die durch die Welt laufen. Wir möchten lieber weiter küssen können.
Poonal Nr. 118 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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