(Berlin, 5. Oktober 2023, poonal).- Ende September hat die Berliner Initiative Ciudad Migrante ihr Handbuch „Guia migrante de supervivencia urbana“ vorgestellt. Es enthält nützliche Hinweise für insbesondere lateinamerikanische Migrant*innen auf Wohnungssuche oder mit Problemen im Berliner Bürokratiealltag.
Meldeadressen – ein Markt für sich
Ciudad Migrante ist 2022 aus dem Umfeld des Bloque Latinoamericano, einer Berliner Gruppe von politisch aktiven Lateinamerikaner*innen, entstanden. In mehreren offenen Workshops tauschten sich die Aktivist*innen zum Berliner Wohnungsmarkt, dem Zugang zu Wohnraum für Migrant*innen, Problemen bei der Anmeldung und weiteren bürokratischen Hürden aus. Schnell entstand ein Austausch mit anderen Gruppen, Ciudad Migrante wurde auf politischen Aktionen und Demos aktiv. Nach einem Jahr Arbeit hat die Gruppe nun ihr Handbuch „Guia Migrante“ vorgestellt. Das Handbuch konzentriert sich auf zwei Kernthemen: einerseits auf den schweren Zugang zu würdevollem Wohnraum als Migrant*in in Berlin und andererseits auf Probleme bei der Anmeldung einer Wohnung. Letztere beschreibt das Handbuch als Teufelskreis: Migrant*innen aus Lateinamerika finden kaum einen Wohnort, an dem sie sich tatsächlich auch melden können. So entsteht ein Kreislauf der Prekarisierung: keine Anmeldung, kein Job, keine Versicherung usw. Das Problem der Anmeldung begreifen die Aktivist*innen von Ciudad Migrante als zentral: Mitte der 90er Jahre etablierte sich das Wort „anmeldar“ im Sprachgebrauch von spanischsprachigen Migrant*innen. Zahlreiche lateinamerikanische Migrant*innen berichten inzwischen davon, dass sie nicht nur hohe Mieten, sondern auch hohe Geldbeträge allein für eine Meldeadresse bezahlen: bis zu 600€ pro Person. Für Migrant*innen wird die Anmeldung zum besonderen Problem, denn ihre Herausforderungen verschärfen die ohnehin schon starke strukturelle Ungleichheit, die sie auf dem Wohnungsmarkt erleben.
Prekäre Wohnsituationen, besonders für FLINTA*
Außerdem beleuchtet das Handbuch das Thema Wohnen auch aus einer Geschlechterperspektive: So bekämen insbesondere FLINTA* häufig nur unsichere oder keine Mietverträge, müssten mit Unbekannten zusammenwohnen oder erfahren an ihrem Wohnort sexualisierte Gewalt. Wohnen FLINTA* mit ihren Partner*innen zusammen, so sind sie häufig finanziell und rechtlich von ihnen abhängig. In Berlin sind derweil die Hilfsangebote für FLINTA* wie Frauenhäuser rar, beklagt das Handbuch. Themen wie diese werden im Handbuch nicht nur in Texten erläutert, sondern auch von Karten, zahlreichen Fotos und Illustrationen ergänzt. Gemeinsam mit der Gruppe orangotango, die kritische Kartografie betreibt, entstand so zum Beispiel eine Berlin-Karte, die die prekäre Wohnungssituation vieler lateinamerikanischer Migrant*innen darstellt: zahlreiche Umzüge, unterschiedliche Wohnorte, teilweise weit entfernt vom Ort der Anmeldung, weite Fahrtwege. Außerdem gab es für das Handbuch enge Zusammenarbeit mit Berliner Beratungsstellen für Migrant*innen, darunter die oficina precaria oder das Bildungszentrum Lohana Berkins.
Das Handbuch: Information und Anregung zur Organisierung
Das Handbuch soll nicht nur informieren: Es ist auch ein Werkzeug für die politische Organisierung von Migrant*innen. So sollen zwar mit dem Handbuch einerseits individuelle Probleme gelöst werden. Es gehe aber auch darum, gemeinsam dafür zu kämpfen, dass Wohnraum nicht mehr als Warebegriffen wird. So verstehen sich die Verfasser*innen auch selbst nicht als Beratungsstelle, sondern als Politgruppe. Enge Vernetzungen gibt es auch zur Bewegung Deutsche Wohnen und Co. enteignen, die nun ein Volksbegehren für einen Gesetzesentwurf startet – für Ciudad Migrante ein historischer Tag für die Mieter*innenbewegung in Berlin. Und auch mit der Veröffentlichung des Handbuchs ist man einen Schritt weiter im gemeinsamen langfristigen Kampf für ein Recht auf Stadt.
Weitere Informationen und die Möglichkeit zum Download des Handbuchs (auf Spanisch) gibt es hier.
Überleben auf dem Wohnungsmarkt. Ein Ratgeber für Migrant*innen von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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