Urbane Gärten in Bogotá

(Bogotá, 6. September 2023, npla).- Die Welt befindet sich in einer Nahrungsmittelkrise, von der nach Angaben des Welternährungsprogramms derzeit etwa 345 Millionen Menschen betroffen sind. In Lateinamerika und der Karibik haben nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation mindestens 131 Millionen Menschen keinen Zugang zu verschiedenen Faktoren für eine gesunde Ernährung. Dazu gehören fehlende Kaufkraft, eingeschränkter Zugang zu Ackerland und angemessener Anbautechnologie, die Auswirkungen des Klimawandels sowie die Veränderungen in der landwirtschaftlichen Familienproduktion, die sich von der Selbstversorgung in kleinem Maßstab zu einer groß angelegten industriellen Monokultur entwickelt hat, die nicht nur Nahrungsmittel, sondern auch Agro-Kraftstoffe produziert.

Die verschiedenen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Krisen haben gravierende Folgen für die Ernährungssysteme der ganzen Welt. Regierungen, transnationale Konzerne und internationale Institutionen haben dem Import und Export von Lebensmitteln und Agrarprodukten Vorrang eingeräumt, anstatt die lokale und nationale Produktion zu unterstützen, die gesunde Lebensmittel für die Menschen hervorbringt. Aus diesem Grund sind heute viele Länder auf die internationalen Märkte für Lebensmittel angewiesen.

Kolumbien ist ein Land, das sich durch seine klimatische Vielfalt auszeichnet und über einen großen Anteil an Land verfügt, das für die Aussaat einer Vielfalt von Nahrungsmitteln geeignet ist. Aufgrund der Globalisierung hat das Land jedoch der Viehzucht und anderen tropischen Erzeugnissen wie Zuckerrohr, afrikanischer Palme oder Kaffee Vorrang eingeräumt, die für den Export die Produktion von Nahrungsmitteln wie Gemüse und Getreide ersetzt haben. Deswegen ist Kolumbien stark von der Einfuhr von Grundnahrungsmitteln aus den Vereinigten Staaten oder anderen produzierenden Ländern abhängig. Heutzutage haben die wenigen Bäuer*innen, die diese Nahrungsmittel anbauen, viele technische Schwierigkeiten aufgrund der hohen Preise für die benötigten Rohstoffe, des Fehlens von Verbindungswegen zu den Hauptstädten und des Mangels an Anreizen und Unterstützung, die ihnen helfen könnten, mit den internationalen Märkten zu konkurrieren.

Diese Anhäufung von widrigen Umständen hat dazu geführt, dass viele Menschen aufgrund der hohen Preise keinen Zugang zu Nahrungsmitteln haben. Mit anderen Worten: Die Nahrungsmittelkrise ist nicht auf einen Mangel an Nahrungsmitteln zurückzuführen, sondern auf Preisspekulationen und die Schwierigkeiten bei der Vermarktung und Verteilung. Aus diesem Grund haben verschiedene internationale Organisationen und soziale Bewegungen als Alternativen die Schaffung von kurzen Vermarktungskreisläufen vorgeschlagen, in denen die Wege zwischen Erzeuger*innen und Verbraucher*innen verkürzt werden. Weitere Anregungen sind die Erhöhung der Kulturpflanzenvielfalt, die Agrarökologie als Produktionsmethode, die Bewahrung von eigenem Saatgut, eine von den Menschen getragene Lebensmittelverwaltung sowie die Anerkennung und Unterstützung von lokalen Kleinerzeuger*innen.

Urbane Gärten als Alternative zur Nahrungsmittelkrise

In diesem Szenario sind urbane Gärten durch den Anbau von Gemüse in Hinterhöfen, auf Dächern und anderen städtischen Flächen, insbesondere in armen Stadtvierteln, eine Alternative zur

Krise. In Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, haben sich viele Bewohner*innen von Stadtvierteln zusammengeschlossen, um ihre eigenen Gemeinschaftsgärten anzulegen, darunter das Kollektiv Huertopia im Sektor Alto Fucha im Süden der Stadt. „Um ökologisch harmonische Prozesse rund um den Anbau zu schaffen, müssen wir zunächst unsere Verbindung mit der Natur reflektieren“, schreibt das Kollektiv. „Wir müssen die Zyklen der Natur und der Mutter Erde respektieren. Wir müssen zur Erde, sprichwörtlich zu den Wurzeln zurückkehren, unser Wissen darüber erhalten und neu erlernen. Um dieses gemeinschaftliche Werk im Einklang mit der Natur nachhaltig betreiben zu können, muss es aus unserer Sicht definitiv antikapitalistisch und antipatriarchalisch sein.“

Diese Prozesse werden zumeist von den Bewohner*innen der zurückgelassenen oder sozial schwachen Viertel angeführt, die nicht nur versuchen, durch den Anbau verschiedener Gemüse-, Knollen- und Getreidesorten eine alternative Nahrungsmittelversorgung zu schaffen, sondern auch das soziale Gefüge wieder aufzubauen. Die Bewohner*innen des Alto Fucha haben traditionell am Übergang von Stadt zum Land gelebt. Später sind viele Familien, die von ihrem Land in anderen Teilen Kolumbiens vertrieben worden waren, hierhergekommen und haben sich in der Peripherie dieser heute riesigen Stadt angesiedelt. Huertopia schreibt: „Wir wollen erreichen, dass wir als Bewohner*innen unser Stadtviertel, unser Territorium wertzuschätzen lernen und uns ermächtigen, um in diesem Territorium würdevoll leben zu können. Alle, die ihr Sandkorn beitragen wollen, bei der gemeinschaftlichen Arbeit, durch die Teilnahme an Diskussionen und Workshops, sind willkommen.“

In Bogotá sind diese Erfahrungen mit städtischen Gärten in den letzten zehn Jahren durch die Arbeit organisierter Gemeinschaften und auch durch institutionelle Unterstützung gewachsen und verstärkt worden, wie Isaac Delgado, der Leiter des Huertas Urbanas-Prozesses in Bogotá, erklärt: „Seit 2004 wurde ein Projekt zur Stärkung der städtischen Landwirtschaft ins Leben gerufen, damit die Menschen in der Stadt lernen können, wie man zu Hause in der Stadt Gemüse anbaut. Dieser Prozess wurde dann 2014 und 2019 wiederholt, mit Höhen und Tiefen, abhängig von den Regierungen, die für die Budgets in der Stadt verantwortlich waren. Die Pandemie war ein entscheidender Moment, denn mit ihr verschlimmerten sich die genannten Probleme der Nahrungsmittelversorgung in den Vierteln, so dass die urbane Landwirtschaft in den Mittelpunkt rückte.“

Nach Angaben des Botanischen Gartens gibt es in Bogotá etwa 4.000 Gemüsegärten, von denen viele eine gewisse institutionelle Unterstützung erhalten. Sie haben auch die Möglichkeit, die Produkte ihrer Gärten auf den städtischen Bauernmärkten zu verkaufen, die zweimal im Monat im Botanischen Garten stattfinden. Jede*r kann hier Obst und Gemüse kaufen und die Menschen treffen, die es angebaut und geerntet haben.

Diese Gärten stellen auch eine wichtige Alternative für die Verwendung von organischen Abfällen dar, die in der Stadt anfallen, wie z. B. Obstschalen, Gemüsereste oder Eierschalen. „In der städtischen Landwirtschaft ist die Umwandlung von organischen Abfällen der Grundpfeiler dieser Kreislaufwirtschaft, denn in einer Stadt werden letztlich am meisten organische Abfälle produziert, da es dort mehr Einwohner pro Quadratmeter gibt als auf dem Land“, erklärt Delgado. „Die Produktion von organischen Abfällen in der Stadt ist immens. Das Allermeiste wird auch heute noch verschwendet, statt es in organischen Dünger zu verwandeln. In vielen Stadtvierteln werden die Menschen mittlerweile aufgefordert, ihre organischen Abfälle zu sammeln. Es gibt sogar Stadtteilgemeinschaften, die organische Abfälle sammeln und traditionell kompostieren, sie verpacken, etikettieren und verkaufen ihn dann.”

Die Erfahrungen mit den städtischen Gärten in Bogotá zeigen, dass es möglich ist, durch die kollektive Arbeit organisierter Gemeinschaften, die durch kleine städtische Kulturen die Entfernung zu den Vermarktungskreisläufen verringern, agrarökologische Techniken ohne Chemikalien anzuwenden. Diese Gemeinschaften können die Räume der Stadt nutzen, sie wiederbeleben und sich aneignen, um nicht nur ihre Ernährung, sondern auch ihre psychische Gesundheit und ihre Beziehung zu dem städtischen Gebiet, in dem sie leben, zu verbessern und so die Umweltbeziehungen und das soziale Gefüge in Kontexten wie Bogotá verbessern, wo viele Menschen aufgrund von Krieg, Gewalt, Migration und Vertreibung gefährdet sind.

Zu diesem Artikel gibt es einen Podcast bei Radio onda.

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