Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 165 vom 18.10.1994
Inhalt
MEXICO
KUBA
HAITI
BOLIVIEN
UMOPAR verlangt bis zu 200 Dollar für die Freilassung Unschuldiger
DOMINIKANISCHE REPUBLIK
GUATEMALA
MEXICO
EZLN: Die Regierung will keine friedliche Lösung
(Mexiko-Stadt, 14. Oktober 1994, POONAL).- Die angespannte Lage im mexikanischen Bundesstaat Chiapas hat sich weiter verschärft. Die Nationale Zapatische Befreiungsarmme (EZLN) kündigte der Regierung vorerst den Dialog auf. „Es gibt keinen Willen der Regierung für eine friedliche Lösung“ schrieb die Guerilla in einem Kommuniqué. Unter anderem werden Provokationen und Truppenbewegungen der offiziellen Armee, das brutale Vorgehen gegen Landbesetzungen und der Mord am Generalsekretär der Regierungspartei als Belege genannt. Die Zapatistas informierten über die Verminung aller Zugänge zu dem von ihnen besetzten Gebiet und die Installation von Flugabwehrgeschützen. „Wir sind bereit“, so die Guerilla.
Zapatistas verminen die Zugänge zu dem von ihnen besetzten Gebiet
Das Kommuniqué wurde veröffentlicht, als 1.500 Mitglieder der im August auf Initiave der EZLN entstandenen Nationalen Demokratischen Konvention (CND) in San Cristóbal die ersten zwei Monate ihrer Arbeit auswerteten. Das Treffen vom 10. bis 12. Oktober war zugleich der Auftakt für vielfältige Proteste, mit denen der Amtsantritt des Regierungskandidaten Robledo Rincón als Gouverneur von Chiapas verhindert werden soll. Am 12. Oktober demonstrierten etwa 25.000 Indígenas gegen Rincón und für den Oppositionskandidaten Amado Avendaño in San Cristóbal. Die Dialogaufkündigung könnte der Regierung Anlaß geben, mit noch mehr Härte auf friedliche Proteste zu reagieren.
Der Vermittler in den ersten Gesprächen zwischen Regierung und Guerilla im März dieses Jahres, Bischof Samuel Ruiz García, hat vorgeschlagen, die „Neue Nationale Vermittlungskommission“ solle die Verhandlungen zwischen den beiden Parteien wieder in Gang bringen. Die Kommission hat sich am 15. Oktober zu ihrer ersten Sitzung getroffen. Präsident Salinas de Gortari äußerte öffentlich in einer ersten Reaktion seine Gesprächsbereitschaft. Allerdings erscheinen wieder vermehrt Berichte über gezielte Provokationen der mexikanischen Armee. Diese führt Aufklärungsflüge über das Gebiet der Zapatistas durch und betritt entgegen der Vereinbarungen an verschieden Stellen das von diesen kontrollierte Territorium. Die EZLN verschärfte ihren Tonfall daraufhin. Am 14. Oktober defilierten vor Mitgliedern der CND sowie der nationalen und internationalen Presse in Aguascalientes dreitausend Guerilla- Kämpfer*innen und schossen in die Luft. Bisher hatten sich der Öffentlichkeit noch nie soviele Einheiten der EZLN präsentiert.
KUBA
Die schwierige Umwandlung der kubanischen Wirtschaft
– Von Vivian Del Rosario Hernandez*
(Havanna, 11. Oktober 1994, prensa latina-POONAL).- Wie kann die kubanische Wirtschaft wieder angekurbelt werden? Diese Frage steht im Zentrum der Debatten auf der Insel. Unter den Wissenschaftler*innen und Funktionär*innen ist häufig zu hören, die Talsohle sei im letzten Jahr erreicht worden. Allerdings ist die Wirtschaft noch sehr labil und stark abhängig vom Exportsektor. Die traditionellen Bereiche – der Zucker- und Nickelexport, die früher 50 bzw. 15 Prozent der Exporterlöse ausmachten – haben sich bislang nicht erholt. Sie bleiben auf einem Niveau von etwa 38 und 15 Prozent.
Kurswandel: Von der Importsubstitution zur Exportoffensive
Es ist häufig auf die zwar langsame, aber doch wichtige Veränderung der kubanischen Außenhandelsstruktur in den vergangenen Jahren hingewiesen worden. Es sind neue Bereiche wie der Tourismus entstanden, in dem 1993 bereits 41 Prozent der Exporterlöse erwirtschaftet wurden. Medikamente und bio- technologische Produkte machten schon fünf Prozent aus. In diesem Jahr könnten die Beton- und Stahlausfuhr nach Mittelamerika und in die Karibik an Bedeutung gewinnen. Eng mit diesem Wandel verbunden ist das Verhalten gegenüber diesen entstehenden Wirtschaftsbereichen. Es gibt dort gemischte Unternehmen, kubanische Handelsgesellschaften, bestimmte Formen der Devisenfinanzierung, Repräsentationen ausländischer Unternehmen, usw. Allerdings konnten diese Veränderungen im vergangenen Jahr den Niedergang der traditionellen Wirtschaftssektoren nicht auffangen.
Dennoch geht dieser Artikel von der Hypothese aus, daß der Anteil der nicht-traditionellen Ausfuhren weiter wachsen wird. Die Hypothese gilt auch für Bereiche, die zwar keine Exporte mit sich bringen, aber zur Wirtschaftserholung beitragen können, indem sie Importe ersetzen oder Subventionen überflüssig machen. Dazu zählen die Ölförderung und der Übergang zur Eigenfinanzierung beispielsweise im Flug-, Schiffs- und Hafenwesen. Dort werden die Subventionen allmählich wegfallen. Sind dies die ersten Ergebnisse eines neuen Produktionsmodells? Bereits die Wissenschaftler James F. Petras und Morris H. Morley, die den 1985 begonnenen Prozeß der „Rectificación“ (Berichtigung) analysierten, bemerkten: „Die kubanische Wirtschaftspolitik ging von einer Strategie eines internen Marktes mit Importsubstitution zu einer Exportstrategie über, die mit der großen Anstrengung verbunden ist, die inneren strukturellen Bedingungen zu schaffen, um erfolgreich auf dem Weltmarkt konkurrieren zu können.“
Sozialprodukt von 1989 bis 1993 auf 54 Prozent gesunken
Für viele Experten war diese Entwicklung nicht widerspruchsfrei. Es gab Fortschritte und Rückschritte. Zu den Problemen, die eine klare Bewertung der Wirtschaftskonversion auf Kuba verhindern, gehören die Aktivitäten außerhalb der neu entstehenden Sektoren. Wie nicht anders zu erwarten, richtet sich die ausländische Investition auf die Bereiche, wo das Kapital sich schneller und sicherer amortisiert: Tourismus, Nickel, Öl, Tabak, Zitrusfrüchte, usw. Es reicht nicht aus, wenn diese Industrien auf effizienterer Basis arbeiten, um die Sackgasse zu verlassen, in der sich die Wirtschaft der Insel befindet. Das Sozialprodukt von 1993 erreichte nur noch 54 Prozent des Standes von 1989. Wenn wir uns international umsehen, dann beträgt auch in den industrialisierten Ländern und den Ländern der Dritten Welt mit natürlichem Zugang zum internationalen Kapitalmarkt die direkte Auslandsinvestition nur bei 10 Prozent der internen Ersparnisse. Das Wirtschaftswachstum hängt im Wesentlichen von den Mitteln ab, die im Innern freigemacht werden und sich in produktive Investitionen wandeln.
Die Investitionsschwäche stellt ein gravierendes Problem dar. Die Folge: Es fehlen Produktionsmittel und Ersatzteile, es fehlt an Kapital, das früher aus Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion kam. Diese Situation erschwert die Umwandlung der kubanischen Wirtschaft erheblich. Aber die Probleme, die Ökonomie zu reformieren, kann nicht nur auf äußere Faktoren zurückgeführt werden. Die Ursachen liegen auch in der Abnutzung des bisherigen kubanischen Wirtschaftsmodells begründet. So erweisen sich die zentralistischen und bürokratischen Führungsmechanismen als Hemmnis, die Wirtschaft flexibler zu gestalten und für die Exportproduktion konkurrenzfähig zu machen.
Man kann folgern, daß Autonomie, Eigenfinanzierung und finanzielle Disziplin – auf Gewinn- und Kostenrechnung basierend – bis jetzt noch erstickte kreative Reserven und Möglichkeiten freimachen. Ein anderes Schlüsselproblem ist der Anreiz für die Arbeitskräfte. Die umlaufende Geldmenge zu reduzieren und der nationalen Währung und damit den Löhnen einen „Wert“ zu geben, ist nur eine der möglichen Maßnahmen. Der fehlende Arbeitsanreiz schlägt sich auch in der niedrigen Produktivität nieder, die wiederum mögliche Investoren abschrecken könnte. Der spanische Wirtschaftsrat begründete beispielsweise die Tatsache, daß 90 Prozent der spanischen Investitionen auf der Insel im Tourismussektor getätigt werden, mit dem „entwickelteren Anreizsystem für die Abeiter*innen im Tourismus im Vergleich zur Industrie“.
Wichtigste Veränderung: 80 Prozent der Agrarfläche wurde an Kooperativen übergeben
Eine besondere Aufmerksamkeit verdienen die Basiseinheiten der Kooperativenproduktion (UBPC). Ein beträchtlicher Teil des staatlichen Ländereien (rund 80 Prozent des bebaubaren Bodens) wurde an kleinere und mittlere Vereinigungen übergeben. Für viele Expert*innen ist diese Veränderung die wichtigste Vernderung, die in der kubanischen Landwirtschaft stattgefunden hat. Die Ergebnisse werden in den nächsten Jahren zu sehen sein. Das Potential hängt von Anpassungen ab, die unvermeidbar erscheinen. Jüngste Analysen zeigen das. Die durch den Staat festgesetzten Preise und die vorgeschriebenen Absatzkanäle werden überprüft. Der fixierte Preis macht bisher einige Produktionen unrentabel. Das schrittweise Vorgehen, das allem Anschein nach für die Umwandlung der kubanischen Wirtschaft ausgewählt wurde, hat seine Vorteile, weil es institutionelle Vakuen vermeidet. Angesichts der Erfahrung in Osteuropa und der Ex-Sowjetunion ist diese Gefahr nicht zu unterschätzen. Die kubanische Regieruung versucht, die sozialen Kosten zu kontrollieren. Auf der anderen Seite birgt das schrittweise Vorgehen aber auch das Risiko, daß Veränderungen zu langsam erzielt werden. Der Prozeß erfährt nicht die entsprechende Wertschätzung. Ob schneller oder langsamer, die wirtschaftlichen Reformen müssen auf jeden Fall darauf abzielen, die Kluft zwischen den neu entstehenden und den traditionellen Sektoren zu überwinden.
*Die Autorin arbeitet am kubanischen Forschungszentrum für Weltwirtschaft, CIEM
HAITI
Unmut über US-Invasion wächst
(Port-au-Prince, 5. Oktober 1994, hib-POONAL).- Obwohl ein Großteil der Bevölkerung die US-Truppen weiter als „Verbündete“ ansieht, beziehen viele Organisationen der Volks- und Demokratiebewegung öffentlich Stellung gegen die Intervention und Besatzung auf Haiti. Die Demonstrationen, Anklagen und die Entrüstung der Inselbewohner*innen haben die US-Soldaten dazu gedrängt, einige Soldaten und Paramilitärs zu entwaffnen und Waffen zu beschlagnahmen.
Die „Allianz“ zwischen der Bevölkerung, die Demokratie fordert, und der nordamerikanischen Interventionsmacht ist allenfalls vorübergehend. Kombit Komilfo, eine Volksorganisation aus Grand- Goave westlich der Hauptstadt, erinnerte die Menschen am 29. September in einer zweiseitigen Mitteilung daran, daß die Besatzungskräfte nicht die von der Bewegung verlangten demokratischen Änderungen einführen: „Die Haitianer*innen müssen sich klar werden: Wenn sie den Putsch beenden und das Macoute- System für immer begraben wollen, müssen sie zuerst auf ihre eigenen Kräfte und Waffen vertrauen… Das Hin- und Herschaukeln – einen Tag mit den Macoutes, den anderen Tag mit den Demokrat*innen -, das Teil der Politik unseres Landes geworden ist, muß für immer aufhören“, so heißt es bei Kombit Komilfo.
Die Nationale Vereinigung Haitianischer Student*innen (FENEH) wandte sich scharf gegen die US_Intervvention. Sie nannte die „Anwendung eines neoliberalen Wirtschaftsmodells, die Demontage der organisatorischen Struktur der Massen und die Gründung einer effektiveren Besatzungsarmee, um die Bevölkerung in Schach zu halten“, als Ziele der Invasion. Die beiden Hauptstadt- Organisationen Solidarite Ant Jen und Konbit Veye Yo bezeichnen die augenblickliche Situation als „ein Ergebnis der Diplomatie der gesenkten Köpfe innerhalb der Lavalas-Bewegung“. Die Bewegung habe vergessen, „daß die Menschen selbst handeln müßten und die Subjekte ihrer eigenen Geschichte sein sollten.“ Die Gruppen meinen auch: „Es ist traurig zu sehen, wie die Bevölkerung die US- Militärintervention als Atempause aufgefaßt hat, obwohl dieser Empfang ein Ergebnis der Unterdrückung durch die Putschisten ist. Dennoch zeigt er klar den Schwächezustand der Volksbewegung.“ Andere Organisationen äußerten sich bisher in ähnlichem Sinne.
BOLIVIEN
Demonstration für Kokablätter und Souveränität
– Von Luisa Limachi
(La Paz, 11. Oktober 1994, sem-POONAL).- Als am 19. September ein langer Demonstrationszug von Koka-Produzent*innen aus der Region El Chapare durch die Hauptstadt La Paz zog, empfingen tausende der Einwohner*innen die Gruppe mit Applaus und Tränen. Die Kokabäuer*innen, an der Spitze fünf Frauen, ließen die Kokapflanze hochleben und forderten die Eigenständigkeit ihres Landes. Die Kokabäuer*innen waren in 22 Tagen etwa 650 Kilometer bis zur Hauptstadt marschiert. Ihre Aktion hatte den Namen „Marsch für den Respekt vor dem Leben, der Kokapflanze und der Nationalen Souveränität“. Der erlittenen Übergriffe müde hatten sich 2.000 Bäuer*innen von dem Ort Villa Tunari aus, der 120 Kilomenter nordöstlich der Minenstadt Cochabamba liegt, am 29. August auf den Weg zum Regierungssitz in der Hauptstadt gemacht.
In Bolivien leben schätzungsweise 70.000 Kleinbäuer*innen mit ihren Familien vom Kokaanbau. Im Gegensatz zu den Produkten des Obst- und Landwirtschaftsanbaus in den Regionen El Chapare und Los Yungas (das Gebiet um La Paz) werden die Blätter dreimal im Jahr geerntet. Im Chapare werden für 100 Pfund Koka 150 Bolivianos gezahlt, etwa 70 Dollar. Mit 100 Apfelsinen erzielen sie dagegen einen Preis von 1 Boliviano, nicht einmal einen Dollar also. Angesichts dieser Situation versichern die „Cocaleros“, nur die Kokapflanze könne die Einkünfte für ihr Überleben sichern. Dabei stritten sie in den Verhandlungen mit der Regierung nicht ab, daß ein großer Teil der Kokablätter aus dem Chapare zur Produktion von Kokain verwendet werde.
Sicherheitskräfte greifen Demonstrationszug an
Bereits drei Stunden nach Beginn ihres Marsches attackierten Polizei und Soldaten die Demonstrant*innen mit Tränengas. Ganz Bolivien entrüstete sich über diese Aktion. Doch weder die Gewaltanwedung noch die Verhaftung ihrer wichtigsten Führer Evo Morales und David Herrada verhinderte, daß der Marsch sich neu organisierte und nach zwei Tagen in Cochabamba ankam. Die Cocoaleros erreichten mit ihrem Druck die Freilassung ihrer beiden Führer. Von Cochabamba aus marschierten die Frauen an der Spitze der 2.000 Menschen. Am 5. September griffen die Regierungskräfte den Zug in dem Ort Quillacollo erneut an. Es gab mehrere Verletzte und zahlreiche Verhaftete. Als Antwort auf diese Provokation und aus Solidarität schlossen sich Campesinogruppen aus Oruro, Potosi und der Yungas-Region nach und nach dem Marsch an, darunter 20 Frauen mit ihren Kindern.
Martha Nina, Führerin der Nationalen Vereinigung der Bäuerinnen erzählt: „Die Campesinogemeinden auf unserem Weg haben uns mit großer Freundlichkeit empfangen, aber keine Gemeinde konnte uns mit Lebensmitteln versorgen.“ Für die junge Quechuafrau und Gewerkschafterin Sandra Macías war es wichtig, daß die Frauen ohne Diskrimierung Seite an Seite mit den Männern kämpften. Sie selber hielt eine bewegende Rede auf der Plaza San Francisco in der bolivianischen Hauptstadt. Für Nestor Bravo von der LandarbeiterInnengewerkschaft (CSUTCB) war die Anwesenheit der Frauen für den Kampf der Cocaleros entscheidend: „Sie entschieden, daß der Marsch weitergehen sollten, sie zeigten einen eisernen Willen und den Mut, die Polizeisperren zu überwinden.“
Die in La Paz angekommenen Campesinos bedeuteten einen starken Druck auf die Regierung. Sie entschied sich, mit der bolivianischen ArbeiterInnenzentrale (COB) über die Lösung des Kokaproblemes zu verhandeln. Vorher hatten die Regierungsbehörden noch behauptet, die Presse würde in Bezug auf den Marsch bewußt die Unwahrheit sagen. Die Campesinos existierten nicht und die Fotografien in den Zeitungen seien von anderen Demonstrationen.
Der Auslöser des „Marsches für den Respekt vor dem Leben, der Kokapfanze und der nationalen Souveränität war eine Anti- Drogenaktion mit dem Namen „Nuevo Amanecer“ (Neuer Tagesanbruch). Diese Operation begann im Juli. Hauptleidtragende waren nicht etwa die Drogenhändler, sondern die Kokaproduzent*innen, die Frauen und Kinder. Der bolivianische mobile ländliche Einsatztrupp (UMOPAR) arbeitete mit der US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA zusammen. In den ersten Wochen wurden mehr als 200 Campesions verhaftet. Andere wurden als „pisacocas“ (Arbeiter der Drogenhändler, die die Kokablätter unter Zuhilfenahme von Chemikalien – meistens deutsche – zerstampfen; die Red.) in der Tropenzone von Chapare angeklagt. Es war nicht die erste Anti-Drogenaktion, sondern eine von vielen seit 1987 – aufgrund eines bilateralen Abkommens mit den USA, die die Vernichtung der Kokapflanzungen wollen.
UMOPAR verlangt bis zu 200 Dollar für die Freilassung Unschuldiger
Schätzungen gehen von ungefähr 7.000 aus dem Chapare vertriebenen
Campesinos durch die Operation „Nuevo Amanecer“ aus. Zudem gibt es
Berichte über einen Machtmißbrauch der UMOPAR. Beispielsweise sollen Minderjährige mißhandelt worden sein, um Informationen über Gewerkschaftsführer*innen preiszugeben. BäuerInnenführer David Herrada: „Die Kinder werden getreten und geschlagen, wenn sie ihre Eltern verteidigen. Auch sie werden in die Kaserne gebracht. Die Kinder leiden am meisten unter dem Kampf.“ Im Chapare herrscht das Gesetz des Stärkeren. Die UMOPAR verlangt, so die Cocaleros, zwischen 100 und 200 Dollar, damit die unschuldig Verhafteten freikommen. Die Liste der Beschuldigungen ist noch länger.
Der Konflikt hat vor allem zwei Dinge deutlich gemacht: die Armut, in der das Land lebt und die geringe Wirksamkeit des Programmes der „Alternativen Entwicklung“. Mit dieser Regierungsinitiative wird seit Jahren versucht, den Kokaanbau durch andere landwirtschaftliche Produktionszweige zu ersetzen. Die Erfolge waren nicht groß. 21.000 Hektar Anbaufläche wurden ersetzt. Doch allein dieses Jahr sind fast 28.000 Hektar mit der Kokapfanze bebaut. Von den im vergangenen Jahrzehnt in das Programm investierten 183,4 Millionen Dollar ist kaum etwas bei den Cocaleros angekommen. Die Regierung hat das Scheitern der „alternativen Entwicklung“ inzwischen eingeräumt. Die Kokabäuer*innen erreichten nach fünftägigen Verhandlungen mit der Regierung erste Ergebnisse: Die UMOPAR-Kräfte im Chapare sollen verringert werden. Die Regierung sagte zu, die Gesetzgebung über den Kokaanbau zu überprüfen. Auf internationaler Ebene will sie sich für seine Entkriminalisierung des Kokaanbaus einsetzen.
DOMINIKANISCHE REPUBLIK
Ein Haus für HIV-infizierte Kinder
– Von Olga Cedeño
(Santo Domingo, 21. September 1994, sem-POONAL).- „Taten, keine Worte“, steht in Latein auf einer kleinen Bronzeplakette, die an einem Hausportal in einem Armenviertel angebracht ist. In dem Haus wohnen die Kinder, die schon bei der Geburt vom Tod gezeichnet sind. Die für das Haus verantwortliche Organisation CAMCE (Hilfszentrum für Minderjährige mit besonderen Bedingungen) ist die erste Institution im Land, die HIV infizierte Kinder versorgt. Inzwischen sind zehn Kinder dort, Platz ist für 30. Das älteste Kind ist fünf Jahre alt, das jüngste gerade anderthalb Monate. Es wurde in einem Mülleimer gefunden.
Das erste Fall eines HIV-infizierten Kindes in der Dominikanischen Republik wurde 1985 bekannt. Der Arzt Edwin Cruz vom Kinderkrankenhaus nennt die Zahl von insgesamt 134 Kindern, bei denen seitdem der Virus, entsprechende Antikörper oder die ausgebrochene Krankheit AIDS festgestellt wurde. In 35 Prozent der Fälle wird die Infektion durch die Mutter an die Kinder weitergegeben. Daten des Gesundheits- und Sozialministeriums weisen die Mehrheit der 2.376 entdeckten AIDS-Fälle bei Minderjährigen und Menschen unter 35 Jahren aus. Der Virus breitet sich vorwiegend unter den Heterosexuellen aus. Nach Meinung von Cruz Bournigal, dem Immunbiologen des Kinderkrannkenhauses wird es deswegen immer mehr Frauen im gebärfähigen Alter mit dem HIV-Virus geben und mehr Neugeborene, die durch ihre Mütter infiziert werden. „Wir hatten ein gerade im Alter von 13 Jahren gestorbenes Kind. Es war das Kind, das am längsten von allen im Land überlebt hat, weil es von seinen Eltern unterstützt wurde“, sagt der Spezialist. Das Kind bekam 175 Behandlungen und war mehrmals im Krankenhaus. Alles Notwendige für eine „optimale Behandlung“ wurde bereitgestellt. Allerdings kostete ein einziger Krankenhausaufenthalt 22.000 Dollar.
Im Jahr 2000 sind 5.000 Kinder HIV infiziert
„Die Krankenhausstrukturen in der Dominikanischen Republik sind nicht auf die Ausgaben eingestellt, die ein Kind verursacht, das bis zum Tod schwere Infektionen erleiden kann“, sagt Buornigal. „Das ist nicht nur hier so, in jedem Teil der Welt, auch in den entwickelten Ländern.“ Wenn die Statistiken rechtbehalten, werden im Jahr 2000 etwa 5.000 Kinder infiziert sein, die in 95 Prozent der Fälle von ihren Müttern angesteckt werden.
Im CAMCE-Haus wird nicht nur Kindern bis zu sechs Jahren Schutz geboten. Erziehung und Beratung über die AIDS-Krankheit, medizinische Behandlung und die Erziehung der minderjährigen Kranken gehören mit zu den Angeboten. Die Einrichtung bekommt Hilfe von staatlicher, kirchlicher und privater Seite. Im Stadtviertel ist sie als Mary-Loly-Haus bekannt, benannt nach den Vornamen der ersten beiden Kinder, die dort aufgenommen wurden. Viele Menschen aus der Nachbarschaft leisten inzwischen Freiwilligenhilfe. Sie übernehmen in Schichten die Betreuung und Pflege der kleinen Kinder. In Gesprächen mit SEM äußerten sie ein allgemeine Akzeptanz gegenüber der Institution. Elizardo Puello, der Koordinator der Einrichtung ist stolz: „Wir haben eine große Arbeit im Viertel geleistet. Wir haben über AIDS unterrichtet und die Gemeinde in dieses Projekt einbezogen. Es ist nur eine bescheidene soziale Antwort angesichts der größten Herausforderungen der Menschheit.“ Erstaunlicherweise bricht in diesem armen Viertel die Solidarität die Barrieren der Diskriminierung.
GUATEMALA
Rigoberta Menchú fordert Landreform
(Guatemala, 13. Oktober 1994, cerigua-POONAL).- Die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchú hat sich für eine Landreform ausgesprochen. Sie äußerte sich zu dem Thema in einer landesweit gesendeten Radiosendung unter dem Titel „Land: ein Schrei, der tausende Guatemaltek*innen bedrückt“. Menchú nannte die Konzentration des Landbesitzes in den Händen weniger das wesentliche Problem. Diese wollten nicht anerkennen, daß das Land für die Guatemaltek*innen eine Quelle für Arbeit und ein würdiges Leben sein könne. Die Nobelpreisträgerin beschuldigte auch die Funktionäre des INTA, mit fremden Grundstücken lukrative Geschäfte gemacht zu haben.
Rosario Pu vom CUC bezeichnete den Landbesitz, die Arbeitsgeräte und die allgemeine Unterstützung für die Campesinos als einziges Mittel, die Armut zu bekämpfen – acht von zehn Guatemaltek*innen leben in Armut. Die beiden Indígenaführer*innen stimmten darin überein, daß die einzigen Landbesetzer in Guatemala die Großgrundbesitzer sind. Es gäbe brachliegende Böden, die unter den Campesinos ohne Land verteilt werden könnten. Nach Daten der CIREFCA konzentrieren sich 65 Prozent der derzeit bearbeiteten Böden (2,721 Millionen Hektar) im Land auf 2,3 Prozent der gesamten Fincas (in diesem Fall schließen die „Fincas“ die kleinen Grundstücke der Campesionos ein; die Red.). Vier Million Hektar bebaubaren Landes werden nicht genutzt und liegen brach.
Überlebende der Massaker erinnern sich
– Von Alba Trejo
(Guatemala, 26. September 1994, sem-POONAL).- Seit kurzem gibt die fruchtbare Erde ihre Toten preis. Nach zwölf Jahren, in denen sie sie verborgen hat, gibt sie die Trachten, Gewänder, zeremoniellen Gegenstände, Schmuck und Kleidungsstücke, die zusammen mit den Gebeinen begraben sind, den traurigen Blicken der gualtemaltekischen Bäuer*innen frei. Diese kommen in der Hoffnung, in einem der Toten den verschwundenen Bruder, den Vater, die Mutter, den Sohn oder den Großvater wiederzuerkennen. Der Schmerz ist groß. Doch heute hat die Hoffnung auf ein Friedensabkommen (zwischen der Guerilla und der Regierung) die lebenden Nachfahren der Mayas aus ihrer Zurückhaltung herausgeholt. Sie wagen es nun, von ihren Schicksalen zu erzählen, die geheimen Grabstätten aufzudecken und ihren verwandten Opfern ein christliches Begräbnis zu geben.
Der heute 28jährige Francisco Chen Osorio lebte in Rio Negro, 225 km westlich der Hauptstadt. Die Zone ist von der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Armee und der Guerilla, der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG), am meisten betroffen. „Ich war siebzehn, aber schon verheiratet, weil es Sitte meines Dorfes ist, daß die Eltern schon im Alter von sieben Jahren eine Partnerin für ihren Sohn suchen. Meine Frau und ich hatten einen Sohn von sechs Monaten,“ erzählt der Indígena. Francisco erinnert sich, wie er sich an jenem Tag auf einem Hügel versteckte, nachdem er Augenzeuge geworden war, wie eine Gruppe aus Männern, Frauen und Kindern mit Gewalt fortschleppt wurde. Er konnte dem Tod entfliehen, aber in der Gruppe befanden sich seine Frau und sein Sohn. Ihr Schicksal war vorgezeichnet.
Nach 12 Jahren findet Francisco die Gebeine seiner Faru
Bei jüngsten Exhumierung in Rio Negro grub man die Gebeine von 50 und 89 Kindern aus. Francisco entdeckte seine Frau unter den Toten: „Sie trug eine bunt-geblümte Bluse. Dies war das einzige, was mir half, sie zu identifizieren.“ Seinen Sohn hingegen fand er nicht zwischen den Körpern. Laut der Stellungnahme eines der Richter des Bezirks Ravinal, Baja Verapaz, 200 km westlich der Hauptstadt gelegen, fand das Massaker am 13. März 1982 statt. Das Unglück hunderter Campesions in Rio Negro begann, als die Armee kam, um die Guerilla in diesem Gebiet zu vernichten. Hinzu kamen die Pläne der guatemaltekischen Regierung, weite Teile des bebauten Landes zu überschwemmen, um den Staudamm von Chixoy zu bauen.
Die Indígenas warteten mehr als zehn Jahre, bis sie den Tod ihrer Familienangehörigen anzeigten. Heute unternehmen sie große Pilgerfahrten, um ihre Toten zu identifizieren und zu begraben. Die aufgedeckten Massaker sind ein schlagender Beweis für die gewalttätige Vergangenheit des Landes. Eines der größten geheimen Massengräber wird im Gebiet des Ixcán, Quiché, vermutet. Aussagen zufolge sollen in dieser Region etwa 1.000 Indígenas verscharrt sein.
17 Prozent der Bevölkerung starben bei den Massakern
Im Bezirk Ravinal gab es zwischen 1989 und 1994 bereits drei Exhumierungen an verschiedenen Orten. Allein im vergangenen Jahr wurden dort 274 Leichen entdeckt. Doch nach Untersuchungen von verschiedenen Menschenrechtsgruppen gab es im Zeitraum von 1980 bis 1983 in Ravinal 19 Massaker, denen etwa 4.000 Menschen zum Opfer fielen – 17 Prozent der dort lebenden Bevölkerung. Dies erklärt vielleicht das Schweigen der Bevölkerung. Sie sind von der Anwesenheit des Militärs eingeschüchtert, die in der Nähe einkaserniert sind. Die Campesinos beschuldigen die Armee, verantwortlich für die Gewalttätigkeiten zu sein, die damals das Land regierten.
Es gibt Zeugnisse, die die von den Militärs kontrollierten paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC) für den Mord an den Frauen und Kindern aus Rio Negro verantwortlich ausweisen. Diese wurden unter dem Putschregime von General Efrain Ríos Mont (1982-83) gegründet. Juana Tum aus Rio Negro entrann dem Tod damals nur knapp: „Dort in den Bergen sagten sie uns, wir seien Freunde der Guerilla. Sie kamen, um unser Dorf niederzubrennen. Sie zwangen uns, zu tanzen und sagten: 'So haben wir es mit denen vom Guerillaheer der Armen (EGP) gemacht'.“ Die Frau, gerade 29 Jahre alt, berichtet weiter, wie die Männer mit den Gewehren und der grünen Uniform sie acht Stunden zu Fuss laufen liessen – mit ihren Kindern auf dem Rücken. „Die Kinder baten um Wasser und die Männer schlugen sie. Ich schaffte es, mich in eine Bodenvertiefung fallen zu lassen und konnte mich verstecken. Wir waren fast 50 Personen, deshalb bemerkten sie es nicht.“ Was sie im folgenden hörte, wird für immer in ihrem Gedächtnis haften bleiben: „Ich hörte die Schreie der Frauen. Ich wagte den ganzen Tag über fast nicht, zu atmen. Als es dunkel geworden war, traf ich die anderen überlebenden Nachbarn des Massakers. Wir flohen in die Berge. Dort versteckten wir uns mehr als ein Jahr, bis wir es wagten, in die Bezirkshauptstadt von Baja Verapaz zu gehen.“
Noch weitere 175 Massengräber
Juana zeigte den Behörden das Massengrab. Auf richterlichen Beschluss wurden die Körper exhumiert und von einem gerichtsmedizinsichen Team untersucht. Es waren in der Mehrzahl Frauen, erstickt oder durch Schußverletzungen gestorben. Der größte Teil der Kinder hatte zertrümmerte Schädel. Ein Zeichen, daß sie schwere Schläge erhalten hatten. Die Pressesprecherin der Armee, Edith Vargas, streitet die Schuld der Armee an diesen Fällen völlig ab: „Dies ist eine Strategie der Guerilla, um das Heer und die Regierung zu diskreditieren,“ beteuert sie. Die Gruppe für gegenseitige Hilfe von Familienangehörigen Verhafteter und Verschwundener (GAM) geht davon aus, daß mindestens 175 weitere Massengräber über das Land verteilt existieren, für die das Militär verantwortlich ist.
Gewerkschaftsproteste gegen Entlassungen und Preiserhöhungen
(Guatemala, 13. Oktober 1994, cerigua-POONAL).- Verschiedene Gewerkschaften protestierten am 13. Oktober gegen die Erhöhung der Preise für öffentliche Dienstleistungen sowie gegen drohende Massenentlassungen. An vielen Orten in Guatemala-Stadt gab es Demonstrationen und Versammlungen. Mitglieder der UASP blockierten zwei Hauptverkehrsadern. Die öffentlichen Angestellten kündigten für den Folgetag massive Streiks an. Auch die STINDE sprach von einem möglichen Streik, falls der Präsident Ramiro De León seine Drohung wahrmache und 1.500 Arbeiter*innen der staatlichen Elekrizitätsgesellschaft entlasse. De León Carpio bezeichnete die Gewerkschafter*innen als „gesetzlos“. Er werde nur mit „ruhigen und besonnenen Volksführer*innen“ sprechen. Den Dialog mit denen, die auf der Strasse protestierten, lehnte er rundweg ab.
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