Poonal Nr. 134

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 134 vom 14.03.1994

Inhalt


GUATEMALA

MEXICO

KUBA

ECUADOR

LATEINAMERIKA

KOLUMBIEN


GUATEMALA

Behörden in Organhandel verstrickt?

(Guatemala, 10. März 1994, cerigua-POONAL).- Die Bewohner*innen der Gemeinde Santa Lucía Cotzumalguapa in der südlichen Provinz Esquintla beschuldigen die lokalen Behörden, in die Entführung von Kindern und den Handel mit deren Organen verwickelt zu sein. Diese Vorwürfe äußerten sie gegenüber der Tageszeitung „Prensa Libre“. Sie bezeichneten den Organhandel auch als Auslöser für ihre zweitägige Rebellion, bei der 50 Menschen verwundet und 60 verhaftet wurden. Eine zentrale Rolle spielt nach den Zeugenaussagen die US-Bürgerin Meliza Carcil Larson. Sie soll Personen angeleitet haben, Kinder zu entführen und zu ermorden. Anschließend seien die Leichname geöffnet worden, um die Organe zu entnehmen. Auf den gefundenen Körpern, die ohne Organe gefunden wurden, lagen nach Angaben der Tageszeitung jeweils 100-Dollarscheine. Die Bewohner*innen beschuldigen laut „Prensa Libre“ einen örtlichen Richter, einen Gerichtsmediziner und verschiedene Mitglieder der Nationalpolizei an, für den Kinderraub, die Morde und die Verstümmelungen verantwortlich zu sein.

Zehn Kinderleichen am Ortsrand gefunden

Am 4. März fanden Bewohner*innen von Santa Lucía nach Angaben der Zeitung am Ortsrand die Körper von zehn Kindern. Die Organe waren herausgeschnitten worden. Am 7. März informierte die guatemaltekische Nachrichtensendung „Notisiete“ über die Festnahme der US-Bürgerin Meliza Carcil Larson durch die Einwohner*innen, als sie mit zwei entführten Kindern zu einer Marktverkäuferin in der Gemeinde floh. Die Einwohner*innen übergaben die Nordamerikanerin der Nationalpolizei. Stunden später jedoch wurde Larson freigelassen. Das provozierte den Aufstand, der am 9. März in den Abendstunden von Eingreiftruppen und gepanzerten Fahrzeugen der Armee unter Kontrolle gebracht wurde. Während der Rebellion gegen die örtlichen Behörden zündeten die Bewohner*innen von Santa Lucía Cotzumalguapa die Polizeikaserne, die Büroräume des Friedensrichters und einen Funkstreifenwagen an. Außerdem bauten sie Barrikaden an den Ein- und Ausfahrten der Ortschaft auf, die sich 100 Kilometer von der Hauptstadt entfernt befindet.

Streiks halten an – 36 Gewerkschafter*innen verhaftet

(Guatemala, 10. März 1994, cerigua-POONAL).- Die Universitätsabsolventen im Staatsdienst berichteten am 10. März, daß ihre Streikbewegung 100 Prozent erreicht hat (die „Akademiker*innen“ werden nicht zu den „normalen“ Angestellten gerechnet; die Red.). Antonio López, Führer dieser Berufsschicht, versicherte, daß die Arbeitsniederlegungen im ganzen Land stattfänden, „in allen öffentlichen Institutionen und Behörden.“ Wie die Staatsangestellten verlangen die Universitätsabsolvent*innen von der Regierung eine Gehaltsanpassung bzw. -Erhöhung. López sagte, auch das Finanzministerium werde bestreikt. Die Sicherheitskräfte verhafteten währenddessen am 9. März 36 Gewerkschafter*innen der Straßenbaubehörde, bei der mehr als 20.000 Arbeiter*innen beschäftigt sind. Nach Angaben des Regierungssprechers verletzten sie die Ordnungsgesetze, als sie eine Versammlung vor dem Regierungspalast anführten. Die Einheit für Gewerkschafts- und Volksaktionen (UASP) bezeichnete die Festnahme als illegal, da es keinen Ausnahmezustand gäbe, der die in der Verfassung festgelegten Grundrechte einschränke (die baldige Freilassung der Gewerkschaftsführer*innen wurde erwartet, jedoch liegen der Redaktion darüber keine Informationen vor). Als Beispiel für die Flexibilität der Arbeiter*innen nannte der Führer des Gewerkschaftsverbandes staatlicher Bediensteter und Arbeiter*innen (FENASTEG) die Tatsache, daß jetzt eine monatliche Lohnerhöhung von 300 Quetzales (ca. 50 US-Dollar) gefordert wird. Am Anfang der Streikbewegung, die am 28. Januar begann, hatten die Arbeiter*innen wesentlich höhere Lohnsteigerungen (40 Prozent) gefordert.

Gewerkschaftsführer warnt vor sozialer Explosion

(Guatemala, 10. März 1994, NG-POONAL).- Nery Barrios von der Einheit für Gewerkschafts- und Volksaktionen (UASP) hat am 10. März vvor einer sozialen Explosion gewarnt. Die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung sei so schlecht, daß nicht mehr ausgeschlossen werden könne, daß sich der Zorn und die Enttäuschung in gewalttätigen Ausbrüchen entladen werde. Die Stimmung im Land verschärfe sich noch durch ungestrafte Gesetzesverletzungen, Korruption und die Unterdrückung der zivilen Bevölkerung. Er wies ausdrücklich auf die Ereignisse in Santa Lucía Cotzumalguapa hin. Barrios sagte: „Der Überdruß und die Verzweiflung der Bevölkerung werden nicht mit Einschüchterungen beseitigt und noch viel weniger mit Drohungen, Entführungen und Morden. Die Unterdrückung wird nur zu einem weiteren Faktor, der die dringenden wirtschaftlichen, politischen und sozialen Transformationen, die das Land benötigt und die das Volk fordert, in weite Ferne rücken läßt.“

Wieder eine Brücke in die Luft gesprengt

(Guatemala, 7. März 1994, NG-POONAL).- Ende vergangener Woche (d.h. Anfang März; die Red.) wurde die Brücke San Juan auf der Straße zum Atlantik 20 Kilometer von der Hauptstadt entfernt von Unbekannten in die Luft gesprengt. Die Schäden werden auf eine Million Quetzales (ca. 160.000 US-Dollar) geschätzt. Durch die Sprengung sind die Verbindungen von der Hauptstadt in die Provinzen im Nordwesten und zum Teil auch im Westen des Landes unterbrochen. Das schließt die Häfen Santo Tomás de Castilla und Puerto Barrios ein, beides wichtige wirtschaftliche Zentren des Landes. Der Präsident Ramiro De León Carpio wollte nicht bestätigen, daß die Aktion von der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) begangen wurde. Denn falls dies so sei, „könnte man nicht mehr in ihren politischen Willen für die Befriedung des Landes vertrauen“. Die guatemaltekischen Streitkräfte dagegen machten die Guerilla für den Sabotageakt verantwortlich. Der Vizepräsident Arturo Herburger Asturias erklärte, die Sprengung der Brücke könne auch vvon Drogenhändlern begangen worden sein. Er glaube nicht, daß die Guerilla den Frieden auf diese Weise suche. Die URNG hat sich bisher nicht zu dem mutmaßlichen Sabotageakt geäußert. Auf die Gespräche zwischen Guerilla und Regierung in Mexiko-Stadt hatte die Sprengung der Brücke, so weit bekannt, keinen Einfluß.

Verhandlungsrunde ohne Abkommen, aber mit Konsens

(Mexiko-Stadt, 9. März 1994, POONAL).- Am 8. März endete nach fünftägigen Gesprächen die erste Verhandlungsrunde zwischen der guatemaltekischen Regierung und der Guerilla in der Amtszeit von Präsident Ramiro De León Carpio. Der Vermittler der UNO, Jean Arnault, informierte über einen „Konsens“ der beiden Seiten. Ein Abkommen habe es jedoch nicht gegeben. Einzelheiten gaben weder er noch die Regierung und die Guerilla bekannt. Klar ist allerdings, daß über das umstrittene Thema Wahrheitskommission keine Einigung erzielt wurde, obwohl die Menschenrechte der zentrale Punkt in den Verhandlungen waren. Ein unterschriftsreifes Abkommen könnte frühestens in der nächsten Runde zustandekommen. Sie ist für den 23. März angekündigt und soll erneut in der mexikanischen Hauptstadt stattfinden.

MEXICO

„Revolutionäres Frauengesetz“ der EZLN

(Mexiko-Stadt, 8. März 1994, POONAL).- Zum Internationalen Tag der Frau am 8. März fand das revolutionäre Frauengesetz der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) in Mexiko besondere Verbreitung, auch wenn es bereits im ersten EZLN-Bulletin vom Dezember 1993 abgedruckt war. Angesichts des Internationalen Frauentages dokumentieren wir das Gesetz im Folgenden:

1.) Die Frauen haben ohne Unterschied ihrer Rasse, ihres Glaubens, ihrer Hautfarbe oder politischen Zugehörigkeit das Recht, am revolutionären Kampf an dem Ort und in dem Ausmaß teilzunehmen, wie ihr Willen und ihre Fähigkeit es bestimmen. 2.) Die Frauen haben das Recht zu arbeiten und das Recht auf einen gerechten Lohn. 3.) Die Frauen haben das Recht, über die Zahl der Kinder zu entscheiden, die sie haben und aufziehen wollen. 4.) Die Frauen haben das Recht, an den Angelegenheiten der Gemeinde teilzunehmen und eine Aufgabe zu übernehmen, wenn sie frei und demokratisch gewählt werden. 5.) Die Frauen und ihre Kinder haben das Recht auf eine MINDESTVERSORGUNG, was ihre Gesundheit und die Ernährung angeht. 6.) Die Frauen haben das Recht auf Bildung. 7.) Die Frauen haben das Recht, ihren Partner zu wählen. Sie dürfen nicht gezwungen werden, die Ehe einzugehen. 8.) Keine Frau darf geschlagen oder körperlich mißhandelt werden, weder von Familienangehörigen noch von Fremden. Die Verbrechen von versuchter Vergewaltigung oder Vergewaltigung werden streng bestraft werden. 9.) Die Frauen können Führungsaufgaben in der Organisation übernehmen und militärische Grade in den bewaffneten revolutinären Streitkräften haben. 10.) Die Frauen werden alle Rechte und Pflichten haben, die die revolutionären Gesetze und Verordnungen bestimmen.

Die Macht der Medien im Chiapas-Konflikt

(Mexiko-Stadt, 11. März 1994, Felap-POONAL).- Die Ereignisse im mexikanischen Bundesstaat Chiapas bewegen die Welt. Die nationalen und internationalen Medien berichteten über den Aufstand der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) im Süden des Landes. In erster Linie war dies wegen der risikoreichen Arbeit der Berichterstatter*innen im Kriegsgebiet möglich (während die Armee lange Zeit eine Nachrichtensperre verhängte, gewährte die Guerilla Reportern schon frühzeitig Zugang in die umkämpften Zonen; die Red.). So hat der Konflikt in dem abgelegenen Gebiet die entscheidende Rolle der Medien und die Verantwortung der Berichterstatter ins Blickfeld gerückt. Die gesamte Welt erfuhr von Chiapas, erfuhr von den Ursachen, die den von der EZLN organisierten Indígena-Aufstand in der Region bewirkten und von den militärischen und politischen Maßnahmen der mexikanischen Regierung. Ohne Zweifel lernten die geheimen Indígena-Führer*innen, die Kollektive der EZLN und besonders der über Nacht weltweit bekannt gewordene Subcommandante Marcos die Bedeutung der journalistischen Berichterstattung – im positiven wie im negativen Sinn. Von Anfang an gewährten sie den Journalist*innen Zugang. Allerdings erkannten sie schnell die Notwendigkeit, diejenigen auszuwählen, die offen und ohne allzu starke Vorbehalte berichteten. Natürlich wurde auch Kritik von der einen oder anderen Seite laut. Major Juan, einer der Guerillachefs, sagte vor Journalist*innen, diese hätten sich in einen Kampf gestürzt, ohne sich Gedanken darüber zu machen, daß sie die Indígenas in „eine Ware“ verwandelten. Einige Journalist*innen boten den Guerilleros beispielsweise Geld an, damit sie sich fotografieren ließen und Erklärungen abgaben.

KUBA

Tourismus-Branche wächst um 30 Prozent

– von Alejandro Gomez

(Havanna, 8. März 1994, Prensa Latina-POONAL).- Die Tourismus- Einnahmen auf Kuba beliefen sich im vergangenen Jahr auf 720 Millionen US-Dollar. Das bedeutet nach Angaben von Osmany Cienfuegos, dem Vizepräsidenten des Ministerrates, eine 30prozentige Steigerung gegenüber 1992. Von dieser Summe seien 216 Millionen US-Dollar reiner Gewinn, so Cienfuegos auf einem Seminar für Führungskräfte des Bildungsministeriums. Er informierte weiter, daß der Tourismus als belebendes Element der Wirtschaft im letzten Jahr 47 Millionen Dollar für die nationale Produktion beigesteuert habe. 1994 werden nach seinen Worten 1 Millarde Dollar Einnahmen im Tourismussektor erhofft. Cienfuegos versicherte, die Gewinne aus dem Tourismusgeschäft würden 1996 das Zuckergeschäft übertreffen. Der Zucker ist nach wie vor Hauptdevisenquelle für Kuba. „In naher Zukunft“, so der Vizepräsident des Ministerrates, „wird der Tourismussektor hinter der medizinisch-pharmazeutischen Industrie und der Biotechnologie den zweiten Platz im kubanischen Aussenhandel einnehmen“. Die Kosten für die Reisebranche, so Cienfuegos, würden in Zukunft abnehmen. „Die neuen Strukturen im Tourismusbereich werden zu einer hohen Effizienz beitragen. In diesem Sektor wird nichts überleben, was nicht effektiv arbeitet“, so der Funktionär.

Touristen brachten im vergangenen Jahr 720 Millionen Dollar auf die Insel

Das Tourismusministerium, das im April eingeweiht wird, ist ein Bestandteil der neuen Maßnahmen. Laut Cienfuegos wird das Ministerium für die Richtung der Tourismuspolitik verantwortlich sein, sowie die Arbeit der in dem Bereich unabhängig tätigen Unternehmen kontrollieren und überwachen. Das Ministerium werde sie jedoch niemals dirigieren oder verwalten. Er wies auf die zwei großen Konzepte hin, die die Entwicklung des kubanischen Tourismus bestimmen werden: Spezialisierung und Einbeziehung des ganzen Landes. Was die Spezialisierung anbelangt, so werden nach Cienfuegos unter anderem zwei internationale Hotelketten geschaffen. Ausserdem soll es eine Werbegesellschaft und eine Gesellschaft für die Landtouristen geschafffen werden. Die Gesellschaften Cubanacan und Baviota werden im wesentlichen ihre Strukturen behalten, jedoch ihre Dienstleistungsbereiche individualisieren. Der Rest der mit dem Tourismus verbundenen Aktivitäten wie Transport, Versicherungen, usw. wird von unabhängigen Unternehmen durchgeführt werden, die ihre Dienstleistungen verkaufen. Cienfuegos wies darauf hin, daß die nicht effizienten Unternehmen mittelfristig in Konkurs gehen würden, da im Tourimussektor die Marktgesetze gelten. Die Beteiligung des ganzen Landes wird, so Cienfuegos, durch Unternehmensgründungen gewährleistet sein, die sich auf die Freizeitgestaltung der Tourist*innen spezialisieren werden. Sie sollen unter anderem das kulturelle, sportliche und soziale Angebot für die ausländischen Besucher*innen sicherstellen. Der Funktionär versicherte, daß die neuen Strukturen mit möglichst wenig Personal aufgebaut werden sollen. So werden hauptsächlich Zeitarbeitsverträge abgeschlossen, um die Effizienz abzuschätzen. Als Beispiel führte Cienfuegos das Tourismusministerium an, in dem nur 50 Personen arbeiten werden. Sogar die Direktoren der Hotelketten werden nach dem erwähnten Konzept unter Vertrag genommen.

ECUADOR

Benzinpreiserhöhungen lösen eine Welle von Protesten aus

– von Sally Burch

(Quito, 31. Januar 1994, Alai-POONAL).- Die Benzinpreiserhöhung von bis zu 71 Prozent vom 28. Januar hat eine Welle von Straßenprotesten im ganzen Land ausgelöst (Diese Proteste halten bis heute an. Die konservative Regierung, auch wenn sie in sich gespalten ist, scheint gewillt, diese und weitere Maßnahmen um jedem Preis durchzusetzen. 10 von 15 Ministern wurden bis heute entlassen. Der Präsident Sixto Durán Ballén und der eigentliche starke Mann in der Regierung, der Vizepräsident Alberto Dahik, setzen nach wie vor ganz auf den neoliberalen Wirtschaftskurs; die Red.). Die wachsenden Unzufriedenheit der Bevölkerung geht auf die 16 monatige rigorose wirtschaftliche Anpassungspolitik zurück. Auch wenn die offizielle Inflationszahl für das vergangene Jahr mit etwa 30 Prozent angegeben wird – im Vergleich zu 60 Prozent im Jahr 1992 – spürt die große Mehrheit der Ecudoreaner*innen, daß sich der Kaufkraftverlust ihrer Einkommen in diesen Zahlen nicht wiedergespiegelt. Die Regierung Sixto Durán Ballén rechtfertigt die Benzinpreiserhöhung mit dem Fall der internationalen Ölpreise auf 11 US-Dollar pro Barrel. Der Erdölpreis – Öl ist nach wie vor die erste Devisenquelle des Landes – würde das Haushaltsdefizit auf ungefähr 570 Millionen Dollar anwachsen lassen. Nach dem ergebnislosen Versuch, im Dezember 1993 die Mehrwertsteuer (IVA) von 10 auf 18 Prozent zu erhöhen – die Gesetzesvorlage ist vom Kongreß abgelehnt worden – entschloß sich die Regierung für die Benzinpreiserhöhung, die nicht vom Parlament genehmigt werden muß. Es handelt sich jedoch nicht um eine einfache Erhöhung. Die Regierung wußte sich vor weiteren Ölpreisschewankungen zu schützen, indem sie Benzinpreise direkt an den Ölpreis koppelte. In der Folge hat also das gesamte ecuadoreanische Volk die Last der Schwankungen zu tragen. Breite Schichten der Bevölkerung haben sowohl die Legalität als auch die Begründung für die Maßnahme infrage gestellt. So sammelte im Verlaufe des letzten Jahres die Regierung internationale Währungsreserven von mehr als 1,2 Milliarden US-Dollar an. Das Geld sollte nach Ansicht der Opposition heute dazu benutzt werden, die Haushaltslücke zu füllen. Mehr noch: Obwohl die Regierung verspricht, Sozialprogramme für die ärmsten Schichten einzuführen, hat sie bis jetzt noch keine Sozialpolitik in diesem Sinn entworfen. In Momenten, in denen sich ganz Lateinamerika – die Augen auf Mexiko gerichtet – bewußt wird, daß wirtschaftliche Maßnahmen mit größerer sozialer Sensibilität angewendet werden müssen, setzt die ecuadoreanische Regierung ihre makroökonomische Politik unbeirrt fort. Der sozialen Lücke, die explosiver sein könnte als die Haushaltslücke schenkt sie keine Beachtung.

Regierung zwischen Erdöllobby und Umweltschützern

– von Sally Burch

(Quito, 31. Januar 1994, Alai-POONAL).- Die ecuadoreanische Regierung versucht, das Klima für neue Investitionen in der Erdölindustrie zu verbessern. So begann am 24. Januar die siebte Runde der Ausschreibung neuer Verträge über die Erforschung und Ausbeutung neuer Ölfelder. Die Runde tagt jedoch in einem Moment, in dem die Frage der Umwelteinwirkungen der Erdöl -und Petrochemischen Industrie immer mehr diskutiert werden. Die Indígenas aus dem Amazonasgebiet besetzten am 24. Januar friedlich das Energieministerium, um den Respekt vor den Rechten und vor dem Leben der Indígena-Völker einzufordern. Schon die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatte in diesem Zusammenhang zu vermitteln versucht, um die sozialen und Umwelteinflüsse überprüfen zu lassen. Der zuständige Minister ging auf einige der Forderungen ein. Außerdem akzeptierte er, daß Indígena-Organisationen an den Überprüfungen der Anlagen teilnehmen. Währenddessen versucht die Texaco-Gesellschaft die Ergebnisse der Umweltforums abzuwerten. Die Regierung verlangt eine Entschädigung für die Umweltzerstörung, will aber gleichzeitig den US-Konzern nicht als großen Investor verlieren. Sie hat großes Interesse daran, daß daß der Texaco-Konzern an der siebten Runde der Ausschreibungen teilnimmt. Das Ergebnis der Anhörung könnte daher wichtig für die Effizienz der zukünftigen Umweltkontrollen sein.

Vor Wochen verweigerte die Regierung Indígena-Gruppen ihre Unterstützung in einem Zivilprozeß vor einen US-Gerichtshof gegen die Texaco-Konzern. Die Indígenas haben den US-Konzern auf Schadensersatz in Millionenhöhe verklagt.(vgl. auch POONAL Nr. 131). Die ecuadoreanische Regierung argumentiert, daß der Prozeß in Ecuador stattfinden müßte. Sowohl die Indígena-Organisationen als auch weitere Teile der Gesellschaft interpretierten diese Haltung als stillschweigende Unterstützung für die Texaco-Gesellschaft. Gleichzeitig drängt die Regierung auf Wirtschaftsreformen, um das allgemeine Investitionsklima für die Ölgesellschaften zu verbessern. Auch soll in diesem Zusammenhang die Privatwirtschaft die Erlaubnis erhalten in das nationale und internationale Geschäft mit den Produkten der petrochemischen Industrie einzusteigen. So gesehen sind die Benzinpreiserhöhungen vom 28. Januar ein erster Schritt zu einem freien Treibstoffmarkt. Das Thema ist geeignet, das Land zu spalten, denn die mögliche Privatisierung der Ölindustrie ist einer der Kritikpunkte an der Privatisierungspolitik der Regierung.

LATEINAMERIKA

Weltfrauenkonferenz: Frauenbewegung fürchtet Einmischung durch US-AID

(Januar 1994, Alai-POONAL).- Die von der US-Regierung abhängige Interamerikanische Entwicklungsbehörde (US-AID) ist damit beauftragt worden, die sogenannten Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) Lateinamerikas für die Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 zu fördern. Dieser Auftrag hat innerhalb der feministischen Bewegung Kontroversen hervorgerufen. Die Unzufriedenheit kam auch in Erklärungen wie der folgenden zum Ausdruck, die von 20 Feministinnen aus verschiedenen Ländern unterzeichnet ist: Nach dem wir erfahren haben, daß die Interamerikanische Entwicklungsbehörde (US-AID) die NGOs fördern soll, die die lateinamerikansiche Feministinnenbewegung 1995 in Peking präsentieren soll, wollen wir erklären, daß die Frauenbewegung noch nicht über alle Einzelheiten informiert worden ist. Wir sehen mit großer Sorge, daß man uns Auflagen machen wird. Z.B. wie wir zu den lateinamerikanischen Themen: Gewalt und politische Partizipation zu diskutieren haben; dies alles im Hinblick auf die Teilnahme an der Weltfrauenkonferenz des Jahrzehnts der Frauen. Das bedeutet eine Einmischung in unsere Bewegungen, die wir zurückweisen.

Aus den Ländern des Nordens fließen die Gelder, damit die den Regierungen und der international verfolgten Linie am nächsten stehenden Projekte dargestellt werden. Konfrontationen sollen vermieden werden. Diese Länder haben sich die Einflußzonen aufgeteilt, die sie sich historisch gesehen außerdem selbst aneigneten. Für ihre internationalen Treffen diktieren sie den Frauen des Südens der Welt die Themen. Die Verantwortung, das Programm vorzubereiten und die Teilnahmekriterien für die Vorbereitungstreffen festzulegen, liegt bei den lateinamerikanischen Regierungen und den lokalen Repräsentant*innen der UNO, insbesondere beim UNO- Entwicklungsprogramm (UNDP) und bei UNIFEM. Die Feministinnen können keine Finanzierungen akzeptieren, die von Einschränkungen und Anweisungen begleitet sind. Gleichfalls ist es absolut nötig, über die Teilnahme auf internationalen Foren zu diskutieren. Nützen sie uns wirklich oder rauben sie uns im Gegenteil Energien für unsere feministische Kämpfe?

AID unterstützte Geburtenkontrolle und Zwangssterilisierung

AID ist eine Entwicklungshilfebehörde der USA und hat dazu gedient, daß zahlreiche Militärregime und Diktaturen in Lateinamerika eingesetzt wurden und an der Macht blieben. Was die Frauen angeht, hat AID Programme für die Geburtenkontrolle und Zwangssterilisierungsprogramme in Brasilien und Kolumbien entwickelt. Ihre Bevölkerungskonzepte wurden als Teil der Politik der Nationalen Sicherheit angesehen. Wir glauben, es ist notwendig, daß wir alle die erreichbaren Informationen über andere von AID finanzierte oder geleitete Frauenprojekte in jedem unserer Länder teilen. Wir können informelle Informationsnetze über diese Tatsachen schaffen. Diese können uns helfen, zu verstehen, auf was wir uns einlassen, wenn wir die Auswirkungen der Finanzierung auf unsere Autonomie nicht beachten. Wir schlagen vor, Dokumente über die Lage der Frauen unseres Kontinents zu erstellen, die sich nach den Themen richten, die wir selber auswählen und die unabhängig von den offiziellen Dokumenten sind. Wir interessieren uns dafür, Auswertungen für unsere Bewegung zu machen und nicht für AID und die Regierungen. Wir werden nicht die Information über unsere Bewegung für das nordamerikanische Aussenministerium aktualisieren. Darum sprechen wir uns dafür aus, den Bewertungsprozeß in jedem Land und zwischen den Ländern voranzubringen – durch parallele Treffen zu den (offiziellen) Vorbereitungstreffen unter Einbeziehung der gesamten feministischen Bewegung und unabhängig von den Staaten.

KOLUMBIEN

Präsidentschaftskandidaten werben um Frauen

– von Angela Castellanos Aranguren

(Santafé de Bogota, 7. März 1994, SEM-POONAL).- Kolumbien steht vor einem Superwahljahr, lokale, regionale und nationale Wahlen stehen vor der Tür. Am 13. März werden die Kongreßabgeordneten gewählt. Am 8. Mai ist der erste Wahlgang, um den Präsidenten und den Vizepräsidenten zu wählen. Wenn kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht, gibt es am 29. Mai zwischen den beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen eine Stichwahl. Als ob dies nicht genug wäre, stehen am 30. Oktober die Governeur*innen, die Bürgermeister*innen, die Abgeordneten der Regionalparlamente, die Stadt- und die Verwaltungsräte zur Wahl. Insgesamt werden mehr als 5.000 Staatsrepräsentant*innen durch Volkes Stimme bestimmt. Von den 33 Millionen Kolumbianer*innen dürfen etwa 14 Millionen zu den Urnen gehen. Wahlberechtigt sind die über 18jährigen, etwa zur Hälfte Frauen und Männer. Beständig hoch war in der Vergangenheit stets die geringe Wahlbeteiligung, über 50 Prozent der Wahlbevölkerung nahm an den Urnengängen nicht teil. Besonders hoch ist die Verweigerung der Abstimmung bei den Frauen. Bei den Parlamentswahlen 1991 waren es 64,5 Prozent der Frauen, die keine Stimme abgeben mochten (bei den Männern 62 Prozent). Dieses Wahljahr ist jedoch nicht so wie die vorherigen: Es wird nicht nur zum ersten Mal ein Vizepräsident in Kolumbien gewählt – die Wahlen charakterisieren sich auch durch die Vielfalt der Optionen: Es stehen „metapolitische“ Bewegungen zur Wahl (ihre Füher*innen haben übersinnliche Überzeugungen), Christen, Indígenas, Ex-Guerilleros, die „schrittweisen Öffner“ (die für eine allmähliche wirtschaftliche Öffnung eintreten) und zuguterletzt die Neoliberalen. Während des gesamten Jahrhunderts hatten die Kolumbianer*innen immer nur zwei Wahlmöglichkeiten: Die Konservative und die Liberale Partei. Die Verfassung von 1991 erweitert die Teilnahmemöglichkeiten anderer Tendenzen auf der politischen Bühne. Diese wird zunehmend von Frauen genutzt, die Themen auf die Tagesordnung rücken, die zuvor nur zu gern ignoriert oder in die Privatsphäre abgedrängt wurden.

Nur acht von 173 Parlamentssitzen von Frauen besetzt

Obwohl es noch wenige Frauen im Parlament (Abgeordnetenhaus und Senat) gibt – sie haben acht von 173 Sitzen – haben diese Frauen zusammen mit einigen Männern Themen wie die Gewalt in der Familie, die Abtreibung, die sexuelle Belästigung und die Teilnahme der Frauen im öffentlichen Dienst eingebracht. Während dieser Legislaturperiode wurde sogar ein „Gesetz über die Frau als Familienoberhaupt“ verabschiedet, das von der Senatorin María Isabel Cruz präsentiert wurde. Der Staat wird durch das Gesetz verpflichtet, diesen Frauen besondere Leistungen wie beispielsweise Wohngeld zu gewähren. Gleichzeitig nimmt zum ersten Mal ein Präsidentschaftskandidat das Frauenthema in sein Programm auf. Ernesto Samper, der die größten Chancen hat, von seiner Partei, den regierenden Liberalen, als Kandidat aufgestellt zu werden, kündigte an, während seiner Präsidentschaft „einen nationalen Entwicklungsplan zu formulieren, der den Frauen Gleichberechtigung bietet – begleitet von einer Strategie, die ihnen die Chancengleichheit garantiert“. Samper nahm auch den Vorschlag der unabhängigen Parlamentarierin Viviane Morales auf. Ihr Gesetzesprojekt schlägt vor, daß künftig 15 Prozent der Sitze in den drei Staatsgewalten den Frauen zugestanden werden sollen. Diese Prozentzahl soll kontinuierlich angehoben werden, bis im Jahr 2000 die 30-Prozentmarke erreicht ist. Für den mittleren Dienst, in denen die Kolumbianerinnen zu 21 Prozent vertreten sind, schlägt Morales in dem Gesetzentwurf eine jährliche Steigerung von 5 Prozent vor, bis 1999 die Frauen 50 Prozent der Posten besetzen würden. Ausnahmen würden für die Volkswahlen und die Verwaltungslaufbahnen wie beispielsweise im Gerichtswesen gelten.

Präsidentschaftskandidat kündigt 30 Prozent-Quote für Frauen an

An den Spitzen der Behörden gibt es zur Zeit kaum Frauen. An der Spitze der 14 Ministerien sind nur zwei Ministerinnen: die Außenministerin María Estela Sanín und die Erziehungsministerin Maruja Pachón. Kontrollinstitutionen wie das Polizeiministerium (Procuraduría) oder der Rechnungshof wurden nie von einer Frau geleitet. Im Obersten Gerichtshof gab es niemals eine Frau, während an den normalen Gerichten 40 Prozent der Richter weiblich sind. Bei den Wahlämtern entwickelt sich die Situation positiv, ist aber noch weit von einer Gleichheit entfernt. 1990 saßen in 1.040 Rathäusern 65 gewählte Bürgermeister*innen gegen 58 im Jahr 1988. Im Jahr 1991 wählten die Kolumbianer*innen 53 Frauen in die Regionalparlamente – bei insgesamt 502 Sitzen. In den Stadträten überstieg die Präsenz der Frauen zu keinem Zeitpunkt 10 Prozent. Dagegen ist es Kolumbien nichts außergewöhnliches, Frauen auf Entscheidungsposten im wirtschaftlichen Bereich anzutreffen – sowohl im privaten wie im öffentlichen Sektor. So etwa Viviane Morales, die erneut unter den 122 Kandidatinnen sein wird, die sich für das Parlament bewerben. Sie war Vizeministerin für wirtschaftliche Entwicklung und Präsidentin von verschiedenen staatlichen Wirtschaftsinstitutionen. Aber sehr wenige Frauen machen den Schritt von der technischen Karriere zur politischen.

Amnesty klagt Regierung an

(Bogotá, 2. März 1994, AC-POONAL).- Amnesty International (AI) beschuldigt die kolumbianische Regierung in ihrem Jahresbericht, die Straflosigkeit bei Menschenrechtsverletzungen aufrecht zu erhalten. Der Generalsekretär von AI, Piere Sané, sagte bei der Vorstellung des Berichts am 24. Februar, die Regierung zeige nur wenig Anstrengungen, um die Übergriffe der Sicherheitskräfte einzudämmen und zu bestrafen. In kolumbien müsse daher von einer strukturellen Straflosigkeit gesprochen werden. Sie rechtfertige das Vorgehen von Armee und Polizei häufig mit dem Hinweis auf die dringliche Bekämpfung des Drogenhandels. Sané forderte die internationale Gemeinschaft auf, ihren Blick auf Kolumbien zu richten, um „die wirkliche Natur der politischen Gewalt zu entdecken und wirklichen Druck auf die Regierung auszuüben, damit den Menschenrechtsverletzungen in Kolumbien ein Ende gesetzt wird“.

Amesty: Regierung für „strukturelle Straflosigkeit“ verantwortlich

Dem AI-Bericht zufolge setzt die Armee im Kampf gegen die Guerilla Todesschwadronen ein, die Menschen außergerichtlich hinrichten oder verschwinden lassen. Nicht selten werde die Straflosigkeit dadurch aufrecht erhalten, daß Infomationen vernichtet und die Ermittlungen behindert würden.“Die Verweigerung und der Velust von Informationen durch die Armee sind eine erste Form ihrer Verteidigung. Opfer von außergerichtlichen Hinrichtungen durch die Arrmee und durch paramilitärische Kräfte werden als bei Gefechten gefallene Guerilleros ausgegeben oder es wird einach behauptet, die Guerilaorganisationen oder die Drogenmafia seien für die politischen Morde verantwortlich.“ Weiterhin heißt es in dem Bericht: „Die Militärs sagen, daß die Anschuldigungen gegen die Armee Teil einer von den Guerillagruppen geleiteten Kampagne zur Untergrabung des Vertrauens der Öffentlichkeit in die Armee und die Polizei ist.“ „Die Gesamtheit der im Bericht beschriebenen Mechanismen der Straflosigkeit erlauben zu sagen, daß es in Kolumbien ein strukturelle Staflosigkeit gibt. Hauptverantwortlich dafür ist der kolumbianische Staat.“ AI geht in dem Bericht auch auf die Rechtfertigung der Regierung ein, die gewisse Probleme bei der Aufklärung von Verbrechen damit entschuldigte, der Justiz stünden nur geringe Mittel zur Verfügung. AI wirft der Regierung vor, nur minimale Anstrengungen zu unternehmen. Sie sei daher mitverantwortlich für 4000 Menschen, die in den vergangenen zehn Jahren aus politischen Gründen ermordet worden und 400 Personen, die verschwunden seien. Amnesty beschuldigte auch die Guerillaorganisationen, zahlreiche Angriffe auf zivile Objekte verübt zu haben. AI forderte die Aufständischen auf, die Genfer Abkommen und das Internationale Humanitäre Recht zu respektieren sowie Entführungen und die Ermordung von entwaffneten Soldaten zu stoppen. Der in Europa veröffentliche Bericht ist Teil einer weltweiten Kampagne gegen politischen Mord und das Verschwindenlassen von Menschen. AI erwähnt neben Kolumbien 24 weitere Länder in dem Bericht.

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