Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 274 vom 23. Januar 1997
Inhalt
LATEINAMERIKA
PERU
BRASILIEN
LANDWIRTSCHAFTSKREDIT
ZINSEN
WECHSELKURS
PREISPOLITIK
BRASILIEN
BOLIVIEN
MEXIKO
ECUADOR
GUATEMALA
LATEINAMERIKA
Aufständische im Cyberspace
Von Lucien O. Chauvin
(Lima, Januar 1997, noticias aliadas-Poonal).- Wer an den Guerillagruppen auf dem Kontinent interessiert ist, muß sich nicht mehr in die Dschungelgebiete von Kolumbien, Mexiko oder Peru begeben, um zu wissen, was die Rebell*innen denken. Es reicht, sich ins Internet einzuschalten. Dort finden sich Seiten über Seiten Information. Von der maoistischen peruanischen Gruppe Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) bis hin zur jüngsten Bewegung, der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) in Mexiko: alle schicken sie ihre Botschaften übers Internet. Die Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru (MRTA) gibt regelmäßig Kommuniqués „von irgendeinem Ort des peruanischen Urwalds“ heraus. Über die Ideologie und die Aktionen dieser Guerilla-Organisation können Interessierte Informationen außer auf Spanisch auch auf Englisch, Französisch, Deutsch und Italienisch lesen (http://www.cybercity.dk/users/ccc17427/). Die größte Bedrohung, auf die die MRTA im Internet trifft, kommt nicht von der peruanischen Regierung – obwohl das Büro für Öffentlichkeitsarbeit „PromPeru“ ständig Informationen über Menschenrechtsverletztungen der Aufständischen in deren 12jähriger Geschichte verbreitet – sondern aus den Reihen der Rivalen vom Sendero Luminoso.
Über den Server Blythe in den USA reitet der Leuchtende Pfad über eine Homepage http://web.archive.org/web/20140503194510/http://www.blythe.org:80/peru-pcp/) Attacken gegen die MRTA und beschuldigt sie der fehlenden revolutionären Entschlossenheit. „Revisionismus der MRTA: Alles für den Dialog, nichts für die Revolution“, so beginnt die jüngste Standpauke Senderos gegenüber der anderen Guerillabewegung in Peru. Während sich der Leuchtende Pfad damit befaßt, andere Rebell*innen und seine eigenen Abweichler*innen anzugehen, benutzen die Revolutionären*innen Kolumbiens (FARC) das Internet als Mittel für den ideologischen Krieg gegen die Regierung (htpp://www.farc- ep.org). In ihrer ersten Botschaft 1997 wünschen die kolumbianischen Guerilleros ein frohes neues Jahr. Darin ist ein offener Brief an den Präsidenten Ernesto Samper enthalten, in dem er gefragt wird, was er hinsichtlich der 60 Soldaten unternehmen wolle, die die Guerilla seit August gefangen hält (vgl. auch Poonal 273).
Anfang dieses Jahren baten die FARC das Institute for Global Communication (IGC) mit Sitz in den USA um einen Platz in deren Netz. Nach einer intensiven Debatte wies das Institut, das Teil der internationalen Association for Progressive Communication (APC) ist, den Antrag zurück.
„Die Kontroverse bei uns war, einer Gruppe, die Gewalt benutzt, um ihre Ziele zu erreichen, Platz zu geben oder nicht. Wir haben eine Botschaft, die auf Frieden und Gerechtigkeit beruht und wir überprüfen, ob die Antragsteller*innen diese Verpflichtung teilen“, erklärt Maureen Mason, Vertreterin der Organisation. Sie weist aber darauf hin, daß das Institut nicht verhindern kann, daß seine Mitglieder in ihren Konferenzen Information über die Rebell*innen einbringen. Beispielsweise könnten die Zapatist*innen aus Mexiko auf eine breite Unterstützung unter den Mitgliedern des Institutes zählen. Ähnlich ist die Situation im Peruanischen Wissenschaftsnetz (RCP), dem wichtigsten Internetdienst im Land. Sowohl die Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru wie auch der Sendero Luminoso, denen als Gruppen der Zugang zum Internet verboten ist, senden ihre Botschaften an die 70.000 Nutzer*innen des Netzes. „Meine Einstellung ist, daß wir die Information nicht blockieren sollten. Wir sollen nicht den Boten töten, sondern wirkliche Information über dies terroristischen Gruppen produzieren. Die Regierung und die Zivilgesellschaft müssen auf die Vorstellungen dieser Gruppen antworten“, versichert José Soriano, Geschäftsführer von RCP. Im internationalen Netz gibt es inzwischen auch einen Platz für die Solidarität mit den Geiseln, die die MRTA noch in der Residenz des japanischen Botschafters festhält: http://www.rcp.net.pe/index.html.
PERU
Nicht nur eine Geiselkrise
Von Lucien O. Chauvin
(Lima, Januar 1997, noticias aliadas-Poonal).- Die Mehrheit der Peruaner*innen ist sich einig, daß die Lage im Land besser ist als vor einigen Jahren. Aber die Botschaftsbesetzung mit der Geiselnahme hat die Diskussion über die nationale Sicherheit und die wachsende Armut neu eröffnet. Politische und wirtschaftliche Themen, die jahrelang nicht erörtert wurden, sind nun wieder an die Oberfläche gekommen. Die peruanischen Politiker*innen, angefangen bei Präsident Alberto Fujimori selbst, waren völlig unvorbereitet, als ein Kommando der Revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) am 17. Dezember 1996 in die Residenz des japanischen Botschafters Morihisa Aoki eindrang und die mehr als 600 Gäste als Geiseln nahm. Jetzt sind es noch 73 Geiseln, darunter der peruanische Aussenminister Francisco Tudela, mehrere peruanische Abgeordnete und Generäle und die beiden Botschafter Aoki aus Japan und Jorge Gumucio aus Bolivien.
Die Hauptfrage mit politischem Charakter ist die fehlende Absicherung der Botschaft. Dies besonders, wenn man bedenkt, daß ursprünglich die Teilnahme Fujimoris an den Feierlichkeiten zum Namenstag des japanischen Kaisers Akihito vorgesehen war. Mehrere Jahre hintereinander hatte der Präsident bei diesem Akt nicht gefehlt. Sein jüngerer Bruder ist unter den Geiseln, die Mutter und die Schwester gehörten zu den ersten Freigelassenen. Die Frage der polizeilichen Kontrolle wird ein Thema nach dem Ende der Krise sein. Jetzt fällt die Kritik auf diejenigen, die triumphalistisch versicherten, die „Subversion“ im Lande ausgelöscht zu haben. Im März 1996 löste die Regierung die Abteilung innerhalb der Nationalbehörde gegen den Terrorismus (Dinocote) auf, die Informationen über die Mitglieder der MRTA sammelte. Nun, Ironie des Schicksals, ist der General und Chef der Dinocote, Maximo Rivera, in der Gewalt der Guerilleros.
„Wir müssen uns fragen, wie eine Gruppe, die die Regierung ausgemerzt haben wollte, es schaffte, den spektakulärsten Anschlag in der Geschichte des Landes durchzuführen“, erklärte der Abgeordnete Javier Canseco, der zu Beginn der Krise freigelassen wurde. Die Peruaner*innen und die ganze Welt würden die für Peru daraus entstehenden Risiken sehen, einen „kaiserlich“ regierenden Präsidenten zu haben. In den ersten Wochen der Krise traf sich Fujimori nur mit dem Kreis seiner engsten Berater. Er weigerte sich, die ausländischen Diplomaten zu empfangen, die offenbar von den Rebell*innen freigelassen wurden, um Verhandlungen mit der Regierung zu beginnen. Der Präsident nahm sich nur Zeit, mit dem japanischen Aussenminister zu sprechen. Dieser kam in den ersten Tagen der Krise nach Peru, um sich persönlich ein Bild zu machen, wie die Regierung mit der Situation umging. Als Sohn japanischer Einwanderer, hat Fujimori enge Beziehungen mit dem Land seiner Vorfahren gepflegt, seit er 1990 an die Macht kam. Ein Anfangsrisiko der Krise war für die Regierung die Möglichkeit, die japanische Finanzhilfe zu verlieren. Sie summierte sich in den vergangenen Jahren auf 700 Millionen Dollar und weitere 600 Millionen sind vorgesehen. Obwohl sie ein Ende der Hilfe dementierten, setzten die Japaner vorerst die Unterstützung im Nichtregierungs- und im Kulturbereich aus.
Die zweite große Diskussion konzentriert sich auf die Sparpolitik in der Wirtschaft. Sie findet Anwendung, seit Fujimori vor etwa sieben Jahren die Regierung übernahm. Jahrelang konnte der Präsident die Debatte über die Wirtschaft erfolgreich kontrollieren, indem er mit Nachdruck auf die unleugbaren Erfolge hinwies und seinen Kritiker*innen die Bedeutung absprach, indem er sie als altmodisch bezeichnete. Jetzt hat die Krise die Aufmerksamkeit auf die etwa 50 Prozent der Peruaner*innen gelenkt, die weiterhin in der Armut und ständiger Arbeitslosigkeit leben. Obwohl sogar die Aufständischen den Erfolg einiger Aspekte des Wirtschaftsplanes von Fujimori anerkennen – die Inflation sank von 7.000 Prozent im Jahr 1990 auf heute 11,5 Prozent, die Währungsreserven erhöhten sich innerhalb der vergangenen zwei Jahre beträchtlich und Peru gewann wieder internationales Vertrauen – weisen die Regierungsgegner*innen auf eine höhere Arbeitslosigkeit und Armut als Folge der Sparpolitik hin. Freigelassene Geiseln sagen, daß Néstor Cerpa Cartolini, der das MRTA-Kommando in der Botschaft anführt, den Privatisierungsbemühungen der Regierung bei nicht rentablen Staatsunternehmen sogar zustimmt. Aber eine Hauptforderung der Rebell*innen an die Regierung besteht darin, die Wirtschaftspolitik zu ändern, um der Arbeitsplatzschaffung den Vorrang zu geben.
Die Schwachpunkte des peruanischen „Wirtschaftswunders“ werden auch von Gruppen hervorgehoben, die gewöhnlich die Wirtschaftsinitiativen der Regierung unterstützen. Die Finanzzeitung „Gestión“ bezeichnet die hohe Arbeitslosigkeit als „besorgniserregend“. In der Ausgabe vom 9. Januar werden Statistiken aus den letzten zehn Jahren analysiert. „Gestión“ weist darauf hin, daß die Regierung in den ersten Jahren die Armut, die 1991 über 55 Prozent der 23 Millionen Peruaner*innen betraf, deutlich verringern konnte. 1996 war der Armutsanteil jedoch wieder auf 49 Prozent angestiegen. Im Vergleich zum Durchschnitt der vorherigen Dekade, in der knapp 38 Prozent der Bevölkerung in Armut lebten, liegen die Zahlen zudem wesentlich höher.
Die Rolle des Bischofs
Von Lucien O. Chauvin
(Lima, Januar 1997, noticias aliadas-Poonal).- Ein katholischer Bischof ist zu einer der Hauptfiguren in der Geiselkrise geworden. Seit er Weihnachten im Rahmen der Botschaftsbesetzung durch die MRTA in Erscheinung trat, war Monseñor Juan Luis Cipriani, der Erzbischof der Andenprovinz Ayacucho, an der Freilassung von drei Geiselgruppen beteiligt, unter denen sich mehrere Botschafter und japanische Geschäftsleute befinden. Am Heiligabend ging Cipriani das erste Mal in die Botschaft, um mit den Geiseln die Messe zu feiern. Er blieb sieben Stunden, nahm die Beichte ab und sprach den Festgehaltenen Mut zu. Am 28. Dezember betrat er die Botschaft erneut und verließ sie mit 20 freigelassenen Geiseln.
Am 31. Dezember wies der Bischof mit einer Neujahrsüberraschung auf. Der nahe Freund von Alberto Fujimori feierte früh die Messe, an der der Präsident teilnahm – dieser geht kaum zur Kirche und bezeichnet sie als „archaische“ Institution – und begab sich dann zur Botschaft, um die Gemüter zu beruhigen. Die peruanische Polizei vor dem Diplomatensitz war an diesem Morgen in einer nervösen Stimmung, nachdem es einer Gruppe einheimischer und ausländischer Journalist*innen gelungen war, in das Botschaftsgebaüde zu kommen und mit den Guerilleros sowie einigen Geiseln einschließlich des japanischen Botschafters Aoki und des peruanischen Aussenministers Francisco Tudela zu sprechen. Cipriani, einer der sieben Prälaten des Opus Dei in der katholischen Kirchenhierachie, kam in die Botschaft kurz nachdem die Journalist*innen sie verlassen hatten. Nach einer Stunde verließ er sie zusammen mit dem honduranischen Botschafter José Eduardo Martell und dem Generalkonsul Argentiniens, Juan Antonio Ibañez. Tage zuvor hatte der honduranische Erzbischof und Vorsitzende der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz (CELAM), Oscar Rodrígüz erklärt, Cipriani persönlich um Hilfe bei der Freilassung Martells gebeten zu haben.
Die Expert*innen in politischen und kirchlichen Angelegenheiten zeigten sich von dem plötzlichen Auftauchen des peruanischen Bischofs in der Geiselkrise überrascht. Der in diesen Tagen häufig zitierte Abgeordnete Javier Canseco, der drei Tage nach der Botschaftsbesetzung freikam, sieht Cipriani als den eigentlichen Gesandten zwischen den Rebell*innen und Fujimori an und kommentiert: „Cipriani ist ein politischer Verbündeter des Präsidenten. Fujimori kann darauf zählen, daß Cipriani der Nichtverhandlungslinie der Regierung folgt. Er spielt die Rolle der Augen und Ohren Fujimoris.“ Die anderen Mitglieder der katholischen haben sich darauf beschränkt, sich „angenehm überrascht“ über die Beteiligung Ciprianis zu zeigen. Einige Beobachter*innen glauben, die tatsächlichen Absichten des Erzbischofs seien es, Punkte auf seiner Karriere zum Kardenalshut zu sammeln. Der 53jährige „hat den Blick darauf gerichtet, der nächste Kardenal Perus zu werden“, schätzt die Kirchenexpertin Imelda Vega-Centeno ein. Trotz dieser möglichen Absichten, ist das Internationale Rote Kreuz, das selber eine Schlüsselrolle vom Anbeginn der Krise spielt, bezüglich der Rolle Ciprianis im Hinblick auf eine friedliche Lösung der Situation optimistisch. „Eine respektierte Person wie Cipriani ist wichtig in dieser Entwicklung. Er ist Peruaner. Das ist von Bedeutung, weil die Lösung zwischen Perunärn gefunden werden muß, nicht durch Ausländer, den ihnen sagen, was zu tun ist“, erklärt Ronald Bigler, Sprecher des Internationalen Roten Kreuzes.
Die Geschichte der MRTA
Von Cecilia Remón
(Lima, Januar 1997, noticias aliadas-Poonal).- Die Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru (MRTA) wurde 1984 von einer DissidentInnengruppe der Sozialistischen Revolutionären Partei (PSR) gegründet und bezeichnete sich selbst als marxistisch- leninistisch. Die PSR war den 70er Jahren zur Unterstützung der Militärregierung von Juan Velasco Alvarado entstanden. Zur MRTA stießen auch Mitglieder der Bewegung der Revolutionären Linken – Die Vorkämpferin (MIR-EM, Movimiento de Izquierda Revolucionaria- El Militante), ihrerseits eine Abspaltung der historischen MIR, die zur ihrer Zeit von jungen Leuten der sogenannten „rebellischen APRA“ (APRA 3D Revolutionäre Amerikanische Volksallianz, 1924 von dem Peruaner Haya de la Torre als länderübergreifende Bewegung gegründet, seit 1931 aber nur in Peru aktiv. Die Red.). Die MIR führte inspiriert von der kubanischen Revolution den Guerillakampf in den 60er Jahren an. Zu diesen beiden Hauptqüllen der MRTA kamen noch Mitglieder anderer Kleinstparteien aus dem Spektrum der zersplitterten peruanischen Linken.
Der Peruaner Eduardo Caceres erklärt die MRTA in ideologischer Hinsicht als „eine politisch-militärische Organisation marxistisch-leninistischer Orientierung mit dem Plan eines revolutionären Krieges gegen den Staat, aber ohne eine allzu grosse programmatische Genauigkeit.“ Caceres charakterisiert weiter: „Sie könnte als eine Organisation mit leicht güvaristischem Einfluß definiert werden, die sich als bewaffneter Arm der peruanischen Volksbewegung verstand, der sich dem Staat und dem Sendero Luminoso entgegenstellte, um einen Spielraum für die Bildung der Volksmacht in Peru zu schaffen. Für die Güvaristen (die Anhänger*innen Che Güvaras) sind die Bedingungen in Lateinamerika, wo die Demokratien nicht nur brüchig, sondern unbestimmt und irreal sind, reif oder fast reif für die Entwicklung eines revolutionären Projektes. Dafür braucht man eine revolutionäre Armee, die durch die Guerilla-Aktion geformt werden muß. Später sollen sich daraus die Bedingungen für den Volksaufstand ergeben“, führt Caceres aus.
Strategisch gesehen haben die Güvaristen die Vorstellung, einen revolutionären Krieg zu entwickeln, in den sie verschiedene Aktionsformen einschließen: die strikt militärischen, die Arbeit innerhalb der Volksbewegung und die politischen Aktionen. In der öffentlichen Meinung ist die MRTA immer als weniger gewalttätig als der Sendero Luminoso angesehen worden. Das stimmt nur halb. Nach Carlos Tapia, der sich wissenschaftlich mit dem Guerillaphänomen befasst, „fing die MRTA als Robin Hood an und endete als Kapitän Garfio (ein Piratenkapitän; die Red.)“. Eduardo Caceres meint: „Es ist sehr schwierig festzulegen, wann eine Aktion revolutionär ist und wann sie dazu übergeht, terroristisch zu sein.“ In den ersten Jahren gewann die MRTA die Sympathie der Bevölkerung. Sie „enteignete“ Lastkraftwagen, die mit Lebensmitteln beladen waren und verteilten die Ladung unter den Ärmsten, sie besetzte Radiostationen und sendete ihre Parolen, sie nahm Dörfer im Hochland und im zentralen Urwald ein und erklärte sie zu „befreiten Zonen“, ohne einen einzigen Schuß abzugeben.
Die MRTA zahlte ihrer strategischen Unbestimmheit jedoch Tribut. Sie versuchte dieses Problem zu lösen, indem sie die militärischen Aktionen verstärkte. Nach und nach wurden ihre Operationen kühner und auch blutiger. „Sie begannen, mit der Bevölkerung zusammenzustoßen, Sympathieverluste zu erleiden. Sie mußten bestimmte Aktionsformen intensivieren, die besonders wichtig für den militärischen Bereich sind: Entführungen, um Gelder zu bekommen und sicher auch die Verbindung zum Drogenhandel, so wie es mit allen Kräften passiert ist, die sich in Gebieten mit Drogenhandel aufgehalten haben“, sagt Caceres. Interne Spaltungen führten zur Hinrichtung mehrerer Mitglieder. Das führte zu einer Situation der Schwäche, die von den Regierungskräften ausgenutzt wurde. Letztere versetzten der Bewegung harte Schläge, unter anderem die Gefangennahmen von Víctor Polay Campos – dem obersten Chef der MRTA – und der wichtigsten Kader. Dazu kamen militärische Niederlagen, die zu dem Entschluß führten, sich in entlegene Urwaldregionen zurückzuziehen.
Die Besetzung der japanischen Botschaft ist nicht die erste spektakuläre Aktion der Gruppe. Kurz vor dem Ende der Regierungszeit von Alan García im Juli 1990 entkamen Polay und 47 weitere MRTA-Mitglieder aus einem Hochsicherheitsgefängnis im Osten Limas. Sie flohen durch einen Tunnel von 300 Metern Länge, der von den Aktivist*innen der Bewegung gebaut wurde und der den Expert*innen Respekt abverlangte. Im November 1995 vereitelte eine Militäraktion der Regierung die Pläne der MRTA, das Parlament zu stürmen, um die Freilassung von Häftlingen zu erreichen. Miguel Rincón Rincón, die Nummer Zwei der Organisation, und weitere 20 Mitglieder fielen dabei in die Hände der Regierung. Damals wurden Verbindungen der MRTA zu politischen Organisationen Boliviens aufgedeckt, die die Entführung des Unternehmers und ehemaligen bolivianischen Ministers Samül Doria Medina im Dezember 1995 in der Hauptstadt La Paz durchführten. Für Medinas Freilassung wurden 1,4 Millionen Dollar gezahlt. Die MRTA hat jedoch niemals ihre Bande mit einer Reihe ähnlicher Bewegungen in Lateinamerika verleugnet. Die Organisation selbst gründete das sogenannte „Bataillon America“, das in Kolumbien operierte. Es setzte sich aus Mitgliedern verschiedener aufständischer Organisationen Lateinamerikas zusammen. Was aber die meiste Aufmerksamkeit hervorruft ist das junge Alter der MRTA-Aktivist*innen – in der Mehrheit sind sie unter 20 Jahren und kommen aus dem Zentralurwald – und die Fähigkeit der Bewegung, ihre gefangenen Führer*innen zu ersetzen.
BRASILIEN
Die Situation der Landreform
Von der Bewegung derer ohne Land (MST)
(Brasilien, 15. Januar 1997, alai-Poonal).- Einmal mehr war der Kampf um Land das Zentrum der sozialen Mobilisierung im Brasilien des Jahres 1996. Der bedeutendste Akteur war dabei die Bewegung derer ohne Land (MST), deren Vorgehensweise nationale und internationale Anerkennung gefunden hat. Dies zeigt sich unter anderem in den 14 Preisen, die der Organisation im Verlauf des vergangenen Jahres verliehen wurden. 1997 wird sie im März die „Auszeichnung König Blduin von Belgien“ bekommen. In vorangehenden Jahren wurde die MST unter anderem mit dem alternativen Nobelpreis (1991) und dem Unicef Preis (1995) gewürdigt. Im folgenden präsentiert die Bewegung derer ohne Land ihre (von der Redaktion leicht gekürzte) „Bilanz der Situation der Agrarreform in 1996“:
Wirtschaftspolitik und Landwirtschaft – die Landwirtschaftspolitik der Regierung
1996 war die Landwirtschaftspolitik der Regierung Fernando Henrique Cardoso den Zielen der allgemeinen Wirtschaftspolitik völlig untergeordnet. In diesem Sinne gab sie Massnahmen Vorrang, die auf die Öffnung unserer Märkte für die ausländischen Produkte und Anreize für Auslandskapital zielen. So blieb die Landwirtschaft in der Regierungspolitik absolut an den Rand gedrängt. Es kann gesagt werden, daß die sogenannte Familienlandwirtschaft und die Ansiedlungen überhaupt keine Förderung von der derzeitigen Regierung erhielten. Im Gegenteil, alle Instrumente der Landwirtschaftspolitik wirkten für sie schädlich.
LANDWIRTSCHAFTSKREDIT
Die Landwirtschaft steht beim Bruttoinlandsprodukt mit 78
Milliarden Dollar zu Buche (zehn Prozent) und erreicht 46 Prozent
des Nationalproduktes wenn der agroindustrielle Komplex dazugezählt wird. Unter anderen Regierungen betrug der landwirtschaftliche Kredit jährlich bis zu 15 Milliarden Dollar. 1996 vergab die Regierung 4 Milliarden Dollar Kredite für den mittleren und grossen Grundbesitz. Von den fast vier Millionen Familienbetrieben in der Landwirtschaft erhielten nur 168.000 eine Kreditmöglichkeit. Der Gesamtwert dieser Kredite betrug 200 Millionen Reales (geringfügig weniger als 200 Millionen Dollar; die Red.).
ZINSEN
Die Jahreskreditzinsen für die landwirtschaftlichen
Familienbetriebe kommen aus zusammen etwa 21 Prozent. Sie
erscheinen niedrig, verglichen mit den Zinsen im Handelsbereich. Aber sie bedeuten eine erhöhte Gewinnübertragung von den kleinen Anbäür*innen zu den Banken. Diese Zinsen machen jeden Gewinn für die kleinen Landwirt*innen unmöglich.
WECHSELKURS
Die Regierung hält weiter einen irrealen Wechselkurs aufrecht. Sie
bewertet die einheimische Währung gegenüber dem Dollar zu hoch.
Einziges Ziel ist es, die importierten Waren billig zu halten und mit der Abschaffung weiterer Zölle den Markt zu öffnen. Damit wurde der Markt mit landwirtschaftlichen Produkten zu billigen Preisen überschwemmt. Das schädigte die Landwirt*innen und verhinderte und schmälerte zudem den Gewinn bei landwirtschaftlichen Exportprodukten.
PREISPOLITIK
Die Regierung hat Einfluß ausgeübt, damit die Preise der Produkte
für den internen Markt, wie Milch, Schweinefleisch, Mais,
Geflügel, usw., nach unten gedrückt wurden. Das schmälerte die Gewinne der kleinen Landwirt*innen mit dem einzigen Ziel, den Wert des Grundwarenkorbes niedrig zu halten und damit Mindestlohn auf einem so geringen Niveau wie 112 Dollar monatlich zu behalten. Damit wurde er (relativ betrachtet; die Red.) zum niedrigsten Mindestlohn in der Welt. Das heißt, die Regierung drückt den Gewinn der kleinen Bäür*innen, um in der Stadt lächerliche Löhne möglich zu machen. Das bedeutet, den Unternehmen hohe Gewinne zu garantieren.
Die Lage der Landwirtschaft
Als Folge der Wirtschaftspolitik und der Landwirtschaftspolitik der Regierung wurde die Landwirtschaft hart getroffen und brachte eine nie zuvor erlebte ökonomische und soziale Krise im Innern mit sich. Am Ende erreichte sie alle Produzent*innen (große und kleine), alle Produkte und alle Regionen. So ist beispielsweise die mit Zuckerrohr bebaute Fläche 1996 um zwei Prozent kleiner als 1980. Und, daßelbe Jahr zum Bezug nehmend, nahm der Erntegewinn um 49 Prozent ab. Die Schätzung von 72 Millionen Tonnen für die kommende Ernte ist gleich wie die Produktion von 1980. Darum gab die Regierung in den ersten zehn Monaten 1996 etwa 2,6 Milliarden Dollar für den Import von Lebensmitteln aus, die in Brasilien hätten produziert werden können (Fleisch, Fisch, Milch, Nebenprodukte, Getreide und Baumwolle). Der symptomatischte Fall dieser Politik ist, das Brasilien der weltweit größte Baumwollexporteur war und heute der drittgrösste Importeur ist. 400.000 Personen verloren Arbeiten, die mit der Baumwolle zu tun hatten. Die Krise in der Landwirtschaft bedeutete auch mehr Arbeitslosigkeit auf dem Land, Abwanderung und eine völlige Niedergeschlagenheit der kleinen Landwirt*innen. Und natürlich hat die Tatsache, daß die Landwirtschaft nicht rentabler ist, Konseqünzen für die Landreform und für die Landarbeiter*innen. Sie verlieren die Perspektive, ihre Zukunft auf dem Land zu baü.Verpflichtungen des Präsidenten gegenüber der MST Am 2. Mai übernahm Präsident Fernando Henriqü Cardoso im Gespräch mit der Bewegung derer ohne Land (MST) die folgenden Verpflichtungen: – Daß die Nationalbehörde für Siedlung und Agrarreform (INCRA) der Ansiedlung campierender Familien (die in baufälligen Lagern, im allgemeinen entlang der Strassen errichtet, leben) Vorrang geben würde und sogar das Ziel der [Ansiedlung der] 60.000 in den Bundesstaaten mit den meisten campierenden Familien einhalten werde.
– Daß keine Geldmittel für die Agrarreform fehlen würden. Das die Agrarreform an erster Stelle für seine Regierung stehen würde.
– Daß die Regierung ihre Abgeordneten mobilisieren würde, um vier ausstehende Gesetze im Kongress zu verabschieden.
– Daß die Regierung etwas unternehmen werde, um die Bestrafung der Verantwortlichen der Massaker von Carajás zu garantieren.
Leider ist das Jahr verstrichen, ohne daß diese Versprechen des Präsidenten in Erfüllung gingen.
Besetzungen und Camps der MST
Die Bewegung derer ohne Land (MST) begann das Jahr 1996 mit schätzungsweise 22.000 lagernden Familien. Während des Jahres wurden 167 Besetzungen brachliegender Fincas durchgeführt, bei denen 44.647 Familien in den 21 Bundesstaaten mobilisiert wurden, in denen die MST organisiert ist. Der Umfang der Besetzungen stellt einen Rekord in der Geschichte der MST dar, denn in den vergangenen Jahren gab es etwa 50 Besetzungen mit der Beteiligung von durchschnittlich 16.000 Familien. Andererseits beendeten wir das Jahr mit 244 Lagern, in denen im ganzen Land noch 41.510 Familien campieren. Genauso wissen wir, daß sich während 1996 die spontanen Besetzungen vervielfältigten, provoziert durch die soziale Krise in der Landwirtschaft und organisiert von den Gewerkschaften und anderen Bewegungen, die die Landreform unterstützen. Die Zahl der an diesen Besetzungen und Camps beteiligten Familien übersteigt die 15.000. 20 Enteignungen und Ansiedlungen durch die Regierung. Das ganze Jahr 1996 über machte die Regierung Propaganda, daß sie ihr Ziel, 60.000 Familien anzusiedeln, erfüllen werde. Es gab tatsächlich Fortschritte im Vergleich zu den vorherigen Regierung, die diesbezüglich fast nichts machten. Die Cardoso-Regierung enteignete im Jahresverlauf ungefähr 2 Millionen Hektar Land. Aufgrund der Langsamkeit der Nationalbehörde für Siedlung und Agrarreform (INCRA) wurden gerade 500.000 Hektar mit dem notwendigen Besitztitel der Behörde versehen und konnten für Siedlungszwecke benutzt werden. Nach den offiziellen Daten der INCRA wurden bis Mitte Dezember 1996 51.136 Familien angesiedelt, von denen 18.000 Land im Rahmen bereits bestehender Projekte erhielten. Wenn wir die Projekte in Bundesstaaten wie Pará, Marañao und Bahía aufmerksam betrachten, sehen wir, daß es Familien gibt, die in Ansiedlungen „angesiedelt“ wurden, die seit 1978, 1987, 1991, usw. existieren. Zudem gibt es unter den angeblich im Jahr 1996 angesiedelten 32.000 Familien viele, die bereits in den Gebieten als Besitzer*innen lebten. Sie hatten ihre Situation geregelt, was positiv ist. Aber es handelt sich dabei nicht um eine Agrarreform, denn die vorherige Lage änderte sich nicht.
Anzumerken ist, daß 45 Prozent dieser „angesiedelten“ Familien sind in Bundesstaaten mit einer Landwirtschaftsgrenze (d.h. mit bisher nicht besiedelten Gebieten; die Red.) befinden: Marañao, Pará und Mato Grosso. Und wenn wir andere Bundesstaaten der Nordregion dazunehmen, werden 69 Prozent erreicht. Das heisst, selbst wenn die Daten real sein sollten, so findet die Agrarreform der derzeitigen Regierungin Kolonisationsgebieten statt und trägt nicht dazu bei, die schwerwiegende soziale Lage in den Regionen Nordosten, Süden und Südosten zu lösen. In der ganzen Südregion wurden gerade einmal 1.342 Familien angesiedelt. Die Angaben der INCRA analysierend, kommt die Bewegung derer ohne Land (MST) zu dem Schluß, daß 1996 nur etwa 25.000 Familien wirklich in Siedlungen der Agrarreform angesiedelt wurden. Und es handelt sich nicht um Zahlenspielerei. Die Regierung glaubt, nur mit Propaganda das Problem gelöst zu haben. Sie löste es nicht. Die Camps sind Wirklichkeit und dort sind die lebenden Zeugnisse für die fehlende Aussagekraft und die Manipulation der Daten.
BRASILIEN
MST besetzt Behörde
(Rio de Janeiro, 22. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Etwa 250 Mitglieder der Bewegung derer ohne Land (MST) haben den Sitz der Nationalbehörde für Siedlung und Agrarreform (INCRA) in Sao Paulo besetzt. Sie fordern „unerfüllte Versprechen“ der Regierung ein. Insbesondere verlangen sie die Freigabe von Geldern, die den im Bundesstaat Sao Paulo angesiedelten Campesinos bereits zur Verfügung stehen sollten. José Rainha Junior, eine der führenden Persönlichkeiten der MST, erklärte, es handele sich um Mittel für den Bau einer Mehlfabrik in Pontal de Paranapanema, einer Region mit heftigen Landkonflikten 600 Kilometer von Sao Paulo entfernt. Die MST will mit ihrer Aktion auch die Enteignung von Boden erreichen, der seit langer Zeit für die Agrarreform vorgesehen war und eine Grundversorgung für die 3.000 Familien durchsetzen, die in mehreren Lagern in Paranapanema leben. Nach den Angaben der Nachrichtenagentur IPS hat die Bewegung derer ohne Land in der Region in diesem Jahr bereits acht Besetzungen von Grundstücken organisiert.
BOLIVIEN
Präsident dankt auf seine Weise
(La Paz, 22. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Auf die Empörung wegen des sogenannten „Weihnachtsmassakers“ an bolivianischen Minenarbeitern und wegen der Drohungen gegen darüber berichtende Medien hat die Regierung auf spezielle Art reagiert. Präsident Sanchez de Lozada verlieh 15 an dem Massaker beteiligten Polizisten eine Medaille für den gezeigten „Mut“ bei ihrem Einsatz. Weihnachten 1996 hatte das Vorgehen von Polizei- und Militäreinheiten gegen demonstrierende Minenarbeiter in Amayapampa, Capacirca und Llallagua zehn Tote und mehr als 60 Verletzte gefordert.
MEXIKO
Humanitäre Räumung
(Mexiko-Stadt, 22. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Zweihundert bis dreihundert Polizisten räumten am Sonntag den Platz gegenüber der staatlichen Menschenrechtskommission. Dort protestierten seit längerer Zeit Straßenkehrer aus dem Bundesstaat Tabasco, die von der dortigen PRI-Regierung entlassen wurden. Zwei der Demonstranten befanden sich seit Beginn der Arbeitsauseinandersetzungen vor drei Monaten im Hungerstreik. Sie werden jetzt in einem Krankenhaus zwangsernährt. Das mexikanische Innenministerium und einen Tag später Präsident Ernesto Zedillo sprachen von einer „humanitären Aktion“ angesichts des kritischen Gesundheitszustandes der Hungerstreikenden. Ivan García von der oppositionellen Partei der Demokratischen Revolution (PRD) dagegen bezeichnete das Vorgehen als einen „nicht akzeptablen Akt der Heuchelei“. Er fragte den Präsidenten, wo dieser „das Humanitäre“ in den Polizeiagressionen gegen die Strassenkehrer sehen würde. Bei der Räumung wurde das Camp der Demonstrierenden völlig zerstört.
Personen, die dies und den in ihren Augen als „Entführung“ betrachteten Abtransport der Hungerstreikenden verhindern wollten, erhielten Schläge von der Polizei. Eine Lösung des Arbeitskonfliktes, die zwischenzeitlich nahe schien, ist wieder in die Ferne gerückt. Das Verhalten der mexikanischen Regierung findet eine Erklärung auch in nicht-humanitären Gründen. Der lange Hungerstreik und der sich verschlechternde Gesundheitszustand der beiden Strassenkehrer wurde immer mehr zu einem Politikum, über das die nationale und sogar die internationale Presse zunehmend berichteten. Ein möglicher Hungertod hätte zwei Märtyrer geschaffen.
ECUADOR
Mehrheitssuche im Parlament
(Quito, 22. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Angesichts der bevorstehenden politischen Prozesse im ecuadoreanischen Parlament gegen die Erziehungsministerin und den Energieminister sind Regierung und Opposition auf intensiver Mehrheitssuche. Die Regierung von Abdalá Bucaram will vermeiden, daß die Abgeordneten die Minister verurteilen und ihre Absetzung erreichen. Sie braucht zudem eine Mehrheit für ihre Wirtschafts- und Steuergesetze. Die durchaus nicht geschlossene Opposition sucht eine gemeinsame Basis, um die Gesetzesverletzungen der beiden Minister*innen sanktionieren zu können. Die Erziehungsministerin Sandra Correa wird angeklagt, weil sie ihren akademischen Titel durch das Plagiat eines Buches erlangte, das von einer ehemaligen Freundin und Kollegin geschrieben wurde. Der Energieminister Alfredo Adum muß sich einem politischen Prozess stellen, weil im Fehlverhalten im Rahmen seiner Verantwortung für den Ölsektor und für Privatisierungen vorgeworfen wird. Eine weitere Anklage lautet auf Autorititätmißbrauch wegen ungerechtfertigter Entlassungen in seinem Ministerium. Oppositionelle sprechen davon, daß die Regierung schon den „Mann mit dem Koffer“ losgeschickt hat. Unte rdiesem Namen sind die Personen bekannt, die die politische Entscheidung bestimmter Parlamentsmitglieder kaufen. Die Gegner*innen der Regierung versichern, auf 44 der 82 Abgeordnetenstimmen zählen zu können. Entschieden ist jedoch nichts.
GUATEMALA
Die Schlimmsten sollen bleiben
(Guatemala-Stadt, 21. Januar 1997, pulsar-Poonal).- Das Bataillon der Kaibiles wird den Friedensschluß zwischen Guerilla und Regierung im vergangenen Dezember voraussichtlich überleben. Die Kaibiles entstanden 1974 als Spezialeinheit zur Aufstandsbekämpfung. Sie gelten als eine der „tödlichsten“ Einheit in Amerika. Armeesprecher Otto Noack erklärte, die Friedensabkommen sähen eine Reduzierung der aktuellen Truppenstärke von 46.000 Soldaten um 33 Prozent vor, aber nicht die Auflösung des Bataillons der Kaibiles. „Die Umwandlung der Armee schliesst jedoch eine neü Ausbildung ein, in der das Anti- Guerillakonzept verschwindet“, so Noack. Das Zentrum für Ausbildung und Sonderoperationen Kaibil (CAYÖK) befindet sich 400 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Der Oberst Cesar Conde, der es leitet, will dort die „besten Soldaten Amerikas“ ausgebildet haben. In den 23 Jahren des Bestehens nahmen 900 Offiziere und weitere 1.700 Soldaten und Spezialisten Kurse im CAYÖK. Von dort aus wurden sie in die 23 Kasernen der Armee im ganzen Land geschickt. Von den 2.600 Personen (ihr eigener Chef sprach ihnen diese Eigenschaft vor Jahren allerdings ab und verzeichnete dies stolz als Ausbildungserfolg; die Red.) kamen 88 aus dem Ausland. Und zwar aus Belgien, Kolumbien, Chile, USA, Venezüla und ganz Mittelamerika einschließlich Costa Ricas, das keine Streitkräfte hat. Die ehemalige guatemaltekische Guerilla spricht von den Kaibiles als unmenschlichen Wesen und Vollzeitkriminellen.
Blauhelme nach Guatemala
(Guatemala-Stadt, 22. Januar 1997, cerigua/pulsar-Poonal).- Mit Erleichterung ist die einstimmige Entscheidung des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen aufgenommen worden, 155 militärische Beobachter nach Guatemala zu schicken. Sie sollen die Demobilisierung der Mitglieder der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) überwachen. Die Volksrepublik China hatte sich bisher gegen die Entsendung der Militärmission gestellt, weil Guatemala stets für die Aufnahme Taiwan in die UNO eingetreten ist. Intensive diplomatische Gespräche, die von der „Gruppe der befreundeten Länder“, die die Friedensverhandlungen zwischen der Guerilla und der guatemaltekischen Regierung jahrelang begleiteten, unterstützt wurden, führten schliesslich dazu, daß China einlenkte. (Korrektur zum Cerigua-Beitrag „Zehn Jahre Verhandlungen: eine Chronologie“ in Poonal Nr. 273: Der Arias Friedensplan wurde nicht 1986 unterschrieben, sondern im Februar 1987.)
Amnestiedebatte
(Guatemala-Stadt, 14. Januar 1997, cerigua-Poonal).- Das
umstrittene Amnestiegesetz bleibt nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichtes in Kraft. Währendessen würden die gesetzlichen Einwände untersucht und beurteilt, so das Gericht. Es wies damit eine Klage zurück, in der die sofortige Aufhebung der Artikel 5, 6 und 11 des Amnestiegesetzes gefordert wurde. In den entsprechenden Artikeln ist die Amnestie für Mitglieder staatlicher Institutionen geregelt, die Verbrechen im Rahmen des bewaffneten internen Krieges begingen. Das Richtergremium sah in ihrem Inhalt keine „offenkundigen Verfassungsverletztungen“ und nicht die Gefahr „nicht wieder gut zu machender Schäden“. Dies wären die Voraussetzungen für eine vorläufige Aufhebung der Artikel gewesen. In den kommenden zwei Wochen wird das Gericht mehrere Institutionen anhören und dann eine endgültige Entscheidung treffen.
Die Allianz gegen die Straffreiheit hat die Klage gegen das Gesetz am 8. Januar eingebracht. Ihrer Auffassung nach verstösst die Amnestie gegen das Verfassungsrecht, die Justiz anzurufen und verzerrt die Funktion der Richter*innen unter dem guatemaltekischen Gesetz. Die Allianz argumentiert ebenso, das Parlament habe seine Befugnisse überschritten, indem es gewöhnliche Verbrechen in die Amnestie einschloss. Die Mitglieder der Organisation befürchten, die Amnestie könne mehreren mutmasslichen Menschenrechtsverletzern garantiert werden, während das Gericht beratschlagt. Einige Personen haben schon entsprechende Anträge nach dem Versöhnungsgesetz gestellt. Entscheidungen in diesen Fällen sollen nach der Gesetzgebung innerhalb von zehn Tagen getroffen werden.
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