Poonal Nr. 074

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 74 vom 14.12.1992

Inhalt


EL SALVADOR

HAITI

CHILE

GUATEMALA

KUBA

BRASILIEN

NICARAGUA


EL SALVADOR

Menschenrechtler klagt Folter und Massenexekutionen an

(Ecuador, Dezember 1992, alai-POONAL).- Im Januar dieses Jahres schlossen die salvadorianische Regierung und die nationale Befreiungsfront Farabundo Martí ein Friedensabkommen und beendeten einen über zehn Jahre währenden Krieg. Doch die Konflikte sind keineswegs gelöst. Der Menschenrechtsaktivist Mauricio Martínez hat einen „alarmierenden Anstieg von Menschenrechtsverletzungen“ festgestellt: Willkürliche Verhaftungen, Entführungen, Folter und Massenexekutionen gehörten in El Salvador bereits wieder zum Alltag, noch bevor der Frieden richtig eingekehrt sei. Martínez ist Mitglied der Ständigen Kommission der Nationalen Debatte (CPDN), eine Art Versöhnungskonferenz, in der die verschiedenen gesellschaftlichen Kräfte organisiert waren, um auf die Verhandlungen zwischen der Regierung und der FMLN einzuwirken. Der Ständigen Kommission wird ein maßgeblicher Anteil an dem Abschluß des Friedensabkommens zugeschrieben. Im fogenden Interview äußert sich Mauricio Martínez zu den Perspektiven des Friedensprozesses in El Salvador.

ALAI: Welchen Eindruck haben Sie von dem Friedensprozeß in El Salvador?

Martínez: Wie allgemein bekannt ist, ist der vorgesehene Zeitplan des Prozesses nicht eingehalten worden. Viel beunruhigender sind jedoch die wirklich alarmierenden Vorfälle. Erstens ist in El Salvador seit der Unterzeichnung der Friedensverträge ein Anwachsen der Menschenrechtsverletzungen zu vermerken, das sogar die Vereinten Nationen alarmiert hat: Massenexekutionen, gewaltsames Verschwindenlassen, Anwendung von Folter, willkürliche Festnahmen. Im August dieses Jahres wurden beispielsweise 47 Personen umgebracht. Dies ist einer der Punkte, der die Bevölkerung beunruhigt. Die Menschen können nicht verstehen, wie in einem Friedensprozeß so etwas möglich ist. Die UNO hat die Menschenrechtsverletzungen in El Salvador bis vor die Generalversammlung bringen müssen.

„Es gibt noch keinen Frieden“

Wir haben das Landproblem, das Problem der Entmilitarisierung, die Hindernisse für die Frente Farabundo Martí (FMLN) bei der Umwandlung in eine politische Partei und vor allem die gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Probleme. Die Privatunternehmen weigerten sich anfangs, einem Forum beizutreten, das über wirtschaftspolitische und soziale Reformen beraten sollte. Nach einiger Zeit zeigten sie sich zwar kompromißbereiter, aber nach wie vor gibt es Widerständen und Vorbedingungen für eine Beteiligung. So sieht die Situation in El Salvador aus. Es gibt noch keinen Frieden, auch wenn dies zum Beispiel in Europa und den Vereinigten Staaten so dargestellt wird. Aber immerhin muß anerkannt werden, daß es ein Friedensabkommen gibt, daß die Streitkräfte umstrukturiert und die Finanzpolizei und die Nationalgarde abgeschafft wurden. Genau am 15. September, dem zentralamerikanischen Unabhängigkeitstag, nahm das erste Kontingent der neuen Policía Nacional Civil, die von einer Zivilperson geleitet wird und für die Sicherheit der Bürger*innen des Landes zu sorgen hat, ihren Dienst auf.

ALAI: In welcher Form ist die CPDN an der Umsetzung des Friedensabkommens beteiligt?

Martínez: Seit Beginn des Friedensprozesses sind die organisierten Bürger*innen El Salvadors in der Nationalen Debatte für den Frieden integriert. Die CPDN entstand auf Initiative der Katholischen Kirche; das war vielleicht der wichtigste Beitrag der Kirche zum salvadorianischen Friedensprozeß. Wir haben dafür gekämpft, daß die Friedensverträge unterschrieben werden. Wir haben ökumenische Veranstaltungen organisiert, Nachtwachen, Fastenaktionen, Demonstrationen und alles, was in unseren Möglichkeiten stand. Jetzt befinden wir uns in der Phase des Wiederaufbaus, in einer Etappe des Übergangs und der Versöhnung. Die CPDN unterstützt diesen Prozeß der Umgestaltung durch ihre Präsenz, wir sehen uns als Verteidiger*innen des Friedensabkommens. Wir haben eine riesige Kampagne durchgeführt, um der Bevölkerung die Inhalte der Abkommen verständlich zu machen und sie zum Frieden zu erziehen. Die Salvadorianer*innen werden verstehen, daß es zum Frieden keine Alternative gibt, er bietet die einzige Möglichkeit, eine Gesellschaft aufzubauen, wie wir sie wollen. Unsere Erziehungskampagne reicht aber nicht aus, denn in El Salvador hat sich die soziale Situation verschlechtert und es kann durchaus zu einer Explosion kommen, die heikel für den ganzen lateinamerikanischen Kontinent sein könnte.

Inflation, Arbeitslosigkeit und ungelöste Landfrage

Die wirtschaftliche und soziale Perspektive El Salvadors ist ungeklärt und die Unsicherheit verstärkte sich, als die Mehrwertsteuer um 10 Prozent erhöht wurde und alle öffentlichen Dienstleistungen sowie der Warenkorb um 30 oder 50 Prozent teurer wurden. Zusätzlich besteht das Problem der Arbeitslosigkeit und eine Reihe Faktoren, die immer noch ungeklärt sind, wie das Landproblem. Keinem einzigen Campesino bzw. Campesina ist auch nur ein Meter Land zugesprochen worden, so wie es die Friedensabkommen verlangen, noch weniger den ehemaligen Kämpfer*innen der FMLN. Trotz alledem sind wir optimistisch, daß wir den Friedensprozeß sichern und ein El Salvador haben werden, wie wir es erträumt haben, wie es unsere Märtyrer*innen erträumt haben.

ALAI: Welche Auswirkungen hatte die Umwandlung der FMLN in eine politische Partei?

Martínez: Eine der Auswirkungen ist, daß die Regierungspartei ARENA die FMLN als Hauptgegner der Rechten sieht, das bestätigen auch Umfragen. Die Christdemokraten dagegen verlieren Stimmen. Das bedeutet, daß die ARENA die stärkste Partei ist und die Möglichkeit hätte, die Wahlen zu gewinnen und die FMLN als zweitstärkste Partei gilt. Die Regierungspartei ist dadurch beunruhigt und versuchte, die Legalisierung der FMLN und deren Umwandlung in eine politische Partei zu verhindern. Die Wahlen sind im März 1994 und uns bleibt ein Jahr, bis zum Beginn des Wahlkampfes. Am 16. Januar dieses Jahres (an diesem Tag wurde das Friedensabkommen geschlossen) geschah etwas, was für die halbe Welt eine Überraschung war. In meinem Land waren die Mitglieder der FMLN im allgemeinen als Terrorist*innen bekannt, als Delinquent*innen, als Kriminelle. Es war kaum faßbar, daß an diesem Tag tausende Salvadorianer*innen mit roten Fahnen und den Emblemen der FMLN durch die Straßen marschierten und dieses große Fest für den Frieden feierten. Das Volk hatte es der FMLN möglich gemacht, zwölf Jahre Krieg durchzuhalten und zu erreichen, was sie erreicht hat.

Die Nagelprobe: Die Präsidentschaftswahlen 1994

Wir glauben, daß wir einen Prozeß begonnen haben, daß wir eine außergewöhnliche Revolution in Lateinamerika aufbauen, die mit der Revolution in Nicaragua und Kuba nicht zu vergleichen ist. Unsere Revolution und die Änderung der Gesellschaft, die wir wollen, hat zwei Teile: einen Teil haben wir mit der Unterzeichnung der Friedensverträge bereits erreicht; und den anderen Teil wollen wir 1994 bei den Wahlen erreichen.

ALAI: Was geschieht in den Gebieten, die der Kontrolle der FMLN unterstehen?

Martínez: Dazu gibt es klare Vereinbarungen. Die FMLN konzentriert sich in 15 Regionen, und die Streitkräfte konzentrieren sich in 50 Orten. Währenddessen sollen die Bataillone beider Seiten aufgelöst oder verringert und gesäubert werden. Bis heute haben beide Seiten den Waffenstillstand eingehalten. Und sie haben sich auch auf die Regionen beschränkt, die in dem Abkommen festgelegt wurden. Es gibt jedoch ein gravierendes Problem: ein ansehnlicher Teil des Staatsgebietes untersteht der FMLN und ihre ehemaligen Kämpfer*innen und die Campesinos und Campesinas, die diese zwölf Kriegsjahre hindurch schwer gearbeitet haben, fordern Land. Die Reichen, die Großgrundbesitzer*innen und die Regieurng selbst weigern sich, ihnen Land zu geben. Dadurch gibt es Spannungen und Krisen, aber wir sind überzeugt, daß wir mit der Unterstützung der Lateinamerikaner*innen und der ganzen Welt erreichen werden, daß die Regierung das Abkommen erfüllt. Wir haben nie den Standpunkt vertreten, daß der Linken ein Teil des Landes gegeben werden muß und der Rechten der andere. El Salvador gehört allen und es muß von allen verwaltet werden. Die gesamte Bevölkerung hat einen Anspruch, den den Reichtum des Landes genießen zu können.

ALAI: Wie verläuft die Wiedereingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge? Welche sozialen Veränderungen sind bereits sichtbar?

Martínez: In El Salvador ist die Umgestaltung eine Alltäglichkeit. Nicht nur die FMLN ist dabei, sich umzuwandeln, auch die sozialen Organisationen verändern sich. Wir müssen die Organisationen, die Volkscharakter hatten, in professionelle, technische Institutionen umgestalten, mit der Fähigkeit, alternative Projekte zu entwickeln, damit die soziale Entwicklung voranschreiten kann. Als Menschenrechtsorganisation sind wir eine Organisation von Familienangehörigen. Wir wollen uns künftig stärker auf soziale und produktive Projekte konzentrieren. In diesem Prozeß befindet sich in diesem Moment die ganze Zivilbevölkerung El Salvadors, die Menschenrechtsorganisationen, die Vertriebenen, die Arbeiter*innen, die Campesinos und Campesinas.

HAITI

Armee geht gegen Student*innen vor

(Port-au-Prince, 6. Dezember 1992, HIB-POONAL).- Mit der Begründung, sie seien „Terrorist*innen“, hat die Armee Student*innen und Volksorganisationen in den letzten zwei Wochen schikaniert Mindestens vierzig Menschen, darunter viele Student*innen, wurden gefangengenommen, seit am 23. und 27. November in Port-au-Prince kleine Bomben explodiert sind. Eine Person starb bei diesen Explosionen. Nach den Bombenexplosionen verbot die Polizei den Verkauf und Gebrauch von Feuerwerkskörpern. Am 27. November wurden viele Student*innen und Mitglieder von Volksorganisationen bei Verkehrskontrollen und Hausdurchsuchungen durch die Polizei festgenommen. Einem Bericht nach wurden allein am 30. November 32 Personen in Carefour festgenommen. Die Armee erklärte, daß sie in der südlich von Port-au-Prince gelegenen Stadt Leogane Sprengkörper gefunden habe, die von Student*innen hergestellt worden seien. Beweise für diese Vorwürfe legte die Armee nicht vor. Bereits einige Tage zuvor hatten Soldaten die Hochschule in Leogane geschlossen, da die Student*innen mit Graffitis und Parolen, die sie an die Wände gemalt hatten, eindeutige Sympathien für den gestürzten Präsidenten Aristide bekundet hatten.

CHILE

Die christliche Linke in der Krise

(Nicaragua, Dezember 1992, APIA-POONAL).- Die von der Theologie der Bereiung inspirierte christliche Linke in Chile befindet sich in einer Identitätskrise. Sozialistische Ideologie ist verpönt, seit der reale Sozialismus in Osteuropa zusammengebrochen ist. Es mangelt an Perspektiven für eine radikale Umgestaltung der chilenischen Gesellschaft, die in Lateinamerika als Modell neoliberaler Wirtschaftsstrategie gilt. Andererseits führen die Verelendung breiter Bevölkerungsschichten zur Polarisierung der Gesellschaft. Droht die Anpassung an den ideologischen Mainstream oder gelingt es der christlichen Linken, der neoliberalen Markthörigkeit eigene kritische Positionen entgegenzusetzen, die neue Chancen für gesellschaftliche Veränderungen eröffnet?

Befreiungstheologie: Synthese von Christentum und Sozialismus

In den sechziger Jahren wurde in der Katholischen Kirche eine Neubewertung der sozialen Doktrin und teilweise auch des Sozialismus vorgenommen. Von der Doktrin der Abrenzng ging sie zum Dialog zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen über, um die Zerstörung der Welt in der Konfrontation zwischen Ost und West zu verhindern. In diesem Zusammmenhang entstand, vor allem in Lateinamerika, eine neue Art, das Evangelium aus der Perspektive der Armen zu lesen. Später entstand die Bewegung der Befreiungstheologie in Chile .Die christlich inspirierte Linke versuchte, im Verbund mit marxistischen Gruppen, innnerhalb und ausserhalb der Kirche, Anhänger für diese neue Lesart des Evangeliums zu finden. Das Ziel war, eine neue sozialistische Gesellschaft zu bilden, um den Kapitalismus und seine Institutionen zu ersetzen. In den siebziger Jahren bildeten sich die linke Bewegung MAPU (Moviemento de Acción Popular Unitaria) und die Christlichen Linken (IC), die an der Regierung des ermordeten Präsidenten Salvador Allende beteiligt waren. Nach dem Putsch am 11. September 1973, der der demokratischen Regierung Allendes ein Ende setzte, spielten die Christ*innen, Kleriker*innen und Laien eine entscheidende Rolle bei der Verteidigung der Menschenrechte. Unter der Diktatur General Pinochets bildeten die christlichen Kirchen die wichtigste ideologische Schutzmauer gegen den Faschismus, der dem Neoliberalismus den Weg bereitete. „Der Widerstand gegen die Diktatur mit ihren schrecklichen Gewalttaten und sozialen Ungerechtigkeiten, den der Vatikan und die lokale Hierarchie der Katholischen Kirchen vom ersten Moment an bekräftigte, war ein starker Ansporn für die Entwicklung der Befreiungstheologie, die zu einem entscheidenden Teil der Bewegung gegen die Diktatur wurde,“ erinnert der Sekretär der Organisation der Linken Chiles (IC) Luis Alorda. Aber mit dem Wandel zur Demokratie und den neuen Winden, die im Vatikan wehten, begann ein heimlicher und systematischer Prozeß der Demontage von Strukturen, die gegen die Diktatur aufgebaut worden waren. Vertreter*innen der Befreiungstheologie wurden ihrer Funktionen enthoben. Von 1986 an zerfiel die Linke Chiles zunehmend. Die Ursache für ihre Krise waren zwei voneinander unabhängige Faktoren: das Scheitern ihrer Strategie bei ihrem Kampf gegen die Diktatur und die Auswirkung, die der Zerfall des sozialistischen Systems auf die revolutionäre Bewegung hatte.

Zwischen Anpassung und revolutionärem Impetus

Die Krise der revolutionären Ideen stellt die christlich inspirierte Linke vor zwei neue Alternativen: entweder sie reiht sich in die reformistischen Positionen ein oder sie übernimmt die Aufgabe, ein neues Befreiungsprojekt zu erstellen, um das gescheiterte zu ersetzen. Der Präsident der MAPU Juan Manuel Parra ist der Meinung, die Linke Chiles müsse radikal ihre Methoden und Konzepte ändern, um den neuen Herausforderungen begegnen zu können: „Die MAPU sucht in dieser Zeit des Wiederaufbaus der Demokratie, ihre soziale Beteiligung auf allen Ebenen der Verwaltung des Staates zu verstärken und abzustützen. Der Sozialismus muß eine Massenschöpfung sein, und nicht das Projekt einer Gruppe von Erleuchteten; von Dogmen muß Abstand genommen werden, die in der jüngsten Vergangenheit nicht erlaubten, eine wirkliche Volkskraft zu schaffen,“ erklärt Parra. Auf der anderen Seite bezeichnet sich der Präsident der Christlichen Linken (IC) Roberto Celedón als Anhänger der Idee, „einen neuen Befreiungsprozeß der Armen zu entwickeln, der vom Christentum und dem Volk ausgeht, um den Kapitalismus zu ersetzen.“ Er sieht jedoch keine politische Perspektive für die Volksbewegung außerhalb oder in Opposition zu der Regierungskoalition „Demokratische Konzentration“, die Präsident Aylwin anführt. Der zweite Generalsekretär der MAPU, Samuel Bello, bekräftigt, die Überwindung der Zerstörung der ganzen Volksbewegung im Jahre 1973 verlange viel Zeit und Geduld. Durch die Diktatur seien die demokratischen Bewegungen in ihrer Substanz angegriffen und zerstört worden. „Um einen strategischen Ort für die Entwicklung einer revolutionären Politik wiederaufzubauen, ist jetzt die „Demokratische Konzentration“ unersetzbar. Sie ist die beste Allianz, um Kräfte zu sammeln, mit denen die Demokratie erreicht werden kann.“ Unter den aktuellen Bedingungen des Kampfes gegen den Neoliberalismus ist das Ziel der christlichen Linken die Stärkung der demokratischen und revolutionären Positionen innerhalb der derzeitigen Regierungskoalition in Chile. Noch ist ungeklärt, in welchem Maß die christliche Linke durch die Christdemokrat*innen absorbiert wird und ob sie es schafft, ihre eigenen Positionen gegen den Neoliberalismus zu setzen.

GUATEMALA

Die Hardliner in den Streitkräften setzen sich durch

(Guatemala, 7. Dezember 1992, Cerigua-POONAL).- Die Armee hat ihre Strategie in dem guatemaltekischen Friedensprozeß um 180 Grad gewandelt. Die sogenannte Fraktion der „harten Linie“ innerhalb der Streitkräfte, die weiterhin auf eine militärische Vernichtung der Guerilla setzen, scheint ihre Position zu festigen und diejenigen zu verdrängen, die die Guerilla mit politischen Mitteln liquidieren wollen. Die jüngsten Ereignisse in Guatemala weisen darauf hin, daß der seit dreißig Jahren andauernde Bürgerkrieg in Guatemala kurzfristig kein Ende finden wird. Anfang Dezember wurden innerhalb der guatemaltekischen Armee Umbesetzungen vorgenommen, die eine Änderung der realen Machtstrukturen innerhalb der Streitkräfte bestätigen. General Julio Balconi Turcis wurde von seinem Posten als Direktor der Militärakademie entlassen und General Rafael Rosito mußte seinen Posten als Generalinspekteur der Armee freigeben. Beide sind Mitglieder der Delegation des Militärs in den Friedensverhandlungen. Die Kommandanten der wichtigsten Militärbasen des Landes wurden ebenfalls abgesetzt.

Umbesetzungen in der Armee

Ein weiteres Indiz dieser Polarisierung war das Auftreten der sogenannten „Offiziere der Berge“, einer geheimen Gruppe der „harten Linie“, die auf die militärische Zerstörung der Guerilla setzt. Die geplante Rückkehr von im mexikanischen Exil lebenden Flüchtlingen diente den Hardlinern in den Streitkräften als Anlaß, Flagge zu zeigen. Das militärische Oberkommando sieht in den über 45.000 Flüchtlingen ein subversives Störpotential. Sie warfen den Vertriebenen vor, der Guerilla anzugehören. Ein weiterer Aspekt sind die sogenannten „Widerstandsdörfer“, in denen interne guatemaltekische Flüchtlinge leben, die vor dem Terror der Streitkräfte in das unwegsame Gebiet im Hochland geflüchtet sind. Diese Dörfer sind den Streitkräften ein Dorn im Auge, da ihre Existenz nicht nur die fehlende Demokratie in Guatemala offenbart, sondern auch die Aufmerksamkeit der internationalen Organisationen auf sich gezogen hat. Mitte November wurde eine militärische Offensive gegen die URNG (Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas) entfesselt, die von einer Desinformationskampagne begleitet wurde. Gleichzeitig weigert sich die Regierung weiterhin, ein Abkommen zu unterzeichnenunterzeichnet, das die unverzügliche Respektierung der Menschenrechte garantiert. Sie erkennt die die Bewohner*innen der „Widerstandsdörfer“ nach wie vor nicht als zivile Bevölkerung an.

Streitkräfte bombardieren erneut Zivilbevölkerung

Eine der Auswirkungen dieser militärischen Offensive ist, daß erneut Menschen aus Guatemala fliehen müssen. Aufgrund von Bombardements und Verfolgungen der Widerstandsdörfer in den letzten Wochen sind im November mehr als 80 Familien über die Grenze nach Mexiko geflohen, um dort Asyl zu beantragen. Die für Januar 1993 geplante Rückkehr der guatemaltekischen Flüchtlinge, die in Mexiko leben, wird durch diese Vorkommnisse behindert und wahrscheinlich wird sie nicht stattfinden. Aber das militärische Oberkommando wird den politischen Preis dafür sicherlich in Kauf nehmen. Worauf zielt die neue Strategie der Armee ab? Offensichtlich will sie den Friedensprozeß behindern oder sogar den Abbruch der Verhandlungen erreichen. Sie spekulieren auf eine Eskalation des Konfliktes und glauben, die Guerilla militärisch vernichten zu können. Die URNG dagegen besteht darauf, das Ende des Krieges möglich zu machen, um Bedingungen für eine Demokratie zu schaffen. Die Respektierung der Menschenrechte sowie die internationale Verifizierung der Abkommen sind unverzichtbar für die Beendigung der bewaffneten Auseinandersetzungen.

Neuer Anlauf für eine Agrarreform?

(Mexiko, 8. Dezember 1992, NG-POONAL).-

Die Ankündigung der guatemaltekischen Regierung ein Agrarprogramm – „Fonatierra“ genannt – auszuarbeiten, führt alte Gegensätze in der Beziehung zwischen Indigenas und der Regierung vor Augen. Das Programm, dessen genaue Regelungen noch weitgehend unbekannt ist, soll den Campesinos und Campesinas bessere Möglichkeiten an die Hand geben, Land zu erwerben. Auch soll das Eigentumsrecht von Land und die Investition in die Landwirtschaft geregelt werden. Doch ist die Lösung der Landfrage mehr als fraglich. Denn die Ausbeutung und Marginalisierung der Landbevölkerung ist in Guatemala seit Jahrzehnten institutionalisiert. Die Polarisierung der Gesellschaft und die daraus resultierenden sozialen Ungerechtigkeiten geht einher mit einer Diskriminierung der indigenen Kulturen, die als Störfaktor bei der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen gesehen werden. Vertreibungen und Enteignungen der Kleinbauern sind geradezu die Voraussetzung für die Expansion der Agraroligarchie. Guatemala ist das Land mit der ungerechtesten Landverteilung in ganz Lateinamerika: nur fünf Prozent der Bevölkerung ist im Besitz nahezu der gesamten Anbauflächen. Neben der traditionellen Agraroberschicht haben sich auch die Generäle in der Vergangenheit ausgiebig bedient: Mitglieder der Militärführung besitzen große Flächen produktiven Ackerlandes in einer Größe bis zu 5.000 Hektar. Gleichzeitig liegen nach Zahlen der US-amerikanischen Entwicklungsbehörde (AID) in Guatemala 1,2 Millionen Hektar Land brach. In diesem Jahrhundert gab es mehrere Anläufe, das Agrarproblem zu lösen. Doch jegliche Reformversuche scheiterten an der mächtigen Koalition von Großgrundbesitzern und Armee. Der progressive Präsident Jacobo Arbenz (1951-1954), der eine radikale Landreform auf den Weg gebracht hatte, wurde 1954 mit Unterstützung der USA von dem General Castillo Amas durch einen Staatsstreich gestürzt. Die folgenden Militärregime versuchten, die indigene Landbevölkerung in die kapitalistische Arbeitsteilung zu integrieren und ihre Stellung als landlose Landarbeiter*innen zu zementieren. Die Landverteilung bestimmt in Guatemala die ungerechte Verteilung des Reichtums und die Lebenssituation der Indígenas, die in ihrer großen Mehrheit Bauern und Bäuerinnen sind. Obwohl die Indígenas 70 Prozent der Bevölkerung stellen, wurde ihnen die politische Selbstbestimmung bislang verwehrt.

Die stabilisierende Wirkung des Großgrundbesitzes

Das Koordinationskommitee der Kammern für Landwirtschaft, Handel, Industrie und Finanzwesen (CACIF) rühmte erst vor Kurzem die stabilisierende Wirkung des Großgrundbesitzes und wandte sich mit Vehemenz gegen jegliche Veränderungen: „Von einer Agrarreform zu reden, beinhaltet stillschweigend die Intention, die Beziehungen zwischen Arbeiter*innen und Patron*innen auf dem Land zu destabilisieren. So eine Agrarreform wäre gesetzwidrig, weil sie das Privateigentum in Frage stellt, das verfassungsmäßig garantiert ist.“ Gleichzeitig spricht das Kommitee sich gegen einen höheren Lohn für die Landarbeiter*innen aus. Mitglieder der Regierung äußerten die Meinung, es sei unrealistisch, den Landforderungen der Campesinos und Campesinas nachzugeben, da „diese Maßnahme zu nichts gut wäre, solange die Indígenas keine finanziellen Mittel haben, um das Land zu bearbeiten.“ Die Lösung der Landfrage hat indes nicht nur große wirtschaftliche und soziale Bedeutung. Die extreme Verteilung des Bodens war einer der wesentlichen Ursachen für den seit drei Jahrzehnten währenden Bürgerkrieg in Guatemala. Und solange die Agraroligarchie und die Streitkräfte jeglichen Reformversuchen entgegenstellen, ist eine Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen nahezu unmöglich. Denn einem Friedensabkommen, daß die Misere der Landbevölkerung zementiert und die Macht der Großgrundbesitzer ungebrochen läßt, wird die Guerilla kaum zustimmen.

KUBA

Die schwierigste Zuckerernte seit der Revolution

(Havanna, 8. Dezember 1992, Prensa Latina-POONAL).- Kuba steht vor einer der schwierigsten Zuckerernten seit drei Jahrzehnten. Die kritische wirtschaftliche Lage auf der Karibikinsel stellt die Ernte vvor gravierende Probleme. Es fehlt an Ersatzteilen für Maschinen, an Transprortmitteln und vor allem an Benzin. Die Zuckerernte hat Ende November begonnen und soll spätestens im April abgeschlossen werden, so der kubanische Präsident Fidel Castro bei der Verabschiedung einer Elitetruppe von ca. 3.500 Zuckerrohrschneidern, die in der Provinz von Havanna mitarbeiteten. Die Regierung räumte ein, daß bereits für den Anbau und die Kultivierung der Plantagen in diesem Jahr im Vergleich zu früheren Jahren entscheidend weniger Produktionsfaktoren zur Verfügung standen, wodurch eine angemessene Düngung und Bewässerung des Zuckerrohrs unmöglich wurde. Hinzu kommen Begrenzungen bei der Aussaat im vergangenen Jahr. Die Regierung rechnet daher nicht damit, den Ernteertrag des vergangenen Jahres von sieben Millionen Tonnen Zucker erreichen zu können. Es wurde eine neue Strategie entworfen, die die Verbesserung der Lieferung frischen Zuckerrohrs an die Zentralen miteinschließt. Dadurch soll ein höherer Ertrag an Zucker erreicht werden und Fremdstoffe, wie Streu und Erde in den Lieferungen an die Industrie verhindert werden. Auch schlechte Erntetechniken oder das Verderben von Zuckerrohr auf den Feldern soll in Zukunft verhindert werden. In den Verarbeitungszentralen muß zukünftig effizenter gearbeitet werden, um mehr Zucker produzieren zu können.

Mangel an Öl und Ersatzteilen

Die über 145 Zuckerraffinerien des Landes klagten jedoch über ausbleibende Lieferungen von Ersatzteilen und Maschinen. Dennoch konnte rechtzeitig mit der Ernte begonnen werden. Das gravierendste Problem ist allerdings der eklatante Ölmangel des Landes seit der Auflösung der Sowjetunion, die noch vor wenigen Jahren 13 Millionen Tonnen Rohöl geliefert hatte. Heute betragen die Lieferungen aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion weniger als die Hälfte. Allein für die mechanisierte Ernte braucht das Land 600.000 Tonnen Diesel. Diese Arbeit muß durch Maschinen erledigt werden, da der Einsatz von menschlicher Arbeitskraft noch kostspieliger wäre. Im Moment kann mit einer Million Tonnen Zucker 1,4 Millionen Tonnen Öl gekauft werden, während in den sechziger Jahren die gleiche Menge für den Kauf von acht Millionen Tonnen Rohöl ausgereicht hatte. Trotz der Brennstoffprobleme hofft die kubanische Regierung, aufgrund der vorhandenen Infrastruktur und der Leistungsfähigkeit der Bevölkerung, den Zucker zu einem geringeren Preis produzieren zu können, als viele andere Anbieterländer. Auch unter erschwerten Bedingungen und bei verringerten Erträgen können auf einem Hektar 60 Tonnen Zuckerrohr produziert werden. 60 Tonnen Zuckerrohr entsprechen ca. sechs Tonnen Zucker, die einen Erlös von rund tausend Dollar einbringen. Vergleichbare Einnahmen erzielt Kuba nur durch Tabak, dessen Produktion nach Angaben von Expert*innen jedoch teurer ist. Von offizieller Seite wird bekräftigt, daß Kuba trotz der niedrigen Preise auf dem internationalen Markt der Zuckerproduktion weiterhin Priorität einräumen wird. Die Industrie liefert als Nebenprodukt bei jeder Zuckerernte ca. drei Millionen Tonnen Viehfutter und eine große Menge an Biodünger. Kuba besitzt über 60 Fabriken für die Produktion von Torula für die Viehfütterung, Alkohol, Tafeln, Bodensatzpapier und anderen Nebenprodukten.

BRASILIEN

Dialog über Teilautonomie von Indígena-Gebieten

(Ecuador, Dezember 1992, ALAI-POONAL).- In Brasilien ist es in der letzten Oktoberwoche zu Gesprächen zwischen Militärs und dem SprecherInnenrat indigener Völker und Organisationen gekommen. Thema waren die Meinungsverschiedenheiten um den Status der teilautonomen Indígenagebiete an der Landesgrenze. Diese, so stellte Orlando Malgeiro vom Volk der Maré gegenüber dem General Antonio Rocha Veneu klar, bedeuteten keinesfalls die Gründung unabhängiger Staaten und ließen keinerlei Gefahr für die nationale Sicherheit befürchten. An dem Treffen nahmen vier weitere Indígenaführer*innen sowie der Marineminister Admiral Iván da Silveira Serpa teil. In den vergangenen Jahren hatte sich das Militär der Ausweisung dieser teilautonomen Gebiete stets hartnäckig widersetzt. So hatten sie sich auf den Standpunkt versteift, die Grenzstreifen müßten durch die Ansiedlung von Nicht-Indígenas „belebt“ werden, da die Existenz weiterer Flächen unter indigener Verwaltung die Souvernänität Brasiliens infrage stelle. Ein Ausdruck dieser Haltung waren beispielsweise die Versuche, die Grenzen des Yanomami-Territoriums zu revidieren. Auch andere Gebiete wurden aus den gleichen Gründen beschnitten oder ihre Ausweisung gleich ganz zurückgenommen. Die angestrebte Politik der Militärs laufe weiterhin darauf hinaus, so der Marineminister, die indigenen Völker in die brasilianische Nation zu integrieren, andernfalls seien Konflikte wie in Jugoslawien, Südafrika oder Nordirland zu befürchten. Die Indígenas widersprachen dem und erinnerten an die in der Verfassung festgeschriebene Garantie der Respektierung eines jeden in Brasilien lebenden Volkes und ihrer Kultur. Die Militärs befürchten offenbar, zukünftig nur „unter großen Einschränkungen“ in die teilautonomen Flächen eindringen zu können. Die andere Seite erklärte hierzu, daß das Eindringen der Militärs in ihre Gebiete unbedingt mit der Verfassung und dem geltenden Gesetz in Einklang zu bringen sei, nach dem nur ein „relevantes nationales Interesse“ es den Nicht-Indígenas, also auch den Militärs, erlauben würde, besagte Gebiete zu betreten. Eine weitere Schwierigkeit der Militärs mit der Ausweisung der Flächen scheint in deren „Weitläufigkeit“ begründet zu sein. Admiral Tasso Villar de Aquino, ein Mitglied des Generalstabs, akzeptierte zwar, daß die Indígenas verfassungsmäßig garantierte Rechte haben, warf aber am Rande des Gespräches die Bemerkung ein, es sei darauf zu achten, daß „die Gebiete nicht zu exzessiv ausufernd“ geraten. Zwar existieren keine Organe, die die Ausweisung dieser Gebiete einschränken könnten, trotzdem wird es ein großes Problem bleiben, die Militärs dafür zu gewinnen, ihre Ziele mit den Rechten der Völker in den Grenzregionen Brasiliens abzustimmen.

NICARAGUA

Neue Kredite für Nicaragua

(Managua, 4.Dezember 1992. – APIA-POONAL) -Die Regierungen Mexikos und Schwedens haben Nicaragua Überbrückungskredite in der Höhe von 15 bzw. 8 Millionen US-Dollar zur Ankurbelung sozialer Projekte gewährt, gab am 16. Nobember der nicaraguanische Finanzminister bekannt. „In den kommenden Tagen wird das Land die Gelder erhalten, die sofort in Projekte zur Schaffung von Arbeitsplätzen investiert werden“, erklärte Minister Pereira auf einer Pressekonferenz. Er machte allerdings keine näheren Angaben über die Zahlungsdbedingungen und Zinssätze bei den Krediten.

Arbeiter*innen streiken, Regierung droht Einsatz der Armee an

(Managua, 4. Dezember 1992 – APIA-POONAL) -Die sandinistische Gewerkschaft FNI führt eine Reihe von Streiks an. In vielen Spitälern wurde die Arbeit niedergelegt, die Zollbeamten streiken. Die allgemeine Forderung: Lohnerhöhung. Die FNI hat mit einem Generalstreik gedroht. Die Regierung hingegen droht mit dem Eingreifen von Armee und Polizei. An strategischen Punkten in Managua sind Panzer aufgefahren. Auch ehemalige Contras sind wieder aktiv geworden und haben die Ortschaft Santo Domingo in Chantales unter ihre Kontrolle gebracht. Unter noch nicht näher bekannten Umständen wurde der Führer des Unternehmerverbandes COSEP, Arges Sequera, ermordet.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 074 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert