Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 71 vom 23.11.1992
Inhalt
MEXIKO
GUATEMALA
EL SALVADOR
HAITI
KUBA
NICARAGUA
MEXIKO
Journalist nach Protestmarsch ermordet
(Mexiko, 17. November 1992, FELAP-POONAL).- Am 13. November wurde in Mexiko-Stadt der Journalist Ignacio Mendoza Castillo im Anschluß an eine Protestkundgebung ermordet. Mexikanische Journalist*innen hatten zuvor einen Marsch von Quintana Roo im Südosten Mexikos durch acht Bundesstaaten bis zur Hauptstadt unter dem Motto: „Vom Süden zum Zentrum für freie Meinungsäußerung“ organisiert. Die Teilnehmer*innen forderten die Respektierung der individuellen und beruflichen Rechte der Journalist*innen und die Beendigung der Repression durch die Regierung.
Demonstration gegen staatliche Repression
Die Journalist*innen starteten ihren Protestmarsch am 4. November in Chetumal, Quintana Roo, im Süden Mexikos. Am 12. November erreichten sie die Nationale Menschenrechtskommission in Mexiko- Stadt. Dort legten sie dem Präsidenten der Kommission, Jorge Carpizo, Unterlagen vor, die Übergriffe von Polizei und Armee gegen Journalist*innen belegten. Am darauffolgenden Tag, dem 13. November, organisierten die Teilnehmer*innen des Marsches eine Kundgebung vor dem Regierungssekretariat. Der Generaldirektor des Regierungssekretariats, Jorge Gómez Collado, versprach den Journalist*innen absolute Sicherheit und verpflichtete sich außerdem, mit den Gouverneuren der Staaten Quintana Roo, Campeche und Chiapas – insbesondere sie werden für brutale Repression verantwortlich gemacht -, Gespräche einzuleiten, um deren agressive Praktiken zu beenden. Ignacio Mendoza Castillo wurde noch am gleichen Tag umgebracht. Die protestierenden Journalist*innen hatten an einer Feier der Vereinigung der Ausländischen Journalist*innen in Mexiko, die ihren fünfzigsten Geburtstag feierte, teilgenommen. Der mexikanische Präsident Carlos Salinas de Gortari betonte in einer Ansprache, die Regierung habe großen Respekt gegenüber der freien journalistischen Betätigung. Wenige Stunden später, nachdem Mendoza Castillo nach Hause gefahren war, wurde er umgebracht.
Mendoza Castillo war ein pluralistischer Journalist, der die Unregelmäßigkeiten der Regierung von Quintana Roo offen kritisierte. Wegen seines engagierten Auftretens hatte er in der Vergangenheit bereits mehrmals Todesdrohungen erhalten. Auf Befehl des Gouverneurs von Quintana Roo, Miguel Borge Martín, wurden drei seiner Söhne umgebracht. Er floh nach Mexiko-Stadt und begann am 4. September 1991 eine ständige Mahnwache gegenüber dem Nationalpalast. Damit wollte er für eine Aufklärung der Morde an seinen Kindern demonstrieren. Bis zum Tage seines Todes erhielt er keine Antwort auf seine Fragen. Die Demonstrant*innen versammelten sich nach dem Mord an Mensoza Castillo am 14. November erneut vor dem Regierungsgebäude und forderten die unverzügliche Aufklärung des Mordes. Die Regierung gab sich einsilbig und lehnte es explizit ab, die Sicherheit der der Journalist*innen zu garantieren. Die nationale Presse forderte Präsident Carlos Salinas de Gortari auf, einzuschreiten und sich persönlich nicht nur für die Aufklärung dieses Verbrechens, sondern sämtliches Attentate gegen Journalist*innen zu verbürgen. Sie forderten die Regierung auf, die Unterdrückung der freien Meinungsäußerung endlich einzustellen und demokratische und pluralistische Massenmedien in Mexiko zuzulassen.
GUATEMALA
Flüchtlinge: Blockiert Regierung die Rückkehr?
(Mexiko, 15 Nov. 92, Cerigua-POONAL).-Die guatemaltekischen Flüchtlinge in Mexiko haben die guatemaltekische Kommission für Repatriierte (CEAR) am 14. November beschuldigt, ihre geplante Rückkehr nach Guatemala zu blockieren. Am 5. November hatte die Vertretung der Flüchtlinge, die Ständigen Kommissionen (CCPP), Pläne veröffentlicht, denen zufolge die Rückkehr am 13. Januar beginnen soll. Der Direktor des UN-Flüchtlingshochkommissariats (UNHCR) für die Karibik und Amerika, Chefeke Desalegem, hat gegenüber der mexikanischen Tageszeitung „La Jornada“ den Rückkehrer*innen jegliche Hilfe angeboten. Die mexikanische Flüchtlingskommission (COMAR) hat am 12. November mitgeteilt, daß 48 Flüchtlinge nach Guatemala zurückgekehrt seien. Nach Angaben der Flüchtlinge weigert sich die CEAR, die von ihnen festgelegte Route über Guatemala-Stadt anzuerkennen, was die Flüchtlinge mit ihrer Forderung, „vor den Augen der Welt“ zurückzukehren, begründen. Die CEAR bestehe auf einer Rückkehr über die abgelegene Provinz El Petén. Außerdem verlange die CEAR, daß die Flüchtlinge in kleinen Gruppen, die nicht mehr als 80 bis 100 Familien umfassen dürften, zurückkehren sollten. Dies widerspreche dem Prinzip der kollekiven Rückkehr, das in den am 8. Oktober unterzeichneten Rückkehrabkommen festgelegt sei. „Die CEAR versucht zu verhindern, daß wir zusammenbleiben“, werfen die Flüchtlinge der guatemaltekischen Behörde in den Brief vor.
Flüchtlinge wollen im Januar zurückkehren
Die CCPP hatten am 5. November einen detaillierten Plan für die Rückkehr am 13. Januar 1993 vorgelegt. Die Kosten, zum Beispiel für den Transport, die medizinische Versorgung, die Verpflegung mit Nahrungsmitteln etc., soll das UN-Flüchtlingskommmissariat übernehmen. Die CCPP haben weiter angekündigt, daß sie, in Zusammenarbeit mit den für die Repatriierung zuständigen Organisationen, die vorgesehenen Rückkehrrouten besichtigen werden. Vom 24. November an sollen dann 50 Personen unter dem Schutz des UNHCR an die Zielorte geschickt werden, um die notwendige Infrastruktur aufzubauen. Der UN-Flüchtlingskommissar soll dafür ausreichend Mittel bereitstellen. Der UNHCR soll nach den Plänen der Flüchtlinge zudem Bescheinigungen ausstellen, aus denen hervorgeht, daß die Rückkehr freiwillig erfolgt. Diese Papiere sollen gleichzeitig provisorische Ausweisdokumente sein. Die Rückkehrer*innen haben die CEAR aufgefordert, bis zum 15. Dezember schriftlich mitzuteilen, wie und wann die endgültigen Ausweispapiere ausgestellt werden. Die mexikanische Flüchtlingskommission COMAR soll ebenfalls bis zum 15. Dezember Zeugnisse über in Mexiko erlangte Schulabschlüsse bzw. geleistete Arbeit an die Flüchtlinge aushändigen. Die Flüchtlinge wollen in einer großen Karawane zurückkehren. Die Route haben sie im Hinblick auf die eigene Sicherheit und ihr Recht auf eine menschenwürdige Rückkehr ausgesucht. Dabei seien die Wünsche der an die Route angrenzenden Dörfer berücksichtigt worden, die darum gebeten hätten, die Rückkehrer*innen begrüßen zu können. Die Karawane wird die Grenze am Übergang „La Mesilla“ in der Provinz Huehuetenango überqueren. In Guatemala wird sich die Karawane teilen, wobei eine kleinere Gruppe Richtung Norden, in den Bezirk Nentón, Provinz Huehuetenango, weiterfahren wird. Die größere Gruppe will über Guatemala-Stadt in den Bezirk Ixcán der Provinz Quiché mit dem Zielort „Poligono 14“ weiterreisen. In Guatemala-Stadt soll eine eintägige Pause eingelegt werden.
UN-Flüchtlingskommissar sagt Flüchtlingen Hilfe zu
Der Direktor des UNHCR für die Karibik und Amerika hat am 15. November gegenüber der mexikanischen Tageszeitung „La Jornada“ erklärt, die UNO werde den Rückkehrer*innen die erforderliche Hilfe zukommen lassen. Er fügte hinzu, daß das geplante Rückkehrdatum (13. Januar) nicht als endgültig betrachtet werden sollte, auch wenn alle sich darauf vorbereiten würden. Nach Informationen von COMAR sind im Rahmen der von der CEAR vorangetriebenen individuellen Repatriierung 48 Flüchtlinge aus Lagern in den mexikanischen Bundesstaaten Chiapas und Quintana Roo nach Guatemala zurückgekehrt. Wie die mexikanische Tageszeitung „La Jornada“ am 13. November berichtete, sind die Rückkehrer*innen von Repräsentant*innen des UNHCR, der CEAR und dem Roten Kreuz begleitet worden.
Armee: Die Kirche ist subversiv
(Mexiko, 17. November 1992, NG-POONAL).- Die guatemaltekische Regierung scheint auf der Suche nach einem neuen innenpolitischen Sündenbock fündig geworden zu sein: Mit immer heftigeren Attacken beschuldigt sie die katholische Kirche der Subversion. Die Konfrontation zwischen der Kirche und dem Militär begann im November. In einem Bericht beschuldigen die sogenannten „Offiziere der Berge“, eine geheime Gruppe innerhalb der Streitkräfte, den Präsidenten der erzbischöflichen Menschenrechtskommission Ronald Ochaeta, verschiedene Menschenrechtsorganisationen und sogar die Regierung der Vereinigten Staaten, die Armee zerstören zu wollen. Einige Tage später behauptete der Verteidigungsminister General José Domingo García Samayoa in aller Öffentlichkeit, Ochaeta sei dem „Umfeld der Guerilla zuzuschreiben“ – in Guatemala kommt ein derartiges Verdikt, zumal vom Verteidungsminister vorgetragen, nahezu einem Todesurteil gleich. Auch Amílcar und Factor Méndez, die Vorsitzende von Menschenrechtsorganisationen sind, wurden von García Samayoa angegriffen.
Kirchenmann ein Terrorist?
Der Hintergrund der rüden Angriffe: Seit Monaten ist die guatemaltekische Regierung auf internationaler Ebene isoliert, weil sie für die schweren Menschenrechtsverletzungen der Sicherheitskräfte und von paramilitärischen Verbänden verantwortlich gemacht wird. Die Wut scheint sich nun auf die Kirche und die Menschenrechtsorganisationen zu konzentrieren, die im Ausland die Gewalttaten von Armee und Polizei öffentlich machen. Der Erzbischof von Guatemala-Stadt, Próspero Penados del Barrio, forderte die Regierung auf, Beweise für ihre Beschuldigungen anzuführen. „Wir sind uns bewußt, daß wir nichts Ungesetzmäßiges getan haben,“ fügte der Prälat hinzu. Er sicherte Ochaeta die Unterstützung und Solidarität der Bischofskonferenz zu. Gleichzeitig forderte er die Regierung zum Dialog auf. „Wir sind bereit, die Karten auf den Tisch zu legen.“ Bischofssprecher Erwin García Arandi erklärte, daß die Kirche auch weiterhin Menschenrechtsverletzungen anzeigen werde. „Wir werden die Wahrheit sagen, auch wenn es der Regierung nicht gefällt,“ sagte er. Die guatemaltekische Bischofskonferenz hat das Militär und die Regierung inständig darum gebeten, ihre abenteuerlichen Anschuldigungen zurückzunehmen. Auch Bischof Juan Gerardi Conedera forderte vom Verteidigungsminister General José Domingo García Samayoa, seine Anschuldigungen gegen die Kirche zu erklären. Monseñor Rodolfo Quezada Toruño, Vermittler in den Verhandlungen zwischen der Guerilla und der Regierung sagte, es könne einen ernsthaften Konflikt geben, wenn die Regierung nicht einen „ehrlichen Dialog“ führe. Quezada fühlte sich von García Samayoa angegriffen, weil er die Arbeit der Kirche und damit seine Funktion als Vermittler in Frage gestellt hatte. Bereits Anfang der achtziger Jahre waren Kirchenvertreter Ziel des uferlosen Terrors der Streitkräfte, hunderte von Religionslehrern und katholischen Priestern wurden ermordet. Viele fürchten, die Angriffe des Militärs und der Regierung gegen die Kirche könnten das Vorspiel einer neuen Gewaltwelle gegen die Teile der Gesellschaft sein, die sich der Militärgewalt widersetzen.
EL SALVADOR
„Das ist nicht der Frieden, den das Volk will“
(Ecuador, November 1992, alai-POONAL).- Interview mit Domingo Antonio Contreras, Generalkoordinator der Nationalen Indígena- Vereinigung El Salvadors (ANIS).
ALAI: Welche Ziele verfolgt ANIS?
CONTRERAS: Die Nationale Indígena-Vereinigung El Salvadors ist im Jahr 1954 entstanden. Wir haben uns organisiert, weil wir bis dahin Randgruppen waren. Offiziell gab es uns gar nicht, wir durften nicht über uns reden. Seitdem haben wir begonnen, sehr hart zu arbeiten, wir haben unsere Sprache in unseren Schulen weitergegeben und unsere Spiritualität in den Tempeln der Gemeinden aller Ethnien entwickelt. Wir wurden durch den Ältestenrat beraten und sind mit kleinen Schritten vorangekommen. Seit 1980 hat ANIS den Status einer juristischen Person. Seitdem sind wir als Vereinigung anerkannt. 1983 hat die Regierung 74 Indígenas einer Kooperative umgebracht. Das war nur eines von 14 Massakern. Wir konnten nicht ein einziges anzeigen, denn wenn wir Anzeige erstatteten, hätten sie uns verschleppt und umgebracht.
Die Waffen schweigen, doch der Krieg hält an
1986, als die Christdemokraten die Regierung bildeten, wurden wir mehrfach von Soldaten überfallen. Wir wurden aus unseren Häusern vertrieben, sie nahmen uns unser Land weg. Einige wurden gefangengenommen und andere verschwanden. Aber das hat uns nicht aufgehalten. Wir haben in den Schulen weiter unsere drei verschiedenen indigenen Sprachen Nahuat, Lenca und Maya unterrichtet.
ALAI: Wie hat sich der Bürgerkrieg in El Salvador auf die Organisation ausgewirkt?
CONTRERAS: Solange nur Indigenas umgebracht wurden, redete noch niemand von Krieg; aber als das Morden auch Großgrundbesitzer*innen und Militärs betraf, da sprachen plötzlich alle davon. Heute, nach zwölf Jahren Krieg, sind die Menschen aufgewacht. Wir als Indígenas haben auf diesen Moment hingearbeitet. Wir haben dafür gekämpft, daß es zur Unterzeichnung des Friedensvertrages zwischen der Frente Farabundo Martí (FMLN) und der Regierung kam. Aber dadurch ist uns Indígenas kein großer Raum geschaffen worden, denn weder die Regierung noch die FMLN nehmen auf uns als Indígenas Rücksicht. Die Waffen schweigen zwar, aber es gibt einen schlimmeren Krieg, der anhält: den Hunger, die Arbeitslosigkeit, die mangelnde Bildung, keine Gesundheitsversorgung; Krieg ist, wenn wir nicht das Notwendigste zum Überleben haben. Vor allem uns als Indígenas wird der Zugang in die Schulen verwehrt, wir werden an den Rand gedrängt. Trotzdem kämpfen wir weiter. Wir werden mit einigen Leiter*innen und Funktionär*innen der Regierung sprechen und wir schreiben dem Kongreß Briefe, um uns langsam Gehör zu verschaffen. Denn wir wissen: Solange das Landproblem nicht gelöst wird – das bereits vor dem Krieg bestand und die Ursache des Krieges war – schweigen tatsächlich nur die Waffen, aber es gibt nicht den Frieden, den das Volk wirklich will. Ich wurde im Februar dieses Jahres gefangengenommen und gefoltert, weil wir um das Land gekämpft hatten, das Gemeindebesitz ist, also Land, das wir gemeinsam besitzen. Wir glauben, daß nicht mehr nur wir Indígenas, sondern das gesamte Volk darum kämpft, bei den Abkommen berücksichtigt zu werden. Die Regierung hat unsere Rechte nie geschützt. In den Abkommen heißt es klar und deutlich, daß die Großgrundbesitzer*innen nur jeweils 245 Hektar Land besitzen dürfen. Alles, was darüber hinausgeht, muß ihnen weggenommen werden. Das Gemeindeland soll seinen rechtmäßigen Eigentümer*innen zurückgegeben werden. In diesem Fall müssen die Konfliktzonen unverzüglich den früheren Kämpfer*innen der FMLN übergeben werden. Die Regierung hat jedoch nichts getan, um diese Abkommen zu erfüllen. Was sie gemacht hat, reicht nicht aus, denn das ganze Volk erhebt sich – nicht nur wir, sondern das ganze Volk – damit die Regierung das Land übergibt, wie es in dem Dokument vereinbart wurde.
ALAI: Arbeitet die ANIS in diesem Kampf mit anderen Organisationen zusammen?
CONTRERAS: Ja, wir sind am Forum für Ökologische Übereinstimmung beteiligt, das aus 120 Organisationen zusammengesetzt ist. Wir helfen als Indígenas auch dabei mit, die Umwelt zu verteidigen, denn wir glauben, daß durch die Zerstörung der Natur auch unser Leben zerstört wird. Darum engagieren wir uns in diesem Bereich. Ein Beispiel ist der Fall der Kooperative „Del Espino“, die in einem kleinen Wald in der Haupstadt San Salvador liegt. Es war früher Gemeindebesitz, aber die Regierung hat es einigen Millionär*innen gegeben. Sie hat es, obwohl eine Agrarreform verabschiedet war, für diese Herren gekauft und will das Land nun der Kooperative wegnehmen und urbanisieren. Wir glauben, daß dieser Wald, der der einzige ist, der im Zentrum der Hauptstadt erhalten ist, ihre wichtigste Sauerstoffquelle ist, ihre Lunge, von der alle Menschen in der Hauptstadt profitieren. Und wir kämpfen gegen das Vorhaben, die Urbanisierung voranzutreiben. Vor kurzem hat die nordamerikanische Botschaft dort ihre Residenz gebaut, auf einem Altar unserer Vorfahren. Darum arbeiten wir im Forum für Ökologische Übereinstimmung. Wir werden die Natur verteidigen, weil wir von ihr leben. Und sie hat bereits sehr gelitten. Wir glauben, daß alle Organisationen sich gemeinsam für die Natur einsetzen müssen. Das Forum fordert von der Regierung, die Abkommen zu erfülllen, die sie am 16. Januar in Mexiko unterschrieben hat.
ALAI: Wie beurteilen Sie die Umwandlung der FMLN in eine Partei?
CONTRERAS: Wir mußten beobachten, daß die Regierung der FMLN sehr viele Hindernisse in den Weg legte, als sie sich als Partei registrieren lassen wollte. Die Regierung wollte nicht berücksichtigen, daß die Mehrheit des Volkes mit der FMLN sympathisiert und daß sie alle notwendigen Voraussetzungen für die Umwandlung in eine demokratische Partei besaß. Es ist bedauerlich, wenn eine Partei in der Regierung die Mehrheit hat und dann macht, was sie will. Die Regierung hat immer neue Vorbedingungen gestellt, sie wollte die FMLN nicht als Partei haben. Wir glauben, daß die Regierung Angst hat. Sie weiß, daß sie durch die Wirtschaftsmaßnahmen, die in letzter Zeit erlassen wurden, an Popularität verloren hat. Am ersten September stieg die Mehrwertsteuer um 35 Prozent. Der Strompreis ist erhöht worden, das Benzin und die öffentlichen Transporte sind teurer geworden. Das hat dazu geführt, daß immer mehr Menschen auf die Straße gehen und gegen diese Maßnahmen protestieren.
HAITI
Skandal um US-Lebensmittelhilfe
(Anse a Galets, 9. November 1992, HIB-POONAL).- Die Lebensmittelhilfe der USA für Haiti ist ins Zwielicht geraten. Nahrungsmittel, mit denen unter anderem 25 000 Kinder auf der haitianischen Isnsel La Gonave versorgt werden sollten, sind auf illegale Weise von dem örtlichen Leiter des Hilfeprogramms an Händler verkauft worden. Bewohner*innen der Insel, die versuchten, den illegalen Verkauf in der Gemeinde Anse a Galets zu stoppen, wurden körperlich bedroht. Die Lebensmittelhilfe ist Teil eines US-Projekts mit dem Namen „Operation Lifeline“. Das Programm, das vor sechs Wochen in Haiti gestartet wurde, wurde von Beginn an kritisiert, weil die Hilfe in dunklen Kanälen versickerte. Bewohner*innen der gebirgigen Insel beklagten, sie hätten überhaupt keine Lebensmittel bekommen. Es wird von Fällen berichtet,in denen Menschen bis zu zwölf Mal nach Anse a Galets gelaufen waren und immer mit leeren Händen zurückkamen. Inzwischen wurde das Programm abgebrochen, obwohl die Versorgung der Bevölkerung in einigen Gebieten Haitis immer schwieriger wird. Beobachter*innen sagten, in einigen Regionen müsse fast schon von Hungersnöten gesprochen werden.
Projektleiter verkaufte illegal Nahrungsmittelhilfe
Lifeline sollte von einer Gruppe von Berater*innen vor Ort kontrolliert werden, aber den Aussagen eines Mitglieds nach, das aufgrund zahlreicher Drohungen anonym bleiben wollte, hatten die Berater*innen überhaupt keine Möglichkeit, Entscheidungen zu beeinflussen. Vor einigen Wochen wurde entdeckt, daß der örtliche Direktor des Projekts, Maxo Claircira, große Mengen Lebensmitteln an Händler*innen verkauft hatte. Für 100 Kisten (zu je 6 Gallonen) Sojaöl hatte er über 4.000 US-Dollar erhalten. Die Berater*innen des Projekts stellten Claircira zur Rede, der behauptete, sein Vorgesetzter im nationalen Büro habe ihn zum Verkauf autorisiert. Obwohl sie gewarnt wurden, sich nicht einzumischen, beschlagnahmten die Berater*innen das Öl, schlossen es in einem Gefängnis ein und sandten ein Mitglied nach Port-au-Prince, um den Skandal anzuzeigen. In Port-au-Prince, wo er dem Projekt-Direkor Robert Watkins und seinem Assistenten Joseph Senat von den skandalösen Machenschaften berichtete, wurde der Berater von mehr als zehn Männern körperlich bedroht. „Die Männer sagten, sie würden mich umbringen,“ sagte er, sichtbar erschüttert. „Ich arbeite nicht mehr für 'Lifeline'.“ Watkins gibt zu, daß es Probleme in La Gonave gibt. „Mit Ausnahme von zwei Männern haben wir alle dort entlassen. Und wahrscheinlich hätten wir die beiden auch entlassen sollen. Aber es sind noch Jugendliche,“ sagte er in einem Telefoninterview. Die beiden, die nicht entlassen wurden, sind indes genau jene, die auf der Insel nahezu jeder für den Skandal verantwortlich macht: Der Leiter Claircira und der Warenhausmanager.
Seilschaften aus Zeiten der Diktatur
Claircira wurde von Joseph Senat selbst für das La Gonave-Programm ausgesucht. Während Claircira keine belastende Vorgeschichte hat, ist Senat in der politischen Szene sehr wohl bekannt, vor allem wegen seiner Verbindungen zu der Diktatur Duvaliers. Senat war bis 1984 der Kopf des „Syndicat des Chauffeur-Guides“, der Touristentaxi-Gewerkschaft, eine der wenigen Gewerkschaften, die unter der Diktatur erlaubt waren. Danach gründete er eine andere Gewerkschaft, die regierungsnahe und arbeiterfreundliche „Federation des Ouvriers Syndiques“ (FOS). Dadurch erfüllte Haiti die Voraussetzungen für spezielle Handelsprogramme mit den USA. Die FOS verstand sich immer auch als Gegenpol zu den volksnahen, basisorientierten Gewerkschaften Haitis. Die FOS wird von konservativen Organisationen aus den Vereinigten Staaten seit Jahren mit umfangreichen Geldsummen gesponsort. Letzte Woche sollten sich die Projektberater*innen mit der US- amerikanischen Agentur für Internationale Entwicklung, die „Lifeline“ kontrolliert, verständigen. Aber sie entschieden sich aufgrund neuerlicher Gerüchte und Drohungen, vorläufig nichts zu unternehmen. Programm-Direktor Watkins behauptet dennoch uunerschütterlich, das Projekt werde in „vier oder sechs Wochen“ wieder anlaufen. Eine Ankündigung, die bei den bedrängten Kontrolleuren blanken Zyxnismus hervorrief. „Es sind Diebe, die die Lebensmittel jetzt haben. Wie sollen sie da zu den wirklichen Adressaten gelangen“, sagte einer der Berater.
Wird Clinton Haiti helfen?
(Port-au-Prince, November 1992, HIB-POONAL).- Die Nachricht, daß Bill Clinton die Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten gewonnen hat, löste in Haiti neueliche Hoffnungen aus. Viele Menschen hoffen, daß Clinton sein Versprechen halten wird und die Rückkehr zur Demokratie unterstützen wird. In Gonaves, einer Hochburg der Unterstützer*innen Präsident Jean-Bertrand Aristides, wurde bis in den Morgen gefeiert. Am darauffolgenden Tag waren die Wahlen das Hauptthema der Gespräche in der Hauptstadt Port-au- Prince. Exil-Haitianer*innen in Miami veranstalteten eine Siegesdemonstration und Politiker*innen der Demokrat*innen dort dankten ihnen dafür, Clinton beim Wahlsieg in dem traditionell republikanischen Staat geholfen zu haben. Ein Jahr nach dem Putsch haben die Haitianer*innen Präsident Bush und seine widersprüchliche Rhetorik satt. In Haiti bestreitet kaum jemand – auch nicht die wenigen, die das illegale Regime unterstützen -, daß die USA den Putsch, der über 2.000 Menschenleben gekostet hat, veranlaßt oder zumindest beträchtlich unterstützt hat. Demokratische Haitianer*innen beschuldigen die US-Regierung, eine rassistische Flüchtlingspolitik zu betreiben, die brutale Repression im Land stillscheigend zu tolerieren und sich hinter einem schwachen und zweideutigen Embargo zu verstecken, das zwar dazu dient, Opposition Washingtons gegen die Putschisten zu zeigen, aber in Wirlichkeit ärmere Haitianer*innen stärker trifft als die, die den Putsch unterstützen. Zudem wurde bekannt, daß die US-Küstenwacht große Tanker mit Gas und Waffen nach Haiti passieren ließ. René Theodore, einer der erbittertsten Gegner der gewählten Regierung Aristide, dem die Putschisten den Posten des Premierministers versprochen hatten, spielt jedoch die Differenzen zwischen Bush und Clinton am Tag nach der Wahl herunter: „Es gibt keinen großen Unterschied zwischen Bush und Clinton, weil die Außenpolitik nicht vom Präsidenten entschieden wird, sondern vom Repräsentantenhaus.“ Haiti hat bereits seit 1915 Erfahrungen mit der US-Außenpolitik. In diesem Jahr marschierten die Marines in Haiti ein. Danach unterstützten die Vereinigten Staaten alle Diktatoren Haitis, einschließlich Duvaliers. Viele Kommentator*innen gehen davon aus, daß sich die Außenpolitik des gewählten Präsidenten Clinton nicht wesentlich von der seines Vorgängers Bush unterscheiden wird. Haiti könnte jedoch eine Ausnahme bilden. Denn Bill Clinton gab vor haitianischen Wähler*innen in Florida ein persönliches Versprechen ab, die Rückkehr des gestürzten Präsidenten Aristide zu unterstützen und solange alle Flüchtlinge aufzunehmen, bis die Demokratie wiederhergestellt sei. Bloßer Wahlkampftrick oder ernsthafter Wille zur Kurskorrektur?
KUBA
Gemeindewahlen in Kuba
(Havanna, 17. November 1992, Prensa Latina-POONAL).- Am 16. November begann die Nominierung der Kandidat*innen für die Wahlen der Gemeindedeligierten. Dieser Wahlvorgang findet seit der Verabschiedung der aktuellen Verfassung 1976 in Kuba statt und wurde nicht durch die Parlamentsreformen Mitte dieses Jahres verändert. Jeder Wahlbezirk ist in zwei bis acht Sektoren eingeteilt. In diesen Wahlbezirken schlagen die Nachbar*innen direkt die Kandidat*innen für die jeweilige Gemeindeversammlung vor. Durch mehrheitliche Handabstimmung werden die Kandidat*innen jedes Gebietes für die Wahlen am kommenden 20. Dezember nominiert. Dann stellen sie sich gemeinsam mit den anderen Kandidat*innen des Wahlbezirks zur Wahl. Offizielle Stellen bezeichnen diesen Vorgang als einen der Hauptmechanismen, um ein demokratisches Wahlsystem in einem Land mit nur einer Partei zu garantieren. Sie behaupten sogar, dieser Vorgang sei demokratischer als die herkömmlichen Wahlgänge, die in Ländern mit verschiedenen Parteien durchgeführt werden. In Vielparteiensystemen stimmen die Bürger*innen für Kandidat*innen, die durch politische Organisationen eingesetzt werden. In Kuba könnten die Bürger direkt entscheiden, wer auf die Wahlliste kommt. Nach Informationen der Wahlkommission gibt es auf der Insel 13.800 Wahlbezirke mit ungfähr 7,5 Millionen Wahlberechtigten. In Kuba darf bereits mit 16 Jahren gewählt werden. Die Versammlungen zur Nominierung der Kandidat*innen in den Vierteln müssen zwischen dem 16. und dem 30. November stattfinden, die Wahlen finden dann am 20. Dezember statt. Nach den Wahlen werden die Gemeindeversammlungen die Kandidaten für die Provinzversammlungen und das Parlament bestimmen, welche dem Gesetz nach zu fünfzig Prozent eingesetzt und zu fünfzig Prozent von der Bevölkerung direkt gewählt werden. In den Versammlungen, die die Kandidat*innen für die Gemeindewahlen bestimmen, werden somit bereits Vorentscheidungen für die zusammensetzung der Provinzversammlungen und der Nationalversammlung getroffen. Aufgrund der Änderungen in der Verfassung in diesem Jahr werden auch sie in direkten und geheimen Wahlen bestimmt. Diese Wahlen sind für Februar 1993 geplant.
NICARAGUA
Düstere Lage am Arbeitsmarkt
(Managua, 18. Nov. 1992).-Immer mehr Menschen drängen auf den Arbeitsmarkt und finden dort keinen Job mehr. Das Heer der Arbeitslosen in Nicaragua wächst. Die Zahl der arbeitsuchenden Jugendlichen steigt jährlich um 50 000. Sie sind in erster Linie von der horrenden Arbeitslosigkeit betroffen. Von den knapp über 300 000 vollwertigen Arbeitsplätzen, die der Bevölkerung in Managua zur Verfügung stehen, belegen die 15- bis 25jährigen nur 21 Prozent. Der 20jährige Joaqín López hält sich mit dem Straßenverkauf von Kleintieren über Wasser. „Vor zwei Jahren habe ich die weiterbildende Schule abgeschlossen“, berichtet er. „Seitdem suche ich einen festen Job. Gefunden habe ich noch nichts.“ Offiziellen Zahlen zufolge liegt die Arbeitslosigkeit in Nicaragua bei 16,2 Prozent, 37,8 Prozent sind unterbeschäftigt. In Managua sind sogar über 45 Prozent der potentiell wirtschaftlich aktiven Bevölkerung ohne Anstellung. Das bedeutet, daß etwa 80 000 Personen keinen vollwertigen Arbeitsplatz haben, heißt es in einer Studie der Stiftung FIDEG in Managua. Bildung garantiert schon längst keine gesicherte Zukunft mehr. Über zehn Prozent, so die FIDEG-Untersuchung, können einen Universitätsabschluß vorweisen, nur 4,6 Prozent haben niemals eine Schule besucht.
Das Heer, einst größter Arbeitgeber, scheidet aus
Praktisch weggefallen ist in Nicaragua der Hauptarbeitgeber der vergangenen Jahre, das Heer. Während des Bürgerkriegs zwischen der sandinistischen Regierung und den US-gesponsorten Contras in den 80er Jahren hatte die Armee einen Großteil der Jugendlichen beschäftigt. Präsidentin Chamorro hatte gleich nach Amtsantritt mit der Abrüstung der etwa 80.000 Mann starken Armee um vier Fünftel begonnen – ein Prozeß der mittlerweile beendet ist. Außerdem sollten 20.000 ehemalige Contrals und 300.000 aus dem Ausland zurückgekehrte Kriegsflüchtlinge in den Arbeitsmarkt integriert werden – angesichts der anhaltenden Wirtschaftskrise ein aussichtsloses Unterfangen. Die nicaraguanische Industrie arbeitet zur Zeit mit nur 50 Prozent ihrer Kapazität. Von den über 310.000 Hektar Anbaufläche werden in der kommenden Saison rund 20 Prozent brachliegen. Den kleinen und mittleren Bauern, die in Nicaragua für den Großteil der Agrarproduktion verantwortlich sind, fehlt es an den notwedigen finanziellen Ressourcen, um die Felder zu bestellen. Die Folge: Die Landarbeiter wandern in die Städte ab und vergrößern dort das Heer der Arbeitslosen.
Poonal Nr. 071 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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