Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 29 vom 03.02.1992
Inhalt
KUBA
GUATEMALA
HONDURAS
NICARAGUA
LATEINAMERIKA
KUBA
Mit dem Fahrrad ins nächste Jahrhundert?
(La Havana, Jan.1992, ANCHI-POONAL). – Havanna hat ein neues Gesicht: Überall in der Stadt fahren Fahrräder. Jugendliche, Mütter mit Kindern und Berufstätige auf dem Weg zur Arbeit treten von früher Stunde an in die Pedalen: Die cubanische Reaktion auf fehlende Erdöl-Lieferungen. Ein anderes Gesicht von Havanna ist geblieben: Die Schlangen vor den Geschäften. Auch wenn die Grundernährung nach wie vor garantiert ist – die Kubaner*innen konsumieren etwa täglich 1.845 Kalorien, 76.5 Gramm Eiweiß, 79.2 Gramm Fett und 466 Gramm Kohlenhydrate – Probleme in der Versorgung sind unübersehbar. Doch auch wenn mancher inzwischen den Versorgungsprobleme müde ist, Schlamperei, Korruption und strukturelle Mängel anprangert – im Kapitalismus lateinamerikanischer Prägung sehen viele keine Alternative – vom Elend in den Nachbarländern haben die meisten gehört. An einer Hauswand steht geschrieben: „Wir werden nicht zum Kapitalismus zurückkehren, um einige Tausend zu begünstigen und das Elend und die Ausbeutung von Millionen zuzulassen.“
Keine Analphabet*innen
Die kleine Insel ist nach wie vor in manchen Dingen ihren großen Nachbarn weit voraus. Auf Cuba gibt es fast keinen Analphabetismus mehr. 1990 schlossen 525.000 Schüler*innen ihre Ausbildung ab. Ausbildung und Lehrmaterial sind auf Cuba trotz der schwierigen wirtschaftlichen Lage gratis. Die Ausbildung von Jugendlichen ist den Kubaner*innen wichtig – nicht nur der eigenen auf der „Isla de la Juventud“ studieren Tausende afrikanischer Jugendlicher. Weltweit bekannt sind die Kubaner*innen für ihr medizinisches System. Auf Kuba ist ein Arzt für 275 Patienten zuständig. Die Gesundheitsfürsorge wird allen gratis gewährt. Die Kindersterblichkeit ist gering: nur elf von 1000 Kindern sterben; die Lebenserwartung liegt in Kuba bei durchschnittlich 76 Jahre. Das kubanische Gesundheitswesen nutzen nicht nur die eigenen BürgerInnen: Gesundheitstouristen aus aller Welt kommen nach wie vor auf die Insel. In den kubanischen Krankenhäusern wurden in den letzten Jahren Fortschritte in der Operation von Retinosis Pigmentari, einer Augenkrankheit, bei Herzoperationen von Kindern, bei der plastische Chirurgie und bei der Behandlung von Menschen mit verbrannter Haut gemacht.
Export von Medizin
Der Export medizinischer Errungenschaften sorgt zunehmend für einen Teil der nötigen Devisen. Kuba exportiert Interferon, Impfserum gegen Hepatitis B und eine Impfung gegen Hirnhautentzündung. Ein neues Produkt ist das PPG, ein Mittel, das den Cholesterinspiegel senkt, den Kreislauf und den Organismus anregt. Kuba ist immer noch das Land des Zuckers: Mehr als acht Millionen Tonnen Zucker werden pro Jahr produziert. Einige der Nebenprodukte erlauben die Herstellung von Papier und Möbeln. Jährlich werden 50 Tausend Tonnen Stahl und mehr als eine Million Tonnen Zitrusfrüchte produziert. In Zukunft setzt das Land auf ausländische Besucher. Durch den Tourismus konnten im letzten Jahr 400 Mio. Dollar eingenommen werden. Bis 1995 werden eine Mio Touristen erwartet, die mehr als 700 Mio. US-Dollar für und in ihrem Urlaub ausgeben sollen.
GUATEMALA
Militärs wollen Massaker möglichst vergessen machen
(Guatemala, 28.Jan.1992, Cerigua-POONAL). – In der nächsten Woche wird sie wieder auf der Anklagebank sitzen: Die guatemaltekische Regierung wird zum wiederholten Mal vor der UNO- Menschenrechtskommision dafür verantwortlich gemacht werden, daß es in ihrem Land nach wie vor zu Massakern und Morden, Verschleppungen und Folter von Menschen kommt. Doch die guatemaltekischen Militär sind optimistisch. Er erwarte keine internationale Verurteilung durch die 48. Sitzung der Menschenrechtskommission, so Guatemalas Verteidigungsminister, General Jose Garcia. Dabei wurden erst vor wenigen Tagen vier Indigenas von Soldaten brutal ermordet. Die ermordeten Indigenas gehörten dem Nationalen Vertriebenenrat CONDEG an. Doch in Guatemala gibt es offiziell keine Vertriebenen – obwohl in den letzten Jahren hunderttausende von Indigenas vom Militär aus ihren Dörfern vertrieben wurden. Da es offiziell keine Vertriebenen gibt, wird auch ihre Vertretung die CONDEG von Seiten der Regierung und des Militärs nicht als Interessenvertretunganerkannt. Die Organisation sieht den auch einen Zusammenhang zwischen dem Engagement der Ermordeten für die Menschenrechte und dem Massaker. So sagte ein Vertreter der CONDEG: „Die Morde sind auf dem Hintergrund der Repression, die die Vertriebenen erleiden müssen, zu sehen. Wir glauben, daß die Verantwortlichen die gleichen sind wie jene, die uns aus unseren Gemeinden vertrieben haben. Sie hören nicht auf, uns zu terrorisieren.“ Die vier Opfer des Massaker, alle aus der Familie Calel, waren erst kurz nach Neujahr aus dem Nordwesten den Departements Quiche, aus der Gemeinde San Pedro Jocopilas geflüchtet. In dieser Region werden die Angehörigen der Menschenrechtsorganisationen ständig verfolgt und von Militärs und Paramilitärs angegriffen. Die Familie, unter ihnen ein Kind, war dann am frühen Morgen des 17. Januar von Soldaten in einem Armenviertel nahe der Hauptstadt ermordet worden.
Militärs im Rausch
Nachdem das Militär wie üblich zunächst jegliche Beteiligung abgestritten hatte, wurden nach einigen Tagen zugegeben, daß mindestens zwei Soldaten an dem Massaker beteiligt gewesen seien. Die beiden wurden inzwischen verhaftet und es wurde Anklage durch ein Militärgericht erhoben. Den Soldaten wird vorgeworfen, sich unerlaubt aus dem Militärlager „La Selva“ entfernt zu haben, um Likör zu trinken und im Rausch die Betreiber die Indigenas umgebracht zu haben. Zeugen des Massakers haben jedoch die Anwesenheit mehrerer Uniformierter versichert. Von den Militärs wird jede weitere Beteiligung abgestritten. Der Generalsekretär des Präsidenten, Manuel Conde, griff inzwischen zur Verteidigung der Militärs ein und reduzierte das Massaker auf die Fehlleistung zweier betrunkener Soldaten: „Wir Guatemalteken haben die Angewohnheit, alles zu verallgemeinern. Es ist nicht gerecht, alle zu beschuldigen, wenn einige versagen.“
Die Spuren eines schmutzigen Krieges
(Guatemala, 29.Jan.1992, NG-POONAL).- Es scheint als ob in Mittelamerika die Zeit der Friedensabkommen begonnen hat. Auch in Guatemala verhandeln die Konfliktpartei seit Monaten. Die Schwierigkeiten, die noch überwunden werden müssen, damit der Frieden in diesem Land Realität wird, sind jedoch groß – über wichtige Punkte wie beispielsweise der Umgang mit Menschenrechtsverletzungen konnten Regierung, Militär und Guerilla, Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG), noch keine Einigung erzielen. Der jahrzehntelange Bürgerkrieg hat tiefe Spuren hinterlassen – die Barbarei des Bürgerkrieges ließ viele internationale Regeln in Vergessen geraten. Jüngstes Beispiel ist der Umgang der Militärs mit Veronica Ortiz, einem Mitglied der Guerilla. Veronica Ortiz hatte sich im letzten Jahr verletzt dem Militär gestellt. Dann galt die Frau als verschwunden. Trotz wiederholter Nachfragen leugnete das Militär die Gefangennahme von Ortiz. Der Militärsprecher Colonel Homero Garcia Carrillo sprach die Möglichkeit an, daß die Rebellen ihre verletzte Gefährtin befreit hätten, sie aber wegen fehlender medizinischer Behandlung auf der Flucht gestorben sei. Er sah es auch als möglich an, daß Veronica Ortiz gar nicht existiere. Selbst der Generalsekretärs des Präsidenten, Manuel Conde, war vom Militär informiert worden, daß man nirgends von Veronica Ortiz Kenntnis habe. Nachdem nun drei Monate vergangen sind, tauchte Veronica Ortiz Hernandez wieder auf. Sie war heimlich drei Monate von den Streitkräften festgehalten worden, diese übergaben sie nun an den Menschenrechtsbevollmächtigten.
Veronica Ortiz konnte über Monate vom Militär verborgen werden. Es war zwischenzeitlich angenommen worden, sie sei ermordet oder entführt worden. Das Ereignis lläßt Rückschlüsse auf die Macht der Militär zu. Ereignisse wie diese können nur unter einer Militärregierung möglich sein, die notfalls alle Institutionen ihren Entscheidungen unterwerfen kann. In Guatemala gibt es zwar formell eine zivile Regierung und eine staatliche Menschenrechtskommission. Trotz all dieser Instrumente ist jedoch möglich, daß eine Person für mehrere Monate verschwindet und danach von den Streitkräften, die so lange Zeit ihre Präsenz verborgen haben, dann einfach freigelassen wird. Vor zehn Jahren wurde der Bauernführer Emeterio Toj von den Streitkräften festgehalten. Er konnte fliehen. Nach der Flucht von Toj aus dem Hauptquartier des General Justo Rufino Barrios konnte er schließlich bekannt geben, daß er mit Druck und Folter vom militärischen Geheimdienst gezwungen wurde, vor der Presse auszusagen, er sei ein Deserteur der Guerilla. Nun scheint sich eine ähnlich Geschichte mit der Guerillera Veronica Ortiz. In all diesen Monaten wurde Veronica Ortiz sehr wahrscheinlich jeder Art von physischer und psychischer Folter unterworfen, wie es bereits von anderen Personen berichtet wurde, die in Haft bei den Sicherheitskräfte des Landes gewesen sind. Der Umgang mit Veronica Ortiz belegt, wie ungeübt die Militärs im fairen Umgang mit dem Kriegsgegner sind. In Guatemala gibt es keine Gefangennahme von politischen Oppositionellen. Nach 30 Jahren bewaffneten Kampfes gibt es keine Kriegsgefangenen in den Händen der Streitkräfte. Es gibt nur Tote. Gefangene und Entführte, Rebellen, die sich gestellt hatten, mußten öffentlich als Deserteure von ihrem früheren Leben als Guerilleros abschwören – wenn sie überleben wollten.
HONDURAS
Politik 92 – alter Schuh mit neuem Glanz?
(Tegucigalpa, 28.Jan.1992, SHN-POONAL).- In der folgenden Bilanz der Regierungspolitik zu Beginn des Jahres 1992 soll nicht nur kritisch auf Fehler hingewiesen werden. Es geht vor allem darum, die längerfristigen Ziele und Tendenzen der politischen Führung des Landes darzustellen und zu hinterfragen. Zwei Jahre regiert die Nationalpartei unter Präsident Rafael Callejas das Land. Schwerpunkt aller Aktivitäten lag auf der Wirtschaftspolitik – der 1990 initiierten liberale Wirtschaftskurs wurde fortgesetzt. Die Regierung versuchte den Vorschriften der internationalen Gläubigerinstitutionen zu folgen, das Haushaltsdefizit zu verringern und den Staatsapparat zu verkleinern, um mit den frei werdenden Geldern die honduranischen Auslandsschulden zu bedienen.
Soziale Konflikte wachsen
1990 stand aber auch im Zeichen der sozialen Konflikte. Die staatlichen Massnahmen haben im vergangenen Jahr eine Kette von ökonomischen und sozialen Wirkungen hervorgerufen, die die Arbeiter*innen und Mittelschicht besonders hart getroffen haben. Ihrem Protest gegen die Regierungspolitik schlossen sich auch ein Teil der Unternehmer an, wie beispielsweise die Exporteure, die sich dem wirtschaftlichen Anpassungsprogramm (PAE) widersetzten. Auf Kritik von Seiten der Seiten der Gewerkschaften antwortete die Regierung mit harten Gegenmaßnahmen, indem sie die Gewerkschaftsarbeit möglichst zu erschweren suchte.
Verschiedene Kommentare und Analysen zur Regierungspolitik kritisieren, daß sich staatliches Handeln zu sehr auf die Wirtschaftspolitik beschränke. Seit Beginn dieses Jahres wird deutlich, daß die Regierungsmannschaft dies ändern will. Das „Projekt der erneuerten Herrschaft“ soll den neoliberalen Wirtschaftskurs mit politisch-sozialen Aspekten verbindet. Zugleich soll die Politik den aktuellen Tendenzen und Anforderungen der neuen internationalen Ordnung angepaßt werden. Bei zwei von den Vereinten Nationen geförderten Anlässen (April und August 1992) wurde eine öffentliche Diskussion über die Modernisierung des honduranischen Staates geführt. An den Diskussionen nahmen sowohl oppositionelle Gruppen als auch Gruppen, die ideologisch der Regierung nahestehen, teil. Allein die Tatsache, daß in Honduras die dominanten Kräfte ihre Politik mit der Opposition debattieren, ist ein Novum.
Die neue Politik
Expert*innen vermuten, daß der neoliberale Wirtschaftsplan (PAE) bereits jetzt nur Teil weitreichenderer politischer Ideen ist. Im folgenden werden einige Aspekte aufgezählt, die nicht den Anspruch der Vollständigkeit erheben: – Die Politik hat zwei Komponenten: Sie basiert auf der wirtschaftlichen Liberalisierung und nimmt dafür soziale Folgen, und Verarmung breiter Bevölkerungsschichten in Kauf. – Als „politisches Kissen“, das den eventuellen Unmutsbekundigungen zuvorkommen soll, sehen die Politiker zusätzlichen Maßnahmen vor. Als soziale Kompensation, werden beispielsweise monatliche Unterstützungen für Mütter mit Kindern in deren ersten drei Schuljahren vorgesehen. – Das Projekt beinhaltet allerdings die Suche nach einem gesellschaftlichen Konsens. Nachdem demokratische Bestrebungen der honduranischen Gesellschaft festgestellt wurden, wird eine demokratische Öffnung, allerdings mit beschränktem Charakter, vorgeschlagen. Die sichtbarsten Erfolge solcher Politik zeigten sich im vergangenen Jahr, als die Regierung Callejas mit einem Teil der Linken Verhandlungen führte und Abkommen abschloß, die diese zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes und zur Eingliederung ins zivile Leben bewegte. Ihnen wurde im Gegenzug die körperlichen Unversehrtheit versprochen. – Treibende Kraft dieser vorsichtigen politischen Wandlungen ist ein „modernisierter“ Unternehmenssektor und Technokraten mit engen Verbindungen zur Privatwirtschaft. – Die Bewältigung sozialer Probleme wird vertagt. Die auf Wachstum ausgerichteten Maßnahmen werden später – so die Idee – die durch die Anpassungspolitik am stärksten betroffene Bevölkerung begünstigen.
Konservative Widerstände
Die Versuche, das politische System Honduras zu modifizieren, sind bisher noch ohne große Resultate. Die Veränderungen auf politischer Ebene werden aber früher oder später eintreten müssen, da eine Demokratisierung sowohl von internationaler Seite favorisiert wird als auch schon, allerdings mit populärem Inhalt, von der lateinamerikanischen Linken, vor allem in Brasilien, Mexiko, Kolumbien, Nicaragua und El Salvador aufgenommen wurde. Das beschriebene Modell paßt sich in eine weltweite Tendenz ein, dessen wirtschaftliche Etikett der Neoliberalismus ist. Doch es gibt in Honduras konservative Widerstände. Die traditionellen Machtstrukturen haben ihre Wurzeln in einer kolonialen und neokolonialen Vergangenheit, einer Unterentwicklung auf sozio- ökonomischem Niveau und einer festgewachsenen Militarisierung von Macht und Gesellschaft. Die zivile Macht ist immer noch der militärischen Macht untergeordnet. Dies steht im deutlichen Kontrast zu den eben skizzierten politischen Ideen der Regierung. Diese Situation widerspricht ebenfalls den Forderungen internationaler Organisationen wie der Weltbank, die eine Reduzierung im Militärhaushalt als Möglichkeit zur Verminderung des Haushaltsdefizit vorschlägt. Auch auf kontinentaler Ebene wird Druck ausgeübt, damit die Militärmächte wirklich durch zivile Regierungen ersetzt werden. Diese Tendenz wird sogar von den letzten US-Administrationen unterstützt – formuliert beispielsweise im Strategiepapier der AIDE für das Jahr 2000. In diesem Dokument wird die Funktion des Militärs auf Aufgaben der internen Sicherheit, des ökologischen Schutzes und des Antidrogenkampfes reduziert.
Mehr Demokratie
In den letzten Monaten sind zwischen den honduranischen Streitkräften und dem nordamerikanischen Botschafter in Honduras Spannungen entstanden, weil der letzte gerade im vergangenen Jahr dieser Strategie unterstützt hat und dabei die Macht in Anspruch nahm, die ein US-Diplomat traditionell in diesem Land hat. Die Forderungen des Botschafters trafen dabei mit denen der zivilen honduranischen Gesellschaft überein, die sich der Vorherrschaft des Militärs zunehmend widersetzt. (Fortsetzung folgt)
NICARAGUA
Die Region der Miskito-Indianer: Statt autonom von aller Welt vergessen?
(Mexiko, Jan. 1992, Apia-POONAL).- Jede Nacht füllen sich der Park und die Straßen im Zentrum von Puerto Cabezas mit Menschen. Im Halbschatten der wenigen Straßenlaternen bilden die Jugendlichen Schlangen vor den Kinokassen. Zur Wahl stehen Arnold Schwarzenegger in „Conan, der Barbar“ und Marcello Mastroianni in einem alten Spionagefilm. Nicht alle bekommen eine Karte für das Kino. Doch auch die, die wegen Platzmangels draußen bleiben müssen, bleiben im Zentrum. Sie trösten sich mit den Reggaerhythmen, die aus der Diskothek Jumbo dringen und kaufen sich für ihr Geld an der Straßenecke irgendein in Kokosöl fritiertes Essen. Ein junger Mann bietet diskret Marihuana an und in manchen Ecken hängt der unverkennbare süßliche Geruch, der entsteht, wenn das verbotene Kraut geraucht wird. Die Restaurants mit ihren bunten Lichtern und der lauten Musik scheinen mit der Diskothek zu wetteifern, aber sie sind fast leer. Eine Schweinerippe ist genauso teuer wie in Managua, das Bier kostet das Doppelte – soviel Geld können nur wenige für ein Abendessen ausgeben. Außer den Meeresfrüchten, der Kokosnuß und der Yuca müssen alle Nahrungsmittel aus der weit entfernten Hauptstadt eingeführt werden. Die liegt 560 Kilometern weit weg.
Wichtiges Handelszentrum
Puerto Cabezas ist die Hauptstadt einer autonomen Region des Nordatlantiks. Der Karibikhafen ist ein wichtiges Handelszentrum der Miskitoindianer. In den letzten Jahren sind viele Menschen zugewandert, Puerto Cabezas ist sichtbar gewachsen. Flüchtlinge des Bürgerkrieges, Heimkehrer und entwaffnete Guerilleros haben dazu beigetragen, die Zahl der Bevölkerung und oft auch die der Arbeitslosen zu erhöhen. Viele leben von der Schattenwirtschaft: An jeder Wand hängen handgeschriebene Anzeigen. Rauchwaren werden da beispielsweise angeboten: Bolis, Churritos oder Zigaretten. Das Wohnen in Puerto Cabezas ist nicht billig: Zimmer sind knapp und entsprechend teuer. Ein Zimmerchen ohne Fenster und voller Mücken im „El Descanso del Viajero“ ist genauso teuer wie ein Zimmer mit Frühstück in den österreichischen Alpen. Nur können hier wenige solche Preise zahlen. Die autonome Region der Miskitos wird seit letztem Jahr von der indigenen Organisation Yatama regiert. Sie hat die Mehrheit in dem neuen Regionalparlament und stellt die autonome Regierung. Yatama ist die Nachfolgeorganisation von Misuasata, Misura und später Kisan, die die sandinistische Regierung viele Jahre hindurch bekämpft haben. Seit 1984 wurden auf verschiedenen Ebenen Friedensgespräche geführt, 1988 wurden dann die ersten Verhandlungserfolge erzielt. Die totale Demobilisierung begann aber erst mit der Wahlniederlage der Sandinisten. Mit wenigen Ausnahmen sind die Militärbasen jetzt verlassen. Die Beobachtungstürme an den strategisch wichtigen Punkten sind außer Gebrauch und dabei zu verfallen. Die Soldaten, die seit einigen Jahren das Stadtbild geprägt hatten, verschwanden fast völlig. Während vorher die „Spanier“ (Leute der Pazifikküste) unter den Uniformierten dominiert hatten, besteht die kleine verbleibende Truppe mehrheitlich aus Männern der Region.
Viele sind unzufrieden
Doch die Autonomie hat die Erwartungen vieler Bewohner nicht erfüllt. „Autonomie, das heißt, daß wir die Landstraße selbst reparieren müssen“, hört man auf den löcherigen Straßen der Region. Die Unzufriedenheit mit Gouverneur Leonel Panting und der Regierung von Yatama ist allgemein verbreitet. Außer seiner eigenen Residenz, die in einer zentralen Straße von Puerto Cabezas liegt, ist in den letzten Monaten wenig Neues entstanden. „Mit einem jährlichen Haushalt von 400.000 US-Dollar können wir nichts machen. Seit kurzem haben wir nicht einmal Fahrzeuge, um uns fortzubewegen. Die Zentralregierung trocknet uns wirtschaftlich aus“, wehrt sich hingegen der Gouverneur.
Ende des Bananen-Booms
Eine halbe Autostunde östlich von Puerto Cabezas liegt die Miskitogemeinde Bum Sirpi. Bum Sirpi („Der kleine Boom“) verdankt nicht nur seinen Namen, sondern seine ganze Existenz dem Bananenboom, der vor etwa 50 Jahren ein Gastspiel gab. Die Bananenplantagen der Standard Fruit Company haben vielen Familien Arbeit verschafft. Zuerst arbeiteten die Männer auf den Plantagen und nach und nach folgten ihnen die ganzen Familien. Sie haben die neue Gemeinde gegründet, die mit Puerto Cabezas durch die Bananen- Eisenbahn verbunden war. Die Eisenbahn verschwand, genau wie die Obstkompanie, lange vor der Revolution. Der Boom hinterließ nicht mehr als seinen Namen und die Erinnerung an die guten Zeiten, als die Arbeit ausreichte und das Essen billig war. Die Zeit des Reichtums ist vorbei. Heute dient eine Sauerstoff-Flasche – wie die der Taucher – als Glocke der Kirche. „Die autonome Regierung unternimmt nichts für uns“ beschwert sich der 29 jährige Dionisio Siles, ein 29 Jähriger aus Yatama. Er war vor langer Zeit direkt von der Schule in den Krieg gezogen. Jetzt ist er wieder Zivilist. „Niemand gibt uns Arbeit“ sagt er und fügt hinzu, daß Leonel Panting, der Gouverneur der autonomen Region sei Schuld sei, weil „er das Geld für sich behält, und nicht an uns denkt.“
(Fortsetzung folgt)
LATEINAMERIKA
Die demokratische Herausforderung der Kommunikation (Fortsetzung)
(Ecuador, Jan. 1992, Alai-POONAL). – Moderne Technik verändert auch die Möglichkeit miteinander zu kommunizieren. Welche Chancen sich durch neue Technologien für demokratische Bewegungen in aller Welt ergeben, wird im folgenden Interview angesprochen. Howard Frederick vom Institut für Globale Kommunikation (IGC) ist einer der Tenologie-Freaks, die seit Jahren daran arbeiten, die neuen Technologien auch Umwelt-, Friedens- und Dritte-Welt-Bewegungen zugänglich zu machen. Er berichtet über den Nutzen von Informationsnetzen zum Beispiel bei der Nicaragua-Solidarität.
Poonal: Inwiefern haben die elektronischen Netze die Solidaritätsarbeit mit der Dritten Welt unterstützt?
Howard Frederick: Es gibt wichtige Beispiele, wie zum Beispiel die Solidaritätsbewegung mit Zentralamerika. Als die Sandinisten in Nicaragua an der Macht waren, hatten wir zwei Instrumente, um zu verhindern, daß die nordamerikanische Regierung die Repression in Zentralamerika noch erhöhte: Das eine Instrument waren Reisen nach Nicaragua. Zehntausende Nordamerikaner*innen besuchten Nicaragua. Die Berichte, die sie mitbrachte, waren sehr verschieden von denen, die die Massenmedien verbreiten. Das andere Instrument waren direkte Nachrichten. So übermittelten zum Beispiel die Schwestern Maryknoll, aus den Wissenschaftszentren in Nicaragua, direkt von der FMLN, Information zu den Solidaritätsgruppen und hatte einem enormen Einfluß in den USA. Wir waren so in der Lage, eine glaubhafte Berichterstattung zu leisten und zu zeigen, daß es Alternativen gibt. Im Gegensatz zu diesen Beispielen, konnten wir während des Golfkrieges keine guten Information aus dem Mittleren Osten erhalten. Insofern scheiterten wir im Fall der Palästinenser und Saddam Hussein, wir konnten nicht beide Sichtweisen präsentieren. Tatsächlich war es in vielen Ländern des Mittleren Osten oder in Nordafrika, trotz der Existenz von entwickelten Ländern wie Kuweit oder Bahrein, wegen der repressiven Bedingungen nicht möglich, daß sich alternative Medien entwickelten.
Hilfe für Cuba
Für die Zukunft ist es unser Ziel, einer eventuellen Invasion in Cuba vorzubeugen. Wir sind entschlossen die nordamerikanischen Solidaritätsgruppen mit Cuba im Gebrauch der elektronischen Netze zu schulen, damit sich vielleicht Verbindungen mit Cuba über die elektronische Post oder via Konferenzen herstellen. Seit der Isolierung Cubas nach dem Putsch in der ehemaligen Sowjetunion, kann die US-Regierung jeden Vorwand nutzen, um eine Seeblockade um Cuba zu initiieren – beispielsweise daß Cuba in Drogenhandel verstrickt sei. Deswegen wollen wir bereit sein. Das ist eine Lektion, die wir bei der Invasion in Panama gelernt haben, und dann noch einmal während des Golfkrieges und der sowjetischen Krise: Jedes Mal wenn so etwas passiert, sind wir besser vorbereitet, um ihnen zu begegnen. Im Fall von Panama war es ein völliges Scheitern, weil alles zu schnell ging und wir die Netze nicht mobilisierten. Während des Golfkrieges konnten wir zuvor Personal mobilisieren, einen Kalender ausarbeiten, neue Nutzer*innen einschreiben und so einen Einfluß in der Oppositionsbewegung in den USA ausüben. Der sowjetische Putsch war so kurzzeitig, daß es nicht möglich war, ein großes Unternehmen zu starten. Aber binnen Stunden erhielten wird Reportagen aus Moskau, Leningrad und den baltischen Städten, und wir konnten den pro- demokratischen Bewegungen in der EX-UDSSR Unterstützung gegen. So verbessern wir uns jedes Mal.
Poonal: Bei welchen Themen wurde von den neuen Technologien am meisten Gebrauch gemacht?
Howard Frederick: Das ist verschieden. Als im April 1990 der „Dia de la Tierra“ (Tag der Erde) stattfand, hatte Econet einen Höhepunkt und Themen der ökologische Bewegung verdrängten für eine Zeitlang die der Friedensbewegung. Aber schon ab Anfang August mit dem Beginn der Golfkrise wurde PeaceNet mit seinen Themen wieder wichtiger. In den USA gibt es das Problem der künstliche Trennung zwischen Friedens- und Umweltbewegung. Es gibt konservative Ökologen, die sich nicht als Aktivisten begreifen, und es gibt Pazifisten, die sich nicht als Ökologen verstehen. Die Netzwerke versuchen diese Unterschiede, die in keinem anderen Land existieren, zu überbrücken. Das Institut für Globale Kommunikation geht deswegen von den durch Themen getrennten Netzen ab, die zuvor existierten.
Poonal: Die meisten Netze sind im Norden, im Süden wird erst jetzt mit dem Aufbau begonnen. Dadurch werden die internationalen Netze stark vom Norden bestimmt. Wie wollt Ihr diesem Problem begegnen?
Ungleiche Informationsströme
Howard Frederick: Es ist völlig klar, daß es in Sachen Information eine große Diskrepanz zwischen reichen und armen Bevölkerungen gibt, in jeder Gesellschaft, wie zwischen Norden und Süden. Mit Ausnahme des Radios, das großen Erfolg in der Dritten Welt hatte, nimmt in allen Medien die Ungleichheit zu. Wir glauben, daß die Kommunikation über Computer eine Möglichkeit darstellt, dies zu überwinden. Und der Erfolg in Ländern wie Bolivien, Brasilien zeigt, daß es eine Lösung ist. Es gibt aber auch andere Lösungen, wie Fax oder Video.
Gleichzeitig müssen wir auf anderer Ebene weiterhin Druck ausüben, damit die Informationsordnung neu strukturiert wird. Diese Debatte ist heute noch wichtiger als in den vergangenen Jahrzehnten. Die Tatsache, daß die USA wegen dieser Debatte die UNESCO verlassen hat, zeigt die Bedrohung, die so für das Informationsmonopol der Ersten Welt entstanden.
Die USA haben versucht, den ersten Artikel ihrer Verfassung zu exportieren. Der garantiert das Recht auf Ausdrucks-, Religions- und Vereinigungsfreiheit. Aber es handelt sich um Freiheit im bürgerlichen Sinne; es garantiert nicht die Ausdrucksfreiheit der Individuen, sondern die Pressefreiheit als Freiheit der Eigentümer von Medien. Keines der wichtigsten internationalen Dokumente über Rechte, wie beispielsweise die Menschenrechtsdeklaration, garantiert das Recht auf Kommunikation, oder das Recht der Bevölkerung mit einem Massenpublikum zu kommunizieren. Deswegen müssen wir weiterhin in den internationalen Foren Druck ausüben. Auch wenn es auch nicht in der UNESCO ist, die Debatte um eine neue internationale Informations- und Kommunikationsordnung muß reaktiviert werden. Es handelt sich um das Kommunikationsrecht, das wir erobern müssen.
Poonal Nr. 029 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar