Poonal Nr. 743

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 21. November 2006

Inhalt


MEXIKO

GUATEMALA

HAITI-DOMINIKANISCHE REPUBLIK

KOLUMBIEN

ECUADOR

PERU

BOLIVIEN

BRASILIEN

LATEINAMERIKA


MEXIKO

Atenco: Uneinigkeit über Foltervorwürfe

Von Lourdes Godínez Leal

(Mexiko-Stadt, 13. November 2006, cimac).- Immer noch warten die 26 Frauen, die während des Polizeieinsatzes am 3. und 4. Mai in den Orten San Salvador Atenco und Texcoco von Beamten der Präventiven Bundespolizei PFP (Policía Federal Preventiva) sexuell misshandelt wurden, auf „Gerechtigkeit“. Sieben der Frauen sind noch im Gefängnis Santiaguito in Haft. Die Verantwortlichen des Einsatzes bestreiten weiterhin, die Männer und Frauen dieser Gemeinden im Bundesstaat Mexiko gefoltert zu haben.

Mehrere mexikanische und internationale Menschenrechtsorganisationen stellten nach Untersuchungen fest, dass während der Einsätze gefoltert wurde. Die Beamten der Bundesregierung sowie der Minister für öffentliche Sicherheit SSP (Secretaría de Seguridad Pública), Eduardo Medina Mora, weigern sich jedoch dies anzuerkennen. Sie ignorieren die Berichte und  auch Empfehlungen des Ombudsman der staatlichen Menschenrechtskommission José Luis Soberanes.

Bis jetzt erkennen zwar weder das Ministerium noch die Generalstaatsanwaltschaft des Bundesstaates Mexiko (Procuraduría General del Estado de Mexiko) an, dass während dieser Einsätze gefoltert wurde. Jedoch wurde in einem Bericht des Bundesstaates Mexiko vor dem UN-Komitee gegen Folter in Genf vergangene Woche eingeräumt, dass gefoltert wurde.

Die Frauen aus Atenco wurden begrabscht, beschimpft, erniedrigt, geschlagen und aufgrund ihre Geschlechtszugehörigkeit verhöhnt. Diese Art  von Misshandlungen hinterlassen schlimme Spuren, die sehr schwer vergessen werden. Das Kollektiv gegen Folter und Straflosigkeit CCTI (Colectivo Contra la Tortura y la Impunidad) und andere Organisationen sind der Auffassung, dass der Staat verantwortlich für die Folterungen sei. Er sei verpflichtet jegliche Art von Schäden, die den Frauen und ihren Familien entstanden sind, wieder gut zu machen.

Seit Mai wurden zwei Berichte über die Vorfälle vom 3. und 4. Mai veröffentlicht: von der staatlichen Menschenrechtskommission CNDH und der Internationalen Zivilen Kommission zur Beobachtung der Menschenrechte CCIODH (Comisión Civil Internacional de Observación por los Derechos Humanos). Beide stellten fest, dass bei den Polizeieinsätzen gefoltert wurde. Mehrere Organisationen, wie das UN-Frauenprogramm UNIFEM, Amnesty International, die Vereinten Nationen und internationale Menschenrechtsorganisationen, fordern Gerechtigkeit für die Frauen und Bestrafung der Verantwortlichen. Expertinnen des Komitees für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen (CEDAW) fordern von der mexikanischen Regierung die Sonderstaatsanwaltschaft für Gewaltdelikte gegen Frauen FEVIM (Fiscalía Especial para la Atención de Delitos Relacionados con actos de Violencia contra las Mujeres) zu beauftragen, die Ermittlungen und Bestrafung der Täter von Atenco zu übernehmen.

Obwohl der Fall Atenco in verschiedenen Foren weltweit angeprangert wurde, ist unklar, wie es für die betroffenen Frauen weiter geht. Da die mexikanische Regierung ja schon Empfehlungen von Organisationen im eigenen Land nicht befolgt, wird es, trotz der Verletzung von unterzeichneten internationalen Abkommen und Vereinbarungen, noch schwerer sein, dass sie die internationalen Empfehlungen berücksichtigt.

Hungertod in Veracruz

Von Laura Castro Medina

(Orizaba, 16. November 2006, cimac-poonal).- Die extreme Unterernährung im Zentrum des Bundesstaates Veracruz hat in diesem Monat weitere Opfer gefordert. Miguel García González, Generalsekretär des Sozialversicherungsinstitut IMMS sagte, dass die extreme Unterernährung in den Bergregionen Zogolica und um den Vulkan Orizaba weiter ansteige. Man fände dort ähnliche Krankheiten wie in afrikanischen Ländern vor. Die staatlichen Stellen für Gesundheitsvorsorge und Ernährung hätten die Bewohner der abgelegenen Gemeinden in Veracruz nicht unterstützt.

Nach Angaben der Behörde zur integralen Familienentwicklung DIF (Sistema Desarrollo Integral para la Familia) starb im Munizip Perla nach langer Krankheit der achtjährige Jesús Arenas Mencias. Sein Gewicht und seine Körpergröße hätten einem achtmonatigen Kind entsprochen. Er habe sich deshalb seit zwei Jahren nur eingeschränkt bewegen können.

Die Behörde berichtete auch vom Tod eines neun Jahre alten Jungen aus der Gemeinde Tuxpanguillo. Das Kind sei aufgrund eines plötzlichen Atemstillstands in Folge schwerer Unterernährung gestorben. Anfang der Woche starb auch ein 12jähriges Mädchens aus der Gemeinde Tonalixco im Bezirk Tlilapan. Auf Grund der starken Unterernährung hatte das Kind das Gewicht und die Körpergröße einer Dreijährigen.

Der wohl schlimmste Fall in den vergangenen Tage ereignete sich in der abgelegenen Gemeinde Atolca im Munizip Omealca. In der Gemeinde gibt es keinerlei medizinische Versorgung. Dort starb nach Angaben eines Arztes die 32jährige Alberta Ixmatlahua Calihua nach der Geburt ihres achten Kindes an den Folgen von Unterernährung. Die Frau hinterlässt acht Kinder, das jüngste von ihnen ist erst drei Monate alt. Der Vater der Kleinen, Filiberto Ortega, sieht sich nicht in der Lage seine Kinder zu beaufsichtigen, da er von früh morgens bis spät abends arbeitet. Der 28jährige Bergpalmen-Holzfäller verdient während der Saison täglich nur 35 Pesos (2,30 Euro).

GUATEMALA

Kaum Frauenmorde aufgeklärt

(Guatemala-Stadt, 14. November 2006, cerigua).- Zwischen den Jahren2000 und 2006 wurden in Guatemala 2.796 Frauenmorde registriert. Lediglich 20 Fälle wurde vor Gericht verhandelt und die Täter verurteilt. Das ergab eine Studie des Netzwerkes „Keine Gewalt gegen Frauen“. Laut Berichten in guatemaltekischen Tageszeitungen, seien Straffreiheit und fehlende effektive Untersuchungsmethoden der Gerichte eine der Ursachen dafür, dass die Verbrechen gegen Frauen nicht aufgeklärt wurden.

Laut der Studie wurden im Jahr
2006 bereits 485 Frauen ermordet. Bei den Behörden seien 825 Anzeigen wegen sexueller Gewalt und 10.084 Anzeigen wegen innerfamiliärer Gewalt eingegangen. Den Behörden fehlten jedoch die entsprechenden Kapazitäten, um sich mit den Fällen zu beschäftigen.

HAITI-DOMINIKANISCHE REPUBLIK

Rechte für dominikanische Bevölkerung haitianischer Herkunft gefordert

(Lima, 15. November 2006, na-adital).- Die Bewegung derDominikanisch-Haitianischen Frauen MUDHA (Movimiento de Mujeres Dominico-Haitianas), das puertoricanische Kinderschutzkomitee und die Koalition der dominikanischen Solidarität mit der haitianischen Bevölkerung, mit Sitz in New York, starteten am 6. November die 13. Kampagne “Für die  Respektierung des Rechts auf einen dominikanischen Namen und eine dominikanische Nationalität für Dominikaner*innen haitianischer Herkunft”.

MUDHA-Sprecherin Sonia Pierre bestätigte, dass etwa 200.000 Kinder haitianischer Herkunft keine Geburtsurkunde hätten. Damit sei ihnen der  Zugang zu Bildung erschwert und sie würden als Illegale behandelt. Pierre zitierte den Fall von Dilcia Jean und Violeta Bourciquot. Den beiden   Töchtern haitianischer Eltern war im Jahr 1997 die Ausstellung einer Geburtsurkunde verweigert worden. Im Oktober 2005 ordnete der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte an, dass der dominikanische Staat Entschädigungzahlungen an die Mädchen zu leisten  habe. Ein bislang einmaliges Urteil.

Das Urteil des Gerichts verteidigte das Recht auf dominikanische Nationalität für Kinder haitianischer Immigranten, die in der Dominikanischen Republik geboren werden. „Wir beklagen vor der internationalen Gemeinschaft diese Ausschlusspolitik des Staates. Tausenden Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen werden ihre Rechte vorenthalten. Wir fordern die unverzügliche Anwendung des vor einem Jahr gefällten Urteils. Darin wird der Name und die Nationalität Dominikaner haitianischer Abstammung anerkannt”, sagte Pierre.

KOLUMBIEN

Auszeichnung für kolumbianischen Umweltschützer

(Lima, 15. November 2006, na).- Der kolumbianische Rechtsanwalt undUmweltaktivist Rodrigo Vivas wurde am 30. Oktober mit dem Sasakawa-Preis geehrt, der jedes Jahr vom UN-Umweltprogramm UNEP und der japanischen Nippon-Stiftung vergeben wird. Der Preis ist eine Anerkennung für sein Projekt der „Regenwasser-Ernte“ im Kampf gegen die Wasserknappheit. Bei dem mit 200.000 US-Dollar dotierten Preis handelt es sich um einen der renommiertesten Umweltpreise der Welt. Vivas erhielt den Preis gemeinsam mit der afrikanischen Kooperative Tenadi, die gegen die Dürre in Mauretanien kämpft.

Der 36jährige Vivas entstammt einer Bauernfamilie und lebt nahe der Stadt Popayán im Südwesten Kolumbiens. Er wurde unter dem Namen „Herr des Regens“ bekannt. Vor sechs Jahren gründete er die Umweltorganisation „Fundación Acción Ambiental“, die sich gemeinsam mit Bauern für den Erhalt der Artenvielfalt, Wassermanagement, Nahrungsmittelsicherheit, die Stärkung der Basisorganisationen sowie nachhaltige Entwicklung einsetzt.

Sein Engagement für die Erhaltung der Wasserressourcen begann im Jahr 2003, als die Schule seines neunjährigen Sohnes den Unterricht absagte, weil es kein Wasser gab und die Lehrer eine Epidemie aufgrund mangelnder Hygiene befürchteten. Obwohl er keine tieferen technischen Kenntnisse besaß, schaffte es der Anwalt, ein Modell anzufertigen, auf dessen Grundlage Regenwasserspeicher gebaut werden können, die mit Kanälen zum besseren Auffangen des Regenwassers auf den Hausdächern installiert werden. Die Behälter sind aus Metall, haben eine Kapazität von 15.000 Litern Wasser und können innerhalb von vier Stunden gebaut werden.

ECUADOR

Linksparteien unterstützen Correa

(Buenos Aires, 16. November 2006, púlsar).- Die ecuadorianischenLinksparteien haben die Unterstützung des Kandidaten der Alianza PAIS, Rafael Correa, bei den Stichwahlen um das Präsidentenamt am 26. November vereinbart.

Unterzeichnet wurde die Vereinbarung zur „Abwahl der Oligarchie“ am 16. November von der Indígena-Bewegung Pachakutik, der Sozialistischen Partei (PS-FA), der maoistischen Partei Movimiento Popular Democrático (MPD) und der Gruppe Nuevo País (NP). In dem Dokument wurde auch die Unterstützung der von Correa geplanten verfassungsgebenden Versammlung vereinbart.

Die unterzeichnenden Gruppen gehen mit Correas Ablehnung eines Freihandelsvertrags mit den USA konform. Des weiteren wiederholten sie ihren Protest gegen die Beteiligung Ecuadors am Plan Colombia und die Präsenz von US-Truppen auf dem Militärflughafen von Manta. Die an der Pazifikküste Ecuadors gelegene Militärbasis war 1999 für zehn Jahre den USA für ihre Maßnahmen zur Drogenbekämpfung zur Verfügung gestellt worden.

Der Chef der MPD, Ciro Guzmán, kündigte an, dass die ecuadorianische Linke unabhängig vom Ausgang der Stichwahl geschlossen bleiben werde. Bei der Wahl tritt Correa gegen den Kandidaten der Partido Renovador Institucional Acción Nacional (PRIAN), Álvaro Noboa, an.

PERU

Regierung treibt Wiedereinführung der Todesstrafe voran

(Buenos Aires, 15. November 2006, púlsar).- Mehrere Wochen nachder umstrittenen Ankündigung des Präsidenten Alan García, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen, präsentierte die Regierung dem Kongress nun einen entsprechenden Gesetzesentwurf. Demnach sollen Personen, die sich des Terrorismus schuldig gemacht haben, mit dem Tod bestraft werden.

Dem Entwurf nach soll das Todesurteil auf Mitglieder „terroristischer Organisationen“ Anwendung finden, die als Anführer, in den Generalsekretariaten oder in gleichrangigen Verantwortlichkeiten auf nationaler Ebene aktiv sind. Die Todesstrafe soll auch über diejenigen verhängt werden, die „innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren für dieses Delikt bereits zu einer Freiheitsstrafe nach nationalem oder ausländischem Recht verurteilt worden sind.“

Präsident Alan García hatte Anfang November vorgeschlagen, das Strafgesetzbuch zu erweitern und die Todesstrafe für „terroristischen Landesverrat“ aufzunehmen. „Man wird sie hinrichten, das ist meine Entscheidung. Ein angekündigter Krieg tötet keine Menschen“, versicherte García.

BOLIVIEN

Landreform macht Fortschritte

(Buenos Aires, 16. November 2006, púlsar).- Die bolivianischeAbgeordnetenkammer billigte die von der Regierung eingebrachten Modifizierungen des Gesetzes zur Landreform. Vertreter der Unternehmerschaft und der sozialdemokratischen Partei Podemos (Poder Democrático y Social) hatten jedoch nicht an den Verhandlungen teilgenommen. Die Änderungen waren einen Monat lang in einer technischen Kommission diskutiert worden, die aus Vertretern aller parlamentarischer Kräfte, der Regierung und Mitgliedern der Staatlichen Agrarkonföderation (Confederación Agropecuaria Nacional) zusammengesetzt war.

Während die Unternehmer Protestaktionen vorbereiten, kündigte Podemos an, im Senat den strittigen Gesetzesartikeln nicht zuzustimmen. Die umstrittensten Punkte beziehen sich auf die Fristen zur Anwendung der sozial-wirtschaftlichen Funktion auf die Ländereien, sowie
auf die Kriterien für die Enteignung und die Vergabe von Land. Zudem ist man sich uneinig über die Voraussetzungen für die Überschreibungen, die Zuständigkeit zur Lösung von Konflikten und die Verwaltung.

Der Vize-Landminister Alejandro Almaraz rechtfertigte die Reform mit Zahlen: „Von 1953 bis 1992 verteilte der Staatliche Rat für die Agrarreform um die 50 Millionen Hektar Land. 70 Prozent davon gingen an landwirtschaftliche Unternehmen mit Besitzungen von mehr als 2.500 Hektar und nur fünf Prozent an die Kleinbauern.“

BRASILIEN

Landbesetzung in Rio Grande do Sul

(Buenos Aires, 13. November 2006, púlsar).- Ungefähr 150Mitglieder der brasilianischen Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Sem Terra) besetzten am vergangenen Montag ein Landgut im brasilianischen Bundesstaat Río Grande do Sul. Die Inbesitznahme der „Fazenda Palermo“ fand in der Ortschaft São Borja statt. Auf den 1.200 Hektar Land wollen sich 60 landlose Familien ansiedeln. Die Landarbeiter besetzen diese Farm schon zum dritten Mal in diesem Jahr.

Die Bauern planen ebenfalls einen Protestmarsch, um die „Verzögerung der Agrarreform“ in dieser Region im Süden Brasilien anzuklagen. Die Demonstration soll in die Gemeinde El Dorado do Sul führen. Dort schlug die Landlosenbewegung schon vor einigen Monaten ein Zeltlager auf.

Landlosenbewegung MST startet Besetzungswelle

Von Andreas Behn

(Rio de Janeiro, 14. November 2006, npl).- Die Waffenruhe, die die brasilianische Landlosenbewegung MST (Movimento dos Trabalhadores Sem Terra) dem wiedergewählten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva gewährt hatte, ist vorbei. Seit Wochenbeginn hat die schlagkräftigtse soziale Bewegung des südamerikanischen Landes die Besetzung unproduktiver Ländereien wieder aufgenommen. Während des Wahlkampfes hatte der MST ihre Mobilisierungen ausgesetzt, um dem Ex-Gewerkschafter Lula den Rücken zu stärken.

Insbesondere im wohlhabenden Süden des Landes schritten MST-Aktivisten zur Tat. Jeweils mehrere Hundert Familien besetzten brachliegende Fazendas in den Bundesstaaten São Paulo, Paraná und Rio Grande do Sul. Die Aktionen verliefen weitgehend ohne Zusammenstöße, auch wenn seitens der Landbesitzer bereits Drohungen gegen die Aktivisten geäußert wurden „Der MST wird weiterhin unproduktive Latifundien besetzen, aber wir müssen über die reine Debatte einer Agrarreform hinausgehen. Es ist an der Zeit, konkrete politische Vorschläge vorzulegen,“ erklärte ein MST-Sprecher bei einer Besetzungsaktion in São Paulo gegenüber der Presse.

Eine weitere Gruppe von 600 MSTlern lagert seit Montag vor der Agrarreformbehörde INCRA in Curitiba, Hauptstadt des Bundesstaates Paraná. Sie machen das Hauptanliegen des MST deutlich: Eine beschleunigte Umsetzung der Agrarreform. Konkret fordern sie, dass alle Familien, die in Paraná auf Landbesetzungen leben, endlich legalisiert werden. Außerdem sollen die Daten über unproduktive Ländereien, die noch aus dem Jahr 1975 herrühren, aktualisiert werden.

Gestritten wird immer wieder über die Zahl der Familien, die vom Staat angesiedelt, also legalisiert werden soll. Beispielsweise hatte Präsident Lula für seine erste vierjährige Amtszeit versprochen, in Paraná 9.000 Familien Land zuzuweisen. Bis heute erhielten jedoch nur 3.000 Familien Land. Zugleich leben weitere 8.000 weiterhin auf Besetzungen ohne jeglichen rechtlichen Schutz.

Ähnlich sieht es in Rio Grande do Sul aus, wo seit 2002 erst 319 Familien angesiedelt wurden, während 2.500 noch darauf warten. „Wir fordern, dass die Regierung ihre Versprechen einhält und die Ländereien, die als unproduktiv eingestuft wurden, enteignet. Dann könnten auch die 2.500 Familien angesiedelt werden, die momentan auf Grünstreifen am Straßenrand in diesem Bundesstaat wohnen,“ erklärte Ana Hanauer von der MST-Koordination in Rio Grande do Sul.

Die Landlosen machen deutlich, dass sie anders als vor vier Jahren von Beginn an die Regierung Lula unter Druck setzen werden. Diesmal also keine Schonfrist von 100 Tagen. Zugleich ist kaum zu erwarten, dass sich am zwiespältigen Verhältnis des MST zur Regierung Lula und seiner Arbeiterpartei PT grundlegend etwas ändern wird. Die gegenseitigen Bindungen, in Jahrzehnten gemeinsamen Kampfes gewachsen, sind zu eng, als dass sie getrennte Wege oder andere Alternativen zuließen. Zuletzt hat sich dies im Wahlkampf gezeigt: Waren im ersten Durchgang oft kritische Stimmen seitens der Landlosen Lula gegenüber zu hören, war es unter anderem der MST, der für die Stichwahl engagiert den Wahlkampf auf die Strasse trug.

Zurecht fordert die Landlosenbewegung jetzt mehr Engagement für die Agrarreform ein und wird mit ein wenig Entgegenkommen rechnen können. Aber die Landbesitzer haben immensen Einfluss auf Politik und Wirtschaft in Brasilien und dies zu ändern, traut Lula niemand mehr zu.

Minengesellschaft klagt fehlenden staatlichen Schutz der Indígenas an

(Rio de Janeiro, 14. November 2006, púlsar).- Eines der weltweitgrößten Bergbauunternehmen, die Gesellschaft Vale do Río Doce, klagt die brasilianische Regierung wegen einer fehlenden, die Indígenas betreffenden Politik vor der Organisation Amerikanischer Staaten an.

In den Bundesstaaten Pará, Maranhão und Minas Gerais hatten Indígenas jüngst Anlagen des Unternehmens besetzt. Das Gesuch weist darauf hin, dass der Grund für die Aktionen die fehlenden wirksamen staatlichen Maßnahmen zum Schutz der indígenen Völker sei. Die Gesellschaft Vale do Río Doce meinte, dass „die Ineffizienz des Staates dazu führt, dass die Indígenas, die ohne strukturelle Unterstützung leben, immer mehr von Geldern abhängig sind, die von privaten Unternehmen angeboten werden“.

Indígenas fordern Anerkennung ihrer Besitzrechte

(Fortaleza, 14. November 2006, adital).- Das Kollektiv CausaIndígena hat das Justizministerium aufgefordert, die Anerkennung des Besitzrechts der Indígenas an den Ländereien der Tupiniquim und Guaraní im Munizip Aracruz im Bundesstaat Espírito Santo unverzüglich durchzusetzen. Die Frist für die öffentliche Bekanntgabe des vom Ministerium zu erstellenden Anerkennungsdekrets sei bereits am 12. Oktober abgelaufen. Seither stagniert der Anerkennungsprozess. Die 11.009 Hektar Land werden zur Zeit von der Zellulosefabrik Aracruz genutzt.

Nach Angaben des unabhängigen Medienverbunds Indymedia seien die  Indígena-Gemeinden unzufrieden und müde. Dem Justizminister Márcio Thomás Bastos werfen sie vor, sich nicht an seine Versprechungen gehalten zu haben. Bastos hatte behauptet, den Konflikt bis zur nächsten Wahl aus dem Weg geräumt zu haben, lies aber inzwischen verlauten, dass er in der nächsten Legislaturperiode nicht mehr im Amt sein werde. Er hatte den Indígenas außerdem versichert, dass für das Anerkennungsverfahren bezüglich ihrer Ländereien das Beratungsgremium des Justizministeriums nicht mehr extra hinzugezogen werden müsse. Der Fall war bereits von einer Kommission der Staatlichen Behörde für Indígenaangelegenheiten FUNAI geprüft worden war.

Der Zellulosehersteller Aracruz veröffentlichte
in den letzten Monaten verschiedene Stellungnahmen und brachte Infobriefe in Umlauf. Die Indígenas meinen jedoch, dass darin viele Unwahrheiten enthalten seien. Dies beweise, dass der Konzern nicht besonders daran interessiert sei, die tatsächlichen Gegebenheiten anzuerkennen. Das Unternehmen verwendete für seine Werbematerial zudem Fotos von Indígena-Gemeinden, ohne dafür die Erlaubnis eingeholt zu haben. Die Staatsanwaltschaft erhob daraufhin Anklage beim Obersten Gerichtshof in Linhas (Espírito Santo) gegen Aracruz. Sie vertrat die Auffassung, das Verhalten des Konzerns verzerre die Darstellung der Besetzung des Indígenalands. Den indigenen Völkern werde damit zusätzlich immaterieller Schaden zugefügt. Die Staatsanwaltschaft beantragte beim Obersten Gerichtshof ein Schmerzensgeld in Höhe von einer Million Reales (ca. 360.000 Euro).

Die Behörde FUNAI schloss sich ihrerseits der Darstellung der Situation in der Zeitschrift Carta Capital an und forderte eine offizielle Anerkennung der betroffenen Ländereien innerhalb dieses Jahres. Die Bewertung des Falls durch die FUNAI hatte ergeben, dass insgesamt 11 Millionen Hektar Land, das den Tupiniquim und Guaraní zusteht, von dem Konzern besetzt gehalten wird. Trotz eines vom Konzern vorgelegten Gutachtens, das diese Einschätzung anzweifelt, soll an der Entscheidung nichts geändert werden. Laut Angaben von Causa Indígena dauert der Kampf der Völker um ihr Land bereits mehr als zehn Jahre an.

Brasilien führt Statistik über gewaltsame Tode an

Von Andreas Behn

(Rio de Janeiro, 20. November 2006, npl).- Wer jung, arm, schwarzer Hautfarbe und männlich ist läuft in Brasilien mehr als anderswo Gefahr, eines gewaltsamen Todes zu sterben. In keinem anderen Land der Welt werden mehr Menschen zwischen 15 und 24 Jahren durch Schusswaffen getötet – durchschnittlich 43,1 von 100.000 Einwohnern. Werden alle Arten gewaltsamer Tode zusammengerechnet, kommt Brasilien auf 51,7 Todesopfer und belegt hinter Kolumbien und Venezuela Platz drei einer traurigen Rangliste.

Die jetzt veröffentlichen Zahlen stammen von der Weltgesundheitsorganisation WHO und sind mit Vorsicht zu genießen, da sie verschiedene Jahrgänge von 2000 bis 2004 miteinander vergleichen und oft auf fragwürdige staatliche Statistiken zurückgreifen. Der einzig erfreuliche Aspekt für Brasilien ist, dass nach zehn Jahren steter Steigerung in 2004 erstmals ein leichter Rückgang der Gewaltquote zu verzeichnen ist.

Die Gewalt trifft jedoch nicht alle gleichermaßen. Zahlen der brasilianischen Stiftung Datenanalyse (Seade) zeigen, dass im Vergleich zu Weißen, schwarze Jugendliche doppelt so häufig Opfer von Gewalttaten werden. „Tod durch Fremdeinwirkung kommt vor allem in den Armenvierteln der Großstädte vor, wo die meisten Bewohner schwarzer Hautfarbe sind,“ kommentiert Seade-Mitarbeiterin Rute Godinho die Zahlen.

Innerhalb Brasiliens hat Rio de Janeiro die meisten Morde mit Schusswaffen zu verzeichnen, 91,3 auf 100.000 Einwohner im Jahr 2004. Gern werden solche Zahlen dazu benutzt, Städte oder Länder als gewalttätig zu brandmarken und nach mehr Polizei oder härteren Strafen zu rufen. Ein genauerer Blick auf Statistiken entlarvt solche law and order-Politik schnell als Versuch, von sozialen und hausgemachten Ursachen der Gewalt abzulenken.

Gerade die Polizei ist in brasilianischen Städten weniger die Lösung als vielmehr Teil des Problems. Laut neuesten Zahlen des Instituts für Öffentliche Sicherheit (ISP) töteten die verschiedenen Polizeieinheiten in Rio de Janeiro allein im ersten Halbjahr 2006 520 Menschen, fast doppelt soviel wie ihre Kollegen in São Paulo, wo die Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und dem organisierten Verbrechen im Rahmen der Gefängnisaufstände im Mai weltweit Schlagzeilen machten.

Fast all diese Todesfälle ereigneten sich aufgrund von angeblichem Widerstand der Opfer während der Polizeiaktionen. Offizielle oder gar juristische Untersuchungen finden kaum statt, obwohl zwei Drittel der Opfer mit Schüssen ins Genick oder in den Rücken getötet wurden.

Dass ist Rio de Janeiro im Tagesdurchschnitt über drei Menschen von der Polizei erschossen werden, bezeichnet der Soziologe und frühere Sekretär für Öffentliche Sicherheit, Luis Eduardo Soares, als „Genozid“. Er ist wie viele Menschenrechtsorganisationen der Auffassung, dass sich hinter den Statistiken immer wieder gezielte Massaker – zumeist Racheaktionen der Polizei gegen Bewohner armer Stadtviertel – verbergen . Zweifelsohne besteht der größte Teil der Opfer aus „Armen, Schwarzen und Bewohners der Favelas,“ definiert Soares die Bevölkerungsgruppe, gegen die sich der Genozid richte.

LATEINAMERIKA

USA nimmt militärisch-technische Kooperation wieder auf

(Montevideo, 14. November 2006, comcosur-poonal).- DerUS-Präsident George Bush ordnete an, die militärische Unterstützung und Ausbildung in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern wieder aufzunehmen. Unter diesen Ländern ist auch Uruguay. Laut offiziellen Dokumenten war dem Land  die Unterstützung entzogen worden, da es US-Soldaten keine Immunität vor dem Internationalen Gerichtshof gewährt hatte. Die Entscheidung, die bereits am 2. Oktober getroffen worden war, wurde erst jetzt öffentlich bekannt gegeben. In der Liste sind afrikanische, europäische und Länder der englischsprachigen Karibik aufgeführt, sowie Brasilien, Mexiko, Bolivien, Peru, Ecuador, Costa Rica, Paraguay und Uruguay.

Bush bekräftigte, dass diese Entscheidung wichtig für die nationalen Interessen der USA sei. Führende US-Militärs und Politiker hatten zuvor ihre Besorgnis darüber ausgedrückt, dass das Land seine militärischen Alliierten in der Region aufgegeben habe. Das entstandene Vakuum sei von Ländern wie China gefüllt worden, das dort ausgebildet habe. „Andere Staaten wie z.B. China nutzen die Situation aus. Wir werden den Kontakt zu einer Generation lateinamerikanischer Führungspersonen verlieren. Das wird uns in der Zukunft zum Verhängnis werden.“ sagte Bantz Craddock, der Chef des Südkommandos der US-amerikanischen Streitkräfte während einer öffentlichen Anhörung im Kongress im vergangenen März.

Die militärisch-technische Hilfe wurde denjenigen Ländern entzogen, die mit Washington kein Abkommen über die Unantastbarkeit US-amerikanischer Soldaten gegenüber möglicher Verpflichtungen vor dem Internationalen Gerichtshof unterzeichnet hatten. Laut Craddock kamen im Jahr 2003, dem letzten Jahr vor In-Kraft-Treten der Sanktionen, noch ein Viertel der auszubildenden Militärs aus den sanktionierten Ländern.

Herausgeber: Nachrichtenpool Lateinamerika e.V. Köpenicker Straße 187/188, 10997 Berlin, Tel.: 030/789 913 61 e-mail: poonal@npla.de, Internet: http://www.npla.de/

Redaktion in Mexiko: Kristin Gebhardt, Wolf-Dieter Vogel Tel./Fax.: 0052-55-55541480, e-mail: poonalmex@npla.de

Koordination in Berlin: Eva Völpel

Übersetzungsteam: Sebastian Landsberger, Sebastian Henning, Ricarda Franzen, René
Cofré  Baeza, Nicole Heigl Romana, Marit Teerling, Lui Lüdicke, Lilli von der Ohe, Kristina Vesper, Katrin Aue, Kathrin Fochtmann, Jana Fleschenberg, Jan Kühn, Inga Vietzen, Henrike Hochmuth, Henning Alts, Grit Petschick, Dietrich von Richthofen, Cornelia Gritzner, Cornelia Derler, Claudia Hektor, Christina Klug, Carolin Gehrmann, Brigitta Kainz, Anna Mielke, Ania Müller, Alexander Trofimow;

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