Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 193 vom 16.05.1995
Inhalt
ARGENTINIEN
HAITI
BRASILIEN
MEXICO
GUATEMALA
KUBA
EL SALVADOR
URUGUAY
ARGENTINIEN
Menem Wahlsieger – Spekulation über Wahlbetrug
(Mexiko-Stadt, 15. April 1995, POONAL).- Wenn sich die ersten offiziellen Hochrechnungen bewahrheiten, hat der amtierende Präsident Carlos Menem die Wahlen vom 14. Mai klarer gewonnen, als es die letzten Hochrechnungen vermuten ließen. Demnach erhielt er 49 Prozent der abgegebenen Stimmen für seine Wiederwahl. Sein schärfster Konkurrent, José Octavio Bordón vom Bündnis für ein solidarisches Land (Frepaso), kommt auf knapp 31 Prozent. Horacio Massaccesi von der zuvor stärksten Oppositionpartei Radikale Bürgerunion kann nur mit etwa 16 Prozent der Stimmen rechnen. Andere Kandidat*innen spielten keine Rolle. Mit diesen Ergebnissen ist eine Stichwahl überflüssig. Menem erreicht sowohl mehr als 45 Prozent der Stimmen und hat auch einen Vorsprung von mehr als 10 Prozent vor dem zweitplazierten Präsidentschaftskandidaten. Die Erfüllung einer der beiden Bedingungen reicht für die Wiederwahl aus.
Opposition gesteht Wahlniederlage ein
Allerdings begannen sich am Montagmorgen in Argentinien die Stimmen zu mehren, die von Wahlbetrug sprechen. Die Oppositionsparteien kritisierten die „unverständlich langsame Stimmenauszählung“. Fehlende oder beschädigte Wahlzettel, nicht rechtzeitig eröffnete Wahlbüros und Angriffe gegen Beobachter*innen der Opposition waren weitere Kritikpunkte. Andererseits akzeptierte Octavio Bordón „das Urteil des Volkes“ und g estand so indirekt seine Wahlniederlage ein. Dabei wird es bleiben, wenn nicht noch Wahlbetrügereien größeren Ausmaßes aufgedeckt werden. Präsident Menem hat damit vier Jahre Zeit, mit seiner neoliberalen Wirtschaftspolitik fortzufahren.
Es wäre jedoch verfehlt, davon auszugehen, mit der Wiederwahl bliebe alles beim alten. Die politische Landschaft ist erheblich verändert worden. Die praktisch erst seit gut zwei Monaten in dieser Form bestehende Mitte-Links-Koalition Frepaso verdrängte auf Anhieb die Radikale Bürgerunion vom zweiten Platz in der Wählergunst. In der Hauptstadt wurde sie sogar zur stärksten Kraft. Im Abgeordnetenhaus, in dem die Hälfte der Sitze erneuert wurde, bleibt die Frepaso noch an dritter Stelle. Das traditionelle Zwei-Parteiensystem ist auf jeden Fall aufgehoben. In der Zukunft muß sich zeigen, ob die verschiedenen Strömungen innerhalb der Frepaso an einem Strang ziehen und so eine starke Opposition bilden können. Bei der Radikalen Bürgerunion gehen viele Beobachter*innen von einer Spaltung aus. Ein Teil der Partei paktierte bereits in der zurückliegenden Amtsperiode mit der regierenden Justizialistischen Partei von Menem, ein anderer Teil wandte sich scharf gegen diese Politik. Am Wahltag herrschte unter allen Beteiligten Übereinstimmung nur bei einem einzigen Punkt: Die Befriedigung, zum ersten Mal seit 67 Jahren dreimal hintereinander bei freien, allgemeinen Wahlen einen zivilen Präsidenten bestimmen zu können.
HAITI
Nordamerikanischer Soldat klagt US-Armee an
(Port-au-Prince, Mai 1995, hib-POONAL).- Trotz seiner riskanten Lage gibt Captain Lawrence Rockwood nicht klein bei: Der US-Soldat klagte seine Vorgesetzten auf Haiti bei einer Anhörung vor dem US- Kongreß des Rassismus, der Verletzung internationalen Rechts und des Betrugs an Präsident Bill Clinton an. Wegen seiner Proteste steht Rockwood derzeit vor dem Kriegsgericht. In einem Telephoninterview von Washington aus machte er sich wenig Illusionen über sein Schicksal. Er glaube, wegen Pflichtverletzung und anderer Anklagen verurteilt zu werden. Rockwood hatte sich seit dem 30. September 1994 bei seinen Vorgesetzten über die Zustände im Nationalgefängnis beschwert und eigene Nachforschungen angestellt. Er berichtete von Menschen „in solch einem abgemagerten, verkommenen Zustand, daß ihnen die Gliedmaßen praktisch am Körper verfaulten“. Er sei sicher, daß viele starben oder hingerichtet wurden, bevor die US-Truppen im Dezember nach Hause fuhren.
Rockwood verweist auf internationale Übereinkünfte, die dazu verpflichten, das Leben von Häftlingen zu schützen. „Wenn es sich um deutsche, französische oder italienische Bürger aus den Industrie-Nationen gehandelt hätte, … hätten wir nicht 90 Tage gewartet, um herauszufinden, was vor sich geht“, so der US-Soldat. Die Armee sei voll von Offizieren, die dem Präsidenten oder dem Kongreß nicht gehorchten. „Jeder amerikanische Bürger sollte darüber besorgt sein, denn es gibt nur ein Militär auf der ganzen Welt, das unsere Verfassung bedrohen kann… und das ist unser eigenes“, so Rockwood. Er sei froh über das Interesse des Kongresses. Vor dem Militärgericht wird ihm dieses Interesse möglicherweise wenig helfen. Die Armee lehnte die meisten seiner Zeugen ab.
BRASILIEN
Der Erfolg der Kampagne gegen den Hunger
Von Cristina Cavalcanti (Rio de Janeiro, 2. Mai 1995, sem-POONAL).- Als die Korruptionsaffären der brasilianischen Regierung wuchsen, doch der damalige Präsident Fernando Collar de Mello sich an seinem Amt festhielt, gründete sich die „Bewegung für die Ethik in der Politik“, der sich rund 900 Nicht-Regierungsorganisationen anschlossen. Am Ende war die Bewegung maßgeblich dafür verantwortlich, daß de Mello seinen Stuhl im August 1992 räumen mußte. Vor knapp zwei Jahren entstand aus der Mitte der 900 Organisationen die „BürgerInnenaktion gegen das Elend und für das Leben“, inzwischen bekannter unter dem kürzeren Namen „Kampagne gegen den Hunger“. Innerhalb weniger Monate entwickelte sich die Kampagne zur größten kollektiven Solidaritätshandlung, die die Brasilianer*innen organisierten. Inzwischen spendeten Einzelpersonen, Institutionen und auch Unternehmen mehrere hunderttausend Tonnen Lebensmittel, die von zigtausend Freiwilligen im ganzen Land verteilt wurde.
31 Millionen Brasilianer*innen leben in extremer Armut
Wesentlichen Anteil hatte eine Untersuchung des Institutes für Angewandte Wirtschaftsforschungen, die von den Medien veröffentliche wurde und vielen Menschen die Augen öffnete. Danach leben 31 Millionen der Brasilianer*innen, das sind 20 Prozent der Gesamtbevölkerung – in extremer Armut, sie können ihre Grundbedürfnisse nicht decken. Gleichzeitig ist Brasilien der drittgrößte Nahrungsmittelexporteur der Welt und leistet sich den Luxus, ein Fünftel der landwirtschaftlichen Produktion im Wert von 5,4 Milliarden Dollar verderben zu lassen. Von den jährlich produzierten 60 Millionen Tonnen Getreide verkommen sogar 24 Millionen Tonnen, also 40 Prozent. Das Landwirtschaftsministerium des Bundesstaates Sao Paulo schätzt: mit den nicht genutzten Produkten könnten die 31 Millionen Armen zwei Jahre lang ernährt werden.
Im Rahmen der Kampagne werden Grundnahrungsmittel und auch Kleidung verteilt. Nicht genug, aber, so der Sänger und Komponist Chico Buarque, „wenn es auch nicht die Patentlösung ist, so ist es noch schlimmer, gar nichts zu tuen“. 3.500 Komitees hat die „Hungerkampagne“ inzwischen im ganzen Land. Es gibt keine zentrale Führung und keine angestellten Funktionär*innen, die gesamte Arbeit ist freiwillig. Unternehmerverbände oder staatliche Institutionen unterstützen nicht offiziell, doch die Mitarbeiter*innen leisten oft organisierte Hilfe. Viele Einzelunternehmen, Banken oder Werbeagenturen beteiligen sich an Aktionen. Eine der Personen, die der Kampagne Glaubwürdigkeit verleihen, ist der Soziologe Herbert de Souza, in Brasilien eine lebende Legende. Unter der Militärdiktatur exiliert, kämpft er unermüdlich für die sozialen Rechte der Bevölkerung. „Wirklicher Hunger bedeutet, kein Land zu besitzen, keine Wohnung zu haben, keine Arbeit zu haben, vom Leben ausgeschlossen zu sein.“
Die gesellschaftliche Mobilisierung hat vielen Brasilianer*innen Hoffnung gegeben. Die neue Regierung unter Fernando Henrique Cardoso wird so unter einen gewissen Druck gesetzt. Drei Monate nach seinem Amtsantritt verpflichtete der Präsident die Ministerien, die für soziale Probleme zuständig sind, zu konkreten Maßnahmen. Unter anderem entstand das Programm „Solidarische Gemeinschaft“. Es soll sich vorwiegend um die besonders armen Gebiete im Nordosten und allgemein um die ländlichen Zonen kümmern. Bevorzugte Zielgruppen sind die Frauen und die schwarze Bevölkerung, denen nach den Worten des Präsidenten die Chancengleichheit besonders verwehrt wird. Für die Ausführung des Programmes ist die Wirtschaftswissenschaftlerin Ana Peliano verantwortlich, die auch für die erwähnte Studie des Institutes für angewandte Wirtschaftsforschungen verantwortlich war. Ob Brasilien mit den Anstrengungen wirklich neue Wege einschlagen kann, bleibt abzuwarten.
MEXICO
Zapatisten und Regierung machen neuen Verständigungsversuch
(Mexiko-Stadt, 14. Mai 1995, POONAL).- Zum zweiten Mal ist das Basketballfeld des chiapanekischen Ortes San Andrés Larráinzar Schauplatz der Verhandlungen zwischen der mexikanischen Regierung und den Rebellen der Zapatistischen Armee für die nationale Befreiung (EZLN). Seit Freitagabend versuchen die beiden Seiten in einem „Klima des Verständnisses und des Respektes“, so das Innenministerium, Einigung über zwei Themen zu erzielen: gegenseitige und proportionale Entspannungsmaßnahmen und die Regeln für den weiteren Gesprächsverlauf. Die Chancen für eine wirkliche Verständigung sind jedoch denkbar schlecht. Die Regierung hatte beim ersten Treffen in Larráinzar vorgeschlagen, die zapatistischen Kämpfer und Kämpferinnen sollten sich in drei Gebieten der Konfliktzone zusammenziehen. Dort würde sie, die Regierung, die Sicherheit garantieren und für Unterkunft, Ernährung, Gesundheit und Hygiene sorgen. In einem Kommuniqué vom 10. Mai, das am Freitagabend bekannt wurde, wies die Führung der EZLN dies jedoch ab. Die Zapatisten verwiesen auf die einstimmige Ablehnung der EZLN-Mitglieder. Sie klagten die Regierung an, sich „über uns lustig machen zu wollen“.
EZLN: „Der Krieg endet, wenn sich die Dinge ändern“
Die Rebellen fordern den Rückzug der Bundesarmee auf ihre Positionen vom 8. Februar 1995, bevor sie ins Zapatistengebiet einmarschierte. Die EZLN bietet an, im Gegenzug in ihren Positionen in den Bergen zu bleiben und somit einen Status zu akzeptieren, wie er vor dem Aufstandsbeginn am 1. Januar 1994 bestand. Sie machte gleichzeitig deutlich, auf keinen Fall einer Kapitulation zuzustimmen. „Der Krieg endet, wenn sich die Dinge ändern“, heißt es im Kommuniqué. Zapatistensprecher Subcomandante Marcos hatte die Skepsis der EZLN bereits vor einigen Tagen zum Ausdruck gebracht. Er nannte die Verhandlungsweise der Gegenseite „terroristisch“. Tausende Indígenas in Chiapas seien von der Regierung als Geiseln genommen. Seine eigene Abwesenheit in Larráinzar begründete er in Anspielung auf die Bundesarmee mit „olivgrünen Umständen“. Berichte über umfassende Truppenbewegungen im Lacandonen-Urwald, Truppenverstärkungen und die Wiederaufnahme von Tiefflügen über dem Konfliktgebiet in den vergangenen Tagen lassen das Misstrauen der Zapatisten nicht grundlos erscheinen.
Die mexikanische Regierungsdelegation reagierte verärgert auf die frühzeitige Veröffentlichung des EZLN-Kommuniqués. Dies führte dazu, daß die eigentlichen Verhandlungen erst am Samstagmittag begannen. Die Zapatisten erklärten, der Zeitpunkt der Veröffentlichung sei „keine böse Absicht“ gewesen. Die von Marco Antonio Bernal geleitete Regierungsdelegation ließ verlautbaren, niemals von „Reservaten“ für die EZLN und von der Entwaffnung der Zapatisten in ihren Vorschlägen gesprochen zu haben. Angesichts fehlender Neuigkeiten im Verhandlungsprozeß und wenig aussagender Erklärungen richtet sich das Augenmerk der Medien auf das Umfeld des Treffens in Larráinzar. So wird ausführlich darüber berichtet, daß das neunte Mitglied der EZLN-Delegation eine Frau ist. Es handelt sich um die Comandante Trinidad, eine etwa 60jährige Frau aus dem Geheimen Revolutionären Indígena-Komitee, dem obersten Organ der Zapatisten. Die Bevölkerung in San Andrés Larráinzar empfing sie mit Applaus. Auf Seiten der vierköpfigen Regierungsdelegation ist die Teilnahme des Generals Tomás Angeles Dauahare hervorzuheben. Ansonsten nichts Neues: Wie beim ersten Treffen sind die Nationale Vermittlungskommission mit Bischof Samuel Ruiz García an der Spitze und die Parlamentarierkommission zu Chiapas, die COCOPA, Zeugen des Treffens. Um den Gesprächsort bilden das Internationale Rote Kreuz, Organisationen der Zivilgesellschaft und unbewaffnete Militärpolizisten drei sogenannte Sicherheitsgürtel. Frühestens wird ein Verhandlungsende für Sonntagnacht vorausgesagt. Eine Verlängerung der Gespräche ist aber nicht ausgeschlossen. Doch selbst, wenn wider Erwarten substantielle Fortschritte erzielt werden: Der Weg zu einem dauerhaften Frieden in Chiapas ist derzeit nicht in Sicht.
GUATEMALA
Regierung: Steuergelder für Imagekampagne
(Guatemala, 10. Mai 1995, cerigua-POONAL).- Umgerechnet mehr als 400.000 Dollar will die guatemaltekische Regierung aus der Staatskasse ausgeben, um das Image des Präsidenten Ramiro De León Carpio und der Armee in den USA zu verbessern. Die Tageszeitung „El Gráfico“ veröffentlichte ein entsprechendes Dokument, das die Unterschrift des Verteidigungsministers General Mario Enríquez trägt. Demnach verpflichtet sich das Unternehmen Thomson & Company, die Vorstellungen von Carpio und dem Militär gegenüber dem US-Kongreß, der US-Regierung und den US-Medien in den USA darzustellen. Ab April 1995 werden dafür monatlich 70.000 Dollar gezahlt. Die US-Firma wird auch Besucher der Regierungen beider Länder betreuen.
Das Außenministerium der USA sei über den Vertrag seit dem 21. April informiert. Für den Verhandlungsabschluß mit Thompson & Company zeichnet Oberst Noack Sierra, Vertreter der präsidentiellen Menschenrechtskommission verantwortlich. Er war zu Jahresanfang von der Regierung auch delegiert worden, an den Versammlungen der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen teilzunehmen. Dort soll er für „Klarstellungen“ zuständig sein, wenn der Fall Guatemala behandelt wird.
Drei US-Bürger*innen entführt
(Guatemala, 11. Mai 1995, cerigua-POONAL).- Vier Millionen Quetzales (715.000 Dollar) Lösegeld fordern die Entführer der 42jährigen US-Bürgerin Sherill Swinne und ihrer beiden kleinen Kinder. Die drei befanden sich 25 Kilometer von der Hauptstadt entfernt in der Provinz Sacatepéquez als ihr Auto von bewaffneten Männern angehalten wurde. Seitdem fehlt jede Spur von ihnen.
Streik im Transportwesen
(Guatemala, 11. Mai 1995, cerigua-POONAL).- Die Schwertransportunternehmer*innen fordern stärkere Sicherheitsvorkehrungen auf den Straßen. Mehr als 700 Trailer mit nicht-traditionellen Exportprodukten führen seit mehreren Tagen keine Fahrten mehr durch. Industrieorganisationen verlangen vom Präsidenten mehr Schutz für ihre Transporte. In jüngster Zeit hat es eine Welle von Raubüberfallen auf Transporter gegeben. Besonders die Route an der Atlantikküste gilt als gefährlich. Verteidigungsminister Mario Enríquez unterstützt die Forderungen. Er sagte, das Militär sei bereit, den Bitten der Transportunternehmer*innen und der Industrie nachzukommen und die Straßen zu schützen. Der Sicherheitsplan von Armee und Nationalpolizei im vergangenen Jahr habe ein bedeutendes Absinken der Raubüberfälle zur Folge gehabt.
Guerilla bereitet Verhandlungen vor
(Guatemala, 9. Mai 1995, cerigua/NG-POONAL).- Mitglieder der UNO- Mission zur Internationalen Überprüfung der Menschenrechte in Guatemala (MINUGUA) informierten die Öffentlichkeit über ein Treffen, das sie mit der Generalkommandatur der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) abhielten. Es diente der Vorbereitung der kommenden Direktverhandlungen über sozio- ökonomische Fragen zwischen Guerilla und guatemaltekischer Regierung am 19. und 20. Mai in Mexiko. Dort sprach die Führung der URNG in den vergangenen Tagen ebenfalls mit Vertreter*innen der Versammlung der Zivilgesellschaft (ASC). Versammlungmitglied Rosalina Tuyuc von der Nationalen Witwenkoordination CONAVIGUA erklärte bei dieser Gelegenheit, ihre Organisation akzeptiere den Inhalt des vor wenigen Wochen zwischen den Konfliktparteien geschlossenen Abkommens über die Indígenavölker. Jetzt sei mit der Guerilla der weitere Verlauf der Friedensverhandlungen analysiert worden.
27 Parteien nehmen an Präsidentschaftswahl teil
(Guatemala, 7. Mai 1995, NG-POONAL).- Je näher die allgemeinen Wahlen im Herbst rücken, desto mehr Parteien schreiben sich ein. Inzwischen sind es 27, die mit eigenen (Präsidentschafts- )Kandidat*innen antreten wollen oder andere Kandidat*innen unterstützen wollen. Allein 16 Parteien gründeten sich erst in jüngster Zeit, weitere Neugründungen stehen bevor. Nach den Erfahrungen vorheriger Wahlen werden sich viele kurz nach dem Urnengang wieder auflösen. Größeren WählerInnenzuspruch bekommen aller Voraussicht nach nur wenige Parteien. Zur Zeit weist alles auf einen Zweikampf zwischen dem Parteienbündnis aus Christdemokraten, der Union des Nationalen Zentrum und Sozialdemokraten mit der konservatien Partei des Nationalen Fortschaftschritts hin. Aus diesen Reihen wird der zukünftige guatemaltekische Präsident bestimmt werden.
KUBA
Havanna und Washington unterzeichnen Flüchtlingsabkommen
Von Orlando Perez
(12. Mai 1995, alai-POONAL).- Mit einem Abkommen auf „höchster Ebene“ und mit extremer Vorsicht beendeten die Regierungen Kubas und der USA zwei delikate Angelegenheiten: Die angespannte Situation der kubanischen Flüchtlinge auf der US-Marinebasis Guantanamo und die illegale Auswanderung von Kubaner*innen in die USA. Außerdem erhält der politische Bekehrungseifer der ultrakonservativen Gruppen der kubanischen Gemeinde in Miami einen deutlichen Dämpfer. Allem Anschein nach wird mit der Vereinbarung ein Ende der sogenannten Balsero-Krise erreicht, die im vergangenen Sommer in Havanna begann. Damals wagten sich etwa 30.000 Kubaner*innen aufs Meer, um die Küsten Floridas zu erreichen. Sie wurden jedoch großenteils von der US-Küstenwache aufgegriffen und auf die US-Militärenklave Guantanamo interniert.
Nun scheinen die kubanischen Balseros auf Guantanamo am Ende doch noch ihr Ziel zu erreichen: Sie werden in den USA aufgenommen. Allerdings werden keine zeitlichen Fristen in dem Abkommen genannt. Auf der anderen Seite werden von jetzt an alle Kubaner*innen, die das nordamerikanische Territorium illegal betreten, deportiert. Sie verlieren die Sonderstellung, die ihnen bislang allein durch das Betreten des US-Bodens automatisch politisches Asyl sicherte. Ein Zusatzabkommen, das am 2. Mai gleichzeitig in Havanna und in Washington bekanntgegeben wurde, bringt den Versuch zum Ausdruck, „die (Aus-)Wanderungsbeziehungen zwischen beiden Ländern zu normalisieren“. In einer gemeinsamen Erklärung erkannten Kuba und die USA die „besondere Lage“ der Balseros auf Guatanamo an. „Es handelt sich um ein gesetzliches Vorgehen, durch das diejenigen ohne Visum in die USA einreisen können“, erklärte der kubanische Parlamentspräsident und Chef der Verhandlungsmission zum bilateralen Migrationsthema, Ricardo Alarcón. Das bedeutet: Die große Mehrheit der 21.253 Balseros auf der Marinebasis wird den Ort bald verlassen haben. Weitere 10.000 Kubaner*innen bekamen die Einreiseerlaubnis bereits aus humanitären Gründen.
Illegale Flüchtlinge werden künftig nach Kuba zurückgeschickt
Die Gemeinsame Erklärung – als Zusatzabkommen zu den Vereinbarungen vom 9. September 1994 bezeichnet – beinhaltet, daß die USA ab September 1995 5000 der zugesagten 20.000 Visa pro Jahr an die Balseros auf Guantanamo vergibt. Die kubanischen Auswander*innen, die nach dem 2. Mai 1995 „von den USA auf hoher See abgefangen werden und versuchen, deren Territorium zu betreten, werden nach Kuba zurückgeschickt“. Dieselbe Behandlung gilt für diejenigen, die versuchen werden, auf die Marinebasis der USA zu gelangen. Damit werden die illegalen kubanischen Auswander*innen dasselbe Schicksal wie die übrigen Emigrant*innen des Kontinents erleiden. Im gemeinsamen Dokument wird die „Kooperation“ zwischen den USA und Kuba festgehalten. Gegen die nach Kuba zurückgeschickten illegalen Flüchtlinge sollen keine Sanktionen verhängt werden. Ein weiterer Punkt regelt die Rückkehr derjenigen Balseros auf Guantanamo nach Kuba, „die nicht die Bedingungen erfüllen, um in den USA aufgenommen zu werden“. Dabei handelt es sich nach Ricardo Alarcón um etwa tausend Personen. Mike Curry, Sprecher des US-Außenministeriums, sagte, dazu zählten Personen, die aufgrund von Vorstrafen oder begangenen Gewaltakten in den Internierungslagern auf Guantanamo und in Panama „nicht akzeptabel“ für die USA seien.
Das „Zusatzabkommen“ kam sowohl für viele kubanische Funktionär*innen als auch für Exilorganisationen, Diplomat*innen und Journalist*innen überraschend. Die letzten Details regelten in vertraulichen Gesprächen Ricardo Alarcón und Peter Tarnof, der Beauftragte des US-Außenministeriums für politische Angelegenheiten, Ende April in Toronto, Kanada. Die Verhandlungen auf so hoher Ebene sind in den Beziehungen zwischen den beiden Regierungen ungewöhnlich. In Washington drängten die Empfehlungen des Nationalen Sicherheitsrates und des Pentagon Präsident Bill Clinton zu der Entscheidung. Verteidigungsminister William Perry gab zu: „Ich drückte meine Besorgnis wegen der Probleme aus, mehr als 20.000 Migranten auf Guantanamo zu beherbergen… Die Kosten betrugen eine Million Dollar täglich. Nachdem 10.000 von ihnen aus humanitären Gründen wegkamen blieben in der Mehrzahl junge Männer, die, frustriert und ohne Hoffnung, einem heißen Sommer entgegensahen.“ In den letzten zwei Wochen habe es zudem zwei gewalttätige Vorkommnisse gegeben.
US-Justizministerin: Castro hält,was er verspricht
Justizministerin Janet Reno gestand ein, Clinton habe das Versprechen gegeben, die Balseros nicht in den USA aufzunehmen. Er habe seine Haltung jedoch „aus Gründen der nationalen Sicherheit“ ändern müssen. Das Wirtschaftsembargo gegen die Insel bleibe jedoch bestehen. Jede Änderung auf Kuba in Richtung Demokratie müsse sorgfältig bewertet werden. Gleichzeitig bescheinigte Reno, daß die Castro-Regierung „bewiesen hat, daß sie die Vereinbarungen, zu denen sie sich verpflichtet, erfüllt“. Zu dem großen Nutzen befragt, den das Abkommen den USA einbringt, da es das Problem der illegalen Einwanderung und der Spannungen auf Guantanamo abschafft, äußerte Ricardo Alarcón: „Ich hätte nichts dagegen, wenn es viele Leute so einschätzen würden. Es ist eine gerechte Vereinbarung und entspricht den Interessen beider Länder. Beide Seiten gewinnen dabei.“ Der Parlamentspräsident wies auf die Vorteile für Kuba hin: „Eine mögliche Spannungsquelle fällt weg und die kubanische Seite hat das Ende einer seit dem 1. Januar 1959 gegen sie gerichteten Praxis (die Akzeptanz von Emigrant*innen als angeblich politisch Exilierte) erreicht.“
Die Reaktion in Florida ließ nicht auf sich warten. Die anti- castristischen Exilorganisationen – besonders die radikalen – fühlten sich verraten. Die Kubanisch-Amerikanische Nationalstiftung bedauerte: „Das Abkommen verweigert Kubaner*innen das politische Asyl, die unter Einsatz ihres Lebens in die Freiheit flüchten.“ Jorge Más Canoso, der Chef der Organisation, wetterte gegen Clinton: „Der Präsident hat uns belogen… Alles weist daraufhin, daß mehr hinter allem steckt.“ Es gebe keinen Zweifel daran, daß Clinton versuche, das Embargo gegen Kuba abzuschwächen. Canoso kündigte einen Positionwechsel gegenüber der US-Regierung an: „Damit werden sich die Beziehungen der Stiftung zum Weißen Haus radikal verändern.“ Die sogenannte „Operation Engel“ im Süden Floridas, die den Guantanamo-Flüchtlingen half, in die USA zu kommen, hat ihre Spendenkampagne gestoppt. Die Radiostationen der spanischsprechenden Gemeinde in Miami sendeten wütende Kommentare gegen die Clinton-Regierung. Sie bezeichneten ihn als „Verräter“, weil er einen Wechsel der Kuba-Politik fördere. Augstín Acosta, Direktor eines dieser Radios, sagte eine Bestrafung bei den nächsten Wahlen voraus.
Die Unterschrift des Abkommens zwischen zwei Regierungen, die ihre Meinungsunterschiede nicht gelöst haben, legte die inneren Widersprüche des nordamerikanischen Verhaltens gegenüber Kuba offen. So baten zwei der für die Kubapolitik im Außenministerium zuständigen Regierungsmitarbeiter um ihre Versetzung, weil sie nicht über die Maßnahmen konsuliert wurden. Außerdem ließen sie durchblicken, erst einen Tag vor ihrer offiziellen Verbreitung über den Inhalt informiert worden zu sein. Einer der Mitarbeiter, Dennis Hays, führte sogar die Verhandlungsdelegation der USA an, die die Migrations-Vereinbarung vom 9. September 1994 unterschrieb und die anfangs versuchte, die Balsero-Krise zu beenden. Beobachter*innen meinen, Hays und seine Kollegin Nancy Mason hätten sich einer allzu nachgiebigen Haltung Washingtons gegenüber Havanna widersetzt. Sie seien dafür eingetreten, die kubanischen Flüchtlinge auf unbestimmte Zeit auf Guantanamo zu lassen.
„Es gibt Leute im Nationalen Sicherheitsrat, die vorschlagen, das Embargo gegen Kuba zu lockern“
Für Jack Sweeney von der konservativen Heritage Stiftung zeigt sich in den jüngsten Verhandlungen der Einfluß derjenigen Clinton- Berater*innen, die das Embargo gegen Kuba lockern wollen: „Es gibt Leute im Nationalen Sicherheitsrat, die vorschlagen, das Embargo im Gegenzug für Reformen auf der Insel allmählich abzuschwächen – mit der Idee eines friedlichen Übergangs vom Kommunismus zur Demokratie. Das ist für mich eine Utopie“, so Sweeney. Auf der anderen Seite sehen nordamerikanische Funktionär*innen und Expert*innen mit der neuen Maßnahme eine bessere Zusammenarbeit und verbesserte Beziehungen zwischen Fidel Castro und Bill Clinton voraus. In der Zeitung „The Miami Herald“ zeichneten namentlich nicht genannte Funktionär*innen die möglichen Schritte einer Zusammenarbeit vor: Aufhebung von Reisebeschränkungen, um die Kategorien von Personen zu erweitern, die nach Kuba gehen wollen; Gebrauch von US-Hilfe, um die Wirtschaftsreformen von Castro wie beispielsweise die freien Bauernmärkte zu fördern; Erlaubnis an die nordamerikanischen und kubanischen Presseagenturen, im jeweils anderen Land Büros zu eröffnen; erhöhter Kultur- und Bildungsaustausch zwischen beiden Nationen.
EL SALVADOR
Neuer Erzbischof vom Opus Dei
(Mexiko-Stadt, 14. Mai 1995, POONAL).- Seit dem Wochenende hat die salvadoreanische Hauptstadt San Salvador offiziell einen neuen Erzbischof. Der 62jährige eingebürgerte Fernando Sáenz Lacalle, Bischof spanischen Ursprungs, tritt die Nachfolge des 1994 gestorbenen Arturo Rivera y Damas an. Auf den ersten Blick nichts besonderes, doch in El Salvador sorgt die Personalentscheidung des Papstes seit Wochen für Diskussionen. Der Unterschied zu Lacalles Vorgängern ist allzu deutlich. Der neue Erzbischof ist Mitglied des Opus Dei, einer der konservativsten katholischen Kirchenorganisationen. Seine Vorgänger Oscar Arnulfo Romero und Arturo Rivera y Damas dagegen verteidigten die Befreiungstheologie. Besonders Romero, der 1980 von rechten Todesschwadronen ermordet wurde, ist in ganz Lateinamerika unvergessen. Sein Weg vom konservativen Priester zum radikalen Fürsprecher der Armen diente vielen als Vorbild.
Eine solche Wandlung gilt bei Lacalle als unwahrscheinlich. Nachdem seine Ernennung am 22. März bekannt wurde, befand sich unter seinen ersten Äußerungen eine Kritik an der Befreiungstheologie. Sie sei eine Lesart mit marxistischen Begriffen, die zur Gewalt führen könne. Jetzt versprach der Erzbischof, während seiner Amtsführung keine „parteiische Position“ ergreifen zu wollen. Erklärungen zum nationalen Geschehen will Lacalle der salvadoreanischen Bischofskonferenz überlassen. Diese Einstellung steht in scharfem Kontrast zu der seiner beiden Vorgänger. Diese hatten immer wieder die Willkür des Staates kritisiert sowie die ultrarechten und paramilitärischen Gruppen in der Zeit des Bürgerkrieges angeklagt. Insofern ist das Versprechen Lacalles nicht unbedingt eine Ermutigung. Menschenrechtler und Opposition sehen nach wie vor Handlungsbedarf, gegen die viele Maßnahmen der rechtsgerichteten ARENA-Regierung zu protestieren.
Während der Einführungsmesse am Samstag zollte der kirchliche Würdenträger seinen Vorgängern zumindest Respekt. Er stieg in die Krypta der Hauptstadt-Kathedrale hinab und kniete vor den Gräbern von Romero und Rivera y Damas nieder. Zu den Angriffen auf den Interimsverwalter der Diözese von San Salvador, Bischof Gregorio Rosa Chávez, bemerkte er, er habe einige Beleidigungen gegen diesen wie „am eigenen Fleisch erfahren“. Chávez steht noch ganz in der Tradition der beiden vorausgegangen Erzbischöfe. Dies trug ihm in den vergangenen Monaten heftige Attacken von Regierungsabgeordneten und ultrarechten Gruppen ein. In seiner letzten Ansprache als Diözesanverwalter bat er darum, „das reiche Erbe“ von Bischof Romero und Bischof Rivera y Damas zu schützen. Ihnen und den 1989 von Armeemitgliedern ermordeten sechs Jesuiten- Padres widmete er den Großteil seiner Predigt. „Das ist die Kirche, mit der wir uns so stolz fühlen“, sagte Chávez. Ob die kritischen salvadoreanischen Christen diesen Stolz auch mit Monseñor Fernando Sáenz Lacalle fühlen werden, ist nicht sicher. Dieser will jedenfalls „nicht mehr als ein Instrument in den Händen Gottes“ sein.
URUGUAY
Frente Amplio nimmt doch am Forum von Sao Paulo teil
(Montevideo, 10. Mai 1995, mate amargo-POOAL).- Die politische Leitung der Frente Amplio hat jetzt doch noch einstimmig die offizielle Teilnahme am Forum von Sao Paulo beschlossen, das Ende dieses Monats in Montevideo stattfinden wird. Im Vorfeld hatte es wegen der Teilnahme von Guerilla-Organisationen erbitterte Diskussionen innerhalb der Frente Amplio gegeben. Die Auseinandersetzungen konnten schließlich miteiner gemeinsamen Erklärung beigelegt werden in der es heißt: Die Frente Amplio ist und bleibt ihren Prinzipien und ihrer politischen Vorgehensweise treu, die da sind: volksnah, pazifistisch und offen. Alle Formen des Terrorismus lehnen wir ab. Unsere Option ist ein gewaltloser politischer Weg, um unsere demokratischen Ziele, soziale Gerechtigkeit und die Regierungsmacht zu erreichen. An anderer Stelle der Erklärung heißt es: „Fuer die Frente Amplio ist das Forum von Sao Paulo ein Raum für den Austausch zwischen politischen Kräften in Lateinamerika und der Karibik, die sich als demokratisch, national, sozialistisch, antiimperialistisch und antikolonialistisch definieren“.Das Forum wird am 25. Mai mit beginnen, auf der Eröffnungsveranstaltung werden der Präsident der Frente Amplio, General Liber Seregni, der Chef der brasilianischen Arbeiterpartei (PT), Lula, und der ehemalige Präsident Nicaraguas, Daniel Ortega, reden.
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