Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 169 vom 15.11.1994
Inhalt
GUATEMALA
ECUADOR
HAITI
PIRED wirft inzwischen jeder sogenannten „Volksorganisation“ Geld
NICARAGUA
KUBA
PERU
GUATEMALA
Polizei stürmt die San Carlos Universität
(Guatemala-Stadt, 12. November 1994, NG-POONAL).- In den Abendstunden des 11. November haben Sicherheitskräfte das Campus- Gelände der staatlichen San Carlos Universität im Süden der Hauptstadt gestürmt. Daraufhin gab es eine einstündige heftige Konfrontation zwischen Student*innen und den Aufruhrbekämpfungseinheiten der Nationalpolizei. Mindestens ein Student starb, mehrere Student*innen erlitten Schußverletzungen und viele wurden bei den zahlreichen Verhaftungen geschlagen. Die San Carlos Universität besitzt einen Autonomiestatus. Dies bedeutet, daß außer den universitätseigenen Kräften weder die staatliche Polizei, geschweige denn Militärs das Unigelände betreten dürfen. Der Universitätrektor Jafeth Cabrera kritisierte den Angriff der Sicherheitskräfte scharf: „Es ist unglaublich, daß unter der Regierung eines Menschenrechtsbeauftragten ein Vorkommnis dieser Art geschieht, das nicht einmal während der Putschregierungen passierte“, sagte er.
Der Erstürmung war eine Straßenblockade der Student*innen auf der am Campus vorbeiführenden Avenida Petapa vorausgegangen (nach verschiedenen Presseangaben sollte dies der Ausgangspunkt für eine Demonstration gegen den versteckten Ausnahmezustand der vorhergehenden Tage sein; die Red.). Dort schossen Unbekannte gegen 19 Uhr aus einem Fahrzeug mit kalifornischem Kennzeichen auf eine Gruppe von Universitätsstudent*innen. Als kurze Zeit später die Aufruhrbekämpfungseinheiten an dem Ort eintrafen, wurden sie mit Steinen, Flaschen, Molotov-Cocktails und Knallkörpern empfangen. Daraufhin gingen die Polizeieinheiten zum Angriff über und stürmten den Campus, auf dem sich die Auseinandersetzung fortsetzte.
Guerilla warnt vor „sozialer Explosion von nicht vorhersehbarem Ausmaß“
Zu dem Ereignis und den jüngsten Unruhen aufgrund der beabsichtigten Fahrpreiserhöhungen äußerte sich unter anderem die Generalkommandatur der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) in einer Pressemitteilung. Die Guerillaführung bewertete die derzeitige Krise des Landes als ein Produkt der Gleichgültigkeit und des fehlenden Willens, die Grundprobleme der Bevölkerung zu lösen. Ohne Maßnahmen zugunsten der Mehrheit werde es „unvermeidlich zu einer sozialen Explosion von nicht vorhersehbarem Ausmaß“ kommen. Die URNG bezeichnete es zudem als „große Verantwortungslosigkeit“ des Präsidenten De León Carpio, den Streitkräften (die auch die Polizei kontrollieren; die Red.) absolute Vollmachten zu geben, damit sie „einmal mehr gegen die Bevölkerung vorgehen können.“
Vorläufiges Ende im Streit um die Fahrpreise
(Mexiko-Stadt, 12. November 1994, POONAL).- Nach zehntägigen Unruhen, die wahrscheinlich acht Tote sowie Dutzende von Verletzten und Verhafteten zur Folge hatten, beginnt der Personentransport in Guatemala-Stadt wieder zu funktionieren. Die Busunternehmer*innen hatten gestreikt, um Fahrpreiserhöhungen bis zu 50 Prozent durchzusetzen. Daraufhin war es in der ganzen Stadt zu heftigen Straßenprotesten der Bevölkerung gekommen, denen die Spezialeinheiten der Nationalpolizei mit zum Teil brutaler Gewalt entgegentraten.
Die städtischen Behörden und die Unternehmer*innen trafen schließlich am 11. November ein Abkommen, nach dem die alten Preise bestehen bleiben, jedoch bereits ab dem 1. Januar 1995 erhöht werden dürfen. Zuvor hatte der Präsident Ramiro De León Carpio die Militarisierung der Hauptstadt angeordnet und der Stadtverwaltung und den Transportunternehmer*innen ein Ultimatum für eine Verhandlungslösung gesetzt. Ein Gericht hatte zudem entschieden, der Streik dürfe nicht fortgesetzt werden.
Keine Einigung über Rechte der Indígenas
(Valle de Bravo, Mexiko, 9. November 1994, cerigua-POONAL).- Auch die zweite Verhandlungsrunde von guatemaltekischer Regierung, Armee und Guerilla über das Thema „Identität und Rechte der Indígena-Völker“ endete ohne Vereinbarungen. Einer der Gründe soll der Widerstand der offiziellen Seite gegen Verfassungsreformen sein. UNO-Vermittler Jean Arnault kündigte eine „zusätzliche Runde“ für den 27. November an noch unbekanntem Ort an. Vorher wird es jedoch zwei Vorbereitungstreffen mit verkleinerten Delegationen geben.
US-Amerikaner gefoltert und ermordet
(Guatemala, 9. November 1994, cerigua-POONAL).- Bei einer am 8. November in Santa Bárbara, Provinz Suchitepéquez gefundenen Leiche handelt es sich um den US-Amerikaner Elmer Martín Hermann. Die Leiche lag in einem Auto mit ausländischem Kennzeichen. Der Körper wies Folterspuren und Schußwunden auf. Der Nordamerikaner war am 3. November von Mexiko aus nach Guatemala eingereist. Weitere Einzelheiten wurden bisher nicht bekannt.
New York Times erhebt schwere Vorwürfe gegen Verteidigungsminister
(New York, 9. November 1994, cerigua-POONAL).- Die „New York Times“ hat den guatemaltekischen Verteidigungsminister in einem Kommentar vom 9. November als Vertreter einer „brutalen Militärkultur“ charakterisiert. In direkter Anspielung auf den Fall des verschwundenen Guerilleros Efraín Bámaca („Comandante Everado“) beschuldigte die Zeitung den Minister, Spuren zu verwischen und die Aufklärung des Falles zu behindern. Die Zeitung fordert in dem Kommentar mit dem Titel „Guatemala: Die Botschaft ändern“, die US-Außenpolitik gegenüber Guatemala neu auszurichten. Das Außenministerium verhalte sich im Fall Bámaca „unbeweglich“, um den Präsidenten Ramiro De León Carpio nicht in Verlegenheit zu bringen. Dieser habe wie seine Vorgänger eine „begrenzte Macht angesichts einer brutalen und sich verschanzenden Armee“.
Die Zeitung wies auf das Verschwindenlassen von Personen, die Morde und Folterungen, die geheimen Kerker und die Straffreiheit bei Menschenrechtsverletzungen in Guatemala hin. Genauso erwähnte sie die Einmischung der US-Geheimdienste. Bis heute wisse niemand, wieviele unschuldige Menschen ermordet worden seien. Jetzt richte sich die US-Aufmerksamkeit auf „eines dieser Opfer“, den Guerillero Bámaca, verheiratet mit einer „vorzüglichen Anwältin“, der Nordamerikanerin Jennifer Harbury. Harbury, seit dem 11. Oktober (bis zum 11. November; die Red.) im Hungerstreik, mache „das, was fast alle Guatemaltek*innen nicht machen können: die Armee herausfordern und die Regierung auffordern, den (angeblich toten) Mann zu übergeben“.
Der Krieg in Guatemala, so die New York Times, trage Merkmale eines Völkermordes. Zu den Opfern der guatemaltekischen Militärs zählten beinahe ausnahmslos arme und unschuldige Indígenas. Die CIA habe diesen Krieg unterstützt oder toleriert. Der US-Kongreß müsse den „gesetzlosen Kommandanten der guatemaltekischen Armee“ geänderte Signale schicken.
ECUADOR
Forum der Indígena-Frauen
(Quito, November 1994, fempress-POONAL).- In Ecuador hat sich die Organisation „Forum der Indígena-Frau“ gegründet. Zu den Zielen gehört die stärkere Beteiligung der Indígena-Frauen im politisch- organisatorischen Bereich. Blanca Chancoso, Mitglied des Forums, erklärte: „Wir wollen unsere Stimme zu Gehör bringen und eine größere Beteiligung in den Gemeinden und den Versammlungen erreichen. Dazu ist es notwendig, daß wir uns Fähigkeiten aneignen und uns weiterbilden, um unsere eigene Realität kritisch zu untersuchen. Wir wollen dazu beitragen, die Situation der dreifachen Diskriminierung, die wir Indígena-Frauen erleben, zu überwinden.“ Mestizinnen und Indigena-Frauen müßten zusammenarbeiten, erklärt Chancoso, denn „als Frauen haben wir viele Gemeinsamkeiten. Wir müssen unsere Kräfte vereinen, um die Respektierung unserer Rechte zu erreichen.“ Das „Forum der Indígena-Frau“ setzt sich aus landesweit 33 Organisationen zusammen. Diese repräsentieren alle im Land existierenden Nationalitäten.
HAITI
Die zweite, unsichtbare Invasion
(Port-au-Prince, Oktober 1994, hib-POONAL).- Hinter Hunderten von Panzern, Hubschraubern und farbenprächtigen Flugblättern, die die „Zusammenarbeit“ zwischen den USA und Haiti verkünden, gibt es eine hintergründigere, fatalere Seite der US-Besatzung. Hinter den verschlossenen Türen der von der US-Regierung abhängigen Internationalen Entwicklungsbehörde (US-AID), der Weltbank und vielen von den USA finanzierten Einrichtungen wird eine stille und beständigere Invasion eingeleitet. Diese Interventionstruppen – von US-Aid unter dem Stichwort „Demokratieförderung“ zusammengefaßt, von anderen dagegen als „Demokratie niedriger Intensität“ bezeichnet, bestehen aus „Techniker*innen“ und „Expert*innen“. Statt mit einer M-16 sind sie mit „Entwicklungsprojekten“, „Modernisierungsplänen“, strikten Richtlinien und viel Geld bewaffnet. Ihr Ziel ist nicht, zu töten und den „Feind“ zu besiegen, sondern ein neoliberales Wirtschaftssystem zu errichten und eine formale, representative, aber keine wirklich partizipatorische Demokratie einzusetzen. Weiterhin sollen sie eine „politische Stabilität“ schaffen, indem sie ein politisches „Zentrum“ gründen und kooptieren und die „Extreme“ durch Projekte, Programme, Propaganda sowie „Vorzeigewahlen“ – bei denen die Menschen zwischen einer begrenzten Zahl von Kandidat*innen wählen können, die die Spielregeln akzeptieren – marginalisieren.
Aristide akzeptiert neoliberalen Wirtschaftsplan
Das letzte Ziel ist, so wie es mit anderen Ländern vorher erfolgreich exekutiert wurde, Haiti in den „Weltmarkt“ einzugliedern. Das heißt im besonderen Fall Haitis: es über die USA abhängig zu machen vom Weltmarkt, als eine Art Anhängsel der USA. Haiti muß von den ausländischen Produzent*innen abhängen, was seine Bedürfnisse angeht und vom Weltmarkt, was sein Einkommen angeht – verdient durch den Export bestimmter Anbauprodukte und die Ausbeutung billiger Arbeitskräfte. Laut eines Mitgliedes aus Präsident Jean-Bertrand Aristides „Übergangsteam“ hat die Regierung auf vielen Gebieten, auf die der Einfluß der AID- „Demokratieförderung“ zielt, praktisch klein beigegeben“. „Wir haben gesehen, daß wir gegen diese gewaltige Maschinerie nicht ankommen“, so der Mitarbeiter.
Auf einem Treffen am 26. August in Paris, einberufen von der Regierung, der Weltbank, dem Internationalen Währungsfonds, der Interamerikanischen Entwicklungsbank und anderen bilateralen Geldgebern unter Vorherschaft der USA stimmte das Aristide-Team einem ultra-neoliberalen Wirtschaftsplan zur „strukturellen Anpassung“ zu. Der Plan sieht unter anderem den Verkauf von öffentlichem Eigentum und Staatsbetrieben vor, die Bezahlung der Auslandsschulden, die drastische Reduzierung der Auflagen für ausländisches Kapital, die Verminderung der ohnehin schon marginalen sozialen Leistungen und schließlich die zunehmende Orientierung auf „Nicht-Regierungs“-Organisationen und den Privatsektor. Die Anhebung des seit 1983 eingefrorenen Mindestlohnes von 1 US-Dollar pro Tag wurde nicht einmal diskutiert (als AID-Chef Brian Atwood während seines Haitibesuches am 15. Oktober zu dieser Möglichkeit befragt wurde, antwortete er: „Ich glaube nicht, daß diese Wirtschaft für solche Maßnahmen reif ist“).
AID hält Mindestlohn von 1 US-Dollar pro Tag für ausreichend
Leslie Delatour, einer der haitianischen Befürworter des Pariser Plans, übte in den jüngsten Wochen starken Druck auf Aristide aus, einen „moderaten“ Premierminister auszuwählen. Er selbst galt als aussichtsreicher Kandidat. Unter dem zweiten illegalen Premierminister Marc L. Bazin, dem ehemaligen Weltbankmitarbeiter und Finanzminister unter Jean-Claude Duvalier, war Delatour einer der engsten Regierungsberater. Unter dem von den USA installierten Diktator General Namphy war er 1987 Finanzminister Haitis.
Das erwähnte Mitglied aus Aristides Team berichtete nicht nur über die Forderungen der Weltbank und anderer Geldgeber nach einer neoliberalen Wirtschaftsstruktur, sondern über weiteren Druck: Die internationale Finanzhilfe sei von der „Offenheit“ der neuen Regierung abhängig gemacht worden. Demnach wünschen sie eine „Versöhnungsregierung“, die „Stabilität und ein solides wirtschaftliches Ambiente“ garantieren soll.
Fast 600 Millionen Dollar werden für Wirtschaft, Regierung, Verwaltung und „humanitäre“ Projekte freigegeben, um „Stabilität“ und „Versöhnung“ zu erreichen. Das meiste Geld wird jedoch an der Aristide- Regierung vorbeigeleitet. Zum Teil wird es von der UNO kontrolliert. „Die Regierung hat keine Aufnahmekapazität“, meint Dieter Hannusch vom UNO-Entwicklungsprogramm. „Für die Regierung wäre es das Beste, die Projekte zu überwachen, ohne daß die Regierungsmitarbeiter*innen die eigentliche Arbeit machen. US- Offizielle haben die direkte Kontrolle über den Großteil der Hunderte von Millionen Dollar. Dieses Geld wird direkt an den Privatsektor, „Nicht-Regierungs“-Organisationen oder lokale „Führer*innen“ und Politiker*innen gehen, die wiederum von Gruppierungen ausgewählt werden, deren Geldgeber US-AID oder die drei US-Stiftungen „Zentrum für Demokratie“ (CFD), das Internationale Republikanische Institut und das Nationale Demokratische Institut sind. Dazu kommt das Integrale Projekt für die Stärkung der Demokratie auf Haiti (PIRED), dem der Anthropologe Ira Lowenthal vorsteht.
AID-„Hilfe“. Die haitianische Regierung wird nicht gefragt
Ein anderes Mitglied der Aristide-Regierung sagte diese Woche zur Rolle von AID:“ Alles, was passiert, geht von den USA aus. Die haitianische Regierung wird nicht gefragt.“ AID hat seine Programme in Kurzbeschreibungen aufgelistet, die bisher noch nicht veröffentlicht wurden. Unter anderem sehen diese Programme vor: – ein „Projekt zur „lokalen Regierungsführung, um Gemeindegruppen und -Projekte zu „organisieren“ – vorgesehen sind dafür 7,5 Millionen Dollar; – 13 Millionen Dollar für ein „Arbeitsschaffungs“-Programm, bei dem 25.000 bis 50.000 Menschen zwei Monate lang für einen Dollar pro Tag arbeiten; – ein „Demobilisierungs- und Reintegrations-Programm“ für ehemalige haitianische Soldaten (Menschenrechtsverletzer eingeschlossen), denen – trotz einer entgegengesetzen verbalen Zusage gegenüber der Aristide-Regierung – nicht nur Arbeit zu ihren früheren Löhnen garantiert wird, sondern sie sollen auch unterstützt werden in ihrer „Karriere“, Pensionen erhalten, eine Ausbildung und Kredite für „Kleinst-Unternehmen“ sowie viele weitere Förderungen bekommen; – ein 20 Millionen-Dollar „Wahlhilfe“-Projekt, um der Regierung zu helfen, einen Wahlrat zu bilden. Dieser soll selber „ausbilden und unterstützen“ und „zivile Unterrichtskampagnen von Nicht- Regierungs-Organisationen unterstützen, die Parteien stärken, Medien ausbilden und unterstützen“.
Die „rechten“ Kräfte finanzieren
Die Absicht vieler dieser Programme – sowie anderer Projekte auf Haiti – ist es, den Forderungen der Demokratie- und Volksbewegung nach radikalem wirtschaftlichen Wandel und sozialer Gerechtigkeit entgegenzutreten. In vielem gleicht dies dem Verhalten der USA in Nicaragua vor den Wahlen von 1990. Wie seit 1986 werden die USA ihren „Krieg niedriger Intensität“ weiterführen, um die Wahlen und das allgemeine politische Klima zu beeinflussen, um eine „Demokratie“ zu schaffen, die für ihre strategischen und wirtschaftlichen Interessen akzeptabel ist.
Anfang Januar werden mehr als 2.000 Sitze auf Parlaments-, Regional- und Kommunalebene frei. Die US-Funktionär*innen geben offen ihre Pläne zu, Parteien zu begünstigen und sogar selbst zu gründen. „Diese Wahlen sind die politische Versicherung für unsere Hilfe“, sagte ein AID-Funktionär in einem Artikel der „Financial Times“. Ein im Frühjahr durchgesickertes AID-Dokument beschreibt, wie der 1-Millionen Dollar Menschenrechtsfonds auf diejenigen , Personen, Gruppen und Parteien verteilt werden sollte, die die US- Organisationen empfehlen und fördern: „verantwortliche Elemente innerhalb der Volksbewegung“ und „moderate duvalieristische Gruppen“. Die meisten der auf Haiti arbeitenden Menschenrechtsgruppen wendeten sich später gegen den Fonds. Die einzige einheimische Organisation, die heute das Geld akzeptiert, steht bereits auf der Gehaltsliste des Integralen Projektes für die Stärkung der Demokratie auf Haiti (PIRED) von Lowenthal.
PIRED wirft inzwischen jeder sogenannten „Volksorganisation“ Geld
nach, die einen Radio- oder Fernsehspot plant, in dem für
„Friedfertigkeit“ und „Versöhnung“ geworben wird. Zusätzlich zu
dem 1-Million Dollarfonds verwaltet PIRED die 15 Millionen Dollar des auf fünf Jahre angelegten „Demokratieförderungsprojektes“. Die Organisation gab etwa 200.000 Dollar an eine Stiftung, die Verbindungen zu Evans Paul, dem Bürgermeister von Port-au-Prince, hat. Es ist nicht überraschend, daß Paul seit längerem gerüchteweise als US-Favorit für die Nachfolge von Aristide im Gespräch ist. Die führende Presse gibt ihm bereits ihren Segen. Das „Wall Street Journal“ bemerkte mit Erleichterung, daß er „ganz verschieden“ von Aristide ist und „von einem linksgerichteten Straßenagitator zum Staatsmann gereift ist“.
Auch das Asylprogramm der USA fand die Unterstützung von PIRED. Im Rahmen dieses Programmes wurden mindestens 60.000 Aktivist*innen an der Basis ausführlich über ihre Tätigkeiten befragt. Dies befähigte die USA, eine detaillierte Datenbank über die Demokratiebewegung anzulegen. Viele vermuten, diese wurde nicht nur für Einwanderungsangelegenheiten benutzt. Als Evans Paul im Oktober wieder in sein Amt eingesetzt wurde, war Lowenthal dort „wie der stolze Vater“, so drückte es ein langjähriger Haiti- Beobachter aus. Als Cedras seine Rücktrittsrede hielt, war Lowenthal auch dabei. Mit den neuen Projekten hat Lowenthal einen ungeheuren Einfluß gewonnen. „Er managt die Show“, so das Mitglied aus dem Aristide-Team. „Er ist wie der neue Gouverneur von Haiti. Alle örtlichen Programme laufen über ihn.“
Die AID-Erfolge unter die Lupe genommen
Viele der AID-Programme werden von dem „Büro für Übergangsinitiativen“ (OII) gemanagt. Dies ist eine neue der AID nahestehende Institution, die angeblich „Übergänge“ zur „Demokratie“ beaufsichtigen soll. OII wird mit PIRED und dem Internationalen Migrationsbüro (OIM) zusammenarbeiten. Letztere Organisation half, die erwähnten ausführlichen Interviews mit den haitianischen Asylbewerber*innen zu führen. Zu diesen Einrichtungen kommt die „Planungshilfe“ (PA) mit Sitz in New York hinzu. Die PA war bereits für Pilotprojekte „örtlicher Regierungsführung“ in Les Cayes und Gonaives verantwortlich. Dort arbeitete sie auch mit Mitgliedern der paramilitärischen Front für den Haitianischen Fortschritt (FRAPH) zusammen.
Der Chef der „Planungshilfe“ auf Haiti, Jö Coblantz, bedauerte auf einem Treffen in Washington im August, daß mit der Rückkehr zur Verfassungsmässigkeit, die örtlichen Teilnehmer*innen des Programms es „oppositionellen“ Mitarbeitern wie der FRAPH nicht erlauben würden, mitzumachen. die zwei FRAPH-Leute in Cayes seien die „Mitglieder mit dem größten Bürgersinn“ der Gemeindekomitees gewesen. In Gonaives arbeitete die PA mit „örtlichen Führer*innen“ zusammen, nicht aber mit dem Bürgermeister, der sich die meiste Zeit in den vergangenen drei Jahren verstecken mußte. An seiner Stelle übernahm ein stellvertretender Major das Amt, der sein Büro mit einem Porträt von Francois Duvalier schmückte.
Die Entwicklungs- und Gesundheitszentren (CDS), die zwölf Einrichtungen im Land unterhalten, erhielten 1993 mindestens 4 Millionen Dollar von AID. Auf der Gehaltsliste standen FRAPH- Mitglieder, darunter solche, die brutaler Morde angeklagt waren. Die CDS haben eine Datenbank, die Berichte über etwa 180.000 Personen enthält (in der Mehrzahl aus dem jeweiligen Stadtviertel). An der Spitze der Entwicklungs- und Gesundheitszentren steht Dr. Reginald Boulos, ein enger Vertrauter von Marc Bazin. Die Bewohner*innen von Cite Soleil, einem armen Stadtviertel, in dem die CDS als einzige Gesundheitsfürsorge anbieten, sagen, nach den Präsidentschaftswahlen von 1990 seien die Menschen abgewiesen worden, die ihre Stimmabgabe für Aristide zugaben.
Eine andere Aktivität der USA auf Haiti ist der Versuch, ein „moderates“ Zentrum zu fördern bzw. es zu gründen. Dies war der Fall in der Parteienkoalition von Bazin für die Präsidentschaftswahlen von 1990. Im Mai und Juni dieses Jahres waren der US-Botschafter, PIRED und andere US-Organisationen Gastgeber für eine Reihe verschiedener Parteientreffen des „Zentrums“. Das Center for Democracy (CFD) hat bereits ein eigenes Team entsendet. An der Spitze jenes Teams steht der CFD-Präsident und NED-Gründer Allen Weinstein. Als die Abgeordneten und Senator*innen jetzt das Amnestiegesetz verabschiedeten, verbrachte das Team mindestens einen ganzen Tag im Parlament. Nach ihrer Aufgabe befragt, gab ein Teilnehmer die Antwort: „eine Opposition im Parlament zu formen“.
Aufgabe des CFD: Opposition im Parlament bilden
Das Mitglied aus Aristides Übergangsteam bewertet den kommenden Wahlkampf ziemlich finster. Nachdem er die AID-Kurzbeschreibungen gelesen hat und mit dem OII-Personal sprach, glaubt er, daß OII und OIM in die Stadt oder ins Dorf kommen werden, um Geld für „Entwicklungsprojekte“ anzubieten und dann versuchen werden, die Leute zu beeinflussen. Seine Vision: „Sie werden sagen, 'Warum berufst Du nicht ein Treffen ein?'. Und dann: 'Können wir die Gästeliste sehen?'. Danach werden sie vorschlagen, die Liste zu vergrößern. Sie werden empfehlen, keine Lavalas-Leute ins Amt zu wählen, da alle Hilfsprojekte viel besser mit 'profesionelleren' Personen funktionieren würden.“
Dieser Druck wird zweifellos mit einer wachsenden organisierten Präsenz der Rechten verbunden sein. Wenn die FRAPH nicht unter ihrem eigenen Namen als politische Partei auftreten wird, so wie es ihr Führer Emmanuel Constant verschiedene Male versprochen hat, dann wird sie sich neu erfinden. Sie wird mit Sicherheit Gelder und Unterstützung aus ihren traditionellen Quellen, der Armee und dem CIA erhalten – genauso wie die ARENA-Partei in El Salvador. Genau wird wie in Nicaragua und El Salvador die gezielte Repression gegen demokratische Führer*innen vielleicht weitergehen. Trotz dieser Bedrohung durch die noch nicht entwaffneten paramilitiärischen Kräfte, die Kräfte der Rechten gibt es etwas Bewegungsspielraum für den Präsidenten und auch für die Demokratie- und Volksbewegung.
Selbst wenn die Wahlen auf den Januar verlegt werden, wird es für AID schwierig sein, im ganzen Land und auf die gesamte Bevölkerung Einfluß auszuüben. Außerdem versprach die Europäische Gemeinschaft jüngst 128 Millionen Dollar, davon ein Teil direkt an die haitianische Regierung, für „langfristige Entwicklung“. Frankreich kündigte weitere 50 Millionen Dollar an. Das könnte eine leichte Stärkung für die Regierung bedeuten und einige der AID-Pläne zu Fall bringen. Wie immer die Rivalitäten und die Manöver auf der internationalen Ebene weitergehen werden, entscheidend ist, daß die US-Bürger*innen, die unfreiwillig diese umfangreichen und heimtückischen Programme bezahlen, mit der US-Regierung streiten, kämpfen und Haiti die Chance geben, sich ohne ausländische Intervention zu entwickeln.
NICARAGUA
Sandinistische ArbeiterInnenzentrale vor neuen Herausforderungen
(Managua, 14. Oktober 1994, alai-POONAL).- Nach vier Jahren der Regierung von Violeta Chamorro und ihres Schwiegersohnes Antonio Lacayo ist wenig von den sozialen Errungenschaften der Sandinistischen Revolution übrig geblieben. Auf der anderen Seite steigt die Arbeitslosigkeit zusehends. Die neuen Realitäten haben die Gewerkschafts- und Volksbewegung schwer getroffen. Um Näheres zu erfahren, sprach Alai mit Antonio Aguilar von der sandinistischen ArbeiterInnenzentrale (CST).
Wie charakterisiert die CST die derzeitige Situation? Welches sind die wesentlichen Auswirkungen auf die Arbeiter*innen und ganz allgemein die breiten Bevölkerungsschichten?
Die Lage ist kritisch, was die Beschäftigung, das Eigentum und die in der Verfassung und im Arbeitsgesetzbuch festgelegten Rechte angeht. Seit die jetzige Regierung 1990 die Macht übernahm, hat sie eine Reihen von Wirtschaftsmaßnahmen durchgeführt, die ein Schlag für alle Unternehmen waren. Für eine große Menge von Kolleg*innen bedeutete dies die Arbeitslosigkeit. Wir sprechen von 927.000 Arbeiter*innen ohne Beschäftigung und dies bei 1.434.000 Nicaraguaner*innen im erwerbsfähigen Alter. Hinzu kommt ein Kampf um das Eigentum. Die Unternehmen werden dem Privatisierungsprozeß unterzogen. Wir fordern angesichts dieser Situation, daß die Arbeiter*innen das Eigentum am Unternehmen haben sollen. Sie haben sie aufgebaut, denn es brauchte zwölf, dreizehn Jahre des Kampfes, um die Firmen aufzubauen, die nach dem Triumph der Revolution praktisch bankrott waren. Die Arbeiter*innen kurbelten die Produktion an und erneuerten die Ausrüstungstechnik.Außerdem verfolgen wir mit unser Forderung das Ziel, die Arbeitsplätze zu sichern.
Gleichzeitig kämpfen wir für die in der Verfassung niedergeschriebenen Rechte. Obwohl viel von einem Rechtsstaat gesprochen wird, leiden wir unter dem schweren Problem der Verfassungsverletzungen, der Menschenrechte, der Organisationsrechte, der Gewerkschaftsrechte und der politischen Rechte in jedem einzelnen der Unternehmen. Das ist eine Folge der Wirtschaftsmaßnahmen, der Haushaltskürzungen, der Privatisierung, usw. Dies hat sich sozial in größerer Kriminalität, einem umfangreichen Drogenhandel, einer hohen Drogenabhängigkeit und einer vermehrten Prostitution als Folge der Arbeitslosigkeit niedergeschlagen. Wir können zur Zeit nicht sagen, alles was im Land passiert, ist ein Ergebnis des Krieges – obwohl dieser zweifellos noch nicht völlig zu Ende ist, denn im Norden des Landes bringen sich die Leute immer noch gegenseitig um. Wir haben große Familienprobleme. Wenn in einem Haus eine zehnköpfige Familie mit fünf arbeitsfähigen Personen wohnt und alle sind arbeitslos, dann herrscht wohl eine große soziale Krise. Auch der Staat wird dies nicht kurzfristig kontrollieren können.
Was unternimmt die CST gegen die sozialen Probleme?
Wir unternehmen große Anstrengungen irgendeine internationale Organismation für die Probleme zu interessieren, den Volksschichten zu helfen. Die CST hat ihren Aktionsradius erweitert, um auf die neue Realität einzugehen. Zu sehen, wie das Eigentum an den Unternehmen gestärkt werden kann, wie eine Finanzierung für die Fabriken in den Händen der Arbeiter*innen zu erreichen ist. Der Bereich ArbeiterInneneigentum ist in Wirklichkeit nur ein strategisches Mittel, um anderen Arbeiter*innen zu helfen, ihre Unternehmen zu stärken und die Arbeitsplätze zu sichern. Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Regierung sich darum kümmern würde, aber wir müssen feststellen daß sie überhaupt kein Interesse hat. Aus diesem Grund sind wir auf der Suche nach Alternativen.
Auf der anderen Seite geht es darum, wie wir den Arbeitslosen helfen können. Wir versuchen, sie zu organisieren, einige Projekte zu gründen, die ihnen helfen können, Kleinstunternehmen zu schaffen, bei denen aber ganz klar die Finanzierung das Problem ist. Es muß erwähnt werden, daß momentan viele Arbeiter*innen zwischen Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung hin und her schwanken. Wir als CST versuchen nicht nur, die Lage zu analysieren, sondern etwas Positives beizutragen, das Erleichterung verschafft. Schuld an dieser Misere haben, nach unserer Einschätzung, die von der Regierung geförderten Wirtschaftsmassnahmen.
Haben Sie irgendeine Zahl über die Arbeiter*innen, die Eigentümer*innen von Unternehmen sind?
Zur Zeit gibt es 104 Unternehmen, bei denen die Arbeiter*innen verschieden hohe Anteile am Eigentum behielten. Dieser Fall betrifft etwa 20 bis 25.000 Arbeiter*innen sowohl auf dem Land als auch in der Stadt. Ganz offensichtlich ist es keine umfassende Lösung für die Arbeitslosigkeit. Man muß auch sagen, daß das Eigentumsproblem für die Arbeiter*innen, die in diesen Kampf hineingezogen waren, selbst etwas schwer zu verstehen war. Wir waren nicht auf einen Wechsel dieser Art vorbereitet. Wir wenden daher verschiedene Strategien an, um unser Projekt zu schützen. Wir haben beispielsweise den Fall der Supermärkte, die in gewisser Weise genauso wirtschaftlich und sozial betroffen waren wie die übrigen Unternehmen. Doch sie haben den Angriffen der Wirtschaftsmaßnahmen widerstanden und konnten sich halten. Mittelfristig hoffen wir, daß unser Projekt an Kraft gewinnt. Sind es die Gewerkschaftsführer*innen, die diese Unternehmen verwalten?
Die Arbeiter*innen der Basis haben ihre eigenen Strukturen in jedem einzelnen der Unternehmen. Es kann Gewerkschaftsführer*innen in der Verwaltung geben, aber wir haben sie angewiesen, die Gewerkschaftsarbeit zu verlassen, wenn sie eine Führung im Unternehmen übernehmen. Das bedeutet keinen Widerspruch, denn beim Unternehmen in den Händen der Arbeiter*innen geht es genau wie beim gewerkschaftseigenen Unternehmen um die Stärkung der Firma. Und in dem Masse, wie das Unternehmen stärker wird, gibt es die sozialen Ansprüche, die eine Gewerkschaft in jedem Unternehmen erreichen kann. Also: kein Widerspruch, aber wir als Dachstruktur sind nicht direkt einbezogen. Wir versuchen, zu helfen, zu koordinieren, das Gesamtprojekt zu leiten und zu konsolidieren. Denn wir als ArbeiterInnenzentrale haben es angeleitet und dafür gekämpft. Wir wollen jedoch nicht Eigentümerin, damit so die Zentrale das Unternehmen verwaltet. Wir wollen, daß die Arbeiter*innen sich ihrer eigenen Projekte annehmen.
KUBA
Ab Dezember auch freie Industrie- und Handwerksmärkte
(Havanna, 7. November 1994, prensa latina-POONAL).- Einen Monat nach der Gründung der freien Landwirtschaftsmärkte haben die kubanischen Behörden jetzt die Gründung von Industrie- und Handwerksmärkten angekündigt. Sie sollen die Produktion anreizen und durch die Konkurrenz der Produktivkräfte eine größere Qualität hervorbringen. Die neuen Märkte werden ohne Subventionen auf die Eigenfinanzierung angewiesen sein. Die Preise müssen frei zwischen Käufer*innen und Verkäufer*innen ausgehandelt werden. Diese Information gab der kubanische Minister für den Binnenhandel, Manuel Vila Sosa. Er sprach auf einem Seminar, dessen Teilnehmer*innen die Märkte aufbauen sollen. Die Landwirtschaftsmärkte, die nach dem gleichen Prinzip funktionieren, haben innerhalb gut eines Monats bereits mehr als 130 Millionen Pesos umgesetzt.
Die Märkte stellen eine Alternative zur traditionellen Verteilung der Konsumgüter an die Bevölkerung dar. Bisher gab es eine Art Notizbuch, in dem die Versorgung mit den rationierten Güter eingetragen wurde. Einziger Anbieter war der Staat, der die Güter subventionierte. Die neue Vermarktungsform der Waren auf Kuba soll über höhere Preise auf den Märkten die Produktion ankurbeln. Industrie- und Handwerksmärkte werden ab dem 1. Dezember ihre Produkte anbieten. Verkäufer können Staatsunternehmen sein, die dort ihre Überschüsse nach der Vertragserfüllung mit der zentralen Verwaltung anbieten. Auch die Arbeiter*innen dürfen auf eigene Rechnung verkaufen. Dazu kommt die Produktion der „Poder Popular“ (Volksmacht), Unternehmen, die von den Kommunalverwaltungen geschaffen sind. Ausgeschlossen sind die für den Export, die Verteidigung oder die Funktionsfähigkeit der nationalen Wirtschaftspläne bestimmten Produkte. Eine weitere Besonderheit der neuen Märkte besteht darin, daß die dort beschäftigten Arbeiter*innen an dem Gewinn beteiligt werden. Dieser Gewinn besteht aus der Differenz zwischen dem offiziellen (staatlichen) Preis des Produktes und dem frei verhandelten auf dem Markt.
Währung bald frei austauschbar?
(Havanna, 7. November 1994, prensa latina-POONAL).- Der Präsident der kubanischen Nationalbank Hector Rodriguez Llompart, kündigte die Möglichkeit an, den kubanischen Peso zu einer konvertiblen Währung zu machen. In einem Interview mit der einheimischen Wochenzeitschrift „Opciones“ erwähnte der Bankchef mit Ministerrang die Vorteile für die Handelsgeschäfte der Ausländer*innen auf der Insel. Prensa Latina gibt den Wortlaut des Interviews in Teilen wieder.
Was können Sie uns über die Einführung des konvertiblen Peso sagen? Wird dadurch das aktuelle Wechselkurssystem verändert?
„Wir wissen, es bestehen Befürchtungen und Spekulationen über die Reichweite und die Wirkungen dieser Maßnahme. Zur Zeit haben wir eine besondere Situation auf Kuba. Das Gesetz über den Besitz von frei konvertiblen ausländischen Währungen wie der spanischen Peseta, dem englischen Pfund Sterling, dem französischen Franc, dem kanadischen und dem nordamerikanischen Dollar, erlaubt den Umlauf dieses Geldes auf Kuba. Die kubanischen und ausländischen Bürger*innen können dieses Geld ohne jegliche Einschränkung besitzen und mit sich führen. Das gibt es praktisch in keinem anderen Land der Welt mit der wahrscheinlich einzigen Ausnahme von Panama. Dort ist der Balboa, die nationale Währung, mit den US- Dollar gleichgesetzt, doch von ihm zirkuliert nur das Münzgeld. Die Scheine sind die nordamerikanischen. Diese Regelung stammt nach unserem Wissen aus einem Vertrag von 1904. Der Rest der Länder verbietet fast ausnahmslos die Zirkulation ausländischer Währung auf seinem Territorium. Wir haben dies erlaubt, um den Devisenzufluß zu erleichtern. Ein konvertibler Peso würde per Gesetz geschaffen. Es handelte sich um eine nationale Währung, die gegen jede konvertible Währung eingetauscht werden könnte, deren Umlauf im Land erlaubt ist.“
Wie würde der konvertible Peso genau eingeführt und welche Ziele würden damit verfolgt?
„Es würde wie gesagt per Gesetz geschehen. Die Maßnahme hätte finanziellen Rückhalt durch die totale Deckung mit dem Gegenwert in Devisen. Der Umtausch und Rücktausch wäre für den Moment garantiert, in dem der Geldbesitzer es wünscht oder entscheidet. Der konvertible Peso würde neben den anderen derzeit erlaubten ausländischen Währungen zirkulieren, ohne irgendeine Art des Einflusses auf diese, ohne Zwangsumtausch. Die Währungsfreigabe behielte ihre volle Gültigkeit. Der Schritt in Richtung auf einen konvertiblen kubanischen Peso verfolgt drei Hauptziele: Das erste: eine Währung zu etablieren, die Ausdruck unserer nationalen Souveränität ist und den Mangel einer nicht konvertierbaren nationalen Währung behebt.
Das zweite: Die Lösung, verschiedener praktischer und technischer Aspekte beim persönlichen Kauf-Verkauf, der in Devisen getätigt wird. Das dritte Ziel: In einer nicht direkten, aber vorhersehbaren Zukunft soll der Peso die einzige Währung im Land für nationale und internationale Operationen sein. Ein konvertibler Peso wurde die Aktionen beim Kauf und Verkauf von Produkten und Dienstleistungen erleichtern. Die europäischen und kanadischen Tourist*innen könnten den Umtausch in US-Dollar vermeiden. Momentan machen sie das, um ihre Käufe durchführen zu können. Mit dem freien Umtausch könnten sie ihre eigene Währung gegen die nationale eintauschen.“
PERU
„Wohnen“ auf stinkenden Mülldeponien
– Von Zoraida Portillo
(Lima, 3. November 1994, sem-POONAL).- „Im März 1992 besetzten 600 Familien in den Randbezirken von Lima Land, das vormals als Müllplatz diente. Sie bauten über Nacht Unterkünfte aus Strohhütten. Die Polizei vertrieb die Familien und zerstörte die Hütten, aber die Familien kehrten zurück… Die Szene wiederholte sich mehrere Male, die Menschen kehrten jedesmal zurück. Sechs Monate später war das Land mit den Behausungen von 100.000 Personen besetzt.“
Mit dieser Beschreibung als Grundlage qualifizierte der Bevölkerungsfonds der Vereinten Nationen in seinem Bericht zur Lage der Weltbevölkerung vom vergangenen Jahr die Hauptstadt Perus mit ihren 6 Millionen Einwohner*innen als „unhaltbare Stadt“. Ein Blick in die Umgebung von Lima läßt den unvorbereiteten Besucher vermuten, fehlender Wohnraum sei das Hauptproblem Limas – jener Stadt, die einst Dichter*innen und Schriftsteller*innen wegen ihrer sprichwörtlichen Schönheit inspirierte. Heute wächst sie inmitten von Unordnung, fehlender Planung und Umweltzerstörung. In Wirklichkeit ist dies aber nur eine weitere offenkundige Komponente einer seuchenartigen Krankheit, die von den Expert*innen „extreme Armut“ genannt wird.
9,6 Prozent „improvisierte Wohnungen“
Hütten, die an den Bergen kleben und offen ihre Mängel zur Schau stellen. Stinkende ärmliche Behausungen, in denen zehn bis zwölf Personen in einem Raum leben. Tausende von Menschen wohnen buchstäblich auf dem Müll. Die Ansiedlungen werden ironischerweise „junge Dörfer“ genannt und zeigen deutlich den Stand der Armut in dieser Hauptstadt. Laut dem Zensus von 1993 stieg innerhalb von 12 Jahren der Anteil der „improvisierten Wohnungen“ von 1,3 auf 9,6 Prozent. Unter diesen schönfärbenden Begriff fallen Wohnungen aus Stroh, Pappe und Plastikfolien. Die Zahl der Grundstücke, „die nicht zum Wohnen geeignet sind“, wuchs ebenfalls von rund 6.000 auf 14.000. Allein im Zentrum von Lima existieren mehr als 10.000 ärmliche Unterkünfte, die von den Behörden für Zivilschutz als unbewohnbar erklärt wurden.
Die Familie Lopez ist ein typisches Beispiel für die Entbehrungen, mit denen sich die Bewohner*innen in extremer Armut in der peruanischen Hauptstadt herumschlagen müssen. Ihre Geschichte gleicht den Geschichten von 7 der 10 „Limeños“ (Bewohner*innen von Lima), die laut Statistik als „arm“ gelten:
GelegenheitsarbeiterIn, mit Einkünften, die 100 Soles (weniger als 50 US-Dollar) monatlich nicht übersteigen. Drei Kinder, Ehefrau, Eltern und ein behinderter Bruder müssen unterhalten werden. Die Lopez leben in einer Hütte aus Stroh in einer der ärmsten Elendsviertel Limas: Bocanegra (schwarzer Schlund). Errichtet auf einer ehemaligen Müllkippe am Fluß Rímac, ist der Ort von den mehr als 32 Mülldeponien und ehemaligen Minen in der Nähe hochgradig vergiftet.
„Wenigstens sind wir in der Hauptstadt“ „Wir essen mittags in der Volksküche, ein Frühstück gibt es nicht. Für die Kleinen ja, weil sie an dem Programm 'Ein Glas Milch' teilnehmen“ (das den Kindern im Schulalter und schwangeren Frauen ein kostenloses Frühstück bewilligt), erklärt Adelaida, die Ehefrau. „Wir wissen, daß dies vor 20 Jahren eine Müllkippe war, so haben wir uns mit allem hier abgefunden“, versucht sie, zu scherzen. „Wir haben nichts, wohin wir gehen können. Manchmal denke ich, es wäre besser, wenn wir zurückgingen, aber dort ist es schlechter als hier, wenigstens sind wir in der Hauptstadt“.
Adelaida und ihr Mann Jorge stammen aus der Provinz Chimbote, der ärmsten Region des Landes. In ihrem einzigen Raum von etwa zehn Quadratmetern wohnen sie mit Hühnern, „die uns am Wochenende versorgen“, und einem Hund, „der uns vor den Ratten schützt“. Die Kälte halten sie durch mit Plastikbeuteln überzogene Matten ab, „die uns außerdem vor den Spinnen schützen.“ Drei Betten, einige Pappkartons mit Kleidung, ein Stuhl und ein Tisch, auf dem sich Hausgeräte und ein Kerosinkocher türmen, vervollständigen das Mobiliar. „Wir leben schon seit zehn Jahren so. Wir kennen es nicht anders, wir können es auch nicht“, fügt Adelaida resigniert hinzu. Bezüglich der Krankheiten hat sie eine ganz spezielle „Philosophie“: „Immer stirbt man an irgendetwas. Solange es möglich ist, muß man leben und die Ernährung der Familie sichern.“
Der Kinderarzt Augusto Arruntegui, ehemaliger Direktor der öffentlichen Wohlfahrt des Hafens von Callao, zu dem Bocanegra gehört, kennt die Situation in den Armenvierteln. Er rechnet Allergien, Atemwegserkrankungen, parasitäre Infektionskrankheiten, Tuberkulose und sogar Hirnhautentzündung zu den Krankheiten, die eine Folge der Menschenanballung sind. Man schätzt, daß in Callao bis zu einem halben Dutzend Müllkippen existieren, auf denen Wohnsiedlungen gegründet wurden. Der unerträgliche Gestank, die Mücken, der Drogenkonsum und die wachsende Kriminalität sind charakteristisch für dieses Gebiet und geben ein Bild von der Umgebung, in der Tausende von Menschen zur Welt kommen, aufwachsen und sterben.
48 Prozent der Kinder sind chronisch unterernährt
Die Zahl der chronisch Unterernährten in diesen Zonen wächst. Nach einem nationalen Zensus unter Schüler*innen im vergangenen Jahr leiden 48 Prozent von ihnen im Alter zwischen sechs und neun Jahren unter chronischer Unterernährung. Der überwiegende Teil davon, etwa 84 Prozent, lebt in den Elendsvierteln. Nach einer Studie wenden die ärmsten Familien Limas zwei Drittel ihrer finanziellen Mittel für die Ernährung auf, können sich aber nur die billigsten Grundnahrungsmittel leisten: Brot, Reis, Kartoffeln und Zwiebeln. Nudeln und Rindfleisch kommen gelegentlich bei denen auf den Tisch, denen es etwas besser geht. Früchte z.B. gibt es ganz selten.
Empfehlungen einer angemessenen Preispolitik für die Grundnahrungsmittel wie Milch, Fisch, Gemüse und Knollenfrüchte sind eine Utopie angesichts der derzeitigen Wirtschaftspolitik Perus. Übereinstimmend weisen verschiedene Bereiche darauf hin, daß die Sozialpolitik der Regierung im Bereich der extremen Armut versagt. Im vergangenen Jahr wurden nur 2,7 Prozent des Bruttosozialproduktes für die sozialen Belange dieser Sektoren aufgewendet. Laut einer Definition des peruanischen Statistikinstitutes gilt eine Person in Peru als „extrem arm“, wenn sie ihre minimalsten Bedürfnisse wie Wohnen, Gesundheit und Bildung nicht decken kann. Fast ein Viertel der 23 Millionen Peruaner*innen befindet sich in dieser Situation. „Arm“ sind demnach 53 Prozent.
Untersuchungen verschiedener Expert*innen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) weisen darauf hin, daß sich diese Situation in 20 Jahren verbessern würde, wenn das Bruttosozialprodukt um 3 Prozent jährlich stiege. Bei 5 Prozent träte die Verbesserung nach 12 Jahren ein, aber bei nur 1 Prozent würden 60 Jahre benötigt. Ein Glück für Präsident Fujimori, daß nach Schätzungen von internationalen Organisationen das Wachstum des Bruttosozialproduktes in diesem Jahr 6,8 Prozent beträgt. Doch dem gingen sechs Jahre negatives Wachstum voraus. Und eine internationale Institution wie der „Rat für wirtschaftliche Zusammenarbeit der Pazifikstaaten“ befürchtet, die wachsende politische und ökonomische Stabilität Perus werde sich wahrscheinlich „in mehr ausländischen Investitionen und im Tourismus niederschlägen, doch das hohe Armutsniveau und die Arbeitslosigkeit können andauern… Für öffentliche Ausgabenprogramme wird das Geld fehlen“.
„Wir erkennen an, daß die Regierung viel für die Terrorismusbekämpfung gemacht hat, aber es ist an der Zeit, daß sie sich auch um solche wie uns kümmert, die an Hunger sterben. Es gibt keine Arbeit. Sie nehmen uns die Hilfsprogramme weg. Wo werden wir bleiben? Was wird aus unseren Kindern?“ Das sind die verzweifelten Fragen von Adelaida Lopez. Von den Behörden erhält sie darauf zur Zeit keine Antworten.
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