Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 147 vom 14.06.1994
Inhalt
BRASILIEN
HAITI
KUBA
GUATEMALA
CHILE
PERU
PUERTO RICO
VENEZUELA
LATEINAMERIKA
BRASILIEN
Katholische Kirche kritisiert Wirtschaftsmodell
– Von Frei Betto
(Brasilien, 4. Mai 1994, Alai-POONAL).- Die brasilianischen Bischöfe haben in Vorbereitung auf die sogenannte „Brasilianische Soziale Woche“ Ende Juli einen Situationsbericht vorgelegt. In dem Dokument „Brasilien: Alternativen und Protagonist*innen“ zeichnen sie ein Bild der Nation, das in den Programmen der politischen Parteien und den Reden der Kandidaten selten so klar zu finden ist. Dem Text kommt im Wahljahr eine besondere Bedeutung zu. Er hat in Teilen eine Deutlichlichkeit, die den brasilianischen Bischöfen nicht mehr unbedingt zugetraut wurde, ist doch von einem Rückschritt der katholischen Kirche in Brasilien die Rede.
Beispielsweise verurteilen die Kirchenhierachen den Gebrauch öffentlicher Mittel durch die „traditionellen und modernen Militärautoritäten“ im Nordosten des Landes, „die ihnen erlauben, die Bündnisse aus Militärklüngel, Vetternwirtschaft und Oligarchie zu reproduzieren“. Sie klagen „die niederträchtige Gewalt der Sklavenarbeit kombiniert mit der Ausbeutung der Indios besonders in den Fabriken und Kohleunternehmen des Mato Grosso“ an. Sie bezeichnen den Demokratischen Landwirtschaftsbund (UDR) als Organisation, die „das erklärte Ziel hat, die Eigentümer*innen zu organisieren und zu bewaffnen, um die Agrarreform zu verhindern“. Die Pistoleros, die Todeslisten, die Auftragsmorde werden ebenso angeklagt wie die langen Arbeitstage „für einen Lohn, der jeden Tag weniger wert ist“. Die Bischöfe weisen auf die schlechte Wohnungssituation, fehlende Gesundheitsversorgung und mangelndes Schulangebot hin.
Attackiert wird das brasilianische Modell als solches: „Die ganze aus dieser Modernisierung hervorgegangene Entwicklung hat eine größere Konzentration des Reichtums und eine entsetzlich gewachsene Armut bewirkt. Dies ist ein Hinweis darauf, daß es eine geplante Bewegung von den Land- und Kapitalbesitzer*innen und für sie war.“ Zur Währungsreform: „Sie nützt denen, die Ersparnisse haben. Die, die nichts besitzen, werden von den Finanzmechanismen ausgeschlossen. So wird ein weiteres Mittel, vielleicht das radikalste, zur sozialen Verdrängung geschaffen. Das Land wird zwei Arten von Währungen haben: Die Währung der Reichen und die Währung der Armen. Die eine ist geschützt und kann sich anpassen. Die andere wird täglich entwertet.“
Die Bischöfe bezeichnen die Agrarreform als „unerlässliche Voraussetzung für die Demokratisierung der brasilianischen Gesellschaft“. Der Staat besitzt 250 Millionen Hektar ungenutztes Land, 285 Millionen Hektar sind in den Händen des Großgrundbesitzes. Die katholische Kirche selber verfügt über 179.000 Hektar. Im Dokument heißt es: „Das Bodeneigentum demokratisieren bedeutet Lebenschancen schaffen und gleichzeitig Gewinn und Macht teilen.“ Die Besetzung brachliegender Böden wird mit dem Prinzip „das Gemeinwohl steht über dem Privateigentum“ gerechtfertigt. Die Bischöfe fragen: „Kann man von der Bevölkerung einer demokratischen Nation fordern, sie solle das Eigentumsrecht respektieren, wenn dieses eines der größten Hindernisse für das physische und kulturelle Überleben darstellt? Wenn diese monopolistische Form des Eigentums ethisch nicht legitimiert ist, wird dann nicht die Legitimität der direkten Kämpfe derjenigen gestärkt, die das Land benötigen, um in Würde leben zu können?“
UNO: Weltweit 74. Platz für Bildungswesen in Brasilien
Am von Brasilien angenommenen Wirtschaftsmodell können die Bischöfe nichts positives finden: „Der Neoliberalismus hat nicht mehr den Traum, alle am Markt teilhaben zu lassen, sondern das Recycling und die Diversifizierung der Produktion, um diejenigen zum Konsum anzuregen, die bereits auf dem Markt sind. Die anderen, die übrig sind, müssen auf Distanz gehalten, kontrolliert und gelegentlich unterstützt werden, bis sie verschwinden.“ Der Text nennt den Widerspruch, daß Brasilien zwar die neuntgrösste Wirtschaft der Welt hat, bei den Lebensbedingungen aber vom ehemals 50. auf den 70. Platz zurückfiel. Die Weltbank gibt Brasilien in einer Liste mit 120 Ländern den 74. Platz für das Bildungswesen.
Das Dokument weist auf den Beitrag hin, den der ehemalige Minister (und jetztige Präsidentschaftskandidat mehrerer Mitte- Rechtsparteien; die Red.) Fernando Henrique Cardoso leistete, um unser Volk in Unwissenheit zu halten: Der Kongreß verabschiedete bei der Verfassungsreform sein Projekt des Sozialen Notfonds. Damit wird die Regelung aufgehoben, mindestens 18 Prozent der eingenommenen Steuern für die Bildung bereitzustellen, die Hälfte davon für die Abschaffung des Analphabetismus. Die Bischöfe meinen: „Die blinde Herrschaft der angeblichen 'Gesetze' des Marktes verfielfachen die Möglichkeiten des Phänomens, in einem Land zwei Nationen zu schaffen: auf der einen Seite eine Gruppe Previlegierter, auf der anderen Seite eine Masse von Lohnarbeiter*innen ohne Qualifikation und ohne Fähgikeit, dem internationalen Wettbewerb die Stirn zu bieten.“ Die katholische Kirche spricht in dem Dokument von einer „ethisch umgestülpten“ Gesellschaft: „Anstatt daß der Mensch das Ziel ist, ist das Kapital das Ziel. Die menschliche Person wurde zum Mittel. In der kapitalistischen Gesellschaft ist das Subjekt das Kapital, die menschliche Person dient zur Verwirklichung dieses Subjektes.“ Die Bischöfe fordern, diese Entwicklung wieder umzudrehen.
Katholische Kirche fordert kostenlose Grundschulen
Der Bund der brasilianischen Bischöfe schlägt konkrete Maßnahmen gegen die politische Krise des Landes vor: Stärkung der Volksorganisationen; stärkere Beteiligungsmöglichkeiten der Bevölkerung bei Entscheidungen über die Verwendung öffentlicher Gelder; Kontrolle der gewählten VertreterInnen; Einschränkungen der Immunität der Abgeordneten bei der Ausübung ihres Mandates; ein Ende des Bankgeheimnisses bei der Ausübung öffentlicher Ämter; Schaffung und Stärkung von Gremien der Zivilgesellschaft mit Beratungsrecht.
Im Abschnitt über das Bildungswesen wird eine absolut kostenlose Grundschule (primaria) gefordert, „sowohl in den staatlichen Schulen wie in den Gemeindeschulen, den konfessionellen und den philantrophischen Schulen. Auf Gewinn ausgerichtete Schulen müssen ausgeschlossen sein“. In dem Dokument sind zahlreiche Vorschläge enthalten, die sich auf das Bildungswesen beziehen: ein Verbot der Beschäftigung Minderjähriger während der Schulstunden; ein garantiertes Mindesteinkommen für Familien mit Kindern; ein effizientes Inspektorensystem für das Erziehungswesen; vollständiger Unterricht an allen öffentlichen Grundschulen des Landes; die Garantie eines „würdigen Lohnes“ in allen Bundesstaaten für die LehrerInnen; die Verpflichtung für die Universitäten, Lehrer*innen auszubilden und (nach deren Aufenthalt an Schulen) wieder aufzunehmen; Bibliotheken an jeder Schule und die kostenlose Verteilung des Schulmaterials an alle SchülerInnen; ein nationales System für den Fernunterricht, das Fortbildungskurse für die Bevölkerung anbietet; ein Universitäts- Alphabetisierungsprogramm, bei dem alle Student*innen aller Ausbildungswege an Alphabetisierungsprogrammen für die Erwachsenen teilnehmen.
Am Ende des Dokumentes machen die Bischöfe selber auf das Wahljahr aufmerksam. Es müsse „politische Übung für die Präsentation und die Debatte sein“ und zur „Wahl eines alternativen Projektes – strategisch und volksnah“ führen, „fähig, die unerlässlichen Veränderungen zu fördern, die das Brasilien, das wir wollen, Wirklichkeit werden lassen“.
HAITI
Malval preist Francois Duvalier und Pinochet
(Port-au-Prince, 6. Juni 1994, Hib-POONAL).- Der ehemalige haitianische Premierminister Robert Malval hat in einem Radio- Interview General Raoul als Überbleibsel aus der Zeit Jean-Claude Duvaliers angegriffen. Überraschenderweise lobte er aber dessen Vater, den Diktator Francois Duvalier, als wahren „Staatschef“. Über Chiles General Augusto Pinochet sagte er, dieser habe trotz der von ihm überwachten und organisierten Unterdrückung eine „Vision“ für sein Land gehabt. Malval bekundete weiterhin, daß die haitianische Bevölkerung eine Intervention eher unterstützen als zurückweisen würde.
UNO-Funktionär tritt aus Protest zurück
(Port-au-Prince, 6. Juni 1994, Hib-POONAL).- Der Direktor des UN- Entwicklungsprogramms auf Haiti, Juan Luis Laraburre kündigte gegenüber der haitianischen Presseagentur AHP seinen Rücktritt an. Nach 21 Jahren im Dienst der UNO wolle er seinen Posten wegen der negativen Rolle der Organisation in der Krise quittieren. Laraburre, der in fünf Jahre pensioniert worden wäre, kritisierte den Einfluß „gewisser großer Mächte“ in der UNO. Er sagte: „Meine Ideen und die, die andere in der UNO vorschlugen, waren radikal verschieden.“ Die Vereinbarung von Governor's Island scheiterte seiner Meinung nach, weil anti-demokratische und verfassungstreue Kräfte „zwei Monate lang gleichzeitig existierten“. Er glaube, der Rücktritt der Militärführer hätte „der erste Schritt“ in der Vereinbarung sein müssen.
Beobachter*innen an Straßenblockade angegriffen
(Port-au-Prince, 10. Juni 1994, Hib-POONAL).- Bewaffnete Polizisten und ihre Helfer griffen am 9. Juni nachts eine Gruppe ziviler Beobachter*innen und zwei Leibwächter der Internationalen Zivilen Mission von UNO und OAS an. In beiden Fällen stießen sie Drohungen aus und raubten den Angegriffenen ihre Kommunikationsausrüstung. In derselben Nacht verschwand in der Nähe der Straßenblockade, die die Angreifer aufgebaut hatten, ein Mitarbeiter einer Entwicklungshilfeorganisation mitsamt seinem Auto. Er tauchte am folgenden Tag im Nationalgefängnis wieder auf. Nach einer Intervention der kanadischen Botschaft wurde der Mann mit haitianisch-kanadischer Staatsangehörigkeit freigelassen. Eine neue Gruppe, die sich „Organisation 1804“ nennt, kündete am 10. Juni die „Eliminierung aller Ausländer“ für den Fall einer Invasion an.
Bereiten USA die Intervention vor?
(Port-au-Prince, Juni 1994, Hib-POONAL).- Die US-Medien richten sich immer mehr auf eine Intervention auf Haiti ein. „Optionen abwägen…“ beginnt ein Artikel, ein Kommentar der New York Post spricht von der „Beinahe-Invasion“. Viele Artikel von Puerto Rico, aus North Carolina und von den Bahamas berichten über US-Manöver. Währenddessen werden die Truppen in Guantanamo (Marinestützpunkt der USA auf Kuba; die Red.) aufgebaut. Die Flotte vor der (haitianischen) Küste – scheinbar dafür zuständig, Flüchtlinge zu stoppen und Embargo-Brecher zu bedrohen – wächst und wird mit Schnellbooten vervollständigt.
Die US-Regierung und die Botschaft auf Haiti lassen es an täglichen Hinweisen auf die Möglichkeit der Gewaltanwendung nicht fehlen. Als Präsident Jean-Bertrand Aristide am 2. Juni von der Internationalen Gemeinschaft eine größere Entschlossenheit forderte, brachte die New York Times eine grosse Story: „Aristide zweifelt an den Sanktionen und fordert US-Aktion auf Haiti“. Auf Haiti haben zwei der drei großen US-Fernsehanstalten Teams und Nachrichtenstudios, komplett mit Satellitenverbindung eingerichtet. Was sollte die Öffentlichkeit und besonders die Freunde Haitis von den Schlagzeilen, Talkshows und Nachrichten denken? Wägen die USA wirklich „Optionen“ ab? Vielmehr scheinen sie schon entschieden zu haben.
Schon Bolívar sah bestimmende Rolle der USA voraus
Seit der Monroe-Doktrin von 1823 sind die USA überall in ihrer Hemisphäre eingefallen oder haben sich eingemischt, wenn sie ihre Interessen bedroht sahen. 1829 sagte Simón Bolívar voraus, die USA seien „dazu bestimmt, unseren Kontinent im Namen der Freiheit zu quälen und zu peinigen“. Noam Chomsky schreibt in 'Abschreckende Demokratie': „Wenn die Sicherheitskräfte unter Kontrolle sind, können die Todesschwadronen losgelassen werden während wir (die USA) die Hände ringen über unsere schmerzende Unfähigkeit, unsere Leidenschaft für die Menschenrechte in die Herzen unserer unwürdigen Verbündeten zu bringen… Es werden andere Mittel erforderlich, wenn die Kontrolle über die Sicherheitskräfte verloren ging…“
Im Moment sind die „anderen Mittel“ das Embargo, eingefrorene Gelder, abgewiesene Visa und drohende Rethorik. Aber die Regierung, die immer noch nicht die führenden Familien der Elite angreifen will, scheint ihr Scheitern bereits akzeptiert zu haben. Selbst mit den neuen Sanktionen wird das Embargo zwar das Regime weiter isolieren, aber niemanden stürzen. Darum müssen andere „andere Mittel“ vorbereitet werden.
Seit dem Staatsstreich vor 32 Monaten haben sich die politischen Kräfte neu geordnet. Viele der Parteien, die den Putsch unterstützen, kritisieren nun offen die Armee und ihre neue Marionettenregierung. Parteien, Gewerkschaften und Organisationen versuchen Koalitionen zu bilden, die zwei Jahre früher niemand vorhergesehen hätte. Ein Abgeordneter, der Aristide 1991 „Satan“ und „Lucifer“ nannte, hat sich der verfassungsmässigen Regierung angeschlossen und klagt die Militärs fast täglich im Radio an. An der Menschenrechtsfront geraten die Streitkräfte und ihre paramilitärischen Helfer*innen zunehmend unter Druck, während die US-Botschaft und die Regierung ihre Gewalttaten herunterzuspielen suchen.
Die Wirkungen der 32monatigen wirtschaftlichen Stagnation, das neue Embargo, die zehntausende im Land Vertriebenen und die ständige Unterdrückung fordern ihren Zoll von der Bevölkerung. Trotzdem wurde an der Organisation des Widerstands festgehalten. Priester rufen offen zur Rückkehr Aristides auf, Bäuerinnen und Bauern treffen sich heimlich, Flugblätter und Bulletins zirkulieren und die Füher*innen des Widerstands attackieren das Regime über das Radio. Trotz der bösartigen Desinformationskampagne der Militärs unterstützen das Land und die ganze Welt weiterhin den Präsidenten Aristide.
Die Lage ist seit langer Zeit potentiell explosiv. Jetzt haben die Armee und ihre Hilfsbanden offensichtlich ihre Nützlichkeit verloren – zumindest zeitweise. Anstatt Stabilität zu garantieren, so wie es von den Streitkräften Lateinamerikas erwartet wird, könnten sie zu einer deutlichen Instabilität beitragen, die nicht mehr dienlich wäre, die US-Interessen auf Haiti zu verteidigen. Zudem hat Bill Clinton seine eigenen Probleme. Es erscheint, als ob er kein Konzept für seine Außenpolitik habe, er verliert zuhause mehr und mehr Glaubwürdigkeit. Mit den (Kongreß-)Wahlen im November sieht er einer Niederlage entgegen, wenn die Kongreßgruppe „Black Caucus“ und andere traditionelle Flügel der Demokraten seine Haiti-Politik weiter kritisieren.
US-Öffentlichkeit noch nicht bereit zur Invasion
Unglücklicherweise für Clinton ist die US-Öffentlichkeit jedoch noch nicht bereit für eine Intervention auf Haiti. Frühere Umfragen zeigten eine Zustimmung von nur 11 Prozent. Eine weniger lang zurückliegende Umfrage weist Werte über der 20-Prozentmarke auf. Aber das ist noch zu niedrig nach den Bildern von den Leichen der US-Soldaten, die durch die Straßen von Somalia gezogen wurden. Die Regierung muß die öffentliche Unterstützung mobilisieren.
Wie? Mit sorgfältigen Gerüchten, Umfragen, Versuchsballons, Kolumnen wichtiger politischer Persönlichkeiten, Talkshows, ständig auf den neuesten Stand gebrachten Zahlen der Opfer, leidenden Kindern, brutalen Gangstern, drogenhandelnden und „moralisch abstoßenden“ Eliten. Berichte wie „Drogenhändler nehmen Haiti ins Visier“ weichen die öffentliche Meinung auf. Unterdessen machen zahlreiche Reportagen über Manöver in der Region aus der militärischen „Option“ eine gangbare Möglichkeit.
Ein wichtiger Artikel erschien in der New York Times auf der Titelseite. Mit dem Untertitel „Niederwerfung wird als einfach angesehen“ führte der Artikel aus, wie eine Intervention der USA aussehen könnte und welche Bedingungen sie vorfinden würde. Der Autor folgerte, einmal auf Haiti gelandet, müßten US-Soldaten oder besser eine zweite Gruppe – aus lateinamerikanischen und karibischen Truppen – die Ordnung vielleicht „für lange Zeit aufrecht erhalten“. (Die Öffentlichkeit würde die Invasion bereitwilliger akzeptieren, wenn es sich für die US-Soldaten um eine zeitlich begrenzte Aktion handeln würde und die „Aufräumarbeiten“ anderen überlassen würden.) Unterdessen hat der neue US-Botschafter William H. Grey Freundschaftsanrufe in der Karibik unternommen – vielleicht, um von Haitis Nachbarn Truppen oder politische Unterstützung zu rekrutieren.
Die Vorbereitungen und Schlagzeilen sollten nicht auf die leichte Schulter genommen werden und müssen ständig im Kontext der US- Politik geprüft werden. Dort können und werden die „anderen Mittel“, eine Invasion, ein „chirurgischer Eingriff“ oder wie es auch genannt wird, niemals die „Wiederherstellung der Demokratie“ auf Haiti oder in irgendeinem anderen Land der Hemisphäre bedeuten. Jahrzehnte der US-Geschichte betrachtend, kann es sich nur um eins handeln: die US-Vorherrschaft in der politischen und wirtschaftlichen Landschaft wiederherzustellen oder zu sichern. Die Freunde Haitis sollten achtgeben und die USA sowie die UNO aufrufen, das Recht Haitis auf Selbstbestimmung zu achten.
KUBA
Die Insel fördert Investitionen aus dem Ausland
– Von Eduardo Klinger Pevida*
(Havanna, 7. Juni 1994, prensa latina-POONAL).- Anfang der 80er Jahre machte der Außenhandelsanteil Kubas mit marktwirtschaftlich orientierten Ländern noch 40 Prozent aus. Mit der Verschärfung der anti-kubanischen Politik, die die Reagan-Regierung anwandte, gingen die Wirtschaftsbeziehungen zu diesen Ländern zurück. Der Handel mit der ehemaligen Sowjetunion und dem Rest der sozialistischen Länder in Europa stieg auf 85 Prozent der außenwirtschaftlichen Beziehungen an. Daher rührt die ungeheure Wirkung, die das Verschwinden der traditionellen Geschäftspartner für die Insel hatte. Die neue politische Situation führte zu einem dynamischen Öffnungsprozeß und zu größerer Flexibilität gegenüber dem Auslandskapital. Inzwischen sind mehr als 125 Vereinbarungen über eine Zusammenarbeit zwischen ausländischen und kubanischen Unternehmen getroffen worden. Mehr als hundert weitere Verträge werden zur Zeit verhandelt.
Die Strategie Havannas besteht darin, die Produktpalette gegenüber dem Ausland zu erweitern, speziell mit neuen Produkten, die die nationale Forschung entwickelt hat. Gleichzeitig geht es um traditionelle Bereiche: wo es effizient ist, sollen aufgrund fehlender Mittel brachliegende Kapazitäten mit der Beteiligung ausländischer Hilfe wieder in Betrieb genommen werden. Da es zu den wichtigsten internationalen Finanzquellen keinen Zugang gibt, eröffnet die Verbindung mit dem Auslandskapital wichtige Möglichkeiten.
Die Bedingungen, die Kuba bietet, sind günstig: Die Arbeitskräfte sind außergewöhnlich qualifiziert. Die Verhandlungen werden auf der Basis des gegenseitigen Nutzens geführt. Jeder Vorschlag wird ohne Vorurteile oder vorherige Einschränkungen geprüft. Die ausländischen Investor*innen haben Vorteile, die sie auf der internationalen Wirtschaftsebene selten vorfinden. Wenn eine bestehende Infrastruktur reaktiviert wird, amortisiert sich die Investition schnell. Außerhalb des Tourismus gibt es zahlreiche Geschäftsmöglichkeiten in verschiedenen Branchen wie beispielsweise dem Maschinenbau, der Chemie und der Landwirtschaft. In Verbindung mit dem Privatkapital werden weitere Banken auf Kuba eröffnet. Seit einigen Montaten operieren mit privater Beteiligung bereits der „Financiero Internacional“ und die „Comercial Internacional“.
Nach wie vor bestehen Befürchtungen, in einem Land zu investieren, das einen der radikalsten und umfassendsten Nationalisierungsprozesse ausländischer Investitionen durchführte – auch wenn (damals) eine Entschädigung angeboten wurde. Doch diese Ereignisse sind nur vor dem Hintergrund eines komplizierten historischen Momentes zu verstehen. Jetzt wird die Präsenz des Auslandskapitals von der Führung des Landes als wichtiges Ziel angesehen. Die Regierung muß sich der Herausforderung stellen, das Vertrauen der ausländischen Unternehmer*innen zu gewinnen. Darum hat sie gesetzliche und institutionelle Maßnahmen ergriffen, die auf volle Garantien und Sicherheiten ausgerichtet sind: – ein Gesetzespaket, das alle Aspekte über die Arbeits- und Funktionsmechanismen des ausländischen Kapitals behandelt; – Verfassungsänderungen, die im Juli 1992 verabschiedet wurden und dem ausländischen Kapital volle Garantien einräumen; – Regierungsabkommen mit bilateralen Garantien für Investitionen im jeweils anderen Land.
Die Kubanische Führung geht diesen Öffnungsprozeß mit neuer Flexibilität und Pragmatismus an, indem sie jedes festgefahrene Schema vermeidet. Sie gibt ihre fehlende Erfahrung zu und sieht die Dynamik und das Neue dieser Entwicklung. Darum hat sie sich nicht dafür entschieden, ein umfassendes Regulierungssystem festzulegen, sondern die weitere Entwicklung entscheiden zulassen. *Der Autor ist Professor am (Kubanischen) Institut für Internationale Beziehungen.
GUATEMALA
Militärs üben sich in Parteipolitik
– Von Ileana Alamilla
(Mexiko-Stadt, 7. Juni 1994, cerigua-POONAL).- Die guatemaltekischen Militärs im Ruhestand versuchen, von ihrem Image als Repressionsmacht loszukommen, indem sie in der aktuellen Parteipolitik engagieren. Einige suchen die Zustimmung der USA, andere nutzen die Infrastruktur religiöser Sekten und wieder andere profitieren von der Unterstützung kleiner Lokalparteien in den Zonen, die von den Streitkräften kontrolliert werden. Nach dem gescheiterten Staatsstreich vom Mai 1993 traten die konzeptionellen Meinungsverschiedenheiten, wie die Guerilla zu besiegen sei, zu Tage.
General Gramajo, der Verteidigungsminister während des christdemokratischen Regimes von Vinicio Cerezo (1986-1990), ist ein deutliches Beispiel für die „neuen“ Militärs. Er erfand die These von der „nationalen Sicherheit“, an der sich die gesamte Staatspolitik derzeit orientiert. Sie plant die politisch- militärische Niederlage der Aufständischen durch soziale, wirtschaftliche und politische Reformen. Die Strategie sieht zudem die physische Vernichtung von nur 30 Prozent statt 100 Prozent der Oppositionellen vor (so äußerte sich Gramajo als Verteidigungsminister, um sich von den Anhängern des „totalen Krieges“ abzugrenzen; die Red.).
Laut nordamerikanischen Beobachter*innen wie Noam Chomsky ist Gramajo der Mann des US-Außenministeriums für die Wahlen von 1995. Der General wurde für seine Aufstandsbekämpfungsarbeit im Rahmen der US-Strategie des „Krieges niedriger Intensität“ mit einem Stipendium an der Harvard-Universität belohnt. Jetzt widmet er sich der politischen Arbeit, die darauf abzielt, als Präsidentschaftskandidat für die Christdemokraten anzutreten.
Efraín Ríos Montt sucht Unterstützung bei einer Sekte
Ein anderer Fall ist der General Efraín Ríos Montt. Die Verfassung verbietet ihm als Putschisten (1982/83 an der Macht) zwar, um die Präsidentschaft zu konkurrieren, wie er es 1990 trotzdem versuchte, doch jetzt begnügt er sich damit, für einen Abgeordnetensitz zu kandidieren. Ríos Montt gehört zu den Militärs, die für die Aufstandbekämpfungspolitik der „verbrannten Erde“ verantwortlich sind. Diese wurde zu Beginn der 80er Jahre angewandt. Damals ging die herrschende Doktrin davon aus, 100 Prozent der Oppositionellen zu töten. Jetzt stellt sich Montt als „Volks“-Kandidat dar, der durch seine fundamentalistische Sekte „El Verbo“ (Das Wort) unterstützt wird.
Wie diese erwähnten Militärs kandidieren auch andere für Bürgermeisterämter oder Abgeordnetensitze. Meistens geschieht es in Landstrichen, die unter der Kontrolle der Armee und der paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC) stehen. Dies ist der Fall bei General Oscar Mejía Victores. Dieser General, der Ríos Montt absetzte, brachte den Plan der Nationalen Sicherheit in Gang, indem er 1985 zu Präsidentschaftswahlen aufrief. Vorher hatte er die Verfassung für die Weiterführung der Aufstandsbekämpfungsstrategie angepasst. Mejía Victores ist momentan Abgeordnetenkandidat für die Partei Front der Nationalen Einheit (FUN). Dazu kommt die neue Militärspitze, die die Verhandlungen mit der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) anführt. Sie fördert ihre „Kader“ im Inland und Ausland. Dort erhalten sie Beratung und Ausbildung. Vor allem in der Menschenrechtsmaterie, wie es der Oberst Otto Noack gegenüber der Presse enthüllte. Jetzt nehmen die Streitkräfte an Friedensforen teil. Gleichzeitig führen sie eine Unterdrückung niedriger Intensität aus. Selektive Morde, Todesdrohungen, Einschüchterungen in den Rückkehrgebieten der Flüchtlinge sind einige wenige Beispiele des doppelten Gesichtes der Militärs. Zuguterletzt sind die reaktionärsten Flügel zu nennen. Gerüchten zufolge verschwören sie sich, um im geeigneten Moment die Kontrolle zu übernehmen oder zumindest, um mit den Günstlingen Washingtons (wie Gramajo oder Victores; die Red.) unter besseren Bedingungen verhandeln zu können. Besonders jetzt, wo der Verhandlungsprozeß mit der Wahrheitskommission droht. Denn einige Militärs haben mehr Blutflecken an ihrer Uniform als andere.
Wieder geheimer Friedhof entdeckt
(Guatemala, 9. Juni 1994, NG-POONAL).- In der Gemeinde 'Plan de Sánchez' in der Provinz Baja Verapaz begann die Ausgrabung eines weiteren geheimen Friedhofes. Auf ihm sind die Überreste von 200 Campesinos begraben, die am 18. Juli 1982 einem Massaker zum Opfer fielen, das nach Zeugenaussagen paramilitärische Zivilpatrouillen und Soldaten verübten. Damals regierte der durch einen Putsch an die Macht gekommene General Efraín Ríos Montt.
Am 23. Mai hatte es erste Hinweise auf drei Massengräber an dem Ort gegeben. Nachdem Familienangehörige der Opfer und Zeugen befragt wurden, wird jetzt von mindestens 26 Massengräbern ausgegangen. Der Ausgrabung wohnen neben den Familienangehörigen der guatemaltekische Menschenrechtsbeauftragte García Laguardia, Vertreter*innen der Staatsanwaltschaft, die Nationalpolizei und Menschenrechtsaktivist*innen bei.
USA erschweren Waffenkauf
(Guatemala, 9. Juni 1994, NG-POONAL).- Der stellvertretende Innenminister Oberst Mérida macht den Einfluß der USA auf andere waffenproduzierende Länder dafür verantwortlich, daß Guatemala Schwierigkeiten hat, die Nationalpolizei auszurüsten. Mérida erklärte: „Wir können ihren Einfluß auf den Rest der Welt nicht leugnen.“ Mehrere Länder, darunter beispielsweise Belgien und Deutschland, die die Nationalpolizei ausrüsten wollen, hätten ihr Angebot später zurückgezogen. Die USA haben den Waffenverkauf an Guatemala wegen der Menschenrechtsverletzungen verboten. (Das hindert sie aber nicht an gemeinsamen Manövern in Guatemala; die Red.)
CHILE
D-Day in Chile: Der Krieg der Telenovelas
– Von Claudia Corvalán
(Santiago de Chile, 1. Juni 1994, Sem-POONAL).- Jedes Jahr aufs neue, besonders in den letzten beiden Jahren, nimmt buchstäblich die gesamte chilenische Bevölkerung an einem Ereignis teil: Es nennt sich „Krieg der Telenovelas“ und ist auch in anderen lateinamerikanischen Ländern anzutreffen. Und es ist wirklich eine Art Krieg mit zwei Parteien, die sich bis aufs Messer bekämpfen, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu bekommen.
Die Protagonisten sind der private Fernsehsender „Católico de Chile“ und der staatliche Sender „Televisión Nacional de Chile“. Der Sieg bestimmt, wie ein Großteils des Fernsehprogramms aufgenommen wird, vor allem die Nachrichtensendung, die auf beiden Kanälen direkt nach den (fast zeitgleich gesendeten) Telenovelas kommt. Das „rating“, die Zuschauerzahl, ist die tödliche Waffe, die über Sieger und Verlierer entscheidet. Wie nie zuvor hatten die Telenovelas dieses Jahr einen „lauten“ Start. Die nationalen Tageszeitungen bezeichneten den ersten Sendetag beider Produktionen als D-Day. Der (katholische) Kanal 13 debütierte mit „Champagne“. Es ist die Geschichte um ein vor Jahren begangenes Verbrechen, das immer noch in den Köpfen der Hauptpersonen herumspukt. „Rompecorazón“ (Herzensbrecher) heißt die Produktion des staatlichen Kanal 7. Sie handelt von parallelen Liebesbeziehungen, ihren Risiken und Reizen. Der Anfang: ein Verlobter, der nicht vorm Altar erscheint und ein Millionär, der finanziell den totalen Schiffbruch erleidet und offensichtlich seinen Selbstmord vorbereitet.
Schauspieler*innen werben in der Einkaufszone
Wochen vor dem Start begann der Kampf um die Marktanteile. Das Publikum wurde mit Propaganda beider Telenovelas bombardiert: Plakate in den Straßen, in der Metro, auf den Bussen. Werbespots unterbrachen die Programme, um Auszüge der Produktionen zu zeigen. Hostessen verteilten Sticker und Hemden mit dem Logo der Telenovelas. Am morgen vor dem D-Day wurden noch einmal die Schauspieler*innen selber für die Werbung eingespannt. Die sensationellste Werbung machten zweifellos die Akteur*innen von „Rompecorazón“ in einem riesigen Geschäftszentrum der Hauptstadt. Inmitten der Hysterie ihrer Bewunderer*innen präsentierten sich die Helden und Heldinnen der Serie. Über gigantische Lautsprecher war die bereits berühmte Erkennungsmelodie der Telenovela zu hören. Hunderte von Personen erhielten Geschenke. Mit dem Beginn der Serien endete die Werbung nicht. Sie wird noch einige Zeit in den Tageszeitungen, Zeitschriften, Radios, in den Straßen und auf dem Bildschirm weitergehen.
Teile der Bevölkerung kritisierten die Aufmerksamkeit für so „frivole“ Programme. Chile gilt in der ganzen Welt als Modell für neoliberale Wirtschaftspolitik. Das Wirtschaftswachstum brachte dem Land Beinamen wie „Jaguar, Drache“ oder „Tiger“ ein. Doch erstaunlicherweise gibt es in Chile nach offiziellen Angaben jedoch vier Millionen Arme, von denen eine Million in absoluter Armut lebt. Zu Beginn dieses Jahres stieg der monatliche Mindestlohn auf gerade einmal 38.000 Pesos (90 US-Dollar). Die Umfragen geben bisher „Rompecorazón“ den Sieg in der „großen Schlacht“. In den Straßen Santiagos ist praktisch jeder bereit, seine Meinung über das Phänomen, das sich keiner entgehen lassen will, zu sagen. Die Chilen*innen werden sich am Ende für eine der beiden Telenovelas entscheiden und – sei es auch nur für eine Stunde – die alltäglichen Probleme vergessen.
PERU
Frauenquotierung in MDI
(Peru, Juni 1994, fempress-POONAL).- Wahrscheinlich von den Vorschlägen der peruanischen Feministinnen inspiriert führte die Linkspartei MDI auf ihrem jüngsten Kongreß die Frauenquote ein. In den Führungsgremien auf nationaler Ebene müssen die Frauen ab jetzt einen Anteil von mindestens 30 Prozent haben. Sie wurde bereits für das neue Parteikomitee angewandt, das auf dem Kongreß gewählt wurde. Die Medien hoben den Fortschritt für die interne Demokratie der Parteien hervor. Einige Kommentator*innen forderten sogar andere politische Organisationen auf, dem Beispiel der MDI zu folgen.
PUERTO RICO
Frauenkommission nicht mehr autonom
(Puerto Rico, Juni 1994, fempress-POONAL).- Trotz starker Proteste der Frauenbewegung und des Parlaments legte Regierungschef Pedro Roselló die Kommission für Frauenangelegenheiten mit vier weiteren Staatsinstitutionen in der Kommission für BürgerInnenrechte zusammen. Als ob er einen Trostpreis vergeben wollte, stellte er die Feministin Albita Rivera von der Kommission für Frauenangelegenheiten an die Spitze seiner Neuschöpfung. Es muß abgewartet werden, welche Wirkungen der Autonomieverlust der Frauenkommission hat. Sie leistete mehr als 20 Jahre wichtige Dienste.
VENEZUELA
Staat bestreitet Schwierigkeiten bei der Familienplanung
(Venezuela, Juni 1994, fempress-POONAL).- In Venezuela bringen nach offiziellen Angaben Mädchen unter 15 Jahren jährlich 5.000 Kinder zur Welt. 108.000 Kinder werden jedes Jahr von Müttern unter 18 Jahren geboren. Die staatliche Familienplanung erreicht nicht einmal 11 Prozent der Frauen im gebärfähigen Alter. Sexualerziehung bleibt ein Tabu im Schulunterricht. Jedes Jahr sterben 11.000 Frauen bei heimlichen Abtreibungen. Etwa 2 Millionen Kinder sind aufgrund fehlender Sorge der Eltern verwahrlost. Dennoch bezeichnete die Familienministerin Mercedes Pulido de Briceño den Vorschlag einer US-Delegation, Gesetze festzulegen, die die Abtreibung als Teil der Familienplanung unterstützen, in der Presse als „eine Einmischung in die nationale Gesetzgebung“.
LATEINAMERIKA
Gewalt gegen Journalist*innen ist an der Tagesordnung
– Interview mit Luis Suárez, Generalsekretär der Latein-
amerikanischen JournalistInnenföderation (FELAP)
(Mexiko-Stadt, 31.Mai 1994) Die „Lateinamerikanische JournalistInnenföderation“ (FELAP) ist der mit Abstand größte Zusammenschluß von Journalist*innen des Kontinents. Der Organisation mit Sitz in Mexiko gehören 27 nationale Gewerkschaften, Verbände und Vereinigungen an. Zusammen repräsentieren sie weit mehr als 100.000 Journalist*innen. Auch POONAL ist Mitglied der FELAP. Ein POONAL-Mitarbeiter sprach mit dem Generalsekretär der Organisation, dem ehemaligen Spanienkämpfer und nationalisierten Mexikaner Luis Suárez López (76), über die FELAP.
Frage: Wie ist die FELAP entstanden? Welche Entwicklung hat sie genommen?
Suárez: Sie gründete sich 1966 in Mexiko. Damals waren viele der Organisationen, die beitraten, durch exilierte Journalist*innen vertreten. Es war die Zeit, als die Diktaturen auf dem Kontinent vorherrschten. Als sich glücklicherweise mehr oder weniger – in relativen Dimensionen gesprochen – die demokratischen Freiheiten etablierten, kehrten viele dieser Journalist*innen in ihre Länder zurück. So sind jetzt alle Mitgliedsorganisationen der FELAP in ihren (eigenen) Ländern, haben dort ihre gewählten Gremien gemäß den Verfassungs- und Gesetzesnormen. Einige waren allerdings immer schon wirkliche Widerstandsorganisationen während der Epoche der Diktaturen. Ich nenne als Beispiel die JournalistInnenvereinigung Chiles, die ein Abkommen mit der FELAP hatte, aber in der Pinochetperiode nicht (offiziell) Mitglied war.
Im Moment hat die Felap 27 Mitgliedsorganisationen. Bei der letzten Sitzung des Exekutivkomitees der FELAP – vom 8. bis 10. Mai 1994 in Buenos Aires – traten fünf neue Organisationen bei. Eine aus El Salvador, die chilenische JournalistInnenvereinigung, die ihre Mitgliedschaft formalisiert hat, die FENAPE aus Ecuador, in der so gut wie alle Journalist*innen dieses Landes organisiert sind und der JournalistInnenverband Perus. Dazu kommt die UTBA aus Argentinien. Sie war bereits vorher über eine andere Organisation dabei. Jetzt ist sie auf Beschluß ihrer Basis mit ihren etwa 10.000 Mitgliedern direkt bei uns. Im letzten Jahr kam der JournalistInnenverband aus Puerto Rico dazu.
Frage: Wie würden Sie in wenigen Worten die Arbeitsweise und die Aufgabe der FELAP definieren?
Suárez: In erster Linie ist es eine Koordinationsarbeit, bei vielen Sachen haben wir eine gemeinsame Präsenz. Zur Zeit ist die Hauptaufgabe der FELAP der Schutz für die Journalist*innen bei gefährlichen Missionen. Wenn sie ihre Pflicht erfüllen, bringt das Risiko mit sich. Wenn es möglich ist, versuchen wir die Agressionen aufzuhalten, die sich gegen die Journalist*innen richten. Es muß garantiert sein, daß sie an die Orte des Geschehens kommen, daß sie den Zugang zu den Informationsquellen haben, daß sie keinen Repressalien ausgesetzt werden, weil sie die Wahrheit berichten und es mit sozialer Verantwortung tun. Vor allem fordern wir, daß die Verbrechen gegen die Journalist*innen, die Attentate gründlicher untersucht werden. Der größte Teil davon wird nicht aufgeklärt und es gibt keine Bestrafung. Wir können sagen, Lateinamerika hat das traurige Priveleg der meisten ermordeten Journalist*innen. Seit 1970 sind nach unseren Statistiken 538 umgekommen, Ermordete oder Verschwundene zusammengezählt.
Frage: Wie ist die Tendenz der letzten Jahre? Nimmt die Gewalt gegen Journalist*innen eher zu oder ab?
Suárez: Von Land zu Land gibt es Unterschiede. Die Situation in Kolumbien, Peru oder Argentinien ist nicht die gleiche. In Argentinien sind während der Diktatur 89 Jouurnalist*innen verschwunden, das ist jetzt nicht mehr so. Aber insgesamt – auch wenn es Länder gibt, in denen es mehr oder weniger ruhig ist – ist die Situation schlimmer geworden. Verschärft hat sich die Lage besonders in Kolumbien und Peru. Das geht mit der Verschärfung der Konflikte allgemein einher: die wirtschaftlichen und die sozialen Konflikte, auch die gewaltsamen Formen des Kampfes. Dazu haben vor allem die wirtschaftlichen Einschränkungen geführt, an denen die Gesellschaft wegen der Folgen der neoliberalen Politik leidet, die in vielen Teilen Lateinamerikas angewendet wird.
Frage: Mord ist die brutalste Form der Gewalt. Welchen anderen Arten der Agression sind Journalist*innen in Lateinamerika ausgesetzt?
Suárez: Da ist vor allem die Form die Drohung. Die Drohungen gehen in der Regel schwereren physischen Angriffen voraus. Die Folge ist eine Einschüchterung der Journalist*innen. Sie soll verhindern, daß sie aktiv werden. Es existiert das Phänomen der Selbstzensur, obwohl es offiziell keine Zensur gibt. Die Verbrecher aus den paramilitärischen Organisationen, den Mafiagruppen und auch aus Teilen öffentlicher und privater Stellen nutzen das aus, damit viele Dinge im Dunkeln bleiben. Die Journalist*innen haben ihre Familienangehörigen, ihre Arbeit, etc. Sie wissen: Sage ich etwas, dann passiert dies.
Frage: Wer sind im Regelfall die Verantwortlichen der Rechtsverletzungen? Die Regierungen selbst, der Staatsapparat, Militärs, andere Gruppen?
Suárez: Man kann das nicht generalisieren. Es ist meist unmöglich, einen bestimmten Staatschef direkt für ein bestimmtes Attentat verantwortlich zu machen. Einige Regierungschefs verstellen sich, versteigen sich sogar so weit, sich als Garanten für die Freiheit und die Arbeit der Journalist*innen darzustellen. Aber sie verschanzen sich hinter den schlimmsten ihrer Polizisten, um stets einen Schuldigen zu finden, der sie nicht selber sind.
„Die Aktionen kommen in erster Linie von den Todesschwadronen“
Es ist das allgemeine Klima der Unsicherheit, das auch die Journalist*innen betrifft. Im Falle Mittelamerikas und einiger anderer Länder gehen wir von Folgendem aus: Die Aktionen in einer (insgesamt) unterdrückerischen Atmosphäre kommen hauptsächlich von den Todesschwadronen und den paramilitärischen Gruppen. Wir können auch die Beteiligung der Drogenmafia nicht ausschließen, bei der man oft nicht weiß, wo sie anfängt und wo sie aufhört. Gewalt gegen JournalIstinnen ist in Lateinamerika weiterhin an der Tagesordnung. Dies machte das Exekutivkomitee der Lateinamerikanischen JournalistInnenföderation (FELAP) bekannt, das Anfang Mai in Buenos Aires tagte. Die FELAP erwähnte die Klagen der nicaraguanischen JournalistInnenunion. Nach dieser hat es in den letzten Monaten mehr als ein Dutzend Attacken sowohl gegen Berichterstatter*innen als auch gegen Fotoreporter*innen in dem Land gegeben. Auch die Situation in Bolivien erforderte die Intervention der FELAP. Dort verhaftete die Polizei ohne Rechtfertigung die Kollegin Judith Muñnoz. Dabei mißachtete sie die fundamentalen Grundrechte und die bolivianischen Gesetze. Neue Gewalttaten berichtete die FELAP aus Haiti, wo die Journalist*innen verfolgt, verhaftet und gefoltert werden. Eine weitere Anklage betraf Kolumbien. In dem Land sitzen der dominikanische Journalist Guillermo Brea Zapata und andere Kolleg*innen unter der grundlosen Beschuldigung der „Rebellion wegen Schädigung der nationalen kolumbianischen Einheit“ im Gefängnis.
Sowohl die JournalistInnenvereinigung der Dominikanischen Republik als auch die kolumbianische JournalistInnenverband fordern die Freilassung. In diesen Fällen bemüht sich auch der von der FELAP beauftragte Anwalt Dr. Edgardo Umaña Mendoza. Er ist Mitglied der FELAP-Kommission zur Untersuchung von Angriffen gegen Journalist*innen (CIAP). Es gibt duetliche Hinweise, die die Unschuld der Angeklagten beweisen. Die Lateinamerikanische JournalistInnenföderation rief ihre Mitgliedsorganisationen, die Medien und die Öffentlichkeit auf, eine Initiative der Nicht- Regierungsorganisationen in Kolumbien zu unterstützen. Diese führen eine Kampagne für das Ende der Straflosigkeit (impunidad) in dem Land durch. Die „impunidad“ deckt zahlreiche Menschenrechtsverletzungen und politische Verbrechen. Dabei geht es auch um Dutzende von Fällen, die Journalist*innen betreffen.
Ich glaube, die ungerechte Weise, in der die Gesellschaften Lateinamerikas in der Mehrheit der Fälle organisiert sind, ist ein Nährboden für diese Aktionen. Wir wollen, das den Sachen auf den Grund gegangen wird. Wir können die Schuldigen nicht nennen, weil die Mehrheit der Dinge nicht aufgeklärt wird. Beispielsweise hier in Mexiko blieb lange Jahre ungeklärt, wer der intellektuelle Autor des Mordes an dem Journalisten Buendía ist. Jetzt ist er in Haft, aber das dauerte lange und vollständig aufgeklärt wurde die Sache nie.
Frage: Welche Strategien und konkreten Erfolge hat die FELAP bei der Vermeidung von Gewalt gegen JournalistInnen?
Suárez: Sie vermeiden, das ist schwierig. Wir fordern gründliche Untersuchungen und die Bestrafung der Verantwortlichen. Wir haben genau deswegen im Februar 1993 die Kommission zur Untersuchung von Attentaten gegen die Journalist*innen (CIAP) gegründet. Mitglieder sind unter anderem die Nobelpreisträger Rigoberta Menchú und Adolfo Esquivel. Wir zeigen die Verantwortung der öffentlichen Stellen auf. Wie im Fall Argentiniens, wo kürzlich (im Novermber 1993) der Journalist Bonino ermordet wurde. Die CIAP ging dorthin. Aber die Kommission der FELAP kann natürlich nicht die gesetzlichen Instrumente dieser Länder ersetzen. Wenn diese korrupt sind und dem Druck der Polizei ausgesetzt sind, ist es mit Rechtsgarantien schwierig.
Auf einem Vorbereitungstreffen für ein lateinamerikanisches Parlament sagte einer der Abgeordneten aus ich weiß nicht mehr welchem Land: 'Aber die Journalist*innen haben es sich auch selbst zuzuschreiben, denn sie lassen sich (zu) sehr mit den Politiker*innen ein.' Das stimmt, manchmal gibt's da Exzesse, aber wir kennen keine PolitikerIn, die von einer JournalistIn ermordet wurde, allerdings viele Journalist*innen, die – vielleicht – von einigen Politiker*innen bzw. von öffentlichen Stellen ermordet wurden.“
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