Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 132 vom 28.02.1994
Inhalt
MEXICO
GUATEMALA
GUATEMALA/USA
BOLIVIEN
KUBA
LATEINAMERIKA
KOLUMBIEN
MEXICO
EZLN mit Antworten der Regierung auf ihre Forderungen zufrieden
(Mexiko, 25. Februar 1994, POONAL).- Seit Montag, dem 21. Februar sitzen 19 Vertreter*innen der Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) und der Regierungsabgesandte Manuel Camacho Solís am Verhandlungstisch. Ort des Treffens ist die Kathedrale von San Cristóbal de las Casas, Chiapas. Ohne daß bisher konkrete Abkommen bekannt geworden sind, sprechen beide Seiten von bisher positiven Ergebnissen. Der Subkommandant Marcos, der meist als Sprecher der Aufständischen auftritt, sagte, die EZLN habe bereits in 50 Prozent der Fälle befriedigende Antworten auf ihre Forderungen erhalten. Bisher wurde über die Verbesserung des Gesundheits- und Erziehungswesens (zweisprachige Schulen) sowie der Wasser- und Energieversorgung der Indígena-Gemeinden verhandelt. Weitere Punkte waren die schlechte Wohnsituation vieler Menschen und die mangelhafte Information der Gemeinden in Chiapas. Auch der Respekt vor der Kultur, der Tradition, den Rechten und der Würde der Indígena-Völker in Mexiko wurde angesprochen.
Wir dauch über eine Agrarreform und indigene Selbstverwaltung verhandelt?
Unklar ist bisher, ob und in welchem Umfang über eine Agrarreform – besonders die Revision des Verfassungsartikels 127 – , saubere Wahlen und die Selbstverwaltung der indigenen Bevölkerung verhandelt wurde oder wird. Ursprünglich hatte auch der Rücktritt des mexikanischen Präsidenten Carlos Salinas de Gortari sowie eine Übergangsregierung zu den Forderungen der Guerilla gehört. Davon ist zumindest im Moment nicht mehr die Rede. Es ist ebenso nicht deutlich geworden, welche Entscheidungsbefugnisse Camacho Solís wirklich hat. Er steht allerdings tagtäglich mit dem Präsidenten in Kontakt. Es wird angenommen, daß die erste Runde der Verhandlungen bald zu Ende geht. Die Vertreter*innen der EZLN haben angekündigt, erst die gesamte Bevölkerung in den von ihr kontrollierten Gebieten zu den Ergebnissen zu befragen. Das Geheime Revolutionäre Indígena- Komitee – Generalkommandatur (CCRI-CG) der EZLN sagte dazu: „So wie demokratisch über den Krieg entschieden wurde, muß der Frieden notwendigerweise demselben demokratischen Entscheidungsprozeß folgen.“ Die Guerilla hat auch immer wieder ihre Sorge ausgedrückt, daß die Regierung letztendlich doch nur Scheinverhandlungen führe. Für diesen Fall hat sie die Fortführung des Krieges angekündigt. Verschiedene EZLN-Vertreter*innen sagten, die Indígenas wollten lieber in Würde sterben als sich betrügen zu lassen.
Viehzüchter und Großgrundbesitzer versuchen, Bevölkerung einzuschüchtern
Unter der Zivilbevölkerung gibt es unterdessen im ganzen Land Solidaritätsaktionen mit der EZLN. Auf der anderen Seite organisieren Viehzüchter, Großgrundbesitzer und Mitglieder der herrschenden Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) Gegendemonstrationen und versuchen, die Bevölkerung einzuschüchtern. Die Armee, die zahlreicher Menschenrechtsverletzungen besonders während der ersten Tage des Indígena-Aufstandes beschuldigt wird, betont, sie unterstütze die Friedensverhandlungen. Vielen Beobachter*innen erscheint dies jedoch wenig glaubwürdig. Ob die Kathedrale von San Cristóbal wirklich als Kathedrale des Friedens (so hat sie Bischof Samuel Ruiz García genannt) in die mexikanischen Geschichtsbücher eingehen wird, ist noch ungewiß.
Die Lage der Indígena-Gemeinden
– von Martha Villavicencio
(Mexico-Stadt, Februar 1994, POONAL).- In der offiziellen Geschichte Mexikos existieren die Indios nicht. Sie werden nur erwähnt, wenn es darum geht, eine ruhmreiche oder sehr interessante und mysteriöse Vergangenheit im Stile von Octavio Paz zu finden. Oder sie dienen der Kulturindustrie, wie dem Mediengiganten Televisa, für den Export. Die einfache Tatsache des Daseins der Indígenas ist für die Mestizen sehr schwer zu akzeptieren. Emiliano Zapata war ein Indígena, ein Nahuatl. Er schrieb seine Briefe, einige Reden und Beleidigungen gegenüber den Verrätern, den Konstitutionalisten (die in den Geschichtsbüchern als Helden der Revolution erscheinen, z.B. Carranza), in seiner Muttersprache Nahuatl. Die Briefe wurden ins Spanische übersetzt. Das steht nicht in den Büchern. Es war kurioserweise ein Gringo, John Reed, der in seinem Romantagebuch die Existenz von ganzen Indígena-Gemeinden im Norden erwähnt, die als Revolutionär*innen kämpften. Zapata wurde in dem Gebiet von Chinameca ermordet, wo heute wie damals die Indios im Elend leben und auf Zuckerrohrplantagen arbeiten. Mexiko ist trotz seiner Regierung ein kulturell und politisch vielfältiges Land. Diese Vielfältigkeit besteht logischerweise nicht nur, weil es Mestizengruppen gibt, sondern auch, weil es 56 Indígenagruppen im Land gibt. Einige Ethnien leben zudem auf beiden Seiten der Grenzen: Im Norden von Sonora beispielsweise die Kikapues, die Pai pai, die Kilwa, die Cucapá und die Pápagos. Von den letztgenannten wird angenommen, daß sie von Präsident Benito Juárez (selber ein Indígena, ein Zapoteke) im vergangenen Jahrhundert auf mexikanisches Territorium geholt wurden, um die Apachen zu töten.
56 verschiedene Indígenagruppen
Im Süden gibt es Mayagruppen, die jahrhundertelang keine Grenzen hatten. Sogar noch in El Salvador gibt es Nahuatlgruppen, die sich mit den mexikanischen Indígenas verständigen können. Mexiko behandelt die Wanderungen der Indígenas im Süden und im Norden unterschiedlich. Im Fall der aus Guatemala nach Mexiko kommenden Gruppen gibt es vom Innenministerium eine klare Entscheidung, sie auf die andere Seite der Grenze abzuschieben. Auch wenn es auf eine verhandelnde und stille Art geschieht. Dort wird auf einmal vergessen, daß beispielsweise die Mam in Guatemala und in Mexiko leben. Sie machen ihren Markt in Motozintla, Mexiko; seit Jahrhunderten kommen sie über den Tacaná-Vulkan. Das Gebiet kann als geographische Kontinuität der Mayakulturen bezeichnet werden. Die Gruppen im Norden des Landes behalten die Eigenschaft, (Staats-)Bürger*innen auf beiden Seiten der Grenze zu sein. Viele von ihnen arbeiten als Landarbeiter*innen in Oklahoma. Andere aus Mexiko in die USA wandernde Migrant*innen wie die Mixtecos, die Purépechas und die Zapotecos werden in den Migrationspolitiken beider Länder nicht einmal erwähnt. Den Indígenagruppen im Süden würden diese Vorrechte nicht gegeben. Obwohl sie Kinder haben, die auf mexikanischem Gebiet geboren wurden. Obwohl in ihren Sprachen das Wort Grenze zum Teil nicht bekannt ist. Bei ihnen wird das Argument vom Verlust der Nationalität angebracht, da die mexikanische Nationalität einzigartig und nicht kompatibel sei. Die Bevölkerung dieser Indígenagruppen erhöhte sich nach und nach. Gleichfalls ihre Mobilisierung und Organisierung – vor allem in den neuralgischen Zonen. Allein in dem Grenzgebiet von Las Margaritas blühten in den letzten Jahren unabhängige Organisationen mit einer Indígenaführung auf, wie es in anderen Zonen schwer zu finden ist. Für die gefürchtete Einwanderungspolizei ist es schwierig, zu unterscheiden: Die mexikanischen Indios haben auch keine Papiere, wie beispielsweise die Geburtsurkunde und sprechen nicht die Kolonisationssprache Spanisch.
In den Volkszählungen von 1980 und 1990 werden die Indígenas auf nur 10 Prozent der Gesamtbevölkerung Mexikos geschätzt. Den Volkszählungen zwischen 1930 und 1960 zufolge gab es in der mexikanischen Hauptstadt überhaupt keine Bevölkerungsgruppe, die eine Indígena-Sprache spricht. Zur Zeit wird dagegen die Zahl von etwa 2 Millionen Indígenas allein in Mexiko-Stadt geschätzt. Darunter sind die Nahuatl, die seit Jahrhunderten in der Region leben, die Mazahuas und andere Gruppen. Das, was eine einfache Unterschätzung zu sein scheint, wird von der kritischen Antropologie als statistischer Völkermord bezeichnet. Die Leugnung der Existenz dieser Bevölkerungen hat u.a. ihren Grund in der Sozialpolitik. Denn als Teil der Nation hätten diese Bevölkerungen ein Anrecht auf zumindest minimale Dienstleistungen und Rechte. Außerdem wird beabsichtigt, ihre Entscheidungen und die Größe und Kraft ihrer Organisationen zu disqualifizieren. Diese Form von Rassismus in Mexiko ist nicht nur den Regierungsapparaten eigen, sondern der gesamten Mestizenbevölkerung bis hin zu Organisationen, die Hilfsprogramme fördern. Sehr deutliche Beispiele können in der Sierra Rarámuri in Chihuahua gefunden werden.
Statistischer Völkermord: Zahl der indigenen Bevölkerung wurde stets heruntergerechnet
Die Indígena-Bevölkerungen im ganzen Land haben etwa 2.000 Organisationen. Zu den Organisationen zählen Produktionsvereinigungen auf lokaler und regionaler Ebene, Campesino-Indígena-Verbände und andere nicht an die Produktion gebundene unabhängige Organisationen. Ein offizieller Impuls für die Organisationen kam mit den nachrevolutionären korporativistischen Ideen. Mitte des Jahrhunderts begann die mexikanische Gesellschaft, sich wirtschaftlich und sozial immer stärker zu differenzieren. Auf dem Land wurde Ende der 30er Jahren der offizielle Nationale BäuerInnenverband (CNC) geschaffen. Er war eng an die herrschende Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) angebunden und dominierte schon bald das gesamte bäuerliche Spektrum. Die BäuerInnenorganisationen erhielten mit ihrem Beitritt öffentliche Dienstleistungen, Kredite oder nur Versprechungen. Mit der Zeit gründete sich eine zweite Gruppierung, die keine Alternative zur ersten war, sondern ihr Gegengewicht: die UnabhängigeBauuerInnenzentrale (CCI). Die Indígenavölker und -gemeinden waren auf diesem Makroniveau der Organisationen beteiligt. Denn nur so konnten sie ihre Landrechte legalisieren und Kredite erhalten. Sie gründeten auch oppositionelle Organisationen, die weit über die Gemeindegrenzen hinaus reichten und zum Teil über eigene Produktionsanlagen und Transportmittel verfügten. Beispiele sind in Oaxaca der Campesino- Indígena Verband (UCI) Hundert Jahre Einsamkeit, sowie der Verband der Indígenavölker in den Gebieten der Zapatecos – trotz einer der repressivsten Regierungen gegen die Indígenas. Es gibt auch die Organisationen des dritten Typs: Mit der Politik des derzeitigen Präsidenten Salinas de Gortari schlossen sich große BäuerInnenorganisationen und einige der als unabhängig bezeichneten Indígenaorganisationen dem sogenannten Agrarpakt an. In der Presse erscheint dieser als Gesprächspartner der Regierung. Diese Organisationen verhandelten in gewisser Weise die Annahme der Verfassungsreformen. Die politischen Parteien in den Indígenagebieten konzentrieren sich auf die Mitgliederwerbung. Die Regierungsautoritäten schaffen alle Arten von Organisationen (Frauen, Jugendliche, usw.), um einen möglichst großen Teil der Bevölkerung regierungsnah zu organisieren. Eine Armeekaserne in der Umgebung ist gewöhnlich und innerhalb der Gemeinden als politisches Pendant das Büro der PRI. Im bewaffneten Konflikt in Chiapas entstand sofort der Vorschlag, daß die oppositionelle Cardenistische Partei der Nationalen Erneuerung (PFCRN) alle die vertreten sollte, die sich der Armee ergaben. In einem Gebiet, wo niemand der PRI beitritt, entstehen andere Partei wie diese oder die der Arbeiterpartei (PT).
Zerstörung der Identität durch Integration
Der Salinismus und die vorherigen Regierungen haben es verstanden, die Führer*innen durch kleine Konzessionen zu kooptieren oder zum Schweigen zu bringen, so daß es inzwischen schwer ist, radikale Vorstellungen der Indígenas zu bewahren. Ein anderer Aspekt dieses Problems ist die Führung der Mestizen in den oppositionellen Organisationen. Sie stellen Sonderinteressen ihres Kampfes vor die Forderungen der Indígenas. Der Integrationismus ist eine andere Form des Ethnizids in Amerika gewesen: Man versuchte, die Bräuche und die Kultur der Indígenas zu vernichten – da diese ihren Widerstand und ihre Identität als Völker nährten -, indem sie in die angeblich nationalen Gemeinschaften integriert werden. Spanisch wurde als Amtssprache eingeführt, das Alltagsleben wurde vor allem durch die Zerstörung traditioneller Produktionsformen verändert. Als Teil dieser Politik erkannte die salinistische Regierung die Vielfältigkeit der Organisationen und der Indiogruppen an. Um eine Produktivitätserhöhung in den Gebieten zu begünstigen, wurden sie mit Mitteln des Nationalen Solidaritätsprogramms (Pronasol) unterstützt (die als solidarische Anstrengung angepriesen wurden). Besondere Hilfen gab es für einen Typ ArbeiterIn, dessen Zahl sich in Mexiko mehr und mehr erhöht: Der Tagelöhner. In Zonen, die Brennpunkt der Indígenamigrationen sind, wurden Unterkünfte und Essenssäle angrenzend an die Arbeitszonen konstruiert. Sei es die Agroindustrie in den nördlichen Bundesstaaten, die für die Verpackung von Äpfeln und Tomaten billige Arbeiter*innen benötigte, oder seien es die Zuckerrohrplantagen im Süden: Die Indígenas wurden in systematischer Form von ihren Ländereien getrennt. So kam es, daß die Landkooperativen und sogar die großen regierungstreuen Organisationen keinen Platz mehr im neoliberalen Projekt von Salinas fanden. Laut Agrargesetz besitzen die Indiovölker Ländereien im Gemeindebesitz, als Parzellen in den sogenannten „ejidos“ (eine besondere Rechtsform des Gemeindebesitzes) oder aufgrund eines Nißbrauchrechtes, daß sie für Land- und Naturressourcen haben. Die Reformen der mexikanischen Verfassung haben die Beziehung zum Boden radikal verändert.
Agrarreform legt Grundlage für die Verarmung der Landbevölkerung
Zuerst änderte sich der Artikel 4 der Verfassung. Er erkennt die Indígenagemeinschaft jetzt als juristische Person an. Dort ist auch geregelt, daß jeder verurteilte Indígena das Recht auf eine/n ÜbersetzerIn in seiner/ihrer Sprache hat. Außer dem Versuch, die Unterstützung der Ethnien zu gewinnen, war es eine Tatsache, daß die an sich schon überfüllten Gefängnisse viele einsprachige Häftlinge beherbergten, die nicht einmal wußten, welcher Straftat sie angeklagt waren. Zum Artikel 4 gab es in der mexikanischen Republik eine Befragung, aber dabei nahm die Regierung sich wie immer selbst als Gesprächspartner. Um sagen zu können, daß repräsentative Indígenagemeinden befragt wurden, lud die Regierung die von ihr gegründeten regierungstruen Organisationen ein. Beispielsweise die Obersten Mayaräte der Purépecha- geschaffen vom CNC und dem Nationalen Indígena-Institut (INI). Zu den Eingeladenen gehörten auch regierungstreue Organisationen und Indígenas aus den Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas, die zur Zeit in der PRI sind (typisch ist hier die Figur des zweisprachigen Lehrers, der innerhalb der Partei aufsteigt und zu einer Kuriosität mehr im Parlament und zum schmückenden Beiwerk bei präsidentiellen Akten wird).
Die Indígenas werden gebraucht – als billige Arbeitskräfte
Der nächste Schritt der Reformen war die Änderung des Artikel 27. Sie erlaubte den Verkauf des Landes in dem Ausmaß, in dem er für die Wirtschaftsunternahmen notwendig war (nach dem derzeitigen Gesetz könnte theoretisch ein einziges Unternehmen Eigentümerin des gesamten Landes sein). Ein Aspekt, der direkt die Gemeinden betraf, war die Umwandelbarkeit des Gemeindelandes in die „ejidos“, um so den Verkauf zu ermöglichen. Der angebliche Schutz des Artikel 4 entpuppte sich als Vehikel, die Struktur und die juristische Figur der Gemeinden in die gewünschte Richtung zu verändern. An diesem Punkt war bereits klar: Das Land und die Arbeitskraft der Indígenas müssen zum Beginn des Freihandelsvertrages zur Verfügung stehen. Der Boden ist außer in zwei geschichtlichen Periode, 1910 und in den 30er Jahren, nicht verteilt worden. Die Indios und Campesinos bekamen die schlechtesten Böden, die oft nicht einmal das Überleben sicherten. Man spricht auch von Rückzugszonen, hohen Zonen oder Subsistenz-Ökosystemen . Das heißt: Es wird gerade genug produziert, um nicht am Hunger zu sterben. Institutionen wie das INI, das Ministerium für die Agrarreform und – um eines der schlimmsten zu nennen – das Ministerium für Landwirtschaft und Wasserreserven führten die Regierungspolitik aus. Die beiden letzten wurden 1992 aufgelöst und formen jetzt zusammen das Ministerium für soziale Entwicklung (Sedesol).
Es gibt Gemeinden, die seit den Zeiten der Kolonialisierung auf eingetragenem Land leben und einige Völker, die die entsprechenden Urkunden in den Museen suchen, um für ihr Land zu kämpfen (wie die Mexicaneros, Huicholes und Odames aus Durango). In einigen Fällen wurde das Land per Dekret vom Präsidenten übergeben und von einem anderen wieder entrissen. Dafür wurde das Agrarbüro (procuraduría agraria) geschaffen, nachdem Salinas versicherte, es gäbe kein Land mehr zu verteilen. Die Landwirtschaftsbürokratie unterstützte all diese Jahre die größenwahnsinnigen Projekte der Atom- und Wasserkraftwerke im Süden des Landes (hauptsächlich in den Bundesstaaten Puebla, Morelos, Veracruz) und im Nordosten. Diese Projekte sind sehr bezeichnend: Wasser- und Stromproduktion für die Hauptstadt, in der mehr als 30 Prozent der nationalen Bevölkerung leben und deren Hauptaktivität die Dienstleistungen sind.
Systematische Repression durch Geheimpolizei und Armee
Zwar erkannte die Regierung die Vielfältigkeit der Indiovölker offiziell an. Doch ebenso vielfältig sind die Agressionen und Gewalttaten gegen sie, die direkt den Zwangsapparaten (hauptsächlich der nicht uniformierten Geheimpolizei und Mitgliedern der Armee) zuzuschreiben sind. Daneben gibt es von den lokalen „Fürsten“ der PRI (Kaziken) bezahlte Pistoleros. Unter den seit Jahrzehnten angegriffenen Organisationen sind beispielsweise die Vereinigte Bewegung der Triqui-Zone (MULT) in Oaxaca, anfangs auch die Unabhängige Front der Indiovölker (FIPI) sowie die Majomut in Chiapas; auch Gemeinden der Nahuas und Otomies in Puebla, Veracruz und Hidalgo.
Jahrelange militärische Besetzung von Indígena-Gemeinden
Es gibt Zonen, die seit Jahren von der Armee besetzt sind. Das einzige Ziel der Streitkräfte: Sie sollen die Bevölkerung unter Kontrolle halten, so zum Beispiel im Hochland von Oaxaca (besonders gegen die Triquis), in den Küstenzonen von Guerrero und in der benachbarten Zone von Matías Romero, Oaxaca. In Tabasco geht es gegen die Chontales, die offiziell von der Regierung schon seit Jahren als nicht existent erklärt werden. Die militärische Präsenz wird manchmal auch mit dem angeblichen Kampf gegen den Drogenhandel kombiniert. 1991 wurden in Tepic, Nayarit heranwachsende und erwachsene Huicholes ins Gefängnis gebracht, die Opfergaben zu ihren heiligen Stätten trugen. Die Armee klagte sie an, zu der Sekte der „Drogenteufelsanbeter“ zu gehören. Illegale Verhaftungen gehören im ganzen Land zum Alltag. Gelegentlich werden die Gefangenen befreit, wenn es Präsidenten- oder Wahlkampfbesuche in den Indígenazonen gibt oder wenn Menschenrechtskommissionen für einen Gefangenen massiv einsetzen. Manche willkürlich eingekerkerten Häftlinge kommen niemals frei. Und in einigen Gemeinden kommt es vor, daß aus der Haft „Befreite“ einige Wochen später von Unbekannten getötet werden, wenn sie zu den Führer*innen der indigenen Bevölkerung zählten.
GUATEMALA
Menschenrechtsbeauftragter: Kongreß soll Legalisierung der Zivilpatrouillen aufheben
(Guatemala, 23. Februar 1994, cerigua-POONAL).- Der guatemaltekische Menschenrechtsbeauftragte Jorge García hat dem Kongreß empfohlen, die Legalisierung der paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC) mit sofortiger Wirkung aufzuheben. Sie seien die „schlimmsten Verletzer“ der Grundrechte. Er informierte über seine Empfehlung nach einem Gespräch mit Oliverio García, dem Präsidenten der parlamentarischen Menschenrechtskommission. Entscheidend für die Empfehlung sei die Rolle, die die PAC im System der inneren Sicherheit spielten. Sie dienten allein den Interessen der Streitkräfte und der Nationalpolizei. Die Zivilpatrouillen wurden 1986 unter dem Putschpräsidenten General Oscar Mejía 1986 legalisiert (nachdem sie faktisch bereits vier Jahre bestanden hatten; die Red.). Nach Angaben des Verteidigungsministers General Mario Enríquez haben sie etwa 500.000 Mitglieder. In der letzten Woche beschuldigte das Menschenrechtsbüro der katholischen Kirche die PAC, für die Ermordung des Politikers Jorge Carpio und drei Mitglieder seiner Partei im Juli 1993 verantwortlich zu sein. „Wir haben die Beweise in der Hand, um dies in dem Jahresbericht über die Menschenrechtssituation 1993 zu belegen“, sagte der Erzbischof Próspero Penados. Er wies auch das Dementi der Streitkräfte zurück, die eine Beteiligung der Zivilpatrouillen in die Ermordung Carpios bestreiten. Der Verteidigungsminister bekräftigte vergangene Woche, die PAC würden nicht aufgelöst. Diese Haltung steht im Gegensatz zur Meinung der unabhängigen Menschenrechtsbeobachterin der UNO für Guatemala, Mónica Pinto. Sie drängt auf die Auflösung der von der Armee bewaffneten und geleiteten PAC.
URNG: Armee sprengte Ölpipeline, um Verhandlungen zu torpedieren
(Mexiko-Stadt, 23. Februar 1994, NG-POONAL).- Die guatemaltekische Guerilla macht die Regierungsstreitkräfte für die Sprengung einer Ölleitung in der Gemeinde Chisec in der nördlich gelegenen Provinz Alta Verapaz verantwortlich. Grund seien Tendenzen, die sich „innerhalb des Militärs einer politischen Lösung widersetzen und angesichts einer neuen Verhandlungsrunde versuchen, ein Klima der Ungewißheit und des Terrors zu schaffen“. Die Revolutionäre Nationale Einheit Guatemalas (URNG) behauptet, „gesicherte Informationen“ zu haben, daß die Tat von Armeeangehörigen begangen wurde. Sie erklärt in dem Kommuniqué zudem, daß die Aktionen der Aufständischen „niemals gegen die guatemaltekische Zivilbevölkerung gerichtet waren. Von ihr erwarten wir die Teilnahme bei der Schaffung von Frieden und Demokratie in unserem Heimatland“.
Staatsbedienstete besetzen Präsidentenpalast
(Guatemala, 23. Februar 1994, NG-Guatemala).- Die Führer*innen der Gewerkschaft der Staatsbediensteten IUTE haben am Morgen des 23. Februar den Präsidentenpalast besetzt. Sie wollen damit Druck auf die Regierung ausüben, ihre Forderung nach einer 40prozentigen Erhöhung der Löhne zu erfüllen. Seit Tagen werden verschiedene Regierungsbehörden bestreikt. Ungefähr 60 Gewerkschaftsführer*innen postierten sich gegenüber dem Präsidentenbüro. Sie nennen es den „Streik der verschränkten Arme“. Es wurde bekannt, daß fünf von ihnen mit dem Präsidentensekretär, dem ehemaligen Abgeordneten Híctor Luna Trocceli sprachen. Dieser habe versichert, der Regierungschef Ramiro de León Carpio befinde sich außerhalb der Hauptstadt. Währenddessen umstellten etwa 5.000 bis 6.000 Gewerkschaftsmitglieder das Regierungsgebäude als Schutz und Unterstützung für ihre Führer*innen. Seit dem Morgen desselben Tages befinden sich in der Nähe des Palastes starke Kräfte der Nationalpolizei. Die Position der Regierung wird immer schwächer. Vor allem, seit sie einen Tag zuvor den Vorschlag machte, jedes Jahr einen Bon über 360 Quetzales für die Staatsbediensteten auszugeben. Die Gewerkschaften wiesen dies zurück und bezeichneten den Vorschlag als „Verspottung des arbeitenden Volkes“. Den Vorschlag des Nationalen Verbandes der staatlichen Angestellten (FENASEP), der verschiedene Quellen für die Finanzierung der Lohnerhöhungen vorsah, hatte das Wirtschaftsministerium zurückgewiesen. Dennoch benutzte die Regierung ihn als Grundlage, um den sogenannten Bon für die Wiedereinziehung der Mehrwertsteuer (IVA) zu schaffen, der nach Meinung der Gewerkschaft in keinster Weise geeignet sei, die Krise in den Staatsbehörden zu lösen. Die Gewerkschafter*innen betrachten das Regierungsangebot als Betrug und Spott. Es sieht eine Erhöhung von nur 87 Centavos am Tag (15 Cent eines US-Dollars) vor.
GUATEMALA/USA
Stoppt US-Kongreß die nordamerikanische Unterstützung?
(Washington, 24. Februar 1994, cerigua-POONAL).- Die US- Abgeordnete Connie Morella fordert, die nordamerikanische Hilfe für Guatemala zu stoppen, falls die Menschenrechte weiterhin derart massiv verletzt und die paramilitärischen Zivilpatrouillen nicht aufgelöst würden. Die republikanische Politikerin hat dem Kongreß am 24. Februar eine entsprechende Resolution vorgelegt. Nur die humanitäre Hilfe und die Entwicklungshilfe sollten weiterhin ohne Vorbehalte gezahlt werden. Die Abgeordnete aus dem Bundesstaat Maryland erwähnte ausdrücklich die Verbrechen an den US-Bürger*innen Dianna Ortiz und Michael Devine sowie der Guatemaltekin Myrna Mack (Dianna Ortiz wurde verschleppt und gefoltert, Michael Devine und Myrna Mack ermordet. In allen drei Fällen bestehen keine Zweifel an der Urheberschaft der Militärs; die Red.). Die guatemaltekische Zivilgesellschaft und die Fortführung des Friedensprozesses könnten gestärkt werden, wenn die US-Hilfe künftig von der Einhaltung der Menschenrechte abhängig gemacht würden. Nach Ansicht von Connie Morella wird die Resolution auch die Verhandlungen zwischen der Regierung und der Guerilla unterstützen. Der Kongreß hat sich bereits für eine friedliche Lösung des bewaffneten internen Konfliktes in Guatemala ausgesprochen. Derzeit befinden sich rund 400 Angehörige der US-Streitkräfte in Guatemala, um die dortige Armee bei angeblichen humanitären Aktivitäten zu unterstützen. Nach Angaben von Menschenrechtsaktivist*innen plant die US-Regierung, der guatemaltekischen Armee nordamerikanische Militärhubschrauber zu schenken.
BOLIVIEN
In der Hauptstadt regiert erstmals eine Frau
– von Sonia Montaño Virreia
(La Paz, Februar 1994, fempress-POONAL).- Mónica Medina ist die erste Bürgermeisterin von La Paz. Sie hat ohne Unterlaß betont, daß sie auf ihre Jugend – sie ist 29 Jahre alt – und darauf, Frau zu sein, vertraut, um die Probleme der Hauptstadt zu lösen. Tatsächlich steht die junge Politikerin vor gewaltigen Herausforderungen, denn an Problemen mangelt es in La Paz, wo Bürger*innen aller Regionen, Kulturen und Lebensstile zusammenleben, nicht. Die „Comadre Mónica“, wie sie genannt wird, hat die Stimmen der Frauen bekommen, insbesondere aus den unteren Schichten. Dies ist eine bemerkenswerte Tatsache, da Frauen in der Vergangenheit mehrheitlich eher dazu tendierten, den konservativen Kandidaten ihre Stimme zu geben. Die Hochburgen der Partei von Mónica Medina, die „Concencia de Patria“ (CONDEPA), liegen vor allem im Aymara- Gebiet und in den Städten La Paz und El Alto. Der Mann der jungen Regentin, Carlos Palenque, ist Vorsitzender der CONDEPA. Er wurde durch das Fernsehprogramm „Freie Volkstribüne“ bekannt. Die Sendung ist ein Forum für das Leid und das Elend der Armen.
Parteichef Palenque hat mit seiner Sendung auf die Forderungen und die Not von geschlagenen Frauen, Straßenkindern und der der im informellen Sektor arbeitenden Menschen hingewiesen. CONDEPA hat ebenso die Türen für den Eintritt der sogenannten „Polleras“ ins Parlament geöffnet („Polleras“ ist ein eher abschätziger Ausdruck der ggehobenen Mittelschicht für berufstätige Frauen, die ihren Unterhalt selbst verdienen müssen; die Red.). Bislang war Remedios Loza, seit drei Legislaturperioden Abgeordnete im Parlament, die bekannteste Frau in der CONDEPA. Sie war die erste Pollera im Parlament. Sie forderte die Vorurteile der Herren in den politischen Parteien heraus. Diese akzeptierten zwar murrend Mestizen oder Indígenas im Parlament. Aber eine Pollera konnten sie sich nur als Hausangestellte oder Straßenhändlerin, nicht jedoch als Volksvertreterin vorstellen. Die Männer müssen nun etwas schneller umdenken. Denn mit Monica Medina Palenque hat eine Frau nun die Macht in der Hauptstadt erobert.
Wahlkampagne: Wasser und Strom für alle
Während des Wahlkampfes hat sie vor allem ihre Jugendlichkeit und ihre Eigenschaften als Frau, Mutter, Ehefrau und Bürgerin hervorgehoben. Sie profilierte sich, indem sie populistische Forderungen in ihre Wahlkampagne aufnahm: Wasser für alle, Strom, um die Arbeit im Haus zu erleichtern. Sie versprach, die Armut bekämpfen und sich für die Würde der Marginalisierten einsetzen zu wollen. Ein weiterer Schwerpunkt der Wahlkampagne: Medina kündigte an, sie werrde eine neue Hauptstraße durch die Stadt bauen, um die Verkehrsprobleme zu lösen. Ein besonderer Umstand half ihr zusätzlich, ein bisher nie angesprochenes Thema in die Wahldebatten einzubringen: Die Frau ihres wichtigsten Gegenkandidaten Mantilla griff sie an, indem sie ein angebliches moralisches Fehlverhalten von Medina andeutete. Der Angriff entpuppte sich allerdings als Boomerang: Die Popularität der Comadre wuchs, viele zeigten sich solidarisch mit dieser Frau, die mit moralischen Mitteln abgekanzelt werden soll.
Mónica Medina gab nicht nur bei Wahlveranstaltungen eine gute Figur ab. Sie trat auch in den Medien mit Gelassenheit und Nachdruck auf. Frech, kokett und mit einer bemerkenswerten politischen Ausstrahlung gewann sie die Unterstützung der Frauen aus dem Volk. Die Frauen der Mittelklasse, die in ihr eine populistische Gefahr sehen, reagierten dagegen oftmals irritiert. Sie irritierte sogar einige Feministinnen, die die demonstrativen Gesten nicht ertrugen, mit denen sie ihren Ehemann bedachte: Sie schwor ihm ewige Liebe und Dank, weil er sie geformt habe.
KUBA
Treffen mit den Emigrant*innen auf Ende April festgelegt
– von Javier Rodríguez
(Havanna, 22. Februar 1994, PL-POONAL).- Die kubanische Regierung hat für die letzte Aprilwoche 1994 zu einem Treffen mit der kubanischen Gemeinde im Ausland nach Havanna aufgerufen. Der Wochenzeitung „Granma Internacional“ zufolge soll innerhalb des Meinungsaustauschs auch das Thema einer möglichen Mitwirkung der Auslandskubaner*innen am nationalen Leben und in der Wirtschaft erörtert werden. Politische Beobachter*innen messen dem Treffen große Bedeutung zu, zieht man die Größe der EmigrantInnenkolonie mit kubanischer Nationalität im Ausland in Betracht. Behindert wurden die Beziehungen zur Antilleninsel dieses Teils der kubanischen Bevölkerung durch die ständige Feindseligkeit der USA gegenüber Havanna. Auch behinderten die gewalttätigen Aktivitäten antikubanischer Organisationen jeden Dialogversuch. Der Aufruf Kubas, anfangs von Aussenminister Roberta Robaina während seines UNO-Besuches eingeleitet, ist, vor allem in den USA mit Interesse von verschiedenen Gruppen der Emigrant*innen angenommen worden. Gleichzeitig schlossen sich die Gegner*innen der Gespräche selbst aus, indem sie Bedingungen stellten, um das Treffen zu torpedieren. Bereits 1972 versuchte Havanna eine Annäherung an die Auslandskubaner*innen, die in der Erweiterung der Familienzusammenführung gipfelte. Die direkte Folge war damals eine Erhöhung des Besuchsverkehr, hauptsächlich zwischen Miami und Kuba. Bei dieser Gelegenheit und als Zeichen des guten Willens ließ die kubanische Regierung etwa 3.000 Konterrevolutionär*innen frei, die daraufhin zu ihren Familienangehörigen im Ausland reisten. Auch in der jüngeren Vergangenheit erhöhten, die von Havanna eingeführten Erleichterungen, die Besuche der auf nordamerikanischem Territorium wohnenden Bürger*innen auf die Insel. Das US-Wirtschaftsembargo wird von der Mehrheit der im Ausland lebenden Kubaner*innen zurückgewiesen. Sie erkennen die darin enthaltenen Regelungen, die die Beziehungen der Auslandskubaner*innen mit der Insel betreffen, nicht an. Ende April 1994 wird aus Sicht der Emigrant*innen in Havanna über eine wichtige Angelegenheit diskutiert und nachgedacht: über die Zukunft der Verbindungen mit dem Geburtsland.
Katholische Kirche im Aufwind
– von Mariana Ramírez und Dalia Acosta
(Havanna, Februar 1994, SEM-POONAL).- In atheistischen Schulen erzogene Jugendliche wollen getauft werden. Kinder verschiedenen Alters möchten in die Kirche gehen. In der westlichen Provinz Ciego de Avila, verläßt die Prozession der „Jungfrau der Barmherzigkeit“ die Kirchenmauern und wird über den Marktplatz geführt. Die Katholik*innen praktizieren und manifestieren ihren Glauben wie seit Jahren nicht mehr. Nach Jahrzehnten der Abkehrung kehren viele Kubaner*innen in die Kirchen zurück: Einige brauchen geistige Unterstützung in Krisenzeiten, andere wollen einfach nur ihren Glauben nicht weiter verbergen. Auch die lutheranischen Kirchen, Freimaurersekten, afrokubanischen Sekten oder Spiritist*innen, Astrolog*innen, Kartenleger*innen und Wahrsager*innen erhalten großen Zulauf. Schon die kubanische Wissenschaftsakademie sah in einer Untersuchung von 1989 voraus: In Krisenzeiten benötigen die Menschen dringender Antworten auf ihre Zweifel, Unsicherheiten, Hoffnungen. Und genau seit Ende der vergangenen Dekade erlebt Kuba eine ernste Wirtschaftskrise, die sich in allen Bereichen des sozialen und politischen Lebens widerspiegelt.
Zahl der Taufen vervierfachte sich
Nach Angaben der Diözese von Havanna erhöhte sich die Zahl der Taufen von 7.500 im Jahre 1979 auf 34.800 im Jahre 1992; unter den Täuflingen waren 3.000 Jugendliche. Im allgemeinen stammen die Getauften nicht aus katholischen Familien. Teilweise sind die Eltern Aktivist*innen der Kommunistischen Partei. Die katholische Kirche bietet den kleinen Kinder Unterhaltung in Form von Spielen und eine Mahlzeit. Für die Erwachsenen und die Jugendlichen werden Gesprächsrunden über Sexualerziehung, Familienprobleme und Filmvorführungen und Feiern arrangiert. Einmal mehr in der kubanischen Geschichte zeigt die katholische Kirche ihre großes Gewicht in schweren Krisenzeiten, insbesondere nach 30 Jahren angespannter Beziehungen zwischen dem Staat und den religiösen Repräsentanten. Einerseits führte der sozialistische Charakter der Revolution von Fidel Castro den Marxismus als offizielle Ideologie auf Kuba ein und verwies die Aktivitäten des Katholizismus – wie andere Religionen – auf den Bereich innerhalb der Kirchenmauern. Die Religion wurde als überholt, unwissenschaftlich und in vielen Fällen konterrevolutionär angeklagt. Andererseits dominierte in der Kirchenhierachie das Prinzip der Sozialdokrtin der Kirche: keinen Kontakt mit der „schlechten und perversen kommunistischen Gesellschaft“ zu pflegen. Die Kirche schlug sich auf die Seite der Besitzenden, die ihre Privilegien verloren hatten. So diente sie als Vermittlerin zwischen der kubanischen Regierung und dem Aussenministerium der USA, um 15.000 Kinder ohne ihre Eltern aus dem Land zu bringen. Nach 1991 in der Vatikan-Zeitschrift „Observatore Romano “ veröffentlichten Daten hat Kuba im Vergleich mit anderen Ländern Lateinamerikas die wenigsten Priester. Nach Unterlagen der sozio- religiöse Abteilung der Wissenschaftsakademie sind ungefähr 1,3 Prozent der 10,8 Millionen Kubaner*innen christlichen Glaubens.
Gläubige fühlen sich im Beruf diskriminiert
Das nationale kubanische Kirchentreffen von 1988 erkannte Beiträge der sozialistischen Gesellschaft zum christlichen Glaubensleben an. Aber die Anerkennung einiger sozialer Errungenschaften der Revolution und die Verurteilung des nordamerikanischen Embargos gegen die Insel bringen die Katholik*innen noch nicht in eine bequeme soziale Position. Auch wenn sich die kubanische Regierung in den letzten Jahren gegenüber den Gläubigen geöffnet hat, fühlen sie sich immer noch diskrimiert, wenn sie sich für bestimmte Universitätsdisziplinen, den LehrerInnenberuf oder die Arbeit in wissenschaftlichen Zentren entscheiden. Für niemanden war es eigentlich eine Überraschung, daß der Hirtenbrief vom September vergangenen Jahres Motiv für neue Meinungsverschiedenheiten zwischen der Kirchenhierachie und den kubanischen Autoritäten war (vgl. POONAL-Nummer 114; 116). Die Zeitung „Granma“, offizielles Organ der Kommunistischen Partei, veröffentlichte keinen Kommentar, wie sonst in diesen Fällen üblich, aber es fehlten nicht die Artikel gegen das Dokument mit dem Titel „Die Liebe erwartet alles“. In den Vereinigten Staaten dagegen gratulierte der „Miami Herald“ den kubanischen Bischöfen, dem „mutigen Beispiel ihren polnischen Brüder“ zu folgen, die das möglichste taten, den Niedergang des sozialistischen Systems in dem europäischen Land zu beschleunigen. Das Dokument ist „Verrat, Dolchstoß in den Rücken, antipatriotisch“ für die einen; „kohärent, erhellend, große Wahrheit“ für die anderen. Fast fünf Monate nach der Veröffentlichung – ob sie ihr zustimmen oder nicht – gehen die Kubaner*innen immer noch in die Kirchen, um dort Kopien des Hirtenbriefes zu verlangen.
LATEINAMERIKA
Vorbereitung eines Seminars für Medien
(Mexiko-Stadt, 23. Februar 1994, Felap-POONAL).- Am 7. Februar fand in Quito, Ecuador, das dritte und letzte Vorbereitungstreffen für das Seminar „Informationsmedien und Demokratie in Lateinamerika und der Karibik“ statt. Das Seminar wird im Mai 1994 in Santiago de Chile stattfinden. An den Vorbereitungen des von der UNESCO geschaffenen Komitees nahm auch die Lateinamerikanische JournalistInnenföderation (FELAP) teil. Wie bei den bereits abgeschlossenen UNESCO-Seminaren für andere Kontinente (Afrika und Asien) geht es darum, die sozialen und unabhängigen Kommunikationsmedien in den ländlichen Gebieten, aber auch auf Gemeinde- und Vorortebene (Armenviertel) zu unterstützen. Probleme bereiten in diesem Bereich die geringen finanziellen und technischen Mittel. Sie dienen als Bindeglied zwischen der Gesellschaft und den wirtschaftlich-sozialen sowie politischen Problemen. Es besteht die Überzeugung, daß die so ausgerichtete Information fundamental für die Beteiligung der Bürger*innen ist.
Mit den Funktionär*innen der UNESCO kamen verschiedene internationale Organisationen aus dem Bereich Presse und Funk nach Quito. Dabei waren auch regionale JournalistInnenorganisationen aus Lateinamerika und der Karibik. Die FELAP war durch ihren Generalsekretär Luis Suárez vertreten.
Journalist*innen aus abgelegenen Gebieten werden eingeladen
Ziel des Treffen war es, so definitiv wie möglich über die 20 Referent*innen und die Hauptredner*innen in den Arbeitsgruppen sowie über die 60 einzuladenden Personen für das Treffen in Chile zu entscheiden. Beobachter*innen sollen nicht ausgeschlossen werden und ein Rederecht erhalten. Die Teilnehmer*innen werden die Herausgeber*innen und die Berichterstatter*innen aus allen journalistischen Sparten sein, die in geographisch und menschlich abgelegenen Regionen arbeiten. Luis Suárez schlug in Quito vor, eine/n JournalistIn der Tageszeitung „Tiempo“ aus San Cristóbal de las Casas im mexikanischen Bundesstaat Chiapas einzuladen. Er begründete seinen Vorschlag mit der direkten und sensiblen Rolle, die die Zeitung für die nationale und internationale Berichterstattung in den entscheidenden Tagen des Aufstands der EZLN gespielt hat. Inmitten der geographischen, technologischen und finanziellen Beschränkungen verwandelten die Umstände die Zeitung in ein neuralgisches und viel besuchtes Nachrichtenzentrum. Der Vorschlag von Suárez wurde einstimmig angenommen.
KOLUMBIEN
Anklage gegen den Staat vor Menschenrechts-Gerichtshof
(Bogotá, Februar 1994, AC-POONAL).- Die kolumbianischen Streitkräfte sind vor dem Interamerikanischen Menschenrechts- Gerichtshof angeklagt worden, für das Verschwinden von Isidro Caballero und María del Carmen Santana verantwortlich zu sein. Das Gericht gab am 25. Januar bekannt, daß es weitere Informationen zu dem Fall einholen will. Dies ist die erste Anklage wegen Menschenrechtsverletzungen gegen kolumbianische Staatsinstitutionen, die vor dem Gerichtshof verhandelt wird.
Zeugen: Armee ließ 1989 zwei Menschen verschwinden
Professor Isidro Caballero und María del Carmen Santana wurden am 7. Februar von einer Militärpatrouille der 5. Armeebrigade in der Gemeinde San Alberto im Departement Cesar verschleppt; seitdem sind sie spurlos verschwunden. Nach dem Verschwinden der beiden Personen versuchten die Ehefrau von Caballero, die Nationale LehrerInnenvereinigung (Fecode), die Einheitsgewerkschaft CUT und die Andine Juristenkommission das Schicksal der Verschwundenen aufzuklären. Sie befragten Zeugen, fragten bei den Behörden nach und wandten sich an die Justiz. Sie sammelten dutzende von Zeugenaussagen und Beweisen, die die Verantwortung der 5. Armeebrigade nachwies – doch weder die Regierung noch die Justiz reagierten darauf. Die Regierung versuchte sogar, die Anklage vor dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof zu verhindern, allerdings ohne Erfolg. Juristenkommission: Es gibt tausende ungeklärte Fälle Der Präsident der Andinen Juristenkommission – Sektion Kolumbien, Gustavo Gallón, es gebe noch tausende weiterer Fälle, die bislang von keinem Gericht verhandelt worden seien. Die Entscheidung des Menschenrechtsgerichthofes sei ein ermutigender Schritt, daß die Verantwortlichen für die zahlreichen Verbrechen doch noch zur Rechenschaft gezogen würden. Gallón meinte auch, daß die schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen, für die der kolumbianische Staat verantwortlich sei, die Absicht des derzeitigen Staatschef Gaviria disqualifiziere, das Amt des Generalsekretärs der Organisation Amerikanischer Staaten zu übernehmen.
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