Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 87 vom 29.03.1993
Inhalt
EL SALVADOR
GUATEMALA
ARGENTINIEN
HAITI
EL SALVADOR
Amnestiegesetz verhindert Bestrafung der Menschenrechtsverletzer
(San Salvador, 23. März 1993, Salpress-POONAL).-Noch bevor die Salvadorianer*innen den Inhalt des Berichts der Wahrheitskommission zur Kenntnis nehmen konnten, verabschiedete der Kongreß eine Amnestie für alle, die als Verantwortliche der Menschenrechtsverletzungen aufgeführt wurden. Dadurch wird die Einhaltung der Empfehlungen der Kommission erheblich erschwert. In den vergangenen Tagen machte die Kommission, die von drei internationalen Juristen angeführt wurde, ihren Bericht öffentlich. In dem Bericht sind über 40 Fälle von Menschenrechtsverletzungen im Einzelnen aufgeführt, in die Militärs, Zivilist*innen und ehemalige Guerrilleros und Guerrilleras El Salvadors verwickelt waren.
Empfehlungen der Kommission nun wertlos?
Doch wurde schon am vergangenen Wochenende eine „umfassende, absolute und bedingungslose“ Amnestie im Kongreß beschlossen. Der 84-köpfige Kongreß verabschiedete das Gesetz mit einfacher Mehrheit und den Stimmen der Regierungspartei Alianza Republicana Nacionalista (Arena) und den Parteien der Nationalen Versöhnung (PCN) sowie der Authentischen christlichen Bewegung (MAC). Durch die Amnestie werden alle Personen begünstigt, die die Wahrheitskommission direkt oder indirekt als Verantwortliche ernster Menschenrechtsverletzungen in der Zeit von Januar 1980 bis Dezember 1991 aufgeführt hat. Das Gesetz wurde mit 47 Ja-Stimmen, gegen 9 Stimmen und 13 Enthaltungen verabschiedet. Durch die Amnestie wird die 7-monatige Arbeit der Wahrheitskommission zu nichte gemacht, da das neue Gesetz die Anwendung der Empfehlungen beeinträchtigen wird. Mitglieder der Opposition erklärten, das Amnestiegesetz beende die Debatte über den Inhalt des Berichts der Wahrheitskommission, der in der Bevölkerung noch nicht ausreichend bekannt war. Die Bevölkerung habe jedoch ein Recht darauf, die Wahrheit über die Greueltaten zu wissen, die während des Krieges begangen wurden. Die Kommision empfahl unter anderem die Absetzung der 14 Magistrate des Obersten Gerichtshofes, die Sperrung der Justizverwaltung, die sofortige Absetzung von 40 Militärchefs aufgrund ihrer Verantwortung für schwere Menschenrechtsverletzungen. Dazu zählen vor allem der Mord an sechs Jesuitenpatern im November 1989 und das Massaker an fast tausend Campesinos und Campesinas im Dezember 1981.
Tumulte während der Plenarsitzung
Ebenso empfahl die Wahrheitskommission, daß sechs Führer*innen des Revolutionären Volksheeres (ERP), eine der fünf Organisationen, die die jetzige politische Partei Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) bilden, sich in den kommenden zehn Jahren nicht an der Politik beteiligen dürfen. Ihnen wird vorgeworfen zwischen 1985 und 1986, im Zusammenhang mit einem Boykott gegen die Wahlen, elf Bürgermeister*innen umgebracht zu haben. Die Plenarsitzung war von beidseitigen Anschuldigungen gekennzeichnet und mußte drei Stunden lang unterbrochen werden, da hunderte Mitglieder von Volksorganisationen in das Kongreßgebäude eindrangen und ohne Pause riefen: „Gerechtigkeit ja, Amnestie nein!“ Gloria Salguero Gross, Vizepräsidentin des Kongresses und Abgeordnete der ARENA-Partei, offensichtlich verärgert über die Aktionen, versicherte: „Es ist uns egal, daß es kleine Gruppen gibt, die uns nicht verstehen; wir wollen die Sicherung des Friedens.“ Die Abgeordneten der Demokratischen Konvergenz, der Nationalistischen Demokratischen Union und der Christdemokratischen Partei, die das Gesetz ablehnten, verließen den Saal als Zeichen ihres Protestes. Aber nicht nur die politischen Parteien lehnten die übereilte Verabschiedung des Gesetzes ab. Auch zivile Gruppen und die Katholische Kirche haben bestätigt, daß sie sich nicht gegen die Amnestie stellen werden. Nur sollten ihrer Meinung nach ersteinmal der Inhalt und die Empfehlungen des Berichts aufgearbeitet werden. Der Erzbischof der Hauptstadt sagte in seiner Sonntagspredigt, „das verzweifelte Manöver der Regierung, einen Mantel des Vergessens und gleichzeitig der Straffreiheit über diese Geschichten zu werfen, die zeigen, zu welchen Taten einige Landsleute fähig sind,“ sei besorgniserregend.
„Amnestiegesetz ist verfassungswidrig“
Der Rechtsexperte Francisco Diaz sagte, das neue Gesetz verletze den Artikel 244 der Politischen Verfassung El Salvadors, der die Begnadigung oder Amnestie durch einen Teil der Regierung für die Verantwortlichen von Verbrechen während der eigenen Regierungszeit verbietet. „(Die Verfassung) kann nicht eindeutiger sein gegenüber dieser Situation: Es wird ohne Zweifel klargestellt, daß die Staatsangestellten einer bestimmten Regierung nicht während der gleichen Regierungsperiode amnestiert werden können, in der die Verbrechen begangen wurden,“ so Diaz. Präsident Alfredo Cristiani begann seine Amtsperiode am ersten Juni 1989 und wird sie am 1. Juli 1994 beenden. Nach diesem Artikel können also zumindest die Täter und Hintermänner des Mordes an den sechs Jesuitenpatern und ihren zwei Mitarbeiterinnen, die im November 1989 begangen wurden, nicht amnestiert werden. Cristiani sagte, er werde das Amnestie-Gesetz auf Verfassungstreue untersuchen lassen und sein Veto einlegen, wenn dies nicht der Fall sein sollte. Beobachter halten diese Vorgehensweise aber eher für unwahrscheinlich, da der Präsident das Gesetz im Vorfeld der Diskussionen unterstützt hatte. Die Abgeordneten der Opposition, die gegen das Gesetz gestimmt hatten, sagten, daß die Amnestie das Land teilen werde und die Straffreiheit, die Wut und die Rache fördere. „An diesem Tag zeigt die Versammlung kein Rückrat, an diesem Tag teilt die Versammlung das Land,“ sagte Ruben Zamora, der Vorsitzende der Demokratischen Konvergenz und Vizepräsident des Kongresses.
GUATEMALA
Guatemaltekische Militärs in salvadorianischen Krieg verwickelt
(Guatemala, 23. März 1993, NG-POONAL).- Dem Bericht der sogenannten Wahrheitskommission zufolge, die die Menschenrechtsverletzungen im salvadorianischen Bürgerkrieg untersucht hat, sind die Streitkräfte anderer Zentralamerikanischer Länder an Verbrechen in El Salvvador beteiligt. Im Mittelpunkt der Diskussionen steht die Beteiligung der guatemaltekischen Militärs an dem Mord an dem Salvadorianer Héctor Oquli und an der guatemaltekischen Anwältin Hilda Flores. Beide Verbrechen wurden 1990 auf salvadorianischen Territorium verübt. Die Anschuldigungen des Berichts wiegen so schwer, daß die Regierung Jorge Serrano erwägt – dem Beispiel des Präsidenten El Salvadors Alfredo Cristiani folgend -die Militärchefs zu amnestieren. Cristiani hatte zugunsten der nationalen Versöhnung Straffreiheit für die Offiziere gefordert und zu verhindern versucht, daß die Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen veröffentlicht wurde.
Honduranische Armee an Massakern beteiligt
Auch beschuldig die Kommission die honduranische Armee, an einem Massaker an 300 Campesinos und Campesinas im Jahre 1980 an der Grenze zwischen beiden Ländern beteiligt gewesen zu sein. Dieser Vorfall ist als das „Massaker am Fluß Sumpul“ bekannt. Die Wahrheitskommission wirft auch der Frente Farabundo Martí para la Liberación Nacional (FMLN) Menschenrechtsverletzungen vor. Diese hatte aber schon vor der Veröffentlichung, im Gegensatz zu den Militärs, Bereitschaft erkennen lassen, die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, die sich aus dem Bericht ergeben. Die FMLN bestätigte die Stichhaltigkeit der Anschuldigungen der Kommission. Sie glaubt an die Notwendigkeit der Enthüllung aller Einzelheiten der im Bürgerkrieg begangenen Verbrechen, um anschließend an die Möglichkeit einer Amnestie denken zu können. Die Eliten El Salvadors versuchen auf der anderen Seite, im Bewußtsein ihrer Verwicklung in Verbrechen wie das an Monseñor Oscar Arnulfo Romero, an den sechs Jesuitenpater und an tausenden von Campesinos und Campesinas, der Kommission Unglaubwürdigkeit zu unterstellen.
USA stehlen sich aus der Verantwortung
Ohne den Druck der Vereinigten Staaten wäre es schwierig gewesen, die Wahrheit darüber herauszufinden, was in den zwölf Jahren Bürgerkrieg vorgefallen ist. Die USA waren die Hauptstütze der salvadorianischen Armee, sowohl in wirtschaftlicher, politischer als auch militärischer Hinsicht und tragen somit eine große Verantwortung für die Menschenrechtsverletzungen. Sie unterstützten die salvadorianische Armee mit Beratern, Ausrüstung und finanziellen Mitteln, um einen Sieg der Aufständischen zu verhindern. Jetzt wollen sie sich aus der Verantwortung stehlen, indem sie sie ausschließlich auf die salvadorianischen Offiziere abwälzen. Bei dem letzten Treffen zwischen der Regierung und der guatemaltekischen Guerilla wurde bekannt, daß die Miteinbeziehung der Wahrheitskommission ein Punkt ist, der die Friedensverhandlungen zum Stocken gebracht hat. Die Einsetzung einer sogenannten Wahrheitskommission versetzt führende Köpfe der guatemaltekischen Gesellschaft offensichtlich in Panik. Auch wenn die Namen der Verantwortlichen für 150 000 Morde und für 45 000 Verschwundene allseits bekannt sind, hätte die öffentliche Bekanntmachung dieser Namen von einer unabhängigen Kommission ein anderes Gewicht. Die Regierung wäre zum Handeln gezwungen. Aus diesen Gründen ist eine internationale Beteiligung an den guatemaltekischen Friedensgesprächen unentbehrlich. Mit dem Argument der Militärs, sie hätten den Krieg gewonnen – auch wenn die Kämpfe an vielen Orten des Landes wieder aufgeflackert sind – läßt sich keine Demokratie in dem vom Bürgerkrieg gebeutelten Land errichten.
5000 US-Soldaten entsandt
(Guatemala, 23. März 1993, Cerigua-POONAL).- Einheiten der Nationalgarde der Vereinigten Staaten beteiligen sich an Operationen in Guatemala. Nach Informationen der Regierung werden die US-Soldaten nur in zivilen Bereichen Eingesetzt, sie sollten die guatemaltekischen Kräfte unter anderem bei der Kotrolle der Landstraßen unterstützen und verschiedene Infrastrukturarbeiten durchführen, sagte der guatemaltekische Verteidigungsminister. Die Ankunft der US-amerikanischen Soldaten in Guatemala wurde am vergangenen 16. Januar von der guatemaltekischen Presse angekündigt, die Informationen der deutschen Presseagentur (DPA) aus Tegucigalpa, Honduras, zitierte. In der Information wurde die Entsendung von 5000 Marines zur Teilnahme an militärischen Übungen auf das guatemaltekische Territorium angekündigt. Das Militärkontingent sollte Bodentruppen, Luftwaffe und Nationalgarde umfassen. In den letzten drei Monaten wurde das Thema der nordamerikanischen Truppenpräsenz auf guatemaltekischem Territorium in einigen politischen Medien als eine Verletzung der nationalen Souveränität kommentiert, in anderen als Teil einer Kooperation, die das Land braucht.
Regierung überging Parlament
Der Journalist der Tageszeitung „El Gráfico“, Mario Carrera, kommentierte, die Ankunft der nordamerikanischen Truppen verletzte den Artikel 172 der Verfassung. Diesem Artikel nach müssen internationale Abmachungen über Operationen von ausländischen Armeen oder die zeitweilige Einrichtung von Militärbasen im Inland von zwei Drittel der Kongreßmitglieder verabschiedet werden. Der Verteidigungsminister, Domingo García entgegnete, die Erlaubnis des Parlaments sei nicht notwendig, da die nordamerikanischen Soldaten lediglich „zivile Aufgaben“ erfüllten. Es werden jeweils Einheiten mit einer Stärke von 250 bis 400 Soldaten in Guatemala eingesetzt. Sie verbringen insgesamt 12 Perioden von zwei Wochen in Guatemala und unterstehen dem US- amerikanischen Präsidenten, erklärte der Befehlshaber des US- Kommandos „Sur“ in Panama. Die nordamerikanische Zusammenarbeit mit der guatemaltekischen Armee in „zivilen Aktionen“ ist nicht neu. Im November 1988 nahmen Soldaten der Base Kentucky an „medizinischen Tagen“ fünf Kilometer von der Gemeinde El Aguacate entfernt teil. Im selben Monat, am 26. November, brachte die Armee nach Informationen des Zentrums zur Untersuchung und Förderung der Menschenrechte in Guatemala (CIEPRODH) 22 Campesinos und Campesinas um. Im Dezember des gleichen Jahres zeigte die Gewerkschaft des Instituts für Anthropologie und Geschichte auf, daß Fallschirmspringer der Vereinigten Staaten den Maya-Ruinen von Petén bei einer Luftlandung Schaden zugefügt hatten. Nach Informationen örtlicher Medien starb am 31. Januar 1989 der nordamerikanische Pilot Elliot Randall durch die Explosion einer Rakete, als er nach seiner Rückkehr aus einer Konfliktzone im Nordosten des Landes auf dem Militärflughafen landete. Die Militärhilfe der Vereinigten Staaten für die guatemaltekische Armee, die offiziell eingestellt wurde, findet somit in sogenannten „zivilen Aktionen“ ihre Fortsetzung.
Zivile Aktionen oder verkappte Fortführung der Militärhilfe
Die Zeitschrift „Critica“ kritiserte im Februar dieses Jahres, daß die Aktivitäten der Vereinigten Staaten in Guatemala die Höhe weit übersteige, die notwendig wäre, um Operationen zur Kontrolle von Fahrzeugen und Personen auf den Landstraßen zu unterstützen. Sie zitierte den Fall einer Militäreinheit in einem Jeep, der in Palín von Truppen der Vereinigten Staaten festgehalten wurde. Die US- Soldaten verlangten ihre Identifikationsdokumente, was Diskrepanzen zwischen beiden Truppen hervorrief. Ein weiterer Fall ist der eines Anwaltes, der in einem Polizeiposten in Sacatepéquez im Westen Guatemala-Stadts von sieben Soldaten der Vereinigten Staaten festgenommen und verhört wurde. Da die Armee seit Januar eine Offensive großen Ausmaßes gegen die Guerilla URNG im Norden und Nordwesten des Landes durchführt, kann von ziviler Hilfe wohl kaum mehr die Rede sein. Vielmehr stellt sich die Frage, ob die US-Einheiten direkt oder indirekt in die Militäroffensive einbezogen sind.
ARGENTINIEN
Inflation gebremst, Armut forciert
(Buenos Aires, März 1993, Argenfax-POONAL).- Die Preise für Konsumgüter sind in Argentinien im vergangenen Dezember um 0,3 Prozent gestiegen. Das ist die niedrigste Inflationsrate seit 1974. Die Großhandelspreise sanken sogar um 0,7 Prozent; bereits im November waren sie um 1,9 Prozent gefallen. Die Regierung von Carlos Menem sieht angesichts dieser Daten ihren wirtschaftspolitischen Kurs bestätigt, sie stellt die niedrige Infaltion vor allem als Erfolg der brachialen Privatisierungspolitik von Wirtschaftsminister Cavallo dar. Eine geringe Preissteigerung sei eine wichtige Voraussetzung dafür, daß ausländische Investoren Vertrauen schöpften und sich in Argentinien engagierten. Außerdem könne das Land mit neuen Krediten rechnen, da es die Auflagen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank erfüllt habe.
Schattenseiten der Erfolgsbilanz
Die Erfolgsbilanz hat jedoch auch eine Schattenseite: rund 50 Prozent der Argentinier*innen leben nach offiziellen Angaben in extremer Armut. Die Spar- und Privatisierungspolitik der Regierung Menem, die seit 1989 im Amt ist, hat große Teile der Bevölkerung ins Elend getrieben. Bei der Auflösung von Staatsunternehmen wie etwa der Nationalen Telefongesellschaft (ENTEL), der Elektrizitätswerke von Groß- Buenos Aires (SEGRA), der nationalen Wasserwerke (OSN), der argentinischen Fluggesellschaft Aerolineas Argentinas (AA) und der Staatlichen Ölvorkommen (YPF) wurde eine neue Vorgehensweise gegenüber den Arbeiter*innen eingeführt: Gegen die Zahlung eines Bruchteiles ihrer regulären Abfindung wurden sie in den „freiwilligen Ruhestand“ geschickt. Tausende verloren ihre Arbeitsplätze und müssen sich nun mit Gelegenheitsjobs oder als Straßenhändler über Wasser halten. Der Verlust des Arbeitsplatzes bedeutete auch den Verlust gewerkschaftlicher Organisierung und sozialer Absicherung. Ein weiterer Kernpunkt der Finanzpolitik der Regierung von Präsident Menem: Sie hat die Ausgaben für Bildung und Gesundheit drastisch gestrichen. Die Krankenhäuser sind zum Teil in katastrophalem Zustand; zudem können viele Kranke die gestiegenen Behandlungskosten nicht mehr bezahlen. Finanzschwache Familien können ihren Kindern nicht mehr den Besuch weiterführender Schulen finanzieren. Ausgaben für Bildung und Gesundheit drastisch gekürzt Nachdem die letzten profitablen Staatsunternehmen privatisiert sind, will die Regierung nun noch einen Schritt weiter gehen: Mit der Erfassung von Zöllen und Mautgebühren für die Straßenbenutzung sollen private Unternehmen beauftragt werden; noch in diesem Jahr sollen Konzessionen vergeben werden. Kopfzerbrechen bereitet der Regierung indes weiterhin die Geldpolitik. Die Zentralbank hat große Schwierigkeiten, die Parität des Wechselkurses der heimischen Währung zum Dollar zu verteidigen. Vom März bis zum Oktober des vergangenen Jahres mußte sie Reserven im Wert von 251 Millionen Dollar verkaufen, um eine Abwertung zu verhindern. Im November mußte sie abermals intervenieren und 194 Millionen Dollar verkaufen. Die Abwertungspekulationen hatten zudem die Kurse an der Wertpapierbörse gedrückt, sie fielen im Vorjahresvergleich um 33 Prozent. Innerhalb von drei Tagen hatte die Zentralbank fast ihre gesamten Reserven aufgebraucht. Präsident Menem hatte derweil bereits den Schuldigen gefunden: Die Techint-Gruppe sei für den Druck auf die nationale Währung verantwortlich, da sie in großem Umfang Dollars aufgekauft habe.
Wechselkurs der Währung unter Druck
In diesem angespannten wirtschaftlichen Klima – die Zinssätze schnellten auf 55 Prozent, die Börsenkurse brachen erneut ein – tauchten auch Spekulationen auf, Argentinien werde sich aus dem MERCOSUR, der geplanten gemeinsamen Freihandelszone von Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay, zurückziehen. Unter diesen Voraussetzungen erscheint die gerühmte wirtschaftliche Stabilität, die mit der Privatisierung des Staatseigentums und einem Abkommen über ein Einfrieren der Löhne der Arbeiter*innen erkauft wurde, weniger solide. Wenn die erwarteten ausländischen Investitionen ausbleiben und die Beteiligung Argentiniens am MERCOSUR der Wirtschaft keine neuen Impulse verleiht, sind die Perspektiven weit düsterer. Fraglich ist, wie die einstige „Getreidekammer Südamerikas“ seine Schuldzinsen begleichen und gleichzeitig wirtschaftliche Dynamik entfalten soll.
HAITI
Armee dringt in Parlament ein
(Port-au-Prince, 12. März 1993, HIB-POONAL).- Polizist*innen drangen am 2. März in den haitianischen Senat ein, schlugen auf die 13 verfassungsmäßig gewählten Mitglieder ein und vertrieben sie dann mit vorgehaltener Pistole. Trotz Behinderungen und Drohungen kommen die Senator*innen der Fraktion „Bloc Constitutionaliste“ weiterhin jeden Tag in die Abgeordnetenkammern, um den Anhängern der Putschregierung nicht die Macht im Senat zu überlassen. „Sie dachten wohl, sie könnten uns für immer vertreiben, aber wir haben ihre Manöver verstanden und sind nicht darauf hereingefallen,“ sagte Senator Turneb Delp von der „Nationalen Front für Wandel und Demokratie“ (FNCD). Die Offiziere drangen auf Gesuch des Senators Thomas Eddy Dupiton in den Senat ein. Dupiton ist Mitglied der „Allianz für die Kohäsion des Parlaments“. Diese Fraktion besteht aus Senator*innen, die die Putsch-Regierung unterstützen. Dupiton rechtfertigte den brutalen Vorfall, indem er sagte, die Kammer befinde sich in einem Zustand der „Anarchie“. „Wir haben uns Zeit genommen, bis wir reagierten, und jetzt bringen wir unser Haus in Ordnung“, sagte er. Dies hatte die Regierung bereits vor knapp zwei Monaten versucht, als neun Abgeordnete ausgetausch wurden. Der Senat ist der Regierung ein Dorn im Auge, da er die Finanzpolitik blockieren kann. Der Staatshaushalt gerät immer mehr außer Kontrolle, und die Regierung will die Löcher stopfen, indem sie schlicht neue Banknoten druckt, das heißt, sie heizt die Inflation an. Ein solcher Schritt muß jedoch vom Senat gebilligt werden. „Die Leute, die den Staatsstreich unterstützen, machen die Erfahrung, daß sie die Situation nicht allein mit der Umbesetzung des Senats in den Griff bekommen“, sagt Senator Delp vom Bloc Constitutionaliste. „Diese falschen Senator*innen sind nichts, sie sind nur einfache Bürger*innen. Sie gingen eine Allianz mit den reaktionären Kräften der Polizei und der Armee ein. Sie veranlaßten sie dazu, den Senat zu überfallen und uns Waffengewalt zu verteiben. Wir (der konstitutionelle Block) stehen für die Einhaltung der Verfassung. Darum kämpfen wir dafür, daß alle gesetzeswidrig gewählten Abgeordneten abgesetzt werden und die korrupte Wahlbehörde der Regierung aufgelöst wird,“ sagte Delp.
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