Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 50 vom 29.06.1992
Inhalt
GUATEMALA
EL SALVADOR
KOLUMBIEN
KUBA
HAITI
GUATEMALA
Unternehmer*innen warnen vor Kompromiß mit Guerilla
(Guatemala, 23. Juni 1992, Cerigua-POONAL).-Unmißverständlich hat der UnternehmerInnendachverband Guatemalas (CACIF) am 15. Juni in einer sechsseitigen Zeitungsanzeige seine Position zum Verhandlungsprozeß zwischen Regierung, Armee und Guerilla dargestellt und vor Kompromissen mit den Aufständischen gewarnt. Das Dokument des CACIF ist eine Antwort auf den von der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) am 15. Mai präsentierten Vorschlag, mit dem die Guerilla die Verhandlungen wieder in Gang bringen will. Präsident Jorge Serrano ist inzwischen mit der, als überwunden angesehenen, Forderung nach einer Waffenniederlegung der URNG auf die Linie des CACIF eingeschwenkt. Er hat die Stellungnahme der Unternehmer*innen offenbar als eine Warnung interpretiert, nicht über den vom CACIF gesteckten Rahmen hinauszuschießen: „Die Regierung genießt Unterstützung für Schritte zur Erreichung des Friedens, und um die URNG davon zu überzeugen, ihre Haltung aufzugeben und davon abzubringen, Aktionen gegen das Gesetz und die elementarsten Rechtsprinzipien jeder modernen Gesellschaft zu unternehmen, aber nicht um nachzugeben und ihr Recht auf die Repräsentation aller Bürger in Guatemala gnädig abzugeben.“ Die Erklärungen des CACIF sind von demonstrativer Kompromißlosigkeit und Unnachgiebigkeit geprägt. Die Unternehmer*innen lehnen es sogar ab, daß die Volksorganisationen auch nur als Beobachter*innen an den Verhandlungen beteiligt werden. „Der CACIF ist der Ansicht, daß es einzig der Regierung, als legitimer Repräsentantin des guatemaltekischen Volkes und der nationalen Einheit, zukommt, mit den verschiedenen zivilen Sektoren zu diskutieren und diese zu konsultieren.“ Der CACIF stellt sich auch ausdrücklich gegen eine direkte Beteiligung von Vertretern der Indígena-Völker, wie sie von der URNG für die Gespräche zum Thema „Identität und Rechte der Indígena-Völker“ vorgeschlagen wurde. Schon in der bloßen Erwähnung von „Autonomie“ für die Indígena-Völker durch die URNG sieht der CACIF die Einheit der Nation gefährdet. Die Bräuche, Sprachen und Kulturen, die bereits ausreichend „respektiert werden“, müßten als nationales Erbe kultiviert und geschätzt werden, forderte der CACIF. CACIF stellt Verhandlungskatalog in Frage Der UnternehmerInnenverband verwirft überdies den zwischen Regierung und Guerilla vereinbarten, elf Punkte umfassenden Verhandlungskatalog: „Der CACIF vertritt die Meinung, daß der Charakter und Inhalt der in Mexiko-Stadt am 26. April 1991 vereinbarten Themen den Gesprächsrahmen, der der URNG zukommt, sprengt.“ Mehrere der Themen müßten von den rechtmäßigen, von der Verfassung bestimmten Organen analysiert und gelöst werden, etwa die Komplexe „Identität und Rechte der Indígena-Völker“, „Verfassungs- und Wahlrechtsreformen“, „sozioökonomische Aspekte“, „Agrarsituation“ und „Wiederansiedlung der durch die bewaffneten Auseinandersetzungen vertriebenen Bevölkerung“. Einziger substantieller Punkt, der dann noch zwischen Regierung und Guerilla verhandelt werden müßgte, wäre die „Stärkung der zivilen Macht und die Funktion der Armee in einer demokratischen Gesellschaft“. Die zivile Macht sei seit 1986 – der Amtsübernahme durch den christdemokratischen Präsidenten Cerezo – aber ohnehin schon gefestigt, „trotz der Manöver der Subversion, dies zu verhindern“. Eine Entmilitarisierung des Landes und eine Schwächung der Streitkräfte lehnen die Unternehmer*innen ab, „eine Reduzierung der Armee wäre eine unsinnige, wenn nicht selbstmörderische Haltung“. Was die URNG als „Militarisierung der Gesellschaft“ bezeichne, sei lediglich die legitime Verteidigung durch die Armee gegen die Angriffe der Aufständischen, so der CACIF. Implizit rechtfertigen die Unternehmer*innen damit die Repression gegen die Volksorganisationen und die Zivilbevölkerung. Die Flüchtlinge und Vertriebenen dienten der Guerilla als „Schützengräben und Zufluchtsorte“, sie seien „verdeckte Destabilisierungskräfte“, „Kanonenfutter“ und willfährige „Instrumente der Eskalation des Konfliktes“.
„Keine Verfassungsreform“
Der UnternehmerInnenverband machte deutlich, daß er sich weitreichenden Veränderungen, etwa einer Verfassungsreform, entgegenstellten werde: „Dem CACIF erscheint es momentan nicht den nationalen Interessen und der institutionellen Stabilität förderlich, daß Änderungen an der Verfassung vorgenommen werden. Wir stellen uns diesem Vorschlag entschieden entgegen.“ Nebenbei wird auch dem Generalsekretär der Christdemokraten, Alfonso Cabrera, eine Absage erteilt, der vorgeschlagen hatte, nicht nur Parteien bei Wahlen zuzulassen. Um die Beteiligung der Bürger*innen an politischen Entscheidungen dynamischer und effektiver zu gestalten, könnten Mechanismen geschaffen werden, aber: „Es sind die Parteien, die die Bestrebungen des Volkes interpretieren müssen.“ Die Befriedung des Landes sei ganz einfach zu erreichen: Die Guerilla müsse nur die Waffen die Waffen niederlegen, die Sabotageakte einstellen und sich ins politische Leben des Landes eingliedern. Vor allem die Einstellung der Sabotageakte scheint den Unternehmer*innen sehr am Herzen zu liegen, denn sie beeinträchtigen Handel und Gewinne. Insgesamt deckt sich die Erklärung der Unternehmer*innen weitgehend mit dem „Plan für den totalen Frieden“, den Präsident Serrano am 8. April des vergangenen Jahres veröffentlicht hatte und auf den sich der CACIF mehrmals in seinem Papier bezieht. Mit keinem Wort geht der UnternehmerInnenverband auf die ökonomischen Ursachen des bewaffneten Konflikts in Guatemala ein, auf die Armut und Ausbeutung der Mehrheit der Bevölkerung
„Guerilla muß die Waffen abgeben“
Die Botschaft des CACIF richtet sich explizit an die URNG und die Regierung. Sie ist jedoch in erster Linie als Warnung zu werten, den Aufständischen keine Zugeständnisse zu machen. „Der wichtigste zu verhandelnde Punkt muß sein, daß sich die URNG in die Gesellschaft eingliedert und zu einer politischen Partei wird. Dafür sind keine Verfassungsänderungen notwendig.“ Die Regierung dürfe nicht akzeptieren, daß die URNG die Forderung nach einer Verfassungsreform und einer Neubestimmung der Funktion der Armee als Entschuldigung mißbrauche, um ihre unnachgiebige Haltung und ihre Destabilisierungs-Aktionen zu rechtfertigen. Bemerkenswert und durchaus als Drohung zu verstehen ist die Erklärung des CACIF, daß die Putschversuche gegen den christdemokratischen Präsidenten Vinicio Cerezo 1988 und 1989 nur scheiterten, weil die Unternehmer*innen ihnen die Unterstützung versagt hätten. Die CACIF-Mitglieder – ein Großteil weigert sich nach wie vor, den Arbeitern selbst den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn zu zahlen – machen allein die URNG für die Misere des Landes verantwortlich. Wenn die URNG ihre subversiven Aktionen einstellen würde, dann „verwendeten wir unsere Kraft darauf, den institutionellen Prozeß zu stärken, friedlich zusammenzuleben, das Vertrauen zu fördern, um Investitionen voranzutreiben, unsere Wirtschaft zu dynamisieren und die Gesundheitsversorgung, das Bildungssystem und die Infrastruktur substantiell zu verbessern.“ Serrano begriff die Botschaft des UnternehmerInnenverbandes sehr schnell. Er verlangte am 17. Juni, daß die URNG die Waffen abgebe. Gegen den CACIF, in dem die mächtige Agraroligarchie, die Industrie, Handels-, Finanz-, Tourismus-, Bau- und Transportunternehmer*innen zusammengeschlossen sind, ist in Guatemala keine Politik durchzusetzen.
Vernichtende Kritik des Ex-Präsidenten
Deutlich wurde dies schon im April, als der Generalsekretär der christdemokratischen Partei vorschlug, das präsidiale System in ein parlamentarisches umzuwandeln. Der ehemalige Präsident Vinicio Cerezo fällte in einem Interview mit der mexikanischen Tageszeitung „Excelsior“ am 6. Juni ein vernichtendes Urteil über die guatemaltekischen Unternehmer: „Das Problem ist, daß ein rückständiger Unternehmersektor, der von einer Vernichtungsmentalität bestimmt ist und sich nicht weiter entwicklen will, fortbesteht.“ Das Hindernis für Frieden und Demokratie stellten die rechten Unternehmer*innen dar, die sich weigerten, ihren Reichtum zu teilen, zitierte die Zeitung den Ex- Präsidenten. Rolando Morán, Mitglied der Generalkommandantur der URNG, beantwortete am 18. Juni in Costa Rica die Erklärung von Serrano. Der Vorschlag, die URNG solle die Waffen niederlegen, eine Partei gründen und „mit Ideen und nicht mit Kugeln“ kämpfen, sei lächerlich, so Morán. Die Äußerungen Serranos glichen einem Ultimatum. „Ultimaten von Seiten der Regierung und der Armee gab es in den 30 Jahren der Guerilla immer wieder. Wir geben die Waffen nur deshalb nicht ab, weil sie unsere einzigen Garantien sind.“ Der Heeressprecher Julio Yon Rivera bezeichnete die Äußerungen des Guerilla-Kommandanten seinerseits als lächerlich. Am 22. Juni wiederholte Verteidigungsminister José García Samayoa das „Angebot“ an die Guerilla, sich ins legale Leben des Landes einzugliedern. Auch wenn es kein Amnestie-Gesetz gebe, sei eine Eingliederung der Rebellen möglich. „Es wird eine Akte angelegt und Punkt. Nichts ist passiert“, meinte der Verteidigungsminister hintergründig. In diesem Klima halten sich weiter Gerüchte, daß noch in diesem Monat Delegationen der Regierung und der URNG zusammentreffen werden. Sobald die Verhandlungen über das Thema Menschenrechte beendet sind, soll,so fordern die Rebellen, die Tagesordnung umstrukturiert werden. Da aber der CACIF nicht einmal die Tagesordnung an sich akzeptiert, geschweige denn ihre Umstrukturierung gestattet, wird dieses Treffen kaum einen Ausweg aus der Sackgasse, in die die Verhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien geraten sind, bieten.
Regierung läßt Besetzer*innen räumen
(Guatemala, 24. Juni 1992, NG-POONAL).- Die guatemaltekische Regierung hat den Plaza Mayor – den Platz vor dem Nationalpalast – , der 80 Tage lang friedlich von Landarbeiter*innen besetzt gehalten wurde, räumen lassen. Die Besetzer hätten keinerlei Verhandlungsbereitschaft gezeigt, rechtfertigte die Regierung den Polizeieinsatz. „Die Räumungsaktion wurde durchgeführt, nachdem die Campesinas/os die Vorschläge der Regierung abgelehnt haben.“ Die Regierung sehe sich nicht in der Lage, die Probleme der Besetzer*innen zu lösen“, sagte Regierungssprecher Gonzalo Asturias. Die Gewerkschaften machen Präsident Serrano für die Räumung verantwortlich. „Die 300 Campesinas/os und über 300 Familien, die den Platz zur Durchsetzung ihrer Forderungen besetzt hielten, wurden auf Anordnung des guatemaltekischen Präsidentengeräumt“, versicherten Gewerkschaftsfüher*innen.
„Einsatz der Polizei illegal“
Auch die Nationale Vermittlungskomission, die sich eingeschaltet hatte, um eine Lösung des Konflikts herbeizuführen, verurteilte die Entscheidung des Präsidenten „da es für die Aktion keinen richterlichen Räumungsbefehl gegeben habe und sie, unter Ausnutzung der Dunkelheit, brutal durchgeführt wurde“. Diese Komission setzt sich aus dem guatemaltekischen Generalstaatsanwalt, Acisclo Valladares, der stellvertretenden Menschenrechtsbeauftragten, Maria Eugenia de Sierra, dem Abgeordneten des Obersten Gerichtshofs, Byron Vasquez, der stellvertretenden Arbeitministerin, Aura de Aguilera und dem Präsidenten des Menschenrechtsbüros der Erzdioziöse, Bischof Juan Gerardi zusammen. Der guatemaltekischen Erzbischof, Monsignor Prospero Penados, verurteilte ebenfalls die Polizeiintervention. Der Einsatz sei rechtlich nicht legitimiert und stelle eine Mißachtung der Rechte der Campesinas/os dar. Die Gewerkschaftseinheit der Arbeiter*innen Guatemalas (UNSITRAGUA) wertete die Räumung der coatepetekischen Landarbeiter*innen als „Beweis dafür, daß Präsident Serrano, Innenminister Hurtado Prem und der (zweite) stellvertretende Arbeitsminister Contreras einzig und allein in der Absicht handeln, die Straffreiheit und die Interessen der Unternehmer*innen, die gegen die Landesgesetze verstoßen, zu schützen“. Die 300 geräumten Campesinas/os hatten ihre Wiedereinstellung als Arbeiter*innen auf verschiedenen Fincas in der Gemeinde Coatepeque, im Westen der Provinz Quetzaltenango an der Pazifikküste, gefordert. Bei der Räumung, die in den frühen Morgenstunden des 21. Juni stattfand, umzingelten 600 Sicherheitskräfte die Plaza Mayor, setzten Schlagstöcke ein und zwangen die Campesinas/os in Busse, die sie in ihre Herkunftsorte bringen sollten. Nach Informationen von UNSITRAGUA beschimpften die Polizisten die Besetzer als Anhänger der Guerilla und drohten, nun werde mit ihnen abgerechnet. Zuvor, am 10. Juni, hatte in Genf der Generalsekretär der Internationalen Gewerkschaft der Bekleidungs- und Textilindustrie Neil Karney kritisiert, daß in Guatemala die Rechte der Arbeiter*innen mißachtet würden. Jeglich Form des organisierten Arbeitskampfes führe unweigerlich zur Konfrontation mit der Regierung. Die größte Massenorganisation des Landes, die Einheit für Gewerkschafts- und Volksaktionen (UASP), forderte als Reaktion auf die Räumung den sofortigen Rücktritt des stellvertretenden Arbeitsministers, Carlos Contreras Solórzano. Solozano sagte, er habe lediglich einen Befehl ausgeführt. Der Präsdint habe den Polizeieinsatz angeordnet. Der Generalsekretär des Koordinationskomitees der Kammern für Handel, Industrie, Landwirtschaft und Finanzwesen (CACIF), Frederico Pol, warf den Gewerkschaften vor, die „Arbeiter*innen gegen die Unternehmen aufzuhetzen“.
Staatsdiener im Streik
7000 im Staatsdienst stehende Akademiker*innen streiken, um eine Erhöhung des monatlichen Mindestlohnes auf 1.500 Quetzal (ca.300 US$) durchzusetzen. Die letzte Lohnerhöhung hatten sie 1983erhalten. Zugleich hat die Gewerkschaft der staatlichen Angestellten (FENASTEG) mit der Arbeitsniederlegung der knapp 160.000 Mitglieder gedroht, falls die Regierung die Monatsgehälter nicht um 500 Quetzal (100 US$) erhöht. Weitere staatliche Angestellte traten in der vergangenen Woche in Streik, darunter die Beschäftigten der guatemaltekischen Telefongesellschaft (GUATEL) und des guatemaltekischen Instituts für Soziale Sicherheit (IGGS), dessen medizinisches und betreuendes Personal nur noch Notfälle annimmt. Obwohl den Erklärungen des CACIF zufolge weder die Regierung noch die Unternehmer*innen das Arbeitsrecht verletzten, kündigten die Autoritäten am 24. Juni Samktionsmaßnahmen gegen die Angestellten von GUATEL an, die mit dem Streik die internationalen Telefonverbindungen stillgelegt haben.
EL SALVADOR
FMLN: Menschenrechte werden systematisch verletzt
(San Salvador, 21. Juni 1992, Salpress-POONAL).- In El Salvador werden auch nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens zwischen der Regierung und der Guerilla FMLN die Menschenrechte weiterhin systematisch verletzt, behauptet das Menschenrechtsbüro der FMLN. Der Direktor des Menschenrechtsbüros, Rolando Orellana, sagte, die Verbrechen würden von den Sicherheitskräften begangen. „Unbeeinträchtigt von den ganzen Forderungen, die es bezüglich der Einstellung ihrer Aktivitäten gegeben hat, operieren die Todesschwadrone ungestört und in voller Straffreiheit auch nach dem 1.Februar weiter.“
Guerilla dementiert geheime Waffendepots
(San Salvador, 21. Juni 1992, Salpress-POONAL).- Francisco Jovel, Mitglied der Generalkommandatur der FMLN, hat die Anschuldigung zurückgewiesen, die Guerilla horte in Nicaragua Waffen. In einem Haus in Nicaragua, das angeblich von salvadorianischen Rebell*innen besetzt sein soll, hatte die Polizei Waffen entdeckt. „Wir haben unsere Strukturen im Ausland, als Garantie für den Friedensprozess abgebaut“, teilte Jovel mit. Ein anderes Mitglied der FMLN, Salvador Samoya, wertete die Berichte über geheime Waffendepots der Aufstandsbewegung als Versuch, die Umsetzung der Friedensabkommens zu boykottieren.
Lehrer setzen Streik fort
(San Salvador, 21. Juni 1992, Salpress-POONAL).- Die salvadorianische LehrerInnenvereinigung ANDES hat beschlossen, ihren bereits zwanzig Tage währenden Streik fortzusetzen. Damit wies die ANDES das Lohnabkommen zurück, das das Erziehungsministerium mit einem anderen LehrerInnenverband – dem zehn Prozent der Leher*innen angehören -, getroffen hatte, zurück. Die ANDES verlangt eine monatliche Lohnerhöhung von 300 bis 450 Colones (37,5 – 56 US-Dollar), nach dem Lohnabkommen erhalten die Beschäftigten jedoch nur 150 bis 415 Colones (19 – 52 US-Dollar) zusätzlich. Für die kommende Woche haben mehrere Volksorganisationen Solidaritätsstreiks angekündigt.
KOLUMBIEN
Proteste gegen Wirtschaftspolitik stürzen Regierung in eine Krise
(Ecuador, Juni 1992, Alai-POONAL).- Die von der Regierung des Präsidenten Gaviria eingesetzte Schocktherapie, deren Kernstück die beschleunigte Öffnung der kolumbianischen Wirtschaft ist, hat zu Protesten der Bevölkerung geführt, vor allem die Arbeiter*innen des öffentlichen Sektors äußern ihren Unmut, denn sie sind von der Privatisierungspolitik der Regierung am stärksten betroffen. Allein in den letzten sechs Monaten wurden 14.000 Arbeitskräfte aus dem staatlichen Sektor entlassen und bis zum Ende des Jahres 1992 hat die Regierung die Entlassung von weiteren 30.000 Beschäftigten angekündigt. Die Lage scheint sich immer weiter zuzuspitzen: die Gewerkschaftsleitungen und die wichtigsten Kräfte der politischen Opposition hatten bereits für den 28. Mai zu einer großen nationalen Demonstration aufgerufen, um gegen die geplante Mehrwertsteuererhöhung und gegen drastische Energie-Kürzungen zu protestieren. Der Eifer, den die gegenwärtigen Regierung Kolumbiens bei der Erfüllung ihres Versprechens, die „Ökonomie zu internationalisieren“, an den Tag legt, hat längst nichts mehr mit ihren Ankündigungen in der Antrittsrede Mitte 1990 zu tun, in der sie eine mit Arbeitgeber*innen und Arbeiter*innen ausgehandelte Arbeitsreform in Aussicht gestellt hatte. Stattdessen verabschiedete sie, noch mit Unterstützung des damaligen Kongresses, im Jahr 1990 zwei Gesetze, die den Arbeiter*innen erhebliche Nachteile brachten, unter anderem wurde das Recht auf Arbeitslosenunterstützung abgeschafft.
Kritik an Privatisierung
Auf scharfe Kritik der Gewerkschaften stieß auch die im April vorgenommene Privatisierung der staatlichen Telefongesellschaft TELECOM. TELECOM ist ein effizient funktionierendes öffentliches Unternehmen, das seit 45 Jahren besteht und über eine gute technologische Infrastruktur verfügt. Die TELECOM ist ein rentables Unternehmen, im vergangenen Jahr hat es einen Überschuß von 53 Milliarden Pesos (1US-Dollar = 754 kolumbianische Pesos) in erwirtschaftet. Die Telefongesellschaft ist nach der kolumbianischen Ölgesellschaft Ecopetrol das zweitgrößte staatliche Unternehmen, in der Hierarchie sämtlicher Unternehmen nimmt Ecopetrol den fünften Rang ein. Die Beschäftigten der Telefongesellschaft legten acht Tage die Kommunikation im Land lahm, nachdem die drei Monate währenden Verhandlungen mit der Regierung erfolglos verlaufen waren. Diese Kampfmaßnahme der in der Sittelecom (Telefongewerkschaft) organisierten Arbeiter*innen wurde von den übrigen staatlichen ArbeiterInnenn wie auch von allen anderen ArbeiterInnenvertretungen im Lande unterstützt, außerdem auch von den Volksbewegungen, die nicht nur gegen die Privatisierung protestieren, sondern der Regierung die Verantwortung für die Wirtschaftskrise, die Inflation, die Arbeitslosigkeit, die Steuerreform und die Energiekürzungen anlasten. Es ist das erste Mal seit langer Zeit, daß die Gewerkschafts- und die Volksbewegung derart einheitlich gegen die Regierung protestiert. Der Streik der TELECOM-Angestellten zwang die Regierung, die Forderung aufzugeben, erst zu verhandeln, wenn die Arbeiter den Streik beendeten. Der Präsident der Telefongesellschaft hörte zumindest den Einspruch der Arbeiter an. Ihr Hauptargument ist, daß mit dem Entwurf der Regierung die Telefongesellschaft und deren Dienstleistungen an die multinationalen Konzerne ausgeliefert werde, was die nationale Souveränität gefährde, da der Staat seine Rechte über die Satellitenstationen aufgeben und damit die Möglichkeit der technologischen und informativen Selbstbestimmung der Kolombianer einschränken würde.
Massenentlassungen befürchtet
Außerdem sieht die Gewerkschaft zahlreiche Arbeitsplätze in Gefahr. „Der neue Besitzer wird denjenigen Arbeitsplätze anbieten, die die Neuverhandlungen ihrer vertraglichen Löhne akzeptieren“, heißt es in einem Entwurf der Regierung. Damit wird keinem der 14.883 Telecom-Angestellten der Arbeitsplatz garantiert. Der Arbeitskonflikt endete am Mittwoch, dem 29. April, dank der Vermittlung einer aus drei Parteien zusammengesetzten Kongreßkommission, in der sowohl Vertreter des Kommunikationsministeriums wie Direktoren von TELEKOM und ArbeiterInnenrepräsentanten vertreten sind. Diese Kommission hat die Aufgabe, eine Alternative zu den Regierungsplänen zu entwickeln und zu prüfen, ob die Auflösung des Unternehmens zu verhindern ist. Neben dem Streik bei TELECOM kam es während der letzten Wochen in verschiedenen Sektoren des Landes zu Konflikten, besonders im Finanzsektor. Unter anderen traten die Angestellten der Kaffee-, Vieh- und Volksbanken in den Streik. Gleichfalls sahen sich die 5.500 Hafenarbeiter*innen zum Streik gezwungen, nachdem die Regierung die Auflösung des Kolumbianischen Hafenunternehmens in Colpuertos beschlossen hatte. Heftige Proteste riefen Massenentlassungen in der Automontagefabrik Sofasa-Renaut und im Gesundheitssektor hervor. In Urab und Barrancabermeja riefen Arbeiter*innen und soziale Organisationen zu Bürgerstreiks auf, um gegen die Ermordung verschiedener regionaler Führer zu demonstrieren. Menschenrechtsorganisationen weisen darauf hin, daß in den ersten Monaten dieses Jahres 149 Personen aus politischen Motiven getötet wurden, weitere 211 Morde waren möglicherweise politisch motiviert, unter den Opfern befanden sich 10 Gewerkschaftler*innen und 17 Bananenarbeiter*innen. Außerdem hatte sich in den vorangegangenen Monaten auch bei den Streitkräften Unmut aufgestaut, was den Präsidenten schließlich zwang, per Dekret eine Lohnerhöhung um 26.8 Prozent für den öffentlichen Sektor, einschließlich Polizei und Militär, zu beschließen. Im Februar 1992 war die Zahl der Arbeitskämpfe schon auf mehr als 60 angestiegen, um sich mit Ende des ersten Quartals noch einmal beachtlich auszuweiten – mit anhaltend steigender Tendenz, da ab Mai viele Tarifverträge ausgelaufen sind. Auf Kritik stieß zudem die miserable Stromversorgung und die Steuereform, die die Regierung dem Kongreß vorgelegt hat. In einer Fernsehansprache erklärte der Präsident Gaviria, daß die Stromausfälle durch den ausbleibenden Regen und den Druck der Gewerkschaften in den Stromversorgungsunternehmen hervorgerufen werde. Schließlich rief er den „ökonomischen Notstand“ aus. Die Bundesstaatsanwaltschaft gab kurz darauf bekannt, daß das Wasserkraftwerk „El Guavio“ vollkommen unzureichend geleitet und verwaltet wurde, da durch die widerrechtliche Unterzeichnung von 10 verschiedenen Verträgen dem Staat Kosten in Höhe von 148 Millionen entstanden waren und außerdem die widerrechtliche Aushandlung eines internationalen Bankkredites den Staat über 200 Millionen gekostet habe; das Kraftwerk werde in den ersten beiden Jahren nur Verluste einfahren. Belegt werden konnten auf diese Weise die wirklichen Ursachen für die Krise in der Stromversorung, die die kolumbianische Bevölkerung momentan erleidet.
Präsident im Stimmungstief
Auf der anderen Seite hat die von Gaviria formulierte Gesetzesvorlage zur Steuerreform, in der eine Mehrwertsteuererhöhung von 12 auf 18 Prozent vorgesehen ist, zu einer starken Protestwelle geführt. Selbst Mitglieder der Regierung äußerten, daß sie mit der offiziellen Iniatitive zur Steuererhöhung nicht einverstanden seien, da sie den sozialen Konflikt im Land weiter schüren würde. Mit dieser Reform, die 550 Milliarden Pesos zusätzlich in die Staatskasse spülen soll, sollen die Kosten der ökonomischen Öffnung gezahlt werden. Außerdem bestimmt der Gesetzesentwurf die Steuerhinterziehung als strafbares Delikt, mit Gefängnisstrafen von 1 bis zu fünf Jahren versehen. Angesichts dieser Situation hatten die Gewerkschaftszenralen für den 28.Mai zu einer großen Protestdemonstration aufgerufen, die auch von den Kräften der politischen Opposition – Patriotische Union, Sozialkonservative, Demokratische Allianz M-19 und Kommunistische Partei – unterstützt wurde. Während also die Idee des Aktionsbündnisses in den Gewerkschafts- und Volksbewegungen sich durchzusetzen beginnt, zeigt das gepflegte Bild des Präsidenten César Gaviria erste Anzeichen von beschleunigtem Zerfall: nach einer von Nationalen Umfrageinstitut durchgeführten Befragung meinen 52 Prozent der Kolumbianer*innen, daß der Präsident die Regierungsgeschäfte schlecht führt. Noch vor 15 Monaten äußerten 85 Prozent der Kolumbianer*innen das Gegenteil.
KUBA
Regierung umwirbt den Klassenfeind
(Havanna, 23. Juni 1992, Prensa Latina-POONAL).- Kuba ist derzeit bemüht, die wirtschaftliche Isolation zu durchbrechen und für Investitionen und stärkeren Handel zu werben. Ein solcher Versuch war die Konferenz über geschäftliche Optionen in Kuba, die vom 8. bis 10. Juni im mexikanischen Badeort Cancun und in Havanna stattfand. Über den Erfolg des kubanischen Werbens sprach Prensa Latina mit dem Präsidenten des Staatlichen Komitees für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (CECE), Ernesto Melendez, der die kubanische Delegation geleitet hat.
Frage: Wie lassen sich die Ergebnisse der Konferenz zusammenfassen?
Es kristallisierten sich diverse Geschäftsoptionen heraus, nicht nur im Tourismus, dem ja eine Art Pionierfunktion für diese Art von Zusammenarbeit zukommt, sondern auch in der Lebensmittelindustrie, der Pharmazeutik- und Mechanikindustrie, im Transportwesen, der Landwirtschaft und in einzelnen Sektoren, die mit der Anwendung der Forschungsresultate aus Bereichen wie der Bio- und Gentechnologie verknüpft sind, sowie in der Produktion von medizinischen Apparaten.
Frage: Wurden bereits konkrete Projekte vereinbart?
Ich bin überzeugt, daß es dazu kommen wird. Einige Unternehmen haben sich sehr interessiert gezeigt und sind länger in Havanna geblieben, um sich genauer zu informieren.
Frage: Was bedeutete die Konferenz für Kuba?
Ein Forum zur breiteren Darstellung der Investitionsmöglichkeiten hier; An der Sitzung in Havanna haben über 130 Delegierte aus 18 Ländern teilgenommen, davon 78 aus den Vereinigten Staaten. Das bestätigt das wachsende Interesse für unser Angebot, das abgesichert wird durch den dreißigjährigen Investitionsplan, der aus Kuba eine der Gesellschaften mit dem höchsten Bildungsniveau in der Dritten Welt gemacht hat – und das ist nur eines von verschiedenen Anreizen.
Frage: Hat Kuba in Hinblick auf diese Konferenz die Gesetzgebung modifiziert, um ausländischem Kapital bessere Möglichkeiten auf Kuba zu gewähren?
Nein. Unsere Teilnahme war von derselben Politik und denselben Prinzipien geleitet wie immer. Das Dekret Nr. 50, das diese Art von Geschäften regelt,enthält komplementäre Gesetze, die an die Veränderungen in der Weltwirtschaft angepaßt sind. Es ist keine statische, sondern eine flexible Gesetzgebung, die eine Einzelfall-Analyse erlaubt. Ein Beispiel für diese Politik, die seit 1982 angewandt wird, ist unsere Haltung in bezug auf die Unternehmer aus den lateinamerikanischen Ländern, mit denen wir bereit sind, eine Mehrheitsbeteiligung bei ihren Investitionen in Kuba zu fördern.
Frage: Wie erklären Sie sich die starke Beteiligung von US- amerikanischen Unternehmern zu einem Zeitpunkt, in dem Washington versucht, die Wirtschaftsblockade gegen Kuba noch zu verstärken?
Ich glaube, daß da verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Einer der wichtigsten ist wohl diese riesige Kampagne, die eine Art Zeitplan für den Einsturz des Sozialismus in unserem Land aufgestellt hatte. Natürlich haben sich diese Fristen nicht erfüllt und unser Volk und unsere Regierung sind weiterhin dabei, nicht nur den Sozialismus zu retten, sondern auch auf erfolgreiche Weise voranzukommen – und das stärkt uns natürlich. In zweiter Linie werden in den USA die Stimmen immer lauter, die sich besorgt darüber äußern, daß Geschäftsleute aus anderen, benachbarten oder entfernteren, Teilen der Welt – wie Mexiko, Kanada, Spanien, Italien – den Raum nutzen, der in Kuba für ausländisches Kapital geschaffen wird, während die nordamerikanischen Unternehmer diese Chancen nicht wahrnehmen. Außerdem glauben viele Manager immer weniger daran – das äußerten sie in den Debatten -, daß die Blockade auch nur irgendeine Erfolgschance hat. Sie sehen den Schaden, den sie in Kuba anrichtet, aber auch den Schaden, den diese Maßnahme für die Unternehmer ihres eigenen Landes bedeutet, worüber sie zahlreiche Statistiken während der Konferenz vorlegten.
HAITI
Proteste gegen Putsch-Regierung halten an
(Port-au-Prince, 20. Juni, Haiti Information Bureau).-Die Amtseinführung des neuen, von der Militärjunta ernannten Ministerpräsidenten Marc Bazin am 19. Juni ist von zahlreichen Protesten begleitet worden. Hunderte Studenten demonstrierten gegen den neuen Regierungschef und forderten die Rückkehr des gewählten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, der im September des vergangenen Jahres von den Streitkräften gestürzt worden war. Die Armee ging gegen die Demonstranten vor, stürmte ein Universitätsgebäude und stieß die Studenten aus dem Fenster, zahlreiche Menschen wurden verletzt. Bazin, ehemals bei der Weltbank beschäftigt, war der Favorit der USA. Anfang Juni wurde Bazin vom Parlament bestätigt, allerdings boykottierte die stärkste Fraktion, die Nationale Front für Demokratie, aus Protest die Wahl, an der weniger als die Hälfte der Senatoren teilnahmen. Unterdessen werden die USA beschuldigt, sie habe Abgeordnete bestochen, damit sie für Bazin stimmten. „Der US-Botschafter Alvin Addams ist der Archtitekt dieses Plans“, sagte der Chef einer haitianischen Menschenrechtsorganisation. „Das Geld kam direkt von der US-Botschaft.“ Um dem internationalen Druck zu begegnen stellte Bazin vage ein Treffen mit dem ins Exil geflüchteten Präsidenten Aristide in Aussicht. Aristide seinerseits bezeichnete die Ernennung Bazins als illegal und warf ihm vor, im Dienste der Putschisten zu handeln. Ein Universitätsprofessor äußerte sich skeptisch über die Erfolgschancen Bazins. Eine breite Opposition formiere sich gegen die Machthaber, Bazin werde nicht, wie er immer wieder behaupte, von einem Konsens in der Bevölkerung getragen. „Seine Ernennung war lediglich ein Manöver der Putschisten, damit das Handelsembargo gelockert werde und die Generäle ihre Macht retten können.“ Von vielen wird die Ernennung Bazins als Ergebnis einer Allianz von Unternehmern, dem Militär und den berüchtigten „Tonton Macoutes“, der Geheimpolizei des früheren Diktators Duvalier, gesehen. Der Widerstand gegen die Putschisten wächst, gleichsam wie die Repression, mit die Proteste erstickt werden sollen. Die Zahl der Verhafteten steigt täglich, verstümmelte Leichen liegen in den Straßen. Der haitianische Pfarrer Willy Romulus glaubt allerdings nicht, daß sich die neuen Machthaber durchsetzen können. „Die Menschen erfahren derzeit großes Leid, aber sie werden leisten Widerstand, sie werden Bazin niemals als Regierungschef akzeptieren.“
Bazin stellt neues Kabinett vor
(Port-au-Prince, 16.6.92, Haiti-Info-POONAL).- Der neue Regierungschef Marc Bazin hat am 12. Juni ein neues Kabinett vorgestellt. Ihm gehören ausnahmslos Politiker an, die den Staatsstreich gegen Aristide befürworteten. Gleichzeitig kündigte Bazin ein Wirtschaftsprogramm an, das die Karibikinsel aus der Krise führen soll. Er versprach, 100 000 Arbeitsplätze zu schaffen und den Bauern Landrechte zu garantieren. „Wir sind bereit, sobald wie möglich mit der Organisation Amerikanischer Staaten und Pater Aristide zu verhandeln, wir wollen ein Gesamtprogramm zur Lösung der Krise vorstellen, sagte Bazin. Turneb Delpé, Abgeordneter der Nationalen Front für Wandel und Demokratie (FNCD) kündigte an, seine Partei werde an keiner parlamentarischen Debatte teilnehmen, die die Legitimität des gestürzten Präsidenten Aristide in Frage stelle. „Wenn Aristide die neue Regierung akzeptierte, wären wir aber bereit, mit ihm zu arbeiten, um Haiti aus der Krise zu steuern.“ Die FNCD ist die stärkste Fraktion im haitianischen Parlament.
Poonal Nr. 050 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar