Poonal Nr. 092

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 92 vom 10.05.1993

Inhalt


EL SALVADOR

GUATEMALA


EL SALVADOR

FMLN vor der Spaltung?

(San Salvador, 3. Mai, Salpress-Poonal).- Meinungsverschiedenheiten über die Aufstellung des Präsidentschftskandidaten haben die FMLN an den Rand der Spaltung getrieben. Die Auseinandersetzungen erreichten am vergangenen Wochenende ihren vorläufigen Höhepunkt, als die Fuerzas Populares de Liberación (FPL) und das Ejercito Revolucionario del Pueblo (ERP), die beiden größten Gruppen innerhalb der FMLN, jeweils eigene Kandidaten bestimmten.

Streit über Präsidentschaftskandidaten eskaliert

Joaquín Villalobos, Vertreter der ERP, gab bekannt, daß seine Fraktion bereit sei, den Christdemokraten Abraham Rodríguez zu unterstützen, vorausgesetzt er gewinne die Vorwahlen der Christdemokratischen Partei (PDC). „Wir glauben, daß (Abraham) eine positive Figur ist und sind bereit, einen Kandidaten mit einer nationalen Reichweite zu unterstützen,“ sagte Villalobos. Die FPL bestätigte dagegen ihre Entscheidung, die Kandidaten Ruben Zamora und Facundo Guardado in ihrer Kandidatur zu unterstützen und Rodríguez als möglichen Kandidaten der FMLN abzuweisen. „Er ist ein Vertreter der Rechten, von dem wir glauben, daß er eine offene Denkweise hat, der jedoch kaum ein Projekt vorwärtstreiben kann, welches im Interesse der Volkssektoren steht“, begründete Leonel González, Generalsekretär der FPL, die Entscheidung gegen einen gemeinsamen Kandidaten Rodriguez. In den letzten Tagen sah es so aus, als ob die FPL aus der FMLN aussteigen würde, wenn ihr Präsidentschaftskandidat nicht akzeptiert würde. Dies wurde jedoch von Gonzalez dementiert. „Die FPL ist ein Teil der FMLN und wird es bleiben. Auch wenn wir weiterhin unsere eigenen Ideen verfechten werden, verfolgen wir nicht das Ziel, die FMLN zu spalten“ fügte er hinzu.

FPL dementiert Austritt aus der FMLN

Noch komplizierter wird die Situation, da noch unklar ist, wen die übrigen drei Organisationen der FMLN unterstützen werden. Gerüchten zufolge werden sie einen eigenen, dritten Kandidatenvorschlagen. Der politische Gegner höhnt: „Wie ist es möglich, daß sie den Krieg im Namen des Volkes führten und jetzt haben sie noch nicht einmal einen Kandidaten“, sagte der Vertreter der Partei ARENA, Mario Valiente, in einem Interivew mit Salpress. Obwohl die Kandidaten Zamora und Guardado noch nicht innerhalb der FMLN bestätigt wurden, haben beide bereits damit begonnen, Teile ihres politischen Programms zu verkünden. „Für die Sache des Volkes, für die Enteigneten, für die Bauern, für die Bewohner der Armenviertel, für die marginalisierten Bevölkrungsgruppen, für alle Bevölkerungsschichten muß die FMLN arbeiten und eine Antowrt auf die Bedürfnisse der Bevölkerungsmehrheit finden“, sagte Guardado in einem Fernsehinterview. „Die FPL ist die größte Organisation des Bündnisses und deshalb trauen sie sich, Zamora als Kandidaten zu ernennen. Sie wissen, daß sie zahlenmäßig so stark sind wie die anderen vier Gruppen zusammen“, sagte Valiente. Für den Fall, daß der Kandidat der FMLN nicht per Konsens bestimmt wird, gibt es zwei Möglichkeiten: entweder die FMLN spaltet sich, oder die stärkste Fraktion drückt ihren Kandidaten gegen die anderen Organisationen durch. Während die FMLN sich im internen Parteigerangel aufreibt, läuft ihr die Zeit davon. Der Wahlkampf geht bereits in seine Endphase und noch immer hat die FMLN weder ein klares Programm noch einen Kandidaten. Der politische Gegner ist der einzige Nutznießer dieser Situation.

Aktivitäten der Todesschadrone nehmen zu

(San Salvador, 27. April 1993, Salpress-Poonal).- Politische Morde, die die Handschrift der Todesschadrone tragen, haben in den letzten Monaten zugenommen. Entgegen den Empfehlungen der sogenannten „Wahrheitskommission“ untersucht die salvadorianische Regierung die Mordfälle nicht. Ein Jahr nach Beilegung des Konflikts in El Salvador ist die Zahl der Morde gestiegen, bei denen die Opfer Spuren von Folter aufweisen und die Täter unidentifiziert bleiben. Hinweise auf das Wiederaufleben der Todesschwadrone, die von Militärs, Großgrundbesitzern und Industriellen organisiert werden, um den politischen Gegner unter Druck zu setzen. Daß es sich dabei nicht um gewöhnliche Verbrecher handelt, liegt auf der Hand. Die katholische Kirche zeigt sich beunruhigt durch die Art und Weise, in der die Verbrecher vorgehen; ihre Methoden weisen deutliche Merkmale eines militärischen Trainings auf. Im vergangenen Monat brach eine Schwadron, die sich „Engel des Todes“ nannte, nachts in ein Haus im Norden der Stadt ein und ermordete zwei junge Männer beim Kartenspiel. „Sie wurden hingerichtete, weil sie der Mafia angehören, und die Polizei nichts tut, um ehrliche Menschen zu schützen,“ lautete die Nachricht, die bei den beiden Leichen gefunden wurde. Der Fall wurde von der Justiz nicht weiter verfolgt. Doch das erzbischöfliche Büro für juristische Fragen stellte fest, daß die Jugendlichen keine Verbindung zu kriminellen Gruppen hatten. „Das Problem ist so schwerwiegend, daß sich die Wahrheitskommission genötigt sieht, einen außerordentlichen Aufruf zu verfassen und eine besondere Untersuchung über die Tätigkeiten der Todesschwadrone zu fordern. Dadurch sollen ihre Greueltaten an die Öffentlichkeit gebracht werden“, heißt es in einer Erklärung der Kommission, die die während des Krieges begangenen Menschenrechtsverletzungen untersucht hat.

1480 Menschenrechtsverletzungen in den letzten 8 Monaten

Die Empfehlungen der Kommission wurden am vergangenen 15. März bekanntgegeben und seitdem haben sich, entgegen allen Erwartungen, die Hinrichtungen im Stil der Todesschwadrone zahlenmäßig erhöht. In den letzten acht Monaten registrierte die Beobachtermission der Vereinten Nationen in El Salvador (ONUSAL) 1480 Verletzungen der Menschenrechte, von denen 709 Angriffe auf das Leben, Sicherheit und die Integrität der Opfer darstellten. Nach Informationen der Kirche wurde im vergangenen Monat eine bisher nicht identifizierte Frau tot unter einer Brücke im Norden der Hauptstadt aufgefunden. Ihr Körper wies klare Spuren der Folter auf. Im gleichen Viertel wurde die verkohlte Leiche eines Mannes gefunden sowie ein junges Paar, das geköpft und gefoltert worden war.

Katholische Kirche: Todesschadrone nach wie vor aktiv

Monsignore Gregorio Rosa Chávez sagt dazu: „Die obengenannten Fälle können ein Indiz dafür sein, daß die Todesschwadronen nach wie vor über intakte Strukturen verfügen, weil es bislang keinen ernstzunehmenden Entschluss gegeben hat, sie völlig zu eleminieren.“ Eine Delegation der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) mußte in den letzten Tagen im April einen Besuch in El Salvador absagen, nachdem die salvadorianische Regierung mitgeteilt hatte, daß es ihnen aus verschiedenen Gründen nicht möglich sei, die Delegation zu empfangen. Die Entscheidung der Regierung wurde von den verschiedenen Gesellschaftssektoren kritisiert. Nach Ansicht der ONUSAL sind die Todesschwadronen weiterhin aktiv. Die Morde sind eindeutig politisch motiviert. UNO-Beobachter äußerten sich nicht zur Verantwortlichkeit der Morde; die „Wahrheitskommision“ stellte jedoch fest, daß zwischen den Militärs, bezahlten Mördern und Extremisten der Unternehmerschaft sowie einigen vermögenden Familien eine „enge Verbindung“ besteht. Ziel der Aktionen ist es, so örtliche Beobachter, die Wählerschft der zur politischen Partei gewordenen Frente Farabundo Marti para la Liberación Nacional (FMLN), vor den anstehenden Präsidentschaftswahlen zu terrorisieren.

GUATEMALA

Armee bombardiert Zivilbevölkerung

(Mexico, 4. Mai 1993, NG-Poonal).- Die guatemaltekische Armee hat im April mehrfach Dörfer in der Region El Ixcán im Nordwesten des Landes bombardiert. In einem gemeinsamen Kommuniqué beschuldigen die Ständigen Komissionen der guatemaltekischen Flüchtlinge (CCPP), die Widerstandsdörfer (CPR) und die Rückkehrer der Gemeinde „Victoria 20. Januar“ die Luftwaffe, mehrere Gemeinden mit Granaten aus der Luft und vom Boden beschossen zu haben. 700 Bewohner der sogenannten Widerstandsdörfer seien vor den Bombardements der Streitkräfte in das benachbarte Mexiko geflüchtet. Die Angriffe richteten sich vor allem gegen Flüchtlinge, die erst wenige Tage zuvor aus dem mexikanischen Exil in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Mehr als 3.000 Soldaten waren an der militärischen Aktion in der Region Ixcan (Departement El Quiché) beteiligt. Nach Augenzeugenberichten haben sie kultiviertes Land verwüstet und Ernten vernichtet, um die ohnehin bereits extrem schwierige Versorgungslage in den Dörfern zu verschlechtern. „Sie haben unsere Vorräte für die nächsten sechs Monate zerstört“, sagten Dorfbewohner. „Sie wollen uns durch Hunger umbringen“.

Flüchtlinge: Die Armee will uns durch Hunger umbringen

Die Armee verstärkte die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung im Nordwesten des Landes bereits Anfang des Jahres, kurz bevor die Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der Guerilla URNG begannen. Mit der Offensive will die Armee offensichtlich Stärke und ihre Entschlossenheit beweisen, den bewaffneten Konflikt in Guatemala nicht mit politischen, sondern mit militärischen Mitteln zu beenden. Nach Ansicht der betroffenen Bevölkerung, will das Militär die Widerstandsdörfer (CPR) auflösen, die bereits aus Mexiko zurückgekehrten Flüchtlinge wieder aus Guatemala vertreiben sowie die Rückkehr weiterer Guatemaltek*innen verhindern; die Armee plane zudem weitere Offensiven gegen Widerstandsdörfer in anderen Regionen des Landes. Die Regierung hat sich bislang immer hartnäckig geweigert, der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) einen Besuch in der Region Ex Ixcan zu genehmigen. Die Weigerung ist zweifellos auf den Druck der Armee zurückzuführen. Die Regierung und die Streitkräfte fürchten offensichtlich die Rückkehr der Flüchtlinge aus Mexiko und versuchen, sie mit allen Mitteln zu verhindern. Die Flüchtlinge werfen der Nationalen Kommission zur Unterstützung von Repatriierten, Flüchtlingen und Umgesiedelten (CEARD) vor, sie errichte bürokratische Hemmnisse und erschwere so die Rückkehr.

Neue Flüchtlingswelle nach Mexiko

Im Februar dieses Jahres weigerte sich die Regierung auch, eine eine Kommission, der 450 nationale und internationale Persönlichkeiten angehörten, zu empfangen und deren Bericht über die Situation in den Widerstandsörfern anzuhören. Die Kommission hatte die Region besucht und berichtete von extremen Bedingungen, unter denen rund 25 000 Guatemaltek*innen leben. Die Bombardements gegen die Zivilbevölkerung enthüllen indes auch die tiefen Widersprüche der Regierungspolitik. Während sie in den Friedensverhandlungen fordert, daß endlich ein definitiver Zeitpunkt für einen Waffenstillstand festgelegt werden müsse, führt das Militär im Landesinneren eine der größten Offensiven der letzten Zeit. Auf der einen Seite betont Präsident Serrano seinen Willen, den Krieg möglichst schnell zu beenden; auf der anderen Seite scheinen sich jedoch weiterhin jene Kräfte im Regierungslager duchzusetzen, die nach wie vor auf die Vernichtung der Guerilla und die militärische Unterdrückung der unruhigen Landbevölkerung zu setzen.

Friedensverhandlungen in der Sackgasse – Regierung jubelt

(Mexico, 3. Mai 1993, CERIGUA-POONAL) Am 5. Mai hat eine neue Verhandlungrunde zwischen der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) auf der einen Seite und der guatemaltekischen Regierung sowie der Armee auf der anderen Seite begonnen. Das Verhandlungsklima ist gespannt, bedingt durch das Auftauchen eines „geheimen“ Dokuments über den Stand der Verhandlungen, welches der Presse zugespielt wurde und dessen Inhalt offensichtlich von der Regierung manipuliert wurde. Die Regierung behauptet in dem Dokument, daß in den Friedensverhandlungen alle wesentlichen Streitpunkte geklärt seien, die bislang ein Friedensabkommen blockiert hatten. Dazu zählen: Menschenrechte, Waffenstillstand, Reduzierung der Regierungstruppen um 50 Prozent, Säuberung der Streitkräfte von Offizieren, die Menschenrechtsverletzungen begangenen haben sowie die Entmobilisierung der Guerilla und die Entmilitarisierung der Gesellschaft.

Regierung: Alle wesentlichen Streitpunkte geklärt

Vertreter der URNG gaben dagegen eine wesentlich skeptischere Einschätzung ab. Die „ernsten und offensichtlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen uns und der Regierung“ seien nicht ausgeräumt worden. Die Regierung versuche offensichtlich durch die Verbreitung manipulierter Informationen, Hoffnungen über ein angeblich „nahe bevorstehendes“ Ende des Krieges zu erzeugen. Tatsächlich habe die Regierung bislang jedoch nicht ernsthaft über die entscheidenden Punkte verhandelt, die ein umfassendes Friedensabkommen blockierten. Die URNG mutmaßt, die Regierung von Präsident Serrano wolle zunächst euphorische Erwartungen schüren, um der Guerilla dann die politische Verantwortung für das bereits einkalkulierte Scheitern der Verhandlungen zuzuschieben. Tatsächlich scheint Guatemala von einem Friedensabkommen weit entfernt. Das Klima im Land deutet keineswegs auf einen baldigen Friedensschluß hin. Der Beauftragte für Menschenrechte konstatierte vor kurzem einen bedenklichen Anstieg von Menschenrechtsverletzungen in den vergangenen drei Monaten. Auf der anderen Seite verstärkte die Guerilla ihre Aktivitäten gegen die Armee, die Streitkräfte ihrerseits führen seit Anfang des Jahres eine große militärische Offensive im Norden des Landes, unter der vor allem die Zivilbevölkerung leidet und die bereits eine neue Flüchtlingswelle Richtung Mexiko zur Folge hatte. Die Regierung betont immer wieder, entscheidend sei im Moment, einen Waffenstillstand auszuhandeln, der eine Entwaffnung der Guerilla beinhaltet. Sie macht die Demobilisierung der Aufstandsbewegung zur Voraussetzung, um dann – wenn überhaupt – mit einem geschwächten Gegner über demokratische und wirtschaftliche Reformen sowie eine Umstrukurierung der Streitkräfte zu verhandeln.

URNG: Kein Waffenstillstand ohne einschneidende Reformen

Die Guerrilla ihrerseits hat klargestellt, daß ein Waffenstillstand ohne eine Lösung der zentralen Probleme, in denen die URNG die Ursache des Krieges sieht – soziale Verelendung, extreme Konzentration von Grundbesitz, die uneingeschränkte Macht der Armee -, nicht in Frage kommt. Diese Positionen zeigen deutlich, daß von einer Annäherung der Parteien in den Verhandlungen nicht die Rede sein kann. Bemerkenswert ist, daß sich die Volksorganisationen und die katholische Kirche in Stellungnahmen die Argumentation der Guerilla unterstützten. Solange keine einschneidende soziale und politische Reformen durchgesetzt würden und solange die Gesellschaft militarisiert bleibe, werde der Krieg anhalten.

Ein weiterer Streitpunkt ist die Bildung einer sogenannten „Wahrheitskommission“, die die Menschenrechtsverletzungen der letzten 30 Jahre untersuchen soll. Die Armee lehnt dies grundsätzlich ab. Ein Streitpunkt ist auch, welche Rolle die Vereinten Nationen (UNO) in dieser Kommission spielen soll. Während die Regierung der Meinung ist, daß die UNO nur die Entmobilisierung der Guerrilla übrwachen soll, besteht die URNG darauf, daß sie volles Mitglied der Kommission der Wahrheit wird und die Umsetzung der zu treffenden Friendesvereinbarungen überwachen und garantieren soll. In Verhandlungen, bei denen keine der Seiten bereit ist, die entscheidenden Aspekte zu behandeln, ist jegliche Einigung unmöglich. Die Verhandlungen verharren auf einer rhetorischen Ebene und nehmen Züge eines Rituals an, bei dem Inhalte kaum noch zur Geltung kommen. Der Leiter der Regierungsdelegation, Manuel Conde, bekundet etwa vor jeder Verhandlungsrunde seine Bereitschaft, die zur Beilegung des Konflikts notwendigen Abkommen zu unterzeichnen und er hebt am Ende der Verhandlungen immer hervor, daß deutliche Fortschritte erzielt wurden – scheinbar unabhängig vom tatsächlichen Ausgang der Verhandlungen.

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