Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 117 vom 01.11.1993
Inhalt
HAITI
KUBA
LATEINAMERIKA
HAITI
Die Zukunft der Armee
(Port-au-Prince, Oktober 1993, HIB-POONAL).- Die Streitkräfte Haitis blockieren weiterhin eine Lösung der politischen Krise. Seit 24 Monaten arbeitet die verfassungsmäßige Regierung unter Präsident Aristide für eine Verhandlungslösung. Bis heute sind je- doch alle Fortschritte auf den Weg einer Lösung des Problems von den Militärs unterdrückt worden.
Das Haiti-Informationsbüro interviewte verschiedene Führer über die zukünftige Rolle der Streitkräfte: Können sie reformiert werden oder müssen sie total abgeschafft werden?
Der Generalsekretär der Gewerkschaft „Allgemeine Arbeiterzentrale“ (CGT) Cajuste Lexiuste glaubt an keine positive Zukunft der haitianischen Armee. „Sie muß verschwinden, aber das wird sie nicht freiwillig tun. Nur eine Revolution könnte dies ausführen. Ein Anfang ist die Trennung der Polizei von den Streitkräften.“ Lexiuste weist jedoch darauf hin, daß die USA darauf bestehen, für die Schaffung und Ausbildung der neuen Polizei verantwortlich zu sein: „Die USA betrachten nur ihre eigenen Interessen. Sie werden weder auf das haitianische Volk noch auf die Nachbarländer, die Haiti helfen wollen, hören. Die Anstrengungen müssen multinational sein. Es darf kein Vorstoß sein, in der die Vereinigten Staaten die Lage dominieren.“
„Polizisten mit demokratischer Überzeugung sind wichtig“
„Wenn die Streitkräfte die Grenze bewachen werden, wird die Polizei in den Städten sein“, führt er aus. „Das ist ein sehr wichtiges Detail und darum muß die Polizei aus Leuten mit einer demokratischen Überzeugung bestehen – einschließlich der Aktivisten, die für die Demokratie gekämpft haben.“
Der Koordinator des zehnten Regierungsdepartments (die haitianische Diaspora), Pater Gèrard Jean-Juste sagt: Wir verstehen, daß wir nach der Verfassung von 1987 eine Armee haben müssen. Verfassungsgemäß wäre es nicht möglich, sie abzuschaffen. Wir müssen auswählen und erziehen. Wir müssen einsehen, daß wir uns in einer Sackgasse befinden. Wir wissen nicht, ob die Streitkräfte gehorchen werden. Wenn ja, können wir die notwendigen Änderungen vornehmen. Aber wenn das Militär gegen den Wechsel an- kämpft, können viele Dinge passieren. Ich bin sehr optimistisch, daß es vernünftig werden wird. Denn dies wäre zum Wohle des haitianischen und des nordamerikanischen Volkes.“
„Es gibt eine einstürzende „Berliner Mauer“, die sich gegen die großen Intriganten wie Elliot Abrams, Dick Cheney und Jeanne Kirkpatrick richtet“, so Jean-Juste weiter. „Es ist unglaublich, daß der in der Iran-Contra-Affäre verurteilte Abrams diese Kräfte anführt und daß Cheney Clinton wie einen Verrückten behandelt. Diese Leute haben sich zu Vertretern des illegalen Putsch-Regimes gewandelt. In den USA können sie so agieren, aber wenn sie es in Haiti machen, ist das unmittelbare Ergebnis ein Massaker.“
Chavannes Jean-Baptiste ist der Sprecher des Mouvman Peyizan Nasyonal Kongre Papay (MPNKP): „Dieses Militär ist eine Besatzungsarmee, die unter anderem aus Kriminellen und Drogenhändlern besteht. Wenn die Bevölkerung die Möglichkeit hätte, würde sie die Armee abschaffen. Aber sie hat diese Möglichkeit im Moment nicht. Kurzfristig müssen wir die Armee von Kriminellen säubern. Die Gesellschaft insgesamt muß entmilitarisiert werden. Die Situation mit Kasernen an jeder Ecke muß sich ändern.“
Einziger Widerstand des Volkes: Nichtanerkennung des Putsch- Regimes
„Seit dem Staatsstreich hat das Militär die Menschen ständig angegriffen und ermordet. Der einzige Widerstand, den die Bevölkerung dagegen setzen konnte, war die Nichtanerkennung des Putsches. Diese Ablehnung ist gleichzeitig eine Absage an die Armee. Die Bevölkerung hat bereits gemerkt, daß sich die internationale Gemeinschaft, die jahrelang das Militär unterstützt hat, endlich der Situation entgegenstellt. Das Volk hofft, daß der diplomatische Druck es dem Präsidenten erlauben wird, das Militär zu reformieren.“
„Das wichtigste Mitglied innerhalb der internationalen Gemeinschaft – die USA – will die Armee nicht auflösen. Warum? Weil sie ihr neoliberales Projekt durchsetzen will und die Unterdrückung ist ein integraler Bestandteil dieser Strategie. So glauben sie den Widerstandswillen des Volkes gegen die Streitkräfte brechen zu können. Sie wollen, daß das Volk von der politischen Bühne verschwindet, aber es wird nicht verschwinden. Es hat außer dem Kampf keine andere Möglichkeit. Sie müßten jeden von uns töten.“
KUBA
Die Beziehungen zu den Auswander*innen in den USA verbessern sich
(Havanna, 26. Oktober 1993, Prensa Latina-POONAL).- „Unsere Gemeinde“ war der genaue Ausdruck, den der Außenminister Roberto Robaina verwendete, als er die streitbaren und politisierten Aus- wanderer*innen kennzeichnete, die in den letzten 34 Jahren Kuba verließen – nach der 1959 begonnenen sozialen Revolution. So hat in der Vergangenheit noch kein kubanisches Regierungsmitglied die im Ausland ansässigen Kubaner*innen bezeichnet.
In der Tat öffnet sich eine neue und ungehindertere Beziehung zwischen Kuba und seiner streitbaren Gemeinde im Ausland ihren Weg. Hauptsächlich findet dieser Austausch mit den Gruppen statt, die sich von den Kreisen der wirtschaftlichen Macht distanziert haben, die der feindlichen Politik der USA gegen die Insel am nächsten stehen.
Dies wurde in einer live vom Fernsehen übertragenen Pressekonferenz des jungen 37jährigen Außenministers am vergangenen Donnerstag (21. Oktober; die Red.) hervorgehoben. Tatsächlich, so erklärte Robaina, handelt es sich um eine alte Politik, die sich den neuen Umständen der derzeitigen Welt anpaßt. Er erinnerte an die von fortschrittlichen Gruppen aufrecht erhaltenen Kontakte mit ihrem Land und sogar an die im Oktober 1978 stattgefundenen Gespräche, um die Familienzusammenführung zu erreichen.
Nächstes Jahr ist ein Treffen in New York geplant
Den ersten Schritt auf diesem Weg gab es Anfang des Monats in New York während des Besuches des Außenministers bei den Vereinten Nationen. Dabei traf er sich mit etwa 200 Vertreter*innen gemäßigter und konservativer kubanischer Gruppen, die in ver- schieden nordamerikanischen Bundesstaaten ansässig sind. Der Außenminister beschrieb die Ergebnisse des Gesprächs als „extrem positiv“. Bei dem Meinungsaustausch entstand die Initiative, in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres in New York ein Treffen zwischen den in ihrem Land und den im Ausland wohnenden Kubaner*innen zu veranstalten. Das Ziel sei, so der Außenminister, die Verbindungen zwischen den verschiedenen Gruppen zu vertiefen.
Robaina führte aus, daß mehr als ein Dialog mit temporären Absichten mit diesem Treffen versucht wird, eine ständige Beziehung zwischen beiden Gruppen zu etablieren. „Sie suchen eine Verbindung mit ihrem Land und wir müssen ebenfalls Beziehungen zu dieser Gemeinde, unserer Gemeinde etablieren“, sagte er. Er machte deutlich, daß von diesen Gesprächen nur die in terroristische Aktivitäten verwickelten und die reaktionärsten Sektoren, die bereit sind, die Unabhängigkeit des Land zu verkaufen, ausgeschlossen sein werden.
Die kubanische Emigration in Richtung Vereinigte Staaten – schon vor 1959 eine Tradition – nährte sich anfänglich von Militärs, Funktionären und anderen Mitgliedern der Diktatur des Generals Fulgencio Batista. Dann folgten Wohlhabende, Berufstätige und Techniker, die von den nordamerikanischen Regierungen in einer Kampagne ermutigt wurden, die das Land sogar scheinbar ohne Ärzt*innen ließ. Diese Emigrant*innen, darunter viele Kriegsverbrecher und Folterer, schlossen sich sofort den Plänen des CIA an, um die kubanische Revolution zu zerstören.
Diese Politisierung kennzeichnet seitdem diese Gruppen. Im allgemeinen haben die Kubaner*innen auf der Insel ihre alten Landsleute als Landesverräter betrachtet, die sich in den Dienst einer fremden Macht stellten. Diese Tatsache wird durch die nord- amerikanische Migrationspolitik unterstrichen, die denjenigen, die die legale Migration in die USA wählen, beträchtliche Schwierigkeiten bereitet, während die illegalen Auswander*innen als Helden empfangen werden.
Robaina erklärte, daß ein große Gruppe existiert, die wegen wirtschaftlicher Gründe auswanderte und mit dem Gespräche etabliert werden können. „Es ist ein Fehler, die ganze Gemeinschaft als einen einzigen proamerikanischen und reaktionären Sektor zu betrachten.“ Er fügte hinzu, daß viele der in den USA ansässigen Kubaner*innen nicht nur aufgrund familiärer Interessen eine Zusammenarbeit anstreben, sondern außerdem daran interessiert sind, für das Ende der Wirtschaftsblockade gegen die Insel zu arbeiten.
Die Gruppe der Exil-Kubaner*innen ist gespalten
Das neue Phänomen hat bereits zu einer Spaltung im sogenannten kubanischen Exil in diesem Land geführt. Deren reaktionärste Vertreter*innen haben immer versucht, es als eine monolithisch geeinte Gemeinschaft in ihrem Ziel zu präsentieren, die von Fidel Castro angeführte Revolution zu zerstören. Robaina selbst erklärte, daß es die bei der benachbarten Weltmacht bestehenden neuen Bedingungen erlaubt haben, daß eine größere Zahl von Organisationen ihre Positionen ausdrücken kann – insbesondere diejenigen Interessierten, die die Unabhängigkeit ihres Landes aufrecht erhalten wollen.
Diese Änderungen können aufgrund ihrer möglichen Tragweite nicht nur Einfluß auf die Familienbeziehungen und die menschlichen Beziehungen allgemein zwischen den beiden Gruppen haben, sondern auch politischen Einfluß.
KUBA
Effiziente Wirtschaft versus Subventionen
Von Elsy Fors
(Havanna, 26. Oktober 1993, Prensa Latina-POONAL).- Ein in der letzten Ausgabe der Wochenzeitung „Arbeiter“ veröffentlichter Artikel über die schädlichen Auswirkungen des Währungsüberhanges wurde von den kubanischen Fachmedien wie eine Vorwegnahme bevorstehender geldpolitischer Maßnahmen interpretiert, die die Finanzen des Landes sanieren sollen.
„Arbeiter“ plädiert für die Anwendung von Maßnahmen, um das umlaufende Geld zu verknappen und ruft die Bevölkerung zum Verständnis auf, wenn sie fragt: „Bis zu welchem Punkt können wir hoffen, die enorme Bereitstellung von Konsumgütern auf dem sozialen Weg aufrecht zu erhalten, ohne weder die Arbeitsleistung noch die Unterschiede in den Beiträgen jeder einzelnen Person zu messen?“
Die Zeitschrift warnt: „Ohne den Weg zur Effizienz zu erreichen, können der Wohlstand und der Reichtum, der verteilt worden ist, nicht bestehen bleiben.“ Das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit, daß die wirtschaftlichen Entscheidungen der kubanischen Regierung in den letzten 30 Jahren bestimmt hat, scheint jetzt einen zu hohen Preis zu fordern angesichts der aktuellen Ziele der Effizienz in der (Unternehmens-)führung.
Ein Haushaltsdefizit von 4,8 Millarden Pesos (nach dem offiziellen Wechselkurs ist das Verhältnis zum US-Dollar 1:1) 1992, wie es vorläufige Schätzungen der nationalen Wirtschaftsexperten sagen, und der Druck von etwa 9 Milliarden überhängender Währung drängen die wirtschaftliche Führung des Landes, neue Maßnahmen zur Sanierung der Finanzen zu ergreifen.
Neue Maßnahmen zur Sanierung der Finanzen
Mit diesem Ziel entschied sich die Regierung seit dem 14. August für die Freigabe der konvertiblen Devisen. Die Gesetzgebung ermächtigt die Besitzer dieser Zahlungsmittel oder diejenigen, die sie zukünftig bekommen werden, Waren und Dienstleistungen in für diesen Zweck berechtigten Geschäften zu kaufen; Bankkonten zu eröffnen und sie gegen Devisenzertifikate oder die nationale Währung zu einem Verzugswechselkurs umzutauschen.
Auf das Gesetz über den Dollar folgte ein weiteres am 11. September bekannt gegebenes Gesetz, daß 117 selbstständige Beschäftigungen erlaubt. Die Gesetzgebung, die den Verkauf von Dienstleistungen und Waren durch Privatleute reguliert, schafft feste monatliche Steuern, die gemäß dem Einkommensniveau des unabhängigen Arbeiters variabel sein können.
Keines der beiden Gesetze schafft jedoch den Währungsüberhang ab, wie es der Finanzminister Jose Luis Rodriguez letzten September im Fernsehen zugab. Nach den befragten nationalen Wirtschafts- wissenschaftlern könnte unter den neuen Regelungen auch ein Steuersystem sein, daß die persönlichen Einkommen der Bevölkerung belastet sowie eine Erweiterung des Versicherungssystems, um die Lebensversicherungen und die persönlichen Güter einzuschließen.
Großes Problem ist der Währungsüberhang
Andere Maßnahmen, die – laut Fachmagazinen – untersucht werden, könnten eine strengere öffentliche Ausgabenpolitik, die Reorganisation der zentralen Staatsorgane, eine angemessenere Wechselkursanpassung gegenüber den Hauptwährungen, die Preis- anpassung an die Kaufkraft der Bevölkerung und Lohnanpassungen fördern.
Die vielleicht einzige Auskunft, die von verschiedenen Funktionären über die möglichen Anpassungen gemacht werden, ist, daß diese die Sektoren mit den niedrigsten Einkommen möglichst wenig belastet werden sollen.
Diese Probleme und Lösungsvorschläge werden im Zentrum der Beratungen der Nationalversammlung der Volksmacht (kubanisches Parlament) in der nächsten Sitzungsperiode stehen. Sie ist für Ende Dezember vorgesehen, obwohl der Aufruf zu einer außeror- dentlichen den Finanzthemen gewidmeten Sitzung nicht ausgeschlossen wird.
LATEINAMERIKA
Der neue Diskurs: „Begrenzte Souveränität“ und nationalistische
Allianzen
Von Eleuterio Fernández Huidobro
(Mate Amargo-POONAL).- Im vorhergegangenen Artikel (erschienen in POONAL Nr. 115, die Red.) bezog ich mich auf verschiedene Jahrestage und sagte, daß jene historischen Ereignisse mit der Gegen- wart verflochten sind. Für uns häufen sich heute diese scheinbar zusammenhanglosen Ereignisse zu einer enormen Last von Vorschlägen.
Zunächst wurde der Höhenflug von Aristide auf Haiti durch den sattsam bekannten Militärputsch gestoppt, obwohl das Wahlergebnis wesentlich eindeutiger zugunsten von Aristide ausgefallen war als seinerzeit bei Allende in Chile. Kurze Zeit später treiben jetzt die Linken in Uruguay und Brasilien Wahlkampagnen voran, die 1994 durchaus in nachhaltige Siege münden könnten.
Den „tancazo“ (Panzeraufmarsch vor dem chilenischen Regierungspalast 1968), die 1000 Tage von Allende, die „Spanische Republik“ 1936 (die ihrerseits bei den Wahlen weniger Prozentpunkte erlangte als die Unidad Popular 1970 in Chile) dürfen wir ebensowenig vergessen wie das Argentinien von Cámpora im Jahre 1973, den Betrug des uruguayischen Präsidenten Pacheco 1971, seinen Putsch 1968 und den erneuten Putsch 1973.
Das Konzept des „auferlegten Friedens“
Vor sehr kurzem ist das funkelnagelneue „juristische“ Konzept der „begrenzten Souveränität“ in Umlauf gebracht worden und geistert seitdem durch die ganze Welt: angewandt in bestimmten Fällen von Menschenrechtsverletzungen, ökologischen Probleme, Friedenserhaltung usw. Aber dem Konzept gingen sehr überzeugende Ereignisse voraus: Granada, Panama, Nicaragua, Kuba, Somalia, Jugoslawien, Irak… Worum es geht, ist, den vorbereiteten Taten Legalität zu verleihen.
Sie sind an dem Punkt, ein weiteres Konzept einzuweihen – in Wirklichkeit ist es eine „natürliche“ Verlängerung des alten: das Konzept der „Auferlegung des Friedens“. Die Frage ist: Welches öffentliche Sicherheitsorgan wird die Ausführung übernehmen? Diskutiert wird ein Bündel von Vorschlägen mit den dazugehörigen Diskrepanzen: sei es die UNO mit eigenen multinationalen Blauhelmtruppen mit Dauercharakter. Seien es die regionalen Organismen in ihren jeweiligen Einflußzonen. Seien es verschiedene Länder, deren Kräfte für Zwecke der UNO einberufen werden (so z.B. Uruguay und seine Truppen für Mozambik und Kambodscha). Sei es, wer kann und will mittels einer simplen Legitimation durch die UNO (so im Falle der USA im Golfkrieg). Dies wäre die „wildeste“ Form: die UNO beschränkt sich darauf, „Gebt's ihm“ zu schreien und ab dem Schrei mischt der mit, der will.
Angesichts dessen kommt man nicht umhin, sich an den Hitler- Stalin-Pakt zu erinnern und an die Konferenz von München, an der Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien teilnahmen, die Aufteilungsergebnisse von Yalta… Und nicht zu vergessen diejenigen, die die Zeche zahlen mußten: Polen, Tschechoslowakei, Spanien (denn die Schlacht am Ebro war die letzte große, an der nicht Franco, sondern München und Yalta Schuld hatten), Griechen- land, Jugoslawien – das immer noch draufzahlt -, Italien…
Mächte und Militärs halten das Heft in der Hand
Und wer ist da am Diskutieren? In erster Linie diejenigen, die es ausarbeiteten: die imperialistischen Zirkel der drei oder vier Mächte, die das Heft in der Hand halten und die Militärs. Unter letzteren die Lateinamerikaner*innen und unter ihnen die Uruguaye- r*innen. Denn – der Gerechtigkeit halber muß es gesagt werden – wir, die Zivilbevölkerung, verschlafen es, indem wir Themen von wesentlich geringerer Bedeutung diskutieren.
Dieses Thema der begrenzten Souveränität bewegt und beunruhigt heute am meisten, sowohl die „internen“ Kräftekonstellationen des Militärs in vielen Ländern, einschließlich der USA, als auch die – bislang – theoretischen Konfrontationen zwischen Armee und Armee. Alsdann kommen Fakten an das öffentliche Tageslicht, die nicht einzuordnen oder überraschend sind.
Pinochet verkündet während einer Veranstaltung des chilenischen Heers, daß – aufgrund des Bruchs der Bipolarität durch den Zerfall der UDSSR – die vorrangige Hypothese ein militärischer Konflikt zwischen Chile und den USA sei. Hier in Uruguay sagte Pinochet im Februar bnezüglich der Präsenz von Linken in der aktuellen chilenischen Regierung sinngemäß, daß er derzeit keinerlei Probleme mit der „gewendeten“ Linken habe. Die Frage, wer sich nun geändert habe: er oder besagte Linke, ließ er dabei unbeantwortet im Raume stehen.
Ökologie und die „begrenzte Souveränität“
Die ökologischen Probleme rechtfertigen – so meinen einige -das Konzept der begrenzten Souveränität. Eines der vorrangigsten weltweiten ökologischen Probleme ist mit der „grünen Lunge“, dem Amazonasgebiet, verbunden. Gerade deswegen steht besonders für das us-amerikanische Gefühl Brasilien im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit beim Thema „begrenzte Souveränität“ – und dies nicht nur aus ökologischen Gründen.
Vor kurzem äußerte ein hoher brasilianischer Militärbonze, falls die USA weiterhin auf diesem Problem herumreiten würden, könnten sie in Amazonien das Vietnam finden, auf dessen Suche sie sich befänden. Der Chef der brasilianischen Luftwaffe, der Bri- gadegeneral Iván Frota, äußerte im Mai diesen Jahres, daß die neue Weltordnung – ein Resultat aus dem Ende der Bipolarität – die Welt in „die Länder erster (die industrialisierten) und zweiter Ord- nung“ teile. Letztere seien zu „permanenter Unterentwicklung verurteilt, damit sie nicht als mögliche Konkurrenten auf dem internationalen Parkett erscheinen“. Und um dieses Ziel zu erreichen, versuchen die reichen Länder, die Streitkräfte zu schwächen, letzte nationalistische Überbleibsel in der Welt des Fortschritts.
Wohlbekannt sind die heftigen Widersprüche zwischen den USA und Brasilien in den Bereichen der Urananreicherung, der Hochtechnologie und bei der Raketenentwicklung. Der US-Botschafter in Argentinien, Terence Todman, forderte öffentlich und privat Präsident Menem auf, die Condor Raketen zu demontieren. Dies sei eine Voraussetzung für Gespräche mit Clinton, doch die argen- tinische Luftwaffe sabotiert weiterhin diesen Vorschlag.
Rechte Nationalist*innen mit antiimperialistischem Diskurs
Hinlänglich bekannt ist auch die „antiimperialistische“ Haltung der berüchtigten argentinischen „carapintadas“ und ihre vor kurzem erfolgte Allianz mit einer trotzkistischen Gruppe. (Carapintadas sind rechte nationalistische Militärs mit einem antiimperialistischen Diskurs, verantwortlich für mehrere Putschversuche in Argentinien). Basis dieses Bündnisses ist die Überzeugung, daß die wichtigste Frage der Nord-Süd-Konflikt ist.
Diese These vertrat auch das brasilianische Militär auf einem Militärsymposium, das am 16. Juni diesen Jahres in Buenos Aires unter Beteiligung der Heere des MerCoSur (Südamerikanischer Handelspakt) stattfand. Wörtlich hieß es: „die neue Achse ist: Besitzer im Norden – Besitzlose im Süden.“
Das paraguayische Militär behauptete dort neben anderen Merkwürdigkeiten, daß die Konflikte, die aus der Neuen Weltordnung herrührten, momentan keine ideologischen, sondern Grenzen anderer Art hätten. Und in einer Besprechung des Themas „Gemeinsame politisch-strategische Interessen der Regionen“ fügte es hinzu: „Das Problem der unbezahlbaren Verschuldung ist die größte Bedrohung ihrer Entwicklung, Stabilität und Sicherheit.“
Die Position der offiziellen Delegation des uruguayischen Militärs auf besagtem Symposium ist leicht auszumalen … beurteilen wir sie besser nicht. Zusammengefaßt: während andere die Neue Weltord- nung kritisierten, die imperialistische Rolle der multinationalen schnellen Eingreiftruppen, die darin liegende Gefahr, die Bedrohung, die diese „neuen“ Konzepte beinhalten würden usw., beendete die uruguayische Delegation das Symposium mit dem An- gebot, Angehörige der MerCoSur-Streitkräfte in ihrer kürzlich gegründeten „Schule für Operationen zum Erhalt des Friedens“ auszubilden.
Vor kurzem informierte Andrés Alsina in der Zeitschrift „Cuadernos de Marcha“, daß es im bolivianischen Heer (das zuletzt die stärksten Auseinandersetzungen mit der US-Botschaft hatte) mindestens acht Logen gibt, von denen sich eine „Rote Fahne“ nennt, weil sie trotzkistisch ist.
Neue „Alianzen“ zwischen rechts und links
Venezuela seinerseits hat gezeigt, daß die Entstehung und wachsende Popularität der (rechtsnationalistischen) CoMaCaTes (Bewegung der Kommandanten, Majore, Hauptmänner und Oberleutnants) ein entscheidenden Faktor beim Sturz von Präsident Carlos Andrés Pérez gewesen war. Bemerkenswert auch hier die eigentümliche Annäherung an „Causa R“ (R=radical), die gleichzeitig entstehende linke Kraft.
Uruguay seinerseits demonstriert vor der Welt seine „Wache von Artigas“ mit antiimperialistischen Aufrufen, Bomben und allem was dazugehört.
Vor kurzem veröffentlichten die internationalen Nach- richtenagenturen die Alarmbereitschaft vieler Intellektueller Frankreichs angesichts der Tatsache, daß andere Intellektuelle – unter ihnen Debray – Gespräche, Foren und Publikationen zusammen mit Leuten aus der Ultrarechten durchführten. Dies habe auch Anlaß für schwerwiegende Probleme innerhalb der heruntergekommenen französischen KP gegeben. Darüber hinaus würde sich ähnliches – und zudem in noch größerem Ausmaß – in Rußland und anderen Ex- Sowjetrepubliken ereignen: die Allianz von Kommunisten und rechten Nationalisten gegen Jelzin und seine Gefolgschaft.
Auch die US-Botschaft steht da nicht hinter zurück. Mit einer alten „Gepflogenheit“ brechend, lud sie zu einem Essen mit Gewerkschaftsführer*innen sogar die bis dahin „verabscheuungswürdige“ PIT-CNT (uruguayischer Gewerschaftsdachverband) ein. Auch Tabaré Vázquez (Bügermeister von Montevideo von der sozialistische Partei) erhielt Zutritt zu ihren Salons, um sich mit dem Herrn Botschafter und der Crème der hiesigen US-Unternehmen zu treffen.
Die Präsenz von Führer*innen der Linken in besagter Botschaft und besagtem Land hat zu unterschiedlichsten Kommentaren Anlaß gegeben, aber die Linke hat dabei versäumt, auch die Präsenz des Yankee-Botschafters bei eben diesen Zusammenkünften zu kommentieren…
Fragwürdige Wirren in Mittelamerika
Es ist bekannt, welches Problem für die FMLN in El Salvador das Thema „Verhältnis zu den USA“ bedeutet. Besagtes Land unterstützte und unterstützt die Friedensverhandlungen und deshalb die FMLN, vorausgesetzt, die Abmachungen werden peinlich genau eingehalten. Die „Embassy“ ihrerseits hat den Sektoren der ultrarechten Salvadorianer*innen die Stirn zu bieten, die sich nicht an die Erfüllung der getroffenen Abmachungen halten.
Aber genau diese Sektoren – hauptsächlich Militärs – erheben sich und protestieren mit antiimperialistischen Fahnen. Ähnliches passiert in Nicaragua, aber das ist ein anderes Thema.
Nach der Explosion eines Autos und der Entdeckung eines geheimen Waffenarsenals in Nicaragua (offensichtlich von der FPL aus El Salvador), kommt aus Nicaragua die Lügengeschichte von einer „terroristischen Internationale“, in die auch Uruguayer*innen verwickelt sein sollen. Bei diesem Vorfall mischen sich viele Probleme mit vielen Fragen: Wie flog das Auto in die Luft und warum?. Warum betrachteten die USA im Rahmen der Entwaffnung der FMLN das Auffinden der Boden-Luft-Raketen als Angelegenheit ersten Ranges?. Wer hat und warum wurde die Geschichte erfunden, daß praktisch alle Uruguayer*innen, die nicaraguanische Staatsbür- ger*innen geworden sind, ihre Pässe in diesem geheimen Arsenal hatten. So war es jedenfalls in uruguayischen Gazetten zu lesen. Wer hat es geschafft, daß in verschiedenen amerikanischen Ländern die Zeitungen praktisch mit denselben Schlagzeilen erschienen, wie sie z.B auch „El Pais“ in Uruguay brachte. War diese seltsame Wiederholung Zufall?
Kurz darauf ereignete sich in der Stadt Estelí die Ausein- andersetzung zwischen Sandinist*innen, verbündet mit Ex-Contras gegen das Sandinistische Volksheer unter Führung von Humberto Ortega, das der Chamorro-Regierung unterstellt ist. Diese er- reichte schnell eine alarmierende Stufe und man wird erkennen müssen, daß diese Vorfälle Ereignisse mit vielen Andeutungen sind.
Wir stehen vor tiefgreifenden weltweiten Veränderungen, die eine außergewöhnliche politisch-strategische Mobilität bewirken.
Poonal Nr. 117 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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