Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 52 vom 13.07.1992
Inhalt
GUATEMALA
EL SALVADOR
Weiterer Schlag gegen die Pressefreiheit
KUBA
KOLUMBIEN
GUATEMALA
Cholerabkämpfung: Regierung kann Versagen nicht mehr vertuschen
(Guatemala, 6.Juli 1992, cerigua-POONAL).- An Cholera sind in Guatemala wesentlich mehr Menschen erkrankt, als bislang von offizieller Stelle engestanden wurde. Anfang Juli hatte der guatemaltekische Gesundheitsminister Eusebio del Cid noch behauptet, 1.633 Cholerakranke seien registriert. Eine Woche später räumte er vor der Gesundheitskomission des Kongresses, die ihn in dieser Frage vorgeladen hatte, ein, daß nahezu zehnmal mehr Menschen von der Epidemie befallen sind, nämlich über 13.000. Diese Zahl bestätigte er auch in den folgenden Tagen gegenüber der nationalen und internationalen Presse. Erstmals gab der Gesundheitsminister unumwunden zu, daß die Cholera außer Kontrolle geraten sei. Angestellte des Gesundheitsministeriums nannten noch eine weitaus höhere Zahl: 800.000 Personen wiesen bereits Cholerasymptome auf. Epidemiolog*innen gehen davon aus, daß die Zahl der Cholerafälle innerhalb kurzer Zeit um 100 Prozent ansteigen kann. Die Zahl der Todesfälle werde alle Voraussagen übersteigen.
Geschönte Berichte der Regierung
Daß die Zahlen innerhalb so kurzer Zeit derart drastisch in die Hoehe schnellen, liegt keineswegs nur an der explosionsartigen Ausbreitung der Cholera, die mittlerweile das gesamte Land befallen hat; vielmehr hat die Regierung es geschafft, durch eine rigide Pressezensur ein Jahr lang das tatsächliche Ausmaß der Cholera zu verschweigen und lediglich geschönte Berichte verbreiten zu lassen. Dabei war schon seit längerem offensichtlich, daß Gesundheitsminister del Cid und sein Vorgänger Miguel Angel Montepeque mit falschen Statistiken hantierten. Denn die Angaben der Gesundheitsbehörden einzelner Provinzen überstiegen oftmals die von der Regierung veröffentlichten landesweiten Zahlen. Wesentliches Ziel der Gesundheitspolitik seit der Ausbreitung der Cholera vor über einem Jahr schien nicht die die tatsächliche Eindämmung der Seuche zu sein, der Regierung war offensichtlich allein daran gelegen, das Ausmaß der Krankheit zu verheimlichen. Noch im Juli 1991, als bereits die ersten Personen an der Cholera gestorben waren, behauptete Montepeque stoisch, daß die Cholera die Grenzen Guatemalas noch nicht überschritten hätte, und behauptete ansonsten frohgemut, daß die Cholera ohne weiteres mit harmlosen Durchfallerkrankungen verglichen werden könnte. Trotz derart obskurer Einschätzungen regten sich kaum Zweifel an der fachlichen Kompetenz des Gesundheitsministers. Er konnte sogar unbeschadet Angestellte des Gesundheitsministeriums, die der Presse Daten über die tatsächliche Verbreitung der Cholera vermittelten, entlassen. Montepeque wurde schließlich Ende April 1992 seines Amtes enthoben, fand aber in Eusebio del Cid einen würdigen Nachfolger, der die Cholera-Propaganda ganz in seinem Sinne weiter führte. Die offensichtliche Inkompetenz der beiden Minister hatte zur Folge, daß sich die Epidemie ein Jahr lang nahezu ungehindert auf das gesamte Land ausbreiten konnte. Auch Flüsse und Seen sind zum Großteil verseucht, ein Großteil der Bevölkerung hat somit kaum eine Chance, sich gegen die Seuche zu schützen, denn sie können auf das Wasser nicht verzichten. Allein der Motagua-Fluß im Osten Guatemalas versorgt rund eine halbe Millionen Menschen in 500 Gemeinden mit Trinkwasser – und er ist vollkommen verseucht. Nach dem letzten Bericht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind weltweit 223.033 Menschen an Cholera erkrankt, davon 198.086 in Lateinamerika und 5.365 in Guatemala. Auch wenn diese Angabe offensichtlich nur einen Bruchteil der tatsächlichen Cholerafälle darstellt, ist Guatemala damit immer noch das am schlimmsten betroffene Land Zentralamerikas. In Nicaragua sollen dem WHO- Bericht zufolge lediglich 150 Erkrankungen aufgetreten sein, in Costa Rica sogar nur acht.
14 Provinzen in Alarmzustand
Von den 22 Provinzen Guatemalas befinden sich 14 aufgrund der Seuche in Alarmzustand. In einem Dorf der östlichen Provinz Chiquimula starben allein in einem Monat 52 Personen – es waren ausnahmslos Chorti-Indigenas, an der Cholera. Freddy Berger, ein Abgeordneter von Chiqimula, sprach gegenüber der guatemaltekischen Presse am 2. Juli von 1.400 Fällen in seinem Zuständigkeitsbereich. Carlos Chinchilla, Chefarzt am Krankenhaus von Quetzaltenango, teilte der Tageszeitung „Prensa Libre“ am gleichen Tag mit, daß allein an den ersten beiden Julitagen 12 Personen im Krankenhaus gestorben seien, 800 weitere Patient*innen befänden sich in Spezialbehandlung. Das Krankenhaus der zweitgrößten Stadt des Landes sei hoffnungslos überfüllt. Weiter forderte er die Stadtverwaltung auf, verseuchtem Wasser umgehend Chlor beizumischen. Der Generaldirektor der Gesundheitsbehörde, Leon Arango, schätzt nach Informationen mexikanischer Zeitungen sogar, daß 800.000 Personen bereits Cholerasymptome aufwiesen. Er sagte, die Epidemie werde verheerende Auswirkungen auf Guatemala-Stadt haben, insbesondere die Randgebiete seien aufgrund der katastrophalen Lebensumstände gefährdet. Der Nachrichtenkanal „Notisiete“ berichtete, daß nach Schätzungen von guatemaltekischen Epidemiolog*innen woechentlich tausend Menschen an Cholera erkranken könnten. Sie wiesen ausdrücklich darauf hin, daß dies eine optimistische Prognose sei – falls keine Maßnahmen ergriffen würden, könnten schon bald taglich 1000 Cholerafälle hinzukommen. Mit diesen haarsträubenden Tatsachen konfrontiert räumte der Gesundheitsminister del Cid vor dem Kongreß ein, die Regierung habe die Kontrolle über die Cholera verloren. Er versprach, „Sofortmaßnahmen“ zur Eindämmung der Seuche zu ergreifen – was angesichts monatelanger Passivität von vielen Menschen als purer Zynismus aufgefaßt wurde. Nicht minder erstaunlich sind die Erkenntnisse, die der Minister bei der Ursachenforschung gewann. Die Gründe für die rasche Ausbreitung der Epidemie im ganzen Land lägen in der Ignoranz vor allem der bäuerlichen Bevölkerung, die nicht die minimalsten hygienischen Vorsichtsmaßnahmen, wie Händewaschen vor dem Essen (vielleicht mit dem Wasser aus dem Motagua?) ergreife. Das läßt eineN doch an die Arroganz einer Marie Antoinette denken, die, als die hungernde Bevölkerung von Paris' vor ihr Schloß zog, einen ihrer Höflinge verwundert fragte, warum das Volk denn nach Brot schreie. Und als sie die Antwort erhielt, das Volk leide Hunger, gab sie den praktischen Ratschlag, dann solle es doch Kuchen essen. Nun, sie zumindest mußte die Konsequenz für ihre Ignoranz tragen. In Guatemala versucht die Regierung derweil, den Opfern die Verantwortung für das eigene Versagen aufzubürden. Die Mehrheit der Bevölkerung, die unter miserablen Bedingungen lebt, schere sich nicht um die gefährliche Seuche. Das Tragische indes ist, daß Gautemala nicht an einer, sondern an zwei mittelalterlichen Seuchen leidet: der Cholera und einer ignoranten, unfähigen politischen Elite.
Öffentliche Angestellte fordern Lohnerhöhung
(Guatemala, 8.Juli 1992, NG-POONAL).- Die größten guatemaltekischen Gewerkschaften haben beschlossen, mit 200.000 Mitgliedern am 13. Juli in einen Generalstreik zu treten. Die Arbeitnehmervertretungen unter der Führung der Gewerkschaftsverbände staatlicher Arbeiter*innen (FENASTEG) und Angestellter (FENASEP) protestieren damit auf die Wirtschaftspolitik von Präsident Serrano, der keine befriedigende Antwort auf die Lohnforderungen liefere. Dem Streikaufruf schlossen sich unter anderen die Gewerkschaften der zivilen Luftfahrt, des Straßenbaus, des nationalen Telegrafenamts, des Agrarsektors und der Transportunternehmen an. Der Ausstand droht sich im Laufe der Woche auf sämtliche Sektoren auszubreiten. Die Arbeiter und Angestellten werden in einem Protestmarsch quer durch das Zentrum von Guatemala-Stadt auf die Plaza Central vor dem Nationalpalast ziehen, um gegen die Entscheidung des guatemaltekischen Kongresses zu demonstrieren, der die Abschaffung des sogenannten Abfindungsgesetzes beschlossen hatte. „Das Vorgehen der Kongreßabgeordneten vertieft die Unterdrückung und Ausbeutung, die der Mehrheit der Guatemaltek*innen aufgezwungen wird“, hieß es in einem Kommunique der Gewerkschaftsorganisationen. Das Institut für juristische und soziale Untersuchungen (CEIS) befand die Abschaffung des Gesetzes für verfassungswidrig, da nach der guatemaltekischen Verfassung bereits errungene Verfassungsgesetze nicht abgeschafft werden dürften und somit ipso jure nichtig seien. Zur gleichen Zeit teilte der Erzbischof von Guatemala-Stadt, Monsignor Prospero Penados del Barrio, mit, daß er gegen die Kirche gerichtete Drohungen erhalten habe, um seine Zustimmung zur Abschaffung dieses, die Arbeiter*innen begünstigenden Gesetzes zu erzwingen. Die Streikbewegung, die sich in Guatemala seit Mitte Juni gebildet hat, wird von Akamdemeriker*innen des oeffentlichen Dienstes angefuehrt, die eine monatliche Lohnerhoehung von 1.500 Quetzal (300 US$) fordern. Unter Verweis auf den „Mangel an finanziellen Mitteln“, bot die Regierung ihnen eine Erhöhung von 900 Quetzal an, die die Angestellten ablehnten.
Der Forderung der ArbeiterInnenverbaende nach einer monatlichen Lohnerhöhung um mindestens 83 Prozent, um den Verlust ihrer Kaufkraft über die letzten zehn Jahre hinweg kompensieren zu können, begegnete die Regierung mit dem Angebot von nur acht Prozent. FENASTEG und FENASEP bezeichneten das Angebot als laecherlich. In den vergangenen Wochen sind diverse staatliche Einrichtungen, wie die guatemaltekische Telefongesellschaft (GUATEL), das guatemaltekische Institut fuer Soziale Sicherheit (IGGS) – dessen medizinisches und Pflege-Personal nur noch Notfälle behandelt – sowie die größten Krankenhäuser des Landes auch in Streik getreten. Die Arbeiter*innen des öffentlichen Dienstes verweisen darauf, daß Präsident Serrano ihnen lediglich eine Extra-Vergütung zum Ende dieses Jahres geboten habe, sowie eine Reklassifizierung ihrer Besoldungsgruppen. Damit werrde nicht einmal das Niveau des Basiswarenkorbs an Lebensmitteln (CBA) erreicht. Seit März 1992 belaufen sich die Kosten des CBA nach offiziellen Angaben im städtischen Bereich auf 814,96 Quetzal und im ländlichen Bereich auf 674,61 Quetzal. Die Mindestlöhne indes liegen bei nur 348 und 300 Quetzal.
EL SALVADOR
Politisches Spektrum gerät in Bewegung
(Ecuador, Juli 1992, Alai-POONAL).- Am vergangenen 23. Mai gab die salvadorianische Frente Farabundo Marti para la Liberacion Nacional (FMLN) offiziell die Umwandlung der einstigen Aufstandsbewegung in eine legale politische Partei bekannt; diese Erklärung wurde sowohl auf nationaler wie internationaler Ebene nach elf Jahren blutigem Bürgerkrieg als bedeutender Schritt für die politische und soziale Zukunft des Landes betrachtet. Mehr als 40 Personen waren bei der offiziellen Bekanntgabe anwesend, außerdem verschiedene politische Persönlichkeiten des Landes, eine Abordnung des Europäischen Parlaments, führende Vertreter der Union Revolucionaria Nacional Guatemalteca (URNG, Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas), der brasilianischen Arbeiterpartei (PT) und Funktionäre der US-amerikanischen Botschaft.
Ein brüchiger Frieden
Diese Entscheidung hatte die FMLN inmitten einer heiklen Konjunktur getroffen: im festgelegten Zeitplan galt der Mai als ein entscheidender Monat, da bis zu diesem Zeitpunkt die Erfüllung einiger Basisforderungen vorgesehen war, die die Regierung und die FMLN am 16. Januar in Mexiko in einem Friedensabkommen vereinbart hatten. Die Nicht-Einhaltung des Zeitplans (wofür sich beide Seiten gegenseitig verantwortlich machen), das Attentat auf ein Mitglied der FMLN-Sicherheitskräfte und schliesslich der vorübergehende Auszug der FMLN aus der Friedenskommission (COPAZ), dem wichtigsten Gremium zur Überwachung und Realisierung der Friedensvereinbarungen, haben allerdings Zweifel an dem Erfolg des Friedensprozesses in El Salvador genährt. Der schwierigste Moment war erreicht, als die FMLN sich aus der COPAZ zurückzog, um gegen den „schmutzigen Krieg“, den die Regierung und die Streitkräfte gegen sie führe, zu protestieren. Mitte Mai wurde auf den FMLN-Leibwächter Vladimir Flores ein Anschlag verübt. Daraufhin kündigte Joaquin Villalobos, einer der fünf Kommandanten der Frente, an, die Rebellen würden bis zur Aufklärung des Anschlags nicht in die Friedenskommission zurückkehren. Die FMLN erklärte den „Notstand“, was eine Unterbrechung des formalen Dialagos mit der Regierung und eine Lähmung des Friedensprozesses bedeutete. Auch wenn dieses Attentat das erste seiner Art war, befürchteten viele darin ein Signal für das Wiederauferstehen der „Todesschwadronen“, die den Friedensprozeß sabotieren wollen. Die Erklärung der FMLN ließ die Verhandlungsergebnisse im Ungewissen, die am 6. Mai unter Aufsicht einer Mission von UN- Beobachtern in El Salvador (ONUSAL) erreicht woren waren. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Befreiungsbewegung und die Regierung beschlossen, die Kontakte wieder aufzunehmen und die Umsetzung des Friedensabkommens zu forcieren. Beide Parteien einigten sich auf den 31. Mai als Stichtag. Zehn Bereiche wurden vvon vorneherein als „problematisch“ bezeichnet: die Truppenkonzentration, die Auflösung bzw. Reform der Guardia Nacional (Nationalgarde) und der Policia de Hacienda (Finanzpolizei), der Aufbau einer zivilen Nationalpolizei, die nicht den Streitkräften untergeordnet sein sollte sowie die Academia Nacional de Seguridad Publica (Nationalakademie fuer oeffentliche Sicherheit); die Frage der Landverteilung, die Sicherheitsmaßnahmen der FMLN; die wirtschaftlichen Programme zur Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer in das zivile Leben und die Legalisierung der FMLN als politische Partei.
Der letzte Punkt gilt inzwischen nicht mehr als „problematisch“, aber die übrigen sind noch nicht geklärt, vor allem diejenigen, die sich auf die Sicherheitskräfte beziehen. Ende April hatte die FMLN, die mit der Reform des Sicherheitsapparats der Regierung unzufrieden war, die Konzentration ihrer Kräfte an 15 Punkten ausgesetzt, wie es in den Friedensvereinbarungen vorgesehen war. Dies war eine Reaktion auf die wiederholte Verletzung der Abkommen durch die Regierung und die Streitkräfte in mindestens 30 Punkten sowie auf das „wachsweiche“ Dekret der gesetzgebenden Versammlung, wonach die Finanzpolizei und die Nationalgarde unter anderem Namen, aber mit kaum veränderter Struktur, fortbestehen sollten, und nicht, wie es die Verträge vorsehen, grundlegend neugegliedert oder aufgelöst werden sollte. Der Unmut über den schleppenden Friedensprozeß wuchs. Ende Mai trat die Bürgerbewegung Freies El Salvador (Movimiento Civico El Salvador Libre), eine Gruppe der extremen Rechten, an die Öffentlichkeit und forderte die einflußreiche Nationale Vereinigung Privater Unternehmen (Asociacion Nacional de la Empresa Privada, ANEP) auf, sich aus dem Forum der Ökonomischen und Sozialen Konzertation (Foro de Concertacion Economica y Social) zurückzuziehen. Das Forum war in den Friedensverträgen als Gremium eingerichtet worden, um eine breite gesellschaftliche Übereinstimmung in ökonomischen und sozialen Fragen herzustellen. Anfänglich hatte sich die ANEP geweigert, diesem Forum beizutreten. Damals wurde angenommen, daß die FMLN neben dem intelligenten Schachzug, während des Waffenstillstands (1. Februar bis 31. Oktober) eine politische Bewegung auf nationaler Ebene zu gründen, vor allem in ihrer ungebrochenen militärischen Stärke eine Garantie für die Einhaltung der Friedensverträge sähe. Der FMLN- Kommandant Leonel Gonzalez sagte, „wir sind vorbereitet für die allgemeinen Wahlen 1994, am wichtigsten ist jedoch, daß die FMLN sich auf alle Arten von Transformationen einstellt.“ Aus dieser Sicht wird die Eile der Frente verständlich, mit der sie einige der Schlüsselpositionen im Rahmen eines legalen Kampfes besetzen will, besonders in den Medien. Die Radiosender „Venceremos“ und „Farabundo Marti“, die wichtigsten Sprachrohre der Befreiungsbewegung während des Buergerkriegs, verließen am 27. April den Untergrund und senden seit dem 1. Juni 16 Stunden täglich. Carlos Henriquez, Deckname „Santiago“, der 11 Jahre der Hauptsprecher von Radio Venceremos war, erklärte, daß sie unter dem Motto „ein neues Radio für eine neue Nation“ den Befriedungsprozess unterstützen und eine „Alternative in der sozialen Kommunikation“ anbieten werden. Gleichzeitig wird an der Herausgabe einer Tageszeigung, die im Laufe des Julis in Umlauf kommen soll, und an einem Fernsehsender gearbeitet.
Die gestärkte Linke
Mit der Umwandlung der FMLN in eine politische Partei, so glauben politische Beobachter, werde die Linke zweifellos gestärkt. Viele trauen der Frente zu, aus den Wahlen 1994 als eine entscheidende Kraft hervorzugehen Mittlerweile haben verschiedene politische Gruppen und Parteien ihr Interesse bekundetet, sich mit der Befreiungsfront zusammenzuschließen, unter ihnen die Demokratische Konvergenz (Convergencia Democratica), die stark im Parlament vertreten ist ,und die Demokratische Nationalistische Union (Union Democratica Nacionalista), die von Mario Aguizada geführt wird. Die Grundlage eines gemeinsamen Programmes wäre die Ablehnung der neoliberalen Politik der gegenwaertigen Cristiani-Regierung. Das politische Spektrum ist in Bewegung geraten. Eine breite Debatte über Bündnisse und politische Strategien hat eingesetzt. Die Demokratische Konvergenz beispielsweise erlebt zur Zeit eine interne Krise, die von der Entscheidung der Nationalen Revolutionären Bewegung (Movimiento Nacional Revolucionario) ausgelöst wurde, sich von dem Vielparteiengebilde zu lösen. Dem von Manuel Valle in der Nachfolge von Guillermo Ungo geführten MNR schwebt ein Bündnis innerhalb der Linken vor, dem „angesichts der Wahlen 1994“ auch die FMLN angehören sollte Innerhalb der Christdemokratie wird über ein mögliches Bündnis mit Teilen der Nationalistischen Republikanischen Allianz (Alianza Republicana Nacionalista, ARENA) diskutiert. Etliche sehen darin eine Möglichkeit für die Christdemokraten, wieder zur dominierenden politischen Kraft aufzusteigen. Begünstigt werden derlei Gedankenspiele durch Krisenanzeichen innerhalb der rechtsextremen ARENA, die nach dem Tod ihres Gründers Roberto D'Abuisson immer wieder in interne Streitigkeiten verfiel. Umstritten war in der ARENA von Beginn die Verhandlungsstrategie Cristianis und insbesondere die im Friedensabkommen gegenüber der Guerilla gemachten Zugeständnisse.
Auch die FMLN, in der fünf verschiedene Gruppierungen organisiert sind, hat eine interne Diskussion zur Erneuerung der Frente eingeleitet. Eine Umstrukturierung wird für notwendig gehalten, um sich der veränderten politischen Realität des Landes anzupassen. Tabu sei aber nach wie vor die Einheit der Bewegung, versicherte das Mitglied des Politkomitees der FMLN, Juan Ramon Medrano. Die Gruppen, aus denen sich die Frente zusammensetzt und ihre jeweiligen obersten Führer sind: das Revolutionäre Volksheer- Partei der Salvadorianischen Revolution (Ejercito Revolucionario del Pueblo-Partido de la Revolucion Salvadorena, ERP-PRS), das von Joaquin Villalobos angeführt wird; die Streitkräfte des Nationalen Widerstands (Fuerzas Armadas de Resistencia Nacional, FARN), Fernan Cienfuegos; die Streitkräfte der Befreiung-Kommunistische Partei (Fuerzas Armadas de Liberacion, FAL), Shafick Handal; die Volkskräfte der Befreiung (Fuerzas Populares de Liberacion, FPL), Salvador Sanchez; und die Revolutionäre Partei der Zentralamerikanischen Arbeiter (Partido Revolucionario de los Trabajadores Centroamericanos, PRTC), Francisco Jovel. Noch ist nicht genau abzusehen, welche Blöcke sich auf dem politischen Tableau formieren werden, welche Allianzen zerbrechen und welche Kräfte neue Bündnisse eingehen werden. Klar ist derzeit jedoch, daß die Friedensverträge die Grundlage für die gesellschaftlichen Projekte bilden, um die jetzt im Rahmen des politischen Kampfes gestritten werden muß.
Anschlag auf Nachrichtenagentur
Der Verband Lateinamerikanischer Journalist*innen (FELAP) protestiert gegen das gegen die Agentur SALPRESS in San Salvador vermutlich von Kriminellen verübte Attentat, bei dem die Büroräume der Agentur am Spätnachmittag des 2. Juli in Flammen aufgingen. Laut einem Kommunique von SALPRESS, einem Mitglied des an die FEALAP assoziierten Nachrichtenpools POONAL, wurde die Zerstörung der Einrichtung der Agentur von UNO-Beobachter*innen und der salvadorianischen Nationalpolizei bestätigt. Ricardo Gomez, Direktor von SALPRESS, bezeichnete den Anschlag als „ein Attentat gegen die freie Meinungäußerung, gegen das sich die salvadorianische Presse mit allen Mitteln verteidigen muß“. Die Agentur SALPRESS habe sich in ihrer professionellen Arbeit durch ein minutiöses Befolgen der Friedensvereinbarungen von Regierung und FMLN ausgezeichnet.
Mexiko, 3. Juli 1992
Weiterer Schlag gegen die Pressefreiheit
Brief des Nachrichtenpools POONAL an den salvadoreanischen Präsidenten
Alfredo Cristiani
Sehr geehrter Herr Präsident
In Kenntnis dessen, daß am 2. Juli um 17.40 Uhr in San Salavdor die Einrichtungen der Agentur SALPRESS in Brand gesetzt wurden, bei dem Computer, Drucker und Tonbandgeräte zerstört wurden; daß die Feuerwehr, die den Brand löschte, jede Möglichkeit eines Unfalls ausgeschlossen hat; und daß in Übereinstimmung mit den Erklärungen des Journalisten Ricardo Gomez, Direktor von SALPRESS, diese Agentur den zwischen Regierung und FMLN geschlossenen Friedensvereinbarungen minutiös Folge leistet, wodurch „sich eventuell jene Sektoren, die gegen das Friedensabkommen sind, gestört fühlten, was sie dann zur Brandstiftung animiert haben könnten“; fordert der Nachrichtenpool Lateinamerika POONAL: eine eingehende Untersuchung des Vorfalls, um so die Verantwortlichen dieses Attentats, das eines mehr in der langen Liste der Repressionen gegen freie Presseäußerungen in El Salvador ist, zu finden. Der Anschlag auf SALPRESS ereignete sich genau einen Monat nach ähnlichen Attentaten auf die Agenturen AP und IPS am 2. Juni in San Salvador. Die Hintergründe dieser Attentate sind bis heute nicht aufgeklärt. POONAL fordert neben der Aufklärung dieses Verbrechens eine strafrechtliche Verfolgung der Täter, sowie eine finanzielle Entschädigung der Agentur, damit SALPRESS die journalistische Arbeit in aller Freiheit weiterführen kann.
Unterschriften:alai, anchi, argenfax, cerigua, NG, CSP, HIP, apia, Prensa Latina
KUBA
Milliardenverluste durch US-Embargo
(Havanna, 9.Juli 1992, Prensa Latina-POONAL).- Durch die Entscheidung der US-amerikanischen Regierung, ihren Bürgern die Reise nach Kuba zu verbieten, hat die Karibikinsel in den vergangenen 32 Jahren einen Verlust von 3,507 Milliarden Dollar erlitten. Die Studie „Die Belagerte Hoffnung ist dem Boykott der Wirtschafts- Handels- und Finanzbeziehungen gewidmet, den Washington der Insel seit 1960 durchgehend auferlegte. In diesem Dokument wird ausgeführt, daß in diesen Jahren 60 Millionen Urlauber aus dem Nachbarland des Nordens die größte der Anillen- Inseln haetten besuchen koennen. Als Beleg für diese Aussagen dient dem Autor, dem Journalisten Micanor Leon Cotayo, eine Studie des Nationalen Tourismusinstitutes, deren Daten bis zum ersten Halbjahr des vergangenen Jahres aufbereitet sind und in der bilanziert wird, daß in den letzten drei Jahrzehnten 175.100.000 Personen auf die Karibik-Inseln gereist waren. Die Grundlage der Analyse von Leon Catayo ist die Tatsache, daß im Jahre 1957 272.266 Urlauber die Insel besucht hatten und daß 86.6 Prozent dieser Urlauber US-Amerikaner waren. Diese Anzahl stellt 20 Prozent des gesamten Tourismus dar, dessen Urlaubziel die Karibik war, mit einer ungefähren Aufenthaltsdauer von 3.6 Tagen pro Person; dieser Anteil konnte bis Anfang der 60er Jahre durchschnittlich verzeichnet werden. Das Finanzministerium verfügte bereits kurz nach dem Sieg der kubanischen Revolution im Jahr 1959 Beschränkungen für Kuba-Reisen von US-amerikanischen Bürgern. Verschärft wurde diese Situation noch durch das Verbot für Schiffsunternehmen, bei Exkursionen durch die Karibik die kubanische Insel anzulaufen, wenn die Reiseroute gleichzeitig auch US-amerikanische Häfen umfaßte. Die Folge dieser Maßnahmen war der Ausfall von bedeutenden Einnahmequellen aus dem Gruppentourismus, den Kreuzfahrten, den karibikkreuzenden Yachten und den Ausflueglern, die den Tauchsport, die Jagd und das Angeln lieben. Leon Cotayo folgert, daß Kuba mit diesen potentiellen Einnahmen seine Hotelanlagen weiter ausbauen und modernisieren sowie das Niveau seiner Dienstleistungen anheben könnte.
Dies wäre für die Insel von außerordentlicher Bedeutung, da die sogenannte Freizeitindustrie eine der wichtigsten Auswege aus der aktuellen Situation darstellt, die die Insel aufgrund der Knappheit von Brennstoff und anderen Ressourcen erleidet. Nach dem Verschwinden der Sowjetunion und dem Wegfall der sozialistischen Handelspartner in Osteuropa haben die örtlichen Autoritäten eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, die hier als „spezielle Periode“ in Friedenszeiten bekannt sind. So ist einer der wichtigsten Punkte dieses staatlichen Programms die Entwicklung des Tourismus, der gegenwaertig an dritter Stelle in der nationalen Ökonomie steht, nach der Zucker- und Grundstoffindustrie. Als Konsequenz dieser in den letzten Jahren angewandten Politik, die dem Tourismus-Sektor Prioritaet einräumt, können schon erste Erfolge verbucht werden: im letzten Jahr wurden mehr als 420.000 Touristen auf der Insel empfangen, was eine 25prozentige Steigerung gegenüber dem Vorjahr bedeutet. Für 1995 hofft die Regierung, daß eine Millionen Menschen die Insel besuchen werden. Bis dahin sollen die Hotelkapazitäten für 30.000 Menschen aufgebaut sein.
KOLUMBIEN
Linkes Oppositionsbündnis gewinnt an Stärke
(Ecuador, Juli 1992, Alai-POONAL).- In Kolumbien entsteht derzeit ein neues Aktionsbündnis, das getragen wird von der gemeinsamen Ablehnung der wirtschaftspolitischen Maßnahmen der Regierung, die vor allem zu Lasten der unteren Schichten geht, wie zum Beispiel die Rationierung des Stroms, sozial unausgewogene Steuern, die Privatisierung von Staatsbetrieben und damit einhergehende Massenentlassungen. Das Bündnis nennt sich Nationale Konvergenz (Convergencia Nacional), ihm gehören folgende Gruppierungen an: Arbeiterorganisationen, die indianische Bewegung, Frauen- und Studentengruppen, die kommunistischen Partei, die Partei der Patriotischen Union (Union Patriotica), die Demokratische Macht (Poder Democratico), die Neue Politische Bewegung (Nuevo Movimiento Politico) und Abspaltungen der Sozialkonservativen und der Liberalen Partei. Am 28. Mai dieses Jahres trat die Nationale Konvergenz erstmals nachdrücklich in Erscheinung, als sie aus Protest gegen die Einschränkung der Stromversorgung auf zehn Stunden am Tag, eine geplante Novellierung der Steuergesetzgebung und die kriegsrechtliche Behandlung der Bürgerproteste gegen die wirtschaftliche Oeffnung und den Privatisierungsboom zu großen Kundgebungen aufgerufen hatte. Aber der Anspruch dieses Aktionsbündnisses geht über die bloße Ablehung der Regierungspolitik hinaus. Neben der Zurückweisung des Wirtschaftsprogramms der Regierung Gaviria fordert das Bündnis eine Nationale Friedenskommission (Comision Nacional de Paz) und Regionale Dialogkommissionen, die den seit dem 1. April ausgesetzten Dialog zwischen der Regierung und der Armee sowie der Guerillakoordination Simon Bolivar (CGSB) wieder aufnehmen sollen. In den Kommissionen sollen nach den Vorstellungen der Nationalen Konvergenz Kongreßabgeordnete, Parlamentarier*innen, Stadträte, Bürgermeister*innen, Gewerkschafter*innen, Journalist*innen, Schriftsteller*innen sowie Vertreter*innen der Kirche, von humanitären und sozialen Organisationen vertreten sein.
Alle sind für Frieden
Dieser Vorschlag hat dieselbe Ausrichtung wie der Entwurf des Senatspräsidenten, Carlos Espinosa Faciolince, der nach Gesprächen mit der Verhandlungskommission der CGSB in Mexiko dem Kongreß einen Bericht vorgelegt hatte und dabei seine Unterstützung für die Entwicklung der regionalen Dialoge deutlich machte, wie auch die Bereitschaft zur aktiven Beteiligung des legislativen Sektors der öffentlichen Gewalt bei der Suche nach Frieden. Selbst die von Gaviria beauftragten „Gewalt-Spezialisten“ (Politologen, Soziologen, Experten), die die Regierung bei den Verhandlungen beraten hatten, sprachen sich für regionale Dialoge aus, weil diese positive Wirkungen auf den Frieden im Land hätten. Dieses wird von ihnen in der Studie „Die Gewalt, die nicht in den Friedensverträgen behandelt wird“ (La violencia que no se negocio en los acuerdos de paz) ausgeführt. Alle sind für den Frieden. Ihnen allen aber hat der Präsident Gaviria geantwortet, daß „die öffentliche Ordnung eine Exklusivangelegenheit der Exekutive“ sei.Dennoch hat diese Position von Gaviria kein Fundament mehr, nachdem gegen 31 Führer der demobilisierten ehemaligen Guerillagruppe M-19 Haftbefehle ausgesprochen wurden. Die Richter stützten sich auf juristische Leerstellen in den Friedensvertraegen, die von der Regierung und den Exguerilleros unterzeichnet wurden. Dem ehemaligen Gesundheitsminister Antonio Navarro Wolf und sechs weiteren Kongreßabgeorden und drohen Gefängnis. Dies also bedeutet, daß die politischen Entscheidungen eines Präsidenten nicht notwendig mit den juristischen Geplogenheiten konform gehen müssen. Gleichzeitig führt diese neue Entwicklung dazu, daß die Führung der M-19 schon ihre eigene versöhnliche Position gegenüber Gaviria und dem System infragestellt, indem sie Teil der Opposition wird und sich in die Nationale Konvergenz eingereiht hat. Dennoch hält die M-19 an ihrem Kurs der Versöhnung fest. Beispielsweise war ihre Reaktion auf den besagten Haftbefehl, der Bevölkerung ein sogenanntes „Schlußstrich-Gesetz“ zur Abstimmung vorzulegen, mit dem dann endgültig die juristischen Prozesse im Zusammenhang mit den damaligen Palast-Vorfällen beendet würden. In anderen Worten: die Ex-Guerrilleros blieben straffrei und nebenbei reingewaschen von ihrer Verantwortung außerdem der damalige Präsident Pelisario Betancur und die Militäers, die das Blutbad verursacht haben, bei dem Justizbeamte, Funktionäre und Guerrilleros das Leben verloren hatten. Dieser Verschlag der M-19 ist in der Regierung auf offene Ohren gestoßen, da diese schon einen Gesetzesentwurf dem Kongreß vorgelegt hat, nach dem alle mit dem Justizpalast verbundenen Gewaltakte als juristisch beigelegt gelten sollen.
Extra-Sitzungen fuer den Kongress
Weitere Entwuerfe, die der Verabschiedung durch den Kongress harren, sind die Gesetze zur Privatisierung, die gegen die Arbeiter gerichtet sind; deshalb werden in diesem Sektor starke Reaktionen erwartet. Und dies besonders, da die kolumbianische Gewerkschaftsbewegung sich durch die Geburt eines neuen Dachverbands gestärkt sieht: Die Allgemeine Konföderation Demokratischer Arbeiter (Confederacion General de Trabajadores Democraticos, CGTD), die aus der Fusion zwischen der Konföderation Demokratischer Arbeiter Kolumbiens (Confederacion de Trabajadores Democraticos de Colombia, CTDC) und der Allgemeinen Arbeiterkonfoederation (Confederacion General de Trabajadores, CGT), am 1. Mai dieses Jahres enstanden war. Dazu kommt die gegenwärtige Annäherung zwischen dem Arbeitereinheitsverband (Central Unitaria de Trabajadores, CUT) und der Arbeiterkonföderation Kolumbiens (Confederacion de Trabajadores de Colombia, CTC), mit denen es dann drei Verbände sind, die die Pfeiler der Gewerkschaftsbewegung in der gerade geborenen Nationalen Konvergenz sind.
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