Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 111 vom 20.09.1993
Inhalt
HAITI
PARAGUAY
GUATEMALA
NICARAGUA
HAITI
Aristide fordert Rücktritt hoher Offiziere
(Port-au-Prince, 13. September 1993, HIB-POONAL).- Einen Tag, nachdem sein Freund und Mitkämpfer, der Geschäftsmann Antoine Izmery, während einer Gedenkmesse ermordet wurde (am 11. September; die Red.), forderte Präsident Jean-Bertrand Aristide den sofortigen Rücktritt hoher Armeeoffiziere.
„Armeechef und Polizeipräsident sind für den Mord verantwortlich“
In einer für den Rundfunk vorgesehenen Stellungnahme auf Französisch und Kreol machte Aristide den Oberkommandierenden der Armee (Raoul Cedras) und den Polizeichef (Michel Francois) für die Tat verantwortlich. Er sagte, sie hätten die Befehle gegeben, „die Bevölkerung zu massakrieren“. (am Tag des Mordes an Izmery wurden ingesamt 12 Leichen in den Straßen von Port-Au-Prince aufgefunden; die Red.)
„Nicht erst heute haben wir die Absetzung … der Verantwortlichen dieser unvergleichlichen Verbrechen gefordert“, heißt es in der Erklärung vom 12. September. „Genug ist genug.“
Die Ermordung Izmerys wurde von über einem Dutzend schwer bewaffneter Männer ausgeführt und von einem allseits bekannten Militärattaché beaufsichtigt, der für seine Brutalität bei mehreren ähnlichen gewaltsamen Angriffen gegen die Demokratie- und Volksbewegung berüchtigt ist.
Währenddessen war es in der Hauptstadt ruhig. Trotz der für heute (13. September; die Red.) vorgesehenen Einweihungsfeiern von Regierungsseite – die Einsetzung einiger staatlicher Kommunikationsdirektoren und Regierungsräte an der staatlichen Universität – bleibt die demokratische Anhängerschaft skeptisch, ob die zehn Tage alte Regierung der Armee die Macht voll entziehen kann.
Zusätzlich zu der Ermordung Izmerys berichten Menschenrechtsbeobachter*innen von einer alarmierenden Anzahl von Morden und anderen Gewalttaten gestern und heute. Viele Führer*innen der demokratischen Bewegung mußten erneut in den Untergrund gehen.
Demokratische Politiker*innen müssen erneut in den Untergrund flüchten
Es wird gesagt, daß eine von der politischen Polizei aufgestellte Liste mit weiteren „Zielen“ existiert, die Premierminister Robert Malval und mehrere seiner Minister einschließt. Vielleicht handelt es sich dabei um einen Versuch, den Krieg eskalieren zu lassen, der die demokratische Bewegung zerschlagen und die vorgesehene Rückkehr des Präsidenten am 30. Oktober verhindern soll.
Izmery, 50 Jahre alt und Vater von fünf Kindern, kämpfte sein ganzes Leben lang für die Demokratie und ging für diesen Kampf mindestens zwanzigmal im Gefängnis. Er unterstützte die Präsidentschaftskandidatur von Aristide 1990. Er war das einzige Mitglied des haitianischen Unternehmerverbands, der wiederholt und mit lauter Stimme die Verwicklung der lokalen Eliten und der US- Botschaft in den gewaltsamen Staatstreich vom 30. September 1991 verurteilte.
Izmery war ebenso ein ausgesprochener Gegner der als „attachés“ oder „Bereichschefs“ bekannten Kriminellen, deren Zahl in die Tausende geht, die für zahllose Morde, Vergewaltigungen, Prügelleien und illegale Verhaftungen in den letzten 23 Monaten verantwortlich sind. Während einige internationale Menschenrechtsorganisationen und Journalist*innen meinen, es seien reine „Banditen“ oder „Gangs“, sahen Izmery und viele andere sie als die unterste Stufe einer gut organisierten Polizei- und Militärstruktur an – sehr ähnlich den „Tontons Macoute“, der Geheimpolizei des früheren Diktators Duvalier.
„Diese 'bewaffneten ZivilistInnen' machen nichts ohne Befehle der Polizei“, sagte Izmery in einem Interview drei Tage vor seiner Ermordung. „Wer ist Chef der Polizei? Die haitianische Armee, denn hier gibt es keine Trennung von Polizei und Armee. Das bedeutet, daß Oberst Michel Francois seine Befehle von General Raoul Cedras erhält.“
Izmery: USA billigen den Terror in Haiti
Izmery führte die Verantwortungskette wie viele Aktivist*innen der Demokratiebewegung ein Glied weiter, indem er diejenigen einschloß, die die Etablierung, Bewaffnung und das Training der haitianischen Armee vorangetrieben haben. Die gezielten Gewaltakte, so Izmery, „werden von Leuten begangen, die ihre Befehle direkt von der Armee bekommen. Und die Armee würde diese Befehle nicht geben, wenn es nicht vom Pentagon gebilligt würde“, schlußfolgerte er.
Izmerys Ermordung scheint von Anfang an gut geplant gewesen zu sein. Um Aufruhr auf ein Minimum zu reduzieren, umzingelten Dutzende von Kriminellen (die oben erwähnten „attaches“; die Red.) am frühen Samstagmorgen die Kirche, in der Izmery und andere eine Messe zum Gedenken an das Massaker an 13 Menschen in Jean-Bertrand Aristids Gemeinde St. John Bosco vor fünf Jahren abhalten wollten. Trotz der Drohungen kamen etwa 70 bis 100 Menschen zur 8-Uhr-Messe zusammen. Gegen 9.30 Uhr, direkt nach der Predigt, stürmten bewaffnete Männer in das Gebäude, ergriffen Izmery, stießen ihn nach draußen und schossen ihm auf dem Bürgersteig in den Kopf. Eine andere Person wurde ebenfalls durch Schüsse getötet.
Mitglieder der Organisation Internationale Zivile Mission der Vereinigten Staaten/Vereinten Nationen sagten, daß innerhalb von fünf Minuten der des Mordes überführte Elysee Jean-Francois erschien, um den Körper Izmerys herumging und, nachdem er die Priester und Frau Doris Izmery beleidigt hatte, in ein Taxi stieg und davonfuhr. Jean-Francois, der des Mordes an sieben Kindern überführt ist, war unter der Aristide-Regierung im Gefängnis. Aber wie alle anderen Kriminellen wurde er unter dem Putsch-Regime freigelassen. Jean-Francois wird auch beschuldigt, 1988 einen bekannten Menschenrechtsaktivisten umgebracht zu haben. In diesem Frühjahr wurde er fotografiert, als er auf den Bischof Willy Romelus vor der Nationalkathedrale einschlug.
Bekannter Krimineller erschoß den Freund Aristides
Als nächstes erschien eine Gruppe von Polizisten vom „Anti-Gang“- Hauptquartier – angeführt von Hauptmann Jackson Joanis – am Tatort. Als er nach Details des Geschehens fragte, schrie ein Priester: „Du müßtest es doch wissen! Du bist verantwortlich!“ Das Geschehen endete erst um 6 Uhr nachmittags, als 23 festgehaltene Priester und Kirchgänger*innen schließlich gehen konnten.
Die bei der Messe Anwesenden haben geschockt und wütend reagiert. Ron Voss, US-Priester und bereits lange Zeit in Haiti ansäßig, sagte: „Ich habe niemals in meinem Leben so etwas Barbarisches gesehen.“ In einem Radio-Interview am Samstag machte der Priester Antoine Adrien, ein bekannter Aristide-Unterstützer und der Priester, der die Messe hielt, als Izmery ermordert wurde, die Internationale Gemeinschaft für den Mord verantwortlich. Sie zwang den Präsidenten (Aristide), die Vereinbarung von Governor's Island vom 3. Juli zu unterzeichnen. Danach ist Aristides größtes Hindernis, daß Raoul Cedras, einer der Hauptdrahtzieher des Staatsstreiches, für den ganzen viermonatigen Übergangsprozeß an der Spitze der Armee belassen wurde.
PARAGUAY
Der zivile Präsident wird von den Streitkräften unterstützt
(August 1993, Alai-POONAL).- Nach 40 Jahren Militärregime übernahm am 15. August der Unternehmer Juan Carlos Wasmosy die Präsidentschaft in Paraguay. Er rief die Bevölkerung „zum Dialog, zur Toleranz und Zusammenarbeit“ auf. Die Präsenz eines Zivilisten in der Regierungsspitze bedeutet jedoch nicht die Rückkehr zur vollen Macht der staatlichen Gewalten: Die Militärs sind die wahre Stütze des Regierungschefs.
Wie man sich erinnern wird, ist die Kandidatur Wasmosys für die Colorado Partei der entschiedenen und direkten Intervention der Streitkräfte zu verdanken. Verschiedene unabhängige Beobachter*innen berichteten, daß in den parteiinternen Wahlen der Sieg seinem Widersacher Luis María Arganá gehörte. Nachdem daraufhin Druck auf die Delegierten ausgeübt wurde, einschließlich der Drohung eines autogolpe (Eigenputsch) des damaligen Präsidenten General Andrés Rodríguez, wurde am 7. März Juan Carlos Wasmosy zum Kandidaten gekürt.
Militärs drohten mit Putsch
Kurz vor den allgemeinen Wahlen, mischte sich erneut ein Offizier ein. General Lino Oviedo, Kommandant des Ersten Armeekorps, überzeugte die Unentschlossenen, als er in drohendem Ton ankündigte, daß sich die Streitkräfte darauf eingerichtet haben, mit der „ruhmreichen Colorado Partei Jahrhundert um Jahrhundert“ zu regieren“ und „keine Oppositionsregierung anerkennen würden“. General Oviedo wandelte sich – obwohl aktiv im Militärdienst – de facto zum Wahlkampfchef des aktuellen Präsidenten.
Während der stürmischen internen Kampagne brachte Arganá ein anderes Element zur Sprache, das das Image des neuen Regierungschefs geschwächt hat: Er klagt ihn der Korruption an und beschuldigte ihn, einer der „Barone von Itaipú“ zu sein, weil er sein Vermögen mit dem Bau des großen brasilianisch-paraguayischen hydroelektrischen Stauwerkes gemacht hat. Es wurde über dem Fluß Paraná in der Zeit der Strössnerdiktatur errichtet.
Wenn schon die Nominierung Wasmosys als Colorado-Kandidat in einem Prozeß von zweifelhafter Transparenz und ohne parteiinternen Konsens stattfand, so wurde sein Sieg in den Wahlen vom 9. Mai durch zahlreiche Unregelmässigkeiten ernsthaft in Frage gestellt. Sie reichten vom Druck auf alle Staatsangestellten, für die offizielle Kandidatur zu arbeiten und ihren Beitrag zu leisten bis hin zu zahlreichen Wahlbetrügereien an den Urnen. Jede Initiative der Bürger*innen, die Wahlen zu überwachen, wurde verhindert. Selbst am Morgen des Wahltages gab es noch einen Angriff mit Waffen schweren Kalibers und Granaten gegen das Private Kommunikationsnetz.
Alle diese Faktoren trugen dazu bei, daß die Bevölkerung mehrere Tage wartete, den Sieg der Regierungspartei anzuerkennen. Aber nicht nur das, sie haben sich auch negativ auf die Legitimität des neuen Regierungschefs ausgewirkt. Er wird wegen seines angeschlagenen Images als „Glasmensch“ bezeichnet.
Eine der ersten zentralen Aufgaben des Präsidenten ist die Regierungsfähigkeit zu sichern. Die Wähler*innen schlugen sich mehrheitlich auf die Seite der Opposition, deren Zersplitterung es verhinderte, mit der Verlängerung des „Stroessnerismus“ zu brechen. Domingo Laino von der Authentischen Radikal-Liberalen Partei (PLRA) erreichte 32,13 Prozent der Stimmen und Guillermo Caballero Vargas von der Allianz der Nationalen Begegnung (AEN) 23,14 Prozent. Wasmosy siegte mit 39,91 Prozent der Stimmen.
Opposition verfügt über Mehrheit im Parlament
In beiden Kammern des Kongresses gibt es eine Mehrheit für die Opposition. Im Senat kommt die Regierungsfraktion auf 20 Sitze, die PLRA auf 17 und die AEN auf 9. Im Unterhaus sind 38 Abgeordnete von der Colorado Partei, 33 von der PLRA und 9 von der AEN. Zum ersten Mal in der Geschichte Paraguays hat der Coloradismus nicht mehr die absolute Regierungsgewalt in seinen Händen.
Unter diesen Bedingungen kann der neue Präsident schwerlich einer Verständigung mit der Opposition ausweichen. Mehr noch, selbst seine Colorado-Partei ist durch parteiinterne Streitereien gespalten. Es herrschen die unterschiedlichsten Auffassungen über den Weg, den die Regierung einschlagen sollte.
Sicherlich ist die Colorado-Partei (die sich offiziell Nationale Republikanische Vereinigung nennt) das Erbe, das die Stroessnerdiktatur (1954-89) hinterließ. Sie ist der Mechanismus, in dessen Händen der Staatsapparat liegt, einschließlich des militärischen Bereichs. Der politische Klientelismus und die Korruption waren schon immer grundlegenden Elemente, die diesen Mechanismus am Leben erhielten. So ist die Ursache für die Wandlung Paraguays in eines der Hauptzentren für Schmuggel und Drogenhandel gerade in dem hohen Korruptionsgrad im Innern der Streitkräfte und der Polizei zu suchen. Man geht sogar davon aus, daß dies der Grund für die Stabilität dieser Institutionen ist.
Extreme Konzentration des Landbesitzes
Die Bedingungen der Regierungsfähigkeit, die der neue Präsident beachten muß, schließen auch die kritische wirtschaftliche Situation ein, unter der die Bevölkerung zu leiden hat. Besonders auf dem Land, wo 65 Prozent der 4,5 Millionen Bewohner leben. Die Landkonzentration ist alarmierend: Etwa 350 Großgrundbesitzer*innen kontrollieren 24 Prozent des nationalen Territoriums, während es auf der anderen Seite circa 200.000 landlose Familien gibt. Außerdem wird die Analphabetenrate auf mehr als 55 Prozentgeschätzt.
Obwohl nach dem Fall der Diktatur die öffentlichen Freiheiten eingeführt wurden, sind Willkür und Straflosigkeit noch nicht aus dem alltäglichen Leben verschwunden. In diesem Sinne stimmt die Ankündigung des neuen Regierungschefs hoffnungsvoll, die Angriffe gegen die Freiheit, die Verletzung der Menschenrechte sowie das politische und wirtschaftliche Exil, die es während der Diktatur gab, würden sich nicht wiederholen.
GUATEMALA
Setzt der Präsident auf den Krieg?
(Mexiko-Stadt, 14. September 1993, NG-POONAL).- In den letzten Tagen hat der guatemaltekische Präsident Ramiro De León Carpio deutlicher als bisher seine politischen Positionen offengelegt. In krassem Widerspruch zu den Forderungen, die er als Menschenrechtsbeauftragter gestellt hatte, unterstützt und bejaht der Regierungschef nun ohne Vorbehalte die Richtlinien der Militärchefs.
De León stellt sich vorbehaltlos hinter die Streitkräfte
Hatte De León Carpio sich vor dem Einzug in den Präsidentenpalast noch damit profiliert, daß er die Menschenrechtsverletzungen der Streitkräfte kritisierte, gibt De León Carpio jetzt den paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC) Rückendeckung. Trotz der Klage der Bevölkerung stellt er sich der Auflösung der Milizen entgegen. Diese Entscheidung widerspricht auch den Empfehlungen internationaler Organisationen wie der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen (CDH/ONU) und der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS).
In Bezug auf das „Archiv“ des präsidentiellen Generalstabs (EMP), daß die Kontrolle über die Regierungsgegner*innen führt, lehnte der Regierungschef die von der Bevölkerung geforderte Auflösung ab und ordnete lediglich eine Neustrukturierung an. Sämtliche Informationen des „Archivs“ wurden dem Geheimdienst (G-2) übergeben. Bei der Übergabe wurden nach De León Carpios Versicherung die Daten vernichtet, weil sie bedeutungslos seien. Er äußerte sich jedoch weder zu dem Inhalt des Archivs noch sagte er, ob er überhaupt Zugang zu sämtlichen Daten habe.
Die Verantwortung der Führung des präsidentiellen Generalstabs bei verschiedenen Morden, die in den vergangenen Jahren begangen wurden, ist offenkundig. Der bekannteste Fall ist die Ermordung der Anthropologin Myrna Mack Chang, die aufgrund ihrer Forschungen über die durch den Krieg vertriebene Bevölkerung beseitigt wurde.
Der Präsident unterstützt nicht nur die paramilitärischen Zivilpatrouillen und schminkt das Bild seines Generalstabs, er verleugnet auch kategorisch die Existenz geheimer Gefängnisse und weist zurück, daß es in Guatemala politische oder Kriegsflüchtlinge gibt – obwohl das Land seit mehr als drei Jahrzehnten mit einem kriegerischen Konflikt lebt.
Armee: Rebellen von den Versorgungsquellen abschneiden
Es ist nicht lange her – nachdem die Armee einen Plan ankündigte, die Guerilla im Norden des Landes zu zerschlagen -, daß die Widerstandsdörfer (CPR), die in dieser Zone angesiedelt sind, auf ihrem ersten Marsch in die Hauptstadt am 7. September das Recht auf Leben, wirtschaftliche Entwicklung und Gerechtigkeit einforderten. Die Widerstandsdörfer wiesen darauf hin, daß sowohl die Gemeinden der Sierra und des Ixcán, beides Regionen der nordwestlichen Provinz Quiché, durch die Streitkräfte und die Nationalpolizei bedroht würden, um den Marsch der Bauern in die Hauptstadt zu verhindern, wo sie mit De León Carpio sprechen wollten.
Sie beklagten, daß der ehemalige Menschenrechtsprokurator „sämtliche Anschuldigungen der Armee wiederholt. Damit werden die Bombardierungen, der Maschinengewehrbeschuß und die Repression gegen uns in den letzten 12 Jahren gerechtfertigt.“ Unter anderem hatten die Streitkräfte die Wiederstandsdörfer beschuldigt, mit der Guerillabewegung Revolutionare Nationale Einheit Guatemalas (URNG) zusammen zu arbeiten. Daher sieht der Plan des Militärs es als notwendig an, „die Rebellen von ihren Versorgungsquellen in den Widerstandsdörfern abzuschneiden.“
Die Widerstandsdörfer haben jedoch die Unterstützung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) erreicht, die sie als nicht kämpfende Zivilbevölkerung anerkennt. Und nach internationalem Menschenrecht ist der Staat für die Sicherheit der Bürger verantwortlich. Weit entfernt von seinem früheren Reden als Menschenrechtsbeauftragter sagte der Regierungschef, daß er die CPR nicht anerkennen würde, solange diese nicht „die zivilen und militärischen Autoritäten, die dieses Land regieren“, akzeptieren. Aus der Sicht des Präsidenten bedeutet dies die Unterwerfung der Widerstandsdörfer unter die Militärkontrolle oder ihre Integration in die paramilitärischen Zivilpatrouillen. Außerdem wären sie verpflichtet, die Landstücke , die sie zur Zeit bebauen, zu verlassen.
Widerstandsdörfer setzten Verhandlungen mit der Regierung durch
Dennoch erreichten die Widerstandsdörfer nach ihrem historischen Besuch in der Hauptstadt, daß die Regierung ein Treffen für den 28. September versprach, bei dem die Basis für eine Verhandlung gefunden werden soll. Die von der Armee im Hochland belagerte Bevölkerung verlangt die Einstellung der bewaffneten Agression, eine Verhandlung ohne direkte und indirekte Teilnahme der Streitkräfte sowie Sicherheitsgarantien für die Verhandlungskommission als Bedingung für den Beginn von Gesprächen.
Die Radikalisierung in der Haltung De León Carpios, eine Konfrontation mit der Guerilla einkalkulierend, und die Ignorierung der Forderungen der Widerstandsdörfer lassen vermuten, daß der Regierungschef sich für die Fortsetzung des Krieges entschieden hat, in dem Glauben, so die Probleme Guatemalas lösen zu können. Mit dieser Strategie folgt der Präsident den Forderungen der unnachgiebigsten Kräfte innerhalb der Streitkräfte. Er entlarvt damit die zum Regierungsantritt gemachten Versprechungen, die viele auf eine demokratische Wende in Guatemala hoffen ließ, als bloße Taktik, um die Unterstützung der Bevölkerung zu erhalten. Diese Unterstützung dürfte allerdings rasch wieder verspielt haben, auch wenn er dies nicht wahrhaben will.
Eine Kommission zum Verhandeln?
Von Ileana Alamilla
(Mexiko-Stadt, 13. September 1993, cerigua-POONAL).- Nach fast zweimonatigen Beratungen hat Präsident Ramiro De León eine neue Kommission gebildet, um die Lösung des bewaffneten internen Konflikts zu verhandeln. Zur gleichen Zeit kündigte Verteidigungsminister General Mario Enríquez den Beginn einer neuen Offensive gegen die Guerilla an.
Obwohl Hector Rosada, der Koordinator der Friedenskommission, praktisch seit dem 7. Juli ernannt war, verhinderte laut Präsidentensprecher Héctor Luna eine Reihe von Schwierigkeiten die Ernennung der übrigen Mitglieder, weil die Zivilist*innen nicht akzeptieren wollten.
Alles deutet jedoch darauf hin, daß die Verzögerungen durch einen Verhandlungsmarathon bedingt waren, um die Ziele der Kommission aufzustellen. Am Ende erscheinen, ohne daß es auf den ersten Blick deutlich wird, Vertreter*innen der wirtschaftlich mächtigsten Schichten, die sich immer einer politischen Lösung des guatemaltekischen Krieges entgegengestellt haben.
Die Namen sind Antonio Arenales Forno und Ernesto Viteri. Der erste ist ein Mitglied der Kaffeefamilien, die die Kontrolle des Außenministeriums während der Militärregierungen innehatten. Der zweite, ein Anwalt der Getreide- und Kaffeeproduzenten, kommt ebenfalls von der Westküste, der Boca Costa. Viteri war Mitglied der Friedenskommission des ehemaligen Präsidenten Serrano. Auf ihm lastete das Gewicht, Entscheidungen in Vertretung der Privatunternehmen zu treffen. Obwohl beide als Berater der neuen Regierungskommission erscheinen, liegt bei ihnen und den Militärs die wahre Entscheidungsmacht in dem neuen Gremium.
NICARAGUA
Die Regierung vor der Zerreißprobe
(Managua, 14. September 1993, APIA-POONAL).- Die durch die Geiselaffaire verschärfte innenpolitische Krise in Nicaragua läßt viele Beobachter daran zweifeln, ob Präsidentin Chamorro ihre 1996 auslaufende Amtszeit friedlich zu Ende führen wird. Die Angriffe auf die Armeeführung, hinter die sich nun auch die Präsidentin stellt, zwingen die Sandinisten in die Defensive.
Die heftige Auseinandersetzung um eine vorzeitige Ablösung von Armeechef Humberto Ortega bildet den derzeitigen Höhepunkt in der nicaraguanischen Krise dar. Nach der Ankündigung der Staatschefin, der General müsse im nächsten Jahr seinen Hut nehmen, hatte die Armeeführung in einem Kommuniqué erklärt, die Präsidentin habe sich bei militärischen Versetzungen an die Gesetze zu halten. Gemeint ist damit das neue Militärorganisationsgesetz, dessen Entwurf der Präsidentin Anfang September überreicht wurde.
Der Druck auf General Ortega wird immer stärker – und internationaler. Mittlerweile fordert nicht nur der erzkonservative US-Senator Jesse Helms die Ablösung des nicaraguanischen Armeechefs, auch die von Präsidentin Chamorro um Unterstützung gebetene Organisation Amerikanischer Staaten und die Präsidenten der zentralamerikanischen Nachbarstaaten haben sich in diesem Sinn ausgesprochen. Das neuerliche Einfrieren der Wirtschaftshilfe aus den USA bringen die Staatschefin und ihren Präsidialminister Lacayo – beide sind dem Armeechef durchaus wohl gesonnen – in Zugzwang. Das politische Überleben von Chamorro und Lacayo ist unmittelbar mit der Finanzhilfe aus dem Ausland verbunden, denn nur mit eigener Kraft scheint das Land keinen Ausweg aus der Dauerkrise zu finden.
Am 6. September begann endlich der politische Dialog, zu dem sich unter dem Schock der Geiselaffaire die wichtigsten Parteien und Gruppierungen des Landes verpflichtet hatten. Die Streitigkeiten waren schon im Vorfeld des Dialogs ausgebrochen. Nachdem sich die Chefs der UNO-Parteien geweigert hatten, an Gesprächen mit der Regierung und der FSLN teilzunehmen, hatten diese einer Aufforderung der zentralamerikanischen Präsidenten nachgegeben und doch in die Drei-Parteien-Gespräche eingewilligt. Vor der Aufnahme des „Trialogs“ wollen die UNO-Politiker jedoch eine Woche lang bilaterale Verhandlungen mit der Regierung führen.
Angesichts der dreisten Forderungen der UNO-Führung sind die Erfolgsaussichten gering. Die UNO will Armeechef Ortega, Präsidialminister Lacayo, den Rechnungshofpräsidenten und das Parlamentspräsidium durch ihre eigenen Leute ersetzen. Dennoch wächst der Druck auf alle Parteien, eine politischen Lösung zu finden. „Wenn der Dialog scheitert, dann wird es hier mehr Gewalt und Blutvergießen geben“, warnte Kardinal Obando y Bravo und zitierte den ehemaligen Parlamentspräsidenten und einflußreichen UNO-Politiker Alfredo César zu sich. Das diplomatische Corps, selbst die Partei der ehemaligen Contras und der dem extremistischen Flügel der UNO nahestehende Sohn der Präsidentin, Pedro Joaquín Chamorro, drängten zum bedingungslosen Dialog, ebenso wie die zentralamerikanischen Präsidenten, ermahnte der Kardinal den UNO-Politiker.
Poonal Nr. 111 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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