Poonal Nr. 053

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 53 vom 20.07.1992

Inhalt


PANAMA

GUATEMALA

KUBA

HAITI

NICARAGUA


PANAMA

Die Krise verschärft sich – die Unruhen nehmen zu

(Ecuador, Juli 1992, Alai-POONAL).- Eine Gruppe von panamenischen Bürgern hat Strafanzeige gegen George Bush erhoben. Der nordamerikanische Präsident soll sich für die Verbrechen, die während der US-Invasion im Dezember 1989 begangen wurden, und für die „fortwährende Besatzung des Landes“ verantworten, fordert das „Komitee der Angehörigen der am 20. Dezember 1989 Gefallenen“. Eine Gruppe von Unternehmern fordert ihrerseits den panamenischen Präsidenten Endara auf, von Bush eine Entschädigung über 200 Millionen Dollar für die Plünderung ihrer Geschäfte zu verlangen. Wie wenig der US-Präsident in dem mittelamerikanischen Land als Befreier angesehen wird, hatte George Bush selbst erfahren, als er im Juni zu einer fünfstündigen Kurzvisite nach Panama gereist war. Der Besuch war von strengen Sicherheitsvorkehrungen geprägt, US- amerikanische Einheiten überwachten den Luftraum und die Küsten. In der Bevölkerung ist die Bombardierung panamenischer Städte durch die nordamerikanischen Kampfflugzeuge unvergessen. Und mit Bitterkeit und Enttäuschung mußte die Bevölkerung erkennen, daß die vollmundig angekündigte Aufbauhilfe der USA lediglich ein propagandistisches Manöver waren. Zweieinhalb Jahre nach der US-Invasion hat sich die wirtschaftliche Krise in dem Land verschärft. Ein Ende der Talfahrt ist nicht abzusehen, doch die Bevölkerung scheint nicht mehr gewillt, die Misere klaglos hinzunehmen. Im Mai war die Stadt Colón – der wichtigste Hafen Panamas – Schauplatz von mehrwöchigen Protesten. Auch in der Provinz Chiriquí, die zweitwichtigste Region des Landes, brachen Unruhen aus, die die Aufmerksamkeit der Zentralregierung auf sich lenkten. Die Christdemokratische Partei, die 1991 zur Opposition übergewechselt war, machte die Regierung für die Proteste verantwortlich. Die Unruhen hätten die Dimensionen einer Aufstandsbewegung angenommen. Die Ursachen lägen in der Unfähigkeit der Machthaber, die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen und der Bevölkerung eine Perspektive zu bieten.

Parlament lehnt Privatisierungsgesetz ab

Währenddessen schlossen sich im Kongreß erstmals die verschiedenen Fraktionen und Strömungen der Opposition zusammen und wiesen ein Privatisierungsgesetz zurück, das ein Schlüsselelement des wirtschaftlichen Anpassungspolitik ist, die Präsident Guillermo Endara mit den internationalen Banken abgesprochen hat. Dieses Programms sieht unter anderem die Entlassung von rund 22.500 Angestellten des öffentlichen Dienstes und die Privatisierung der Staatsunternehmen vor. Neben Chorrillos war Colón eine der am heftigsten von den US- Kampffliegern bombardierten Städte. Ganze Straßenzüge wurden verwüstet, zurück blieben hunderte von Witwen, Waisen, Verletzten, Angehörigen von Verschwundenen und Obdachlosen hinterlassen. Auf die Hilfe des Staates konnten die Opfer nicht zählen, sie begannen sich in der Not zu organisieren, um ihr Überleben zu sichern. In dieser Zeit sind Gruppen enstanden wie das 'Komitee der Angehörigen der Gefallenen' und das 'Komitee der Flüchtlinge von Colón und Chorrillos'; in beiden Organisationen sind hauptsächlich Frauen aktiv. Sie fordern Gerechtigkeit und kämpfen für einen Ausweg aus ihrer verzweifelten Lage. Die Regierung verunglimpft derlei Versuche der Bevölkerung, gegen die Misere anzugehen, als gefährliche „Symptome des Noriegaismus“ und reagiert mit militärischer Härte gegen öffentliche Proteste. Die Repression wendet sich selbst gegen Frauen und Kinder, die etwa im März in Chorillos demonstrierten, um die Entschädigungen für die während der Invasion erlittenen Schäden einzufordern.

Leben in einem Besetzten Land

Interview mit Rosa Góngara, Vertreterin des „Komitees der Flüchtlinge von Colón und Chorillos“ über die Nachwirkungen der US-Invasion in Panama.

(Ecuador, Juli 1992, Alai-POONAL).- Laut Rosa Góngora, leitende Vertreterin der 'Komitees der Flüchtlinge von Colón und Chorrillos', ist Panama „ein besetztes Land, in dem alle Angst davor haben, daß die Gringos aus irgendeinem Anlaß zurückkommen und uns von Neuem bombardieren“. Im folgenden Interview erläutert sie die Entstehung und die Forderungen ihrer Organisation.

Frage: Was sind die Ziele und Schwerpunkte des Flüchtlingskomitees?

Unser Komitee hat sich direkt nach der Invasion gegründet, da die Missile-Raketen der Nordamerikaner die Häuser zerstörten, in denen wir lebten; wir haben unsere Habseligkeiten verloren und sogar unsere Angehörigen. Wir haben uns organisiert, weil trotz der von allen Medien verbreiteten Versprechen von Bush, die entstandenen Schäden zu bezahlen, tatsächlich nur eine kleine Unterstützung gezahlt worden ist, die nicht einmal ein Viertel der Verluste abdeckt. Denn die Schäden waren in Wirklichkeit viel größer als die Regierung und die USA zugeben. Unsere Regierung macht sich zum Komplizen der US-Regierung, weil sie damit einverstanden ist, unseren Forderungen nicht stattzugeben. Wir sind zivile Opfer der Invasion, wir selbst haben ja für die Nordamerikaner nie ein Problem dargestellt. Wir waren einfach nur in unseren Häusern, dort haben uns dann die Bomben getroffen. Deshalb bestehen wir darauf, daß wir unschuldige Opfer sind; wir hatten ja nicht einmal Waffen, die wir gegen sie hätten einsetzen können. Und dennoch hatten wir all diese Schäden zu erleiden, ohne daß die Täter bestraft worden wären. Die Mehrzahl der Toten sind Zivilisten gewesen, sogar Kinder und schwangere Frauen.

USA leugnen ihre Verantwortung

Deshalb kämpfen wir Frauen darum, daß man unsere Forderungen anerkennt und akzeptiert. Über die Menschenrechtsorganisationen haben wir der US-Regierung eine Anzeige vorgelegt, damit diese ihre Verantwortung für die Toten und die Verluste anerkennt. Bis jetzt hat die US-Regierung nicht reagiert. Die Bush-Regierung versucht mit allen Mitteln, ihre Verantwortung für unsere Situation herunterzuspielen.

Frage: Was sind Ihre konkreten Forderungen?

In Colón haben wir von der Regierung beantragt, daß wir in Häuser umgesiedelt werden, die in einem Bezirk namens Cotepeye liegen. Dieser Bezirk gehörte früher den Nordamerikanern. Es war zwar panamenisches Land, aber die USA haben es einfach besetzt gehalten. Da diese Häuser jetzt leerstehen und in den Besitz der panamenischen Regierung zurückgelangen sollen – dies hatten die ehemaligen Präsidenten Torrijos und Carter ausgehandelt -, erscheint uns das als eine Lösung für unser Problem: schließlich haben wir lange genug auf der Straße gestanden, ohne irgendeine Möglichkeit, an Wohnraum zu kommen. Wir fordern also, daß sie uns diese Häuser geben, wenn auch nur vorübergehend, bis die Regierung selber Wohnungen gebaut hat. Wir mußten hart kämpfen: wir haben einen fast zweimonatigen Hungerstreik durchgeführt. Es war ein permanenter Kampf mit der US-Regierung, da diese Häuser ihr gehörten und sie dort zwischenzeitlich ihre Truppen unterbrachte, nur damit wir nicht in die Häuser hineinkonnten. Unsere Regierung hat angesichts unseres unablässigen Drucks dann entschieden, uns zwar nicht diese, dafür aber andere Häuser zu geben. Sie boten uns einige Häuser über die Hypotheken-Bank an, unter der Bedingung, daß die Familien aus Colón und Chorrillos jeweils 6.500 Dollar selbst beitragen sollten. Diese Summe entspräche dem Betrag, den die USA den Familien als Entschädigung zahlen werde. Die Wohnungen, die sie uns anboten, waren winzig, 19 Quadratmeter groß, ohne Ventilation und ohne angemessene sanitäre Einrichtungen. Da wir alle große Familien haben, wiesen wir diese Häuser zurück. Aber es gab auch einige, die akzeptierten, denn das Regime übte starken Druck aus. Wenn wir die Häuser nicht akzeptierten, verlören wir die 6.500 Dollar und die Möglichkeit, an eine Wohnung zu kommen, drohte die Regierung. Aber wir haben uns nicht einschüchtern lassen. Nicht, weil wir auf Luxus versessen sind – vor der Invasion haben wir ja auch in bescheidenen Verhältnissen gelebt -, aber unsere Häuser damals waren aus Holz, geräumig und bequem. Wir haben die USA nicht darum gebeten, in Panama einzumarschieren; warum also sollen wir jetzt schlechter leben als zuvor?

Der Kampf geht weiter

Wir sind entschlossen, den Kampf um diese ehemals von den USA besetzten Wohnungen fortzusetzen: sie sollen uns für einen symbolischen Preis übergeben werden, als gerechte Entschädigung für alles, was wir während und nach der Invasion durchmachen mußten. Darauf haben wir Anspruch.

Frage: Was ist aus den Menschen in Chorrillos geworden?

Bedauerlicherweise hatten die Compañeros in Chorrillos nicht die Möglichkeit, ganz bestimmte Häuser fordern zu können. Sie wurden in ein Militäranlage umgesiedelt, wo sie unter unmenschlichen Bedingungen lebten. Die Familien mit Kindern lebten in 3 Quadratmeter großen Räumen. Die Menschen hatten keine Alternative, daher haben sie schließlich winzige Häuser, die ihnen angeboten wurden, akzeptiert.

Frage: Die politischen Parteien rüsten sich für die nächsten Wahlen. Welche Alternativen bieten sie zur Lösung der Situation in Colón und Chorrillos an?

Bis jetzt hat sich überhaupt niemand um uns geschert. Papa Egoré – die Partei von Rubén Blades – hat gesagt, sie werde sich für die unteren Schichten einsetzen, aber bis jetzt sind sie mit uns noch nicht in Kontakt getreten. Wir haben gelernt, auf unseren eigenen Kampf zu vertrauen und nicht an die Versprechen der Politiker zu glauben. Bislang hat uns nur die Kirche unterstützt und die zentralamerikanische Menschenrechtskommission CODEHUCA. Sie haben uns während des Hungerstreiks geholfen, den wir unter freiem Himmel durchgeführt haben. In der ersten Phase war es sehr schwierig, sich zu organisieren – vor allem wegen der Repression. Die Regierung geht davon aus, daß die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher werden sollen, und deshalb paßt es ihnen überhaupt nicht, daß Arbeitslosengruppen oder Gewerkschaften existieren. Sie haben es schon geschafft, verschiedene Organisationen und Gewerkschaften auseinanderzubringen.

Frage: In der internationalen öffentlichen Meinung ist der Eindruck verbreitet worden, daß die Menschen in Panama den Einmarsch begrüßten und guthießen. Ist das eine richtige Einschätzung? Zu Beginn der Invasion haben viele von uns gedacht, daß alles paradiesisch werden würde. Heute ist sich die große Mehrheit der Menschen hier bewußt geworden, daß sie sich getäuscht haben. Der Sinneswandel geht soweit, daß viele heute denken, daß wir besser Noriega behalten hätten. Das war zwar eine halbe Diktatur, aber wenigstens verbat man dem Armen nicht, das eigene Überleben zu organisieren.

Demokratie nur für die Reichen

Heutzutage gibt es überhaupt keine Demokratie in Panama. Die Demokratie ist für die Besitzenden, nicht für die Armen. Früher waren wir ein freies und demokratisches Land und jetzt wird uns eine „Demokratie“ aufgedrückt, wir sind der Unterdrückung durch die Reichen und die Ausländer ausgesetzt. Natürlich sind inzwischen die nordamerikanischen Militärs auf den Straßen nicht mehr so präsent. Und sie müssen heute die Genehmigung des Regierungsministeriums einholen, wenn sie beispielsweise eine Demonstration unterdrücken wollen.

Frage: Welche Rolle spielen die Frauen in dem Flüchtlingskomitee von Colón und Chorrillos?

Wir sind in der Mehrheit und außerdem sind wir uns unserer Interessen sehr bewußt. Wir sind uns darüber im Klaren, daß der Kampf weitergehen muß. Wir wollen, daß unsere Rechte anerkannt werden. Wir können nicht die Toten vom 20. Dezember 1989 ins Leben zurückrufen, aber wir glauben, daß wir das Recht auf eine gerechte Entschädigung haben. Es ist auch eine Form der Gerechtigkeit anzuerkennen, daß diese gestorbenen Menschen keinerlei Verbindung mit dem Militär und der Polizei hatten. Die Frauenorganisationen haben uns moralisch unterstützt. In Chorrillos müssen sich die Frauen nahezu allein um die Familien kümmern, in einer Person sind sie Mutter und Vater für ihre Kinder. Die panamenische Regierung hat sich um unsere Probleme nie gekümmert. Beispielsweise haben wir in Chorrillos weder Verdienstmöglichkeiten noch bekommen wir finanzielle Unterstützung. Wir dürfen nicht auf die Straße gehen, um zu verkaufen. Wenn wir etwa Maisschnaps auf der Straße verkaufen, kommt ein Inspektor und schüttet ihn weg, weil wir keine Gewerbeerlaubnis haben. Wir haben keine Möglichkeit, Geld zu verdienen. Wir haben kein Geld, um unsere Kinder zur Schule zu schicken. Meine Kinder gehen seit zwei Jahren nicht zur Schule, und wie mir geht es vielen Fruen in Chorrillos. Inzwischen haben wir uns daran gewöhnt, nur noch einmal am Tag zu essen. Zur Zeit haben wir einen Streit mit der Regierung über die 3.500 Dollar Entschädigung, auf deren Zahlung sie sich verpflichtet hatte und die sie nun verweigert. Der Präsident behauptet plötzlich, daß die Unterschrift gar nicht von ihm stamme und wir sie gefälscht hätten. Wir sind auf die Straße gegangen, um dagegen zu protestieren und sie haben mit Schrotflinten auf uns geschossen. Trotzdem sind wir alle bereit, weiterzukämpfen, damit man uns endlich als Menschen behandelt.

GUATEMALA

Parlament streicht Sozialleistungen

(Guatemala, 15. Juli 1992, NG-POONAL).- Der guatemaltekische Kongreß hat das Abfindungsgesetz abgeschafft, das die öffentlichen und privaten Arbeitgeber zur Zahlung eines jährlichen Bonus an ihre Beschäftigten verpflichtete. Dieses Abfindungsgesetz, das Mitte 1990 von der christdemokratischen Regierung Guatemalas verabschiedet worden war, hatte zudem die Höhe der Abfindungen festgelegt, die die Arbeitgeber ihren Beschäftigen auszahlen mußten, wenn diese das Unternehmen freiwillig oder unfreiwillig verließen. Das Dekret 42-92 schrieb in seinem ersten Artikel den öffentlichen und privaten Arbeitgebern vor, ihren Angestellten als eine betriebliche Sozialleistung einen jährlichen Bonus in der Höhe eines regulären Mindestlohns oder -gehalts zu zahlen. Dieser jährliche Bonus mußte mindestens 100 % einer regulären monatlichen Lohn- oder Gehaltszahlung betragen und diejenigen ausgezahlt werden, die mindestens ein Jahr ununterbrochen in einem Unternehmen beschäftigt waren. Präsident Serrano selbst hatte dem Parlament die Abschaffung dieses Gesetzes auf Drängen der Unternehmer empfohlen. Sämtliche gewerkschaftlichen Organisationen im Land protestierten dagegen energisch gegen die Beseitigung der betrieblichen Sozialleistung. Der Parlamentsbeschluß sei eine Verhöhnung der Rechte der guatemaltekischen Arbeiter.

Gewerkschaften: Parlamentsbeschluß verfassungswidrig

In einer Pressemitteilung teilten die Gewerkschaftsföderationen mit, der Beschluß des Parlaments sei nicht rechtmäßig. Für die Streichung des Gesetzes hätten nicht, wie es verfassungsrechtlich vorgeschrieben sei, zwei Drittel der Abgeordneten gestimmt. „Diese Maßnahmen werfen die Bemühungen von Gewerkschaften und Volksorganisationen um Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit weit zurück, da die Regierung, die politischen Parteien und die Unternehmen damit zum Ausdruck bringen, daß sie nicht den politischen Willen haben, die Bedingung für den Aufbau einer modernen, gerechten, demokratischen und menschlichen Gesellschaft zu schaffen“, heißt es in der gewerkschaftlichen Erklärung. Während einer Protestdemonstration gegen die Abschaffung des Abfindungsgesetzes bezeichneten Gewerkschafter den Kongreß als den „wichtigsten Herd der Korruption im Lande“. Auch das Zentrum für Juristische und Soziale Studien (CEIS) bezeichnete die Streichung des Gesetzes als verfassungswidrig, da gemäß dem Grundgesetz von Guatemala alle Änderungen nichtig seien, die eine Rücknahme von verfassungsmäßigen Rechten bedeuteten. Die Abgeordneten beschlossen die Streichung des Abfindungsgesetzes am 13. Juli. Exakt an diesem Tag traten die im öffentlichen Dienst Beschäftigten in einen 24-stündigen landesweiten Streik, um der Forderung nach Lohnerhöhungen Nachdruck zu verleihen. Dieser Nationalstreik war der Höhepunkt einer Reihe von Kampfmaßnahmen, die von den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes durchgeführt worden waren, und stellte deren letztes Mittel dar, nachdem die Verhandlungen mit der Regierung erfolglos verlaufen waren. An dem Streik, der durch die zeitgleiche Streichung des Abfindungsgesetzes zusätzliche Brisanz erhalten hatte, beteiligten sich rund 200.000 Arbeiter.

200.000 Arbeiter im Streik

Die Staatsbediensteten verlangen eine allgemeine Lohnerhöhung von 83 Prozent, um den Kaufkraftverfall der Löhne auszugleichen. Die Regierung hingegen will nur einer Erhöhung um 12 Prozent zugestehen. Zu dem landesweiten Streik hatten die Nationale Arbeiterföderation von Guatemala (Fenasteg), die Einheit der Volks- und Gewerkschaftsaktion (UASP), die Nationale Föderation des Öffentlichen Dienstes (Fenasep) und der Allgemeine Arbeiterverband Guatemalas (CGTG) aufgerufen. Einer der Leitfiguren der UASP, Byron Morales, erläuterte, daß die Reallöhne der staatlichen und privaten Beschäftigten seien deutlich gesunken, da die Inflation alarmierende Ausmaße angenommen haben. Die Gewerkschaften sagten, es sei falsch, daß die Lohnerhöhungen die Inflation zusätzlich anheizten. Die Preissteigerungen seien in erster Linie „von dem Steuerpaket stimuliert, das von der Regierung zu ungunsten der unteren sozialen Schichten eingesetzt worden war.“ Führer der Demokratischen Union kritisierten die miserable Beschäftigungspolitik der gegenwärtigen Regierung. In Guatemala, einem Land mit 9.5 Millionen Einwohnern, stieg die Armut auf dem Lande zwischen 1980 und 1990 von 66 auf 85 Prozent an. In absoluten Zahlen: 4.5 Millionen Menschen auf dem Land waren 1990 arm, zehn Jahre zuvor lebten „nur“ 3.2 Millionen Menschen in Armut.

MENCHU: Guatemala muß sich von Grund auf verändern

(Guatemala, 16. Juli 1992, Cerigua-POONAL).-„Du bist eine Indígena-Frau, eine Bäuerin. Eine Waise, der es gelungen ist, mit Ehrlichkeit ihre Stimme für alle zu erheben, nicht bloß für die Indígenas, sondern auch für die Arbeiter*innen.“ Die Worte der Indigena-Führerin Maria Toj galten Rigoberta Menchu, der bekanntesten guatematekischen Kämperin für soziale Gerechtigkeit, die fürr den Friedensnobelpreis 1992 nominiert wurde. Menchu hielt sich vom 11. bis zum 14 Juli in Guatemala auf, und allein diese vier Tage demonstrierten, wie sehr sie zum Symbol für das Streben des guatemaltekischen Volkes nach Frieden und Demokratie geworden ist.

Erfolgloser Anschlag auf Menchú

Die Reaktionen auf die Auftritte Rigoberta Menchus demonstrieren die Zerrissenheit der guatemaltekischen Gesellschaft: Tausende empfingen die Indigena-Führerin jubelnd in der Hauptstadt; während einer Reise in das Hochland verübten Unbekannte einen Anschlag, den sie unbeschadet überstand. Der Kongress des Landes begrüßte durch die Komission der Indígena- Gemeinden die Auftritte Menchús. Präsident Serrano dagegen konnte sich nicht verkneifen, die Nominierung von Rigoberta Menchu für den Friedensnobelpreis zu kritisieren. Die Medien des Landes waren geteilt in ihren Beifallsäußerungen. Die Volks-, Gewerkschafts-, Universitäts- und religiösen Sektoren ihrerseits feierten Menchú stürmisch in Demonstrationen als eine Person, „die uns alle mit Aufrichtigkeit vertreten hat“. Die Mutter von Rigoberta Menchú wurde zu Tode gefoltert, ihr Vater verbrannte bei einem Massaker, das die Nationalpolizei 1980 in der spanischen Botschaft anrichtete, ihre Geschwister wurden von Soldaten ermordet. Ihr Geburtsort wurde von den Streitkräften im Rahmen der Politik der „Verbrannten Erde“ dem Erdboden gleichgemacht. Während einer Feierlichkeit in der Universität San Carlos, zu deren Ehrenmitglied sie erklärt wurde, sagte die Nobelpreiskandidatin, daß sie den Schmerz dieser Opfer mit „Würde und kollektiver Unterstützung“ bewältigt habe. Im guatemaltekischen Kongreß forderte Menchú, das guatemaltekische Parlament müsse künftig – als Ausdruck der nationalen Einheit – auch die indigene Bevölkerung repräsentieren, es müsse ein gemischtes Parlament werden, in dem Indigenas gleichberechtigt neben Ladinas säßen. Sie ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, daß den Mördern und systematischen Menschenrechtsverletzern nur vergeben werden könne, wenn die guatemaltekische Gesellschaft von Grund auf verändert und Vorfsorge getroffen werde, daß sich das Schicksal ihrer Familie, das repräsentativ für Tausende von guatemaltekischen Familien sei, niemals wiederholen könne. Die Anwesenheit von Rigoberta Menchú in Guatemala, die neben Nelson Mandela, Frederick de Klerck, Javier Pérez de Cuellar und Boris Jeltsin für den Friedensnobelpreis 1992 nominiert ist, hat die soziale und politische Diskriminierung in Guatemala offengelegt. Sie hat aber auch den unbeugsamen Willen derjenigen gestärkt, die sich mit Terror und Unterdrückung nicht abfinden können.

KUBA

Politische Reformen beschlossen, aber Sozialismus bleibt

(Havanna, Juli 1992, Prensa Latina-POONAL).- Das kubanische Parlament hat nach dreitägiger Debatte Gesetze verabschiedet, die das politische System reformieren sollen – beispielsweise sollen freie und geheime Wahlen eingeführt werden -, ohne jedoch die sozialistischte Konzeption in Frage zu stellen. Die Gesetz, die nach dreitägiger Debatte beschlossen wurden, lassen die Prinzipien des sozialistischen Systems wie beispielsweise die führende Rolle der kommunistischen Partei unangetastet; außerdem führt es als ideologische Grundlage des Staates, neben den Ideen von Marx, Engels und Lenin, das Gedankengut von José Martí ein, dem kubanischen Unabhängigkeitskämpfer des 19. Jahrhunderts.

Freie und geheime Wahlen

Festgeschrieben in den Reformen werden freie, direkte und geheime Wahlen der Abgeordneten und Provinzvertreter, sowie die Festlegung verfassungsrechtlicher Garantien für die Auslandsinvestitionen, die Anerkennung eines weltlichen Staates und die besondere Priorität für die Beziehungen zu lateinamerikanischen Ländern. Das Dokument, für dessen Verabschiedung es der Stimmen von mindestens zwei Dritteln der Abgeordneten bedurfte, ist das Ergebnis eines zweijährigen Prozesses von Studien und Analysen, die von Kommissionen der Nationalversammlung und der Kommunistischen Partei durchgeführt wurden, sowie einer breitgeführten Diskussion innerhalb der Bevölkerung. Wie der Parlamentspräsident Juan Escalona mitteilte, liegt der Schwerpunkt dieser Entscheidung darauf, die kubanische Gesellschaft zu perfektionieren. Der erste Impuls dazu ging von der Kommunistischen Partei vor sechs Jahren aus, die zur Korrektur (rectificación) politischer Fehlentwicklungen aufgerufen hatte. Gemäß den Ergebnissen von der Auswertung dieses Prozesses wurde es unausweichlich, einige Probleme zu lösen, die die Effizienz der Regierungsorgane behinderten und nach Wegen zu suchen, die demokratischen Institutionen repräsentativer zu machen, die Bevölkerung stärker an ihnen zu beteiligen und ihren Vertretern größere Kompetenzen einzuräumen. Aus diesem Grund wurde die direkte und geheime Stimme, zur Wahl der Abgeordneten und Provinzvertretern – an Stelle der Gemeindeversammlungen, über die bislang gewählt worden war – eingeführt. In dieselbe Richtung geht auch der Beschluß, den Volksräten (consejos populares) Verfassungsrang einzuräumen; diese stellen ein Gemeindegremium zur Kontrolle und Koordination dar und waren mit dem Ziel eingerichtet worden, die Bevölkerung an der Lösung ihrer eigenen Probleme stärker zu beteiligen. Die Modifikationen garantieren außerdem die rechtliche Anerkennung des Eigentums von Unternehmen, die im Land mit Auslandskapital gegründet wurden, und heben gleichzeitig das Staatsmonopol über den Außenhandel auf.

Das Konzept eines explizit atheistischen Staates wurde aufgegeben, Kuba versteht sich künftig als ein weltlicher Staat, wobei die Religionsfreiheit anerkannt und jegliche Diskriminierung aus religiösen Gründen verboten ist; beschlossen wurde außerdem die Trennung von Kirche und Staat. Neben der Streichung der auf die Sowjetunion und den sozialistischen Block bezogenen Abschnitte der 1976 eingesetzten Verfassung unterstrich das Parlament die Orientierung der Außenpolitik an der Integration Lateinamerikas und der Karibik. Außerdem wurde die Doktrin militärischer Verteidigung in die Verfassung auffgenommen. Beobachter werteten dies als Reaktion auf die schwierige Phase, die Kuba nach dem Auseinanderbrechen der ehemals sozialistischen osteuropäischen Staaten und den stetigen Drohungen seitens der USA durchlebt. Unter anderem wurde die Gründung eines nationalen Verteidigungsrates beschlossen, dem der Staatschef vorsitzen wird, um das Land im Fall einer bewaffneten Aggression zu führen.

Präsident darf Ausnahmezustand verhängen

Zudem erlaubt die Verfassung dem Präsidenten künftig, den Notstand auszurufen, falls die innere Sicherheit bedroht ist, zum Beispiel bei Unruhen oder Aufständen. Kubanische Politiker und verschiedene Abgeordnete äußerten im Laufe der Sitzungen, daß die Reformen nicht Resultat äußeren Drucks seien, sondern der internen Notwendigkeit entsprächen, „die Gesellschaft zu perfektionieren“ und in Übereinstimmung mit den weltweiten Umwälzungen einige Konzepte zu aktualisieren. Die Debatte, die ursprünglich für zwei Tage geplant war, verlängerte sich aufgrund lebhafter Diskussionen über den künftigen Kurs um einen Tag, was von Präsident Fidel Castro als Demonstration der Pluralität innerhalb eines Ein-Parteien-Systems gewertet wurde. Die Grundsätze des sozialistischen Staates stellte indes keiner der 300 Redner in Frage, was von verschiedenen Abgeordneten als Beleg für die Einheit der Versammlung gelobt wurde. Und in dem vielleicht schwierigsten Moment der Geschichte sei die Verteidigung der sozialistischen Revolution eine vordringliche Aufgabe.

HAITI

OAS entsendet Sondergruppe

(Port-au-Prince, Juli 1992, Haiti-Info).- Die Organisation Amerikanischer Staaten will eine Sondergruppe nach Port-au-Prince entsenden, um die Krise in Haiti schneller beilegen zu helfen. Dies wurde nach einem Treffen zwischen OAS-Generalsekretär Soares und dem stellvertretenden US-Staatssekretär für interamerikanische Angelegenheiten, Bernard Aronson, am 7. Juli bekannt. Der gestürzte Präsident Aristide, der seit dem September des vergangenen Jahres im Exil lebt, hat derweil seine Bereitschaft bekräftigt, mit den politischen Kräften und dem Militär über eine Rückkehr zu verhandeln. Als Vorbedingung nannte Aristide die Achtung der Verfassung und der Wahlergebnisse vom 16. Dezember 1990, die ihn mit überwältigender Mehrheit in den Präsidentensessel gehievt hatten. „Alles andere ist verhandelbar“, sagte Pater Antoine Adriene, der einer von Aristide gegründeten Verhandlungskommission angehört. Als Sicherheitsgarantie forderte Aristide zudem die Anwesenheit einer zivilen OAS-Gruppe, die die Verhandlungen beobachten soll.

Botschafter fordert internationale Beobachter

Der haitianische Botschafter in den USA, Jean Casimir, hat die Entsendung internationaler Beobachter in sein Land gefordert. Die Sicherheit der Mitglieder der Aristide-Kommission könne sonst nicht garantiert werden. Casimir sagte, die Repression in Haiti habe zugenommen. Er forderte den OAS-Generalsekretär auf, den UN- Sicherheitsrat einzuschalten, damit eine Einhaltung des Handelsembargos garantiert werde. Der neue Regierungschef Marc Bazin zeigte sich in einer Radioansprache indes zufrieden mit den ersten beiden Regierungswochen. Als Bedingungen für die Lösung der Krise nannte er: Verhandlungen, die von der internationalen Gemeinschaft unterstützt werden, die Aufhebung des Embargos, die Teilnahme aller gesellschaftlichen Gruppen.

NICARAGUA

Mit Ach und Krach über die Runden

(Managua, Juli 1992, Apia).- Trotz des weiterhin eingefrorenen 100 Millionen Dollar-Kredits der Vereinigten Staaten kommt die nicaraguanische Wirtschaft noch einmal über die Runden: In den Monaten Juni und Juli überwiesen die Weltbank, die Interamerikanische Entwicklungsbank und Japan zusammen fast 160 Millionen Dollar an die nicaraguanische Regierung. Das vom nicraguanischen Parlamentspräsidenten erreichte Einfrieren eines Kredits der USA über 100 Millionen Dollar hat nicht zum befürchteten Kollaps der nicaraguanischen Wirtschaft geführt. César hatte in Washington intrigiert, um die Präsidentin Violeta Chamorro durch Druck aus den USA zu einem Abgehen von der Zusammenarbeit mit den Sandinisten zu bewegen. Sein Plan schlug jedoch fehl. Denn der Geldfluß versiegte nicht, sondern wird mittlerweile aus anderen Quellen gespeist. Die Weltbank zahlt als Belohnung für die durchgeführte Strukturanpassung die zweite Tranche eines Kreditpakets in der Höhe von 68.5 Millionen US- Dollar aus (insgesamt: 110 Millionen US-Dollar): die Interamerikanische Entwicklungsbank unterstützt das mittelamerikanische Land mit 55 Millionen US-Dollar, Japan überwies 35 Millionen. Der deutsche Weltbankvertreter in Managua, Ulrich Lächler, hob anläßlich der Auszahlung des erwähnten Kredits hervor, daß neben einer makroökonomischen Stabilisierung und einer niedrigen Inflationsrate auch die Armutsbekämpfung ein Ziel der Weltbank sei. Die Bekämpfung des Elends müsse ein „integrales Element“ der Suche nach wirtschaftlicher Stabilität sein. Die Arbeitslosigkeit – in Nicaragua sind derzeit über 50 Prozent der wirtschaftliche aktiven Bevölkerung ohne Beschäftigung – sei bei solchen Übergangsperioden ein übliches Phänomen, meinte der deutsche Weltbankvertreter und riet der nicaraguanischen Regierung, Sozialprogramme durchzuführen, um die krassesten Auswüchse der von der Weltbank verordneten Strukturanpassung zu lindern. Mit welchem Geld diese Programme finanziert werden sollten, verriet der Weltbänker indes nicht.

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