Poonal Nr. 045

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 45 vom 25.05.1992

Inhalt


GUATEMALA

MEXIKO

PERU

LATEINAMERIKA

CHILE


GUATEMALA

Drogendealender Bürgermeister an die USA ausgeliefert

(Guatemala, 20. Mai 1992, NG-POONAL).- Die guatemaltekische Regierung hat den ehemaligen Bürgermeister der im Osten des Landes gelegenen Stadt Zacapa an die USA augeliefert. Arnoldo Vargas Estrada war am 27. Dezember 1990 festgenommen worden und wird des Drogenhandels beschuldigt. Damals war er Bürgermeister von Zacapas und gehörte der Union des Nationalen Zentrums an, der stärksten parlamentarischen Kraft im Land. Die nordamerikanische Anti- Drogenbehörde DEA hatte Vargas Estrada im Namen ihrer Regierung angeklagt, Kokain in die USA zu importieren und dort zu verkaufen. Einen Tag zuvor hatte der Verteidiger des Angeklagten, Otto Rene Alfaro, versichert, dass die Resolution der Verfassungshof, der die Auslieferung autorisiert hatte, nicht definitiv sei. Der höchste Gerichtshof müsse noch (resolver un recurso de casacion, sorry mir fehlt hier in der UNI ein Diktionär), der, falls negativ ausfallend, eine Verfügung vor dem Verfassungshof bewirken könnte. Der guatemaltekische Präsident Jorge Serrano Elias gab am 20. Mai bekannt, daß Vargas Estrada an die USA ausgeliefert werde und entgegnete damit Erklärungen des Verteidigers von Estrada, er werde ein Revisionsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof anstrengen. In den USA erwartet den ehemaligen Bürgermeister ein Gerichtsverfahren wegen Drogenhandels.

Der Gerichtshof des Ostdistrikts von New York hat bereits Anklage gegen Vargas Estrada erhoben. Er soll auf seiner Finka Vista Hermosa (Schöner Ausblick) eine Landepiste für Flugzeuge eingerichtet haben, die Kokain in die USA transportierten. „Diese Piste gehört nicht Arnoldo, sondern den Streitkräften,“ versicherte dagegen der Zivilrichter der Gemeinde Zacapa, Jorge Humberto Chacon. Die Anklage beruft sich auf Aussagen des Drogenhändlers Ricardo Espinoza und des Agenten der nordamerikanischen Anti-Drogenbehörde DEA, Frank Alexander. Der Exbürgermeister soll demnach einige hunderttausend Dollar dafür erhalten haben, daß er die Landepiste für den Drogentransport zur Verfügung stellte. Nach Informationen der guatemaltekischen Presse führte Vargas Estrada einen Drogenring in Zacapa an, der enge Verbindungen zu dem berüchtigten Medellin-Kartell in Kolumbien hatte. Der Fall Vargas Estrada ist ohne Zweifel nur die Spitze eines Eisberges. Der Drogenhandel wie der Drogenanbau haben in den den vergangenen Jahren drastisch zugenommen. „Guatemala hat sich in einen Umschlagplatz für Drogen verwandelt“, sagte der Präsident des Kongresses, Edmunt Mulet Lesieur, kürzlich und machte darauf aufmerksam, daß sein Land mittlerweile zum fünftgrößten Mohnproduzent der Welt aufgestiegen sei. Guatemala sei insbesondere für Kokain aus Südamerika, das für die USA bestimmt sei, ein zentraler Umschlagplatz. Kommentatoren weisen bereits daraufhin, daß der Zufluß von Drogendollars zunehmend auf die guatemaltekische Wirtschaft auswirke. Durch die Gewinne aus Drogengeschäften seien enorme Kapitalmengen vor allem in den Immobilienmarkt und das Baugewerbe geflossen und hätten die Preise für Mieten und Grundstücke in die Höhe getrieben.

Der Präsident in der Zwickmühle

(Guatemala, 20. Mai 1992, Cerigua-Poonal).-Der Präsident Guatemalas, Jorge Serrano Elias, hat eine Reise nach Genf in der Schweiz überraschend abgesagt. Serrano wollte dort vor der UNO- Menschenrechtskommission auftreten, um den internationalen Druck, der auf die guatemaltekische Regierung wegen der Verletzung von Menschenrechten ausgeübt wird, zu mindern. Die Absage löste Überraschung aus, da Serrano in den Wochen zuvor vor dem Parlament mehrfach die Dringlichkeit seiner Mission hervorgehoben hatte. Die Regierung müsse insbesondere den diplomatischen Aktivitäten der Aufstandsbewegung Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) entgegenwirken, hatte Serrano argumentiert. Die URNG habe vor der Menschenrechtskommission agiert, „wie sie wollte, während die Regierung Guatemalas nicht anwesend war.“ Serrano verkündete die Absage der Reise nach einem Treffen mit den Oberbefehlshabern der guatemaltekischen Streitkräfte am 18. Mai. Gleichzeitig ernannt er eine Kommission, die an seiner Stelle nach Genf reiste. Die Delegation wird angeführt von Außenminister Gonzalo Menendez. Zudem gehören ihr Manuel Conde an, der die Verhandlungen mit der URNG über die Beendigung des Bürgerkriegs leitet, sowie der General Mario Enriquez und der Präsidentenberater Amilcar Burgos. Außer Burgos gehören alle Delegationsmitglieder der Kommission an, die mit der URNG Friedensverhandlungen führt.

Die Delegation soll in erster Linie das Image der guatemaltekischen Regierung aufpolieren. Die Bemühungen, die Menschenrechte zu sichern und den bewaffneten Konflikt mit der Guerilla URNG zu beenden, werden im Vordergrund stehen. „Es ist besser, wenn die Europäer direkt erfahren, daß wir hier nicht mit der Waffe in der Hand herumlaufen und Leute töten,“ argumentierte Serrano. Derweil blühen die Spekulationen, warum der Präsident die Reise so kurzfristig und überraschend absagte. Der Kolumnist Mario Sandoval von der Tageszeitung Prensa Libre mutmaßte am 20. Mai, Serrano die geplante Reise ab, nachdem die URNG einen neuen Verhandlungsvorschlag angekündigt hatte. Am 15. Mai waren Vertreter der URNG mit dem Bischof Rodolfo Quezada, der als Vermittler in die Verhandlungen zwischen Regierung und URNG einbezogen ist, zusammengetroffen. Offensichtlich schätzte Serrano die Chancen gering ein, den Ruf der Regierung durch einen persönlichen Auftritt in Genf zu verbessern. Denn viel Neues hat er der UN-Menschenrechtskommission nicht zu bieten. Im März hatte das UNO-Gremium seine „Überraschung und Besorgnis“ darüber geäußert, daß die guatemaltekische Regierung nicht bereit ist, die paramilitärischen Zivilpatrouillen (PAC) aufzulösen. Ihnen werden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen angelastet. Auf diesen Vorwurf scheint Serrano ebenso wenig eine überzeugende Antwort parat zu wie auf die Frage, wie die Regierung die Verhandlungen mit der URNG über eine Beendigung des Bürgerkriegs voranbringen will. Nicht ohne Grund fürchtete der Präsident – nach der Unterredung mit den Oberbefehlshabern der Streitkräfte -, daß ein persönlicher Auftritt in Genf kaum zur Aufpolierung seines Images geeignet wäre, sondern im Gegenteil eher die Position der Guerilla stärken würde.

MEXIKO

Unterbezahlt und gegängelt: Journalist*innen in Mexiko

(Mexiko, 21. Mai 1992, Felap-POONAL).- Die Beschäftigten in Presse, Funk und Fernsehen in Mexiko haben eine Erhöhung des Mindestlohnes von 30.000 auf 40.000 Pesos gefordert (etwa 20 Mark). Erst im Dezember des vergangenen Jahres hatte die Regierung des Mindestlohn für Medienschaffende auf 30.000 Pesos festgesetzt. Das reiche jedoch nicht einmal zum Überleben, kritisierten Journalisten, Drucker und Setzer auf einem Treffen. (Zum Vergleich: Der Mindestlohn für Arbeiter in anderen Branchen beträgt etwa 10.000 Pesos, das sind etwa fünf Mark). Die Rationalisierung und dadurch drohender Arbeitsplatzverlust ist ein weiterer Konfliktpunkt. Der Einsatz neuer Technolgie könnte insbesondere zur Entlassung von Druckern und Setzern führen. Um dieser Gefahr vorzubeugen, beschlossen die im Medienbereich Beschäftigten, in künftigen Arbeitsverträgen einen Rationalisierungsschutz zu verankern. Beschäftigte, die von ihrem Arbeitsplatz verdrängt werden, sollen in einem anderen Bereich des Unternehmens eingesetzt werden. Gegebenenfalls sollen die Medienbetriebe ihre Mitarbeiter weiterbilden oder umschulen, um sie für neue Aufgaben zu qualifizieren. Die Medienschaffenden beklagten auf ihrem Treffen, daß die Presse- und Meinungsfreiheit vor allem in südlichen Bundesstaaten Mexikos permanenten Angriffen von Seiten des Staates ausgesetzt sei. Im Staat Oaxaca etwa würden Journalist*innen bestraft, die vertrauliche Informationen veröffentlichten. Desweiteren wurde eine Verbesserung der journalistischen Ausbildung gefordert. Nach Informationen des Journalisten Rogelio Hernandez Lopez haben nur 5 von 100 aktiven Journalist*innen ein Studium abgeschlossen. Er schlug vor, eine nationale Journalistenschulen zu gründen, wie sie in anderen Ländern Lateinamerikas bereits existierten.

PERU

Die Diktatur als geringeres Übel?

(Mexiko, Mai 1992, NG-POONAL).- Der Staatsstreich des peruanischen Präsidenten Alberto Fujimori hat zwei Überraschungen provoziert: einerseits wurde dadurch die Ausdrucksfreiheit der aus ihrer staatstragenden Rolle verdrängten politischen Klasse nicht eingeschränkt, andererseits war es ein durchaus populärer Streich, Umfragen weisen auf eine Unterstützung der öffentlichen Meinung von 70 – 90 Prozent für den Präsidenten hin.

Besorgnis im Weißen Haus

Wie aus Veröffentlichungen und Verlautbarungen aus Washington deutlich wird, hat der Putsch in Peru bei der US-amerikanischen Regierung Besorgnis über zwei Phänomene geweckt: die relative Unabhängigkeit der Streitkräfte im Cono Sur und die Gefahr in einigen Ländern, daß die Regierung die Kontrolle über die politische Entwicklung verliert. Dadurch, so fürchten die USA, könnten die wirtschaftlichen Schockprogramme, die nahezu alle lateinamerikanischen Länder übernommen haben, in Gefahr geraten. Im Fall Peru ist sich die Bush-Administration noch nicht sicher, welche Auswirkungen politischer Druck auf die Regierung des „Chino“, wie Fujimori im Volksmund genannt wird, haben kann. Das Machtgefüge in Peru sei derart brüchig, daß jeder äußere Druck zu einer Explosion führen könnte, die nur zwei Sektoren nutze: der Guerillabewegung Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) und den Drogenhändlern.

Die Reaktionen auf den Fujimori-Putsch zeigen, daß sowohl im Land selbst wie auch im Ausland die Gefahr eines völligen Zusammenbruchs der Gesellschaft wahrgenommen wird und als geringeres Übel der Diktator akzeptiert wird, der Ordnung verspricht. Dahinter verbirgt sich als Ursache eine tiefe wirtschaftliche Krise in Peru, die vor allem die Unter- und die Mittelschichten stark getroffen hat. Den konservativsten Schätzungen zufolge leben 60 Prozent der Bevölkerung in extremer Armut. Die öffentlichen Dienste, die in der Verantwortung des Staates liegen, stehen vor dem Kollaps. Auf poolitischer Ebene führten die Konflikte zwischen der Regierung und dem Kongreß, zu einer Erstarrung. Fujimori warf der Volksvertretung eine Blockadepolitik vor. Durch den Fuji-Streich ist deutlich geworden, daß der peruanische Staat einen Krieg an mehreren Fronten führt. Einer davon ist zweifellos der Krieg gegen die Guerilla Sendero Luminoso, der in eine Grenzsituation geraten ist. Aus strategischer Sicht hat der Putsch Sendero gegenüber dem peruanischen Staat Vorteile verschafft. Ein weiterer wichtiger Faktor ist der Drogenhandel, der versucht, weitere Bevölkerungsgruppen zu integrieren: in erster Linie die Koka produzierenden Bauern und diejenigen, die den Drogenhandel bekämpfen sollen, die Sicherheitskräfte und das Militär. Die Angelegenheit verkompliziert sich, seit die nordamerikanische Anti-Drogenagentur DEA in Peru agiert. Ergänzt wird dieses politische Panorama von einem Verlust an Hoffnung und von einer tiefen Unzufriedenheit der Bevölkerungsmehrheit mit einem formal-demokratischen System, das vor der Tiefe und Komplexität der peruanischen Krise kapitulierte. Vor den Augen der Bevölkerung hat sich das Parlament in einen Ort verwandelt, in dem die politische Klasse Fraktionsquerelen auslebt und Interessengruppen ihre Anliegen durchsetzen, während die Gesellschaft dem Zusammenbruch zutreibt.

Die andere Macht im Staat, die Justiz, hat noch stärker an Glaubwürdigkeit verloren, die Korruption hat jegliche Grundlage für Vertrauen in das Rechtssystem zerstört. Noch ist nicht klar, ob Fujimori den wirtschaftlichen Sparkurs noch verschärfen wird – dies fordern die mächtigsten Unternehmenssektoren, die Fujimori unterstützt haben -, oder ob er die wirtschaftliche Roßkur sozial abfedern wird. Was Fujimori noch aufrecht hält, ist die Passivität der Bevölkerungsmehrheit. Die überrumpelten Parlamentarischen Kräfte werden ebenso wie die peruanischen Volksorganisationen bald wieder offener agieren. Fujimori kann versuchen, sie zu unterdrücken, oder er muß mit ihnen verhandeln. In jedem Fall wird seine Position schwächer werden.

LATEINAMERIKA

Amazonas – Kein Umweltschutz ohne Armutsbekämpfung

(Ecuador, Mai 1992, alai-POONAL).-Im Rahmen der Pläne und Programme zum Schutz der natürlichen Umwelt des Planeten schlagen die Industrieländer vor, den Amazonas zu „internationalisieren“, was von den Regierungen der Amazonasländer als ein Angriff auf ihre Souveränität abgelehnt wird. Im folgenden dokumentieren wir die Überlegungen von Nazaré Imiriba, Professorin für Internationales Recht an der Bundesuniversität des nordbrasilianischen Bundesstaates Pará, zu den Zusammenhängen zwischen nationaler Souveränität und globalem Umweltschutz. In unseren Amazonasgebieten hat man ein Modell der Nutzung und ökönomischen Bewertung eingeführt, das sehr allgemeine Züge trägt wie zum Beispiel die Betonung des Großkapitals und der Großunternehmen; der Amazonas wird von unseren Regierungen mit einer ökönomischen Funktion versehen, nämlich einen externen Bedarf zu erfüllen, sei es nun für den nationalen oder für den internationalen Markt. Der Amazonas wird als Rohstofflieferant für diese Märkte gesehen. Tatsächlich ist diese Logik Bestandteil eines breiten Prozesses von nationaler Entwicklung in unseren Ländern, die ich als angepaßte, imitierende Entwicklung bezeichne. Wichtig dabei ist, daß es eine periphere Entwicklung ist, das heißt: uns wird die Rolle als Rohstofflieferant auf den internationalen Märkten zugeschrieben. Und als solche erleiden wir die Veränderungen auf dem Weltmarkt, auf die unsere Regierungen keinen Einfluß haben, zum Beispiel auf den Anstieg der Zinsen.

„Land ohne Menschen für Menschen ohne Land“

Dies spiegelt sich in der Peripherie auf brutale Weise wieder und besonders im Amazonasgebiet, das immer unter dem Gesichtspunkt der Lösung von „amazonasfremden“ Problemen betrachtet wird. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In Peru führen die Probleme im Hochland dazu, daß die Bauern in den Amazonas wandern, den sie „Land ohne Menschen für Menschen ohne Land“ nennen. Seit Beginn der achtziger Jahre, genaugenommen seit 1982, haben sich die Entwickungsmühen und -modelle zerschlagen, weil wir uns mit einer enormen Auslandsschuld konfrontiert sahen, die wir nicht bezahlen können. Zur gleichen Zeit, in der ganz Lateinamerika in dieser Krise steckt, sehen wir uns einen ökologischen Diskurs ausgesetzt, der – wenn es auch einen Konsens darüber gibt, daß der Schutz und die Verteidigung unseres Planeten Erde notwendig ist und global sein muß – ein Diskurs der Länder des Zentrums ist, die uns jetzt sagen: „Ihr könnt nicht die gleichen Entwicklungswege gehen, wie wir das getan haben“; als sie die Kredite noch leichtfertig vergaben, sagten sie uns:“Ihr müßt euch genauso entwickeln wie wir.“

Unterdessen hatten sich unsere Politiker, unsere Regierenden und unsere Militärs – und sogar unsere Volksmassen – von der Idee anstecken lassen, daß die Kluft zwischen den Ländern der Peripherie und denen des Zentrums mithilfe dieses Entwicklungsmodells – der Massenproduktion und des Massenkonsums – überwunden werden müsse. Dann kam der ökologische Diskurs auf, der den Schutz der natürlichen Umwelt in den Vordergrund stellte und die nationale Souveränität in Frage stellte. Teile der Streitkräfte etwa sehen in diesem ökologischen Diskurs einen Versuch der Internationalisierung, der die Gefahr des Verlusts der nationalen Selbständigkeit impliziert. Hier muß man sich die Frage stellen: Was ist Souveränität? Ist sie die Kontrolle über das Land und die Bevölkerung? Oder ist sie die Möglichkeit des Volkes, bei Entscheidungen des Staates mitzuwirken und gleichzeitig Wohlstand und Lebensqualität zu erhalten? Das ist wirkliche Souveränität, aber in der Diskussion wird der Schwerpunkt immer auf die Kontrolle des Landes und der Bevölkerung gelegt. Und der ökologische Diskurs wird von diesen Strömungen (etwa den Streitkräften) eben als Versuch der Internationalisierung gewertet, der ihnen ihre Souveränität zu nehmen scheint. Ich nenne das Stempelsouveränität – den Stempel braucht man, um einen Paß zu bekommen, um Grenzen zu überqueren. Und außerdem sind ja unsere Länder längst internationalisiert, was die Produktion anbelangt, schließlich haben wir jede Menge Auslandskapitel.

Umwelt, Schulden und Armut

Ich denke, daß diese Haltung gegen die Internationalisierung unverantwortlich ist und einer volkstümlichen Vorstellung vom Kampf gegen die Gringos, gegen die Kräfte des Auslands verhaftet ist. Dies behindert die Möglichkeiten einer wirklichen Souveränität und die Suche nach einer qualitativen Entwicklung, deren Prioritäten die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung und die Schonung der Ökosysteme sind. Statt uns auf das Gerede von der Internationalisierung einzulassen, denke ich, daß wir in bezug auf den Amazonos eine andere Parole ausgeben sollten, zum Beispiel :“small is beautiful“, im Sinne von kleinen, aber übergreifenden Projekten, die verschiedene Bereiche wie Land- und Forstwirtschaft, Bildung und Gesundheit einbeziehen. Die Wälder sind riesig, aber sie sind zusammengesetzt aus hunderten von natürlichen und kulturellen Eigenheiten, so daß die großen Projekte völlig ungeeignet sind; diese Strategioe ist gescheitert, sie hat die Armut nur vergrößert. Schließlich muß man, wenn man ernsthaft von den realen ökologischen Problemen und dem Umweltschutz sprechen will, auch von der Lösung der Auslandsverschuldung sprechen, weil diese eine Bedingung sine qua non (unabdingbare Voraussetzung) darstellt, damit wir aus dieser problematischen Situation herauskommen und alternative Entwicklungswege einschlagen können. Man muß also von den Schulden sprechen, und von der Armut, weil sonst sowohl der ökologische Diskurs wie auch der von der Internationalisierung unverantwortlich und zusammenhangslos wird – in gewisser Hinsicht ist er das schon jetzt. Mir scheint, daß es auch dem ökologischen Diskurs in den Ländern des Zentrums an Seriösität fehlt, da er nicht die Frage der Armut, die Frage von neuen Optionen qualitativer Entwicklung enthält und keine Veränderungen, keinen Kurswechsel auch in den Ländern des Zentrums vorsieht. Ein Umweltdiskurs, der diese Aspekte nicht einbezieht, bleibt bloße Rhethorik, oder wird zu einem Diskurs, den man imperialistisch nennen kann. Um einen realen ökologischen Diskurs zu entwickeln, muß folgendes miteinbezogen werden: die Frage der Armut, die Auslandsverschuldung unserer Länder und die Suche nach Entwicklungsmodellen, die den Interessen und Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung entsprechen. Von der Ozonschicht zu sprechen und dabei die Armut außer acht zu lassen ist entweder ein leerer oder ein imperialistischer Diskurs. Genauso drückt das Gerede von der Internationalisierung, das dazu dient, den Status Quo zu erhalten, damit die großen Unternehmen so weitermachen können wie bisher, ein politisches Versäumnis aus, das wir nicht akzeptieren können.

Der „Calha Norte“-Plan

Die Grundannahme des „Calha Norte“-Plans ist, daß der Indio ökonomisch nicht produktiv ist, daß er also für das Wirtschaftsmodell, das man im Amazonas eingeführt hat, nicht nutzbar ist. Dieses Projekt ist der deutliche Ausdruck eines Konzeptes, oder besser gesagt: der Fusion von zwei Konzepten, auf der sämtliche Modelle in den Amazonasgebieten beruhen: Entwicklung mit nationaler Sicherheit. Diese militärisch-geopolitische Sichtweise stellt die Basis für die offiziellen Pläne für die Region dar. „Integrar para no entegrar“ (Integrieren um nicht auszuliefern) ist die Parole der brasilianischen Militärs. Ein anderer: „Brasilien, lieben oder aufgeben.“ „Calha Norte“ ist ein Beispiel für ein Projekt, das dem weiteren Fortschreiten des Kapitals nützt und diese beiden Aspekte – nationale Sicherheit und Entwicklung – vereinigt, die die ehemaligen Hochburgen des Krieges sind. Und das gleiche gilt, in kleinerem oder größerem Ausmaß, für alle unsere Länder.

Die Kooperation zwischen den Amazonasländern

Um die Kritik glaubhaft zu machen, ist es notwendig, Alternativorschläge zu entwickeln. In diesem Sinne sind wir, an der Bundesuniversität von Pará, zum Beispiel dabei, ein Kooperationsprojekt für das Amazonasgebiet zu initiieren – ländliche Produktion mit angepaßten Technologien. Grundlage dieser Technologien und dieses Agrar- und Forstmodells sind die alten Waldinseln der Cayapos. Dieses Projekt, das wir „Poblaciones carentes, desarrollo sustentable en la Amazonía“ (Völker der Entbehrung, qualitative Entwicklung im Amazonas) genannt haben, beruht auf der Pflege und Basissanierung der Wälder und des Bodens. Wir haben eine Spitzentechnologie, die wenig kostet, entwickelt: es ist ein System der Wasserreinigung, das von der Dorfgemeinde hergestellt und überwacht wird. Im Rahmen dieses Projektes werden wir durch die gesamten Amazonasgebiete reisen, um die Erfahrungen, die auf diesem Gebiet schon gemacht wurden, zu untersuchen. Davon ausgehend, werden wir dann beginnen zu diskutieren, wohin unsere Projekte denn letztlich führen sollen. In diesem Projekt wird die lokale Bevölkerung hundertprozentig beteiligt werden. Zwei Punkte sind in dieser Hinsicht wichtig. Erstens: Man muß mit der lokalen Bevölkerung zusammenarbeiten, seien es nun ribereños, „cabocos“ (Pächter) oder Indianer. Und zweitens müssen bei diesen Bemühungen die lokalen öffentlichen Gewalten einbezogen werden: die örtlichen Instanzen dürfen wir nicht außen vor lassen – sowohl die Kommunal- wie auch Bezirks- oder Kirchengemeinden. Die örtlichen Instanzen sind ja meist mit viel Korruption durchsetzt und wir wissen alle, wie wichtig es ist, die lokalen Autoritäten einzubeziehen, weil diese in dem Maße, wie dieser demokratische Prozeß voranschreitet, sehen, daß sie ihre Legitimität und Kontinuität nur wahren können, wenn sie wirklich den Interessen ihrer Gemeinde dienen. Die Bevölkerung sagt dann nämlich: Wir handeln und die öffentlichen Stellen sind in Intrigen verstrickt. Dann begreifen diese, daß sie sich an diesem Prozeß beteiligen müssen, sei es nun aus rein politischen oder auch aus moralischen Gründen. Tatsache aber ist, daß ohne eine Beteiligung der Bevölkerung und der lokalen Autoritäten diesen Projekten nicht viel Erfolg beschieden sein wird.

CHILE

Die chilenischen Bauern und das neue Agrarunternehmertum

(Mexiko, Mai 1992, apia-POONAL).-Interview mit Oscar Valladares, Mitbegründer der Arbeiter- und Bauernpartei Mapu (Mapu Obrero- Campesino) und Vorsitzender der Arbeiter- und Bauernorganisation UOC (Unidad Obrero-Campesina) in der Nationalen Konföderation der Landarbeiter von Chile (CNTA). Von Eduardo Henríquez und Nancy Astelli

In den ersten Monaten nach dem Sturz des Präsidenten Allende im Jahr 1973 übernahm – in der strengen Verborgenheit des Untergrunds, um nicht in die Hände der Sicherheitskräfte zu fallen – ein junger Holzfäller, der sich für die in den sechziger Jahren initiierte Agrarreform engagiert hatte, die Aufgabe, die Bauernbewegung neu zu organisieren. Zur gleichen Zeit waren die Führer der Organisationen einer extremen Repression ausgesetzt, sie wurden von den Streitkräften eingekerkert oder umgebracht. Mit 20 Jahren hatte sich Oscar Valladares der Befreiungsbotschaft der Agrarreform verschrieben und engagierte sich seither in der Gewerkschaftsbewegung. Heute sitzt er der Arbeiter- und Bauernorganisation UOC (Unidad Obrero-Campesina) in der Nationalen Konföderation der Landarbeiter von Chile (Confederación Nacional de Trabajadores Agrícolas) vor. Während der 17 Jahren der chilenischen Militärdiktatur saßen Valladares und andere Mitglieder der Organisation mehrere Male im Gefängnis, wurden gefoltert und ausgewiesen wegen ihrer gewerkschaftlichen, politischen und humanitären Aktivitäten, die auf den Sturz des faschistischen Regimes ausgerichtet waren und weil sie die Rechte der Bauern verteidigten. Auf dem politischen Parkett war er außerdem Mitbegründer der Arbeiter- und Bauernpartei Mapu (Mapu Obrero-Campesino), die zum Ziel hatte, eine sozialistische Transformation der chilenischen Gesellschaft herbeizuführen. Heute ist er Mitglied des Zentralkomitees dieser Organisation. Im folgenden Interview analysiert der Präsident der UOC die Situation der Bauernbewegung vor dem Hintergrund des Übergangs zur Demokratie in Chile. Von den 12 Millionen Menschen in dem südamerikanischen Land leben 35 Prozent auf dem Land.

Frage: Wie schätzen Sie heute die Situation der Bauernbewegung, knapp zwei Jahre nach dem Ende der Militärdiktatur, ein?

Wir wußten ja, daß nach dem Ende der Diktatur die demokratischen Fortschritte sehr langsam sein würden und viele Kosten und viel Konfusion mit sich bringen würden. Gleichzeitig aber war uns klar, daß diese Fortschritte von der Akkumulation der Kräfte, die für die Demokratie kämpfen, abhängen würden und davon, wie diese sich während der Übergangszeit bewegen. Das bedeutet, daß die Bauernbewegung sich keine unmöglichen Ziele gesteckt und auch keine falschen Erwartungen geweckt hat, sie handelt realistisch. Man kann sagen, daß wir uns mitten in der Neuorganisation befinden: wir entwerfen und verbessern die programmatischen Inhalte und kämpfen für eine effektive und effiziente Beteiligung der Arbeiter an diesem Prozeß.

Frage: Welche Kosten bringt das neoliberale Modell, das in Chile eingeführt wird, für die Landwirtschaft und die Bauern mit sich?

Die Bauern wissen genau, daß das neoliberale Wirtschaftsmodell auf die großen Monopole und Oligopole baut, die ein einziges Ziel verfolgen – die Akkumulation und Reproduktion des Kapitals. Von der Umsetzung dieses Modells ist der ländliche Sektor sehr stark betroffen. Es gibt keine zusammenhängende Politik ländlicher Entwicklung, was zur Verarmung von hunderttausenden Kleinbauern führt. Aus demselben Grunde wird die Nahrungsmittelproduktion beeinträchtigt und es ist uns nicht möglich, im nationalen Interesse einer Selbstversorgungspolitik unsere komparativen Vorteile gut zu nutzen, indem wir den Schwerpunkt auf die chilenischen Produkte legen und dabei sowohl die nicht-konventionellen Ressourcen der Mikro-Unternehmen wie auch das Potential der Landarbeiter einzusetzen.

Frage: Welche Dimension hat die Internationalisierung der chilenischen Landwirtschaft, welche politiven und negativen Auswirkungen hat sie auf die Bauern?

In negativer Hinsicht ist die Internationalisierung der Landwirtschaft der Ausdruck einer neuen Weltwirtschaftsordnung, die aus unserem Land einen großen Supermarkt macht, was die Bauern direkt benachteiligt, da sie nicht an den Vorteilen des Systems teilhaben. Wir müssen die Interessen der Region bedenken, als Bestandteil Lateinamerikas, das es im nationalen Interesse zu verteidigen gilt. Um das zu garantieren, brauchen wir einen Austausch zwischen den Staaten, der auf Solidarität und der amerikanischen Integration beruht. Die Internationalisierung hat die Machtstrukturen auf dem Lande radikal verändert. Wir haben es nicht mehr mit den traditionellen Großgrundbesitzern (latifundistas) zu tun, sondern mit aggressiven Unternehmern, die mit den großen internationalen Konzernen verbunden sind.

Frage: Hat sich mit der Einsetzung der demokratischen Regierung die Situation der Saisonarbeiter (temporeros) verändert?

Die Situation der Saisonarbeiter – die Gelegenarbeitsarbeiter, die zu den Erntezeiten der Exportfrüchte arbeiten – ist das Problem, was mir am meisten Sorge bereitet. Schon die Tatsache, daß ein Arbeiter nur in der Saison arbeiten kann, stellt schon an sich ein Problem dar. Schwieriger wird es, wenn er nicht mehr ganz jung ist und noch schlechter, wenn es sich um eine Frau handelt. Zu Zeiten der Diktatur haben die Saisonarbeiter (temporeros) unter extremer Ausbeutung gelitten, also unter unmenschlicher Behandlung, Bezahlung in Naturalien und halbpolizeilichen Kontrollen. Heute bekommen diese Arbeiter ein Tageseinkommen von 1.500 Pesos (ungefähr 5 Dollar). In der Sommersaison gibt es um die 400.000 Gelegenheitsarbeiter. Die Mehrzahl sind Frauen und Jugendliche, die, um ein paar Pesos zu verdienen, erschöpfend lange Arbeitstage durchstehen müssen, ohne jeden Rechtsschutz und ohne sich gegen giftige Stoffe bei der Arbeit schützen zu können. Die Reformen des Arbeitsrecht haben mehr moralischen als rechtlichen Charakter in den Obstbetrieben. Für die Saisonarbeiter gibt es keine Gesetze, die ihnen das Recht auf Verhandlungen oder auf Streik einräumen.

Frage: Welche negativen Elemente beobachten Sie in der Politik der Regierung gegenüber der Bauernbewegung?

In bezug auf die Bauernbewegung und die Arbeiterbewegung im allgmeinen beunruhigt mich der fehlende politische Wille und die armselige Vision der Regierung in Hinblick auf die Volksmassen. Es gibt jede Menge Konsens mit den Kräften der Rechten und wenig organisierte Partizipation der Bauern.

Frage: Welches sind gegenwärtig die Forderungen der Bauern?

Die dringendste Forderung ist die nach Unterstützung und Anerkennung der bäuerlichen Organisierung. Unterstützung für die Kleinproduzenten: Kredite, technische Beratung, Kommerzialisierung, die Beteiligung an der Ausarbeitung und Umsetzung der Maßnahmen, die die lohnarbeitenden Menschen beteffen, wie Kollektivverhandlungen oder Einzelverträge.

Frage: Welches sind heutzutage die Hauptprobleme der chilenischen Landbevölkerung?

Auf dem Land fehlen 300.000 Wohnungen, die medizinische und schulische Versorgung ist schlecht, die Transportwege sind ein großes Problem für die kleinen Bauern, ebenso die mächtige Konkurrenz der Agroindustrie. Das gröpte Problem auf dem Land ist jedoch die Marginalisierung der Bevölkerung, die Abwanderung und der Identitätsverlust der Bauern.

Frage: Wie verhalten sich die Unternehmer auf dem Land? Hat sich die Art und Weise, wie sie die Arbeiter behandeln, verändert?

Während der Militärdiktatur ist ein neuer Unternehmertypus aufgekommen, der die alten Großgrundbesitzer (latifundistas) ersetzte. Er ist mit einer neoliberalen Mentalität ausgestattet: mehr Kapital, mehr Technik, mehr Modernität, weniger Land. Die Unternehmer zeichnen sich dadurch aus, daß sie die Gewerkschaften nicht akzeptieren. Sie weisen unsere Organisationen zurück und versuchen permanent uns einzuschüchtern, indem sie unsere Gewerkschaftsführer entlassen. Aus diesen Gründen halten wir demokratische Veränderungen für notwendig, wie auch die Stärkung der Gewerkschaftsbewegung und eine internationalistische Vision.

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