von Andreas Wolf, Lima
(Berlin, 24. Juni 2013, npl).- Im September 2011 hat Peru als erstes Land Lateinamerikas ein Gesetz zur vorherigen Konsultation indigener Völker verabschiedet. Trotz einiger Schwächen des Gesetzestextes bestand die Hoffnung, dass damit die Umwelt- und Sozialkonflikte vermindert und die indigenen Völker in sie betreffende Entscheidungen einbezogen würden. Doch die Regierung schien das Gesetz bald zu bereuen. War schon die Durchführungsverordnung heftig umstritten, so dreht sich die aktuelle Debatte um zwei Hauptthemen: Wer wird konsultiert und was überhaupt ist Konsultation.
Wer in Peru ist indigen?
Nur diejenigen Bevölkerungsgruppen, die von der Regierung als indigen anerkannt sind, sollen das Recht auf Konsultation in Anspruch nehmen können. Daher wurde das Vizeministerium für Interkulturalität mit der Erarbeitung einer Datenbank zu indigenen Völkern betraut. Die Datenbank, die schon letztes Jahr veröffentlicht werden sollte, hat die Regierung bislang unter Verschluss gehalten. Aus gutem Grund: Es ist bekannt geworden, dass das Vizeministerium eigene, restriktive Kriterien für die Definition des Begriffes „indigen“ festlegte. Das führte zu heftiger Kritik.
Das Vizeministerium ist der Ansicht, dass eine Grundvoraussetzung das Sprechen einer indigenen Muttersprache ist. Eine zweite Voraussetzung ist das Leben auf indigenem Gemeindeland, das auch schon direkte Vorfahren bewohnt haben. Dies steht im Widerspruch zur ILO-Konvention 169 und dem Konsultationsgesetz.
Ausschluss bäuerlicher indigener Gemeinschaften
Würden die Kriterien des Vizeministeriums angewandt, wären die Mehrheit der andinen Gemeinden sowie alle Küstengemeinden von der Konsultation ausgeschlossen. Denn viele von ihnen sprechen keine indigene Sprache mehr. Dazu hat wesentlich die bis in die 1990er Jahre auf Einsprachigkeit ausgerichtete Bildungspolitik beigetragen. Und seit der Kolonialzeit sind Gemeinden und Familien in andere Gebiete umgesiedelt worden oder abgewandert.
Der interne Konflikt der 1980er und 1990er Jahre hat zudem Millionen von Binnenflüchtlingen hervorgebracht. Nicht zuletzt hat Peru in Bezug auf seine indigenen Hochland- und Küstenbewohner*innen einen eigenen Weg eingeschlagen. Unter der Militärregierung von Juan Velasco Alvarado (1968-1975) wurde der rassistisch beladene Begriff indio im Zuge der Agrarreform offiziell abgeschafft und durch den Begriff bäuerliche Gemeinde (comunidades campesinas) ersetzt. Für die indigenen Bewohner*innen des Amazonasgebietes wurde die rechtliche Form der ‚Eingeborenen-Gemeinden‘ (comunidades nativas) geschaffen.
Jährlich 5.000 neue Bergbaulizenzen im Hochland
Diese Begriffsänderung und die Unterscheidung zwischen Anden- und Amazonasbewohner*innen wird derzeit sowohl von der Regierung als auch den rohstoffausbeutenden Unternehmen politisch missbraucht, um die Konsultation auf so wenig Gemeinden wie möglich anzuwenden. Denn, so der Rechtsanwalt und Experte für Menschenrechte und Verfassungsrecht Juan Carlos Ruiz vom Instituto de Defensa Legal (IDL) in Lima, jedes Jahr würden etwa 5.000 Bergbaulizenzen im Hochland vergeben. Und auch im Amazonasgebiet stehen Ausschreibungsrunden für Erdölförderblöcke an.
Dass die Regierung Humala unter dem Druck der Bergbau- und Erdöllobby einknickt, zeigt das Beispiel der indigenen Gemeinden der Cañaris im Andenhochland von Lambayeque. Die Regierung verweigert den Cañaris die Konsultation eines Bergbauprojekts mit der Begründung, sie seien keine Indigenen. Damit unterstützt sie die Argumentation der Bergbauunternehmen.
Miguel Santillana, der als Berater und in der Öffentlichkeitsarbeit beim Verband der Bergbau-, Erdöl- und Energieunternehmen SNMPE (Sociedad Nacional de Minería, Petroleo y Energía tätig ist, meint: „Man verkennt die ökonomische Geschichte Perus. … Es gibt keine indigenen Völker an der Küste und in den Anden seit dem 16. Jahrhundert. Wir sind ein kultureller Synkretismus. … Wir müssen endlich anerkennen, dass wir Mischlinge sind. Deshalb ist die vorherige Befragung nicht auf die Cañaris anwendbar.“
Im Gegensatz dazu steht die Aussage des Historikers Antonio Zapata. In einem Interview mit Ideele Radio unterstreicht er: „Die Cañaris sind Indigene, deren Ursprünge bis in das alte Tahuantinsuyo zurückreichen … Die heutige Bevölkerung spricht mehrheitlich Quechua.“ Rückendeckung bekommt die rohstoffausbeutende Industrie auch vom Präsidenten Ollanta Humala selbst. In Interviews erklärte er: “Das Gesetz zur vorherigen Konsultation ist für die nicht kontaktierten Indigenen sowie die indigenen Gemeinden des Amazonas gedacht, die keine demokratisch gewählten Vetreter haben.”
Aber aktuell seien nur wenige Gemeinden von der politischen Teilhabe ausgeschlossen. “An der Küste gibt es aufgrund der Migration keine einheimischen Gemeinden mehr. Und bei fast allen Hochlandgemeinden handelt es sind um bäuerliche Gemeinden, die im Prozess der Agrarreform entstanden sind.“
Konsultation ist „nur informieren“
Eine zweite hitzige Debatte hat sich an der Frage nach der (Be-)Deutung der ‚Konsultation‘ entfacht. Für die Regierung geht es dabei „hauptsächlich darum, Gemeinden zu informieren, dass ihre Rechte [durch geplante Vorhaben] nicht verletzt werden“.
Ähnlich äußerte sich der neue Präsident von Perupetro, Luis Ortigas Cuneo. Als ihm „The Guardian“ im Interview die Frage stellte „Was passiert, wenn indigene Gemeinden gegen Erdöl oder Erdgaskonzessionen sind?“, antwortete er: „Das ist nicht möglich. Es liegt nicht an ihnen, die Zukunft Perus zu bestimmten. Was wir tun müssen, ist ihnen zu sagen, was geschehen wird und wie und zu einer Einigung zu gelangen. Das ist keine Frage von Zustimmung oder Ablehnung. Die vorherige Befragung ist keine Konsultation im eigentlichen Sinne … Die Idee ist, dass sie gut informiert sind und wissen, was geplant ist.“
Für Daniel Saba de Andrea, Ortigas Vorgänger, ist die Konsultation gar eine „romantische Idee“, die als politisches Instrument von nomadisierenden Gemeinden außerhalb des Fördergebietes missbraucht würde.
„Es wäre besser gewesen, die Befragung als vorherige Information zu bezeichnen und nicht als vorherige Befragung“, denn die „Befragung sei nicht bindend“.„Wir verstehen den Begriff [Konsultation] dahingehend, dass man feststellt, ob du einverstanden bist oder nicht. Ich befrage dich nicht, um zu wissen, ob dir [ein Vorhaben] gefällt oder nicht, und dann mache ich es doch. Das ist ein schlechter Scherz.“
Genau hier liegt der Knackpunkt. Unter bestimmten Voraussetzungen muss die Regierung die Einwilligung der betroffenen Gemeinden einholen. Ansonsten darf sie das Vorhaben nicht durchführen. Aber die Regierung scheint nicht willens, die von ihr unterzeichneten Vertragswerke einzuhalten. In diesem Sinne erscheint der letzte Teil von Sabas Aussage wie eine bittere Ironie.
Zustimmung ja oder nein
Das Ziel einer Befragung ist in der Regel das Zustandekommen einer Einigung. Kommt es nicht dazu, entscheidet letztlich die Regierung, ob sie das geplante Projekt durchführt oder nicht, auch wenn die Gemeinde es ablehnt. Das ist der Normalfall. Kommt es zu einer Einigung, dann ist diese rechtlich bindend. Diese Einigung kann beispielsweise Entschädigungszahlungen oder einkommensschaffende Maßnahmen für die Gemeinde vorsehen. Das Recht betroffener Gemeinden auf Gewinnbeteiligung an der Rohstoffausbeutung wird zurzeit im Kongress diskutiert.
Allerdings muss der Staat unter bestimmten Voraussetzungen die Gemeinden nicht nur konsultieren, sondern auch ihre Zustimmung einholen. Die wichtigsten sind: a) bei Umsiedlung indigener Gemeinden (ILO-Konvention) b) bei Lagerung giftiger oder gefährlicher Stoffe auf indigenen Ländereien (UN-Erklärung zu indigenen Rechten; Durchführungsverordnung) c) bei Entwicklungsplänen oder Investitionsprojekten großen Ausmaßes.
Darunter ist zu verstehen: Verlust von Territorien und traditionellen Ländereien; Vertreibung; Migration; eventuelle Umsiedlung;Erschöpfung von natürlichen Ressourcen, die für die physische und kulturelle Subsistenz notwendig sind; Zerstörung und Verschmutzung der traditionell genutzten Umwelt; soziale und gemeinschaftliche Desintegration; langfristige negative Auswirkungen auf Ernährung und Gesundheit; Missbrauch und Gewalt (Rechtssprechung des Interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte, Fall Saramaka gegen Surinam, § 134; Urteile dieser Instanz sind – auch wenn sie sich auf ein anderes Land beziehen – in Peru rechtsgültig.) vgl. http://servindi.org/actualidad/88116 und http://ibisbolivia.org/publications/guidelines-free-prior-and-informed-consent/
Indigene Rechte chinesischen Investitionsinteressen geopfert?
Kurioserweise sind die konsultationskritischen Regierungsäußerungen besonders nach der Ostasienreise Humalas in den peruanischen Medien präsent. Anfang April unterschrieb er in China Verträge zur wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Chinas Präsidenten Xi Jinpong zufolge könnte Peru damit zum Hauptempfängerland chinesischer Investitionen in Lateinamerika werden. China investiert bereits 12,5 Milliarden US-Dollar in geplante Bergbauprojekte. Das entspricht knapp einem Viertel der gesamten Investitionen in diesem Sektor. Das Augenmerk liegt auf dem Abbau von Kupfer, Gold und Eisen.
Deutschlands Rolle bei der Umsetzung der Konsultation
Bei seinem Deutschlandbesuch im Oktober 2011 erhielt der damalige peruanische Außenminister Rafael Roncagliolo die Zusage, dass Deutschland die peruanische Regierung mit 1,5 Millionen Euro bei der Umsetzung der Konsultation unterstütze. Der Fonds wurde über das Auswärtige Amt und nicht das BMZ abgewickelt. Will Deutschland die peruanische Regierung darin unterstützen, ‚nur die nicht kontaktierten Völker über die Nichtverletzung ihrer Rechte bei geplanten Investitionsmaßnahmen unverbindlich zu informieren‘?
Ein Schritt vor, zehn zurück… Politisches Tauziehen um das Recht auf vorherige Befragung von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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