Drei Jahre nach dem Baguazo: Hat der Staat gelernt, soziale Konflikte zu lösen?

(Lima, 08. Juni 2012, servindi-poonal).- Am 5. Juni 2009 wurden indigene Proteste von der Regierung Alan García brutal niedergeschlagen. Die Räumung der Straßenblockaden von Bagua hinterließ einen Saldo von 33 Toten und einer Verschwundenen, darunter Sicherheitskräfte und Zivilist*innen. Welche Lektionen und Mechanismen des Dialogs haben unsere Regierungsvertreter*innen seit jenem schicksalhaften Datum gelernt?

Vorherige Konsultation mit Defiziten

Gefordert hatten die Indigenen die Rücknahme von Eildekreten, zu denen sie vorher nicht konsultiert worden waren, von deren Auswirkungen sie aber betroffen gewesen wären. Nach dem so genannten „Baguazo“ war die allgemein in der Bevölkerung geäußerte Forderung die nach der Verabschiedung eines Gesetzes zur vorherigen Konsultation für indigenen Völker. Damit sollte möglichen Konflikten vorgebeugt und die Indigenen des Landes an jenen Entscheidungen, die sie betreffen, auch direkt beteiligt werden.

Die Regierung von Alan García stellte sich taub gegenüber den Forderungen der indigenen Gemeinschaften und, getreu ihrer Politik des „Hundes, der zum Gärtner gemacht wird“, wurde auch die Regierungsperiode im Juli 2011 beendet. Humala gewann die Wahlen aufgrund der mehrheitlichen Unterstützung des ländlichen und indigenen Raumes. Eine seiner ersten Entscheidungen, die ihm auch am meisten Applaus brachten, war die Verabschiedung eines Gesetzes zur Vorherigen Konsultation. Bei einem symbolischen Akt in der Provinz Bagua unterzeichnete er im September 2011 dieses Gesetz.

Wenn das Gesetz zur vorherigen Konsultation auch Defizite aufweist und nicht die Unterstützung des gesamten indigenen Sektors erhielt, so bestand doch Konsens darüber, dass es sich um ein bedeutendes und als positiv zu bewertendes Gesetz handele, dessen Grenzen korrigiert und überwunden werden könnten, indem die Regelungen präzisiert würden.

Regierung manipuliert Endfassung

Allerdings wies die Novelle zur Vorherigen Konsultation gewaltige Defizite auf und die Endversion des Textes wurde von der Regierung manipuliert, indem sie dort Änderungen einfügte, die weder mit den Organisationen diskutiert worden waren, noch deren Zustimmung gefunden hatten.

Auf diese Weise wurde sowohl gegen die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) nach dessen Reglement das peruanische Gesetz hätte erarbeitet werden sollen, als auch gegen die UN-Deklaration über die Rechte der Indigenen Völker verstoßen. Diese Ansicht wird jedenfalls im Bericht der Arbeitsgruppe zu Indigenen Völkern der Nationalen Menschenrechtskommission vertreten (1).

Im vergangenen Mai wurde der Auslegungsrahmen des Gesetzes ausgeweitet, als der stellvertretende Minister für Interkulturalität, Iván Lanegra bekannt gab, dass jeder staatliche Sektor selbst den Zeitpunkt bestimmen dürfe, wann die indigenen Völker befragt werden müssten: diese könne vor oder nach der Ratifizierung von Verträgen über die Vergabe von Konzessionen für den Bergbau, für die Erdöl- und Erdgasförderung oder für Waldgebiete stattfinden.

Fehlender Dialog zu „Conga“

Die Entwicklung des Konflikts um das Bergbauprojekt Conga hat nicht dazu geführt, sondern lediglich bestätigt, dass die Regierung Ollanta Humala nichts dazu gelernt hat, wenn es um Mechanismen des Dialogs bei sozialen Konflikten geht.

Obwohl der Präsidentschaftskandidat Humala den Bauern und Bäuerinnen der Provinzen angesichts des Goldbergbauprojekts Conga seine Hilfe anbot, demonstrierte er – einmal ins Präsidentenamt gewählt – seine bedingungslose Unterstützung dann gegenüber der US-amerikanischen Firma Newmont und dem peruanischen Bergbauunternehmen Buenaventura.

Die Ablehnung seitens Bevölkerung der Region Cajamarca war entschieden und im November 2011 wurde zu einem regionalen Streik aufgerufen. Angeheizt wurde die Situation noch zusätzlich durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes in vier Provinzen Cajamarcas im Dezember letzten Jahres. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen sowie kritische Meinungsführer*innen kritisierten diese überhastete Maßnahme der Regierung und verurteilten die stetige Militarisierung des Regimes Humala, das mittlerweile in zehn Monaten Amtszeit14 Tote aus der Zivilbevölkerung zu verantworten hat, die bei der Niederschlagung sozialer Proteste gestorben sind.

Auf dem Weg zur Militarisierung

Mit dem Rücktritt des Premierministers Salomón Lerner aus dem Kabinett Humalas hat die Regierung einen Rechtsschwenk hin zu einer Politik der „harten Hand“ genommen. Der neue Premierminister Óscar Valdés verkündete sogar ganz offen seine Bewunderung für den „Pragmatismus“ des Fujimori-Regimes.

Die Regierung wollte das Problem mit der vertraglichen Verpflichtung internationaler Gutachter*innen lösen, die dabei helfen sollten, Zweifel im Hinblick auf das Projekt Conga zu zerstreuen. An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass die wichtigsten Regierungsvertreter*innen und sozialen Akteure Cajamarcas die Unterzeichnung des Verhandlungsberichts nicht anerkennen, in dem die Bedingungen für das Gutachten festgelegt wurden. Sie selbst hatten an den Gesprächen nicht teilgenommen. (2)

Der Konflikt in Espinar

Das jüngste Beispiel für das Fehlen eines Dialogs zur Lösung von Konflikten ist jedoch die Auseinandersetzung um die Kupfermine Xstrata Tintaya in der Provinz Espinar im Department Cusco. Dort wehren sich die Bewohner*innen dagegen, dass die Mine weiterhin ihre Flüsse verseucht und ihre Lebensformen dadurch beeinträchtigt.

Die Bevölkerung von Espinar forderte Gespräche mit einer hochkarätig besetzten Regierungskommission, mit deren Hilfe eine Lösung für die Forderungen der Einwohner*innen erarbeitet werden sowie ein neuer Rahmenvertrag zum Bergbau ausgehandelt werden sollte. Als klar wurde, dass die Regierung ihrer Forderung nach Dialog nicht nachkommen würde, riefen sie im Mai 2012 zu einem regionalen Streik auf.

Die Antwort der Regierung darauf war wieder dieselbe: Präsident Humala verhängte den Ausnahmezustand über die Provinz Espinar und verfügte die Verhaftung von deren Bürgermeister, Óscar Mollohuanca.

Dasselbe Schicksal ereilte zwei Mitglieder des katholischen Vicariats der Solidarität der Prälatur von Sicuani. Das Vikariat ist allgemein anerkannt und gewertschätzt für seine langjährige Friedensarbeit zur Verteidigung der Menschenrechte.

Autoritarismus wird keine Unterstützung finden

Nun verließen kürzlich auch noch vier Abgeordnete aus der Fraktion des Regierungsbündnisses aus Protest gegen den Umgang der Regierung mit sozialen Konflikten das Bündnis Gana Peru.

Der Kongressabgeordnete Javier Diez Canseco – der seine Mitarbeit in der Regierungsfraktion aufgekündigt hat – hat es als eine psychosoziale Schikane bezeichnet, dass die Regierung das Vikariat von Sicuani beschuldigte, Patronen mit Munition in einem ihrer LKWs transportiert zu haben, in denen ein Staatsanwalt gesessen hatte. Diese Anschuldigung nahm die Regierung als Vorwand, um zwei Mitarbeiter des Vikariats zu inhaftieren.

Die aus Cusco stammende Abgeordnete Verónika Mendoza, die aus der Nationalistischen Partei PN (Partido Nacionalista) mit einem offenen Brief an die Mitglieder zurücktrat, hat darin erklärt, der Kurswechsel der Regierung hin zu einer Repression des sozialen Protestes sei ein Zeichen dafür, dass der Präsident sich bedingungslos dem nationalen Geheimdienst füge, so wie es zu Zeiten des Fujimori-Regimes in den 1990-er Jahren gang und gäbe war (4).

Kriminalisierte Proteste

Die landesweit tätige Interethnische Vereinigung zur Entwicklung im Peruanischen Regenwald AIDESEP (Asociación Interétnica de Desarrollo de la Selva Peruana), welche die Indigenen vertritt, die im peruanischen Regenwald leben, hat ebenfalls die „psychosozialen Kampagnen“ verurteilt, mit denen die gerechtfertigten Forderungen der Völker nach sozialen und Umweltrechten als „Radikalismus“ und „systemfeindlich“ kriminalisiert wurden. (5)

Der Rechts- und Sozialwissenschaftler Roger Merino merkt in einem seiner Artikel an (6), dass die sozialen Proteste von der Regierung weiterhin als Unmutsäußerungen von manipulierten Bürger*innen dargestellt werden, die sich gegen die „Entwicklung“ richteten und nicht gerechtfertigt seien, da die lokalen Behörden – die im Falle Espinars mehr Geld zur Bekämpfung von Umweltschäden forderten – durchaus über finanzielle Mittel verfügten.

Später dann, wenn der Konflikt offen ausgebrochen ist, werden „Runde Tische des Dialoges“ eröffnet und obendrein endet dies damit, dass als Geschenk mit Gewalt „die Rechtsstaatlichkeit“ durchgesetzt wird, um als Autorität respektiert zu werden.

In dem die Regierung von Ollanta Humala dieselbe Politik macht wie ihre Vorgängerregierungen, enttäuscht sie all jene, die in seiner Regierung die Hoffnung auf eine große Transformation setzten.

Dies alles führt anerkannte Analysten wie Óscar Ugarteche dazu zu konstatieren, dass das, „was man in Peru ein Jahr nach der Wahl einer neuen Regierung vorfindet, ein mafiöses und mordendes Regime ist, dass sich nicht sehr von jenem Fujimoris unterscheidet“ (7).

Anmerkungen:

(1) vgl. http://es.scribd.com/doc/96188132/Informe-Tecnico-del-Reglamento-de-la-Ley-de-Consulta-Previa
(2) “Dirigentes rechazan acuerdos sobre peritaje internacional a Conga” en: http://servindi.org/actualidad/56477
(3) http://servindi.org/actualidad/65670
(4) “Verónika Mendoza: Humala mira al país con los lentes del servicio de inteligencia” en: http://www.ideeleradio.org.pe/web/wNoti.php?idN=4732&tip=red
(5) http://www.aidesep.org.pe/editor/documentos/1574.pdf
(6) “En defensa de lo comunal: cinco errores en el análisis de los conflictos socio-ambientales” en: http://servindi.org/actualidad/65708
(7) “Adios, Humala”, en http://servindi.org/actualidad/65700

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