von Markus Plate
(Berlin, 01. April 2009, npl).- Hmmm … Fleisch, wer’s denn mag, ein Steak von Aldi, ein Schnitzel von Lidl, einen Döner an der Ecke, eine Wurst vom Grill. Und so günstig. Eigentlich wissen wir ja von einigen Schattenseiten dieses „viel Fleisch für wenig Geld“! Gammelfleisch, Massentierhaltung, Tierquälerei bei Haltung und Transport. Aber die Art, wie mensch in Europa oder in Nordamerika Fleisch verzehrt, hat noch ganz andere Auswirkungen. Wir wissen aus der Schule oder von Greenpeace: Für ein Kilo Rindfleisch muss etwa die zehnfache Menge pflanzlicher Nahrung in das Tier gepumpt werden. Und wo kommen diese Aber-Millionen Tonnen Tierfutter her? Zum Beispiel aus Lateinamerika. Zum Beispiel von der Sojapflanze.
„An Soja verdienen die brasilianischen Beschäftigten gerade mal 100 US-Dollar im Monat. Die Natur wird rücksichtslos ausgebeutet, sie verseuchen den Boden und die Umwelt mit Pestiziden, die Monokulturwirtschaft von Soja und Eukalyptus ändert sogar das Klima und führt zu Wassermangel. Das sind soziale Kosten, die nie in den Soja-Preis einfließen, weil Brasilien fast keine Exportsteuern erhebt. Gleichzeitig gibt es vier transnationale Soja-Unternehmen, die im Schnitt jedes Jahr 28 Prozent Umsatzrendite machen. Wer verdient also am brasilianischen Soja? Nicht wir, sondern eine Handvoll Großgrundbesitzer, Cargill, Monsanto und Co.“, schimpft Joao Stedele von der Landlosenbewegung MST in Brasilien.
Was für Brasilien gilt, gilt für das Nachbarland Paraguay erst recht. Fragen wir nach bei Reto Sonderegger und Diego Segovia vom sozialwissenschaftlichen Institut BaseIS in Paraguays Hauptstadt Asunción. Reto stammt aus der Ostschweiz, hat nach einem Geschichtsstudium eine Ausbildung als Biolandwirt absolviert und arbeitet nun seit ein paar Jahren mit paraguayanischen Kleinbauernfamilien zusammen, die gegen das Vordringen von Soja kämpfen. „Vor 50 Jahren war noch die Hälfte der Region bewaldet und heute stehen nur noch hier und da ein paar Fleckchen Wald. Der Boden ist somit dem Wind und dem Regen und der enormen Hitze schutzlos ausgeliefert und verliert schnell seine Fruchtbarkeit. Außerdem bedeutet die Abholzung einen riesigen Verlust an Biodiversität. Auch deswegen muss Jahr für Jahr mehr Agrochemie eingesetzt werden.“
Sein Kollege Diego Segovia, ebenfalls vom sozialwissenschaftlichen Institut BaseIS fügt hinzu: „Wir haben es mit einer kompletten Zerstörung der natürlichen Ressourcen zu tun. Wälder werden großflächig abgeholzt, Wasser und Böden werden vergiftet. 95 Prozent des hier angebauten Soja ist gentechnisch manipuliert, es ist damit wiederum extrem abhängig von Agrochemie. Die Kleinbauern, die neben dem Soja wohnen, werden vertrieben durch die Zerstörung der Natur. Sie können das Wasser nicht mehr trinken, ihr Vieh stirbt, ihre Felder werden verseucht, weil der Wind die Giftstoffe herübertreibt. Sie werden krank und ihre Kinder sterben. Das zwingt die Bauern, ihre Felder aufzugeben und in die Städte zu migrieren.“
In Paraguay dreht sich fast alles um Soja: Das Land ist mittlerweile der viertgrößte Soja-Produzent der Welt, die Sojabohne ist mit fast 40 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Produktion der zentrale Pfeiler der paraguayischen Wirtschaft. Annähernd drei Millionen Hektar, eine Fläche fast so groß wie Nordrhein-Westfalen, sind ausschließlich für die Soja-Monokulturen reserviert. Und wer verdient daran? Wie es schon eingangs Joao Stedele beschrieb, sind es ausschließlich wenige Großgrundbesitzer und die internationalen Handels- und Saatgutunternehmen. Und natürlich die Verbraucher in zum Beispiel Deutschland, die so günstiges Fleisch auf den Tisch bekommen. Der Staat oder gar die Bevölkerung Paraguays sehen davon gar nichts: „In Argentinien liegt der Steuersatz für den Export von Agrarprodukten derzeit bei 44 Prozent. Paraguay hat bis 1989, also bis zum ende der Diktatur von Alfredo Strössner, immerhin noch 12 Prozent kassiert. Seit der Rückkehr zur Demokratie ist dieser Satz auf 5 Prozent gesunken und die letzte Regierung hat den Exportzoll ganz gestrichen. Diese Landwirtschaftspolitik ist kriminell, ein Anschlag auf die Kleinbauern und die Umwelt, sie hat das ganze Land in eine Krise gestürzt“, so der Kleinbauernsprecher Tomas Zayas, der im Osten Paraguay gegen das Soja kämpft. Soja ist der größte Wirtschaftsfaktor Paraguays und dennoch ist kein Geld da für Schulen, Krankenhäuser, vernünftige Straßen oder für die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft. Mehr noch: Nicht nur die ökologischen Folgen des Soja-Booms sind gewaltig: Kleinbauernfamilien werden vertrieben, ihre Sprecher*innen kriminalisiert oder ermordet. Die Armut und Perspektivlosigkeit auf dem Land zwingt vor allem Jugendliche zur Migration, nach Asunción, nach Argentinien, in die USA, nach Spanien. Und das ist noch lange nicht das Ende: aus Soja kann nämlich auch Biosprit gemacht werden, toll in Zeiten des Klimawandels. Schätzungen des größten Sojaproduzenten des Landes zufolge, würde sich noch einmal eine Fläche wie Nordrhein-Westfalen in Paraguay „problemlos“ für den Sojaanbau eignen.
Aber wieso wird in Paraguay das Land den Sojaproduzent*innen überlassen? Nun, es ist der Norden, es sind die USA und Europa, die die Sojarepublik Paraguay erst ermöglicht haben. Zunächst wurde die 34 Jahre dauernde Militärdiktatur des General Strössner von den USA unterstützt. Es war ein Krieg gegen die aufständische Landbevölkerung, die vertrieben, verhaftet, ermordet wurde. Die dadurch frei gewordenen Landflächen und auch Staatsbesitz wurden verscherbelt an Günstlinge der Diktatur in Paraguay und an Großgrundbesitzer*innen aus dem Ausland. Nach dem Ende der Diktatur 1989 beginnt dann offiziell die neoliberale Epoche. Der Norden fördert und finanziert über die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds ausschließlich eine marktorientierte Landreform, Landumverteilungen und staatliches Engagement in der Landwirtschaft sind tabu.
„Der Zugang zu Land als Basis landwirtschaftlicher Aktivitäten wird auch dem Markt überlassen. Staat und Geberländer sollen einzig geeignete Rahmenbedingungen für die Privatwirtschaft schaffen, bzw. diese fördern. So werden Kleinbäuer*innen und ländliche Arme – eigentliche Zielgruppe ländlicher Entwicklung – aus dem Zentrum der Entwicklungsbemühungen gedrängt“, schreibt Roman Herre von FIAN Deutschland im Bericht „Schöne neue Landwirtschaft“, einer lesenswerten Analyse verschiedener deutscher NGOs des Weltentwicklungsberichtes 2008 der Weltbank.
Kredite und Förderung gibt es nur noch, wenn die Spielregeln des Marktes eingehalten werden und sich der Staat so weit wie möglich raushält. Soll heißen: Der Markt bestimmt, wer auf dem Land eine Zukunft hat, der Markt bestimmt, wie viel für landwirtschaftliche Produkte und für Arbeit in der Landwirtschaft bezahlt wird. Ökologische und soziale Folgen, selbst die Menschenrechte geraten dabei völlig in den Hintergrund. Es geht um Preise und um Gewinn. Wenn es um das Soja geht, stimmen die Preise – in Europa und Nordamerika: Fleisch ist billig! Und es stimmt der Gewinn – für die Großgrundbesitzer*innen und die von ihnen geschmierten Politiker*innen. Vor allem aber für nordamerikanische und europäische Unternehmen. Für Lebensmittel- und Saatgutproduzenten wie Cargill und Monsanto, für die chemische Industrie und auch für den Bankensektor. So ist laut einer Studie für Friends of the Earth Europa die Deutsche Bank diejenige europäische Institution, die in Lateinamerika am stärksten die Herstellung von Agrotreibstoffen finanziert. Da ist es kein Wunder, dass die globalisierungskritische Bewegung der Weltbank vorwirft, nicht für eine Entwicklung des Südens, sondern in erster Linie für die Interessen des Nordens zu arbeiten.
Doch es tut sich was in Lateinamerika, auch in Paraguay. Hier hat die Regierung des neugewählten Präsidenten Fernando Lugo immerhin zaghaft damit begonnen, Land an Kleinbauernfamilien zu verteilen und versprochen, einen Wandel herbeizuführen. Linke und linksreformistische Bewegungen feiern Wahlsiege und die Kraft der sozialen Bewegungen des Kontinents ist ungebrochen. Joao Stedele von der Landlosen-Bewegung MST in Brasilien erwartet vom Norden, diese Prozesse zu unterstützen, statt sie, wie in der Vergangenheit, zu torpedieren. Für die nächsten Jahre prophezeit er: „In den nächsten vier oder fünf Jahren werden wir erleben, dass sich die Bauern überall in der dritten Welt erheben werden. Wir hoffen und erwarten, dass ihr Europäer uns nicht allein lasst. Es wird neue Führungsfiguren geben, neue Strategien, neue Mittel … und es wird sich viel verändern! Achten sie auf Ihre Gesundheit, denn in den nächsten Jahren werden ihre Augen große Veränderungen sehen!“
Links * Reto Sonderegger: Sojarepublik Paraguay? Konflikte um Land und Ernährungssouveränität, von Reto Sonderegger. FDCL, Berlin 2008. http://fdcl-berlin.de/fileadmin/fdcl/Publikationen/Sojarepublik-Paraguay-Reto-Sonderegger-FDCL.pdf * Radiobeitrag: Ondainfo Special: Paraguay vor dem Wandel? http://www.npla.de/onda/content.php?id=760 * BASE Investigaciones Sociales: www.baseis.org.py * LaSojaMata, Kampagnenseite gegen die Soja-Monokulturen: www.lasojamata.org * Forum Umwelt & Entwicklung, in Kooperation mit Brot für die Welt, dem Evangelischen Entwicklungsdienst, FIAN Deutschland e.V., Germanwatch und Oxfam (Hg.): Schöne neue Landwirtschaft. Der Weltentwicklungsbericht 2008 der Weltbank. http://www.forum-ue.de/fileadmin/userupload/publikationen/le_2007_schoeneneuelandwirtschaft.pdf * La Via Campesina (Hg.): Derechos Humanos en el Campo Latino-Americano: Brasil, Guatemala, Honduras y Paraguay. http://web.archive.org/web/20090814210325/http://viacampesina.org:80/main_sp/images/stories/pdf/anuario_2007.pdf (auf spanisch) * Friends of the Earth Europa (Hg.): European financing of agrofuel production in Latin America. A research paper. http://web.archive.org/web/20100911034544/http://www.foeeurope.org:80/agrofuels/financers_report_May08.pdf
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