Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 324 vom 29. Januar 1998
Inhalt
ARGENTINIEN
BRASILIEN
KOLUMBIEN
PERU
EL SALVADOR
NEUE WELTORDNUNG
LATEINAMERIKA
PANAMA
PUERTO RICO
COSTA RICA
MEXIKO
GUATEMALA
KUBA
NICARAGUA
ARGENTINIEN
Astiz bleibt in den Schlagzeilen
(Montevideo/Buenos Aires, 26. Januar 1998, comcosur-Poonal).- In Pinamar, dem eleganten argentinischen Badeort, gedachten am Sonntag zahlreiche Menschen des Mordes an dem Fotografen José Luis Cabezas. Er war am 25. Januar 1997 erschossen worden, die verkohlte Leiche wurde später in Pinamar gefunden. Alle Spuren deuten darauf hin, daß eine mafiöse Gruppe aus gewöhnlichen Kriminellen und Polizisten für die Ausführung des Mordes verantwortlich ist. Als intellektueller Urheber des Verbrechens ist nach wie vor der mächtige Unternehmer Alfredo Yabran der Hauptverdächtige.
Journalist*innen, Oppositionspolitiker*innen und verschiedene soziale Organisationen nahmen an dem Gedächtnisakt teil. Der Verbrand der Zeitungsverleger*innen hatte die Behörden wenige Tage zuvor aufgefordert „sich wirksam der Verpflichtung zu stellen, die individuelle und kollektive Sicherheit aller Bewohner des Landes zu garantieren“. Das Gremium erinnerte an den Cabezas-Mord und das „Netz von Komplizenschaften, das die vollständige Identifizierung und Bestrafung der Anstifter, Mittäter und ausführenden Täter verhindert hat“. Die Verteidigung des Rechtsstaates erfordere ständige Wachsamkeit und den Einsatz der Bürger*innen, die sich nicht in Wahlakten erschöpfen“.
Die Mahnung scheint mehr als angebracht. Am 1. Jahrestag der Ermordung von Cabezas erhielt der stellvertretende Präsident der Vereinigung der Fotoreporter*innen Argentiniens (ARGRA), Esteban Mac Callister, am Telefon Todesdrohungen. Dieser gab seine Verwunderung bekannt, da nur wenige Personen seines Vertrauens die Nummer von ihm bekommen hätten. Vor einigen Tagen war auch eine Zeitung in der Provinz Entre Rios bedroht worden. Die Zahl solcher Attacken gegen die Medien und einzelne Journalist*innen in der Regierungszeit von Carlos Menem hat sich inzwischen auf fast Tausend summiert. Kein einziger Fall ist von offizieller Seite restlos aufgeklärt worden.
BRASILIEN
Landbank stößt auf Kritik
(Brasilia, 23. Januar 1998, pulsar-Poonal).- Seit dem 21. Januar verfügt die Agrarreform über ein neues Instrument: die Landbank. Mit ihren Mitteln sollen kleine Eigentümer und Landarbeiter*innen unterstützt werden, damit sie Grund kaufen, um darauf anbauen zu können. Die Gründung der Bank wurde vom brasilianischen Kongreß verabschiedet. Die Bewegung 'Derer ohne Land' (MST) kritisiert den Schritt als Manöver mit unlauteren Absichten. Die Landbank sei nichts anderes als Teil der Wiederwahlkampagne von Präsident Fernando Henrique Cardoso. Der zur Verfügung stehende Fonds beträgt 428 Millionen Dollar. Das wird voraussichtlich nur für den Landkauf durch 25.000 Familien reichen. Die Rückzahlung der Kredite soll nach einer Frist von zweieinhalb Jahren beginnen. Die Kredite haben eine Laufzeit von 20 Jahren zu einem jährlichen Zinssatz von 12 Prozent. Nach dem heutigen Stand der Dinge hätte ein Campesino für empfangene 15.000 Dollar nach 20 Jahren 51.000 Dollar zurückgezahlt.
Indígenas setzen Regierung Frist
(Vitoria, 26. Januar 1998, pulsar-Poonal).- Die Indígena-Gemeinden der Tupiniquim und der Guaraní setzen der staatlichen Indígenabehörde (FUNAI) eine Frist bis zum Monatsende, um die Grenzen ihrer Territorien endgültig festzulegen. Beide Gemeinden befinden sich im südöstlichen Bundesstaat Espirito Santo. Wenn das Justizministerium bis zum 31. Januar eine entsprechende Regelung nicht unterschreibt, wollen die Indígenas die Grenzziehung selbst vornehmen. Es wäre nicht das erste Mal, daß sie diesen Schritt unternähmen. Bereits im Jahr 1979 konnten die Tupaniquim und Guaraníes aus Espirito Santo eine Gebiet von knapp 4.500 Hektar für sich wiedergewinnen, in dem 1.300 Menschen leben. Jetzt wollen sie dieses Territorium um 13.500 Hektar erweitern. Sie stützen sich dabei auf eine Resolution der Anthropologie-Behörde aus dem Jahr 1994.
Nach dem Indígena-Missionsrat (CIMI) der katholischen Kirche besteht das grösste Hindernis für die Landübergabe in dem multinationalen Unternehmen „Aracruz Celulose“, das seit den 60er Jahren die Eukalyptuspflanzungen in der Region ausbeutet. Der Konzern akzeptiert das Urteil der Anthropologen nicht, die das Land den Indígenas zusprechen. Im Gegenteil, er will eine andere Entscheidung durchsetzen, die die Präsenz der Tupiniquim und Guaraníes in der ausgebeuteten Zone verbietet. Die Indígenas ihrerseits haben dem Unternehmen mehrere Male erfolglos Fristen zum Verlassen ihres angestammten Territoriums gesetzt. Die Abholzung hat bereits zu Schäden für die Gemeinden geführt, die mit einem Aufforstungsprogramm beginnen wollen, sobald sie die Kontrolle über das Gebiet bekommen.
Sexualerziehung in allen Schulen des Landes
(Brasilia, Januar 1998, fempress-Poonal).- Seit Jahresbeginn ist in allen Schulen Brasiliens Sexualerziehung ein Pflichtfach. Damit tritt eine Ankündigung in Kraft, die das Erziehungsministerium auf dem I. Treffen für Sexualerziehung im vergangenen Jahr in Goiana machte. Die Lehrer*innen und Schuldirektor*innen bekommen den entsprechenden Lehrplan vom Ministerium.
KOLUMBIEN
Deutsche Abgeodneten-Delegation auf Reisen
(Bogot'a, 26. Januar 1998, pulsar-Poonal).- Eine Abordnung des deutschen Bundestages besuchte in der vergangenen Woche Kolumbien. Dabei ging es um die Beziehungen der beiden Länder und die Lage der Menschenrechte in dem südamerikanischen Staat. Die Delegation wurde von Parlamentsvizepräsident Hans Ulrich Klose angeführt. Mitglieder von Bündnis90/ Die Grünen und der CDU nahmen an der Reise teil. Die Gruppe führte Gespräche mit Journalist*innen, staatlichen Stellen und Nicht-Regierungsorganisationen. Am Ende ihres Besuches kündigten sie eine Spende der BRD von 170.000 Dollar für die Arbeit des UNO-Hochkommissariats für Menschenrechte in Kolumbien an.
Liberale zerstritten
(Bogot'a, 22. Januar 1998, pulsar-Poonal).- Die Flügel innerhalb der regierenden Liberalen Partei entfernen sich immer weiter voneinander. Sogenannte „Regierungstreuen“ und „Erneuerer“ arbeiten angesichts der heranrückenden Parteitage der Liberalen Partei und ihrem ewigen Widersacher, der Konservativen Partei, zielstrebig auf eine Spaltung hin. Für die Gärung sorgt vor allen Dingen die Kandidatenfrage für die kommenden Präsidentschaftswahlen. Die Parteiführung der Liberalen hat sich für Innenminister Horacio Serpa Uribe ausgesprochen. Serpa hat sich bisher als bedingungsloser Unterstützer des von Skandalen geschüttelten Präsidenten Ernesto Samper erwiesen. Das diskredidiert ihn bei breiten Kreisen der eigenen Partei. Auf dem Parteitag, an dem am kommenden Sonntag 1.300 Delegiert*innen teilnehmen werden, steht die Kandidatenkür nicht offiziell auf dem Programm. Serpa selbst hat jedoch erklärt, dieser Punkt könnte behandelt werden. Ansonsten geht es vor allem um die Wahl eines neuen Parteivorstandes, eine Reform der Statuten und die Vorstellung des ideologischen Programms. Möglicherweise wird ein formeller Bruch zwischen den Parteiströmungen am Sonntag besiegelt.
Haftbefehle gegen Paramilitärs
(Montevideo/Bogotá, 23. Januar 1998, comcosur-Poonal).- Die kolumbianische Bundesstaatsanwaltschaft hat dem Verteidigungsministerium insgesamt 374 Haftbefehle gegen Anführer und Mitglieder rechter paramilitärischer Gruppen übergeben. Die Aktivität der Paramilitärs hatte sich im vergangenen Jahr wesentlich erhöht. Vor allen Dingen gegen Ende 1997 gab es zahlreiche Massaker an Campesinos. Die kolumbianische Menschenrechtsbehörde macht die rechten Gruppen für 70 Massaker mit mehr als 500 Toten verantwortlich. Mit den Militärs als Strafverfolgern ist nach Ansicht vieler der Bock zum Gärtner gemacht worden. Menschenrechtsbeobachter*innen gehen davon aus, daß es die Militärs selbst sind, die die paramilitärischen Organisationen fördern, ausbilden und schützen.
PERU
Massive Sterilisierungskampagne
(Montevideo/Lima, 23. Januar 1998, comcosur-Poonal).- Nach Anklagen der Opposition sind im Landesinnern von Peru mehr als 135.000 Personen im Rahmen einer Regierungsaktion sterilisiert worden, ohne daß ihnen dabei ein wirkliches Mitspracherecht eingeräumt wurde. Aufgrund der entsprechenden chirurgischen Eingriffe solle es mehrere Tote gegeben haben. Die öffentlichen Gesundheitsbehörden weisen die Beschuldigungen zurück. Allerdings geben sie zu, daß in den vergangenen zwölf Monaten etwa 100.000 Frauen und 10.000 Männer sterilisiert wurden. Die Opposition hat Informationen darüber gesammelt, daß als Gegenleistung für die Zustimmung Lebensmittel gegeben wurden. Über diese „Angebote“ an arme Frauen in den Provinzen Tacna und Moquegua hat beispielsweise der Bischof Hugo Garaycoa berichtet. Die Campesinovereinigung Perus hat neue Sterilisierungsfälle in den Provinzen Cuzco und Apurimac angeklagt. Betroffene Frauen sagten, man habe ihnen mit dem Ausschluß von den Nahrungsmittelprogrammen gedroht, daher hätten sie der Operation zugestimmt.
EL SALVADOR
Die Kriegsversehrten sind auf sich gestellt
Von Juan José Dalton
(San Salvador, Januar 1998, npl).- „Ich habe wie die Mehrheit der Campesinos im Elend gelebt. Darum kämpfte ich mit der Waffe in der Guerilla. Wir dachten, es würde Veränderungen geben, aber heute sind wir schlechter dran als vorher. Wir sind weiterhin arm und schlimmer noch, kriegsversehrt und verlassen. Selbst von unseren eigenen Kameraden“, beklagt sich der ehemalige Guerillero Maximiliano Navarro, bekannt unter seinem Kampfnamen „Juan Pastor“.
Vor wenigen Tagen, am 16. Januar, feierten die Salvadoreaner den sechsten Jahrestag des Friedensschlusses zwischen der Guerilla und der damaligen Regierung von Alfredo Cristiani. Das Abkommen bedeutete das Schweigen der Waffen, politische Reformen für einen demokratischen Übergang und das Ende von mehr als 60 Jahren Militarismus in El Salvador. Dennoch, die Mehrheit der Bürger in dem kleinen mittelamerikanischen Land kommt aus der Marginalisierung und der Armut nicht heraus. Ein besonders empfindlicher und ungeschüzter Teil der Bevölkerung sind diejenigen früheren Aufständischen, die heute als Kriegsversehrte um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen.
El Paisnal, wo „Juan Pastor“ geboren wurde, ist eine Kommune 39 Kilometer nördlich der Hauptstadt. Dort wohnen Campesinos, die Bohnen, Mais und Hirse anbauen, die Grundnahrungsmittel der Bevölkerungsmehrheit. Der Landkreis ist durch eine Geschichte der Unterdrückung in den vergangenen Jahrzehnten gekennzeichnet. Bevor man über die staubige Landstraße El Paisnal erreicht, passiert man drei in den Boden gesetzte Holzkreuze. Das größte erinnert an den Jesuitenpriester Rutilio Grande. Er wurde am 12. März 1997 von den Todesschwadronen ermordet. Mit ihm starben zwei Campesinos, die ihn in seinem Auto begleiteten.
„Pater Rutilio lehrte uns viel, er erklärte uns, warum es so viele Arme gab und eine wenige so reich waren. Viele von uns, die diese Realität am eigenen Leibe spürten, schlossen sich der Guerilla an, nachdem sie ihn ermordeten“, erinnert sich Juan Pastor. Er selbst tauchte 1978 mit 18 Jahren in den Untergrund ab. Heute, 38jährig, ist er ein lebendes Zeugnis der salvadoreanischen Tragödie. 1979 wurde er nach Panama deportiert, nachdem er an den gewalttätigen Auseinandersetzungen teilgenommen hatte, um den Volksführer Facundo Guardado zu befreien. Dieser, derzeit Vorsitzender der linken Nationalen Befreiungsfront Farabundi Martí (FMLN), war von den Polizeikräften gefangen genommen und versteckt gehalten worden. Er galt als „verschwunden“. Später kam Juan Pastor nach Kuba, wo er zusammen mit Dutzenden anderer junger Rebellen eine militärische Ausbildung erhielt und die Gründung der ersten aufständischen Bataillone vorbereitete.
Zweimal wurde er im Kampf verwundet. Das erste Mal streifte eine Kugel seine Brust und durchschlug seinen linken Arm. Beim zweiten Mal erhielt er einen Hüftschuß. „Doch die schwerste Verletzung erhielt ich 1986 hier in derselben Zone von El Paisnal. Ich hatte den Auftrag, eine Landmine zu entschärfen, die die Streitkräfte in einer Aktion der „verbrannten Erde“ zurückließen. Bei dem Versuch explodierte die Mine… Ich verlor meine beiden Hände und das linke Auge“, denkt Juan Pastor an diesen Augenblick zurück. Seine Narben sind Zeugen eines bitteren Leidens. „Die Anpassung für mich war schwierig, ich hing völlig von den medizinischen Hilfskräften der Guerilla ab, sogar bei der Hygiene. Viele meiner Compa'neros hielten sötwas nicht aus und brachten sich um. Sie fühlten sich unnütz, aber ich konnte nicht einmal eine Waffe bedienen“, führt der Ex-Guerillero aus.
Ende 1986 konnte Juan Pastor im Zuge einer Vereinbarung zwischen der FMLN und der damaligen Regierung von Napoleón Duarte unter dem Schutz des Internationalen Roten Kreuzes zusammen mit anderen Kriegsversehrten aus dem Land reisen. Sein Ziel war die deutsche Stadt Bonn. Dort nahm er an ersten Rehabilitierungsmaßnahmen teil. Die Ärzte operierten mit komplizierter Technik seine beiden Arme, damit er sie – in eine Art Zangen umgewandelt – benutzen konnte. Damals wurden etwa 100 kriegsverletzte Mitglieder der FMLN in Deutschland behandelt. Juan Pastor kam mit etwa 40 anderen in das Bonner Krankenhaus St. Augustin.
Der heute 32jährige Daniel Hernández, im Krieg durch Schüsse in beide Beine schwer verletzt, beschreibt, wie er und Juan Pastor sich bei der Ankunft in Deutschland fühlten: „Es war kalt, als wir landeten. Am Flughafen erwarteten uns mehrere Krankenwagen.“ Er fügt hinzu: „Sie behandelten uns sehr gut, aber wir hatten Schwierigkeiten weil die Eßgewohnheiten unterschiedlich waren und wir nicht dieselbe Sprache sprachen.“ Mit der Ärztin Margaret Kraheck, damals nach Hernández Erinnerung Chefin der Orthopädie- Abteilung in St. Augustin, hält der Kontakt. Kraheck besuchte die Kriegsversehrten in San Salvador nach dem Friedensschluß 1992 und immer noch schreibt sie sich mit ihnen.
Im März 1987 reiste Juan Pastor nach Kuba weiter, wo er ebenfalls eine medizinische Spezialbehandlung in Sachen orthopädischer Rehabilitation bekam. Bis 1992 betreuten kubanische Ärzte mehr als 500 Kriegsgeschädigte der FMLN in den Krankenhäusern von Havanna. Derzeit kann Juan Pastor lesbar schreiben, selber kochen, sich zurechtmachen und die meisten Arbeiten verrichten wie zum Beispiel mit der Machete arbeiten oder Haustiere mit dem Lasso einfangen.
Und die Liebe? „Wie ich das mache, na ja… das betrifft die Intimsphäre, aber man ist erfinderisch“, versichert er inmitten eines Lachanfalls, der auch Verlegenheit ausdrückt. Juan Pastor hat mehrere Kinder, unter anderem eine fünfjährige Tochter auf Kuba. Von ihr hat er nur Fotos und er sehnt sich sehr nach ihr. Aber für eine Reise zu der Karibikinsel fehlt ihm das Geld. Auf einer Hazienda in El Paisnal hat er ein bißchen Land gepachtet, wie die Mehrheit der 2,6 Millionen salvadoreanischen Campesinos. Im Moment erntet er Hirse, die er als Futter an eine Geflügelfarm verkauft. „Diese Arbeit ist hart und wir verdienen nichts. Die Herbizide und die Düngemittel kosten uns mehr als die Ernte einbringt. Die Dinge haben sich nicht verändert und wir Campesinos leben im Elend. Als Tagelöhner verdienen wir 30 Colones (3,4 US- Dollar). Außerdem bekommen wir nicht die Leistungen, die uns als ehemaligen Kämpfern und Kriegsversehrten versprochen wurden“, beteürt Juan Pastor.
„Im Friedensabkommen haben sie zugesagt, sich um uns zu kümmern. Wir müßten wie in anderen Ländern besondere Rechte haben, aber wir fühlen uns verlassen. Im Parlament unternehmen nicht einmal unsere Abgeordneten von der FMLN etwas, um die Dekrete über den Schutzfonds für Kriegsversehrte und Konfliktopfer zu erweitern. Heute bekommen 90 Prozent der Kriegsversehrten im Höchstfall eine Entschädigung von 114 Dollar monatlich, während der Grundwarenkorb für eine Familie etwa 500 Dollar kostet. Die Narben des zwölfjährigen Krieges sind längst nicht verheilt: 75.000 Tote, 7.000 „Verschwundene“ und 12.000 Personen wie Juan Pastor, die als Kriegsversehrte in unterschiedlichem Ausmaß behindert sind.
NEUE WELTORDNUNG
Die Arbeit und die Ängste
Von Eduardo Galeano (Übersetzung von Gerold Schmidt)
Der Schatten der Angst ist der Welt, die mehr schlecht als recht vor sich hinstolpert und ihre letzten Schritte Richtung Ende des Jahrhunderts tut, auf den Fersen.
Die Angst zu verlieren: die Arbeit verlieren, das Geld verlieren, das Essen verlieren, das Haus verlieren, verlieren: es gibt keinen Exorzismus, der irgend jemand vor der plötzlichen Verwünschung des Pechs schützen kann. Sogar der größte Gewinner kann sich, ehe er sich versieht, zum Verlierer wandeln, ein Gescheiterter, weder der Vergebung noch des Mitleids würdig. Es wird gesagt, der universelle Wettlauf hat den Korb mit den Goldmünzen, der am Fuße des Regenbogens wartet, zum Ziel. Aber so wie es aussieht, ist der Wettlauf eher richtungslos.
Die Tombola des Jahrhunderts
Die Angst, die Arbeit zu verlieren, ist eine der beherrschendsten Ängste in diesen Tagen der letzten Jahre des Jahrhunderts. Wer rettet sich vor der Angst vor der Arbeitslosigkeit? Wer fürchtet nicht, angesichts der neuen Technologien oder der Globalisierung oder irgendeines der aufgewühlten Meere in dieser Welt unterzugehen.
Die Brandungswellen sind von Land zu Land unterschiedlich: der Bankrott oder die Flucht der einheimischen Industrien, der Druck billiger Arbeitskraft aus anderen Regionen, oder der unerbittliche Vormarsch der Maschinen, die mit ihrer unerreichbaren Produktivität die menschliche Hand demütigen und weder Lohn noch Ferien noch Weihnachtsgeld noch Rente noch Entlassungszahlungen verlangen, sondern nur den Strom, der sie ernährt.
Die Angst ist universell, den Brief zu erhalten, in dem bedauert wird, Ihnen mitzuteilen, daß wir uns gezwungen sehen, auf Ihre Dienste zu verzichten – wegen der Kostenanpassung oder der Neuordnung des Personals oder der Umstrukturierung des Unternehmens oder der Schönrednerei, die ausgewählt wird für die Bekanntgabe des Todesurteils. Jeder kann den Boden unter den Füßen verlieren, in jedem Moment und an jedem Ort; und jeder mit einem festen Job kann sich von einem Tag auf den anderen in eine wegwerfbare, obsolete, vorzeitig alte Person von 40 Jahren verwandeln, nicht mehr verwertbar in dieser Welt, in der Nichts seine Existenz verdient, was nicht rentabel ist.
Die Angst generiert Straffreiheit. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit erlaubt im Kontext des dramatischen Wachstums der „überflüssigen“ Bevölkerung, daß der Wert der Arbeit straffrei auf dem ganzen Planeten verfällt und daß die Akkordarbeitsverträge sich über die Arbeitsrechte lustig machen. Nimm die Arbeit an oder lass es sein, die Schlange ist lang. Diese Arbeitsrechte, gesetzlich mit universeller Gültigkeit verankert, waren zu anderen Zeiten, Früchte anderer Ängste, der Ängste der Macht: die Angst vor den Kämpfen der Arbeiter und die Angst vor der Bedrohung des Kommunismus, der überall auf der Lauer zu liegen schien. Aber die erschrockene Macht von Gestern ist die Macht, die Heute Schrecken verbreitet, damit ihr gehorcht wird. Und am Ende des Jahrhunderts werden straffrei die Errungenschaften des ganzen Jahrhunderts, die soviel Blut, Schweiß und Tränen gekostet haben, verlost.
Die gute Führung
Die Angst, Vater einer zahlreichen Familie, schafft auch Haß. In den Ländern im Norden der Welt und nicht nur in ihnen, pflegt die Angst, die Arbeit zu verlieren oder sie nicht zu bekommen, sich in Haß gegen die Ausländer mit dunkler Haut zu verwandeln, die ihre Arbeitskraft zu Verzweiflungspreisen anbieten.
Es ist die Invasion der Invadierten. Sie kommen aus den Ländern, wo tausendundeinmal die kolonialen Eroberungstruppen und die militärischen Strafexpeditionen landeten. Diejenigen, die nun diese Reise umgekehrt unternehmen, den Schiffbruch, die Kugel oder das Gefängnis herausfordern, sind keine zum Töten gezwungene Soldaten: Es sind Arbeiter, gezwungen ihre Arbeitskraft in Europa oder in den USA zu verkaufen, egal zu welchem Preis. Sie kommen aus Afrika, aus Asien, aus Lateinamerika und in jüngeren Jahren, nach dem Untergang der bürokratischen Macht, kommen sie auch aus dem Osten Europas. Wer in den Vororten der Welt träumt nicht davon, in die Zentren des Wohlstands umzuziehen?
Diese Arbeiter, Sündenböcke der Arbeitslosigkeit und aller anderen Missgeschicke, sind ebenfalls zur Angst verurteilt. Verschiedene Schwerter hängen über den ungebetenen Gästen: die immer drohende Ausweisung aus dem Land, in das sie vor dem Hunger flüchtend kamen; der immer mögliche Ausbruch des Rassismus, seine blutigen Warnungen, seine Strafen: angezündete Türken, niedergestochene Araber, erschossene Schwarze, totgeprügelte Mexikaner. Die armen Immigranten verrichten die schwersten und am schlechtesten bezahlten Arbeiten auf dem Land und in den Straßen. Nach den Stunden der Arbeit kommen die Stunden der Gefahr. Keine magische Tinte benetzt sie, um sie unsichtbar zu machen.
Paradoxerweise wandern viele Arbeiter aus dem Süden der Welt in den Norden oder versuchen zumindest allen Widerständen zum Trotz dieses verbotene Abenteuer, während viele Fabriken des Nordens in den Süden emigrieren. Das Geld und die Menschen kreuzen sich auf dem Weg: das Geld der reichen Länder reist Richtung arme Länder, angezogen von den Tagelöhnern für einen Dollar und die Arbeitstage ohne Stunden. Und die Arbeiter der armen Länder reisen, oder würden gerne reisen, Richtung reiche Länder, angezogen von den Bildern der Glückseligkeit, die die Werbung anbietet oder die Hoffnung erfindet. Das Geld reist ohne Grenzen noch Probleme, es wird von Küssen und Blumen und Fanfarengesang empfangen. Die auswandernden Arbeiter unternehmen eine Odysee, die manchmal in den Tiefen des Mittelmeers oder der Karibik endet.
Wenn sie sich schlecht benehmen…
Die Länder des Südens der Welt sind einem universellen Wettbewerb der guten Führung unterworfen, mal sehen, wer die allerniedrigsten Löhne und die größte Freiheit zur Umweltvergiftung anbietet. Die Länder konkurrieren aus Leibeskräften gegeneinander, um die großen internationalen Unternehmen zu verführen. Die besten Bedingungen für die Unternehmen sind die schlechtesten Bedingungen vom Standpunkt des Lohnniveaus, der Arbeitssicherheit, der Gesundheit der Umwelt und der Menschen aus gesehen. Längs und quer der Welt gleichen sich die Rechte der Arbeiter nach unten, nicht nach oben hin an.
Es regierenden schon nicht mehr die Präsidenten, es regiert die Angst: die Länder zittern angesichts der Möglichkeit, daß das Geld nicht kommt oder daß das Geld flüchtet. Wenn Sie sich nicht gut benehmen, sagen die Unternehmen, gehen wir auf die Filipinen oder nach Thailand oder nach Indonesien oder nach China oder auf den Mars. Sich schlecht benehmen, heißt: Steuern auferlegen, Löhne erhöhen, Gewerkschaften gründen, die Natur oder das, was von ihr übrig bleibt, verteidigen.
Im Jahr 1995 verkaufte die Ladenkette GAP in den USA Hemden „made in El Salvador“. Für jedes zu 20 Dollar verkaufte Hemd erhielten die salvadoreanischen Arbeiter 18 Cents: weniger als 1 Prozent. Die Arbeiter, in der Mehrheit Frauen und Kinder, die sich mehr als 14 Stunden täglich in dere Hölle der Fabriken abschufteten, organisierten eine Gewerkschaft. Das Unternehmen feuerte 350 von ihnen. Es folgte der Streik. Es gab Schläge von der Polizei, Entführungen, Verhaftungen. Ende 1995 kündigte GAP an, nach Asien abzuziehen.
LATEINAMERIKA
Justiz will mehr Unabhängigkeit
(Panama-Stadt, 26. Januar 1998, pulsar-Poonal).- Die Vorsitzenden der Obersten Gerichtshöfe Amerikas wollen ihre Position stärken und unabhängiger von den anderen Staatsgewalten werden. In Panama- Stadt kommen in diesen Tagen 18 von ihnen zusammen, um über Wege dazu zu beraten. Es handelt sich um das erste Treffen dieser Art. Die Organisation der Obersten Gerichtshöfe Amerikas gründete sich 1995 in Washington. Ihr gehören Richter*innen aus Argentinien, Brasilien, Kanada, Chile, Kolumbien, Costa Rica, El Salvador, USA, Guatemala, Haiti, Honduras, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, Uruguay und Venezuela an. Sie alle stehen hinsichtlich ihrer Entscheidungen unter dem ständigen Druck von Regierungen oder Parlamenten.
PANAMA
HIV-Kranke fordern Zugang zu Medikamenten
(Panama-Stadt, 26. Januar 1998, alc-Poonal).- Die mit dem HIV- Virus infizierten Personen in Panama haben sich organisiert. Sie verlangen von der Regierung, ihnen die für die Behandlung notwendigen Medikamente zur Verfügung zu stellen. In dem Land mit drei Millionen Einwohner*innen gibt es offiziell 1.700 AIDS-Kranke. Bisher wird nur das als AZT bekannte Medikament verabreicht und das ausschließlich an diejenigen Personen, die in der Sozialversicherung sind. Die Ärzt*innen glauben, die Behandlung mit nur einer Medizin ist kontraproduktiv, da der Virus resistent wird. Sie empfehlen eine Dreifachbehandlung. Die in der Nicht- Regierungsorganisation PROBIDSIDA zusammengeschlossenen Personen wollen außerdem in Gesprächen mit den Gesundheitsbehörden erreichen, daß auch Nicht-Sozialversicherte Medikamente erhalten. Sie verweisen auf das Beispiel Costa Rica, wo die Zahl der HIV- Infizierten etwa gleich groß ist. In dem Nachbarland verurteilte das Verfassungsgericht in einem von den Erkrankten angestrengten Prozeß die Regierung dazu, die Medikamente an alle zu verabreichen, die sie nach dem medizinischen Kriterium benötigen. In Panama haben die Verantwortlichen des öffentlichen Gesundheitswesens den Forderungen bisher aber noch nicht nachgegeben.
PUERTO RICO
Die SIP und der Gouverneur
(San Juan, 26. Januar 1998, pulsar-Poonal).- Die Regierung von Puerto Rico respektiert die Pressefreiheit nicht. Zu diesem Schluß kommt die Interamerikanische Pressegesellschaft (SIP). Ihr Exekutivkomitee verabschiedete einen Bericht, in dem auf die Probleme mit der Pressefreiheit in der Karibiknation hingewiesen wird. Die höchste Presseinstanz auf dem Kontinent versichert, daß die Regierung von Puerto Rico in ihrer Behandlung der Medien parteiisch ist. Für offizielle Anzeigen werden die Publikationsorgane ausgesucht, die als Freunde betrachtet werden. Andererseits gibt es gegen bestimmte Journalist*innen und Medien Feindseligkeiten. Ein SIP-Abordnung war Mitte dieses Monats vor Ort.
In einer in Miami abgegebenen Erklärung der SIP wird auch darauf verwiesen, daß die Untersuchungen der Delegation, die den Bericht verfaßte, in Puerto Rico heruntergespielt wurden. Die Interamerikanische Pressegesellschaft sei mit einem Gerichtstribunal verglichen worden. Von offizieller Seite habe man der Delegation vorgeworfen, die Bevölkerung Puerto Ricos beleidigt zu haben. Der Gouverneur der Insel, Pedro Roselló, beglückwünschte sich selbst für die Art und Weise, wie er auf den Besuch der Delegation reagierte. Er erklärte, nur aus vornehmer Zurückhaltung habe er kein Mitglied der SIP-Abordnung geschlagen.
COSTA RICA
Demokratische Tradition bei Wahlen in Costa Ricaauf dem Prüfstand
Von Ivan Castro
(San Jose, 28. Januar, npl).- Mehr als zwei Millionen Einwohner sind am Sonntag zu allgemeinen Wahlen in Costa Rica aufgerufen. Die Wahlkampagne war von wenig überzeugenden Regierungsprogrammen, Korruptions- und Drogenbeschuldigungen der Kandidaten untereinander, den Forderungen von Frauenorganisationen nach mehr Beteiligung und wachsender Wahlapathie der Bevölkerung gekennzeichnet. Damit wird die traditionelle demokratische Stabilität des mittelamerikanischen Landes vor eine ernste Probe gestellt.
Die Wähler müssen den Nachfolger von Präsident Jose Maria Figueres bestimmen, dessen Amtszeit am 8. Mai endet. Die Entscheidung wird zwischen den Kandidaten der beiden Parteien fallen, die sich in den vergangenen 50 Jahren an der Macht abwechselten und Costa Rica im Vergleich zu seinen von Staatsstreichen und Bürgerkriegen getroffenen Nachbarn als demokratische Oase erschienen liessen. Als Favorit gilt der 58jährige Unternehmer und Ökonom Miguel Angel Rodriguez von der oppositionellen Partei der Sozialchristlichen Einheit (PUSC), die als mitte-rechts eingestuft wird. Sein Hauptgegner ist der 60jährige Anwalt Jose Miguel Corrales, der Kandidat der regierenden Partei der Nationalen Befreiung (PLN). Die PLN beruft sich auf eine sozialdemokratische Ausrichtung. Unter Figueres betrieb sie eine weitgehend neoliberale Wirtschaftspolitik.
Die Costarikaner werden neben dem Präsidenten und zwei Vizepräsidenten für die kommenden vier Jahre ebenfalls 57 Parlamentsabgeordnete und die Kommunalregierungen der 81 Landkreise wählen, in die der mittelamerikanische Staat unterteilt ist. Nach Umfragen und nach Schätzungen des Obersten Wahlgerichtes (TSE) wird eine für Costa Rica hohe Wahlenthaltung von 20 Prozent am Sonntag erwartet. Einheimische Beobachter bringen die voraussichtliche Wahlträgheit der Bevölkerung mit den fehlenden Lösungen für die wachsenden sozialen Probleme in Verbindung.
Offiziell präsentiert das Land makro-ökonomische Erfolge wie wirtschaftliche Stabilität, Inflationskontrolle sowie sinkende Armuts- und Arbeitslosenziffern. Anderseits veröffentlichte das Meinungsforschungsinstitut Unimer gerade erst, dass sich die Mehrheit der Drei-Millionenbevölkerung über hohe Lebenshaltunskosten, Arbeitslosigkeit, Kriminalität, Korruption und Drogensucht beschwert.
Die Drogen waren im Wahlkampf durchaus ein Thema. PUSC-Kandidat Rodriguez, der in den Prognosen 8 bis 12 Prozent vorne liegt, wird vom Regierungskandidaten Corrales beschuldigt, Beziehungen zu zwielichtigen mexikanischen Unternehmern und Politikern zu haben. Unter diesen ragt der einflussreiche Carlos Hank Gonzalez heraus, dem in Mexiko und Costa Rica Drogenhandel und Geldwäsche nachgesagt werden. Ein Treffen von Rodriguez und anderen Führungsmitgliedern der PUSC mit Hank Gonzalez in der mexikanischen Stadt Toluca sorgte in Costa Rica für Diskussionsstoff. Der Umfragefavorit wehrt sich mit Gegenvorwürfen: Corrales habe eine Schmutzkampagne geführt, sei unfähig zu regieren und habe innerhalb der Partei der Nationalen Befreiung einen Wahlbetrug zugunsten seiner Kandidatur veranlasst.
Unterschiede zwischen beiden Präsidentschaftsaspiranten zeigen sich in ihrer Haltung zur Privatisierung von Staatsunternehmen. Dabei geht es beispielsweise um die Stromgesellschaft und die Sozialversicherung. Die Befürworter eines Verkaufs sehen die Chance, mit den zu erwartenden Einnahmen die Wirtschaft anzukurbeln und die Inlandsverschuldung der Regierung von etwa vier Milliarden Dollar abzubauen. Rodriguez spricht sich für die Privatisierung aus. Der Populist Corrales ist wohl vor allem mit Hinblick auf die Wählerstimmen dagegen. „Sie verkaufen das Vaterland und immer noch gibt es Costarikaner, die zweifeln, ob sie wählen sollen“, schlug er auf einer seiner Veranstaltungen einen nationalistischen Unterton an.
Der Friedensnobelpreisträger und ehemalige costarikanische Präsident Oscar Arias (1986-1990) hat kritisiert, beide Kandidaten würde die wirtschaftliche Wiederbelebung, mehr Beschäftigung und den Kampf gegen die Armut anbieten, ohne wirklich über ein Regierungsprogramm zu verfügen. Laut Arias zeigte die Wahlkampagne „einen nicht endenden Krieg der unerfüllten Versprechen, der nur dazu dienen wird, Frustration und Trostlosigkeit zu verbreiten“.
Unterdessen drückte das einflussreiche Zentrum für Frau und Familie seine Verärgerung über die Mandate aus, die den Frauen bisher zugedacht wurden. Von 1978 bis 1994 seien die Ministerien in weniger als 8 Prozent der Fälle von Frauen besetzt gewesen. Im Parlament erreichten die Frauen einen Anteil von 16 Prozent, obwohl sie die Hälfte der Wahlbevölkerung ausmachen. Als Reaktion auf diesen Einspruch der Frauen lassen sich die beiden Hauptkandidaten für das Präsidentschaftsamt von jeweils zwei Kandidatinnen für die Vizepräsidentschaft begleiten. Mit Rodriguez kandidieren die ehemalige Richterin am Internationalen Gerichtshof von Den Haag, Elizabeth Odio und die Historikerin Astrid Fischel. Corrales tritt zusammen mit der früheren Parlamentsvorsitzenden Rose Marie Karpinsky und der Universitätsprofessorin Joyce Zurcher an. Die Frauenorganisation ist damit nicht zufriedengestellt. Sie verlangt eine Beteiligung von mindestens 40 Prozent bei öffentlichen Wahlämtern, so w ie es die Gesetzgebung des Landes auf dem Papier vorsieht.
Wenig Hausmänner
(San José, Januar 1998, fempress-Poonal).- Es war eine Umfrage mit wenig Überraschungen. Die vom Frauen- und Familienzentrum durchgeführte landesweite Aktion „Maskulinität 1997“, für die 1.624 Personen befragt wurden, offenbarte: in Costa Rica gibt es wenig Männer, die fegen, wenigstens ab und zu einmal einkaufen oder die Dinge im Haus in Ordnung bringen. Wäsche waschen sie nie und immer fühlen sie sich als Haushaltsvorstände. Traditionelle Muster überwiegen. Von den Männern wird erwartet, daß sie außer Haus arbeitsam, unternehmerisch, intelligent und erfolgreich sind. Umgekehrt meinen 46 Prozent der Männer, daß der Platz der Frauen zu Hause ist.
MEXIKO
Wende in Chiapas?
(Mexiko-Stadt, 27. Januar 1998, Poonal).- Optimistische Stimmen sprechen von ersten Anzeichen für einen baldigen Durchbruch bei den Bemühungen, für die Konflikte im Bundesstaat Chiapas eine friedliche Lösung zu finden. Dabei stützen sie sich vor allem auf Äußerungen von Regierungsmitgliedern in den vergangenen Tagen. Innenminister Francisco Labastida hat angedeutet, die Regierung könne 23 von 27 Einwänden gegen die Gesetzesreformen zur Situation der Indígenas zurückziehen. Er bezieht sich damit auf den Entwurf der parteiübergreifenden Parlamentskommission zu Chiapas (COCOPA), der von der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) für gut befunden wurde. Der Widerstand der Regierung gegen vier Punkte, die die Autonomie von Indígena-Regionen behandeln, bleibt jedoch bestehen. Labastida erwähnt auch die Möglichkeit, ein überarbeitetes Dokument der COCOPA, das der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt ist, zu diskutieren.
Präsident Ernesto Zedillo nährt Hoffnungen und Zweifel gleichermaßen. Einerseits betonte er bei einer Rede im Bundesstaat Yucatan nachdrücklich, es gebe keine Kriegsstrategie für Chiapas. Er erkannte die mit der EZLN im Februar 1996 zu Indígenarechten und -Kultur unterschriebenen Vereinbarungen an. In gleichem Atemzug relativierte er diese Aussage, in dem er versicherte „Interpretationen, die die Souveränität (des Staates) untergraben“, würden nicht akzeptiert. Bei den ständigen Treffen hinter verschlossenen Türen zwischen Regierungsfunktionären, der COCOPA, der Nationalen Vermittlungskommission CONAI unter dem Vorsitz von Bischof Samuel Ruiz García und anderen Beteiligten scheint sich jedoch Zuversicht zu verbreiten.
Die COCOPA äußerte über ihren turnusmäßigen Sprecher José Luis López sogar die Hoffnung, noch während dieser Woche könne sich die Arme aus zahlreichen Gemeinden im Konfliktgebiet zurückziehen. Vielen fällt es dennoch schwer, an eine wirkliche Wende zu glauben. Jesús Ortega, Generalsekretär der linken Oppositionspartei PRD bezeichnete die Situation in Chiapas als nach wie vor „extrem zerbrechlich“. Ein Massaker wie in Acteal könne sich jederzeit wiederholen. In zahlreichen kritischen Zeitungskommentaren wird darauf hingewiesen, trotz pazifistischer Diskurse fehle es in der Praxis an ausreichenden Belegen für den wirklichen Friedenswillen der Regierung. Insbesondere werden diese Vorwürfe an dem Verhalten der Armee festgemacht. Obwohl beispielsweise der neue Regierungsbeauftragte für Chiapas, Emilio Rebasa, sagt, die Zapatisten seien durch das Gesetz geschützt, erklärt Verteidigungsminister Enriqü Cervantes wenig später, die Streitkräfte würden in Chiapas unterschiedlos alle Gruppen einschlielich der EZLN entwaffnen.
Unterdessen reissen die Mobilisierungen verschiedenster Gesellschaftsteile nicht ab. Am Montag kam die Karawane „Tausend Frauen für den Frieden“ in San Cristóbal an. Sie brachte mehr als 100 Tonnen Hilfsgüter für die Vertriebenen im Landkreis Chenalhó und in anderen chiapanekischen Kommunen mit. Die Lebensmittel, Medikamente, Kleidungstücke und Haushaltsgegenstände waren in 25 Bundesstaaten gesammelt worden. Kleinere und größere Demonstrationen für den Frieden in Chiapas, die Entwaffnung der Paramilitärs und für die Forderungen der EZLN haben in den vergangenen zwei Wochen immer wieder stattgefunden.
Von den Zapatisten fehlt bisher ein Kommentar auf die jüngsten Regierungsinitiativen. Sind sie nicht von derem aufrichtigen Charakter überzeugt, wird es nicht zu einem wirklichen Verhandlungsprozeß in Chiapas kommen. Ohne die Beteiligung der EZLN verliert jede Vereinbarung unter den übrigen Akteuren einen Großteil ihres Wertes. Das letzte bekannt gewordene Kommuniqué der Zapatisten stammt vom 20. Januar. Darin wird der Chiapasbeauftragte Rebasa als „Lockvogel“ bezeichnet. Wenn die Regierung von einer definitiven Lösung spreche, so erwarte die EZLN nichts anderes als eine neue Attacke. Pessimistische Stimmen sprechen davon, daß die Zapatisten mit ihren Einschätzungen oft recht behalten haben.
Viel Arbeit, wenig Lohn, kaum Rechte – Die mexikanische Maquila-
Industrie ist ein zweifelhafter Wachstumssektor
Von Gerold Schmidt
(Mexiko-Stadt, Januar 1998, Poonal).- Mitte Oktober 1997 erreichten die Arbeiter der Teilfertigungsfabrik Han Young in der mexikanischen Grenzstadt Tijuana etwas Bemerkenswertes. Das Autoteile zusammensetzende Unternehmen und die Arbeitsbehörden mußten dem Willen der Beschäftigten nachgeben, sich einer unabhängigen Gewerkschaft anzuschließen. Für die fast 4.000 Firmen dieses Typs im Land, die Maquiladoras, ein Präzedenzfall. Er wird wohl keine Schule machen. Denn 20 internationale Beobachter sowie die Unterstützung des US-Gewerkschaftsverbandes AFL-CIO und mehrerer Menschenrechtsgruppen waren nötig, damit die unabhängige Gewerkschaft sich bei Han Young durchsetzen konnte. Ein Kraftakt, der nicht ständig wiederholbar ist.
Als Maquiladoras werden die Unternehmen bezeichnet, die Produktionsgüter sowohl zollfrei ein- wie auch ausführen dürfen. Meist gelten weitere Vergünstigungen wie beispielsweise Steuerbefreiungen, die die Produktion noch attraktiver machen. In Mexiko bildet das 1965 verabschiedete „Nationale Programm zur Industrialisierung der Nordgrenze“ die Grundlage für den Sonderstatus. Die Maquiladoras sind fast ausschließlich Teilfertigungsbetriebe in der Textil-, Elektronik- und Autoindustrie. Sie importieren Einzelteile, lassen sie von den billigen mexikanischen Arbeitskräften zusammensetzen und exportieren das Endprodukt. Inzwischen haben sich ein Drittel dieser Unternehmen auch in Bundesstaaten angesiedelt, die sich nicht direkt an der Grenze zu den USA befinden. Seit der Nordamerikanische Freihandelsvertrag NAFTA am 1. Januar 1994 in Kraft trat, hat der Maquila-Sektor einen sprunghaften Aufschwung erlebt.
Die mexikanische Regierung wird entsprechend nicht müde, die Bedeutung der Teilfertigungsbetriebe als Wachstumsmotoren und Beschäftigungsgaranten für die einheimische Wirtschaft zu betonen. Sie belegt das mit scheinbar eindrucksvollen Zahlen: Fast 1 Million Arbeitsplätze, ein Anteil von über 40 Prozent an den mexikanischen Exporteinnahmen – allein im November 1997 hatten die Maquila-Exporte einen Wert von knapp über 4 Milliarden US-Dollar – , jährliche Wachstumsraten von 20 Prozent und mehr. Oft wird mit dem Hinweis auf diese Daten gleich der ganze NAFTA als Erfolg gewertet. Hinter fast 40 Prozent aller Maquiladores steht US- Kapital, bei knapp 13 Prozent handelt es sich um mexikanisch- nordamerikanische Joint Ventures und etwas weniger als 44 Prozent der Betriebe sind laut den Statistiken des Handelsministeriums in einheimischem Besitz.
Die Kritiker bestreiten die Angaben im wesentlichen nicht. Sie weisen jedoch auf die Schwachpunkte des angeblichen Vorzeigemodells hin. So Alejandro Villamar vom Mexikanischen Aktionsnetz gegenüber dem Freihandel (RMALC): „Es handelt sich um eine Industrie, die nichts in irgendeine Art Infrastruktur investiert hat, absolut nichts. Außerdem arbeitet sie fast ausschließlich mit importierten Gütern, der Anteil mexikanischer Komponenten kommt auf maximal zwei Prozent.“ Villamar spricht von „Enklaven“ im Land, von „isolierten Inseln“, die sich nicht in die einheimische Wirtschaft eingliedern und zu deren Entwicklung kaum etwas beitragen. Die mexikanische Industrie produziere fast keine Kapitalgüter mehr. Wenn NAFTA bis zum Jahr 2000 so gut wie alle Zölle abgebaut habe, werde ein ganzes Land zum Maquila-Unternehmen umgewandelt sein.
Villamar führt auch die fehlende Einhaltung von Umweltschutz- und Arbeitsbestimmungen an. Sarkastisch spricht er vom einzig gültigen Gesetz in der Branche: „Kein Gesetz zu erfüllen.“ Dies sieht Bertha Luján vom regierungsunabhängigen Authentischen Arbeitsbündnis (FAT) ebenso. Jede Vorschrift werde mißachtet, die Behörden seien Komplizen. Wenn überhaupt, gebe es minimale Strafen für die Unternehmen. Sie kritisiert zudem eine „Pseudo-Vertretung“ der Arbeiter. Die regierungstreuen Gewerkschaften von CTM und CROC handelten hinter dem Rücken der Beschäftigten mit den Unternehmen die Tarifverträge aus. Ohnehin schon ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad in der Maquila-Industrie sehr niedrig. In der Grenzstadt Juárez erreicht er nach den Recherchen der Wochenzeitschrift Milenio nicht einmal 10 Prozent.
Die Löhne sind ein Ausdruck davon: Viel mehr als tausend Pesos im Monat bekommt kaum jemand, der in einem Teilfertigungsbetrieb beschäftigt ist. Das entspricht in etwa dem gesetzlichen Mindestlohn. Umgerechnet sind es derzeit 125 Dollar. Kurzzeitverträge, der Wechsel zwischen einzelnen Maquila- Betrieben, Überstunden sowie der ungeschützte Umgang mit giftigen Stoffen sind nichts Ungewöhnliches. Widerspruchsmöglichkeiten haben die Arbeiter kaum, gegen willkürliche Entlassungen und die in den 90er Jahren ständig gesunkenen Reallöhne können sie sich nicht wirksam wehren. Die Frauen, die 65 Prozent der Beschäftigten in den Maquiladoras ausmachen, haben mit den schwierigsten Bedingungen zu kämpfen. Zu der Belastung durch die oft ungesunde Umgebung, „die ihre Reproduktionsgesundheit und die ihrer Kinder schädigt“, komme unter anderem „eine ständige sexuelle Belästigung“, heißt es in einem Erfahrungsbericht des FAT.
Trotz dieser Zustände bleibt für viele Beschäftigte keine andere Alternative als die Maquila. Obwohl die Arbeitslosigkeit Anfang 1997 offiziell landesweit wieder unter fünf Prozent gesunken ist, überleben immer mehr Familien nur durch die Arbeit im informellen Sektor. Das ist oft noch härter als die Plackerei in einem Teilfertigungsbetrieb. In manchen Regionen, in der die traditionelle Landwirtschaft unter den NAFTA-Bedingungen keine Perspektiven mehr hat, bieten die Maquiladoras eine der wenigen Chancen für die Campesinos, überhaupt Beschäftigung zu finden.
Das Abkommen über Arbeitszusammenarbeit, das parallel zum NAFTA unterzeichnet wurde und unter anderem die Rechte der Beschäftigten in der Maquila-Industrie schützen sollte, ist bisher nur auf dem Papier gültig. Ähnlich wird es auch entsprechenden Bestimmungen gehen, die die Europäische Union und Mexiko im Zuge von Freihandelsvereinbarungen aushandeln, ist Alejandro Villamar überzeugt. Das Rahmenabkommen vom 8. Dezember 1997 in Brüssel war ein erster Schritt, diese neue Freihandelszone über den Atlantik hinweg vorzubereiten. Die Maquila-Industrie werde dann auch im europäischen Interesse weiter wachsen, den Beschäftigten werde es nicht besser gehen. Solange die mexikanische Regierung nicht an einem wirklichen Schutz der Arbeiter interessiert sei und ungelernte Arbeitskräfte billig und in Massen zur Verfügung stünden, besteht nach Villamar „wenig Anlaß zum Optimismus“.
Erste legale Abtreibung im Bundesstaat Hidalgo
(Pachuca, Januar 1998, fempress-Poonal).- Die Behörden im mexikanischen Bundesstaat Hidalgo erlaubten die Abtreibung bei einem elfjährigen Mädchen. Es war von seinem Stiefvater vergewaltigt worden. Es handelt sich um die erste legale Abtreibung, die in Hildago vorgenommen wurde. Obwohl es für den Täter keine Bestrafung durch die Gerichte gab, erreichte der Druck verschiedener Frauenorganisationen zumindest die erstmalige Anwendung des bestehenden Gesetzes in dem Bundesstaat, das die Abtreibung autorisiert, wenn das Opfer minderjährig ist.
GUATEMALA
Fünf US-Bürgerinnen vergewaltigt – Gewalt hält an
(Guatemala-Stadt, 20. Januar 1998, cerigua-Poonal).- Trotz anfänglicher Verheimlichungsversuche durch die offiziellen guatemaltekischen Stellen hat der bewaffnete Überfall auf eine Gruppe von Universitätsstudentinnen aus den USA für heftige Diskussionen gesorgt. Dabei waren am 16. Januar fünf junge Frauen vergewaltigt worden. Die sechszehn Studentinnen waren zusammen mit ihren Dozentinnen auf dem Weg nach Xolola in der Provinz Solola. Wenig außerhalb der Stadt Santa Lucia Cotzulmaguapa wurde ihr Bus von einem Pick-Up mit sieben schwer bewaffneten Männern gestoppt. Die Männer raubten die Gruppe aus und vergewaltigten anschließend fünf der Frauen. In Guatemala wurde nicht sofort über das Vorkommnis berichtet, sondern erst, nachdem der Fall in den USA Aufsehen erregte. Bisher sind fünf Verdächtige festgenommen, darunter zwei früher Armeeoffiziere.
Zwei Tage vor diesem Überfall war die Leiche der in Quetzaltenango lebenden US-Bürgerin Danita Gonzalez gefunden worden. Die Tochter eines früheren guatemaltekischen Vizepräsidentschaftskandidaten wurde mit einem Kopfschuß getötet. Unbekannte hatten sie eine Woche zuvor zusammen mit ihrem zweimonatigen Baby entführt. Das kleine Mädchen konnte einen Tag früher lebend in einem Pappkarton gefunden worden und befindet sich in einem Krankenhaus. In Quetzaltenango protestierten mehrere tausend Menschen gegen das Verbrechen und riefen zu einem gemeinsamen Vorgehen auf.
Während einige Armut und Arbeitslosigkeit im Land für die Taten verantwortlich machen, sehen Organisationen wie die Gruppe für gegenseitige Hilfe von Familienangehörigen Verhafteter und Verschwundener (GAM) eher „konservative Gesellschaftsteile“ am Werk, „die sich traditionell gegen die Unterzeichnung eines endgültigen Friedensabkommens wandten und jetzt versuchen, die Durchführung der Vereinbarungen zu verhindern“. Solche Spekulationen sind in Guatemala nicht ungewöhnlich. Die ehemaligen Armeeangehörigen unter den Verhafteten verleihen ihnen Glaubwürdigkeit.
Arzús Regierungserklärung: Ein Ausflug ins Paradies
(Guatemala-Stadt, 15. Januar 1998, cerigua-Poonal).- In seiner Rede zum zweiten Jahrestag seiner Amtszeit zeichnete Präsident Alvaro Arzú vor dem Parlament ein prächtiges Bild seiner Regierungsführung. Er sprach von einer zurückliegenden Zeit „voll positiver Ergebnisse“. Oppositionelle Abgeordnete fragten sich dagegen, ob Arzú Guatemala mit einem anderen Land verwechselt habe. Der Regierungschef verglich die beiden vergangenen Jahre mit den 40 Jahren zuvor und berichtete von „beispiellosem Wachstum bei öffentlichen Arbeiten und Leistungen“. Seine Bilanz war durchweg positiv. Nur beim Thema Sicherheit schränkte er ein: „Die Bürger*innen leben in Sorge über die Unsicherheit in den Straßen. Sie fühlen sich von den Verbrechen und der Straffreiheit derer, die das Gesetz brechen, beleidigt.“ Seine Regierung habe aber energisch und verantwortlich mit einer überzeugenden Strategie gegen das Verbrechen gehandelt. Kritik an dieser Darstellung kam von allen Seiten. Ein Abgeordneter von der rechten Republikanischen Front Guatemalas (FRG) fragte nach einem Visum für das vom Präsidenten beschriebene Wunderland, vermutete aber, es würde „nur in seinem Kopf“ existieren. Die Tageszeitung „Prensa Libre“ kommentierte ironisch den „Spaziergang durch's Paradies“.
Linke Wahlstrategie für Kommunalwahlen
(Guatemala-Stadt, 23. Januar 1998, pulsar-Poonal).- Das Demokratische Bündnis Neues Guatemala (FDNG) hat angekündigt, für die Kommunalwahlen am 7. Juni 1998 keine Allianzen mit anderen politischen Parteien einzugehen. Es will seine Kräfte mit der früheren Guerilla der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) vereinen, die noch nicht endgültig als Partei anerkannt ist und derzeit in Provinzen und Landkreisen ihre Struktur aufbaut. Der FDNG-Politiker Víctor López V'azqüz erklärte, es gebe einige Anfragen von Volksorganisationen, Kandidat*innen auf der Liste der Partei antreten zu lassen. Ebensolche Ansinnen hätten einige Parteien und örtliche BürgerInnenkomitees gestellt. Nach Vázquez Angaben verfügt seine Partei über 11.000 Mitglieder und ist in 270 Landkreisen präsent. Sichere Wahlsiege erwartet er nur in acht Distrikten. Mit der Beteiligung der früheren Guerilla hofft er aber, den Stimmenanteil zugunsten der Linken zu erhöhen.
Über die Kommunalwahlen hinaus denken die Oppositionsparteien jedoch jetzt schon an ein breiteres Bündnis für die allgemeinen Wahlen im Jahr 1999. Dem Großen Linksbündnis, wie die beabsichtigte Allianz zwischen FDNG und URNG genannt wird, könnten sich andere Parteien wie die Nationale Zentrumsunion (UCN) und die Christdemokratie (DCG) anschließen. Aus deren Führungsetagen werden Zustimmung und das Warten auf Angebote signalisiert. Die rechte Republikanische Front Guatemalas (FRG) und die mit absoluter Mehrheit regierende Partei der Nationalen Vorhut (PAN) haben bisher nicht erkennen lassen, auf der Suche nach Partnern zu sein. Die Kommunalwahlen werden eine erste Probe und ein Stimmungsbarometer für die Strategie der Parteien werden.
KUBA
Fidel Castro kann zufrieden sein -Papstbesuch schwächt Position
der USA und Spaniens
Von Claude Hackin
(Havanna, 26. Januar 1998, npl).- Der Papstbesuch in Kuba hat die unversöhnliche Haltung der Regierungen in Washington und Madrid gegenüber Fidel Castro bloßgestellt. Auch auf der letzten Messe während seines fünftägigen Aufenthalts kritisierte er in gleichem Maße die Menschenrechtslage im Land und die US-Handelsblockade. Seine zentrale Botschaft: Weder Marxismus noch Neoliberalismus seien eine Heilslehre, Vermittlung und Annäherung der richtige Weg.
Die Erwartung der angereisten 100 spanischen und über 2.000 US- Journalisten, daß die päpstliche Kritik an kubanischen Demokratiedefiziten im Mittelpunkt stehen würde, erfüllte sich nicht. Auch wenn die energischen Aufrufe zu mehr Meinungs- und Religionsfreiheit die kubanische Regierung in Bedrängnis bringen, ist doch ihre diplomatische Linie, die Isolation des sozialistischen Landes zu durchbrechen, gestärkt worden. Die Blockade sei „ungerecht und ethisch unannehmbar“, bekräftigte der Papst kurz vor seiner Abreise am Sonntag Abend. Den Exilkubaner in Miami, die von der Clintonregierung noch schärfere Sanktionen fordern, sagte der Papst, sie sollten die sinnlose Konfrontation aufgeben.
Zusätzliches Mißfallen erregte in Spanien, daß Castro die päpstliche Selbstkritik an der Eroberung Lateinamerikas und der Inquisition aufnahm. Der Staatschef erinnerte an die Rolle Spaniens in jener Zeit und machte katholische Spanier für die Ausrottung der Ureinwohner verantwortlich. Spanische Medien sprachen von einer „antiiberischen Position“. Außenminister Abel Matutes, der sich als einziger seiner europäischen Kollegen weiterhin gegen die Entsendung eines Botschafters nach Kuba ausspricht, mahnte daraufhin eine „positivere Sicht der Geschichte“ an. Im Streit um die Vergangenheit hatte zuvor Kubas Außenminister Roberto Robaina Madrid „untertäniges Verhalten“ vorgeworfen: Exakt vor einem Jahrhundert hätten die Spanier die Insel der USA überlassen, anstatt ihre Niederlage im Unabhängigkeitskrieg einzugestehen und ihr den Weg in die Souveränität zu ermöglichen.
Nach Meinung vieler Beobachter hat der Papstbesuch die US-Position geschwächt. Die Kritik am kubanischen System äußerte der oberste Katholik zumeist im Kontext der sozialen Lage im Land, die freilich nicht nur in Kuba prekär ist und mit der Blockade im Zusammenhang steht. Bedeutsam ist auch, daß sich Johannes Paul im Unterschied zu anderen Reisen nicht mit Vertretern der kubanischen Opposition traf. Dies hatte er bei seinem legendären Besuch in Polen 1979 getan und nur eine Woche vor dieser Reise empfing der Papst eine Delegation des Kurdischen Exilparlaments.
Fidel Castro kann zufrieden sein. Als souveräner Staatsmann war er auf den Bildschirmen in aller Welt an der Seite des Kirchenoberhauptes zu sehen – päpstlicher Segen statt Anfeindung. In Sachen sozialer Gerechtigkeit hat Castro geradezu einen neuen Verbündeten gefunden. Umgekehrt werden andere Appelle des Papstes ungehört verklingen: Auf sexuelle Enthaltsamkeit zu drängen und Abtreibungen zu verteufeln, ist in einem so aufgeklärten Land wie Kuba vergebens.
Allerdings bringt die Bitte des Papstes, 34 politische Gefangene freizulassen, die kubanische Führung in eine schwierige Lage. Parlamentspräsident Ricardo Alarcon sagte am Sonntag erneut eine Prüfung zu und wiederholte, es gäbe in Kuba keine Gesinnungsgefangenen. Eine Freilassung der Betreffenden – die kaum vermeidlich ist, will Kuba die diplomatisch so wichtigen Bande zum Vatikan nicht gefährden – käme jedoch einem Eingeständnis gleich. Auch wenn bislang keine Namen genannt wurden, wird davon ausgegangen, daß es sich um Mitglieder einer Dissidentengruppe und der „Partei für Menschenrechte“ handelt. Auch eine vierköpfige Gruppe um den Oppositionellen Vladimiro Roca, die Mitte vergangenen Jahres in einem Flugblatt die Legitimität der Regierung in Frage gestellt und zum Boykott der Parlamentswahlen aufgerufen hatte, soll auf der Liste stehen.
Dem Papst folgt der französische Kommunistenführer
(Havanna, 27. Januar 1998, pl-Poonal).- Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs hat am 27. Januar in Begleitung mehrerer Parteikolleg*innen einen dreitägigen Besuch auf Kuba angetreten. Er wird mit mehreren hochrangigen Regierungsmitgliedern zusammenkommen. Hue ist Mitglied der Auslandskommission der französischen Nationalversammlung und kommt auf die direkte Einladung Fidel Castros. Er bezeichnete es bei seiner Ankunft als „große Ehre und eine große Erfahrung für mich als kommunistischen Aktivisten, diese Gesellschaft von Nahem kennenzulernen und mich mit den wichtigsten Regierungsrepräsentanten der Insel auszutauschen“.
NICARAGUA
Nicaragua steht ein neues IWF-Wirtschaftsprogramm bevor.
Von Roberto Fonseca
(Managua, 27. Januar 1998, npl).- Nach zehn Monaten Verhandlungen einigen sich die nicaraguanische Regierung und der Internationale Weltwährungsfonds (IWF) Mitte Januar auf ein neues Strukturanpassungsprogramm. Das ESAF, so die gängige Abkürzung des Maßnahmenpakets, werde in der zweiten Februarwoche in Kraft treten, verkündete Präsident Arnoldo Aleman. Das mittelamerikanische Land wird der Vereinbarung zufolge in den kommenden Monaten über 3.000 öffentliche Angestellte entlassen und stimmt der Privatisierung von über zehn Staatsbetrieben zu, darunter der Telekommunikations- und Energiesektor. Im Gegenzug hofft Nicaragua, wie andere hochverschuldete Länder 80 Prozent der Auslandsschulden erlassen zu bekommen.
Nicaragua ist eines der ärmsten Länder der Region. Noch unter der Somoza-Diktatur zerstörte ein Erdbeben große Teile der Infrastruktur, ein Wiederaufbau fand nur in Ansätzen statt. Jahre der Kriegswirtschaft, zuerst um das Jahr 1979, als die Sandinisten den Somoza-Clan außer Landes trieben, und später der Kampf der von den USA finanzierten „Contras“ gegen die Regierung, erschwerten jede ökonomische Entwicklung. Vor den Wahlen 1990 versprach Washington, bei einem Sieg „ihrer“ Kandidatin Violeta Chamorro werde dem Land großzügige Finanzhilfe zuteil. Viele Nicaraguaner gaben sich dieser Illusion hin, der haushohe sandinistische Favorit Daniel Ortega wurde abgewählt. Doch die versprochene Hilfe viel sehr spärlich aus, die Armut nimmt seitdem weiter zu.
Die Opposition befürchtet, daß das ESAF die Probleme des Landes nicht lösen wird. Statt dessen, so der Tenor, werden Entlassungen, neue soziale Konflikte und eine weitere Verarmung die Folge sein. Nur makroökonomische Zahlen wie die Inflationsrate und der Haushalt werden am Ende besser dastehen. „Es wird ein sehr schwieriges Jahr werden,“ meint Cesar Teran, Wirtschaftswissenschaftler der Nichtregierungsorganisation FIDEG. „Das ESAF erschwert Kleinproduzenten den Zugang zu Krediten und im Privatsektor wird es zu weiteren Entlassungen kommen.“
Einer FIDEG-Studie vom August 1997 zufolge leben 63 von 100 Haushalten unter der Armutgrenze, 1992 waren es erst 43 Prozent. Gut ein Drittel dieser Haushalte fällt in die Kategorie extremer Armut: Ihr Einkommen reicht nicht, um den offiziell definierten Grundnahrungskorb zu erstehen, dessen Wert bei 153 UD-Dollar liegt.
Die Arbeitslosigkeit liegt bei 47,3 Prozent, ein Anstieg um 4,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Laut Teran führt diese Entwicklung dazu, daß immer mehr Familien auf die Arbeitskraft von Kindern und Großeltern angewiesen sind, um über die Runden zu kommen. Der Anteil von 10 bis 14jährigen Kindern am Arbeitsmarkt stieg in den vergangenen vier Jahren von zwei auf über vier Prozent.
Auch Teile der Mittelschicht sehen dem ESAF mit Skepsis entgegen. Die ebenfalls mit dem IWF vereinbarte Verwaltungsreform wird vielen im Staatsapparat Tätigen den Arbeitsplatz kosten. Voraussichtlich wird die Zahl der Ministerien um ein Drittel verkleinert. Und die Privatisierung staatlicher Einrichtungen – vor allem im sozialen Bereich – und einiger Großbetriebe wird diese Tendenz noch verstärken. „Die Entlassungen werden kommen,“ bestätigte Arbeitsminister Wilfredo Navarro in einem Interview mit der Zeitung „Barricada“. „Aber ich würde es nicht Entlassung sondern Rationalisierung des Staates nennen.“
Die Regierung rechtfertigt das ESAF mit Verweis auf die Vergangenheit. „Es ist ein ökonomisch notwendiges Instrument, da die nationale Wirtschaft unter den Sandinisten vollkommen zerstört wurde,“ sagt der Abgeordnete Silvio Calderon. Ohne finanzielle Hilfe aus dem Ausland könne das Land nicht überleben. „Das ESAF ist das richtige Medikament für den Patienten, es ist bitter, doch wenn er es nicht nimmt, stirbt er.“
Die katholische Kirche, die die Kandidatur vom Aleman bei den Wahlen 1996 implizit unterstützte, äußerte Vorbehalte ob der sozialen Brisanz der einschneidenden Maßnahmen. Bei einem Treffen mit Präsident Aleman Ende vergangenen Jahres drängten die Bischöfe darauf, das ESAF mit einem „menschlichem Antlitz“ zu versehen, um die harten Folgen für die Mehrheit der Bevölkerung zu entschärfen. In gleichem Sinne äußerte sich vor Ort der Vertreter des UN- Entwicklungsprogramms. Die Regierung solle Reformen durchführen, sich aber ihrer Verantwortung für die Mittellosen bewußt sein und soziale Härten vermeiden. Aleman wies diese Äußerung als „ungerechtfertigte Einmischung“ zurück.
Die von den Sandinisten angeführte Opposition hat das ESAF schon zum politischen Kampfbegriff gemacht. Die angekündigten Maßnahmen seien so sinnlos wie ungerecht. Sie geht davon aus, daß das Jahr 1998 von sozialen Protesten gekennzeichnet sein werde.
Poonal Nr. 324 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Schreibe einen Kommentar