von Markus Plate, Guatemala-Stadt
(Berlin, 10. Oktober 2008, poonal).- Eine mit rund 100 Teilnehmerinnen und leider nur einem Dutzend Teilnehmern sehr gut besuchte Veranstaltung des III. Amerikanischen Sozialforums in Guatemala-Stadt hatte die unzähligen Morde an Frauen zum Thema, die in den letzten Jahren in verschiedenen Ländern Lateinamerikas erschreckende Ausmaße angenommen haben. Aktivistinnen aus Mexiko, Guatemala, El Salvador und Kolumbien schilderten die Situation in ihren Ländern und berichteten von ihren Erfahrungen beim Kampf um die Identifizierung und die Bestrafung der Täter.
Sally von der Solidaritätsorganisation Casa Mexiko fasste die Situation im Norden Mexikos zusammen. Fast 1000 tote und verschwundene Frauen in den letzten Jahren belegen das Ausmaß der sogenannten Feminizide in Grenznähe zu den USA. Casa Mexiko begleitet Selbsthilfeorganisationen Hinterbliebener bei der Suche nach verschwundenen Töchtern und bei ihrem Kampf um Gerechtigkeit. Erklärungsversuche für das Phänomen Frauenmorde gebe es viele, so Sally, von Drogen- und Organhandel, über organisierte Vergewaltigungen und „Morde aus Vergnügen“ durch hochrangige Personen aus den USA und Mexiko, bis hin zu familiärer Gewalt, Menschenhandel und Zwang zur Prostitution.
Wie ihre Kolleginnen auf dem Podium und im Saal hielt Sally allerdings den Neoliberalismus und die patriarchale Gesellschaft für die Ursachen der wachsenden Gewalt gegenüber Frauen. An der Grenze zu den USA wie auch andernorts in Lateinamerika seien in den letzten Jahren sogenannte Maquilas aus dem Boden gewachsen. In ihnen arbeiteten v.a. Frauen zu niedrigen Löhnen und weitgehend ohne Rechte zu Hunderttausenden. Dabei werde rund um die Uhr produziert, so dass die Frauen mitten in der Nacht von der und zur Arbeit kommen müssten. Die Maquila-Viertel seien nicht sicher, einsam und oft spärlich beleuchtet, öffentliche Transportmittel gebe es in der Nacht oft nicht und die Wohnsituation der Frauen sei prekär, da sich die Unternehmen und die Verantwortlichen in den Gemeinden nur ungenügend um die Bereitstellung von Wohnungen für die schnell wachsenden Gemeinden kümmerten. „Wir haben es also mit einem System von Ausbeutung zu tun, in dem sich die Unternehmen und die Politik überhaupt nicht um den Schutz der Frauen kümmern“, so Sally. Begleitet und animiert würden die Frauenmorde durch die absolute Untätigkeit der Ermittlungsbehörden und die absolute Straflosigkeit für die Verbrechen. Die Täter hätten also nichts zu befürchten.
In El Salvador sei die Situation ähnlich, schilderte eine Aktivistin. Die Staatsanwaltschaft verfolge keine Anzeigen. Die Familien der Opfer würden bei der Anzeigeerstattung verhöhnt, die Opfer als Huren beleidigt. Beweisstücke würden verschlampt, bereits erstattete Anzeigen verschwinden. Auch die Medien seien Teil dieses Systems: Die Mörder würden dort vorschnell als Maras bezeichnet, die Opfer als Prostituierte. Die Feminizide unterlägen dem gleichen System, wie die tagtäglichen Vergewaltigungen von Frauen. Obwohl der Täter oft bekannt sei, erfolge nur in drei bis vier Prozent der Fälle eine Verurteilung. Dahinter stecke der Versuch der Einschüchterung: Die Menschen sollten Angst haben, auf die Straße zu gehen, nicht nur Frauen, auch Jugendliche und Aktivist*innen. Die Straflosigkeit für die Frauenmorde sei also ein Element einer Politik, die Menschen zum Schweigen zu bringen. Und es halte das patriarchale System aufrecht, in dem es den Männern sage „Ihr dürft so etwas tun“ und den Frauen „Man darf Euch das antun“. Dass auf das Mittel der Abschreckung durch Bestrafung der Täter verzichtet werde, habe also System.
Auch Frauenorganisationen aus Guatemala ordnen die Frauenmorde in einen politischen Kontext ein. Während der Militärdiktatur seien mehr Frauen ermordet worden, als Männer, und das habe System gehabt. Durch Frauenmorde hätten die Militärs den Terror gegen die Zivilbevölkerung verstärken können. Man habe bewusst die Körper der Frauen zerstören und öffentlich ausstellen wollen um zu zeigen, dass die Männer und die Guerilla nicht in der Lage seien, das Leben und die Würde der eigenen Frauen zu schützen. Oder dass die Militärs in der Lage seien, den Männern ihre Frauen zu „enteignen“. Darin ähnele sich die Situation in Guatemala mit der aktuellen Situation in Kolumbien, wo Paramilitärs und Armee ebenfalls systematisch Frauen vergewaltigten und ermordeten. Nach der Unterzeichnung der Friedensverträge seien die Morde in Guatemala nur kurz deutlich zurückgegangen, mittlerweile sei die Situation aber fast wieder so schlimm wie während des Krieges. Als Ursache für die Feminizide heute führte die Aktivistin der Frauenorganisation UNAMG aus Guatemala das wachsende Selbstbewusstsein der guatemaltekischen Frauen an: Sie hätten in den letzten Jahren mehr und mehr öffentliche Plätze eingenommen und stellten Forderungen. Auch UNAMG glaubt, dass die Frauenmorde und die Straflosigkeit die Antwort des patricharchalen Systems auf die Emanzipation der Frauen sei. Der spezifische Aspekt in Guatemala sei, dass hier der Krieg bis heute schwere Auswirkungen und kollektiv den Respekt vor dem Leben zerstört habe.
Aus dem Saal kamen im Anschluss an die Diskussion vielfältige Wortmeldungen. Eine Teilnehmerin aus Nicaragua erinnerte daran, dass Frauen dort nach einer Vergewaltigung nicht einmal abtreiben dürften. Durch illegale Abtreibungen seien in Nicaragua allein in diesem Jahr mehr als 50 Frauen gestorben. „Dies ist staatlich und kirchlich verantworteter Mord an Frauen“, fuhr die Teilnehmerin unter lautem Applaus fort. Der Kampf gegen Feminizide und gegen Vergewaltigungen sei grundsätzlich ein Kampf um bessere Lebensbedingungen für Frauen, um bessere Arbeitsbedingungen, um sicheren Transport, um Schutz vor Diskriminierung. Außerdem ein Kampf gegen die Straflosigkeit und damit ein Kampf gegen die staatliche Kriegsführung gegen die Bevölkerung, gegen Korruption und gegen das patriarchale System. Bis dahin, so schloss eine Mapuche-Aktivistin aus Patagonien unter dem Jubel der Anwesenden, bleibe nur Wehrhaftigkeit. So wie die Mapuche durch ihren Widerstand den Völkermord durch Chiles und Argentinien Regierungen überlebt hätten, so müssten sich auch die Frauen zur Wehr setzen.
Radiolink: Frauenmorde in Guatemala (Reportage): http://www.npla.de/onda/content.php?id=391
Links verschiedener Organisationen, die zu dem Thema arbeiten:
www.amigosdemujeres.org – Amigos de las mujeres de Ciudad Juárez www.cedehm.org – Centro de derechos humanos de Chihuahua – Justicia para nuestras hijas www.mujeresdejuarez.org – Nuestras hijas de Regreso a Casa www.casamaiga.org – Casa Amiga www.abpeaceandjustice.org – Albuquerque Center for Peace and Justice www.ormusa.org www.lasdignas.org www.lasmelidas.org www.cinep.org.co www.laotrafrontera.com.mx
Patriarchat und Neoliberalismus verantwortlich für Frauenmorde von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
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