Poonal Nr. 570

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 29. April 2003

Inhalt


KUBA

ARGENTINIEN

URUGUAY

KOLUMBIEN

BRASILIEN

ECUADOR

MEXIKO

HAITI

LATEINAMERIKA


KUBA

UNCHR verurteilt Kuba: Triumph der Doppelmoral

Eduardo Tamayo G.

(Genf, 21. April 2003, alai).- Die Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen (UNCHR) verabschiedete dieses Jahr eine Resolution gegen Kuba, die, wie schon in den letzten zwölf Jahren, eine klare nordamerikanische Handschrift trägt.

Die Resolution L2 wurde von Costa Rica, Nicaragua, Peru und Uruguay eingebracht und mit 24 gegen 20 Stimmen bei neun Enthaltungen angenommen. Die Resolution verlangt, dass Kuba die Hochkommissarin für Menschenrechte Christine Chanet empfängt, damit diese die Situation der Menschenrechte auf der Insel untersucht. Sie soll dies bis zur nächsten Versammlungsperiode der UNCHR weiterführen.

Zuvor wies die Kommission zwei Änderungsanträge Costa Ricas und Kubas zurück. Der Antrag aus Costa Rica sah vor, die Resolution zur Verurteilung Kubas zu verschärfen. Grund seien die „jüngsten Verhaftungen, Massenurteile und rigorosen Strafen gegen zahlreiche Mitglieder der politischen Opposition“, deren Freilassung Costa Rica fordert. Er wurde mit 31 Stimmen abgelehnt, 15 votierten für die Verschärfung, sieben Länder enthielten sich. Der Antrag, der in englisch verfasst war, sei direkt aus Washington nach San José und von dort nach Genf übermittelt worden. Nach Diplomatenkreisen haben die costaricanischen Abgesandten den Antrag in Genf erhalten und die Anweisungen befolgt.

Der zweite, von Kuba eingebrachte Antrag forderte „die sofortige Beendigung der unilateralen und illegalen Blockade der USA gegen Kuba, die eine offensichtliche Verletzung der Menschenrechte des kubanischen Volkes darstelle, insbesondere des Rechts auf Ernährung und des Rechts auf Gesundheit“. 26 Länder lehnten diese Ergänzung der Resolution L2 ab, 17 stimmten für die Aufhebung der Blockade, zehn enthielten sich. Der kubanische Botschafter Iván Mora äußerte sich umgehend zu den Abstimmungsergebnissen. „Soeben wurde – zur Schande dieser Kommission – die größte Unverschämtheit, die die internationale Gemeinschaft je gesehen hat, vollbracht. Diejenigen, die gegen die Verurteilung der illegalen und verbrecherischen Blockade, die die Menschenrechte eines ganzen Volkes verletzt, gestimmt haben, spiegelten die Heuchelei und die Doppelmoral wieder, mit denen die Menschenrechte in diesem Forum behandelt werden.“

Mit Ausnahme Venezuelas, das gegen die Verurteilung Kubas stimmte, sowie Brasilien und Argentinien, die sich enthielten, schlossen sich die anderen Länder Lateinamerikas, die Mitglied im UNCHR sind, also Costa Rica, Guatemala, Peru, Paraguay, Mexiko, Chile und Uruguay der Position Washingtons an. Aus kubanischen Diplomatenkreisen verlautbarte, dass starker Druck seitens der Vereinigten Staaten auf diese und andere Mitglieder der Kommission ausgeübt wurde. Sierra Leone wurde sowohl von der nordamerikanischen wie der britischen Seite zu verstehen gegeben, dass sie ihren Einfluss geltend machen werden, damit die 14 900 Soldaten starke UNO-Friedenstruppe abgezogen werden könne. Auch wurde Druck auf Armenien ausgeübt, welches derzeit jährlich 100 Millionen Dollar US-Wirtschaftshilfe erhält. Sierra Leone und Armenien beugten sich schließlich der größten Militärmacht des Planeten.

Im Falle Argentiniens, erklärte Präsident Eduardo Duhalde bezüglich der Position seines Landes zu Kuba, dass es ihm nicht opportun erscheine, ein „kleines blockiertes Land“ zu verurteilen. Die Botschaft der Vereinigten Staaten in Buenos Aires drückte in einem Kommuniqué ihr „Bedauern“ über die Entscheidung Duhaldes aus.

Chile stimmte gegen Kuba, weil es sein bilaterales Freihandelsabkommen mit den USA nicht gefährden wollte. Das Abkommen stand auf der Kippe, seit der UNCHR-Botschafter Juan Enrique Vega sich am 27. März enthielt, als über die Einberufung einer Sondersitzung zum Einmarsch der USA im Irak abgestimmt wurde. Vega stellte sich den Anweisungen von Präsident Ricardo Lagos, gemäß den Interessen Washingtons abzustimmen, entgegen. Der „Fehler“, der von der chilenischen Außenministerin als „tiefgreifend“ bezeichnet wurde, kostete Vega den Posten.

Der kubanische Diplomat Juan Antonio Fernández verurteilte die Doppelmoral, die „einige in dieser Kommission zeigen“. Er stellte folgenden Fragen. „Warum haben die, die Kuba verurteilen wollen, kein einziges Wort über die Gefangenen verloren, die die USA in der Marinebasis Guantánamo festhalten, auf kubanischem Territorium, das sie gegen unseren Willen besetzen? Warum haben sie sich nicht zu den fünf politischen Gefangenen geäußert, von deren hinterhältigem Prozess und den erlassenen Unrechtsurteilen die Angehörigen die Kommission informiert hatten? Warum verurteilen die, die sich empört zeigen über die Todesurteile gegen drei terroristische Entführer einer Fähre, in diesem Saal nicht die Anwendung der Todesstrafe in den USA, selbst gegen Minderjährige und geistig Kranke?“

Die Annahme der Resolution findet in einem Klima der wachsenden Feindschaft der Administration George W. Bush gegenüber Kuba und nach einer Serie schneller, ernster und polemischer Mittel, die seitens der kubanischen Regierung unter dem Vorsitz von Fidel Castro angewendet wurden, um die internen Dissidenten zu bekämpfen, statt. Mitte März verhafteten die Behörden mehr als 70 Personen, denen sie vorwarfen, „Agenten der nordamerikanischen Subversion auf Kuba, die für die Blockade und das Helms-Burton-Gesetz arbeiten“ zu sein, die „größere Geldmengen von der Regierung der USA erhalten und Befehle von Diplomaten und Agenten des nordamerikanischen Geheimdienstes befolgen“. Nach ihrem Prozess wurden die Dissidenten zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Danach kam es zu drei gewalttätigen Vorfällen. Zwischen dem 19. März und dem 10. April wurden zwei kubanische Flugzeuge in die USA entführt. Auch eine Fähre, mit Dutzenden Passagieren wurde von einer Gruppe entführt, die versuchte damit nach Miami überzusetzen. Nachdem sie überwältigt wurden, wurden drei von Ihnen nach einem Gruppenprozess, am Morgen des 11. April erschossen.

Im Einzelnen wählten die in der UN-Menschenrechtskommission vertretenen Länder wie folgt zur Resolution L2 gegen Kuba:

Dafür: Armenien, Australien, Belgien, Chile, Costa Rica, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Guatemala, Irland, Japan, Kamerun, Kanada, Kroatien, Mexiko, Österreich, Paraguay, Peru, Polen, Schweden, Sierra Leona, Südkorea, Uruguay und USA.

Dagegen: Algerien, Bahrain, Burkina Faso, China, Demokratische Republik Kongo, Gabun, Indien, Kuba, Libyen, Malaysia, Pakistan, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Sudan, Syrien, Ukraine, Venezuela, Vietnam und Zimbabwe.

Enthaltungen: Argentinien, Brasilien, Kenia, Senegal, Sri Lanka, Swaziland, Thailand, Togo und Uganda.

Fidels Krieg ohne Ende

Emir Sader*

(Rio de Janeiro, 15. April 2003, alai).- Durch ihre Reaktion auf die Provokationen des US-Wirtschaftsbeauftragten in Kuba zeigte die kubanische Regierung, dass sie die neue US-amerikanische Sicherheitsdoktrin und deren Anwendung im Irak gründlich studiert hatte. Sie leistete diesen Umständen direkt Folge, indem sie schnell und besonders streng gegen Dissidenten im eigenen Lande vorging.

Damit sendet Fidel Castro eine Botschaft zurück an Washington: sollten die USA gedenken, gegen Kuba vorzugehen wie gegen den Irak und wie sie es auch Syrien androhen, werden sie im Lande keine Helfer ähnlich den Kurden oder der Nordallianz in Afghanistan vorfinden. Vielmehr würden die Amerikaner in Kuba ein zweites Vietnam vorfinden. Eine Situation vergleichbar mit der in den Ländern des Mittleren Ostens werde es nicht geben. Weniger Dreistigkeit wie die Saddams und ein stärkeres Handeln wäre die Antwort Kubas.

Vor nur wenigen Jahren hat die kubanische Regierung ebenso schnell und brutal reagiert, als ein Flugzeug versuchte, auf Kuba zu landen und Flugblätter mit oppositionellem Inhalt zu verteilen. Zuvor hatte Havanna die Botschaft überbracht, dass diejenigen, die versuchen sollten die Regierung Kubas zu destabilisieren, nicht in den Gefängnissen bleiben und Mittelpunkt internationaler Kampagnen gegen Kuba werden würden, noch könnten sie die Illusion über einen Sturz der Regierung – vergleichbar mit Osteuropa- nähren. Diese Personen würden aus dem Gefängnis entlassen werden, um so die postrevolutionäre Politik darzustellen.

Als sich die Krise der ehemaligen UdSSR abzuzeichnen begann, erkannte Kuba, dass es nicht mehr auf sowjetischen Schutz gegen die größte Kriegsmacht in der Geschichte der Menschheit, die nur 90 Meilen vor ihrer Küste liegt, zählen konnte. Daher nahm die Regierung damals die Position ein, die sie bis um heutigen Tage beibehalten hat. So etwa im Fall von Prozessen gegen Militärs, die der Beihilfe am Drogenhandel beschuldigt werden. Diese führten unter anderem zur Hinrichtung von Arnaldo Ochoa.

Die Reaktion des Schriftstellers Jose Saramago lässt dieses Vorgehen der kubanischen Regierung als etwas Neues erscheinen. Man kann über das Vorgehen natürlich diskutieren und es verurteilen, aber sicher nicht sagen, dass es sich dabei um eine neue Strategie handelt, die eine Veränderung in der Haltung gegenüber Kuba rechtfertigen würde. In dieser Hinsicht ist die Regierung Kubas mit Sicherheit immer schon kohärent gewesen.

Fidel ist der kubanische Part des Kriegs ohne Ende. Kuba weiß, dass es eine Hauptrolle im Drehbuch der US-Regierung einnimmt. Neben Vietnam ist es das einzige Land, das den USA eine Niederlage zufügen konnte und es ist Washington weiterhin ein Dorn im Auge. Schließlich sind schon zehn neue Präsidenten ins Weiße Haus eingezogen seit das Ende der kubanischen Regierung zum ersten Mal verkündet wurde. Daher ist sich die Regierung Kubas bewusst, dass noch jemand in der Achse des Bösen von Präsident Bush fehlt und genau dagegen sieht sie sich vor – mit den Mitteln, die ihr am besten erscheinen.

*Emir Sader ist Philosophie- und Politikwissenschaftler aus Brasilien und Mitorganisator des Weltsozialforums in Porto Alegre

Kuba schmerzt

Von Eduardo Galeano*

(Montevideo, 20. April 2003, comcosur).- Die Festnahmen und die Erschießungen in Kuba sind sehr gute Nachrichten für die universelle Supermacht, die verrückt danach ist, sich zu rächen. Im Gegensatz dazu sind es für sehr schlechte Nachrichten, ja traurige Nachrichten, die sehr schmerzen – für uns, die wir den Mut dieses sehr kleinen Landes bewundern und an dessen Größe glauben. Aber wir glauben auch, dass die Freiheit und die Gerechtigkeit gemeinsam kommen oder nicht kommen.

Eine Zeit der sehr schlechten Nachrichten: als hätten wir nicht schon genug mit der hinterlistigen Straflosigleit der Schlächterei im Irak zu tun, da begeht die kubanische Regierung diese Taten, als würde Don Carlos Quijano sagen: „bekämpft die Hoffnung“.

Rosa Luxemburg, die ihr Leben der sozialistischen Revolution gewidmet hat, unterschied sich von Lenin durch das Projekt der neuen Gesellschaft. Sie schrieb prophetische Worte darüber, was sie nicht wollte. Vor 85 Jahren wurde sie in Deutschland getötet, aber sie hat noch immer Recht: „die Freiheit nur für die Befürworter der Regierung, nur für die Parteimitglieder, wie viele sie auch immer sein mögen, ist keine Freiheit. Die Freiheit ist immer Freiheit für diejenigen, die anders denken“. Und auch: „ohne allgemeine Wahlen, ohne Pressefreiheit und uneingeschränkte Versammlungsfreiheit sowie ohne freien Meinungskampf vegetiert das Leben und verlässt alle öffentlichen Institutionen, bis die Bürokratie als einziges aktives Element übrig bleibt“.

Das 20. Jahrhundert und das, was im 21.Jahrhundert schon gelaufen ist, zeigen klar die doppelte Falschheit des Sozialismus: das Ende der Sozialdemokratie, das in der letzten Zeit von Seargent Tony Blair auf die Spitze getrieben wurde und das Desaster der kommunistischen Länder, die sich in Polizeistaaten verwandelt hatten. Viele dieser Staaten sind zusammen gebrochen, weder mit Schmerz noch mit Freude, und ihre recycelten Bürokraten dienen mit pathetischem Enthusiasmus dem neuen Herren.

Die kubanische Revolution wurde geboren, um anders zu sein. Einer ständigen imperialen Verfolgung ausgesetzt, überlebte sie, wie sie konnte, nicht wie sie wollte. Vieles opferte dieses tapfere und großmütige Volk, um in einer Welt voll von Verbückungen auf den Beinen zu bleiben. Aber auf dem harten Weg, den es in vielen Jahren durchgemacht hat, verlor die Revolution nach und nach den Wind der Spontaneität und die Frische, die sie am Anfang vorantrieb. Ich sage das unter Schmerzen. Kuba schmerzt.

Kein schlechte Gewissheit verwirrt meine Zunge, um zu wiederholen, was ich schon auf der Insel und außerhalb gesagt habe: Ich glaube nicht und habe niemals an die Demokratie einer Einheitspartei geglaubt (auch nicht in den Vereinigten Staaten, wo es eine Einheitspartei, maskiert als zwei Parteien, gibt), noch glaube ich, dass ein allmächtiger Staat die Antwort auf die Allmacht des Marktes sein könnte.

Die langen Haftstrafen sind, so glaube ich, Eigentore. Sie verwandeln einige Gruppen in Märtyrer der Meinungsfreiheit, die offen vom Hause James Cason, dem Repräsentanten von Bush in Havanna, aus agierten. Die freiheitsliebende Leidenschaft von Cason ist soweit gekommen, dass er selbst die Jugendgruppe der Liberalen Kubanischen Partei gründete, natürlich mit all der Schwäche und Ehrbarkeit, die auch seinen Chef charakterisieren.

Die kubanischen Behörden agierten, als wären diese Gruppen eine akute Bedrohung. Damit wurden sie eigentlich geehrt und man schenkte ihnen das Ansehen, das die Worte bekommen, wenn sie verboten werden.

Diese „demokratische Opposition“ hat nichts mit den ursprünglichen Erwartungen der aufrichtigen Kubaner zu tun. Wenn die Revolution ihnen nicht den Gefallen getan hätte, sie zu unterdrücken, und wenn in Kuba Presse- und Meinungsfreiheit geherrscht hätten, hätte sich diese angebliche Abtrünnigkeit selbst disqualifiziert. Sie hätte die Zurechtweisung erhalten, die sie verdient: die Zurechtweisung der Einsamkeit für ihre notorische Nostalgie der kolonialen Zeiten in einem Land, dass den Weg der nationalen Würde gewählt hat.

Die USA, die unermüdlich Diktaturen in der Welt erzeugt, haben keine moralische Autorität dafür, irgendwem Lektionen in Demokratie zu erteilen. Ja, Präsident Bush könnte Lektionen über die Todesstrafe geben, die er als Gouverneur in Texas mit 152 Exekutionen als Champion der Staatskriminalität für sich reklamieren kann.

Aber die wirklichen Revolutionen, die, die von unten und innen entstehen, wie es die kubanische Revolution eine war, müssen diese die schlechten Angewohnheiten des Feindes übernehmen, den sie bekämpfen? Für die Todesstrafe gibt es keine Rechtfertigung, ganz egal wo sie angewandt.

Wird Kuba für Präsident Bush die nächste Beite der Jagd nach Ländern sein? Sein Bruder Jeb, Gouverneur des Staates Florida, hat derartiges angekündift, als er sagte: „Jetzt müssen wir uns in der Nachbarschaft umschauen“, während die Exilkubanerin Zoe Valdés im spanischen Fernsehen laut bat, „dem Diktator Bomben zu schicken“. Der Verteidigungs- oder besser gesagt Angriffsminister Donald Rumsfeld erklärte: „Im Moment nicht“.

Es scheint so, als ob die Gefährlichkeits- und Schuldmesser, mit denen die Maschinen mit ihrem universellen Blankoscheck Opfer auswählen, sich eher auf Syrien richten. Wer weiß schon. Wie Rumsfeld sagt: „Jetzt“.

Ich glaube an das unantastbare Recht der Selbstbestimmung der Völker, an jedem Ort und zu jeder Zeit. Ich kann das sagen, ohne, dass auch nur eine Fliege meinem Gewissen etwas zuleide tut, weil ich es auch jederzeit öffentlich gesagt habe, jedes Mal, wenn dieses Recht im Namen des Sozialismus mit Applaus großer Teile der Linken verletzt wurde. So zum Beispiel, als 1968 die sowjetischen Panzer in Prag einfuhren oder als Ende 1979 sowjetischen Truppen in Afghanistan einmarschierten.

In Kuba sind die Zeichen der Dekadenz eines zentralistischen Machtmodells sichtbar. Ein Modell, das fälschlicherweise den Gehorsam gegenüber Befehlen von oben zum revolutionären Verdienst gemacht hat.

Die Blockade und tausend andere Formen der Aggression blockieren die Entwicklung einer kubanischen Demokratie, nähren die Militarisierung der Macht und liefern Alibis für die rigide Bürokratie. Die Tatsachen zeigen, dass es heute schwieriger denn je ist, eine Gesellschaft zu öffnen, die sich aus der Notwendigkeit heraus, sich zu verteidigen, immer mehr verschlossen hat. Aber diese Tatsachen zeigen auch, dass die demokratische Öffnung unumgänglich ist. Mehr als je zuvor. Die Revolution, die fähig war, das Wüten von zehn amerikanische Präsidenten und 20 CIA-Direktoren zu überleben, braucht diese Energie, die Energie der Beteiligung und der Vielfalt, um den harten Zeiten, die kommen, die Stirn zu bieten.

Die Kubaner, und nur die Kubaner, müssen die neuen demokratischen Räume schaffen, damit niemand kommt und sich von außen einmischt. Und sie müssen die Freiheiten, die fehlen, erobern. Sie müssen sie innerhalb der Revolution erobern, die sie von ihrem Innersten heraus verwirklichten und die die Solidarischste ist, die ich kenne.

* Eduardo Galeano ist uruguayischer Schriftsteller und Journalist

ARGENTINIEN

Menem neuer alter Präsident?

Von Angela Isphording und Walter Isaía

(Buenos Aires, April 2003, npl-poonal).- Das Sprichwort „wer hoch fliegt fällt tief“ scheint Argentinien auf den Leib geschnitten. Das einstige Lieblingskind internationaler Finanzinstitutionen und privater Anleger ist heute ein bankrotter Staat ohne realistische Lösungskonzepte. In der einstigen Kornkammer Südamerikas verhungern Kinder, jeder vierte ist ohne Arbeit und 60 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut. Kein isoliertes Schicksal im Reigen der neoliberalen Weltwirtschaft, wo der Abstieg vom Schwellen- zum Entwicklungsland oft vorprogrammiert ist. Auf dem lateinamerikanischen Kontinent gingen in den letzten zehn Jahren bereits Mexiko und Brasilien in die Knie, doch niemand fiel bislang so tief wie Argentinien.

In dieser verworrenen Lage wählten die Argentinier am vergangenen Sonntag einen neuen Präsidenten. Doch obwohl auch in den letzten Monaten das „que se vayan todos!“ – „alle sollen abhauen“ unter argentinischen Linken weiterhin zirkulierte, entschieden sich viele Argentinier und Argentinierinnen für die alten Mächte: Ex-Präsident Carlos Menem, der erheblich zum Zusammenbruch des Staates beigetragen hatte erhielt mit 24,34 Prozent die meisten Stimmen. Der ebenfalls aus dem peronistische Lager kommende Néstor Kirchner kam mit 21,9 Prozent auf den zweiten Platz. Ihm folgten der Wirtschaftsliberale López Murphy (16,35 Prozent), die Mitte-Links-Kandidatin Elisa Carrió (14,15 Prozent) und der Peronist Adolfo Rodríguez Saá (14,12 Prozent).

Nun werden sich im zweiten Wahlgang Menem und Kirchner am 18. Mai um die Präsidentschaft streiten. Linke Basisorganisationen hatten zum Wahlboykott aufgerufen. Wie viele Menschen sich an dieser Verweigerungsaktion gegenüber der staatlichen Wahlpflicht beteiligten stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest.

Zuletzt wählten sie vor dreieinhalb Jahren den Sozialdemokraten Fernando De la Rúa ins höchste Staatsamt. Doch schon im Dezember des Jahres 2000 jagten sie ihn mit einem Aufstand aus dem Amt – er hatte zuvor vergeblich versucht, den Zusammenbruch der Wirtschaft mit Sparmaßnahmen und zuletzt mit der Einfrierung aller Bankkonten zu verhindern.

Als Übergangspräsident setzte das Parlament damals den Peronisten Eduardo Duhalde ein, obwohl es dessen Parteifreund Carlos Menem war, der zuvor in zwei Legislaturperioden die Ökonomie in den Ruin trieb.

Seit dem Aufstand vom 19. und 20. Dezember 2001 ist Bewegung in die argentinische Gesellschaft gekommen, die Menschen nehmen – manchmal notgedrungen – ihr Schicksal selbst in die Hand und machen Politik von unten: Arbeitslose besetzen Fabriken und gründen Produktionskooperativen, in den Asambleas Barriales, den Stadtteilorganisationen, wird nach neuen Lösungen für alte Probleme gesucht und organisierte Arbeitslose, die sogenannten „Piqueteros“, legen regelmäßig den Verkehr lahm, um Arbeitsplätze und Sozialleistungen einzufordern.

Nach Angaben der argentinischen Tageszeitung „Página 12“ stellten noch vor den Wahlen 61 Prozent der Argentinier die repräsentative Demokratie in Frage, da das parlamentarische System keine Möglichkeit zur Selbstbestimmung bietet. Eine brisante Einstellung nicht nur in Wahlzeiten. Allerdings wird in Argentinien heftig darüber gestritten, wie die Alternative zur traditionellen Politik aussehen kann: Die einen lehnen die geplanten Wahlen als Farce ab und rufen zum Wahlboykott auf. Andere meinen, eine starke soziale Bewegung allein sei nicht genug und setzen auf einen Erfolg linker Parteien bei den Wahlen.

„Für uns sind die Wahlen eine Möglichkeit, die politischen Verhältnisse zu ändern,“ sagt Marcelo Ramal, Sprecher einer Piquetero-Gruppe, die sich der linken Arbeiterpartei (Partido Obrero) angeschlossen hat. „Wenn du sagst 'nein, da mache ich nicht mit', überlässt du es der alten Politikerkaste, das politische Geschehen weiter zu bestimmen.“ Anders als Ramal ruft Jorge Ceballos, ebenfalls in der Piquetero-Bewegung aktiv, zum Wahlboykott auf: „Bei diesen Wahlen gibt es keine Alternative, da sie vom Peronismus dominiert werden.“ Ceballos, Vorsitzender der unabhängigen Piquetero-Gruppe „Barrios de Pie“, geht es in erster Linie darum, die Bevorstehende Wahl als Farce zu entlarven: Wir organisieren den Boykott, damit dem Gewinner dieser Wahlen von vornherein jegliche Legitimation entzogen wird.“

In der Tat glichen die Ereignisse hinsichtlich der Wahlen einer der in Südamerika so beliebten Seifenopern: Nach innerparteilichen Querelen bei den Peronisten bestimmte das angerufene Verfassungsgericht, dass keiner der drei Kandidaten im Namen der Peronistischen Partei ins Rennen gehen darf. Deshalb traten die drei Peronisten, der Favorit Néstor Kirchner, Ex-Präsident Carlos Menem und Außenseiter Rodriguez Saá, für Fantasie-Parteien an. Gegen sie stand Carrió und Murphy, die beide aus der abgewirtschafteten Radikalen Partei (UCR) des gestürzten Präsidenten De La Rua stammen.

Angesichts des Chaos überrascht es nicht, dass viele Argentinier vorab nicht wussten, wie sie sich am 27. April entscheiden sollten. „Für mich bedeuten Wahlen, den am wenigsten Schlechten zu wählen. Wir sind alle total abgeturnt, ich glaube, wir gehören einer enttäuschten Generation an, wir sind alle super skeptisch,“ meint die Psychologiestudentin Mariana Rodríguez.

Skepsis und Enttäuschung sind aber nicht nur der Jugend vorbehalten. Auch für die Soziologin Maristela Svampa sieht Argentiniens Zukunft eher düster aus: „Charakteristisch für Argentinien ist der schwache Staat. Er wird in der nächsten Zeit nicht fähig sein, die verschiedenen sozialen Schichten zu integrieren,“ befürchtet Svampa. Zugleich warnt die Wissenschaftlerin vor neuer Unterdrückung: „Der Staat wird versuchen, die politisch organisierte Bevölkerung zu vereinnahmen; andererseits besteht eine große Gefahr, dass mit repressiven Mitteln gegen sie vorgegangen wird.“

URUGUAY

Für Angehörige der Verschwundenen gibt es keinen „Schlussstrich“

(Montevideo, 20. April 2003, comcosur-poonal).- Die Vereinigung der Angehörigen von „Verhaftet-Verschwundenen“ kritisiert das am 16. April unterzeichnete Präsidentendekret, mit dem die Regierung einen Schlussstrich unter die Folgen der Militärdiktatur ziehen will.

Das Dekret setzt die Schlussfolgerungen der „Kommission für den Frieden“ über die während der Diktatur Verschwundenen gesetzlich um. Die Regierung betrachtet mit dem Dekret außerdem ihre Verpflichtung zur Untersuchung der Fälle der Verschwundenen als erfüllt, die sich aus dem vierten Artikel des Schlusspunkt-Gesetzes ergibt. Die Angehörigen der „Verhaftet-Verschwundenen“ zeigten sich überrascht und enttäuscht von dieser Ankündigung. Eduardo Pirotto erinnerte in der Zeitung La Republica daran, dass Präsident Batlle nie von einer „Untersuchung“ des Themas sprach.

Im Verständnis der Angehörigenorganisation zieht das Dekret keinen Schlussstrich, wie Luisa Cuesta im Radioprogramm Tiempo Presente sagte. Wenn sie auch die Arbeit der Kommission für den Frieden als „sehr wertvoll“ anerkannte, meinte sie doch, dass Präsident Jorge Batlle nicht die Verpflichtungen eingelöst habe, die er mit der Einsetzung dieser Honoratiorengruppe eingegangen sei. „Wir werden weiter kämpfen, weil wir nicht denken, dass die Wahrheit damit endgültig aufgedeckt wurde“, bekräftigte Cuesta und fügte hinzu, dass die Organisation sich beraten und weitere juristische Aktivitäten einleiten werde, damit „die Justiz entscheidet, was die Wahrheit ist“.

Nicolás Cotugno, Erzbischof von Montevideo und ehemaliges Mitglied der Kommission für den Frieden, zeigte Verständnis für die Haltung der Angehörigen der Verschwundenen und meinte, dass „das Leben keine Schlussstriche kennt“. Die Kommission hat seiner Ansicht nach alles in ihrer Reichweite Liegende getan, um die Fälle aufzuklären. Der Bischof sagte, dass „der Schlussstrich unter das Problem der Verschwunden nur von dem gezogen werden kann, der von der Schlechtigkeit der Menschen, die ihn am Kreuz töteten, zum Verschwinden gebracht wurde und doch lebend zurückkam von den Toten und in unserer Mitte gegenwärtig ist.“ „Die Herzen finden Frieden nicht dadurch, dass die sterblichen Überreste aufgefunden werden, sondern nur durch die Liebe, die vergeben kann, wie auch Christus denen vergab, die seinen Tod verursachten.“

Währenddessen beurteilten Politiker der Parteien der Blancos sowie der Colorados das Dekret positiv. Die Linke unterdessen sieht darin nach den Worten des sozialistischen Senators Reinaldo Gargano eine „Wiederaufnahme“ des Themas. Rafael Michelini, Senator für die Partei Nuevo Espacio, bezeichnete das von Präsident Jorge Batlle unterzeichnete Dekret als „wichtigen, aber nicht ausreichenden Schritt.“ Nach seinem Verständnis bleiben einige Rätsel ungelöst, besonders fehle „ein Kapitel über die Geschehnisse im Zusammenhang mit den Taten paraguayischer Paramilitärs in Argentinien und die Aufklärung der Tötungen auf dem Gebiet Uruguays während der Diktatur“.

KOLUMBIEN

Journalist eines kommunalen Radiosenders ermordet

(Montevideo, 15. April 2003 – pulsar).- Die Organisation „Journalisten gegen Korruption“ (Periodistas Frente a la Corrupción) hat wegen des Mordes an dem Radiojournalisten José Emeterio Rivas einen Aufruf veröffentlicht. Rivas war Direktor des Radioprogramms „Las fuerzas vivas“ (Die lebenden Kräfte) des Basisradios „Calor Estéreo“ in Barrancabermeja, Santander und war für seine scharfe Kritik und die Enthüllung von Korruptionsfällen bekannt. Vor Kurzem hatte Rivas öffentlich gemacht, dass der Bürgermeister der Stadt, Ardila, einen Vertrag mit einem früheren Kommandant der paramilitärischen Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) geschlossen hatte.

Ardila erklärte, er habe keinerlei Verantwortung an dem Mord an Rivas und wies den Vorwurf zurück, Verbindungen zu bewaffneten Gruppen zu haben. Schon früher wurden auf den ermordeten Journalist Attentate verübt und die Behörden hatten ihm zum Schutz eine Leibwache zuerkannt. Ohne Zweifel wäre Rivas am letzten Wochenende auf diese Sicherheit angewiesen gewesen.

Der Kommandant der Polizei von Santander, General Alberto Ruíz, lies durch die lokalen Medien wissen, dass zwischen dem 8. und 9. April weitere fünf Personen ermordet wurden, von denen drei Freunde von Rivas waren. In den letzten 14 Jahren wurden in Kolumbien 115 Journalisten ermordet. Kolumbien wird von Menschenrechtsgruppen als das für Journalisten weltweit gefährlichste Land bewertet.

Die Organisation „Journalisten gegen Korruption“ hat einen Brief an Präsident Álvaro Uribe Vélez geschickt, in dem sie ihre Empörung über die Ermordung von Rivas und ihre Ablehnung gegen Drohungen und Gewalt gegen die Anzeigenden von Korruptionsfällen äußert.

BRASILIEN

Protest im Amazonasgebiet gegen die Patentierung von cupuaçu

(Brasil, 23.April 2003, adital).- Wie kann sich nur jemand nach einer Frucht benennen? Diese Frage spiegelt das Unverständnis der traditionellen Gemeinden des Amazonas gegenüber der Handelsregistrierung der japanischen Firma Asahi Foods unter dem Namen cupuaçu wieder. Die Arbeitsgruppe Amazonien GTA erreichte die Eröffnung eines Prozesses vor japanischen Gerichten, um auf die Patentierung von cupuaçu reagieren zu können. Es geht darum, das kulturelle Erbe der Waldvölker zu verteidigen.

Organisationen, die im Amazonasgebiet arbeiten, unter ihnen GTA, Amazonlink und Greenpeace, protestierten am 19. April gegen die Handelsregistrierung des Namen cupuaçu. Diese benachteilige kleine Exportunternehmen dieser Frucht aus dem Amazonasgebiet. Das traditionelle Fest Festa do Cupuaçu, das jedes Jahr in der Stadt Presidente Figueiredo im Amazonas stattfindet, diente als Bühne für den von GTA angeführten Kampagnenstart gegen die Biopiraterie. Alle waren eingeladen die Kampagne durch ihre Unterschrift auf einem riesigen Transparent zu unterstützen, auf welchem stand: „cupuaçu gehört uns“.

„Ziel der Kampagne ist es, eine adäquate brasilianische Gesetzgebung zum Schutz des traditionellen Wissens und dem der Indigenas im Hinblick auf Rezepte und einheimische Samen zu erreichen“, erklärte Adilson Vieira, Geschäftsführer von GTA. „Wir wollen, dass Brasilien eine klare Haltung gegen die Patentierung von Leben in der Welthandelsorganisation WTO und bei den Vereinten Nationen vertritt.“

Der eröffnete Prozess in Tokio wird acht oder neun Monate dauern, gemessen an den notwendigen Verfahrenhandlungen, zur Klagebegründung. Dabei geht es um den Nachweis, dass die von der Firma Asahi Foods registrierte Marke kein Identitätsunterscheidungsmerkmal ist, wie es Marken sein müssen, sondern ein in der Indígenasprache verwandtes Wort, welches für besagte Frucht der brasilianischen Bevölkerung steht.

„Es ist kaum bekannt, dass das brasilianische Amazonasgebiet über eine ungemein große Artenvielfalt verfügt. Es ist inakzeptabel, dass unser Eigentum weiterhin ausgebeutet wird, ohne die traditionelle Bevölkerung, welche für den Bestand des Waldes sorgt, an den Gewinnen zu beteiligen“, sagte Paulo Adário, Koordinator der Amazonaskampagne von Greenpeace.

Das Netz GTA ist eine Vereinigung von 513 Gruppen der Regenwaldbevölkerung , unter ihnen Fischer, Indígenas, Kleinbauern, Umweltaktivisten, Frauen, Berater und andere). Seit 1992 verteidigen sie die Umsetzung der offiziellen Politik der gerechten und nachhaltigen Entwicklung im brasilianischen Amazonasgebiet.

ECUADOR

Indígenas und Linke kritisieren die Wirtschafts- und Sozialpolitik

Von Marcelo Larrea und Roberto Roa

(Quito, 23. April 2003, npl).- „Manchmal rede ich etwas viel, manchmal etwas zu aufbrausend,“ gab Lucio Gutiérrez freimütig zu. Dies sei nun mal seine Art, und die Kritik der Presse, ihn deswegen als „Populisten“ zu bezeichnen, sei überzogen. Insgesamt fiel die Bilanz, die Ecuadors Präsident Gutiérrez von den ersten Hundert Tagen seiner Amtszeit Anfang dieser Woche zog, positiv aber auch selbstkritisch aus. „Von allem ein bisschen, einige Fortschritte, aber auch Schwierigkeiten“, so die wenig konkreten Worte des ehemaligen Militärs, der Ende vergangenen Jahres mit Unterstützung von Basis- und Indígenabewegungen überraschend zum Staatsoberhaupt des kleinen Andenlandes gewählt worden war.

Bisher zeigt sich, dass zumindest die Befürchtungen seitens der Unternehmerschaft und der abgewählten traditionellen Parteien unbegründet waren. Sie hatten vor einer linken Allianz von Ecuador und Brasilien, über Venezuela bis hin zum kommunistischen Kuba gewarnt und prophezeit, Investoren und Weltwährungsfonds IWF würden dem Land den Rücken kehren. Doch entgegen den Ankündigungen im Wahlkampf änderte Gutiérrez kaum etwas am wirtschaftspolitischen Kurs seines Vorgängers Gustavo Noboa und lobt inzwischen explizit die Dollarisierung der ecuadorianischen Wirtschaft. Vor knapp drei Jahren hatte Noboa die Landeswährung Sucre gegen den US-Dollar eingetauscht, ein Vorhaben, das den Vorgängerpräsidenten Jamil Mahuad noch im Januar desselben Jahren das Amt kostete. Die Ironie dabei: Einer der Anführer der damaligen Massenproteste von Bauern und Indígenas gegen die Dollarisierung war just Lucio Gutiérrez. Nach dem Sturz von Mahuad gehörte Gutiérrez dem Triumvirat an, das kurzfristig die Macht im Land übernahm, weswegen er aus der Armee ausgeschlossen wurde und von seinen Gegnern gern aus Putschist bezeichnet wird.

Inzwischen sind es aber in erster Linie seine bisherigen Verbündeten, die den Präsidenten angreifen. Von allem der einflussreiche Indígena-Dachverband CONAIE und der politische Arm der Bauern- und Indígenabewegung Pachakutik werfen Gutiérrez vor, seine politische Basis zu verraten und gegen ihre sozialen Interessen zu regieren. Im Zentrum der Kritik steht die Bereitschaft des Präsidenten, mit dem IWF Verträge abzuschließen, die dem Land harte Sparprogramme auferlegen und eine Privatisierung strategischer Sektoren wie Energieversorgung und Kommunikation vorsehen. Auch bei der Teilnahme an den Verhandlungen zu der Gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA werfen Kritiker dem Präsidenten vor, sich dem Druck aus den USA zu beugen. Ein Indiz hierfür sei auch seine Weigerung, Ecuadors Wiedereintritt in die OPEC zu beantragen.

Derzeit wird innerhalb der CONAIE diskutiert, wie mit dem Dilemma umgegangen werden soll. Denn zweifelsohne wäre Gutiérrez' Wahlsieg ohne ihre Unterstützung nicht zustande gekommen, während die verarmten Indígenas, die die Bevölkerungsmehrheit in dem südamerikanischen Land stellen, zugleich die Hauptleidtragenden der Wirtschaftspolitik sind: Die Dollarwährung verteuert Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Reis und Milch. Und die verordnete Benzinpreiserhöhung trifft besonders die Menschen, die auf dem Land leben. Während also der Lebensstandard immer weiter absinkt und das Land in diesem Jahr auf ein Rekorddefizit zusteuert, konzentriert sich der Präsident vor allem auf die Rückzahlung der Auslandsschulden, so der Tenor der Kritiker.

Noch ist die Mehrheit der Repräsentanten der Indígena-Bewegung dagegen, ihrem Präsidenten die Unterstützung zu entziehen. Sie hoffen darauf, dass ihre Kritik Eingang ins Regierungsprogramm findet, sobald sich die Gutiérrez-Regierung – die nicht über eine Parlamentsmehrheit verfügt- weiter konsolidiert hat. Andere haben diese Hoffnung aufgegeben und fordert eine Distanzierung von der Regierung. Sonst, so ihr Argument, würde auch die breite Bauern- und Indígenabewegung an Glaubwürdigkeit verlieren. Andere gehen noch weiter: Sie reklamieren den Wahlsieg für sich und fordert den Präsidenten schlicht auf, zurückzutreten. Ein Ansinnen, das Lucio Gutiérrez, der am Freitag (25.4.) genau 100 Tage im Amt ist, kaum in Erwägung ziehen wird.

MEXIKO

Einheimischer Mais in Chiapas in Gefahr

(San Cristobál de las Casas, 22. April 2003, adital-poonal).- Conrado Márquez, Spezialist und Professor an der Autonomen Universität von Chapingo, sagte, es bestehe das Risiko, dass in Chiapas der einheimische Mais verschwinden wird. Grund dafür sei die Kreuzung mit genetisch verändertem Mais, der im ganzem Gebiet von Frailesca gesät wird. Er erklärte weiter, die ersten negativen Effekte der Verwendung von genmanipuliertem Saatgut sei das Sterben von nützlichen Insekten wie Bienen und Schmetterlingen.

In einem Interview im Rahmen des vierten Maya-Mais-Treffens erklärte der Ingenieur, dass im Gebiet von Frailesca, sowohl im Inland als auch an der Küste, genetisch veränderter Mais geerntet wurde, der den heimischen Mais verdränge. Obwohl die mexikanische Regierung es immer wieder leugne, gäbe es nur noch einige Regionen, wo der einheimische Mais angebaut wird.

Auch wenn in den Hochebenen von Chiapas keine genetischen Veränderungen am Mais vorgenommen wurden und es deshalb keinen Mais dieser Art gibt, besteht trotzdem das Risiko, dass beim Import von Maissamen aus den Vereinigten Staaten, dieser sich im restlichen Land verbreitet.

Das größte Risiko bestehe darin, dass der genetisch veränderte Samen, die Gene des einheimischen Maises beeinflusst, erklärt Márquez, und so im Laufe der Zeit der natürliche, also genetisch nicht veränderte, Mais verloren gehe.

Gleichzeitig sprach er über negativen Folgen des Anbaus von genetisch verändertem Mais. Seine toxische Wirkung vernichte nützliche Insekten wie Schmetterlinge und Bienen, gesundheitliche Schäden für Menschen seien jedoch bisher nicht wissenschaftlich nachgewiesen worden.

Allerdings ist die Gesetzgebung in einigen europäischen Ländern sowie in den USA strenger in Bezug auf die Verarbeitung genetisch veränderter Lebensmittel und schreibt eine Kennzeichnung der entsprechenden Produkte vor, so dass der Verbraucher selbst entscheiden kann. Diese Kennzeichnung gibt es in Mexiko nicht.

„Man schätzt, dass von den sechs Millionen Tonnen Mais, die aus den Vereinigten Staaten importiert werden, 30 Prozent genetisch verändert sind. Allerdings weiß niemand genau, in welchen Produkten dieser Mais verwendet wird, vermutlich in Tortillas und Tierfutter“, sagte Márquez.

In diesem Zusammenhang kritisierte er, dass die mexikanische Regierung diese Importe nicht streng kontrollieren würde, sondern den nordamerikanischen Firmen die komplette Freiheit lasse.

Er ergänzte noch, dass Mexiko das einzige Land sei, in welchem es 41 Maissorten und 300 Varianten gäbe. Er machte seinen Zuhörern klar, dass es in Chiapas 17 dieser Varianten gäbe, weshalb der Jahrtausend alte Samen ein Erbe sei, welches man erhalten und schützen müsse.

HAITI

Sieg des Voudu

(Lima, 23.April 2003, na-poonal).- Der Voudu wird in Haiti bald als offizielle Religion anerkannt werden, wenn dem entsprechenden Gesetzesentwurf statt gegeben wird. Eine Präsidialverordnung vom 4. April besagt, dass alle Oberhäupter und Würdenträger*innen der Tempel, heiliger Orte und damit verbundenen Organisationen beim Ministerium für Kultur und religiöse Angelegenheiten ihre Anerkennung beantragen können.

Voudu-Priester wie Evrony Auguste begrüßten diesen Beschluss und sagten, dass damit 500 Jahre der Ausgrenzung und Diskriminierung beendet würden. Der Regierungserlass erkennt Voudu als überliefertes Kulturerbe und wesentliches Element der nationalen Identität an. „Das sind gute Nachrichten für die Voudu Anhänger*innen, die über Jahrhunderte diskriminiert worden sind“, sagt Auguste.

Viele Haitianer*innen praktizieren den Voudu, obwohl sie offiziell als Christen registriert sind. Den bekennenden Voudu-Anhänger*innen in Haiti wird jedoch die Taufe, die erste Kommunion, die kirchliche Heirat sowohl das christliche Begräbnis verweigert. Auch ihre Kinder dürfen keine christlichen Schulen besuchen.

LATEINAMERIKA

Gegen die Diskriminierung von Basisradios

(Washington, 15. April 2003, ecupress).- Ein „Spezialbericht der freien Meinungsäußerung“ der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte besagt, dass „es unzulässig ist, einen juristischen Rahmen zu schaffen, der diskriminierend ist und die Zuteilung von Frequenzen an Lokalradios behindert“. Der besagte Bericht, der Teil des Jahresberichtes der Kommission ist, enthält zum ersten Mal ein Kapitel mit dem Titel „Die Ausübung der freien Meinungsäußerung durch lokale Medien“. In diesem Kapitel wird gegenüber den Staaten die Empfehlung ausgesprochen, in ihrer Funktion als Verwalter von Radiostationen, Frequenzen gemäß demokratischen Prinzipien zu verteilen, die die Chancengleichheit aller Individuen zum Zugang zu diesen garantiert“.

In dem Bericht steht, dass „die Radios meistens sogenannte lokale, erzieherische, partizipative, ländliche, aufständische, interaktive, alternative und Bürgerradios sind, und – falls sie sich im juristisch zulässigen Rahmen bewegen – den Raum füllen, der von den Massenmedien vernachlässigt wird. Sie richten sich als Medien ein, die die Meinungsäußerung von jenen armen Bevölkerungsschichten kanalisiert, die in der Regel zu den traditionellen Medien keinen Zugang haben. Hier haben sie die besten Möglichkeiten sich zu beteiligen.“

Aufgrund ihrer wichtigen Rolle als „Kanal der freien Meinungsäußerung“ und „der wachsenden Notwendigkeit der Meinungsäußerung der Minderheiten und Mehrheiten ohne Zugang zu Kommunikationsmedien und ihrer Forderung nach einem Recht auf Kommunikation, freier Äußerung von Ideen und Informationsverbreitung, ist es unbedingt notwendig, Güter und Dienste zu suchen, die ihnen Grundbedingungen von Würde, Sicherheit, Unterhalt und Entwicklungsmöglichkeiten sichert“.

Die Einbeziehung der Basisradios in den Bericht ist das Ergebnis der tatkräftigen Arbeit der lateinamerikanischen Radioverbände ALER und AMARC, die von Néstor Busso und Gustavo Gómez auf einer Präsentation vertreten wurde. Diese fand im Oktober letzten Jahres vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte in Washington statt.

Diese Konzepte repräsentieren eine Übereinstimmung mit der Erklärung zu den Prinzipien der freien Meinungsäußerung der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte und den Beratenden Gremien des Interamerikanischen Gerichts wie der OC/85, die den Zugang zu den Radiofrequenzen als unabdingbaren Teil der freien Meinungsäußerung ansehen. Demnach ist jede Form von Missbrauch oder illegaler Einschränkung für Inhaber von Lizenzen gleichzeitig ein Missbrauch oder eine Einschränkung der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung.

Multinationaler Konzern bedroht regionale Landwirtschaft

(San José, 23. April sem).- Laut Aussagen von sozialen Organisationen zerstört der multinationale Konzern Monsanto die Grundlagen agrarischer Produktion in mehreren Ländern Lateinamerikas. Beim zweiten regionalen Treffen für die Souveränität und Integration der Völker, gegen ALCA, die Auslandsverschuldung und den Krieg, das vom 10 bis zum 13 April in Buenos Aires stattfand, stellte die argentinische Bauernorganisation Santiago del Estero (MOCASE) fest, dass Monsanto versuche, eine Landwirtschaft ohne Landwirte durchzusetzen. Auf dem Treffen verteiltem Informationsmaterial ist zu entnehmen, dass die Tätigkeiten Monsantos ein Vorgeschmack darauf sind, was die von den USA vorangetriebene gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA für die Region bedeuten würde.

Der „systematische und hinterhältige Plan“ des Konzerns, der ganz Lateinamerika umfasst, „zerstört die Autonomie der Nahrungsproduzenten des Mercosur und des Andenpaktes“, warnte MOCASE. Abgesehen davon, dass Monsanto durch die Verbreitung genmanipulierter Samen die ökonomische Anhängigkeit von Landwirten verstärkt, vergibt sie finanzielle Hilfen für den extensiven Anbau von Soja an die Bauern und macht mit ihnen Verträge über die Verpfändung ihres Landes durch Hypotheken. Wenn der Landwirt einen Kredit nicht in Höhe des Dollarwertes zurückzahlen könne, beschlagnahme die Firma seine Ländereien, denn die Verträge sähen keine Zahlungen in Sachwerten wie zum Beispiel Maschinen vor, so MOCASE weiter.

Allein in Argentinien seien 110.000 Familien durch dieses biotechnologische Monopol verschuldet und 170.000 seien „pleite und laufen Gefahr, völlig mittellos zu werden, weil sie die Kredite nicht zahlen konnten“. Obwohl viele Dollarschulden nach der Aufhebung der Peso-Dollar-Bindung in Argentinien in Pesos umgewandelt wurden, behalten die von Monsanto vergebenen Kredite ihre Dollarbindung. Paul O´Neil, ehemaliger US-Finanzminister hatte sich bei dem argentinischen Prsidenten Duhalde dafür eingesetzt.

„Durch das Abkommen werden immer mehr kleine und mittelgroße Landwirtschaftbetriebe in die Hände eines der mächtigsten multinationalen Konzerne des Planeten fallen.“, so MOCASE. Dies führe zu einer Landflucht unter den Bauern. Das einzige Land, das sich bisher gegen diese Invasion wehren konnte, sei Brasilien. Der Druck von Organisationen wie der MST und die Unterstützung der Arbeiterpartei PT haben dazu geführt, dass Monsanto sich gleich aus dem Land zurückgezogen hat.

 

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