(San Pedro Sula, 5. Mai 2022, npla).- Ende November vergangenen Jahres wählte Honduras einen Epochenwechsel. Nach zwölf Jahren verlor die skandalumwitterte Nationalpartei die Macht, mit üppigen 20 Prozentpunkten Vorsprung gewann Xiomara Castro die Präsidentschaftswahlen – als erste Frau und erste Linke. Vor hundert Tagen, am 27. Januar 2022 wurde „Xiomara“ ins Amt eingeführt. Sie steht vor riesigen Herausforderungen: Fast drei Viertel der Bevölkerung lebt in Armut, die Menschen leiden unter Bandengewalt, staatliche Einrichtungen wie Schulen und das Gesundheitswesen standen vor dem Zusammenbruch. Vor allem erwarten die Menschen von ihr, Honduras von der grassierenden Korruption und der Macht der Drogenkartelle zu befreien. Eine Hoffnung hat sich bereits erfüllt: Am 21. April wurde Juan Orlando Hernández, ihr skandalumwitterten Vorgänger, in die USA ausgeliefert.
Der Jubel war groß im nationalen Fußballstadium der Hauptstadt Tegucigalpa, als Xiomara Ende Januar als erste Frau und erste Linke zur honduranischen Präsidentin ernannt wurde. Ihre Antrittsrede war zugleich Abrechnung, Bestandsaufnahme und Präsentation ihres Regierungsprogramms. Ein Programm, das, wenn es so umgesetzt wird, Honduras von Grund auf verändern wird: Sie werde mit all ihrer Kraft dafür eintreten, die Wunden zu schließen und die Bedingungen zu schaffen, damit unsere Kinder gut heranwachsen und in einem Land frei von Gewalt leben können. „Zählt auf mich!“ sagte sie vor jubelnden Anhänger*innen.
Tiefer Fall von Ex-Präsident Hernández
Es war nicht nur ein normaler, demokratischer Machtwechsel, der sich da in Honduras vollzogen hat. Der epische Fall von Castros Amtsvorgänger, Juan Orlando Hernández, symbolisiert viel von dem, was in Honduras im Argen liegt – und vor welchen Herausforderungen die neue Präsidentin steht: Nur einen Monat nach dem Ende seiner Präsidentschaft wurde Hernández auf Ersuchen der USA verhaftet. Nach US-Ermittlungsakten soll Juan Orlando Hernández schon ein ganz großer Fisch im Drogenhandel gewesen sein, als er 2010 Parlamentspräsident wurde. Da die damalige Mehrheit der Kongressabgeordneten ebenfalls in illegale Geschäfte verwickelt gewesen sei, sei es für Hernández ein Leichtes gewesen, ein Netzwerk aus Abhängigkeiten zu spinnen, um sukzessive den gesamten Staat unter seine Kontrolle zu bringen.
Ein neuer Begriff war geboren: die Narcodiktatur. Für Iolany Pérez, Journalistin beim jesuitischen Radio Progreso, ist die Niederlage der Nationalpartei die Folge eines zwölfjährigen Kampfes der Zivilgesellschaft gegen diese Narcodiktatur. Die Auslieferung von Juan Orlando Hernández sei für die Menschen Anlass zu Freude und Hoffnung. Das zeige, dass es Gerechtigkeit gibt: „Sehr spät zwar und im konkreten Fall aus den USA, aber sie kommt! Immerhin wird der Verantwortliche für Morde, Repression und Leiden seiner gerechten Strafe zugeführt“, sagt Pérez. Sie habe einen Staat am Rande des Bankrotts übernommen, sagte die neue Präsidentin gleich zu Beginn ihrer Antrittsrede. Die Vorgängerregierung habe systematisch den honduranischen Staat ausgeplündert. Dennoch will und muss sie etwas tun, vor allem für die Armen. Es brodelt in Honduras Armenvierteln, gerade nach der Corona-Pandemie.
In Honduras‘ Armenvierteln brodelt es
Miriam Sierra lebt seit über zwanzig Jahren im Bordo La Esperanza. Los Bordos, so heißen die Armenviertel von San Pedro Sula. Unasphaltierte Straßen mit tiefen Löchern, die sich in der Regenzeit in Matschpisten verwandeln. In den Flussbetten liegen Tonnen von Müll. In den aus Paletten und Wellblech zusammengeschusterten Hütten drängen sich auf engem Raum oft ein Dutzend Menschen. Über 70 Prozent der Honduraner*innen leben unterhalb der Armutsgrenze. Die Situation habe sich in den letzten zwölf Jahren, also in der Zeit der Narcodiktatur unter dem nun verhafteten und ausgelieferten Juán Orlando Hernandez, drastisch verschlechtert: „Die letzte Regierung war unsäglich. Wir kämpfen hier ums Überleben und die stopfen sich die Taschen voll. Um uns kümmern die sich nicht.“
Miriam Sierra ist so etwas wie eine autodidaktische Sozialarbeiterin, versucht mit anderen, die Jugendlichen des Bordos in der Schule zu halten – und von den Maras fernzuhalten. Nicht immer sei das einfach. Viele Mädchen würden schon mit zwölf schwanger, viele Jungen hätten schon früher Drogenerfahrungen. Miriam Sierra freut sich über jeden noch so kleinen Erfolg, über jeden „geretteten“ jungen Menschen. Dass sich die Menschen gegenseitig unterstützen, bei Beerdigungen oder Flutschäden, gibt Miriam Hoffnung. Aber die Lage sei schlimm, weiß Suyapa Uclés, Projektleiterin des mennonitischen Sozialdienstes CASM, sie arbeitet seit vielen Jahren in und mit den Bordos:
„Die Verzweiflung hier ist enorm. Wenn wir von Migration reden, dann spreche ich von erzwungener Migration. Die Menschen müssen hier weg, um ihre Not zu lindern, um vor der Gewalt und Unsicherheit zu fliehen. Die Korruption ist unbeschreiblich, öffentliche Gelder für die Bordos verschwinden. Die Leute sind frustriert und fragen sich, was soll ich hier? Ich werde nie studieren können, ich finde keine gute Arbeit. Die Maras versuchen, mich zu rekrutieren und bedrohen mich. Frauen berichten von familiärer Gewalt, ohne Möglichkeit auf ein besseres Leben.“
In der Pandemie waren die Bordos zunächst quasi abgeschottet, es gab keine Busse und fast keine Arbeit mehr. Aus dem Gesundheitswesen hatte das Korruptionsnetzwerk von Hernández Abermillionen abgezweigt, die Menschen waren in der Pandemie weitgehend auf sich gestellt. Die neue Regierung hat beschlossen, den Ärmsten in Honduras unter die Arme zu greifen. Für sie soll Elektrizität kostenlos sein, der öffentliche Busverkehr subventioniert werden, in den Schulen sollen Studiengebühren wegfallen und ein kostenloses Mittagessen angeboten werden.
Für Unternehmen war Honduras in den letzten zwölf Jahren trotz dieser „Narcodiktatur“ ein attraktiver Standort – und als solchen ließ Ex-Präsident Hernández Honduras international vermarkten. Kaum Auflagen, kaum Abgaben und wenn, dann ließen sich Schwierigkeiten mit Geld aus dem Weg räumen. Ein großer Teil des Landes ist zudem konzessioniert: an Bergbaukonzerne, die Gold im umweltzerstörerischen offenen Tagebau fördern, Wasserkonzerne haben sich Konzessionen über Flüsse und Wasseradern gesichert, an Holzkonzerne wurden riesige Waldstücke übereignet.
Sonderentwicklungszonen gestoppt
Seit dem Machtwechsel liegen die Dinge anders: Einem Lieblingsprojekt der Regierung des Juan Orlando Hernández erteile Xiomara Castro gleich in ihrer Antrittsrede eine Abfuhr. Per Dekret werde sie die ZEDEs stoppen. Die ZEDEs, sogenannte Sonderentwicklungszonen, sollten internationalen Unternehmen die Ansiedlung in Honduras schmackhaft machen. Sie gehen aber weit über die in Lateinamerika verbreiteten Sonderwirtschaftszonen hinaus, in denen die Unternehmen vor allem Steuervorteile genießen. José Ramon Ávila, Chef einer Koalition von zwei Dutzend honduranischen NGOs, kämpft gegen die ZEDEs, seit das Projekt zu Beginn von Hernández erster Amtszeit publik wurde. Denn „die ZEDEs sollen kleine Staaten auf dem Hoheitsgebiet von Honduras sein. Die Unternehmen übernehmen die volle Kontrolle über das Gebiet, einschließlich der politischen, steuerrechtlichen, polizeilichen und richterlichen Kontrolle. Jede einzelne ZEDE wird also komplette interne Autonomie besitzen. Das wäre in jedem anderen Rechtsstaat undenkbar!“
Hundert Tage ist Xiomara Castro also nun im Amt. Der noch von der Hernández-Regierung beschlossene Haushalt 2022 wurde massiv aufgestockt. Die Gelder werden bevorzugt ins Gesundheitswesen, in Bildung und Armutsreduzierung, in die kleinbäuerliche Landwirtschaft und den Umwelt- und Klimaschutz gesteckt, gesonderte Programme kommen Frauen und Indigenen zu Gute. Einfach wird all das nicht: Während internationale Anleger die linke Regierung mit Argwohn betrachten und das gestiegene Budget kritisieren, sind mit dem Ukraine-Krieg die Lebenshaltungskosten deutlich angezogen, schon jetzt gibt es Proteste wegen der Preiserhöhungen im Nahverkehr.
Schwieriger Kampf für ein Ende der Narcodiktatur
Die entscheidende Herausforderung dürfte allerdings die Demontage der Narcodiktatur sein. Es ist ein System aus Korruption und Verstrickungen mit dem organisierten Verbrechen, das jeden Winkel in Honduras erreicht. Möglicherweise braucht es auch hier Hilfe von außen. Wie ab 2016, als in Honduras die MACCIH, eine Uno-Mission gegen Korruption und Straffreiheit arbeitete – mit internationalen Ermittlungsteams. 2020 schmiss Juan Orlando Hernández die MACCIH aus dem Land. Elvia Ondina Varela Ávila ist Präsidentin der Richter*innenvereinigung für Demokratie und kann sich eine Wiedereinsetzung vorstellen: „Natürlich sollten wir nicht an Dritte herantreten, um unsere Probleme zu lösen.“ Aber die Korruption sei so stark, dass es vielleicht besser sei, wieder Leute von außen zu holen. „Ich bin für eine UN-Kommission“, meint die Richterin, „ich glaube, das kann funktionieren. Wenn sie denn mit fähigen lokalen Staatsanwälten und Menschenrechtsorganisationen zusammenarbeitet.“
Programme und Gesetze gegen Korruption und Amtsmissbrauch sind auf dem Weg, federführend ist das eigens gegründete Antikorruptionsministerium. Und wegen besagter Hilfe von außen hat die neue Präsidentin bereits Ende Februar die UNO um Unterstützung gebeten. Im Kongress wird ein entsprechender, gesetzlicher Rahmen diskutiert, der einer neuen UN-Mission ein robustes Mandat garantiert und die Unabhängigkeit der zukünftigen Ermittler schützt. Und Mitte Mai soll eine UN-Vorab-Mission nach Honduras kommen, um die Situation und die Petition zu analysieren. Eine „CICIH“, wie die neue UN-Mission heißen könnte, scheint sich zu kristallisieren. Bei korrupten Funktionär*innen und Unternehmer*innen dürften die Alarmglocken schrillen.
Unterstützung von UNO und IWF
In der letzten Aprilwoche war der Internationale Währungsfonds in Honduras. Es geht um frische Kredite, vor allem für die sozialen Initiativen der Regierung. IWF-Repräsentantin Joyce Wong sagte, man sei sehr offen, Honduras in diesen komplizierten Zeiten zu helfen. Der IWF hat da durchaus einiges gut zu machen: IWF und Weltbank haben über Jahre die Narcodiktatur des Juan Orlando Hernández mit hunderten Millionen Dollar unterstützt.
Die Journalistin Iolany Pérez und Radio Progreso werden auch die neue Regierung kritisch begleiten, ihr auf die Finger schauen, sie regelmäßig an die Forderungen ihrer Wählerinnen erinnern. Einen Kritikpunkt hat sie schon. Die Rolle von Mel Zelaya, Ehemann von Xiomara Castro und somit Primer Caballero, Präsidentinnengatte. Der Ex-Präsident Mel Zelaya, der 2009 aus dem Amt geputscht wurde. Es gibt wenig Zweifel, dass er sich für den eigentlichen Machtfaktor in Honduras hält, sogar eine Kabinettssitzung hat er schon geleitet. Beobachter sehen mit Sorge, dass die Linkspartei Libre von Beginn an nur einen Vorsitzenden hatte, Mel Zelaya, und nur eine Kandidatin, Ximoara Castro. In der Fraktion spielt Mel Zelayas Bruder Carlos eine exponierte Rolle, Sohn Héctor leitete den Wahlkampf und die Übergabe der Regierungsgeschäfte. Droht hier nach der Narcodiktatur des Juan Orlando Hernández nun eine Familiendynastie der Zelaya-Castro? Wieder die alte Leier also, vom Caudillo, vom machtbesessenen, charismatischen, männlichen Führer? Nicht nur Iolany Pérez von Radio Progreso wird da weiter genau hinschauen.
Zu diesem Artikel gibt es auch einen Podcast bei Radio onda.
Das Ende der Narcodiktatur? von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Ich bin honduranerin, ich lebe seit 44 Jahre in Deutschland.
Ich war in der Zeit wo Xiomara Castro Ihrem Amt angenohmen hat, und ich habe viel Hofnung das in mein Gebutsland wieder sich normalisiert wird.
Ich wünsche mir das die Menschen in Honduras nicht mehr Ihrem leben riskieren und ein Brot für die Familien suchen müssen.
Liebe Xiomara bitte bleib bein dein Wort und Entauch nicht mehr dein Volk.