von Erika Harzer
(Berlin, 03. Juli 2009, npl).- Das bitterarme mittelamerikanische Land Honduras gehört nicht zu den Staaten, die normalerweise die Schlagzeilen der internationalen Medien füllen. Das änderte sich am 28. Juli diesen Jahres schlagartig, als frühmorgens schwer bewaffnete Maskierte in die Wohnung des gewählten Präsidenten Mel Zelaya eindrangen, um ihn kurzerhand im Pyjama außer Landes zu verschleppen. Militärs besetzten den Präsidentenpalast, patroullierten in den Strassen der Hauptstadt Tegucigalpa, kontrollierten Radio und Fernsehstationen und verkündeten die Absetzung des gewählten Präsidenten.
Die ehemalige Bananenrepublik machte wieder Schlagzeilen, extrem negative Schlagzeilen. Später war zu erfahren, dass die Militärs mit Zelayas Verschleppung im Namen des Obersten Gerichtshofes gehandelt hätten, wobei hier sich natürlich sofort die Frage stellt, auf welcher Gesetzesgrundlage? Später versuchte auch der Kongress mit einer gefälschten Rücktrittserklärung dem Putsch einen legalen Anstrich zu verleihen und ernannte Zelayas parteiinternen Gegner Micheletti als Interimspräsident bis zum Ende der laufenden Legislaturperiode. Zelaya, der zu diesem Zeitpunkt bereits in Costa Rica von der Illegitimität seiner Verschleppung sprach und seinen Willen zum Ausdruck brachte, sein Mandat gemäß der honduranischen Verfassung bis zum Ende weiter zu führen, verneinte, ein solches Rücktrittschreiben verfasst zu haben, dass zu allem Überfluss auch noch mit falschem Datum versehen war, dem 25. Juni, dem Tag, an dem bereits ein Militärputsch in Honduras befürchtet wurde. All dies klingt lächerlich, und könnte als absurdes politisches Schmierenstück abgetan werden, wenn es nicht so ernst wäre für diejenigen, die in Honduras leben, wenn es nicht gleichzeitig diesen bitterernsten Beigeschmack des Rückschritt in die bleierne Zeit der Militärmacht gerade auch in Honduras in sich beherbergen würde.
Die Putschisten und ihre Verbündeten reden von Rettung der Demokratie, die von Zelaya außer Kraft gesetzt worden wäre. Für diese „demokratische Rettungsaktion“ fahren sie also Panzer und Militärpatrouillen auf, verhängen Ausgangssperren, schalten Radio- und Fernsehstationen ab (dabei ist gerade das Radio die wichtigste Informationsquelle innerhalb des Landes), verschleppen Journalisten, Politiker, Anführer von sozialen Bewegungen, blockieren Demonstrationen gegen den Putsch, verhaften deren Teilnehmer und prügeln wild um sich. Was an diesem 28. Juni in Honduras durch die Militärs eingeläutet wurde ist nichts anderes als ein illegaler, einzig durch die Präsenz der Gewehrläufe realisierter Staatsstreich, der gerade in Honduras Erinnerungen an die bittere Zeit unter den Militärs der 1980er Jahre hochkommen lässt. Doch anders als in diesen 1980er Jahren wird er sehr deutlich von der internationalen Staatengemeinschaft einschließlich den USA verurteilt. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) gab den selbst ernannten neuen Machthabern eine Frist bis zum 3. Juli zur Wiedereinsetzung Zelayas. Wenn nicht, droht der Ausschluss des Landes aus der OAS. Die EU Außenminister verurteilten bereits am ersten Tag den Putsch und beschlossen, ihre Botschafter aus dem Land abzuziehen.
Der vermeintliche Grund zu dieser illegalen Aktion war eine für den 28. Juni geplante Umfrage, bei der Zelaya herausfinden wollte, ob die Bevölkerung damit einverstanden wäre, bei der Präsidentschaftswahl am 29.November eine zusätzliche – die vierte – Urne aufstellen zu können. Mit dieser vierten Urne sollte dann eine Abstimmung über die Einrichtung einer verfassungsgebenden Versammlung durchgeführt werden. Das Projekt zielt auf mehr Beteiligung der Zivilgesellschaft an politischen Entscheidungsprozessen ab. Untragbar für die Traditionalisten des Landes, und dazu gehören die Militärs, ein Großteil der nationalen Unternehmer und das große Spektrum der Politiker zwischen Liberaler und Nationaler Partei, die sich in trauter Eintracht die politische Macht des Landes seit Jahrzehnten teilen. Zelaya, der wahrlich kein Politiker mit linker Tradition ist und als Repräsentant der konservativen Liberalen Partei gewählt wurde, scherte aus diesen bis zu seiner Amtszeit reibungslos funktionierenden Spielregeln aus, schloß ein Abkommen mit Petrocaribe und forcierte den Beitritt seines Landes in das linke, von Venezuelas Präsidenten Hugo Chávez initiierte ALBA Bündnis (Bolivarianische Alternative für Amerika). Sein hemdsärmeliges, zum Teil auch einzig populistisches Vorgehen erschreckte dabei nicht nur seine Gegner. Er ist weit davon entfernt, ein Politiker der klaren Linie, mit wirtschafts- und finanzpolitisch greifbaren, nachvollziehbaren Konzepten zu sein, der einer Vision folgend auch sozialpolitische Maßnahmen spürbar angeschoben hätte. In einem Land wie Honduras wäre dies von einem Politiker nach einer gut dreijährigen Amtszeit wahrscheinlich auch zuviel verlangt. Doch er hat das vorhandene Monopol auf Einführung von Benzin aufgehoben, dann die vorhandenen Möglichkeiten zur Steuerflucht eingedämmt und den Mindestlohn erhöht. Und zur Überraschung aller, seiner Gegner, die ihn zu entmachten suchen und auch seiner Anhänger, die heute auf den militarisierten Strassen des Landes die Rückkehr Zelayas fordern, dafür gejagt, verprügelt, verhaftet werden, hat er in Honduras zumindest einen Paradigmenwechsel angeschoben.
Vor seiner Amtszeit sprach man in Honduras nicht über “sozialistische Konzepte. Die Politik Castros oder auch die von Chavez waren Tabuthemen“ erinnert sich Bertha Oliva, Menschenrechtlerin seit mehr als zwanzig Jahren, seit der Zeit, als ihr Mann von den Militärs verschleppt wurde und sie mit anderen Familienangehörigen die Organisation Cofadeh – das Komitee der Familienangehörigen von verschwundenen Honduranern gründete. Vor Zelayas Amtsübernahme hätte sie sich nie träumen lassen, dass ihr Land dem ALBA Bündnis beitreten würde. Im August 2008 unterzeichnete Zelaya die Beitrittserklärung. “Uns hat dieser Beitritt überrascht. Wir konnten es kaum glauben. Uns schien es irreal, so als ob die Regierung uns auf den Arm nehmen würde. ALBA war unser Traum,“ Mit Cofadeh gehört Bertha Oliva zum Bloque Popular, einem bis dahin eher marginal agierenden linken Bündnis, das immer die Aufnahme von Honduras ins ALBA Bündnis gefordert hatte. Und so sah Bertha Oliva darin auch „einen Paradigmenwechsel in Honduras, der vor Allem für diejenigen, die bisher aufgrund ihrer politischen Macht die Gedanken und Gefühle der Bevölkerung bestimmt haben, einen Einschnitt in ihrer Machtausübung bedeutet.“
Mehr noch, Zelaya fährt damit eine außenpolitische Linie, mit der er Honduras neu zu orten sucht, eine längst fällige politische Positionierung innerhalb der zentralamerikanischen Region, so Zelayas Berater Milton Jimenéz, denn „Honduras spielte in der Vergangenheit eine unheilvolle Rolle. Von hier wurden die Nachbarländer bedroht. Hier installierten sich die US-amerikanischen Truppen, ebenso wie das salvadorianische und guatemaltekische Heer oder die gegen Nicaragua kämpfenden Contragruppen, um in die Bürgerkriege oder die Konflikte, die in der Region stattfanden, einzugreifen. Unserem Land brachte dies einen großen Prestigeverlust.“
Mit ALBA und Petrocaribe-Dollars sollten auch innenpolitisch neue Impulse und soziale Projekte angeschoben werden, so der Plan und so verkünden es aufwendig erstellte Werbespots der Regierung. Projekte, die das Land bitter nötig hat und die von keiner der vergangenen Regierungen in Angriff genommen worden sind. Zwei Drittel der Gesamtbevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze, über 40 Prozent davon gelten als extrem arm. Demgegenüber protzen die Reichen mit ihren Palästen unweit der Armenviertel, mit ihren Strandvillen und Jachten und Privatjets. Ihre Kinder, deren Taschengeld das Jahreseinkommen eines Großteils der Bevölkerung übersteigt, lassen sie von den Privatschulen von ihren Chauffeuren mit Hummern oder Porsches abholen. Diese Kluft, die sich zwischen arm und reich auftut, trägt in Honduras deutlich das Etikett schamlos und ist selbst für den lateinamerikanischen Kontinent extrem groß. Ein Produkt der im Land herrschenden Einkommensverteilung, der vorherrschenden Korruption innerhalb der politischen und wirtschaftlichen Elite, die sich wie ein roter Faden durch alle Regierungen zieht, sowie der fehlenden arbeitsplatzgenerierenden Wirtschaftskonzepte. Über 1 Mio. Honduraner haben das Land verlassen, um in El Salvador, Mexiko, den USA, Kanada oder Europa Arbeit zu suchen. Deren Remesas, wie die Geldtransfers der Arbeitsmigranten ins Heimatland benannt werden, betrugen im Jahr 2007 über 2,5 Milliarden Dollar. Dazu kommt eine poröse, unzureichende Bildungspolitik, durch die noch immer annähernd 20 Prozent Analphabeten im Land gezählt werden.
Mit Unterstützung des Petrocaribe Abkommens, das Zelaya bereits vor dem ALBA Beitritt unterzeichnete, wurde in Honduras eine Alphabetisierungskampagne angeschoben. Kubanische Lehrer unterstützen dieses Projekt. Eduardo Facusse ist ehemaliger Vorsitzender des Unternehmerverbands und Eigentümer von textilverarbeitenden Maquilas – wie die großen Produktionshallen in zollfreien Freihandelszonen genannt werden, in denen die Arbeitsverträge den Arbeiterinnen wenig Rechte, dafür aber eine äußerst schlechte Bezahlung zugestehen. Er begrüßt diese Alphabetisierungskampagne als eine sinnvolle Maßnahme, befürchtet aber gleichzeitig die „darin einfließende Indoktrination der honduranischen Kinder durch kubanische Lehrer“. Und er drückt aus, was die unternehmerische Elite unter Zelaya befürchtet, nämlich dass dieser sich erlaubt „Maßnahmen durchzuführen, die nicht mit dem freien Unternehmertum vereinbar sind, wie die Verstaatlichung der Betriebe.“ Für ihn ist ALBA z.B. eine „in gewissen Aspekten ideologische, drittweltmässige Übereinkunft, die Konstellationen schafft, die als solche nicht notwendigerweise von demokratischen Regierungen gesucht werden“.
Und so war Zelaya recht schnell mit seiner Politik, die vielfach populistisch, oft auch recht simpel von ihm vertreten wurde, innerhalb des Kreises der eigentlich Mächtigen im Land, dem Bündnis aus Unternehmern, Militär und konservativer Politik, isoliert. Die dann folgenden Debatten und auch viele seiner politischen Handlungen bekamen mehr den Anschein von machtpolitischer Auseinandersetzung und Positionierung gegen die bisherige politische Tradition im Land, als der proklamierten notwendigen Korrektur der politischen Programme. Und gerade diese sind dringend notwendig in Honduras, diesem kleinen mittelamerikanischen Land, das schon vor dem Putsch an seinem gewalttätigen Alltag zu ersticken droht. Ein Land in dem neben paramilitärischen Gruppen und Maras – wie bewaffnete Jugendbanden genannt werden -, auch selbst ernannte soziale Säuberungskomitees, beauftragte Killertruppen, Drogenclans und gewöhnliche Alltagskriminelle die Luft so dermassen mit Blei anreichern, dass die Angst, zum falschen Moment am falschen Ort zu sein, heute so ziemlich alle begleitet. Alle zwei Stunden wird in Honduras ein Mensch umgebracht. All diese Probleme des Landes erfordern dringlich eine politische Neuorientierung, erfordern Konzepte, die an den Ursachen ansetzen. Die Verschleppung des gewählten Präsidenten und der Versuch, einen Militärputsch mit vermeintlichen demokratischen Konstrukten zu etablieren, ist ein Schlag ins Gesicht für jegliche Veränderungsbestrebungen und kann als solcher nur vollständig verurteilt werden. Die internationale Gemeinschaft scheint dies begriffen zu haben.
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