Poonal Nr. 464

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 464 vom 26. Januar 2001

Inhalt


MEXIKO

KUBA/RUSSLAND

KOLUMBIEN

ECUADOR

BOLIVIEN

PERU

CHILE

BRASILIEN

LATEINAMERIKA


MEXIKO

Drohungen gegen Zapatisten-Marsch

(Mexiko-Stadt, 21/22.Januar 2001, pulsar-Poonal).- Der Bischof von Ecatepec, Onésimo Cepeda, forderte die Festnahme von Subcomandante Marcos, sollte dieser von Chiapas bewaffnet und ohne Erlaubnis der Regierung an dem geplanten Marsch in die Hauptstadt teilnehmen. Der Kirchenmann bezeichnete Marcos als Kriminellen, der Mexiko mit seinem Krieg als Geisel genommen habe. Sollte er maskiert kommen, könne er seine Show machen, sollte er aber ohne Maske erscheinen, würde man sehen, dass er ein „armer Teufel“ sei, so der Bischof. Cepada erntete für seine Äußerungen Beifall und Entrüstung in Mexiko. Mit dem Thema Chiapas vertraute Kommentator*innen meinten, der katholische Würdenträger habe statt der Einheit Mexikos zu dienen eine weitere Spaltung provoziert.

Auch Unternehmer*innen laufen gegen den Plan der Zapatist*innen, zu einem Gespräch nach Mexiko-Stadt zu marschieren und die jüngsten Angebote des neuen Präsidenten Fox zu diskutieren, Sturm. Sprecher von Unternehmerverbänden erklärten, sie würden den Abmarsch der Zapatist*innen aus Chiapas am 25. Februar verhindern. Verbandssprecher Mario Vega sagte, die Unternehmer würden die Strassen des Bundesstaates blockieren. Zudem konnten sie Hotels und Restaurants überzeugen, die Indigenas, die an dem Marsch teilnehmen, nicht zu bewirten. Außerdem fordern die Unternehmer die Präsenz des mexikanischen Bundesheeres.

Der Gouverneur von Chiapas forderte die Unternehmer*innen zur Zurückhaltung auf. Sie sollten auf den „Krieg der Worte“ verzichten. Es sei Aufgabe der Landesregierung und der Zapatist*innen, einen Weg zu einer Einigung zu finden.

Aus Politikerkreisen wurden ebenfalls erste Drohungen bekannt. Armando Salinas Torre, Vorsitzender der Kommission für öffentliche Sicherheit des Parlaments, meinte, „die Mitglieder der Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN, die die Konfliktzone in Chiapas verlassen, sollen gemäss dem Gesetz festgenommen werden“. Der Abgeordnete der Regierungspartei PAN (Partei der Nationalen Aktion) ergänzte, die Zapatist*innen seien Personen, die dem mexikanischen Staat den Krieg erklärt hätten. Zudem besagten die Gesetze und Vereinbarungen für die Verhandlungen, dass der Dialog in Chiapas stattfinden müsse und dass außerhalb der Konfliktzone auch die Amnestie nicht gelte.

 

KUBA/RUSSLAND

Kuba – Russland im Jahr 2001: tropischer Cocktail mit Wodka

Von María Elena Gil

(Havanna, Januar 2001, alai-Poonal).- Offensichtlich schaffen es die jüngsten Präsidenten, das alte Mütterchen Rußland auf neue Wege zu leiten. Erst hatte der – im Vergleich zu seinen Vorgängern – relativ junge Michail Gorbachev das kommunistische System demontiert. Jetzt gewinnt Vladimir Putin mit mehr europäischem als slawischem Pragmatismus und einem durch seine KGB-Jahre geschärften Sinn alte Verbündete zurück. Er will das Bild der Ex-Super-Macht wieder herstellen.

Boris Jelzin war mit seiner Form des Regierens den langlebigen Kremlführern ähnlicher als den westlichen Regierungschefs, denen er sich anzunähern und anzugleichen versuchte. In seinem Eifer, dem Westen gefällig zu sein, verlor er fast alle der früheren strategischen Verbündeten der alten UdSSR . Am 14. Dezember in Havanna angekommen, sagte Putin: "Kuba ist unser alter und traditioneller Verbündeter." Er bezeichnete die Zerrüttung der Beziehungen zwischen den beiden Staaten aufgrund von ideologischen Motiven währen des letzten Jahrzehnts als Fehler.

Die russische Delegation mit ihren sechs Ministern und fast achtzig Geschäftsleuten hinterließ eine Hoffnungsspur auf der Insel. 1989 hatte Kuba durch den Zusammenbruch des sozialistischen Lagers in Osteuropa 85 Prozent seines Außenhandels eingebüßt. Für Russland bedeutet das Wiederaufleben der wirtschaftlichen Zusammenarbeit unter neuen Vorzeichen, dass die Zahlung der Schulden, die nach Schätzungen beider Seiten 20 Millionen Dollar übersteigen, eingelöst wird.

Alte Zeiten lebten wieder auf, als Fidel Castro und Vladimir Putin ein Protokoll über den wirtschaftlichen Austausch in den Jahren 2001 bis 2005 unterzeichneten. Laut offiziellen Quellen beinhaltet diese Vereinbarung die Lieferung von drei- bis zehntausend Flaschen Rum, von Medikamenten, Impfstoffen und medizinischen Gerätschaften im Wert von 40 Millionen Dollar an Russland.

Moskau wiederum wird zwischen 2,2 und 2,8 Millionen Tonnen kubanischen Rohzucker einführen. Im Austausch dafür soll Russland 1,5 bis zwei Millionen Tonnen Erdöl, außerdem Düngemittel und Ersatzteile für die in den 90er Jahren ernsthaft beschädigte Zuckerindustrie liefern. Nach Schätzungen wird die nächste kubanische Zuckerernte sich auf 3,7 Millionen Tonnen belaufen.

Hauptbestandteil des Besuchs war die Unterzeichnung einiger Finanz- und Wirtschaftsabkommen. Gegenüber der Presse erklärte Oleg Podelko, Chef der russischen Wirtschaftsmission (Misión Comercial Rusa) auf der Insel: "Im Moment gibt es weder irgendeine Art von staatlicher Absicherung, um die Exporte nach Kuba zu gewährleisten, noch offizielle kurz- und mittelfristige Kredite für den Kauf russischer Produkte." Podelko stellte fest, dass der kubanische Markt dennoch von großem Belang für die Industrie seines Landes ist, denn "Kuba ist in etwa 70 Prozent auf unsere Technologie ausgerichtet. Das bedeutet ein großes Potential und weckt das Interesse der russischen Unternehmer."

Die Zeiten haben sich verändert und damit auch die Debatten. In Havanna spricht man von "Antiimperialismus", aber in Russland ist dieses Wort bereits vergessen. Der neue Präsident bedient sich ausgefeilterer Stile, um die Erneuerung für sein Land zu erreichen, die Jelzin erfolglos versprochen hatte. Mehrmals erklärten Putin und Castro vor der Presse, sie hätten "in vielen Angelegenheiten gemeinsame Positionen". Der russische Präsident machte darauf aufmerksam, dass dies jedoch nicht irgendeine Art von "Allianz gegen die USA" bedeute. Bei der Auswertung des Besuchs wurde deutlich, dass die politisch-strategischen Fragen sich leichter klären ließen als die wirtschaftlichen.

Auf welchem Niveau sich die beidseitigen Beziehungen auch befanden, nie ging den Kubaner*innen die pünktliche Bezahlung für die Telekommunikationsbasis von Lourdes verloren. Dieses Abhörzentrum war seit 1967 von Moskau auf kubanischem Gebiet installiert worden, um die Einhaltung der Abrüstungsvereinbarungen mit den USA zu kontrollieren. Es wurde nie abgeschaltet, nicht einmal 1992 nach dem Abzug der letzten russischen Truppen von der Insel. Die Basis wird weiterhin von russischen Militärs betrieben. Die jährlichen Mietkosten belaufen sich für Moskau auf 200 Millionen Dollar. Mehr als einmal wurde die eventuelle Demontage dieser Basis in die Verhandlungen zwischen Russland und den USA einbezogen, jedoch ohne konkrete Ergebnisse.

Allerdings beschreiten die anderen Investitionen, die sowjetische Regierungen auf der Insel getätigt hatten, nicht diesen verheißungsvollen Weg. Während des mehr als zwanzigjährigen sowjetischen Einflusses in Kuba, vom Ende der 60er Jahre bis 1989, hatte Moskau Kredite von Milliarden von Rubeln gewährt. Damit sollten Makroprojekte entwickelt werden, die von Wirtschaftsexperten (deren Stimmen Castro niemals hören wollte) in Anbetracht der Größe und der Bevölkerung der Karibikinsel als größenwahnsinnig bezeichnet wurden.

Der größte Anteil der Kredite verschwand in drei gigantischen Projekten: in einer Erdölraffinerie in Cienfuegos (die Schwierigkeiten hat, nicht-russisches Erdöl zu verarbeiten), in ein großes Nickel verarbeitendes Werk in der ost-kubanischen Provinz Holguin (das heute in der Hand eines vorwiegend kanadischen Unternehmens liegt) und in das Kernkraftwerk von Juraguá in der Provinz Cienfuegos, 300 Kilometer südwestlich von Havanna.

Dass dieses Kraftwerk nicht fertig gebaut wurde, war das erste Anzeichen für das Abkühlen des Verhältnisses zwischen Kuba und Russland. Vielleicht ist es eine versteckte Geste guten Willens von Castro gegenüber den USA, wenn jetzt an der Entscheidung festgehalten wird, das Werk nicht fertigzustellen. Bei einer Pressekonferenz in Havanna äußerte sich Putin zu diesem Atomkraftwerk: "Wir haben 30 Millionen Dollar bezahlt, allein um es in seinem Zustand zu erhalten." Jedoch zeigten die "kubanischen Freunde“ kein Interesse daran, es weiterzubauen.

In das Projekt flossen in zwölf Jahren etwa eine Milliarde Dollar. Um den Bau fertigzustellen, werden nach Schätzungen mindestens 750 Millionen Dollar benötigt. Verschiedene andere Versuche von europäischen Partnern, die sich des Projekts annehmen wollten, scheiterten. Analysten behaupten, dass es von kubanischer Seite aus gar nicht den Willen gibt, das Werk zum Laufen zu bringen.

Wenn das Kraftwerk in Juraguá fertig gebaut würde, wäre es das erste mit russischer Technologie gebaute Kraftwerk auf dem ganzen amerikanischen Kontinent. Es wäre auch das erste in tropischem Klima, und das direkt gegenüber der US-amerikanischen Küste, knapp 90 Meilen von Florida entfernt. Washington hat sich der Fertigstellung dieses AKW´s entschieden widersetzt. Das Pentagon zahlt zwei Millionen Dollar für den Bau eines Kontrollnetzes, das ein eventuelles Austreten von Radioaktivität aus dem Kraftwerk kontrollieren soll.

Das Verhältnis zu den USA war – ausgesprochener- oder unausgesprochenerweise – der Hintergrund, vor dem der Besuch des russischen Präsidenten bei seinem kubanischen Kollegen stattfand. Putin erklärte: "Wir haben Differenzen mit den Vereinigten Staaten. Die sind in der ganzen Welt bekannt. Das sind z.B. die humanitäre Einmischung und die begrenzte Souveränität, die von den USA propagiert werden. Aber wir haben keine Allianz mit Kuba gegen die USA oder gegen irgendein anderes Land." Zu den Beziehungen Russlands zu der neuen US-Administration sagte er: "Das hängt von George W. Bush´s Politik ab. Aber es gibt Gründe, darein zu vertrauen, dass es ein gutes, sehr professionelles Regierungsteam wird."

Der nach Havanna gebrachte Olivenzweig macht eindeutig klar, dass Putin sich dafür bereit macht, Teile des verlorengegangenen Gebiets auf der internationalen Bühne für Russland wieder zurückzugewinnen. Der schnellste Weg dahin ist die erneute Annäherung an die alten Verbündeten, wo es garantierte Märkte für die nationalen Industrien gab: Erdöl, Waffen, Metallverarbeitung und zivile Kernenergie.

Russland hat Abkommen über den Bau von Kernkraftwerken in China, Indien und Iran unterzeichnet. In Neu Delhi unterschrieb Putin Verträge über Milliarden von Dollar, wodurch dem indischen Militär Überschall-Jagd-Flugzeuge, Panzer und andere Kriegswaffen zur Verfügung gestellt werden. Mit Angola laufen gleichzeitig Verhandlungen über Verkäufe von Waffen wie von Diamanten und anderen Edelsteinen.

Kürzlich hob Putin die Vereinbarung auf, wonach der Verkauf konventioneller Waffen von Russland an den Iran verboten war. Dieses Abkommen war 1995 vom nordamerikanischen Vizepräsidenten Al Gore und dem damaligen russischen Premierminister Victor Tschernomyrdin unterzeichnet worden. Iran hat für Russland die Funktion einer Schutzmauer gegen die afghanischen Taliban. Diese stellen für Russland eine größere Gefahr dar, als die Möglichkeit, bei der demokratischen US-Administration, die bereits den Rückzug antritt, in Missgunst zu fallen. Die neue republikanische Ära mit einem Präsidenten, der versprochen hat, seinen Feinden keine Ruhe zu lassen, beginnt für Putin und Castro mit einer weisen Rückbesinnung auf alte Freunde.

 

KOLUMBIEN

„Hirtenkreis indigener und schwarzer Menschen“ gegen Rassismus

(Barranquilla, 15. Januar 2001, alc-Poonal).- Der „Hirtenkreis indigener und schwarzer Menschen gegen jegliche Diskriminierung“ (PANCTD) wandte sich anläßlich des Generalkongresses des Lateinamerikanischen Kirchenrates gegen Rassismus und machte Vorschläge für eine besseren Umgang mit diskriminierten Bevölkerungsgruppen seitens der Kirche.

„Die Versöhnung und der Frieden“ so der PANCTD anläßlich des Kongresses, „müßten damit anfangen, daß die Kirche sich öffentlich entschuldigt.“ Nach Meinung des Hirtenkreises könne sie den Schaden nur so wiedergutmachen, den sie bei den indigenen und afrikastämmigen Völkern angerichtet habe.

In der Erklärung, die während des Missionsratschlages als Einleitung zum vierten Generalkongreß des Kirchenrates fungierte, wies der PANCTD darauf hin, daß die indigenen und schwarzen Gemeinschaften Opfer des Rassismus in Lateinamerika sind und dies auch in den Kirchen der Fall sei. „Der Rassismus“, so die Erklärung weiter, "ist ein Teil des Bewußtseins der modernen Welt, speziell in der westlichen Kultur, der die Präsenz Gottes in den schwarzen und indigenen Menschen sowie in allen diskriminierten Ethnien und Volksgruppen in Abrede stellt".

„Die lateinamerikanische Gesellschaft“, so heißt es in der Erklärung, „ist multiethnisch und mutlikulturell“. Aus diesem Grunde könne die Identität der Kirche nur durch die Vielfalt ihrer Gesichter beschrieben werden. „Die Mestizen“, so der Hirtenkreis, „sind ein Teil der lateinmarikanischen und karibischen Vielfalt und "nicht nur eine Vermischung von Genen, sondern eine komplexe Fusion von Werten und sozialen Vorstellungen."

Das Dokument lehnt den Rassismus und die in den Kirchen und der Gesellschaft institutionalisierte Diskriminierung sowie die Diskriminierung der Frauen, der indigenen Menschen und der Schwarzen ab. "In der Einheit der Kirche darf die kulturelle Vielfalt unserer Völker nicht unbemerkt bleiben", erklärte der Hirtenkreis abschliessend.

 

ECUADOR

Jahrestag der Regierung Naboa – starke Proteste gegen Wirtschaftspolitik

(Quito, 23. Januar 2001, pulsar-Poonal).- Die Demonstrationen, die derzeit in ecuadorianischen Großstädten wie Quito, Guayaquil und Cuenca stattfinden, werden vom Nationalen Zusammenschluss Indigener Nationalitäten Ecuadors, CONAIE, und Studentenbewegungen angeführt. Die Anfang der Woche angelaufenen Proteste werden weiter fortgesetzt. Nach Straßenblockaden während der vergangenen Tage gab es in verschiedenen Städten Ecuadors einige Verletzte, die aus Zusammenstößen zwischen protestierenden Indigenas und Militäreinheiten resultieren.Durch die Blockaden kann es Beobachtern zufolge zu Engpässen bei der Versorgung von bestimmten Städten kommen.

Die schwersten Zusammenstösse ereigneten sich in der Provinz Cotopaxi, das 100 Kilometer von der Hauptstadt Quito entfernt liegt.ntonio Vargas, Präsident von CONAIE,, wies die gewalttätigen Übergriffe der Militärs gegen die friedlich protestierenden Indigenas zurück.

So geht das erste Regierungsjahr von Gustavo Noboa Bejarano in einem Klima allgemeiner Unzufriedenheit und öffentlicher Proteste gegen die jüngsten, Ende des vergangenen Jahres in Kraft getretenen wirtschaftlichen Anpassungsmaßnahmen zu Ende. Sie hatten u.a. ein Ansteigen der Preise von Benzin und Botangas, öffentlichen Verkehrsmitteln sowie Wasser- und Stromversorgung und der Telefongebühren zur Folge. Dagegen regt sich nach wie vor starker Widerstand aus der Bevölkerung.

Vor einem Jahr überschlugen sich die Ereignisse in Ecuador: Am 21. Januar 2000 stürzte die Indigena-Bewegung mit Hilfe fortschrittlicher Militärs die christdemokratische Regierung von Jamil Muhuad und übernahm für zwei Stunden die Macht, übergab diese jedoch aufgrund des Drucks seitens der militärischen Führungsspitze und der US-Regierung an den aktuellen Machthaber Noboa Bejarano, der zuvor Vizepräsident von Mahuad gewesen war. Um den Bürgerprotesten entgegenzuwirken, behauptete die Regierung von Gustavo Noboa, “ es existiere eine Plan zu Destabilisierung der Demokratie“ und schaltete die Polizei ein, die drastisch die Demonstrationen unterdrückt.

Eine Woche vor seiner Amtsenthebung führte Mahuad überstürzt den US-Dollar als nationale Währung statt des Sucre ein. Dies war eine der Maßnahmen, die von vielen als ein krasser Widerspruch zur Idee der Selbständigkeit Ecuadors stehen. Von seiten der Regierung wurde argumentiert, dass die Einführung des Dollars – die zunächst vom IWF kritisiert, später jedoch unterstützt wurde – erlauben würde, die Inflation zu kontrollieren, die Zinssätze zu senken (die bei 10 Prozent in Dollar und 280 Prozent in Sucre lagen) und die Einkommensstärke zurückzugewinnen. Zu den umstrittenen Maßnahmen der Regierung zählt außerdem die Übergabe des Militärstützpunkts Manta an die USA, der nun zur „Drogenbekämpfung“ genutzt werden soll.

Kein einziges der Ziele, die mit der Dollarisierung angestrebt wurden, ist jedoch erreicht worden: Die Inflation stieg ins schwindelerregende Höhen und erreichte im Dezember 2000 ihren Höhepunkt mit 91 Prozent, der höchsten Inflationsrate in ganz Lateinamerika. Die Zinssätze für den Dollar befinden sich mittlerweile bei 20 Prozent und die Gehälter hinken weit hinter der gestiegenen Inflationsrate hinterher. Während sich die Preise für sämtliche Produkte auf internationalem Niveau eingependelt haben, deckt der Mindestlohn von 117 Dollar kaum ein Drittel des zum Leben notwendigen ab. Hinzu kommt die schwierige Situation auf dem Arbeitsmarkt: In Ecuador sind derzeit 15 Prozent der arbeitsfähigen Bevölkerung arbeitslos und 60 Prozent unterbeschäftigt.

Zweifellos hat die Dollarisierung dazu beigetragen, die Armut der ohnehin durch die Enteignung ihrer Ersparnisse während der Regierungszeit von Jamil Muhuad und die seit 1982 durchgeführten neoliberalen Maßnahmen geschlagenen Ecuadorianer*innen zu vergrößern. Von den 12 Millionen Menschen Ecuadors leben 8 Millionen in Armut, davon zählen nahezu 4 Millionen zu indigenen Bevölkerungsgruppen.

Gewinner der Dollarisierung sind auf der anderen Seite die USA, da Ecuador die Rechte verloren hat, das Zahlungsmittel herauszugeben. Der Profitanteil, den ein Land für die Emission seiner Währung erhält, fließt nun in die USA. "Einen Hundertdollarschein herzustellen kostet fünf Cent, was bedeutet, dass die USA einen Anteil von 99,95 Dollar erhält, wenn sie ihn in Umlauf bringt", erklärte Ex-Präsident Rodrigo Borja.

Die Dollarisierung hat die monetäre Reserve Ecuadors in Nichts aufgelöst und das Land in eine starke Abhängigkeit zum Dollar gebracht. Einen Handelsüberschuß konnte die Regierung im vergangenen Jahr mit dem Erdölexport erwirtschaften, wobei sie von den gestiegenen Preisen profitierte. Eine weitere Einnahme stellten die Abgaben der im Ausland lebenden Ecuadorianer*innen dar, die sich im Jahr 2000 auf 1200 Millionen US-Dollar beliefen. Die Aussichten auf einen wirtschaflichen Aufschwung Ecuadors im Jahr 2001 sind indes schlecht. Der Erdölpreis tendiert dazu, wieder zu fallen, während andere Exportgüter wie Blumen, Bananen und Krabben derzeit auf dem internationalen Markt schwer abzusetzen sind.

 

BOLIVIEN

Hugo Bánzer und Operation Cóndor

(La Paz, Dezember 2000, na-poonal).- Carla Rutila, in Spanien lebende Peruanerin, hat den bolivianischen Präsidenten Hugo Bánzer wegen Ermordung und Verschwindenlassen ihrer Eltern angeklagt. Es handelt sich um Verbrechen, die während der von Banzér geführten Diktatur 1971 bis 1978 an dem Uruguayer Enrique Joaquín Lucas López und seiner Frau, der Argentinierin Graciela Rutila Artés, begangen wurden

Rutila sagte Anfang Dezember vor der Menschenrechtskommission des Parlamentes aus, dass die Verbrechen innerhalb der sog. Operation Cóndor begangen worden seien. Unter der Operation Cóndor koordinierten sich in den 70er Jahren südamerikanischen Militärdiktaturen, um linke Opositionelle zu eliminieren.

Der Presseminister Manfredo Kempff rechtfertigte die Gewaltanwendung gegen Lucas López damit, dass dieser Mitglied der uruguayischen Guerrilla Tupamaros angehörte, und das Verschwindenlassen von Rutila Artés damit, dass sie angeblich zur argentinischen Revolutionären Volksarmee (ERP) gehört hätte.

Rutila sagte im Gegensatz zu Kempffs Aussagen aus, dass ihr Vater nicht in einer bewaffneten Auseinandersetzung mit den Sicherheitskräften umkam, sondern gefangengenommen, gefoltert und in der bolivianischen Stadt Cochabamba ermordet wurde.

Carla Rutila wurde in Perú geboren, nachdem Bánzer seine Mutter des Landes verwiesen hatte. Später, im April 1976, als sie fünf Monate alt war, wurde sie zusammen mit ihrer Mutter in Bolivien von einheimischen Sicherheitsagenten verhaftet. Nach ihrer Aussage folterten bolivianische und argentinische Agenten ihre Mutter, die der argentinische Sicherheitsdienst später verschwinden ließ. Sie selbst wurde einem der Folterer übergeben, der sie als sein eigenes Kind registrieren ließ. Carla Rutila wurde ein paar Jahren später von ihrer Großmutter Matilde Arlés entdeckt.

 

PERU

Im Dilemma zwischen Vergangenheitsaufarbeitung und Zukunftsplanung

Von Alvaro Alfonso

(Lima, 26. Januar 2001, npl-Poonal).- Zu Beginn des Jahres 2001 hat Peru zwei Gesichter. Das eine blickt nach vorne, um den Weg in eine bessere Zukunft zu finden. Das andere blickt zurück, um die Geschichte nicht zu vergessen, damit sie sich nicht wiederholt.

Sechs der mächtigsten Armeegeneräle während des letzten Jahrzehnts spielen heute Karten in einem gewöhnlichen Gefängnis der Hauptstadt Lima, wo sie wegen Beteiligung an dem politisch- kriminellen Netz einsitzen, das unter dem Befehl des nach wie vor verschwundenen Präsidentenberaters Vladimiro Montesinos im Hintergrund der Regierung von Alberto Fujimori (1990-2000) operierte. Sie, die sich für unberührbar hielten, sind das Symbol der Korruption, das die Peruaner abschütteln wollten.

Die diskrete Interimsregierung von Valentin Paniagiua, die seit der Flucht Fujimoris nach Japan amtiert, macht keine Zugeständnisse an die Korruption. Neben den sechs Generälen wurden mehrere Familienmitglieder von Montesinos inhaftiert, einschließlich seiner ältesten Tochter.

Während die mit dem Fall beauftragten Ermittlungsrichter die 1.600 Videoaufzeichnungen durchgehen, die Montesinos akribisch gesammelt hatte, um eventuell abtrünnige Komplizen in der Hand zu haben, tauchen Tag für Tag neue Aspekte einer kriminellen Organisation auf, die in breitem Umfang in den Drogenhandel, den Waffenschmuggel, Massaker, selektive Morde, Folter, die Manipulation der Medien, der Streitkräfte und der staatlichen Institutionen verwickelt war.

Derzeit drehen sich die Ermittlungen um etwa 70 Personen. Aber man nimmt an, dass, wenn der Ermittlungsprozess in frühestens drei Jahren abgeschlossen ist, Hunderte von Komplizen des Fujimori- Regimes ausgemacht sein werden und wahrscheinlich wird man dann diejenigen hinter Gittern sehen, die bis vor kurzem die Regierung bildeten.

Die Wahrheit ist trotz Vorahnungen erschreckend: Seit langem warf man Montesinos vor, die Presse zu manipulieren, und vor kurzem tauchte ein Video auf, das ihn bei der Übergabe von zwei Millionen Dollar an Eduardo Calmell, den Direktor der einflussreichen Tageszeitung „Expreso“, zeigt. Man sagte, dass Montesinos am Drogenhandel beteiligt war, und nun packte die peruanische Mafia Details darüber aus. Man unterstellte ihm, am Waffenschmuggel beteiligt gewesen zu sein und die nun recherchierten Beweise lassen keine Zweifel. Man sagte ihm nach, dass er Kriminelle engagierte, um die politische Opposition – auch physisch – anzugreifen – nun tauchten genau diese Verbrecher auf und erklärten den Ermittlern detailliert, wie sie operierten und wie sie bezahlt wurden.

Doch Peru darf nicht bei der Aufarbeitung der Vergangenheit stehen bleiben. Auch wenn es jetzt schon elf Kandidaten gibt, die am 28. Juli im Präsidentensessel Platz nehmen wollen, ist dies noch kein Indiz für eine Erneuerung. Die Meinung der Peruaner ist – wie so oft – am besten in den unzähligen Taxis in der Hauptstadt Lima zu erkunden. Zum Beispiel bei German Espinoza, einem 40- jährigen Lehrer, den die Zustände im Land gezwungen haben, seinen Lebensunterhalt hinter einem Lenkrad zu verdienen.

Espinoza hat viele Gründe, keinem Politiker mehr über den Weg zu trauen. Alejandro Toledo, den populären Oppositionsführer, der momentan in den Umfragen weit vorn liegt, hält Espinoza für populistisch, zweideutig und gefährlich, weil er um jeden Preis an die Macht will. Über Toledos stärkste Konkurrentin, die konservative Lourdes Flores, sagt der Taxifahrer, sie sei „zu politisch“. Dass sie einen liberalen Technokraten und einen Kommunisten zu ihren Vizepräsidenten machen will, hört sich in seinen Ohren nach simpler Taktik an. Der in Umfragen Drittplazierte Fernando Olivera könne nur seine Gegner attackieren, ohne ein eigenes Regierungsprogramm zu haben, zählt Espinoza seine Vorbehalte auf. Für Alan Garcia, der Peru bis 1990 regierte und in ein wirtschaftliches wie moralisches Chaos führte, oder dem Ex- Minister unter Fujimori, Carlos Bolona, hat der Taxifahrer Espinoza nur ein böses Grummeln übrig.

Wie Espinoza wissen heute über 20 Prozent der Peruaner nicht, wem sie bei den Wahlen in zehn Wochen ihre Stimme geben sollen. Alle bisherigen Modelle sind in dem andinen Land gescheitert: Der Populismus, rechts- wie linkslastige Demokratien, und auch die Variante des Sozialismus, die der General Juan Velasco von 1968 bis 1975 anführte. Die Menschen wollen Demokratie und Moral, aber auch ganz einfach Arbeit und Entwicklung, um irgendwann auch die Schande zu überwinden, dass 53 Prozent der Peruaner heute in extremer Armut leben.

 

Globalisierung erlaubt Millionengeschäfte mit Frauenhandel

(Lima, 22. Januar 2001, pulsar-Poonal).– Die Kombination von ökonomischer Globalisierung und weltweiten patriarchaler Strukturen begünstigt die Vermarktung von Frauen und ihren Körpern. Das bekräftigte Rosa Dominga Trapasso, praktizierende Christin und Koordinatorin der Bewegung "El Pozo" (der Brunnen). Um diese Situation zu ändern, bedarf es Traspasso zufolge der Umwälzung traditioneller Werte, die die Kontrolle des Mannes über die weibliche Sexualität legitimieren.

Rosa Dominga Trapasso ist bekannt durch ihre Arbeit mit Prostituierten. Die oben zitierte Aussage machte sie im Zusammenhang mit der Geschichte von drei Peruanerinnen, die in Korea sexuell versklavt worden waren. Die Frauen waren in den letzten Monaten des vergangenen Jahres nach Seoul gekommen, um dort als Kellnerinnen in Restaurants der koreanischen Hauptstadt zu arbeiten. Unter diesem Vorwand waren sie von dem koreanischen Staatsbürger King Young Moon in Lima angeheuert worden. Bei ihrer Ankunft in Korea wurden sie jedoch von Lee Kang Seong in Empfang genommen, der sie gefangen hielt und mit Schlägen dazu zwang, sich zu prostituieren. Zu Beginn diesen Jahres gelang es einer der jungen Frauen, sich mit ihrem Paten in Lima in Verbindung zu setzen. Sie berichtete ihm, dass sie schwanger wäre und gab als Ursache die wiederholten Vergewaltigungen durch ihre Entführer an. Sie informierte ihn, dass sie und die anderen Peruanerinnen bald an den Besitzer einer Diskothek auf einer koreanischen Insel verkauft werden würden.

Auf Veranlassung des peruanischen Konsulats wurden sie aus einem Versteck befreit, in dem sie nackt gefangen gehalten worden waren und seit drei Tagen nichts zu essen erhalten hatten. Zur Zeit befinden sie sich im Schutz einer religiösen Organisation in Seoul. Sie erhalten dort juristischen, materiellen und emotionalen Beistand. Ihre Rückreise nach Peru steht kurz bevor.

 

CHILE

Angehörige fordern nach Pinochet-Befragung Haftbefehl

Von Leonel Yanez

(Santiago de Chile, 24. Januar 2001, npl-Poonal).- Am Dienstag wurde ein neues Kapitel der mühseligen Vergangenheitsbewältigung Chiles aufgeschlagen. Erstmals musste sich der langjährige Diktator Augusto Pinochet einer richterlichen Befragung stellen. Dabei traf er auch zum ersten Mal den Sonderermittler Juan Guzman persönlich.

„Ich habe niemals eine Ermordung angeordnet,“ soll Pinochet Medienberichten zufolge bei der kaum 30 Minuten währenden Befragung gesagt haben. Dabei ging es um den Vorwurf, für die sogenannte Todeskaravane verantwortlich zu sein, der die Ermordung einer Vielzahl bekannter Regimegegner zu Beginn der Diktatur 1973 zugeschrieben wird. Bereits früher hatte Pinochet für diese Taten die jeweiligen Offiziere vor Ort als verantwortlich dargestellt. Diese wiederum erklärten, nur Befehle „von oben“ ausgeführt zu haben.

Pinochets Anwälte erklärten, ihr Mandant habe nunmehr seiner Pflicht genüge getan und es sei deutlich geworden, dass die Vorwürfe haltlos seien. Außerdem bezeichneten sie das Verfahren als „politischen Prozess“ und fügten hinzu, dass Pinochet offensichtlich gesundheitlich nicht in der Lage sei, einem längeren Prozess zu folgen.

Dieser Auffassung widersprach inzwischen einer der Gutachter, die vergangene Woche Pinochets Geisteszustand untersuchten. Der Neurologe Luis Fornazzari erklärte, der diagnostizierte Altersschwachsinn hindere den 85-jährigen nicht daran, sich seiner juristischen Verantwortung zu stellen. Das Gutachten selbst, dass Fornazzari in der vorliegenden Form nicht unterschrieben hat, hatte Pinochet eine Demenz attestiert. Eine eindeutig Aussage, ob der Ex-Diktator entsprechend chilenischem Recht vor Gericht gestellt werden dürfe, ging aus dem Gutachten allerdings nicht hervor.

Seitens der Klägerseite verlautete nach der Befragung, dass die Verantwortung Pinochets für die Verbrechen untermauert worden sei. Angehörige der Diktatur-Opfer wollten schon am Folgetag einen Haftbefehl gegen Pinochet beantragen. Auch ihre Anwälte halten diesen Schritt nun für unausweichlich.

Das erbitterte Tauziehen um Wahrheit, Rechenschaft und juristische Aufarbeitung geht also weiter und wird insbesondere den Obersten Gerichtshof des südamerikanischen Landes noch weiter beschäftigen. Auch auf der Strasse werden die jeweiligen Schritte stets von Demonstrationen begleitet, mal von der einen, mal von der anderen Seite – oft stehen sich auch beide Lager anklagend gegenüber.

Großen Unmut erregte unter den Opfern der jüngste Armeebericht zu den Diktaturverbrechen, der im Zuge eines Runden Tisches vereinbart worden war. Zwar gaben die Militärs – freilich ohne Namen zu nennen – viele Verbrechen detailliert zu, doch erwiesen sich die Angaben zu Gräbern, wo Oppositionelle verschart worden sein sollten, bislang als falsch Fährten. Zwar werden die Ausgrabungen noch fortgesetzt, doch mit jedem Tag, an dem keine identifizierbaren menschlichen Überreste gefunden werden, nimmt der Zorn der Angehörigen auf diesen Versöhnungsversuch zu.

Dass in der Nacht auf Mittwoch der frühere Geheimdienstchef Manuel Contretas nach sieben Jahren Haft entlassen worden ist, gießt weiteres Öl ins Feuer. Contreras war 1993 auf Druck der USA wegen der Ermordung des ehemaligen Außenministers Chiles und seiner Sekretärin in Washington verurteilt worden. Jetzt wurde er Justizangaben zufolge wegen anderer Verfahren unter Hausarrest gestellt. Fabiola Letelier kritisierte die niedrige Strafe für den Mörder ihres Bruders als „symbolisch“. Contreras, der als rechte Hand Pinochets galt, lebte die vergangenen Jahre in einem Luxusgefängnis der Armee, in dem ihm unzählige Vergünstigungen einen Lebensstandard ermöglichten, von der die Mehrheit der Chilenen nur träumen können.

 

BRASILIEN

Vorbereitungen für Weltsozialforum in Porto Alegre abgeschlossen

(Porto Alegre, 21. Januar 2001, pulsar-Poonal).- Am 25. Januar wird das erste Weltsozialforum (Foro Social Mundial) in der südbrasilianischen Stadt Porto Alegre eröffnet werden. Vor 50.000 Menschen werden bekannte brasilianische Künstler*innen in einem Amphitheater auftreten. Die Veranstalter rechnen mit 3.000 Delegierten und rund 10.000 Teilnehmer*innen. Die Friedensnobelpreisträger*innen Nelson Mandela, Rigoberta Menchú und Adolfo Pérez Esquivel, der Literaturnobelpreisträger José Saramago sowie viele weitere Aktivist*innen wie José Bové und Danielle Miterrand haben ihre Teilnahme zugesagt.

Das Weltsozialforum bietet den Rahmen für weitere Veranstaltungen. Dazu zählen das Weltparlamentsforum (Foro Parlamentario Mundial), an dem Abgeordnete verschiedener Länder teilnehmen werden. Außerdem wird das „Forum lokaler Regierungen für die soziale Einbeziehung“ mit über 150 Bürgermeister*innen aus drei Kontinenten stattfinden. All diese Veranstaltungen richten sich gegen die Globalisierung und finden zeitgleich zumWeltwirtschaftsforum in Davos statt, wo sich Regierungschefs und Wirtschaftsbosse zusammenfinden, um den Neoliberalismus voran zu treiben.

In Porto Alegre werden sich soziale Organisationen sowie Parlamentarier*innen und Persönlichkeiten aus allen Kontinenten treffen, um Vorschläge gegen den Neoliberalismus zu erarbeiten. Das Abschlussdokument soll nächsten Gipfel der G-8 Gruppe in Juni vorgelegt werden.

 

Kommentar: Agrarpolitik– für wen?

Von João Pedro Stedile, Mitglied der nationalen Leitung der brasilianischen Landlosenbewegung MST (São Paulo, Januar 2001, alai-Poonal) Die Regierung von Fernando Henrique Cardoso besaß die Frechheit kürzlich in der Presse die Bilanz der Subventionen zu präsentieren, die er einigen Sektoren der Wirtschaft zugestand. Diese Bilanz ist tragisch, um nicht zu sagen lächerlich. Der Wert aller gewährten Subventionen erreichte 42 Milliarden Reales, was vier Prozent des Bruttoinlandproduktes oder 26 Prozent des staatlichen Haushaltes bedeutet. Dieser Wert ist größer als die staatlichen Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Agrarreform, öffentlich gefördertes Wohnen, Grundversorgung – letztlich alle die sozialen Ausgaben – zusammengenommen. Nur dies allein zeigt, wessen Interessen diese Regierung verteidigt.

Doch wer kommt in den Genuss dieser Subventionen? Den höchsten Wert erreichten die Exportsubventionen: 14 Milliarden Reales. Und jene privilegierte Minderheit, die ins Ausland reist, erhielt Subventionen für Flughafengeschäfte in Höhe von 707 Millionen Reales. Wofür? Um importierte Produkte zu kaufen ?

Die Hälfte der den Exportunternehmen zugestandenen Subventionen bezieht sich auf den Import von Erstverarbeitungsgütern mit dem Versprechen, zu reexportieren. Dies begünstigt ausschließlich die multinationalen Unternehmen, die unsere Häfen in reine Umschlagplätze verwandeln, um Subventionen zu erhalten. Diese Politik war verantwortlich – um nur ein Beispiel zu nennen – für die Zerstörung des Anbaus von Rizinus, womit 18 brasilianische Ölfabriken oder -verarbeitende Fabriken beliefert wurden. Mit der Subventionen für den Import brachen 15 der 18 existierenden Ölverarbeitenden Fabriken zusammen und die drei, die noch bestehen, bevorzugen den Import von Rizinus aus Indien, um die fertigen Produkte danach wieder zu exportieren.

Aber was ist das tatsächliche Resultat dieser blinden Politik, die lediglich den Export begünstigt? Sie zerstörte viele nationale Sektoren der Wirtschaft, schuf keine Arbeitsplätze, und als würde das nicht ausreichen: sie produzierte ein Handelsbilanzdefizit.

Die Agrarsubventionen folgten der gleichen perversen Logik, wie sie die brasilianische Wirtschaftspolitik im allgemeinen verfolgt. Der Umfang der Subventionen für die brasilianische Landwirtschaft im Jahr 2000 betrug knapp 350 Millionen Real. Im Grunde gab es aber weder Subventionen für die nationale Agrarproduktion, noch für die mittleren und großen Produzenten und noch weniger für die rund vier Millionen Familienbetriebe.

Für die Großgrundbesitzer fand die Regierung jedoch andere Formen, um deren Privilegien zu sichern. Von den 700.000 Landwirten, die zusammengenommen mit 24 Milliarden Real mit Krediten bei der Banco del Brasil verschuldet sind, steht die Mehrheit nach wie vor in nicht enden wollenden Verhandlungen mit den lokalen Geschäftsführern der Banken. Aber die 14 000 größten Schuldner, deren Ausstände zusammen 15 Milliarden Real (60 Prozent des gesamten Schuldenvolumens) betragen, konnten zügig die Um- oder Entschuldung verhandeln, da ihre Interessen von der Fraktion der ruralen Parlamentarier vertreten werden. Dies allein kostete den Staatshaushalt letztes Jahr 2,2 Milliraden Real.

Die Landwirtschaft ist eine produktive Aktivität sui generis, die von vielen Faktoren in der Natur abhängt, nicht nur vom Menschen oder vom Kapital – abgesehen davon, dass die Landwirtschaft die Ernährung der Bevölkerung sichert. Aus diesem Grund verfolgen alle entwickelten Länder eine Politik der direkten Subvention für Landwirte, deren Hauptziel es ist, die landwirtschaftliche Aktivität zu erhalten, Landflucht zu vermeiden, die Produktion und die Konkurrenzfähigkeit im Außenhandel zu steigern. In jenen Ländern betrug 1999 der Umfang der Subventionen insgesamt rund 361 Milliarden Dollar. Im Schnitt erhielt damit jede Familie in der Landwirtschaft 11 000 Dollar.

Doch die Cardoso-Regierung zieht es offenbar vor, weiter Milch, Käse, Reis, Bohnen, Mineralwasser etc. zu importieren und pro Jahr fünf Milliarden Dollar für landwirtschaftliche Produkte auszugeben, statt die nationale Produktion anzukurbeln und Arbeit und Einkommen für Tausende Bauernfamilien zu schaffen.

Es existiert eine Gesetzesinitiative, ausgearbeitet und beschlossen von den Vorsitzenden aller Parteien, die seit Jahren in den Schreibtischschubladen des Kongresses schlummert. Die Initiative sieht den Ausgleich der Ausgaben der landwirtschaftlichen Erzeuger vor. Oder anders gesagt: wenn ein Land Steuern für den Import eines bestimmten Produktes erhebt, sollte auch Brasilien den gleichen Tarif in den Fällen anwenden, in denen jenes Land wieder nach Brasilien zurück exportiert. Besagte Gesetzesinitiative verschimmelt jedoch im Kongress, wegen des direkten Widerstandes des Ministers Pedro Malan. Die europäischen und US-amerikanischen multinationalen Unternehmen danken ihrem Minister in Brasilia. Wie schon die Professorin Maria da Conceição Tavares sagte, deren Schüler Malan war: die Cardoso-Regierung ist eine reine Vertretung US-amerikanischer Interessen in unserem Land.

 

LATEINAMERIKA

Schwarzes Gold und blaue Wunder – die Erdölpolitik gefährdet die Süßwasserversorgung auf dem Kontinent

Von Juan Gehring

(Berlin, 23. Januar 2001, npl-Poonal).- Ein riesiger Ölteppich treibt auf die Küste der Galapagosinseln zu. Das ecuadorianische Umweltministerium hofft auf ein Wunder oder eine starke Meereströmung, die den Ökogau von der Inselgruppe im Pazifik noch abwenden könne. Bereits vor einer Woche war der ecuadorianische Öltanker „Jessica“, beladen mit 900.000 Litern Rohöl 800 Meter vor der östlichsten Galapagos-Insel San Cristobal havariert. Durch das Leck traten 600 Tonnen Ölschlick aus, die inzwischen eine Fläche von 1200 Quadratkilometer bedecken. Erst kanpp eine Woche später, am Montag Abend dieser Woche rief Ecuadors Präsident Gustavo Noboa den Notstand über der Inselgruppe aus, die für ihre einzigartige Tier- und Pflanzenwelt bekannt ist. Was die Regierung Ecuadors mit einem Erdbeben vergleicht, ist keine unabwendbare Naturkatastrophe, sondern ein weiteres Glied in einer Kette von Umweltskandalen mit System.

Neben der Agroindustrie und dem Bergbau gehören die Förderung und der Transport von Erdöl zum größten Verschmutzungsfaktor der Süßwasserressourcen in Lateinamerika. Schon bei Probebohrungen entstehen regelmäßig hochtoxische Substanzen wie Schwefelwasserstoff, die Luft und Wasser verseuchen.

Die meisten Regierungen Lateinamerikas haben die Deklaration von Rio de Janeiro für Umwelt und Entwicklung, das Abkommen zum Erhalt der Biodiversität sowie das RAMSAR- Abkommen zum Schutz internationaler Feuchtbiotope unterschrieben. Auch die Verfassungen und Gesetzgebungen der einzelnen Staaten verpflichten die Regierungen bestimmte Umweltnormen einzuhalten und dafür zu sorgen, dass Erdölkonzerne gesetzliche Umweltschutzmaßnahmen einhalten – sowohl bei der Förderung als auch beim Transport.

Zudem fürchten insbesondere transnationale Ölkonzerne zunehmende um einen Imageverlust und lassen so genannte Umweltgutachten anfertigen. Trotzdem bezeichnete Jacqueline Aloisi de Larderel, Direktorin der Abteilung Industrie, Technologie und Wirtschaft der UNO, anlässlich der Präsentation eines UN-Berichtes über Erdöl des Umweltprogramme am 14. Juni vergangenen Jahres diese Gutachten als höchst widersprüchlich und erklärte: „In diesen Gutachten werden weder Betriebsplanungen erläutert noch Maßnahmen zu Vermeidung der zu erwartenden Umweltschäden vorgeschlagen.“ Laut des UN-Berichtes soll außerdem weltweit nur ein Drittel aller Gutachten von unabhängigen Stellen verifiziert worden sein.

In der Regel befinden sich die größten Erdölvorkommen entweder Off-Shore, das heißt vor den Küsten, oder aber in unzugänglichen Urwaldgregionen, die nicht selten von indianischen Gemeinschaften besiedelt sind. Die restliche Bevölkerung erfährt von Ölförderprojekten entweder gar nicht oder erst, wenn es zu einem nicht mehr vertuschbaren „Unfall“ gekommen ist.

Erst kürzlich überraschte die guatemaltekische Frauenorganisation „Madre Tierra“ Presse und Öffentlichkeit mit einer Anzeige gegen zwei US-amerikanische Erdölkonzerne sowie den guatemaltekischen Staat. In der Klage heißt es, dass die Umweltschutzauflagen bei einem Erdölforschungsprojekt seit 1992 systematisch unterlaufen wurden. Die Folgen seien unter anderem die Austrocknung des Feuchtgebiets Laguna del Tigre, die weiträumige Abholzung von Urwaldgebieten und die Vergiftung von großen Süßwasservorkommen gewesen.

Am 16. Juli vergangenen Jahres wurden die Uferbewohner des brasilianischen Flusses Barigüi von einem sich rasch ausbreitenden, schwarzen Ölteppich überrascht. Aus einer defekten Pipeline der Raffinerie Getulio Vargas, die zur staatlichen Erdölgesellschaft Petrobras gehört, 25 km von der Hauptstadt des Bundesstaaten Parana entfernt, waren vier Millionen Liter Erdöl ausgeflossen, die sich rasch zu einem riesigen Ölteppich ausbreiteten. Das bedeutete das Ende des gesamten Fischbestandes der Uferregionen sowie eine langfristige Verseuchung des Grundwassers. Verantwortlich für das Ausmaß der Katastrophe war vor die fehlende Notfallausrüstung der Raffinerie – die eigentlich eine gesetzliche Auflage ist. Petrobras war gezwungen ausländische Unternehmen zu engagieren, die über Geräte zum Aufsaugen des Öl verfügten. Die Säuberungsmaßnahmen verursachten weitere Umweltschäden. So mussten die Arbeiter, die den schwarzen Erdölschlick aus den Uferzonen abschippten, ohne Schutzmasken arbeiten und die giftigen Dämpfe einatmen.

Nur ein Jahr zuvor hatte es aus ähnlichen Gründen bei Petrobras einen Rohölunfall in der Guanabara-Bucht gegeben. Die häufigen „Unfälle“ des brasilianischen Erdölunternehmens zogen schließlich die Aufmerksamkeit verschiedener Umweltorganisationen auf sich. So ist im Bulletin „Noticias da Terra“ vom Januar dieses Jahres, herausgegeben vom katholischen Pastoralkomitee CPT, zu lesen, die Vermutung läge nahe, dass die Unfälle seien von der Unternehmensleitung von Petrobras provoziert worden seien, um die Privatisierung der Raffinerie zu beschleunigen.

Der vom katholischen Pastoralkomitee CPT herausgegebene Rundbrief spricht indirekt ein zentrales Problem der lateinamerikanischen Erdölpolitik an. Auf der einen Seite existieren zwar die erwähnten gesetzlichen Umweltschutzauflagen auf nationaler und internationaler Ebene. Andererseits ordnen sich die meisten lateinamerikanischen Regierungen gleichzeitig den von internationalen Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) verabschiedeten Richtlinien zur Investitionsförderung und Privatisierung staatlicher Sektoren der Wirtschaft unter, um weitere Kredite zu erhalten oder in Um- bzw. Entschuldungsverhandlungen mit dem IWF treten zu können.

 

Dominiert von Ungleichheit – gescheitertes Parteiensystem hinterläßt politisches Vakuum

Von Cecilia Remon

(Lima, 22. Januar 2001, na-Poonal).- Der beständige Kampf für eine Agrarreform der landlosen Kleinbauern in Brasilien, die indianische Bewegung in Ecuador, die den Sturz der Regierung unter Präsident Jamil Mahuad herbeiführte; die Proteste in Bolivien gegen die Privatisierung der Wasserversorgung und für eine Landumverteilung, die nationale Streikbewegung der argentinischen Gewerkschaften – dies sind nur einige Beispiele für neue Formen der Mobilisierung und Organisierung, die die zivile Gesellschaft in Lateinamerika entwickelt hat, um das politische Vakuum auszufüllen, das der politische Kollaps der traditonellen Parteien auf dem Kontinent hinterließ. In den letzten Jahren wurden tiefgreifende politische Veränderungen in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern zum großen Teil von den massiven Mobilisierungen dieser Sektoren der Gesellschaft erreicht. Gruppen von Frauen, Jugendlichen, Homosexuellen, Menschenrechtsorganisationen, Umweltvereinigungen und andere Basisinitiativen haben auf der politischen und sozialen Ebene Freiräume erkämpft und Fortschritte erzielt, die wenige Jahre zuvor noch unvorstellbar erschienen.

Für den peruanischen Politikwissenschaftler Carlos Franco schließen sich diese Gruppen aufgrund gemeinsamer spezifischer Interessen zusammen. "Hoffentlich kann dieses Phänomen mit dem Beginn einer neuen Form von politischen Parteien, mit der wachsenden Sensibilität der Mittelklassen, und mit dem diesen Bewegungen originären Anspruch, die Leute direkt anzusprechen, koexistieren" merkt er an. Die Nichtexistenz einer politischen Debatte war einer der Gründe für das Debakel der traditionellen politischen Parteien in Lateinamerika. In vielen Ländern haben sich die Wahlkämpfe in den vergangenen Jahren auf populistische Propaganda im Fernsehen beschränkt. Einer Studie der soziologischen Fakultät der Nationaluniversität von Cordoba in Argentinien zufolge fördert diese „neue Form des Stimmenfangs den gefährlichen Mangel an gesellschaftlichen Zugeständnissen und gesellschaftlichen Partizipation und kann zur vollständigen Frivolisierung der Politik führen."

Das Nichtvorhandensein von klaren politischen Programmen brachte in einigen Fällen unerfahrene bzw. inkompetente Kandidaten oder improvisierte Regierungen an die Macht, die nicht willens oder fähig waren, einen Wechsel herbei zu führen, wie beispielsweise in Ecuador oder Peru. "Wählen ist ein nach wie vor aktuelles Problem. Die Parteien sollten ihre Vorschläge unterbreiten und die Gesellschaft sollte sie achtsam verfolgen. Wir, die Gesellschaft, sollten uns klarer positionieren und die Parteien und die Regierung auffordern, klare Vorschläge zur Wahl zu stellen," fordert Cecilia Blondet, Direktorin des Instituts für Studien zu Peru.

Viele Politologen sehen einen Zusammenhang zwischen politischer und wirtschaftlicher Stabilität. Als Beispiel führen sie die vergleichsweise wohlhabenden Länder des so genannten Cono Sur (Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay) an, die in den vergangenen zwei Jahren auf reguläre Wahlprozesse und Regierungswechsel zurückblicken können. Paradoxerweise waren es aber auch genau diese Länder, die unter dem Erbe der längsten und repressivsten Militärdiktaturen in den 70er und 80er Jahren zu leiden hatten. "Demokratie und Wohlstand gehen solange miteinander einher, wie Länder mit konsolidierten freiheitlich orientierten Regimen fähig sind, effiziente Produktionssysteme zu entwickeln," erklärt der spanische Forscher Roman Ortiz in der peruanischen Tageszeitung El Comercio.

Die Bürger haben große Erwartungen an die Regierungen, die sie wählen. Werden diese Hoffnungen nicht erfüllt, wächst die Desillusionierung erschreckend schnell. "Unsere Regierungen sprechen davon, ihre Versprechen einzuhalten und fahren fort, unsere Souveränität zu demontieren. Sie kritisieren den wilden Neoliberalismus und erfüllen wie in vorauseilendem Gehorsam alle Bedingungen der von den internationalen Finanzorganisationen geforderten Strukturanpassung," bringt Carlos Navarro, leitender Funktionär der Konföderation venezolanischer Arbeiter, den Unmut der Gewerkschaften bei einer internationalen Konferenz über Auslandesschulden im Mai vergangenen Jahres auf den Punkt.

Vor einem Jahr trat Fernando de la Rua sein Amt als neuer Präsident Argentiniens an. Er versprach, die nationale Wirtschaft zu reaktivieren, die Arbeitslosenquote zu senken und die Kluft zwischen Armen und Reichen abzubauen sowie den Zugang der Bevölkerung zur Basisversorgung zu verbessern. Damals zeigten sich 54 Prozent der Argentinier was ihre Zukunft betrifft optimistisch, und verorteten sich unter den zehn "glücklichsten" Ländern der Welt, wie Gallup, ein US-amerikanisches Umfrageinstitut, herausfand. Aber de la Rua erfüllte nicht eines seiner Wahlversprechen. Das Wirtschaftswachstum verlief im Jahr 2000 negativ und die Quote der Beschäftigungslosen stieg von 14,7 Prozent auf 15,4 Prozent an. Nun gehören die Argentinier zu den pessimistischsten Bürgern der Welt. Nur noch 31 Prozent der Bevölkerung ist nach wie vor optimistisch, man verortet sich, was die materiellen, sozialen und politischen Perspektiven für das Jahr 2001 betrifft, inzwischen nur noch auf Platz 62 der 68 von Gallup einbezogenen Länder.

Politikexperten und internationale Organisationen sind sich einig, dass die großen Probleme, die Lateinamerika zu lösen hat, in der wachsenden Armut und sozialen Ungleichheit bestehen. Der Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) zufolge leben 224 Millionen Lateinamerikaner in Armut, das sind 45 Prozent der Gesamtbevölkerung in der Region. Davon sind 53 Prozent unter 20 Jahre alt – ohne Perspektive auf eine bessere Zukunft. Antonio Ocampo, ausführender Sekretär von CEPAL, stellt fest, dass "die absolute Zahl der in Armut lebenden Menschen auf dem Subkontinent und der Karibik höher ist als je zuvor."

Michel Camdessus, ehemaliger Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Institution, die gemeinsam mit der Weltbank die Politik der Strukturanpassungsprogramme während des letzten Jahrzehnts inititiierte, gab kürzlich zu, "gescheitert zu sein". Seine Organisation habe es nicht geschafft, die Einkommensschere in der Region zu verringern. "Leider hält Lateinamerika in dieser Hinsicht den Weltrekord" musste Camdessus während einer Konferenz im vergangenen Juli einräumen und fügte hinzu, was längst alle wissen: "Die Globalisierung scheint mit einer wachsenden Ungleichheit in der Einkommensverteilung einher zu gehen und bis jetzt haben wir keinen Ausweg finden können." Aus seinem Munde klingen diese Worte zwar zynisch, aber sie entsprechen der sozialen Realität. Camdessus, der Anfang 2000 zurücktrat, hatte sein Amt 13 Jahre lang inne und ist erklärtermaßen einer der Hauptverantwortlichen der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich: Die rigide Sparpolitik des IWF, die den Schuldnerländern die Anwendung von wirtschaftspolitischen Maßnahmen auferlegte, ist Grund für die anhaltende Rezession, Arbeitslosigkeit und wachsende Armut.

Natürlich gilt auch die Auslandsschuld der Region, die insgesamt auf 800 Milliarden US-Dollar geschätzt wird, als Ursache für diese Situation. Eduardo Garcia von der lateinamerikanischen Gewerkschaftszentrale (CLAT) zufolge "betrug die Auslandsverschuldung der Region 1975 noch 69 Milliarden Dollar. Sie ist nun auf 800 Milliarden angewachsen, ohne dass jedoch der Teufelskreis aus permanenter Neuverschuldung, nur um die Zinsen abzutragen, durchbrochen werden konnte." Die Regierungen ihrerseits kürzen die Staatsausgaben für öffentliche Dienstleistungen zur Grundversorgung – vor allem für Gesundheit und Bildung – auf ein Minimum zusammen und geben den Großteil des Haushalts – im Fall von Ecuador sind es 50 Prozent – für den Schuldendienst aus.

Berücksichtigt man diese Realität, erscheinen die Reaktivierung der nationalen Ökonomien, die Senkung der Arbeitslosenzahlen und der Abbau der Einkommensschere sowie die Sicherstellung der Grundversorgung für die Bevölkerung als unerreichbare Ziele für die lateinamerikanischen Regierungen. Für Ocampo kann der Kampf gegen die Armut und die Ungleichheit nur durch eine Verbindung von wirtschaftspolitischen und sozialen Maßnahmen beseitigt" werden. Der Schlüssel dafür liege in der Qualitätssteigerung der Bildung und Ausbildung, meint er. "Um die bisherigen kleinen Fortschritte zu festigen, benötigen wir eine Politik, die den Markt in den Dienste der Gesellschaft stellt und nicht umgekehrt."

 

Missbrauch von Antibiotika

(Lima, Dezember 2000, na-poonal).- Die panamerikanische Gesundheitsorganisation (OPS) warnte erneut vor einer exzessiven und unsachgemäßen Einnahme von Antibiotika. Eine zu häufige Einnahme kann eine größere Resistenz der Bakterien gegen diese Medikamente verursachen

Der Warnung der OPS zufolge ist eines der großen Problemen ist die Selbstverabreichung der Antibiotika und deren Verkauf ohne Rezept. „Im allgemeinen können Antibiotika so intensiv benutzt werden, weil in einigen Ländern diese Arzneimittel ohne Rezept gekauft werden können. Es ist zwar gesetzlich verboten, aber der Verkauf ist frei“, erklärte ein Vertreter der Organisation. Das von der OPS geleitete Kontrollnetz untersucht die Empfindlichkeit auf die Antibiotika derauf die Erreger von „Salmonelle“, „Shigelle“ und „Vibrio Cholerae“, die schwere Diarrhöen verursachen.

 

Experte warnt vor einer Kaiserschnitt-Epidemie

(Havanna, 17. Januar 2001, sem-Poonal).- Der Anstieg von Kaiserschnitten in Lateinamerika nimmt epidemische Ausmasse an. Diese Ansicht vertrat der mexikanische Experte Patricio Sanhueza vor Medien in der kubanischen Hauptstadt Havanna.

Nach Meinung von Sanhueza gibt es viele Gründe für den Gebärmutterschnitt, wobei nicht alle Eingriffe einer echten medizinischen Notwendigkeit entsprechen. Neben medizinischen Nutzen für die Gebärende kann die Entscheidung ebenso auf finanzielle Gründe, Bequemlichkeit oder gar die falsche Einstellung, dass es "so sicherer ist", zurückzuführen sein. Konkret nannte Sanhueza Zeitmangel des medizinischen Personals, sowie die Tatsache, dass viele private Krankenkassen, zwar die Kosten eines Kaiserschnitts tragen, nicht jedoch die einer normalen Geburt. Er fügte hinzu, dass die Liste der Symptome, aufgrund derer heute ein Kaiserschnitt empfohlen wird, erweitert worden sei. Problematisch sei jedoch, dass sich viele Ärzte stur an diese Liste halten, ohne jeden Fall für sich zu untersuchen. Dies habe schwerwiegende Folgen für die Frauen der Region.

Als Beispiel nennt der Experte die weitverbreitete, Annahme, dass eine vorhergegangen Geburt mit Kaiserschnitt automatisch eine Indikation dafür sei, dass die Operation bei der nächsten Geburt wiederholt werden müsse. Wenn die Ärzte dieser, seiner Meinung nach falschen, Praxis folgen würden, hätte die natürliche Geburt bald Seltenheitswert in der Region.

Sanhuesa gab weiterhin vor der kubanischen Presse bekannt, dass medizinische Experten in Kolumbien, Mexiko, Guatemala, Kuba, Argentinien und Brasilien eine Untersuchung über die Ausbreitung des Phänomens in Lateinamerika durchführen. Die Forschung wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Europäischen Union (EU) unterstützt.

In Lateinamerika kommen im Durchschnitt zwischen 18 und 21 Prozent der Kinder durch einen Kaiserschnitt zur Welt. In Chile, dem Land, das die Statistik anführt, sind es 60 Prozent aller Frauen, die dieser Operation unterzogen werden, gefolgt von Brasilien und Mexiko. Eine andere, gemeinsam mit den USA durchgeführte Studie ergibt, dass sich 80 Prozent der befragten Gynäkolog*innen, Anästhesist*innen und Kinderärzt*innen mit dem Kaiserschnitt sicherer fühlen als mit einer normalen Geburt.

 

 

 

   

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