Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 387 vom 11. Juni 1999
Inhalt
MEXIKO
MEXIKO/MITTELAMERIKA
HAITI
KUBA
HONDURAS
GUATEMALA
ECUADOR
ECUADOR/KOLUMBIEN
KOLUMBIEN
KOLUMNE
PERU
SURINAM
CHILE
BRASILIEN
ARGENTINIEN
URUGUAY
MEXIKO
Mord am Tag der Meinungs- und Pressefreiheit –
Abscheu über die politische Ausschlachtung der Tat
Von Gerold Schmidt
(Mexiko-Stadt, 9. Juni 1999, Poonal).- „Wenn wir von etwas am Ende dieses Jahrhunderts überzeugt sind, dann davon, daß derjenige, der in unserem Land etwas zu sagen hat, es mit völliger Freiheit, ohne irgendeine Unterdrückung oder Zensur tun kann“, erklärte der mexikanische Präsident Ernesto Zedillo am Montag, dem Tag der Meinungs- und Pressefreiheit und aus Anlaß der jährlichen Verleihung der nationalen Journalistenpreise. Fast zeitgleich starb in der Hauptstadt der Fernsehtalkmaster, Komödiant und Journalist Francisco Stanley durch vier Kopfschüsse. Es ist mehr als unwahrscheinlich, daß der bei einem großem Publikum durch seine täglichen Sendungen beliebte 56jährige Stanley aufgrund seiner öffentlichen Aussagen ermordet wurde. Doch das Verbrechen gegen ihn beleuchtete die Situation der Meinungsfreiheit und die Rolle der Medien in Mexiko auf eine unerwartete Weise, die am Tag danach für eine breite Diskussion in Zeitungen und Radiosendungen sorgte.
Dies ist vor allem den beiden regierungsnahen privaten Fernsehsendern „Televisa“ und „TV Azteca“ zu verdanken. Minuten, nachdem der Mord an Stanley geschehen war, nutzten sie die Tat zu einem stundenlangen Kreuzzug gegen den oppositionellen Bürgermeister von Mexiko-Stadt und wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten, Cuauhtémoc Cárdenas. Ihn allein machten sie für die unbestreitbar schlechte Sicherheitslage in der Hauptstadt verantwortlich. Am Ende des Tages schien der ewige Hoffnungsträger der gemäßigten Linken Mexikos der intellektuelle Mörder Stanleys geworden zu sein, das Opfer wurde zum glorifizierten Helden. Direkt und indirekt forderten die Nachrichtensprecher von Televisa und TV Azteca Cárdenas immer wieder zum Rücktritt auf, von den Kommentatoren ganz zu schweigen. Der Unternehmer Salinas Pliego, Hauptaktionär von TV Azteca, wo Francisco Stanley zuletzt arbeitete, ließ sich einen persönlichen Auftritt in seinem Sender nicht nehmen und schlug in die selbe Kerbe. Außerdem nutzte TV Azteca den Vorfall, um ihn in seine seit Monaten in verschiedenen Programmen betriebene Kampagne für die Todesstrafe einzuspannen.
Dem ersten Anschein nach erwies sich das Vergehen der Fernsehsender als Boomerang. Eine Mehrheit der Zuschauer empfand die Berichterstattung als skandolös. Sie sprechen von „Hetze und Lynchjustiz“. Zahlreiche Medienmitarbeiter äußern sich empört und beschämt, wie der gewaltsame Tod eines Kollegen für politische Zwecke mißbraucht wurde. In Zeitungsartikeln wird darauf hingewiesen, daß die öffentliche Sicherheit in der Hauptstadt und überhaupt vielen anderen Orten des Landes bereits vor dem Amtsantritt von Cárdenas im Dezember 1997 katastrophal war. Als jedoch im September 1994 der Generalsekretär der regierenden PRI, José Francisco Ruiz Massieu, auf offener Straße in Mexiko-Stadt ermordet wurde oder im Juni 1995 der kritische Richter Abraham Polo Uscanga erschossen in seinem Büro lag, waren die Fernsehmedien nicht so beflissen in ihrer Kritik.
In das vom Fernsehen gezeichnete Schwarz-Weiß-Bild passen auch die ersten Ermittlungsergebnisse nicht. Francisco Stanley war kokainabhängig und trug bei seiner Ermordung ein kleines Päckchen der Droge bei sich, vermutlich für den Eigengebrauch. Dies läßt inzwischen Spekulationen aufkommen, die Tat könnte mit dem Drogenhandel in Verbindung stehen. Außerdem fanden die Behörden einen vom mexikanischen Innenministerium ausgestellten Ausweis bei ihm, auf der er als staatlich Beschäftigter mit der Berechtigung zum Waffenbesitz registriert ist. Die schnelle Erklärung des Ministeriums, Stanley habe um Ausweis und Waffengenehmigung gebeten, ist vielen nicht ausreichend. Wie die Untersuchungen „bis zur letzten Konsequenz“, wie Bürgermeister Cárdenas versprochen hat, auch ausgehen mögen, für die Presse- und Meinungsfreiheit in Mexiko war der vergangene Montag ein trauriger Tag.
Student*innen erringen mit Rücknahme der Studiengebühren wichtigen
Sieg – Ende des Universitätsstreiks dennoch nicht sicher
(Mexiko-Stadt, 9. Juni 1999, Poonal).- Der Rektor zog aufgrund eigener Einsicht oder Weisung der Regierung die Notbremse, aber offenbar zu spät. Nachdem Francisco Barnés die zwangsweise Einführung von Studiengebühren an der Autonomen Nationaluniversität Mexikos (UNAM) am 3. Juni zurücknahm – zuvor hatte er diesen Schritt immer wieder kategorisch abgelehnt – schien der Weg für ein Ende des Uni-Streiks nach fast sieben Wochen frei (vgl. Poonal 380). Doch die inzwischen radikalisierte StudentInnenbewegung will sich auf keine Kompromisse mehr einlassen. Den Vorschlag von Rektor Barnés, auf freiwillige Zahlungen zu setzen, bezeichnete das Streikkomitee als „spalterisch“. Es will den Rektor nicht mehr als Gesprächspartner anerkennen und fordert als eine von sechs notwendigen Bedingungen für das Streikende nun seinen Rücktritt. Ein öffentlicher Kongreß soll über die Zukunft der UNAM entscheiden.
In Kürze soll zudem die offizielle Gründung eines Bündnisses zwischen Universitätsgewerkschaft, Akademiker*innen und Student*innen erfolgen. Damit werden die Versuche des Rektors konterkariert, die Student*innen zu isolieren und das Universitätspersonal auf seine Linie einzuschwören. An der UNAM ist das eingetreten, was einige Beobachter*innen und Teilnehmer*innen früherer Streiks vor Wochen voraussagten: Trotz einer anfänglich schweigenden Mehrheit unter den Student*innen und unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Protestbewegung hat der Streik mehr an Zustimmung und Kraft gewonnen, als die staatlichen Stellen anfangs wahr haben wollten. Das Kalkül, die Bewegung leerlaufen zu lassen, ging nicht auf. Ein baldiger Rücktritt des Rektors wäre keine Überraschung mehr.
Armee besetzt immer mehr zapatistenfreundliche Orte
(Mexiko-Stadt, 7. Juni 1999, pulsar-Poonal).- Die mexikanische Bundesarmee drang am Sonntag in die Gemeinde San José im chiapanekischen Landkreis Taniperla ein und richtete an den Zugangsstraßen und in der Umgebung Kontrollposten ein. Damit wurde innerhalb kurzer Zeit der sechste Ort in der Einflußzone der aufständische Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) praktisch von Soldaten und Polzeikräften besetzten. Die anderen fünf Gemeinden sind Nazareth, El Censo, Betania, Francisco Villa y Santa Lucía. Die Militäraktionen haben die Flucht von etwa 1.000 EZLN-Sympathisanten in in andere Orte und in die umliegenden Berge provoziert. Das Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas der Diözese von San Cristóbal befürchtet, daß weitere Dorfbesetzungen geplant sind. Ein Ziel ist es offenbar, die von den Zapatisten in vielen Gemeinden aufgebauten autonomen oder parallelen Verwaltungsstrukturen zu zerstören. Offiziell wird das Einschreiten der Sicherheitskräfte mit der Verbrechensbekämpfung begründet.
MEXIKO/MITTELAMERIKA
Kaum Fortschritte bei Verhandlungen um Freihandelsvertrag
(Guatemala-Stadt, 2. Juni 1999, pulsar-Poonal).- Das guatemaltekische Außenministerium macht die starrsinnige Haltung der mexikanischen Verhandlungsseite dafür verantwortlich, daß die Gespräche über einen Freihandelsvertrag zwischen den mittelamerikanischen Ländern El Salvador, Honduras und Guatemala auf der einen sowie Mexiko auf der anderen Seite nicht vom Fleck kommen. Der mexikanische Verhandlungsführer Eduardo Solís hatte einen Vorschlag über ausstehende Themen präsentiert und eine sofortige Antwort der anderen Staaten verlangt. Diesem Druck wollten sich die stellvertretenden Wirtschaftsminister aus El Salvador, Honduras und Guatemala nicht beugen.
HAITI
Verantwortlicher für Massaker gefaßt
(Port-au-Prince, 6. Juni 1999, crad/pulsar-Poonal).- Der flüchtige Polizeichef der Hauptstadt Port-au-Prince ist im Nachbarland Dominikanische Republik gefaßt und am Samstag den haitianischen Behörden übergeben worden. Coles Rameau wird als der VerantwortlicheR für ein Massaker an elf Jugendlichen in einem Armenviertel vor einer Woche angesehen. Die Untersuchungen ergaben, daß die Polizei sie umbrachte, ohne in Notwehr zu handeln. Die Polizisten waren gerufen worden, um drei jugendliche Kriminelle festzunehmen. Statt diesem Auftrag nachzukommen, erschossen die Polizisten die drei und ermordeten weitere acht völlig unschuldige junge Leute. Das Vorgehen rief bei allen haitianischen Gruppen und den internationalen Organisationen im Land Entsetzen und Proteste hervor. Dies zwang die Regierungsbehörden, die Absetzung und Festnahme des Polizeichefs zu verfügen, der sich daraufhin ins Nachbarland absetzte. Der ab 1995 noch unter Präsident Aristide gemachte Versuch, nach der Abschaffung der Armee eine rechtsstaatliche Polizeitruppe aufzubauen, scheint angesichts des Massakers und vorheriger Übergriffe der Sicherheitskräfte weitgehend gescheitert.
Journalist*innen marschierten für die Pressefreiheit
(Port-au-Prince, 7. Juni 1999, crad/pulsar-Poonal).- Ein Protestmarsch von Medienmitarbeitern durch die Straßen der Hauptstadt gegen die Polizeibrutalität bei Übergriffen auf Mitarbeiter*innen der Medien bestimmte den Lateinamerikanischen Tag der Pressefreiheit in Haiti. Die Demonstranten machten vor dem Justizpalast und dem Hauptquartier der Polizei halt, wo sie in Rufen Gerechtigkeit forderten. Noch am 28. Mai waren vier Journalisten von der Polizei mißhandelt worden. Sie hatten über eine Demonstration gegen Mißstände im Privatsektor in Port-au- Prince berichtet. Kritisiert wurde auch die Entscheidung einer Unternehmerbank, ihre Werbeanzeigen in „Radio Haití Inter“ zu streichen, weil dort ein kritischer Kommentar über den Protestzug der Privatwirtschaft veröffentlicht wurde.
KUBA
Evangelische Kirche erstmals mit öffentlichen Messen
(Havanna, 1. Juni 1999, alc-Poonal).- In Baracoa, Provinz Camaguey, kamen am 1. Juni mehrere tausend Menschen zur ersten öffentlichen Messe der evangelischen Kirchen seit der kubanischen Revolution 1959 zusammen. Die Feier wurde im Stadion Manuel Fuentes Borges abgehalten und vom staatlichen Fernsehen live ins ganze Land übertragen. Diesem Auftakt werden im Juni noch mehrere öffentliche Veranstaltungen der evangelischen Kirche folgen. Eine weitere Besonderheit ist, daß daran insgesamt 49 evangelische Kongregationen mit zum Teil sehr unterschiedlicher religiöser Ausrichtung teilnehmen. Die Vorbereitungen für die gemeinsamen Feiern begannen bereits 1996. Zu den Anwesenden gehörten neben Regierungsmitgliedern auch Gäste aus den USA, Kanada sowie mehreren lateinamerikanischen und karibischen Ländern.
HONDURAS
„Cubans go home“ – einheimische Ärzte fürchten um ihre Pfründe
(Tegucigalpa, 4. Juni 1999, pulsar-Poonal).- Die honduranische ÄrztInnenkammer hat den sofortigen Abzug der medizinischen Hilfsbrigaden Kubas aus dem Land gefordert. Die Brigaden kamen nach dem Hurrikan Mitch im Oktober des vergangenen Jahres, um in den abgelegenen Gegenden von Honduras solidarische Unterstützung zu leisten. Jetzt zieht die ÄrztInnenkammer ihre akademische Qualifikation in Zweifel. Wenn die etwa hundert kubanischen Ärzt*innen nicht bis zum 15. Juni ausgereist seien, so droht die Kammer, würde sie zu Zwangsmaßnahmen greifen. Allerdings scheinen die einheimischen Götter in Weiß die Rechnung ohne Bevölkerung und eigene Regierung gemacht zu haben. Das Gesundheitsministerium erklärte sich für die Präsenz und den Verbleib der Kubaner*innen verantwortlich. Die Bevölkerung zeigt allgemein Unverständnis für die Haltung der honduranischen Ärzt*innen. Diese seien egoistisch und einzig um ihr Einkommen besorgt, ist zu hören. In vielen Regierung herrscht Dankbarkeit gegenüber den Brigaden, weil sie sich auch in Zonen begaben, für die sich die einheimischen Ärzt*innen zu fein vorkamen.
GUATEMALA
Neues Bündnis will Empfehlungen der Wahrheitskommission umsetzen
(Guatemala-Stadt, 1. Juni 1999, cerigua-Poonal).- In ihrem ersten öffentlichen Auftritt seit der Gründung am 28. Mai hat die „Koalition für Frieden und Harmonie“ dem Kongreß eine Gesetzesinitiative überreicht. Damit soll eine Stiftung ins Leben gerufen werden, die die Erfüllung der Empfehlungen der sogenannten Wahrheitskommission für eine Demokratisierung der guatemaltekischen Gesellschaft unterstützt und umsetzt. Angelehnt an den Namen des Bündnis aus über 60 Menschenrechts-, Gewerkschafts-, Indigena- und StudentInnenorganisationen soll die Einrichtung „Stiftung für Frieden und Harmonie“ heißen.
Militärs wollen negativen Volksentscheid für eigene Zwecke nutzen
(Guatemala-Stadt, 2. Juni 1999, cerigua-Poonal).- Das jüngste Scheitern von fast 50 Verfassungsreformen aufgrund des negativen Ergebnisses der Volksbefragung vom 16. Mai könnte gesetzliche Folgen für eine Reihe von Menschenrechtsverfahren vor den Gerichten haben. Es gibt bereits den ersten Fall, wo drei angeklagte hohe Armeeoffiziere jetzt verlangen, vor ein Militär- statt ein Zivilgericht gestellt zu werden. Die Anwälte der Offiziere, die für den Mord an der Anthropologin Myrna Mack im Jahr 1990 verantwortlich gemacht werden, verweisen auf den Verfassungsartikel 219. Darin werden Militärgerichte autorisiert, über „von Mitgliedern der guatemaltekischen Armee begangene Vergehen und Verbrechen“ zu urteilen. Die Verteidigung legt das so aus, als ob Militärpersonal grundsätzlich vor Militärgerichte gestellt werden müßte. „Der Vorrang der Verfassung sollte respektiert werden“, so der Anwalt Fernando Gutiérrez, der den General i. R. Edgar Godoy Gaitán und die Oberste Juan Valencia Osorio und Juna Oliva Carrera verteidigt.
Der Artikel 219 wäre einer der Verfassungsartikel gewesen, die bei einem „Ja“ in der Volksbefragung Änderung erfahren hätten. Die Militärgerichtsbarkeit wäre in ihren Kompetenzen deutlich eingeschränkt worden und Interpretationen, wie sie die Anwälte nun vorbringen, hätten keine Grundlage mehr gehabt. In der normalen, der Verfassung aber untergeordneten Gesetzgebung, ist bereits seit drei Jahren die zivile Kompetenz für alle „gewöhnlichen Verbrechen“, die Armeeangehörige begehen, festgelegt. Der Mordfall Myrna Mack war einer der ersten, der so vor die zivilen Gerichte gebracht wurde. Das Verfahren ist aber noch nicht eröffnet.
Nach Meinung von Luis Ramírez vom Institut für Vergleichende Studien der Kriminalwissenschaften (IECCPG), haben die Argumente der Angeklagten wenig legales Gewicht. Schließlich gebe es gut begründete Präzedenzfälle, in den Militärpersonal schon vor Zivilgerichten stehe. „Die Verfassung sagt, daß Zivilisten nicht von Militärgerichten verurteilt werden dürfen, aber (sie sagt) nicht notwendigerweise, daß Militärpersonal unter dem Militärgesetz verurteilt werden muß“, so Ramírez. Er vermutet vor allem eine Verzögerungstaktik hinter dem Ansinnen der Anwälte.
Über den Ausgang des Streits ist er allerdings nicht ganz sicher. Würde aus politischen Motiven ein neuer Präzedenzfall gesetzt, dann könnten die Ergebnisse „wirklich gefährlich“ sein, meint der Rechtsexperte. „Es wäre der Bankrott des guatemaltekischen Rechtssystems.“ Bis 1996 waren so gut wie alle Verfahren, in die Militärs verwickelt waren, auch vor Militärgerichten verhandelt worden. Aber noch während der Friedensgespräche zwischen Regierung und Guerilla schaffte das guatemaltekische Parlament das alte System ab. Es stand weit verbreitet unter der Anklage, schuldige Soldaten und Offiziere zu schützen, insbesondere in den Fällen von eklatanten Menschenrechtsverletztungen.
ECUADOR
Mißhandlung von Mädchen nimmt zu
(Quito, Juni 1999, fempress-Poonal).- In der Familie werden Mädchen am meisten attackiert und der Ort, wo Mädchen am meisten mißhandelt werden, ist das eigene Zuhause. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Ecuadoreanischen Forschungs- und Ausbildungsinstitutes der Frau. Mädchen zwischen sechs und zwölf Jahren stellen dabei anteilmäßig die meisten Opfer. Dabei wird Kinderarbeit als eine Form der Mißhandlung gewertet. In den „unteren Volksschichten“ müssen schätzungsweise neun von zehn Mädchen über sechs Jahren arbeiten, bei Jungen sind es nur die Hälfte. Ein hoher Prozentsatz der Mädchen „hilft der Mutter“, anstatt zur Schule gehen zu dürfen. Was die körperliche Bestrafung angeht, so erregt es Aufmerksamkeit, daß die Mädchen in mehr als der Hälfte der Fälle „die Strafe als eine Lebens- und Erziehungsform akzeptieren“. Eine der Empfehlungen der Studie ist es, das Amt des/der Kinderbeauftragten zu schaffen.
Grenzkontrollen zu Kolumbien verstärkt
(Quito, 4. Juni 1999, pulsar-Poonal).- Der ecuadorianische Verteidigungsminister General José Gallardo hat angekündigt, die Grenze zu Kolumbien militärisch zu verstärken. Diese Maßnahme soll verhindern, daß kolumbianische Guerilleros und Paramilitärs den Nachbarstaat als Rückzugszone nutzen. Eine ähnliche Aktion hat Panama an der gemeinsamen Grenze mit Kolumbien vorgesehen. Regierungsstellen wiesen allerdings heftig Spekulationen zurück, dabei könnten US-Militärs behilflich sein.
ECUADOR/KOLUMBIEN
Kirchen hinter Stehle
(Quito/Bogotá, 7. Juni 1999, pulsar-Poonal).- Nach dem von der kolumbianischen Regierung erteilten Einreisverbot für den deutschen Bischof Emil Stehle hat dieser Rückendeckung durch die Bischofskonferenzen Kolumbiens und des Nachbarlandes Ecuador bekommen. Beide drückten in Dokumenten ihre Zustimmung zur humanitären Arbeit Stehles aus, der derzeit in der ecuadoreanischen Diözese Santo Domingo de los Colorados tätig ist. Er will sich um die Freilassung der mehr als 50 Personen bemühen, die nach der spektakulären Geiselnahme in einer Kirche der Stadt Cali immer noch von der Guerillabewegung ELN festgehalten werden. In ähnlichen Fällen konnte Stehle mehrfach erfolgreiche Vermittlungsarbeit leisten. Allein nach Kolumbien reiste der Bischof seit 1996 etwa 50 ein, um an der Freilassung von Personen in der Gewalt der Guerilla mitzuwirken.
Kolumbiens Präsident Andrés Pastrana ordnete den Grenzbehörden aber Ende vergangener Woche an, den Bischof auf keinen Fall ins Land zu lassen. Die Regierung wirft ihm indirekt zu große Nähe zur ELN vor. Formal verbieten die kolumbianischen Gesetze eine Vermittlung ohne die direkte Zustimmung des Präsidenten, doch spielte das in der Praxis zuvor keine Rolle. Beide Vorsitzende der Bischofskonferenzen verbürgten sich für die missionarische und moralische Integrität Stehles. Sie wiesen ebenfalls den Vorwurf zurück, sein Eingreifen könne die Gespräche zwischen Regierung und Guerilla stören. Die ELN hat unterdessen am Wochenende fünf weitere Geiseln freigelassen. Vorausgegangen war eine präsidentielle Anordnung an die kolumbianische Armee, ihre Versuche, die ELN einzukreisen, aufzugeben.
KOLUMBIEN
Staatskrise erschüttert monolithisches Zweiparteiensystem –
Streit um neues Gesetz zum „Nationalen Frieden“
Von Stefanie Kron
(Bogota, 10. Juni 1999, npl). – Die massive Krise der kolumbianischen Regierung scheint nun auch das monolithische Zweiparteiensystem aus Konservativen und Liberalen zu erschüttern, die sich seit mehr als vierzig Jahren an der Macht abwechseln und traditionell jedweder zivilen Opposition mit massiver Repression begegnen. Den sichtbaren Anfang nahm die Staatskrise Ende Mai, als der rechtsgerichtete Verteidigunsminister Rodrigo Lloreda überraschend aus Protest gegen die in seinen Augen „Terroristen- freundliche“ Friedenspolitik des konservativen Präsidenten Andres Pastrana zurückgetrat. Nun ist am Montag im kolumbianischen Parlament der Vorschlag für eine Verfassungsreform knapp gescheitert, die dem Staatschef Sondervollmachten für Friedensgespräche mit den revolutionären Befreiungsbewegungen des lateinamerikanischen Landes eingeräumt hätten.
Die Initiative zur Änderung des umstrittenen Gesetzes 418 sah weiterhin die Einrichtung entmilitarisierter Zonen, in denen Friedensverhandlungen statt finden sollen, die Amnestie der Guerillakämpfer*innen im Zuge eines Planes der nationalen Versöhnung sowie Wahlrechtsänderungen vor. Die Ablehnung der Initiative seitens einer Allianz aus liberalen und unabhängigen Parlamentariern war von harscher Kritik am Kurs der Friedenspolitik Pastranas begleitet. Horacio Serpa, Oppositionsführer der Liberalen Partei (LP) und früherer Präsidentschaftskandidat, erklärte, er unterstütze die Friedensinitiative der Regierung, aber nicht die Verfassungsänderung, durch die Pastrana eine nahezu „diktatorische Machtfülle“ erhalten hätte. Sein Parteigenosse Jose Trujillo fügte hinzu, der Frieden könne nicht erreicht werden, „indem die exekutive, legislative und juristische Macht in einer Personzusammen laufe“.
Konkret wirft die Opposition Pastrana, der im August vergangenen Jahres sein Amt als selbsternannter Hoffnungsträger für Friedensverhandlungen mit den Guerilla-Organisationen angetreten war, vor, den Dialog mit den FARC, der größten Befreiungsbewegung des Landes, unter Ausschluß der Opposition und im Alleingang entschieden zu haben. Politische Differenzen hinsichtlich der Gesetzesreform herrschen vor allem über die Bedingungen für eine mögliche Amnestie der Guerillakämpfer. Die Opposition besteht darauf, daß eine Amnestie der Aufständischen an deren Absage an den bewaffneten Kampf geknüpft sein müsse.
Aus anderen Gründen unzufrieden mit der stark auf die Person Pastranas ausgerichteten Friedenspolitik sind auch die Aktivist*innen der Menschenrechtsbewegung in Kolumbien. Juana Aponte von der „Menschenrechtsgruppe der Universidad Nacional, Bogota“ drückt ihren Unmut folgendermaßen aus: „Pastrana hat viel vom Frieden gesprochen, aber seine Politik läuft auf eine Verschärfung des Konflikts hinaus. Tatsächlich hat sich die Repression gegen die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen auch eher verschärft“.
Pastrana, der zudem unter den wachsenden Druck der Paramilitärs gerät, die in die Friedensverhandlungen miteinbezogen werden wollen, versucht unterdessen, den Dialog mit den Aufständischen fortzusetzen. Den FARC, der größten Guerilla-Organisation des Landes sicherte er nun offiziell, begleitet von massivem Protest des Militärs zu, ein entmilitarisiertes Gebiet von der Größe der Schweiz für die weitere Dauer der Verhandlungen in den Händen der Rebellen zu belassen. Auch mit der Kommandozentrale der zweitgrößten Befreiungsbewegung, der ELN, setzte er sich inzwischen in Kontakt, um über die Freilassung von 25 Passagieren eines Inlandflugzeuges zu verhandeln, das die ELN am 12. April gekapert hatte. Außerdem befinden sich weiter 54 Kirchgänger und Angehörige der Oberschicht aus der Millionenstadt Cali sowie seit vergangenem Sonntag neun Mitglieder eines exklusiven Sportfischerclubs, in den Händen der ELN-Guerilleros.
Anders als die FARC, hat die ELN jedoch nicht vor, mit der Regierung zu verhandeln, sondern fordert den Abzug des Militärs aus einem Gebiet von 8.000 Quadratkilometern in der Provinz Bolivar, um dort mit verschiedenen Sektoren der zivilen Gesellschaft einen Friedensplan zu entwickeln. Ihr Chef Antonio Garcia hatte aber am Sonntag die Freilassung der Geiseln sowie die Beendigung weiterer Entführungspläne und anderer militärischer Aktionen in Aussicht gestellt, wenn die Bundesrepublik Deutschland sich bereit erkläre, im seit vierzig Jahre andauernden internen bewaffneten Konflikt in Kolumbien zu vermitteln. Die bundesdeutsche Regierung solle bei Pastrana durchsetzen, daß die Entführungen und Massaker der von der kolumbianischen Armee unterstützen rechtsgerichteten Paramilitärs gegen die Zivilbevölkerung aufhören.
Innenminister Nestor Martinez, der die Ablehnung der Verfassungsänderung als „Schlag mit dem Zaunpfahl gegen das Knie der Friedensverhandlungen“ bezeichnete, ließ inzwischen verlauten, die Regierung werde für den 16. Juli eine Parlamentsdebatte ansetzen, bei der über ein Referendum abgestimmt werden solle, um die geplante Gesetzesänderung doch noch durchzusetzen.
Paramilitärs lassen Senatorin frei
(Bogotá, 4. Juni 1999, pulsar-Poonal).- Piedad Córdoba ist wieder frei. Die Senatorin der liberalen Partei wurde im Landkreis Necoclí, Provinz Antioquia, einer Kommission von konservativen Abgeordneten und einem Mitglied der Bundesstaatsanwaltschaft übergeben. Córdoba war am 21. Mai von Paramilitärs entführt worden, die sie beschuldigten eine Figur im Dienst der Guerilla- Diplomatie zu sein.
KOLUMNE
Portraits eines Experten mit Ruf – Von Eduardo Galeano
Er lebte die Leute mit Blei vollpumpend und starb mit Blei vollgepumpt.
Er hatte mit vielen Kugeln getroffen bevor die Kugeln ihn trafen, eines Nachts im Jahr 1995. Damals war es schon eine gute Weile her, daß er den Überblick verloren hatte: als er bei Hundert angekommen war, hörte er auf zu addieren.
Bis auf die vier Schüsse auf seine Frau, die er abgab, weil man ja nie genau weiß, hatte Juancho Loayza immer für andere getötet:
„Das niemand Schlechtes denken wird“, sagte er, „Ich mache es für Geld.“
Seine Arbeit brachte ihm Berühmtheit und Respekt in den Straßen von Corinto und in anderen kleinen Dörfen und Städten des Tals von Cauca ein. Nein, nicht in ganz Kolumbien, denn es gab viel Konkurrenz.
Er war das Fundament seiner Familie, Stütze seiner Mütter, Schild seiner Schwestern. Im Hinterzimmer des Hauses, am Ende des langen Flures, gab es einen kleinen Altar, der der Jungfrau gewidmet war.
Wenn Juancho unterwegs war, um eine Dienstleistung zu erfüllen, blieben die Mutter und die Schwestern dort, wie auf Knien angewurzelt, Stunde um Stunde und griffen die Rosenkranz ab: sie baten die Wundertätige, eine kleine Hilfe zu geben, damit die Arbeit gut ausginge.
PERU
Regierung sieht rot
(Lima, 7. Juni 1999, pulsar-Poonal).- Für den peruanischen Parlamentspräsidenten Víctor Joy Way sitzen im Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof der Organisation amerikanischer Staaten nur linksgerichtete Persönlichkeiten. Hintergrund ist eine vor wenigen Tagen getroffene Entscheidung des Richtergremiums. Darin wird der peruanische Staat aufgefordert, den Prozeß gegen vier angebliches Terroristen chilenischer Staatsbürgerschaft neu aufzurollen. Statt wie geschehen vor einem Militärgericht soll das Verfahren außerdem vor einem zivilen Gericht stattfinden. Beim früheren Prozeß seien neuen Artikel der Amerikanischen Menschenrechtskonvention verletzt worden.
Für Joy Way ist das Urteil „empörend“. Die Mitglieder des Tribunals würden die peruanische Realität nicht kennen. Es dürften keine Terroristen freigelassen werden, nur weil dem Land fremde Personen dies verfügten. Die Entscheidung des Gerichts, den Familienangehörigen der Verurteilten eine Entschädigung zu zahlen, wies bereits Präsident Alberto Fujimori zurück. Er werde diesen Beschluß nicht befolgen. Der staatliche Menschenrechtsbeauftragte Jorge Santistevan de Noriega übte sich dagegen in leichter Distanz zur Regierung. Es handele sich „nur um die Bitte einer Korrektur. Niemand beabsichtigt, diese Personen freizulassen“.
Die Chilenen sind vier von den sechs Ausländern, die aufgrund von bestehenden oder angeblichen Verbindungen zur Revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) in Peru als Terroristen verurteilt sind. Insgesamt sind im Land schätzungsweise 4.000 Personen wegen „Terrorismus und Vaterlandsverrat“ inhaftiert. Mindestens ein Viertel davon soll völlig unschuldig sein. Die sogenannten Terrorismusprozesse in Peru haben immer wieder für nationales und internationales Aufsehen gesorgt. Die Verfahren fanden ausschließlich vor Militärgerichten statt. Für die Angeklagten gab es kaum Verteidigungsmöglichkeiten. Oft reichte die pure Denunziation aus, umsie zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe zu verurteilen. Erst nach vielen Protesten ging die Regierung von Fujimori darauf ein, eine Begnadigungskommission zu bilden, die einen Teil der Fälle überprüft. Dabei stellten sich Anschuldigungen häufig als absolut haltlos heraus und die verurteilten „Terroristen“ kamen frei. Unabhängig von der Schuld der Angeklagten kritisieren viele Menschenrechtsorganisationen, daß die Art der Terrorismusprozesse jeglicher Elemente eines rechtsstaatlichen Verfahrens entbehrten.
SURINAM
Wirtschaftskrise stürzt den Präsidenten
(Paramaribo, 3. Juni 1999, pulsar-Poonal).- Das Parlament Surinams sprach Präsident Jules Wijdenbosch und seinem gesamten Kabinett das Mißtrauen aus. Eine Mehrheit der Abgeordneten macht die Regierung für den wirtschaftlichen Kollaps des Landes verantwortlich. In den zurückliegenden Wochen hatte es den größten Generalstreik in der Geschichte der ehemaligen holländischen Kolonie gegeben. In riesigen Demonstrationen war mehrfach der Rücktritt der Regierung gefordert worden. Die Oppositionsparteien ernannten eine Übergangsregierung, die das Land aus poltischem und wirtschaftlichem Chaos führen soll. Die schwierigste Aufgabe wird es sein, eine Person zu finden, die das Präsidentenamt neu besetzt. Die Verfassung schreibt dafür eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten vor. Diese Mehrheit im Parlament zustande zu bringen, wird voraussichtlich längere Zeit dauern.
CHILE
Das Modell zeigt seine Schwächen – Wirtschaftswunder ist vorbei
Von Particia Quiróz
(Santiago, Juni 1999, anchi-Poonal).- Chile als erfolgreiches Beispiel neoliberaler Wirtschaftspolitik und für den Freihandel zu nennen, ist out. Ein Blick auf die letzten Wirtschaftsdaten, seien sie offiziell oder alternativ, lassen Optimisten verstummen. Das nationale Statistische Institut (INE) informierte über ein mehr als zweiprozentiges Ansteigen der Arbeitslosigkeit in den vergangenen Monaten. Damit ist die Arbeitslosenquote auf 8,5 Prozent gestiegen. Absolut gesehen sind 136.280 Menschen mehr ohne Arbeit als noch vor wenigen Wochen. Insgesamt gibt es im Land 435.000 Arbeitslose.
Die Universität von Chile sagt sogar ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit auf 11 Prozent und mehr voraus. Unabhängige Ökonomen gehen gar von einem Anstieg auf 19 bis 23 Prozent aus. Sie beziehen den informellen Sektor wie Straßenverkäufer oder Saisonarbeiter in der Landwirtschaft mit in ihre Berechnungen ein. Hinzu kommt die schwierige wirtschaftliche Lage vieler Familien, die mit weniger als 300 US-Dollar pro Monat auskommen müssen, anderthalb Millionen Menschen, die in Armut leben und die Krisen junger Arbeiter*innen und Akademiker*innen, die Jahr um Jahr um eine Stelle auf dem gesättigten Arbeitsmarkt kämpfen.
Eine Verschärfung der Situation wird von verschiedenen Beobachtern und Wissenschaftlern für den chilenischen Winter erwartet, der um die Jahreshälfte eintritt. Dann könnte die Zahl der Arbeitslosen auf 700.000 schnellen. Der jetzt schon überproportional gebeutelte Bausektor wird dann noch härter getroffen. Sehr schlecht sieht die Situation auch in der metallverarbeitenden Industrie aus.
Die hohen Wachstumsraten der chilenischen Ökonomie gehören der Vergangenheit an. In den vergangenen sechs Monaten wurde die Rate ständig geringer. Noch geht die chilenische Regierung von einem insgesamt dreiprozentigen Wachstum für 1999 aus, die Unternehmer und die unabhängigen Ökonomen haben die Prognosen allerdings auf 1,6 Prozent nach unten korrigiert. Der sozialistische Präsidentschaftskandidat Ricardo Lagos erklärte kürzlich in New York, die chilenische Wirtschaft stehe „auf einer soliden Basis, weshalb sie im zweiten Halbjahr ihr Wachstum wieder aufnehmen wird.“ Der Präsident der Zentralbank, Carlos Massad, äußerte, die Wirtschaft befinde sich „in einem notwendigen Anpassungsprozeß, mit geringer Aktivität und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit“.
Suizid eines Militärs
(Santiago, 5. Juni 1999, comcosur-Poonal).- Der ehemalige Soldat Nelson Bañados Pinto ertrug seine Schuld an der Beteiligung am Staatsstreich gegen Salvador Allende vom 11. September 1973 nicht mehr. Wie bekannt wurde, nahm er sich vor wenigen Tagen in seinem Haus in der chilenischen Hauptstadt das Leben. Als junger Soldat hatte Bañados direkt an der Entführung des spanischen Priesters Joan Alsina mitgewirkt, als dieser im Krankenhaus San Juan de Dios wirkte. Der Priester wurde aus der Schule, wo er eingesperrt war, von Bañados und von Hauptmann Mario Caravez zu einer Brücke über den Mapocho geführt und dort erschossen. Der Geistliche bat die Soldaten, ihm die Augen nicht zu verbinden und ihn von vorn zu töten.
Miquel Jordá, ein anderer, auch in Katalunien geborener Priester, hatte 16 Jahre nach dem Erschießungskommando gesucht, um ihnen einen Brief der Eltern von Joan zu übergeben, in dem sie den Tätern ihr Verbrechen verzeihen. Im August 1989 fand Jordá Bañados und dieser erzählte ihm detailliert die Entführung, die Haft und die spätere Erschießung von Pater Alsina. Hauptmann Caravez starb kurz nach dem Erhalt des Briefes bei einem Verkehrsunfall. Bañados wurde im vergangenen Jahr einer größeren Öffentlichkeit bekannt, als das katalanische Fernsehen eine Reportage ausstrahlte, in der er das Verbrechen noch einmal genau schilderte und vor der Kamera um Vergebung bat. Jetzt hinterließ er einen Brief, in dem er mitteilte, nicht länger mit seinen Gewissensbissen leben zu können.
Großkonzert für die Menschenrechte
(Santiago, 6. Juni 1999, recosur-Poonal).- Vor mehr als 40.000 Personen im chilenischen Nationalstadion endete die XIX. Internationale Woche des Verhafteten-Verschwundenen mit einem Konzert verschiedener Gruppen. Das Motto der Veranstaltung war „Gerechtigkeit, nicht mehr, aber auch nicht weniger“. Die Mehrheit der Teilnehmer*innen des Konzertes waren Jugendliche, die mit Plakaten „Nein zur Straffreiheit“ oder „Wahrheit und Gerechtigkeit“ in den Händen zu den Liedern und zur Musik der Liedermacher*innen, Hiphop- und Rockgruppen sangen und tanzten. In einem an die Medien verteilten Brief warnte Sola Sierra von der veranstaltenden Gruppe der Familienangehörigen Verhafteter- Verschwundener vor den Versuchen, die Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit zu einer „archäologischen und administrativen Wahrheit“ werden zu lassen, die statt das Problem zu lösen, es erschwere und die Straffreiheit präsent sein lasse.
BRASILIEN
Erstmals Frau an Obersten Gerichtshof
(Río de Janeiro, 2. Juni 1999, recosur-Poonal).- Präsident Fernando Henrique Cardoso hat die 54jährige Eliana Calmom Alves zum Mitglied des Obersten Gerichtshofes Brasiliens ernannt. Die Richterin war bereits vergangenes Jahr für dieses Amt vorgeschlagen mußte, mußte damals aber einem Mann den Vortritt lassen. Die brasilianische Frauenbewegung machte sich seit längerem für die Kandidatin stark. Calmom ist wegen ihres Fachwissens geschätzt, wegen ihres „interpretativen“ Stils bei Gerichtsurteilen allerdings von konservativen Kollegen öfter kritisiert worden. Ihre Ernennung ist ein weiterer Schritt, die in den letzten Jahren langsam, aber stetig gewachsene Präsenz der Frauen im Gerichtswesen des Landes zu verstärken.
Das lohnende Geschäft mit der Abwertung des Real
(Eichstetten/Rio, Mai 1999, kobra/ibase-Poonal).- Vor wenigen Wochen wurde er eingerichtet: Der parlamentarische Untersuchungsausschuß, der die Unregelmäßigkeiten der Banken zur Zeit des Kursverfalls des Real aufklären soll. Im Januar, am Vorabend der Freigabe des Wechselkurses, hatten mehrere Banken überraschend ihre Finanzpolitik geändert. Statt weiterhin auf die Sicherung der brasilianischen Währung zu setzen, hatten sie auf eine Freigabe hin investiert. Neun Banken wurden so zu den Hauptprofiteuren der Abwertung des Real. Der Parlamentsausschuß kommt zu manchen interessanten Erkenntnissen.
Immerhin ist möglich, daß die jeweiligen Finanzexpert*innen der Banken im Januar zu einer ähnlichen Einschätzung der Situation gelangten, und deshalb die Einigkeit bei der Entscheidung der Institute in ihrer Kurskorrektur nicht verblüffen muß. Der parlamentarische Untersuchungsausschuß hält es aber für auffällig, daß diese Änderung bei allen Banken genau am 12. Januar, am Tag vor der Kursfreigabe des Real durch die Zentralbank, entschieden wurde. Während am 11. Januar noch relativ ausgewogen auf Stabilität (149 Millionen Reales) und Verfall (110,5 Millionen Reales) der Währung gesetzt wurde, ändert sich dieses Verhältnis am 12. Januar schlagartig: 323,5 Millionen werden auf die Abwertung „gewettet“, auf die Beibehaltung des Wechselkurses dagegen nichts mehr.
Der Untersuchungsausschuß kommt aufgrund dieser Daten zu einem naheliegenden Verdacht: Die Banken haben eben nicht alle exellente Finanzexpert*innen, die auf die Stunde genau den Verfall der Währung vorhersagen können, sondern es müssen entsprechende Informationen auf dem Markt gewesen sein. Irgend jemand in der Zentralbank muß mit vertraulichen Informationen zur Geld- und Finanzpolitik dieser Institution handeln. Bei den Untersuchungen zu diesem Verdacht ist mittlerweile so manche Ungereimtheit zutage getreten.
So können dem Ex-Direktor der Zentralbank, Fransisco Lopes, verschiedene Verwicklungen nachgewiesen werden. Zum einen hat Lopes sich zu keinem Zeitpunkt von seiner privaten Consultingfirma getrennt, wie er es offiziell verkündet hatte, als er Zentralbankschef wurde. Außerdem besitzt er Konten im Ausland, die in den entsprechenden Einkommenssteuererklärungen jedoch nicht angegeben sind.
Soweit klingen die Beschuldigungen noch recht harmlos. Daß aber die von Lopes und einem Freund geführte Consultingfirma nach Aussage eines Marktoperateurs „privilegierte“ Kunden hatte, die zu Geschäften mit einem Nullrisiko beraten wurden, wirkt da schon schwerer. Lopes‘ Unternehmen selbst strich dabei eine 30- prozentige Gewinnprämie ein, ungewöhnlich hoch für den Markt und nur durch die Zusicherung eines Nullrisikos zu erklären. Bleibt die Frage, wie eine Consultingfirma ein Nullrisiko garantieren kann? Durch vertrauliche Informationen aus der Zentralbank, mutmaßt der Untersuchungsausschuß.
Und noch etwas scheint bisher unklar: Die Marka-Bank sowie die Bank FonteCindam hatten sich im Januar deutlich verkalkuliert, so daß ihnen der finanzielle Ruin drohte. Beide erhielten jedoch von der Zentralbank hohe Unterstützungsleistungen und konnten sich erholen. Zur Begründung nannten die Bankiers die Gefahr einer weitreichenden brasilianischen Bankenkrise. Diese Einschätzung läßt sich aufgrund der Daten nicht nachvollziehen. Außerdem förderte der Untersuchungsausschuß auch bei diesen Transaktionen und ihren Vereinbarungen zahlreiche Punkte zutage, die eher auf Freundschaftsdienste denn auf finanzpolitisch begründete Überlegungen schließen lassen.
Wie weit die Kreise sein werden, die der Ausschuß noch ziehen wird, läßt sich bisher nicht abschätzen. Noch ist ungeklärt, wieviel Finanzminister Malan im Januar gewußt und mitgetragen hat, seine Berufung vor den Untersuchungsausschuß steht noch zur Debatte. Auch eine Firma zweier Söhne eines Ex-Ministers von Fernando Henrique Cardoso wird noch überprüft werden. So gibt es bezüglich dieser „Bankengeheimnisse“ noch genug Grund zur Sorge für den Präsidenten Brasiliens. Immerhin haben sich die Untersuchungen des Parlamentarischen Ausschusses zum lautstärksten Skandal in seiner Amtszeit entwickelt.
ARGENTINIEN
Parteien ohne Geld
Von Andrés Gaudin
(Buenos Aires, 7. Juni 1999, na-Poonal).- Die politischen Parteien Argentiniens werden für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Oktober erstmals seit der Wiederherstellung der Verfassung im Jahre 1983 kein staatliches Geld für ihren Wahlkampf erhalten. Bisher hatte der Wirtschaftsminister das Geld immer sechzig Tage vor den Wahlen angewiesen. In diesem Jahr wäre das am 24. August der Fall gewesen. Am 30. Dezember des vergangenen Jahres legte der amtierende Präsident Carlos Menem jedoch sein Veto gegen das seit 1985 geltende Parteiengesetz ein. Danach bekam jede Gruppierung proportional zu den für sie bei den vorhergehenden Wahlen abgegebenen Stimmen eine bestimmte Geldsumme.
1985 gab es einen halben Austral für jede Wählerstimme, nach dem Verschwinden dieser Währung und nach zwei hyperinflationären Zeiträumen, in denen diese Summe kaum eine Bedeutung hatte, belief sich der Betrag seit 1991 auf 2,50 Pesos pro Stimme, was 2,50 US- Dollar entspricht. Für die kommenden Wahlen hatten die Abgeordneten am 23. Dezember 1999 einstimmig beschlossen, drei Pesos pro Stimme auszuzahlen. Im Haushalt 1999 wurden entsprechend 53 Millionen Pesos unter der Rubrik „Finanzierung der Präsidentschaftswahlen“ bereitgestellt. Die regierende Partido Justicialista von Präsident Menem hätte demnach 18,6 Millionen Pesos erhalten, das oppositionelle Bündnis aus dem Bündnis Solidarisches Land (FREPASO) und der Radikalen Bürgerunion (UCR) 23,4 Millionen Pesos.
Aus unterschiedlichen Lagern ist nun zu hören, der immer für eine Förderung der Parteien stimmende Menem habe seine politische Kehrtwendung nur deshalb gemacht, weil die regierende PJ bei den Parlamentsteilwahlen 1997 rund 11 Prozent schlechter abschnitt als die Opposition. Abgeordnete und führende Persönlichkeiten aus dem sozialen Sektor und dem Unternehmerlager, sowie fast die gesamte Presse sind sich daarüber einig, Menem wolle seine Gegner „erdrosseln“. Denn die Opposition hat so gut wie keinen Zugang zu privater Finanzierung hat, die PJ aber sehr wohl.
„Die Multis haben am meisten von den Privatisierungen und den vielen Privilegien und geben ihr Geld deshalb der PJ,“ sagt der Sprecher der mittelständischen Landwirte, Humberto Volando. „Die, die zuerst an das Wohl des Landes denken, werden von den Neoliberalen bestraft.“ Der Präsident argumentiert anders. Menem zufolge „erhöht die Parteienfinanzierung die Staatsverschuldung“ in diesem Jahr. Nach dem Artikel 4 des Haushaltsgesetzes 1999 beträgt die Verschuldung 3,6 Milliarden Pesos. Die 53 Millionen Pesos für den Wahlkampf machen davon gerade einmal 1,6 Prozent aus.
UCR-Sekretär Jesus Rodriguez zufolge fügt die Streichung der Wahlkampf-Finanzierung „der Demokratie einen unendlichen Schaden zu, denn das Veto ist nicht nur verfassungswidrig, sondern es ist ein Schritt in Richtung auf eine immer elitistischer ausgerichtete Politik. Wenn es so weitergeht, machen am Ende nur noch die Konservativen Politik, die an die größten ökonomischen Gruppen gebunden sind.“
Der Bündniskandidat für das Amt des Präsidenten, Fernando de la Rua, deckte eine weitere Finanzierungsquelle der Regierung auf. Danach nimmt die Regierung Kredite von den internationalen Finanzorganisationen, wie Weltbank und Interamerikanische Entwicklungsbank, auf und verteilt sie an Provinzgouverneure und Bürgermeister, die der Regierung nahestehen. „Auf diese Weise versichern sie sich vieler Wählerstimmen, denn die Bevölkerung sieht, das etwas für sie getan wird,“ sagt de la Rua, „bezahlen tun es aber alle Argentinier.“
Die Klage des Oppositionsführers wurde am 26. Januar in München geäußert, als de la Rua sich mit den Präsidenten der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank, James Wolfensohn und Enrique Iglesias, traf. Die Regierung wies die Vorwürfe als falsch zurück und drohte mit einer Verleumdungsklage gegen de la Rua, die aber bisher nicht erhoben wurde und nach Angaben wohlinformierter Kreise wohl auch nie erhoben werden wird.
Wegen der gesicherten staatlichen Finanzierung hatte sich keine Partei jemals großartig um eine andere Geldquelle gekümmert. Nun tauchen einige Vorschläge auf. Die Leiterin des staatlichen Studienzentrums für Angewandte Öffentliche Politik und Expertin auf dem Gebiet, Delia Ferreira Rubio, schlug eine Maßnahme vor, die auf weitgehendes Einverständnis aller Parteien stieß: Die Finanzierung des Wahlkampfes über einen sogenannten „Fondsausgleich“. Danach könnten die Parteien unter der Bevölkerung und unter den Unternehmen Geld sammeln und die Beträge veröffentlichen. Der Staat würde dann eine entsprechende Zuzahlung vornehmen.
Ferreira Rubio zufolge „sähen sich die Parteien gezwungen, ihre Finanzierung durchsichtig zu machen und die Unternehmer könnten alle fördern und so sicher sein, daß sie Vorteile haben, egal wer gewinnt.“ Selbst der Fraktionschef der PJ, Humberto Roggero, kritisierte inzwischen das präsidentielle Veto und sagte: „Die Justizialisten werden genauso gegen das Veto stimmen, wie alle anderen Kongreßmitglieder auch.“ Doch obwohl sich Abgeordnete aller Parteien für ein Aufheben des Vetos ausgesprochen haben, taucht das Thema in den kommenden zwei Monate in keinem der beiden Häuser auf der Tagesordnung auf.
Kritik an Kirchenzahlen zur Armut – Regierung traut Weltbank nicht
(Buenos Aires, 4. Juni 1999, ecupres-Poonal).- Eduardo Bauza, Sekretär der regierenden Partido Justicialista und Intimus des Präsidenten Carlos Menem, hat den argentinischen Caritas- Vorsitzenden Bischof Rafael Rey beschuldigt, mit falschen Zahlen zu hantieren. Der Bischof hatte über das Anwachsen der Armut, Unterernährung, Kindersterblichkeit und andere Indikatoren für die Situation im Land gesprochen. Rey konterte, die Daten den Berichten der Weltbank, sowie Veröffentlichungen der argentinischen Regierung und von UNICEF sowie Informationen der katholischen Kirche entnommen zu haben. Die Ziffer von mehr als 13 Millionen Armen in Argentinien sei ebenso real wie die 100.000 Jugendlichen ohne Ausbildung und Arbeit im Großraum Buenos Aires, die Kindersterblichkeit von fünf Prozent im argentinischen Nordosten oder die Tatsache, daß 80 Prozent der Rentner*innen monatlich weniger Geld bekämen als für den Grundwarenkorb für notwendig erachtet werde. Vor Rey hatten im Mai bereits der Erzbischof von Buenos Aires und drei weitere Bischöfe das Wirtschaftsmodell der Regierung und die Folgen kritisiert. Auch auf ihre Aussagen hatten Regierungspolitiker gereizt reagiert.
Keine Sonderrente für Ex-Diktator
(Buenos Aires, 4. Juni 1999, ecupres-Poonal).- Die Bundesrichterin Maria Emilia Postulovka entschied gegen die Klage von Ex-Diktator Galtieri auf eine Sonderrente als „ehemaliger Präsident“. Sie urteilte, es sei kein „legitimer Präsident gewesen“, sondern von einer Militärjunta ernannt worden, die „die verfassungsmäßige Ordnung des Landes veränderte“. Die Richterin klärte den Ex- Diktator auf, daß man, „um gewählter Präsident zu sein, gewählt werden muß“ und fügte umfangreiche Zitate der Verfassung zur Begründung an.
URUGUAY
Erneut Kritik der Konservativen an NATO
(Montevideo/London, 5. Juni 1999, comcosur-Poonal).- Nach Außenminister Opertti (vgl. Poonal 386) hat ein weiterer uruguayischer Spitzenpolitiker aus den Reihen der konservativen Regierungskoalition das Vorgehen der NATO auf dem Balkan kritisiert. Der Präsidentschaftskandidat der regierenden Colorado- Partei, Jorge Batlle, erklärte in London, die Auswirkungen der brasilianischen Krise seien „viel geringer“ als die Effekte „der Krise im Balkan“. Batlle vor Journalisten: „Mich bestürzt es sehr, daß die Europäer überall Bomben abwerfen, ohne sich darüber Gedanken zu machen, welche Folgen ihr Handeln für den Rest der Welt haben kann.“ Weiter führte er aus: „Von welcher Warte aus betrachten sich die Europäer unserem Mercosur gegenüber als überlegen, wenn sie Kinder, Frauen und Alte unter dem Vorwand ermorden, Verbrechen gegen die Menschlichkeit stoppen zu wollen? Und sie tun es, ohne die Konzequenzen zu betrachten, die ein Vorgehen der größten Militärmacht in der Geschichte der Menschheit gegen ein kleines Land – sei es nun von einem Tyrannen beherrscht oder nicht – auf das künftige Zusammenleben auf diesem Planten hat.“ Batlle schloß mit der Bemerkung: „Wenn die Führer jegliche moralische und rechtliche Grenze überschreiten, um eine Polizeirolle auszuüben, die ihnen niemand zugestanden hat, mit welcher Autorität können sie von den am wenigsten entwickelten und schwächsten in Zukunft irgendetwas verlangen?“
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