Poonal Nr. 332

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 332 vom 26. März 1998

Inhalt


HAITI

KUBA/USA

GUATEMALA

NICARAGUA

EL SALVADOR

MITTELAMERIKA

MEXIKO

RMALC und Sie persönlich kritisieren NAFTA und auch die boomende

CHILE/AMERIKA

CHILE

VENEZUELA

BRASILIEN

PERU


HAITI

Nochmal Herve Denis

(Mexiko-Stadt, 24. März 1998, Poonal).- Obwohl das haitianische Parlament den Politiker Herve Denis bereits im vergangenen Dezember als Premierminister des Landes ablehnte, hat Präsident René Preval ihn erneut nominiert. In den letzten Wochen hatten die verschiedenen Fraktionen im Parlament nach Kompromißlösungen gesucht, um Haiti wieder regierungsfähig zu machen. Dies mag Preval ermutigt haben. Die Erfolgsaussichten für Herve Denis sind aber äußerst unsicher. Einige haitianische Abgeordnete schickten bereits voraus, wieder gegen den Premierministerkandidaten stimmen zu wollen.

KUBA/USA

Ein Tropfen Wasser in der Wüste

(Havanna, 20. März 1998, pl-Poonal).- Die Aufhebung des Verbotes von Direktflügen zwischen den USA und Kuba sowie die Erlaubnis für in den USA ansässige Kubaner*innen, Geld an ihre Familienangehörigen auf der Karibikinsel zu schicken und die Erleichterung von Hilfssendungen sind von kubanischer Seite mit vorsichtigem Optimismus aufgenommen worden. Es wird darauf hingewiesen, daß die ersten beiden Maßnahmen keine Flexibilisierung des US-Embargo gegen Kuba bedeuten, sondern nur auf den Stand von 1996 zurückführen. Damals hatte die Clinton- Regierung ihre Haltung verschärft, nachdem die kubanische Luftwaffe zwei Kleinflugzeuge abschoß, die nach ihrer Darstellung von Florida aus in kubanischen Luftraum eingedrungen waren.

Die dritte von US-Außenministerin Madelaine Albright verkündete Maßnahme wird von den kubanischen Autoritäten als „neuartig“ bezeichnet. Theoretisch kann die nordamerikanische Regierung humanitäre Hilfsleistungen nach Kuba erlauben. Allerdings herrscht auf der Insel Skepsis vor. In der Realität machten die Mechanismen und Bremsklötze die Durchführung solcher Aktionen „praktisch unmöglich“, heißt es in Havanna. Dort wird auf die Schwierigkeiten von Nicht-Regierungsorganisationen wie den „Priestern für den Frieden“ hingewiesen, die alljährlich Hilfslieferungen organisieren und überbringen. Dennoch begrüßt die kubanische Seite „natürlich jeden Schritt, der die ungerechte Politik gegen Kuba abschwächt, so klein er auch sei, als willkommen“.

Präsident Fidel Castro selbst qualifizierte die Schritte der Clinton-Regierung als „positiv und konstruktiv“, auch wenn die Erklärungen noch im Detail analysiert werden müßten. Für einige ist die Entscheidung Clintons vielleicht das erste praktische Eingeständnis, das eine Politik, die heute nur noch in den rückschrittlichsten Washingtoner Machtzirkeln und innerhalb einer kleinen, aber einflußreichen Gruppe von Exilkubaner*innen Rückhalt findet, gescheitert ist. Die Maßnahmen hätten in diesem Sinne nach kubanischer Auffassung mehr Wert als Symbol. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten aufgrund der US-Blockade können sie kaum mindern, da sie einen Tropfen Wasser in der Wüste darstellten. Zugleich wird bezüglich des Diskurses von Albright kritisiert, dem Weißen Haus bleibe weiterhin durch sein Bestreben, auf Kuba Veränderungen durchzusetzen, über die nur die Kubaner*innen zu entscheiden hätten, die Sicht versperrt.

GUATEMALA

Lynchjustiz findet kein Ende – weitere sechs Opfer

(San Cristobal Ixchiguan, 18. Mäz 1998, cerigua-Poonal).- Die brutale Ermordung von sechs Männern im Landkreis San Cristobal Ixchiguan in der Provinz San Marcos hat selbst das an die Gewalt gewöhnte Land geschockt. Mehr als 2.000 Bewohner*innen aus San Rafael Suche, begleitet von 100 Taxis mit schwarzen Schleifen, protestierten in der Provinzhauptstadt und forderten ein Ende der „bestialen Justiz“ und die Verhaftung der Verantwortlichen, die drei Männer aus ihrem Ort verbrannten. Am 17. März wurden nach Zeugenaussagen der Taxifahrer Evilio Monterroso, der Tischler Hermilindo Gomez Miranda und der Mitarbeiter des Sozialen Investitionsfonds (FIS), Isräl Ardiano de Leon, von einer aufgebrachten Menschenmenge geschlagen, mit Benzin übergossen und angezündet. Der Mob hatte die drei, die in dem Dorf Tuiladrillo wegen einer Reifenpanne stoppten, für Diebe gehalten.

Die drei Männer waren nicht die einzigen Opfer an diesem Tag im Landkreis Ixchiguan. Dort hatte eine Bande einen Bierlaster nahe der Ortschaft Chuapequez angehalten und ausgeraubt. Kurz darauf hielten Dorfbewohner*innen drei ihnen verdächtige Fremde fest und wollten sie lynchen. Der Bürgermeister konnte sie jedoch überzeugen, die drei den Gemeindeautoritäten zu übergeben. Stunden später stürmten jedoch mehrere hundert Menschen das Ortsgefängnis und verbrannten die Männer auf dieselbe Weise, wie dies bei dem Vorfall in Tuiladrillo geschah. Die Polizei konnte die verkohlten Überreste bisher nicht identifizieren.

Obwohl Innenminister Rodolfo Mendoza versprochen hat, die Verantwortlichen für die Morde zu verhaften, hat es nach Angaben der Staatsanwaltschaft bisher noch keine Verurteilungen wegen Lynchjustiz gegeben. Im vergangenen Jahr wurde durchschnittlich ein Fall dieser Art pro Woche verzeichnet. Mit den Lynchmorden in Ixchiguan sind es in diesem Jahr bisher zwölf Fälle. Alvaro Ramazzini, Bischof der Diözese San Marcos, sieht einen Grund für das grausame Phänomen in dem jahrzehntelangen Aufstandstandsbekämpfungskrieg, den das Land erlitt. „Sie denken, alles müsse mit Gewalt gelöst werden“, so Ramazzini. „Das war die Methode, die gegen sie während des internen Krieges angewandt wurde und all das kommt jetzt hoch.“

Campesinos kämpfen um Regenwald und ihre Wasserversorgung

(Granados, 13. März 1998, cerigua-Poonal).- Der Gouverneur der Bergprovinz Baja Verapaz ließ den Holzschlag in einem wasserreichen Gebiet stoppen, nachdem Bauern und Bäuerinnen die wichtigste Straße im Landkreis Granados blockierten. Die Campesinos protestieren gegen die Zerstörung der Zone, in der Holz geschlagen und in der Sägemühle einer Nachbarprovinz verarbeitet wird. Seitdem der örtliche Großgrundbesitzer Felix Mexicanos Ramos verstärkt die Bäume des 36-Quadratmeilen großen Regenwaldes Cerro Tuncaj kappte, sahen die 15.000 Bewohner*innen des Landkreises ihre Wasserversorgung zunehmend gefährdet. Nach den Angaben von Bürgermeister Haroldo Elias Garcias trockneten zehn der 16 Wasserquellen in dem Regenwald nach und nach aus. Gouverneur Juan Jose Lopez will nun die Fällgenehmigung für Mexicanos Ramos suspendieren, solange die Nationale Forstbehörde den Umwelteinfluß des Holzschlags in Cerro Tuncaj untersucht.

Neues Mittel zur Malariakontrolle

(San Jose, 16. März 1998, cerigua-Poonal).- In den Sümpfen und Flüssen der heißen Tropenprovinz Escuintla testen die Gesundheitsbehörden eine neue Waffe gegen die Malaria. Das Projekt, mit Geldern der Europäischen Union und von kubanischen Expert*innen unterstützt, hat beim Nationalen Malariadienst die Hoffnung erweckt, die malariatragenden Mücken zu vernichten, ohne anderen Umweltschaden anzurichten. „Griselesf“ ist ein biologisches Anti-Malariamittel, das kubanische Wissenschaftler*innen entwickelten. Laut Aramis Martinez, einer der beiden kubanischen Ärzte, die guatemaltekische Gesundheitsarbeiter*innen vor Ort ausbildet, setzt das Mittel Bazillensporen im Wasser frei, wo die Mückenlarven brüten. Wenn die Larven die Sporen konsumieren, zerstört ein natürliches Gift ihre Zellwände, der Bazillus kann sich ausbreiten und tötet die Larven. Martinez verweist auf erste große Erfolge in Brasilien. Als „Griselesf“ dort angewandt wurde, hätten sich die Malariaerkrankungen innerhalb von nur zwei Monaten um 75 Prozent reduziert. Das Mittel sei für den Rest der Umwelt ungefährlich und müsse nur alle neun Monate angewandt werden. In den vergangenen 30 Jahren hat der Nationale Malariadienst versucht, die Krankheit einzudämmen, indem schwere Chemie versprüht wurde. Die fast wöchentlichen Sprühungen zerstörten die Mückenlarven, aber schädigten ebenfalls sehr stark die Fisch-, Reptilien- und Amphibienbestände, die sich den Lebensraum mit den Larven teilen. Die Europäische Union hat etwa mehr als 13.000 Liter des Mittels „Griselesf“ für das Pilotprojekt in der Provinz Esquintla gespendet. 1997 registrierte das Gesundheitsministerium dort 4.421 Malariärkrankungen.

NICARAGUA

Die Gefahr von Hilfsleistungen – Kleinkredite verbessern die

Lebenssituation, lösen aber nicht das Armutsproblem

Von Paul Jeffrey

(Masaya, März 1998, noticias aliadas-Poonal).- Juliana Hernández hat 15 Jahre lang Schuhe und Kunsthandwerk auf dem Markt von Masaya verkauft. Das sicherte ihr in dem 30 Kilometer von der Hauptstadt Managua entfernten Ort das wirtschaftliche Überleben. Als sie sich vor sechs Jahren mit anderen Verkäufer*innen auf dem Markt zusammentat und ein Darlehen von 25 US-Dollar bekam, erfuhr ihr Unternehmen einen ersten Aufschwung.

Seither erhielt die Gruppe auch noch andere Kredite. Heute zahlt Hernández wöchentlich einen Teil ihres Gesamtkredites von 1.100 Dollar zurück. Der erlangte Wohlstand hat ihr ermöglicht, ein Dach auf ihrem Haus anzubringen und einen Kühlschrank zu kaufen. Hernández ist Teil einer „solidarischen Gruppe“, der die von „Chispa“ (Funke) bewilligten Kredite zugute kommen. Chispa ist eine Nicht-Regierungsorganisation aus Masaya, die denjenigen Kleinkredite anbietet, die von den kommerziellen Banken zurückgewiesen werden.

Anstelle einer herkömmlichen Garantie vereinbaren die fünf Mitglieder der Gruppe wechselseitig für die Darlehen der anderen zu bürgen. „Wir müssen uns gut kennen, denn sie geben uns ziemlich viel Geld, mit dem man nicht spielen darf, sagt Hernández. Die von Hernández erlangte Serie an Krediten illustriert das „Heilmittel“ Kleinkredit für städtische Handelssektoren. Doch sind die Darlehen, die den Armen helfen könnten, die heftigen Angriffe des Neoliberalismus zu überwinden, nicht der Schlüssel zur Beseitigung der Armut. „So sehr man sie als Lösung der Armut vorantreiben wollte, als etwas nachhaltiges, handelt es sich dabei doch im Grunde um eine versteckte Form von Hilfsleistungen (asistencialismo). Oft haben Nicht-Regierungsorganisationen Kredite gegeben, obwohl sie genau wußten, daß die Leute keinen bedeutenden Prozentsatz zurückerstatten werden“, zeigt Francisco Barquero auf.

Barquero ist Berater einer Organisation mit Sitz in den Vereinigten Staaten, die Kapital für „Prestanic“ bereitstellt. Prestanic ist ein Kreditprogramm, das vom Nicaraguanischen Rat der Evangelischen Kirchen verwaltet wird. „Es ist schwer, eine Zahlungskultur zu entwickeln, da man in manchen Bereichen dumm sein muß, wenn man die Bank bezahlt“, beobachtet Julio Flores, Forscher bei Nitlapán, der Abteilung für Forschung und ländliche Entwicklung der Zentralamerikanischen Universität in Managua. Dessen ungeachtet sind die Rückzahlungsraten jedoch gestiegen, da die Begünstigten effizienter geworden sind und gelernt haben, stärkeres Vertrauen in die Solidaritätsvereinigungen und kommunalen Banken als Vermittler zu setzen. Mittels dieser Gruppen verlagert sich ein großer Teil des Risikos von der bewilligenden Stelle auf die Basisvereinigung, die den Kredit als Gruppe erhält. Offensichtlich scheint das Prinzip der Kleinkredite zu funktionieren. Studien des „Catholic Relief Services (CRS)“, der das System der Kleinkredite in verschiedenen lateinamerikanischen Ländern besonders vorantreibt, zeigen, daß die Kreditnehmer*innen nach Erhalt des Geldes mehr für Bildung, Wohnung und Lebensmittel ausgeben als vorher.

Obwohl die Gesamtsumme der Kredite in Nicaragua in den vergangenen Jahren konstant geblieben ist, sind zwischen 1992 und 1996 die Darlehen für Bauern und Bäuerinnen jedoch deutlich zurückgegangen. Dies ist teilweise der Unsicherheit in bezug auf die Eigentumstitel geschuldet, ein postsandinistischer gesetzlicher Knoten, der sich noch nicht auflösen ließ. Die Bauern und Bäuerinnen, die auf umstrittenem Grund leben, sind nicht bereit, in dessen Verbesserung zu investieren. Oder sie verlangen Garantien, den Boden, für den sie Darlehen aufnehmen, wirklich bearbeiten zu können. Trotz dieser Probleme weist Nicaragua aufgrund der Landreform der 80er Jahre die demokratischste Verteilung von ländlichem Boden in der Region auf. Laut des Entwicklungsexperten Mark Lester zeichnet sich allerdings eine Kehrtwende ab, „da die Bauern und Bäuerinnen keinen Zugang zu (kommerziellen) Krediten haben“.

Gabriel Gaitán, Direktor für den Bereich Kleinkredite des CRS, weist darauf hin, daß infolge der annähernden Sättigung städtischer Gebiete durch die Kredite der Nicht- Regierungsorganisationen viele Programme für alternative Darlehen damit beginnen, die Gewinne aus den städtischen Darlehen für teurere und risikoreichere Programme ländlicher Kredite zu verwenden. Dennoch sind diese Kredite nicht „das Allheilmittel, welches die Probleme auf dem Land löst“, gibt Uniforscher Julio Flores zu. Nitlapán vergab Anfang der 90er Jahre Kredite an die ärmsten Einwohner*innen der ländlichen Zonen, wobei sie häufig mit dem Modell des rotierenden Rückzahlungsfonds arbeitete. Meistens blieben die Schuldner*innen jedoch säumig. „Wir merkten, daß es sich um keinen wirklichen Kredit handelte und die produktivsten Gruppen nicht erreicht wurden“, berichtet Flores. Die Forscher*innen von Nitlapán machten alsdann den „Bauern mit Finca“ – Besitzer einer kleinen produktiven Einheit der Familie von wenigen Hektaren Größe – als den Motor der ländlichen Entwicklung und damit den idealen Begünstigten der Kredite aus.

Es gibt ungefähr 200.000 Bauern und Bäuerinnen mit eigenen Landgütern in Nicaragua, die über etwa 70 Prozent des kultivierbaren Bodens im Land verfügen und hochproduktiv sind. „Sie verbrauchen weniger Devisen, bringen aber mehr Devisen hervor als die großen Unternehmen“, bekundet Flores. Nitlapán richtete ihr Kreditprogramm auf diese Gruppe. Im vergangenen Jahr zahlten nur ganz wenige Kreditnehmer*innen ihre Rat nicht zurück, ein minimaler Anteil von 2,6 Prozent. Das ist wesentlich weniger als bei anderen ländlichen Programmen. Die Verfügbarkeit über langfristige Kredite ist ein weiteres Schlüsselelement in der ländlichen Entwicklung. Bei Nitlapán und Prestanic – die viel auf dem Land investieren – hat die Hälfte der in Darlehen investierten Summe eine Laufzeit von einem Jahr oder länger. Das gibt den Landwirten die Möglichkeit, neue Umzäunungen zu bauen, Bewässerungsanlagen zu installieren oder Land zu kaufen – Aktivitäten, die kurzfristig betrachtet keine Früchte tragen, aber auf die Dauer die Produktivität steigern.

Die dem städtischen Geschäftssektor gewährten Kredite haben selten eine längere Laufzeit als vier Monate und müssen häufig bereits ab der ersten Woche nach Ablauf zurückgezahlt werden. Barquero sagt, daß diese Praxis zwar „Arbeitskapital“ zur Verfügung stellt, das einen schnelleren Umsatz und dadurch höhere Gewinne schafft. Jedoch liefert dieses Verfahren nicht das für langfristige Verbesserungen der Produktivität notwendige „Investitionskapital“.

„Das ist heute, da die kleinen Länder mit dem Prozeß der Globalisierung konfrontiert sind, ein ernsthaftes Problem. Damit die Kleinunternehmer*innen auf einem globalen Markt konkurrieren können, bedarf es technologischer Fähigkeiten, des Zugangs zu Information und einer Geschäftsführung. Das ist schwer zu erreichen, besonders, wenn man nur über kurzfristige Kredite verfügt“, betont Barquero.

Für ihn ist der „große Traum“ des Kleinkredits, daß die Begünstigten sich durch das „Aufblähen“ im Rahmen der kleinen alternativen Darlehen beweisen können bevor sie einen Kredit längerer Laufzeit von der herkömmlichen Bank bekommen. Auf diese Weise soll es ihnen gelingen, sich besser gegen die Angriffe der Globalisierung zu wappnen. Wie Barquero versichert, haben dies bereits einige erreicht. Doch er selbst gibt zu, eigentlich sei das Gegenteil passiert. Die herkömmlichen Banken hätten erkannt: „Der Kleinkredit ist rentabel geworden ist. Die Armen sind gute Zahler*innen, sie zahlen mehr für ihren Kredit und die Rücklaufquoten sind hoch“, sagt Barquero. Das Problem dabei sei der fehlende Einfluß der Armen auf die Höhe des Zinssatzes. „Da die Armen wenig politisches und soziales Gewicht besitzen, können die Banken machen, wozu sie Lust haben – ohne soziale oder politische Folgekosten“.

Die Banken wurden durch internationale Finanzorganisationen wie beispielsweise die Weltbank ermutigt, in den Bereich der Kleinkredite einzusteigen. Dahinter steckt die Überzeugung der großen Finanzeinrichtungen, die Banken und nicht die Nicht- Regierungungsorganisationen sollten die Kredite kontrollieren. Deswegen haben sie Zuschüsse gewährt – in Nicaragua über 30 Millionen US-Dollar -, um den Banken zu helfen, das Geschäft mit den Kleinkrediten aufzunehmen und an sich zu ziehen. Einige der 14 Privatbanken des Landes haben damit begonnen, Zweigstellen in ländlichen Gegenden zu eröffnen – dem Vorbild der staatlichen Nationalen Entwicklungsbank folgend, die letztes Jahr geschlossen hat.

Jedoch sagen die Beobachter*innen, daß die Privatbanken mehr an der Abschöpfung der Ersparnisse als an der Gewährung von Darlehen interessiert sind, trotz der internationalen Zuschüsse, die das Risiko reduzieren. Das erlaubt den Bankiers, die ländliche Ökonomie „auszusaugen“ und zu einem Nettokapitaltransfer vom Land in die Stadt beizutragen. „Die Banken dienen als Zwischenhändler, indem sie von den Armen, die sparen, etwas erhalten, um dann das Geld in den großen Geschäften anzulegen“, schlußfolgert Barquero.

EL SALVADOR

Verschwundene Kriegskinder tauchen wieder auf – Viele wurden in

Europa adoptiert

Von Ivan Castro

(San Salvador, 23. März 1998, npl).- 17 Jahre lang war Emiliano von seiner Familie getrennt. In den Wirren des grausamen salvadoreanischen Bürgerkrieges ging er während einer Militäraktion verloren. Auf Umwegen gelangte der damals achtjährige Junge nach Frankreich. Von dort aus kehrte er jetzt in das mittelamerikanische El Salvador zurück. Seine den Krieg überlebenden Familienangehörigen hatten ihn schon fast aufgegeben. In dem Konflikt, der in zwölf Jahren (1980 bis 1992) mehr als 75.000 Tote, 8.000 Verschwundene und 12.000 Kriegsversehrte forderte, schien Emiliano zu den mehreren hundert Kindern zu gehören, von denen es nie wieder eine Spur gab. Unterdessen wuchs er als Emilien Maudet in einer fremden Kultur auf und sah sich als Vollwaise an. In einer Metzgerei in der Bretagne verdiente er sich zuletzt als Geschäftsführer seinen Lebensunterhalt.

Seinen Geburtstag am 19. März feierte er dieses Jahr jedoch in einer verarmten Landregion im Zentrum El Salvadors 90 Kilometer von der Hauptstadt San Salvador entfernt. Dort fand er seine Mutter wieder. Sichtlich bewegt erinnert er sich in ihrem Beisein an den Tag, an dem er in der Nähe eines Flusses in der Provinz Usulutan verloren ging. Im Oktober 1981 befand sich Emiliano mit seinem Vater bei einer Guerillatruppe der linken FMLN und ihren Sympathisanten. Die Regierungsstreitkräfte folgten der Gruppe auf den Fersen. Bei der hastigen Flucht wurde der Kleine von seinem Vater getrennt und schaffte es alleine nicht, einen Fluß zu überqueren. Er verirrte sich in der Zone.

„Ich erinnere mich an viele Tote, viel Blut im Fluß und ich bekam Angst. Eine Woche lang versteckte ich mich zwischen einigen Büschen, bis ich einige Soldaten sah. Ich glaubte, sie würden mich ebenfalls umbringen, um fing an zu weinen. Sie brachten mich nach San Salvador und steckten mich in ein Waisenhaus“, erzählt der heute 25jährige. Ohne daß der Junge dies damals erfuhr, starb sein Vater, Domingo Martínez, drei Jahre später bei einem Konflikt mit seinen eigenen Compañeros von der Guerilla. Zwei seiner Brüder, die ebenfalls auf der Seite der linken Rebellen standen, starben im Kampf. „Im Heim erzählten sie mir, ich sei Waise; ich dachte nicht daran, daß meine Mutter leben könnte“, kommentiert Emiliano in seinem Spanisch mit französischem Akzent. Seine Sprichwörter und Sätze, die für die salvadoreanische Landbevölkerung typisch sind, hat er sich jedoch all die Jahre über bewahrt – genauso wie die Hoffnung, eines Tages doch noch Familienangehörige zu finden.

Die französische Krankenschwester Bernadette Maudet adoptierte Emiliano, nachdem dieser schon einige Zeit im Waisenhaus verbracht hatte. Maudet war es auch, die ihren Adoptivsohn ermunterte, nach seinen Familienwurzeln in dem kleinen mittelamerikanischen Land zu suchen. Die Suche war erfolgreich. „Nie habe ich daran gedacht, er wäre tot. Ich war überzeugt, eines Tages würde ich ihn wiedersehen“, sagt die glückliche Mutter María Bonilla auf der bescheidenen Geburtstagsfeier. Die 47jährige freut sich, daß Emiliano das ärmliche Campesino-Essen einige Tage lang mit vier anderen Brüdern teilt.

Bei der Suche nach seinen Angehörigen konnte Emiliano auf die Unterstützung der „Vereinigung für die Suche nach verschwundenen Kindern“ zählen. Das ist eine Nicht-Regierungsorganisation, die seit ihrer Gründung 1994 bereits 74 Personen gefunden hat, die als Minderjährige im salvadoreanischen Bürgerkrieg verloren gingen. Registriert hat sie allerdings mehr als 500 solcher Fälle. Auch wenn der Kontakt mit den meisten Kindern in El Salvador selbst aufgenommen werden konnte, so führte die Suche immer wieder auch ins Ausland. Sechs der als Heranwachsende Verschwundenen tauchten in den USA sowie in den Nachbarländern Guatemala und Honduras wieder auf. Viele Kinder kamen offenbar nach Europa. So fand die Organisation acht von ihnen in Italien, zwei in der Schweiz und je ein Kind in Holland, Belgien und England. In Frankreich hatten neben Emiliano noch drei andere salvadoreanische Kinder ähnliche Schicksale. Die Vereinigung für die Sache nach verschwundenen Kindern hat sogar Hinweise darauf, daß etwa 50 salvadoreanische Minderjährige, die während des Bürgerkrieges verloren gingen, von französichen Bürgern adoptiert wurden. In Deutschland sind entsprechende Fälle bisher nicht bekannt geworden, werden aber nicht ausgeschlossen.

Viele der Kinder wurden auch von den Familien der salvadoreanischen Militärs adoptiert. Der Rechtsberater der Hilfsorganisation, der Jesuitenpriester Jon Cortina sieht die Adoptionen in diesen und anderen Fällen durchaus kritisch. Er spricht von einem Fehler im Rechtssystem, das „nicht untersuchen wollte, ob die Kinder völlig verlassen waren oder mehr Familienangehörige hatten.“ Das Verschwindenlassen von salvadoreanischen Kindern während des 1992 mit einem Friedensabkommen beendeten Bürgerkrieges war durchaus eine gewöhnliche Praxis. Verschiedene Beobachter und Menschenrechtsaktivisten sehen darin den Versuch, den linken Aufständischen die „Basis zu entziehen“.

Jon Cortina sagt: „Wir wollen die Kinder nicht ihren Adoptivfamilien wegnehmen, sondern helfen, daß die Kinder über ihre Herkunft erfahren. Sie haben ein Recht auf Identität. Außerdem trägt dies zur Versöhnung in diesem Land bei.“ Er kritisiert die „vielen Streitkräftemitglieder, die sich der Kinder während der Militäraktionen bemächtigten und sie als die eigenen ausgaben“. Der Jesuit appelliert an alle Personen, die etwas über den Aufenthaltsort der verschwundenen Minderjährigen wissen, Informationen bereitzustellen. Unterdessen wird Emiliano seinem Geburtsland, in dem er sich seit Ende Februar aufhält, vorerst wieder den Rücken kehren. Er fliegt nach Frankreich zu seiner Adoptivmutter zurück. Doch er spricht davon, sich bald in El Salvador anzusiedeln und dort eine Familie zu gründen. Ein Lächeln überzieht sein Gesicht. In ihm mischen sich Erstauen und Freude über ein Land, das gleichzeitig ihm gehört und ihm fremd ist.

MITTELAMERIKA

Der Maquila-Boom

Von Roberto Fonseca

(Managua, 24. März 1998, npl).- In den 90er Jahren ist die Zahl der sogenannten Freizonen in Mittelamerika rasant gewachsen. Nach einer Studie der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) erwirtschaften die dort unter für sie besonders günstigen Bedingungen produzierenden Unternehmen – Importe und Exporte sind in der Regel vollkommen steuerfrei – durchschnittlich inzwischen 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Etwa 250.000 Arbeitsplätze hängen direkt von den Freizonen ab. Diese Zonen wie auch die in ihnen angesiedelten Unternehmen sind allgemein als die „Maquilas“ bekannt. Bei den Maquila-Betrieben handelt es sich meist um Teilfertigungsfabriken der Textil- und Autoindustrie. Allerdings ist der Siegeszug der Freizonen in den Ländern der Region nicht gleich intensiv gewesen, wie die IAO-Experten berichten.

Guatemala ist führend, was die Zahl der Maquilas anbelangt. Dort produzierten im vergangenen Jahr 220 solcher Betriebe. Es folgen El Salvador (190), Costa Rica (189), Honduras (174) und Nicaragua (16). Mit über 75.000 direkt Beschäftigten in den Freizonen bindet Honduras allerdings die meisten Arbeitskräfte. Guatemala liegt in dieser Bewertung mit 62.000 Beschäftigten auf dem zweiten Platz vor Costa Rica (48.000), El Salvador (39.000) und Nicaragua (11.000). Noch überwiegt in mehr als der Hälfte aller Maquila- Unternehmen das Auslandskapital. In erster Linie stammt es aus den USA, Korea und weiteren asiatischen Ländern. In den zurückliegenden Jahren will sich aber auch das einheimische Kapital die Steuervorteile in den Freizonen verstärkt sichern.

Besonders honduranische und salvadoreanische Unternehmer wollen an den Profiten in der Maquila-Branche teilhaben. „Honduras hat einen äußerst dynamischen nationalen kapitalistischen Sektor“, versichert Eduardo Gitli, der die IAO-Studie in der Region koordinierte. Es sei auch das derzeit „einzige mittelamerikanische Land“ in dem nach wie vor massiv neue Unternehmen in die Freizonen drängten, so der uruguayische Außenhandels- und Investitionsexperte. In El Salvador dagegen nehme die Expansion von den bereits existierenden Firmen ihren Ausgang. In Guatemala wüchsen die Maquilas inzwischen langsam, Neuzugänge gebe es kaum mehr. Costa Rica schreckt nach seiner Meinung kleinere und einfach strukturierte Betriebe wegen relativ hoher Löhne und dadurch hoher Produktionskosten ab. Nicaragua sei am wenigstens vom Maquila-Boom der 90er Jahre ergriffen worden, weil die Infrastruktur nach Gitli heruntergekommen ist und das Land im politischen Bereich ein negatives Image habe.

Die Wirtschaftkrise in Asien könne, so der Experte, jedoch eine „zweite Welle“ von Freizonen auf der mittelamerikanischen Landenge nach sich ziehen. Dann, so ist Gitli überzeugt, wird Nicaragua im zweiten Anlauf zum Zuge kommen. „Nicaragua kann einen Großteil der Textilindustrie an sich binden, da es keine Quotenbeschränkungen auf dem nordamerikanischen Markt hat“, meint er. Die katastrophale Wirtschaftslage und die damit verbundene extrem hohe Arbeitslosigkeit von mindestens 50 Prozent beschreibt er als Standortvorteil: „Es gibt einen starken Überhang an qualifizierter Arbeitskraft zu niedrigen Löhnen. Das macht ein attraktives Land aus Nicaragua.“

So oder so ist das wirtschaftliche Gewicht der Maquilas in den 90er Jahren enorm gestiegen. Der Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation verzeichnet einen um das -Vierfache vergrößerten Anteil an den Exporten im Falle El Salvadors, in Honduras und Guatemala hat es seit Anfang der Dekade eine Verdreifachung des Exportanteils gegeben. Trotzdem, so Gitli, spiele die Mehrheit der mittelamerikanischen Regierungen die Bedeutung der Maquila-Industrie aus politischen Erwägungen herunter. Nur Costa Rica habe eine Regierungsstrategie zugunsten der Freizonen entworfen. Mit dem „Programm zur Verbesserung der einheimischen Industrie“ werde versucht, Verbindungen zwischen den Unternehmen innerhalb des Maquila-Sektors und den einheimischen Firmen zu schaffen, damit letztere erstere mit Produktionsgütern versorgen. Bisher fertigen die Maquila-Betriebe ihre Endprodukte fast ausschließlich mit aus dem Ausland importierten Gütern. Große Bereiche der mittelamerikanischen Ökonomien haben daher vom Maquila-Boom in ihren Ländern keinen Nutzen.

MEXIKO

Erfahrungen mit der Maquila – Interview mit Alejandro Villamar

Mexiko-Stadt, März 1998, npl).- Das Mexikanische Netzwerk gegenüber dem Nordamerikanischen Freihandelsvertrag (RMALC) steht Freihandelsvereinbarungen nicht prinzipiell ablehnend gegenüber. Die über 100 darin zusammengeschlossenen Organisationen haben jedoch immer wieder die konkrete Ausformung von NAFTA und ähnlichen Freihandelsstrategien kritisiert. Alejandro Villamar ist Berater im mexikanischen Parlament und einer der Mitbegründer des RMALC. Mit ihm sprachen Winfried Wolf und Gerold Schmidt.

RMALC und Sie persönlich kritisieren NAFTA und auch die boomende

Maquila-Industrie. Warum?

Unsere Meinungsunterschiede mit der Regierung bestehen darin, daß die wirtschaftliche Integration adäquat gelöst sein müßte. Wir sind mit einer wirtschaftlichen Integration einverstanden. Aber nicht damit, daß der ökonomische Aspekt ohne die sozialen, politischen und umweltbeeinflussenden Aspekte gesehen wird. Für uns garantiert die Entwicklung der Handelsströme weder eine bessere mexikanische, noch eine bessere nordamerikanische oder kanadische Gesellschaft. Weltweit gibt es dafür genügend Beispiele. Der Welthandel hat sich seit 1955 verfünffacht, aber die Lücke zwischen den oberen und den unteren Einkommensschichten hat sich schrecklich verschärft. Der Handel kann viel wachsen ohne daß die gesellschaftliche Nutzenverteilung dem entspricht. Der Schwerpunkt, den die mexikanische Regierung gesetzt hat, ist merkantiler Art. Dabei nimmt sie nicht einmal auf alle Waren Rücksicht, angefangen bei der mexikanischen Arbeitskraft, des Hauptexportprodruktes in die USA. Es gibt keine wirkliche ökonimische Integration. Die Produktivitätsunterschiede zwischen den Ländern wurden nicht in Rechnung gestellt. Die Spielanteile sind völlig unterschiedlich verteilt gewesen. Sehr günstig für die USA, sehr günstig für Kanada, sehr ungünstig für Mexiko.

Haben denn der Freihandel und die bereits vor NAFTA bestehende Maquila-Industrie nicht den mexikanischen Export angekurbelt?

Ja, aber sehr ungleichgewichtig. Etwa 300 Unternehmen kontrollieren 80 Prozent der Exporte. Von den Exporten widerum entfallen 50 Prozent auf den Maquila-Bereich. Eine Industrie, die bisher weitgehend an der Grenze zu den USA angesiedelt war. Eine Industrie, die nichts in irgendeine Art Infrastruktur investiert hat, absolut nichts.

Frage: Gibt es besondere Gesetze zur Maquila?

Es gibt ein ganz besonderes Gesetz: das Gesetz ignorieren. Die Maquila-Unternehmen können alles importieren, ohne Zölle zu bezahlen und alles exportieren, ebenfalls ohne Zölle. Diese Industrie integriert seit ihrer Einführung 1965 bis heute, gerade mal zwei Prozent mexikanischer Komponenten – maximal zwei Prozent. So gut wie alles sind importierte Materialien, dazu kommt hier die billige Arbeitskraft.

Frage: Gibt es gebietsmäßige Beschränkungen, Maquila-Gürtel oder eine Unterscheidung nach Fabriken?

Alles begann 1965 an der Nordgrenze Mexikos als „Nationales Programm der Industrialisierung der Nordgrenze“. Seit 1991 wächst die Maquila-Industrie in Richtung Landesinnere. Heute befindet sich ein Drittel der entsprechenden Unternehmen in Bundesstaaten, die nicht direkt an die USA grenzen.

Frage: Welche Unternehmen werden genau als Maquila-Betriebe bezeichnet?

Ein Maquila-Betrieb ist derjenige, der alles ohne Zölle importieren und exportieren darf. Die Maquilas durchbrechen das Schema der reinen Freizonen. Es handelt sich um Enklaven im Land, die sich nicht in das Industrieumfeld, in die industrielle Entwicklung eingliedern. Kein Sprungbrett für die nationale Entwicklung, sondern isolierte Inseln.

Frage: Widerspricht ein besonders Gesetz zur Maquila nicht inzwischen dem Freihandelsabkommen?

Antwort: Die Regelungen zur Maquila enden im Jahr 2000. Da mit dem TLC die Zölle gesenkt werden, besteht die Tendenz darin, die Maquila-Regelungen auszuweiten. Dann wird ein ganzes Land zum Maquila-Betrieb umgewandelt. Mit schwerwiegenden Kosten für die nationale Industrie, in der einerseits kaum mehr Kapitalgüter produziert werden, in der andererseits die großen Unternehmen bereits in Joint Ventures mit dem transnationalen Kapital arbeiten.

Was ist die konkrete Auswirkung der Maquila in Mexiko? Damit die Maquila-Industrie im Wert von 45 Milliarden Dollar exportieren kann, müssen Produkte im Wert von 39 Milliarden Dollar importiert werden. Bei einem Export von 100 Milliarden Dollar sind das fast 90 Milliarden Dollar an Importen. Doch während die Maquila- Unternehmen an Zahl zugenommen haben, sind die einheimischen Unternehmen weniger geworden. Vor allem die kleine und die mittelständische Industrie, die, die Arbeitsplätze schafft. Das Maquila-Modell zieht den Rest der einheimischen Wirtschaft nicht mit. NAFTA schützt ebenfalls die kleine und mittlere nationale Industrie nicht. Er schafft sie vielmehr ab. So wird das Phänomen hoher Exporte geschaffen, die von einigen wenigen großen Unternehmen durchgeführt werden. Außerdem gibt es keine realen Lohnerhöhungen. Darum gibt es auch keine höhere Nachfrage auf dem Binnenmarkt, die Armut steigt tendenziell. Weder Maquila noch NAFTA haben für die breite Masse der Bevölkerung etwas gebracht.

CHILE/AMERIKA

Das Alternative Gipfeltreffen der Völker

(Santiago, 20. März 1998, alai-Poonal).- Ein vielfältiges Sprektrum von Organisationen und sozialen Netzwerken des Kontinents ruft zum Gipfeltreffen der Völker – parallel zum II Gipfel der Amerikanischen Staaten – auf. Letzteres wird vom 15. bis 18. April dieses Jahres in Santiago de Chile stattfinden wird. Dort werden die Staatschefs formell den Startschuß für die Amerikanische Freihandelszone (ALCA) besiegeln, die ab dem Jahr 2005 Wirklichkeit werden soll. Der erste Gipfel der Amerikanischen Staaten, 1994 in Miami, und die folgenden Ministertreffen waren durch das Fehlen jedweder sozialer Partizipation gekennzeichnet, obwohl die gefüllten Entscheidungen auf direkte und drastische Art und Weise alle gesellschaftlichen Gruppen betreffen, argumentieren die Förderer und Förderinnen der Gegeninitiative. Mehr noch, so fügen sie hinzu, in der Praxis werden die regionalen und nun auch kontinentalen Prozesse der Integration und des „Freihandels“ vorangetrieben, ohne Arbeitsrechte, Umwelt, soziale Rechte und die Menschenrechte ganz generell zu berücksichtigen. Es findet ihrer Meinung nach vielmehr eine „Standardisierung nach Unten“ statt.

Trotzdem wächst gleichzeitig auf dem ganzen Kontinent das Interesse und die Notwendigkeit, Vorschläge für Alternativen zu gestalten. So haben beispielsweise verschiedene wichtige Bewegungen, soziale Organisationen und Netzwerke von Nicht- Regierungsorganisationen bereits im Mai 1997 eine Parallelveranstaltung organisiert, als sich die Wirtschaftsminister im brasilianischen Bello Horizonte trafen. Dort zogen sie folgende Schlüsse:

* Es besteht die reale Gefahr, daß der nordamerikanische Freihandelsvertrag (NAFTA) auf den Rest des Kontinentes ausgeweitet wird, mit all seinen Folgeerscheinungen von wachsender Armut und Arbeitslosigkeit.

* Das Projekt Amerikanische Freihandelszone (ALCA) basiert auf einer Logik des sozialen Ausschließens, die der Vorstellung von nachhaltiger Entwicklung widerspricht.

* Wenn der Freihandelvertrag möglich werden sollte, ist das auch dem fehlenden sozialen Gegengewicht geschuldet und der Tatsache, daß er nicht auf rein nationalem Weg aufgehalten werden kann.

* Die Regierungen und die Spitzen der Wirtschaft schmieden ihre Abkommen auf kontinentaler Ebene. Der erste Schritt auf dem Weg, die Kräfteverhältnisse zu ändern, Einflußmöglichkeiten zu gewinnen und Alternativen anzubieten, besteht darin, zwischen den verschiedensten sozialen Kräften in ganz Amerika eine Vereinbarung über eine gemeinsame „Agenda“ zu erzielen.

Die kontinentale soziale Allianz

Auf dieser Vorgeschichte basierend, sind die organisierten sozialen Gruppen dabei, eine große kontinentale soziale Allianz aufzubauen, deren Grundlage der Dialog und ein Aktionsvorschlag der verschiedenen Netzwerke und Organisationen aus den Bereichen Soziales, Arbeit, Frauen, Umwelt, Kirche, Politik und Menschenrechte bildet. Um dieses Projekt voranzutreiben, berufen sie vom 15. bis 18. April in Santiago de Chile den Ersten Gipfel der Völker Amerikas ein.

Das Ziel dieses Gipfels auf Länderebene ist, zu informieren, zu sensibilisieren, die Gruppen der sogenannten Zivilgesellschaft in die Diskussion um das Thema der ALCA einzubeziehen und eine übergreifende soziale Allianz in jedem einzelnen Land zu bilden. Auf internationalem Niveau soll eine gemeinsame alternative „Agenda“ der Bürger*innen formuliert werden, die ermöglicht, sich den durch die ökonomische Globalisierung und die Handelsabkommen verursachten Problemen gegenüberzustellen. Darüber hinaus wird die Ausarbeitung eines Vorschlags für eine alternative Entwicklung, der der sozialen Komponente Rechnung trägt und in bezug auf die Umwelt nachhaltig ist, vorangebracht.

Der Gipfel der Völker sieht die Diskussion und Ausarbeitung einer kontinentalen „Sozialcharta“ und eines Dokuments vor, das an die auf dem offiziellen Gipfel versammelten Präsidenten übergeben wird.

Unter den Veranstaltern befinden sich folgende Organisationen: Lateinamerikanische Koordination von Organisationen auf dem Land (CLOC), Vía Campesina, Regionale Interamerikanische Arbeiterorganisation (CIOSL-ORIT), CUT Chile, CUT Brasilien, Kanadischer Arbeiterkongreß, Chilenisches Aktionsnetz für eine Initiative der Völker (RECHIP), Gemeinsame Grenzen – Kanada, Bündnis für einen Verantwortlichen Handel (sic) – USA, Mexikanisches Aktionsnetz gegenüber dem Freihandel (RMALC), Quebecensisches Netz zur Kontinentalen Integration (RQIC), Ökumenisches Zentrum „Diego de Medellín“.

CHILE

Contreras bleibt in Haft

(Santiago/Montevideo, 20. März 1998, comcosur-Poonal).- Der Oberste Gerichtshof Chile bestätigte die Schuld von General Manuel Contreras, der Hauptfigur der gefürchteten Geheimpolizei unter der Diktatur General Pinochets. Contreras ist wegendes Mordes an dem ehemaligen Außenminister der Allende-Regierung, Orlando Letelier, inhaftiert. Letelier starb 1976 bei einem Attentat in Washington. Des Ex-Geheimdienstchef wurde deswegen zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. Vor kurzem hatte er das Urteil mit der Begründung angefochten, er habe Befehlen des Diktators Pinochet gehorcht. Das Gericht erklärte das Urteil jedoch für nicht anfechtbar.

VENEZUELA

Hugo Chávez endgültig ernsthafter Konkurrent

(Caracas/Montevideo, 20. März 1998, comcosur-Poonal).- Je näher die Präsidentschaftswahlen rücken, desto mehr steigt die Popularität des ehemaligen Militärs und Putschisten Hugo Chávez. Innerhalb eines Monats (vgl. Poonal 328) verdoppelte er seinen Rückhalt in der Bevölkerung auf knapp 21 Prozent. Der Abstand des Linksnationalisten zur rechts orientierten Irene Sáez beträgt nach den jüngsten Umfragen allerdings immer noch 15 Prozent. Dem Sozialdemokraten Claudio Fermín hat jedoch inzwischen den zweiten Platz abgelaufen. Damit wird er möglicherweise im Dezember dieses Jahres der ernsthafteste Kandidat von Sáez sein.

„Einkommen durch Eigeninitiative“ – Praxisorientierte Bildung soll

den Kreislauf von Arbeitslosigkeit und Armut durchbrechen

Von Salvador Bracho

(Caracas, 15. März 1998, npl).- Es steht schlecht um die Jugend in Venezuela, die – so wird gern behauptet – eines jeden Landes Zukunft bedeutet. Neue statistische Zahlen zeigen, daß fehlende Schul- und Berufsbildung sowie Arbeitslosigkeit zum größten Problem der heranwachsenden Generation geworden sind. Staatliche Stellen in dem südamerikanischen Land haben angesichts leerer Kassen längst aufgegeben, diese Entwicklung zu bremsen. Es sind unabhängige und kirchliche Einrichtungen, die beim Thema „Jugend und Bildung“ neue Wege aufzeigen.

Über zehn Millionen venezolanische Jugendliche, das sind 51 Prozent der Gesamtbevölkerung, leben den offiziellen Angaben zufolge in Armut. Nur 20 Prozent aller Jugendlichen, zu denen venezolanische Statistiken alle Menschen zwischen 10 und 30 Jahren zählen, sind derzeit in das Bildungssystem integriert. Dies, obwohl der Schulbesuch in Venezuela kostenlos und der Besuch einer Grundschule sogar obligatorisch ist.

Andererseits sind immer mehr Jugendliche gezwungen, arbeiten zu Gehen. Allerdings unter Bedingungen, die ihnen kaum Perspektiven bieten. 400.000 Venezolaner unter 18 Jahren verdienen schon ihr eigenes Geld, zumeist im informellen Sektor: Jobs, die weder Sicherheit noch Arbeitsschutz bieten, keine Bildung erfordern, aber gleichzeitig eine Fortbildung unmöglich machen.

„Man darf nicht mehr darauf warten, daß der Staat oder der Arbeitsmarkt den Jugendlichen einen Arbeitsplatz, eine Perspektive bietet,“ weiß Julio Fermin. Seine Devise: Den Heranwachsenden Wege aufzeigen, sich durch Eigeninitiative ein Einkommen zu schaffen. „Eine solche Möglichkeit fördert zugleich die Motivation, sich selbst weiterzubilden.“ Fermin weiß, wovon er redet. Der junge Wissenschaftler leitet das EFIP, eine Nicht- Regierungsorganisation, die sich der Fortbildung von Jugendlichen aus den Elendsviertel der venezolanischen Hauptstadt Caracas verschrieben hat.

Zusammen mit der katholischen Kirche begann das EFIP (Equipo de Formacion, Informacion y Publicaciones) 1993, Programme zur Aus- und Weiterbildung für mittellose Jugendliche zu entwickeln. Sie orientieren sich unmittelbar an der Praxis: Themen und Ausrichtung der Kurse entsprechen den Interessen und Fähigkeiten der Jugendlichen. Das beliebteste Angebot sind die Computerkurse. Und der Einstieg ins Berufsleben wird gleich mitgedacht. Entweder mündet die Ausbildung in Selbständigkeit, wobei die Ausbilder dabei helfen, kleine Betriebe zu gründen. Oder Absolventen werden an Unternehmen vermittelt, mit denen die Bildungsträger einen kontinuirlichen Kontakt pflegen. Das Beispiel hat Schule gemacht: landesweit gibt es heute über 600 solcher Einrichtungen.

„Es geht auch darum, gemeinsam mit den Jugendlichen ein Netz von sozialen und beruflichen Beziehungen zu knüpfen,“ erläutert Fermin. Ob es sich um Werkstätten, kleine Restaurants oder Dienstleistungen handelt, anstatt auf Hilfe von außen zu hoffen, könnten sich die jungen Leute auch gegenseitig unterstützen und so eigene Wirtschaftskreisläufe schaffen.

Die Bilanz nach fünf Jahren ist ermutigend. Gut 5.000 Menschen des Stadtviertels im Alter von 15 bis 25 Jahren konnte das EFIP ansprechen, 1.500 von ihnen absolvierten eine – zumeist recht kurze – Ausbildung. Von diesen, sagt Fermin zufrieden, hätten über 70 Prozent einen Job gefunden. Dennoch, auch Julio Fermin weiß, es ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Die soziale Lage der Jugend insgesamt bleibt bedrückend. Und die Bildungsangebote werden kaum wahrgenommen,“ klagt er. Neuen Zahlen zufolge verlassen 59 Prozent aller Jugendlichen in Caracas zwischen 14 und 19 Jahren ihre Ausbildungsstätten ohne einen Abschluß. Der Grund: Sie haben nicht genug Geld oder müssen arbeiten, um zum Familieneinkommen beizutragen.

Besonders schwierig ist die Situation vieler junger Frauen. Fehlende Perspektiven und ein traditionelles Familienbild haben in Venezuela zur Folge, daß inzwischen ein Fünftel aller Kinder von Müttern unter 20 Jahren geboren werden. Lieber eine Familie gründen als ohne Beschäftigung an das Haus der Eltern gefesselt zu sein, sagen sich viele. Ein umgekehrtes Bild, unterstreicht Fermin, biete sich allerdings an den Universitäten. Anders als üblich machen Frauen in Venezuela weit über die Hälfte aller Studierenden aus. Auch bei den Abschlüssen liegen Studentinnen vorn, was zur Folge hat, daß Frauen mehr als frü+her in gutbezahlte Positionen aufrücken. „Dies liegt daran, daß die jungen Männer immer häufiger arbeiten müssen.“ Die soziale Not, so seine Erkenntnis, nehme vielen Jugendlichen die Zukunft.

BRASILIEN

Holländischer Missionar ausgewiesen

(Vitoria, 20. März 1998, alc-Poonal).- Der holländische Missionar und Forstingenieur Winfridus Overbeek, der von der Polizei im Bundesstaat Espirito Santo verhaftet wurde, erhielt eine Frist von acht Tagen gesetzt, Brasilien zu verlassen. Overbeek arbeitete mit dem Indianermissionsrat (CIMI) zusammen. Der CIMI erklärte, es handele sich um einen Fall politischer Verfolgung, da „keine einzige Anklage gegen den Missionar vorliegt und es keinen Einwand gegen seine Arbeit bei den Indígena-Völkern der Tupiniquin und Guarani gibt“. Der ausgebildete Forstingenieur hatte ein Visum, das ihm einen zweijährigen Aufenthalt im Land erlaubte. Hintergrund für die Entscheidung gegen Overbeek ist mit großer Wahrscheinlichkeit ein Landkonflikt. Am 11. März besetzten Tupiniquin und Guaranis Land, das ihnen nach ihrer Auffassung von altersher zusteht, aber dem Unternehmen „Aracruz Celulose“ zugewiesen wurde, das große Eukalyptusplantagen in der Region unterhält. Seit der Besetzung habe es verschiedene Einschüchterungsversuche vonseiten des Unternehmens mit Unterstützung der Leitung der staatlichen Indígena-Stiftung FUNAI gegeben, so der Missionsrat. Die Indígenas wurde von der Bundespolizei eingekesselt, der Zugang in das Gebiet kontrolliert und drei Topographen, die den Indígenas bei der Abgrenzung des von ihnen eingeforderten Landes halfen, abtransportiert.

PERU

Weitere frühere Agentin klagt an

(Miami, 24. März 1998, pulsar-Poonal).- Die in die USA geflüchtete frühere peruanische Geheimdiesntagentin Luisa Zanatta Muedas will auf keinen Fall nach Peru zurückkehren. Sie befürchtet, umgebracht zu werden. Sie sei aber bereit, mit dem Menschenrechtsbeauftragten des Landes (Defensor del Pueblo) zu sprechen und ihre Anklagen vor ihm zu wiederholen, um die Untersuchungen zu erleichtern. Vertrauen habe sie jedoch nicht, antwortete sie in einer Reaktion auf das Garantieversprechen, das Präsident Alberto Fujimori für den Fall ihrer Rückkehr abgegeben habe.

Zanatta Muedas hatte in der vergangenen Woche gesagt, Präsidentenberater Vladimiro Montesinos habe Verbindungen zu der paramilitärischen Gruppe „Colina“ und erhalte täglich die Ergebnisberichte der illegalen Abhörungen der Gespräche verschiedener Politiker*innen ihres Landes. Die Gruppe „Colina“ wird für mehrere Massaker an oppositionellen Kräften in zurückliegenden Jahren verantwortlich gemacht, um die Abhörmethoden der peruanischen Geheimdienste gibt es eine seit Monaten andauernde Diskussion. Zanatta will mit ihrem Zeugnis nach eigener Aussage dazu beitragen, daß in der Zukunft nicht dieselben Verbrechen innerhalb des Geheimdienstes geschehen. Ihr Fall dürfe nicht politisiert werden, er habe nichts mit der nationalen Verteidigung zu tun.

Die Vorsitzender der Parlamentskommission für Verteidigung und Innere Ordnung, die Regierungsabgeordnete Martha Chávez, reagierte auf die Erklärung der ehemaligen Geheimdienstlerin, indem sie sich gegen eine Reise einer Parlamentsdelegation in die USA aussprach, um mit Zanatta zu sprechen. Ein Volksvertreter dürfe nicht am nächsten Tag einer Person hinterherlaufen, die ins Ausland gegangen sei, um eine Anklage zu erheben, so Chávez. Dagegen drückte der katholische Kardinal Augusto Vargas Alzamora seine tiefe Besorgnis über die Situation der Ex-Agentin aus. Ihre Flucht sei ein Beleg, daß im Land Menschenrechtsverletzungen begangen würden.

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