Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 263 vom 23. Oktober 1996
Inhalt
GUATEMALA
ECUADOR
KUBA
DOMINIKANISCHE REPUBLIK
URUGUAY
NICARAGUA
BOLIVIEN
VENEZUELA
BRASILIEN
KOLUMBIEN
GUATEMALA
Friedensabkommen im Land
(Guatemala-Stadt, 16. Oktober 1996, cerigua-POONAL).- Die guatemaltekische Regierung hat angekündigt, daß das endgültige Friedensabkommen in Guatemala unterzeichnet werden soll. Seit sie sich in Waffen erhoben, haben die obersten Kommandanten der URNG sich in ihrem Heimatland nie öffentlich gezeigt. Alle vorherigen Abkommen und Verhandlungssitzungen mit der Regierung fanden auf ausländischem Boden statt, mehrheitlich in Mexiko. Präsidentensprecher Ricardo de la Torre erklärte jetzt, die Generalkommandantur der Rebell*innen werde nach Guatemala eingeladen, um dort das letzte Dokument für den Frieden vor Jahresende zu unterzeichnen. Der Ort stehe noch nicht fest.Sieben europäische Länder haben ihre Hauptstädte als Orte für die Unterzeichnung der ausstehenden vier Abkommen angeboten. Doch nur das Angebot von Spanien, Norwegen und Schweden nahmen die Verhandlungsparteien nach de la Torres Aussagen an. Der Friedensprozeß hat auch die Aufmerksamkeit des Vatikan auf sich gezogen. Vor wenigen Tagen übernahm die St. Egidiusgemeinde in Rom die Gastgeberrolle für eine dreitägige Diskussion am „runden Tisch“ über den Frieden in Guatemala. Unter den Teilnehmer*innen waren URNG-Kommandant Gaspar Ilom und der Regierungsvertreter Ricardo Stein. Die katholische Kirche hat in den Verhandlungen über die Beendigung des internen Krieges, die vor fasteinemJahrzehnt begannen, eine wichtige Rolle gespielt. Die Egidiusgemeinde war im letzten Jahr bereits mehrere Male der Ort für informelle Treffen zwischen Regierungsfunktionär*innen und der Guerilla.
Gewalt in der Familie immer noch straffrei
(Guatemala-Stadt, 16. Oktober 1996, cerigua-POONAL).- Bereits zum sechsten Mal ist die Abstimmung über eine Gesetzesvorlage zur Bestrafung, Vorbeugung und Abschaffung der interfamiliären Gewalt verschoben worden. Die Debatte am 16. Oktober nach der dritten Lesung des Gesetzes hatte kaum begonnen, da verliessen die Abgeordneten der Regierungsmehrheit von der Partei der Nationalen Vorhut (PAN) den Kongreß und verhinderte damit ein gültiges Abstimmungsergebnis. Auch am Vortag war das notwendige Quorum nicht zusammengekommen. Bei der Gelegeheit nahm die PAN einen Streit mit der Republikanischen Front Guatemalas (FRG) zum Anlaß, aus dem Kongreßsaal auszuziehen. Frauengruppen warten seit März auf die Gesetzesentscheidung. Damals hatte die Abgeordnete Nineth Montenegro vom Demokratischen Bündnis Neues Guatemala (FDNG) den Entwurf zum Internationalen Frauentag eingebracht. FDNG- Fraktionsführer Antonio Mobil bezeichnete ein endgültiges Scheitern des Gesetzes als unseligen Sieg für den Machismo und eine Stimmabgabe gegen die Frauen.
Lebenshaltungskosten steigen
(Guatemala-Stadt, 16. Oktober 1996, cerigua-POONAL).- Seit dem 15. Oktober gelten 60 Prozent höhere Strompreise in Guatemala. Die Regierung will sechs Monante lang den Niedrigverbraucher*innen Subventionen anbieten. Die Gegner*innen der Maßnahme befürchten jedoch baldige Auswirkungen auf die Preise für Lebensmittel und wichtige Haushaltsprodukte. Erhöhungen für Propangas und Wasser werden als nächstes erwartet. Gestiegene Preise für Konsumgüter – wie beispielsweise 3,9 Prozent bei Bohnen von August auf September – haben den Warenkorb schon vorher teurer gemacht. Das Parlamentskomitee für den KonsumentInnenschutz hat den Wirtschaftsminister aufgefordert vor dem Kongreß zu erscheinen, um die Preissteigerungen zu erklären und dazu Stellung zu nehmen, daß für die Grundbedürfnisse der Guatemaltek*innen kein Geld zur Verfügung steht. Die jüngsten Zahlen der Bank von Guatemala weisen auf eine höhere Inflationsrate und ein geringeres Wirtschaftswachstum im Vergleich mit dem Vorjahr hin. Im Gegensatz zu der Bank kommt das unabhängige Institut für Sozialforschung (ASIES) bei den selben Ausgangsdaten statt auf 3,6 Prozent Wachstum nur auf maximal 2,5 Prozent. In jedem Fall wird es das niedrigste Wachstum innerhalb der letzten zehn Jahre sein. Bankpräsident Willy Zapata spricht auch davon, daß die Inflationsrate – bisher 8,42 Prozent – in den von der Bank gesetzten Zielrahmen von acht bis zehn Prozent pro Jahr fällt. In den Medien wird dagegen davon ausgegangen, daß die tatsächliche Inflationsentwicklung bereits über den von der Bank anvisierten Rahmen hinausgeht.
Frieden und Todesstrafe – Ein Kommentar
(Guatemala, Oktober 1996, squarik-POONAL).- Nach der Unterschrift unter das Abkommen über die „Stärkung der Zivilgewalt und die Funktion der Armee in einer Demokratischen Gesellschaft“ befindet sich der Friendensprozeß in Guatemala in seiner letzten Phase. Wie bei jedem Transformationsprozeß macht auch die guatemaltekische Gesellschaft heftige Zerreißproben durch, die den Aufruhr wiederspiegeln, den die jüngsten Ereignisse geschaffen haben. Die Unterschrift unter das Abkommen und die nachfolgende Annäherung zwischen den Guerillaführern und den Armeebefehlshabern, sowie die Treffen zahlreicher sozialer Gruppen in einem Klima der Entspannung lassen vielversprechende Prognosen abgeben. Aber dennoch setzen sich im Land alte Formen, Politik zu machen, durch. Dies ist der Fall bei der Erschießung von zwei Campesinos, die für die Vergewaltigung und Ermordung einer Minderjährigen (ein vierjähriges Mädchen; die Red.) schuldig gesprochen wurden. Die Regierung versichtert, die Hinrichtung sei eine Forderung der Gesellschaft gewesen. Und es ist möglich, daß dies stimmt. Aber es ist beunruhigend, daß die Bürger*innen blutige Taten fordern müssen, um an die Gerechtigkeit glauben zu können. Die Humanisierung der staatlichen Machtausübung ist eine grundsätzliche Vorbedingung für den Beginn der demokratischen Entwicklung. An dem jetzt erreichten Punkt kann es nicht angehen, menschliche Wesen, in welche Verbrechen sie auch verwickelt sein mögen, auszulöschen. Damit besteht die Gefahr, die Kultur der Gewalt und des Todes, der das Land entkommen will, fortzupflanzen. Vergessen wir nicht, daß der Kampf gegen die Kultur der Gewalt in Guatemala jahrzehntelang zum Vorwand genommen wurde, politische Gegner*innen zu unterdrücken. Fast immer bei dieser Art voreiliger Maßnahmen gibt es viele Lebende, die glauben daß sich „im Trüben gut fischen läßt“. Die Unzufriedenheit und das Mißtrauen der Bürger*innen gegenüber Regierung, Parlament und Gerichtshöfen sind eine Realität. Dennoch: die Aktion, die den größten Konsens und eine wirkliche Unterstützung der Institutionen bewirken, sind diejenigen, die strikt die Menschenrechte respektieren. Hoffentlich bleibt diese Hinrichtung die letzte in diesem Jahrtausend. Die Demokratie muß sich auf einem Konzept gründen, die mit der Gewalttätigkeit als Regierungsmethode nichts zu tun hat. Die Demonstration der Stärke belegt nur Schwäche. Glücklicherweise entwickeln sich innerhalb der guatemaltekischen Gesellschaft neue politische Faktoren. Die Maya-Völker sind aufgerufen, beim Bau eines neuen Landes eine wichtige Rolle zu spielen. Die Ideen und Vorschläge die von Gruppen und Persönlichkeiten der Indígenas kommen, haben ihren Schwerpunkt auf der gesellschaftlichen Einbeziehung. Dies ist der richtige Weg, um die Marginalisierung zu beenden. Das in der mexikanischen Hauptstadt unterschriebene Abkommen ist eine gute Nachricht für die Guatemaltek*innen. Hoffentlich setzen sich diese gut aufgenommenen Vorkommnisse gegen die Logik des Todes durch. Der Frieden rückt immer näher. Darum müssen die Bedingungen, in denen sich die Nation befindet, bewertet werden. Wir müssen die alten Schemata beiseite lassen und mit neuen Ideen arbeiten. Der Endspurt zum Frieden hat begonnen. Wir haben kein Recht, alles was wir erreicht haben, über Bord zu werfen. Und das ist dieVerantwortung aller Guatemaltek*innen.
ECUADOR
Die Unsicherheit ergreift die Städte
Von Consuelo Albornoz
(Quito, 14. Oktober 1996, sem-POONAL).- Das Gefühl der Unsicherheit ist zu einer Konstante im Leben der 12 Millionen Ecuadoreaner*innen geworden. Insbesonders betrifft es die 7,2 Millionen Menschen, die in den städtischen Zentren des Landes wohnen. Ecuador galt bisher als eine „Insel des Friedens“ – wegen eines gesellschaftlichen Klimas, das relativ frei von Konflikten war (diese Einschätzung ist durchaus gewagt; die Red.). „Wir beginnen damit, Angst zu atmen, Furcht vor einem Überfall zu haben, vergewaltigt und attackiert zu werden. Das nicht nur physisch, sondern auch emotional und psychisch“, meint die die Psychologin Lucía Villacís. Selbst wenn die städtische Gewalt in Ecuador nicht mit der in anderen lateinamerikanischen Metropolen vergleichbar ist, so ist ihr beschleunigtes Wachstum in diesem Jahrzent doch eine Tatsache, die landesweit Besorgnis hervorruft. Der Nationale Entwicklungsrat CONADE, eine staatliche Planungsinstitution, hat darum die wachsende persönliche Unsicherheit als ein Problem in seine Entwicklungsagenda aufgenommen. Der CONADE hat ebenso das erhöhte Unbehagen und das Mißtrauen in die Fähigkeit des Staates registriert, die Sicherheit zu garantieren. Die Fälle, in denen die Gerechtigkeit in die eigene Faust genommen wird, nehmen zu. Zwischen 1981 und 1993 stieg die Verbrechensrat um fast 200 Prozent. Beispielsweise wurden 1981 durchschnittlich neun Morde pro Woche verzeichnet. Zwölf Jahre später waren es 31 Morde. Ein anderer Unsicherheitsfaktor für die Bevölkerung wird immer mehr der Verkehr. Ecuador liegt weltweit an vierter Stelle, was die Anzahl der Verkehrstoten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung angeht. In Quito mit seinen 1,2 Millionen Einwohner*innen gab es im vergangenen Jahr 6.542 Verkehrsunfälle. Schon 1991 ergab die Statistik bei den häufigsten Todesursachen unter der Bevölkerung zwischen 10 und 19 Jahren in der Hauptstadt folgende Reihenfolge: Verkehrsunfälle, Suizid und Ertrinken. Auch in der Altersstufe von 20 bis 29 Jahre nehmen die Verkehrstoten den ersten Platz ein, gefolgt von Mord und Suizid.
Im Entwicklungsplan wird davon ausgegangen, daß die Gründe für die wachsende Unsicherheit unter anderem in der ungenügenden Grundbildung, im Werteverlust und der allgemeinen Verarmung der Bevölkerung verbunden mit Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung zu suchen sind. Offizielle Statistiken gehen von einem Armutsniveau aus, das bis zu 80 Prozent der Bevölkerung betrifft. Die offene Arbeitslosigkeit in den Städten betrug 1995 8,4 Prozent, die Unterbeschäftigung fast 44 Prozent. Von der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung arbeiten knapp 38 Prozent inzwischen im informellen Sektor. Angesichts dieser Situation verwundert der Anstieg von Straftaten nicht. Die Hälfte der angezeigten Vergehen konzentriert sich in der Hauptstadt Quito und in Guayaquil, der mit 2 Millionen Einwohner*innen größten Stadt des Landes. Die Zahlen weisen eine pro Jahr durchschnittlich um 4,5 Prozent höhere Belegung der Haftanstalten aus. Die Mehrheit derVerhafteten sind junge Leute von 18 bis 25 Jahren.
KUBA
Schäden durch Hurrikan Lili
(Havanna, 21. Oktober 1996, prensa latina-POONAL).- Der Hurrikan Lili, der über Kuba mit Orkanböen und heftigen Regenfällen hinwegfegte, hat in weiten Landesteilen schwere Schäden angerichtet. Präsident Fidel Castro, der die meisten der betroffenen Zonen besuchte, verglich die Auswirkungen mit denen einen Krieges. Besonders hart traf Lili den Westen und das Zentrum der Insel. In beiden Regionen leben zusammen sechseinhalb Millionen Menschen. Etwas 350.000 Bewohner*innen wurden frühzeitig evakuiert. Das trug dazu bei, daß das Naturereignis kein Menschenleben gefordert hat. Die wirtschaftlichen Verluste werden auf mehrere Millionen Dollar geschätzt, die Aufräumarbeiten haben gerade erst begonnen. Die Windböen mit bis zu 170 Stundenkilometern zerstörten die besten Bananen- und Zitrusplantagen in den Provinzen Matanzas, Villa Clara, Sancti Spiritus und Cienfuegos. In Santa Clara wurden zudem die 29 zuckerrohrverarbeitenden Fabriken beschädigt. Bei einigen deckte der Hurrikan das Dach ab. Viele Zuckerrohrfelder stehen unter Wasser. Die gesamte Landwirtschaftsproduktion in Zentralkuba ist stark beeinträchtigt.
Die Zahl der zerstörten Häuser wird mit 4.300 angegeben, etwa 200.000 weitere Wohnungen erlitten Schäden. Die Regierung schickte Baumaterial in die betroffenen Provinzen. Vor allem die Hausdächer müssen vielfach neu gedeckt werden. Auch die Hauptstadt Havanna blieb von Lili nicht verschont. Um eine mögliche Lebensmittelknappheit zu lindern, schickte die Regierung mehrere tausend Tonnen Getreide in die Notstandsgebiete und kündigte weitere Sendungen an. In einer Mitteilung spricht die Regierung von einer „kolossalen landwirtschaftlichen Anstrengung“, die nötig sei, um die Verluste zu kompensieren. Nach dem Zyklon von 1935 handelt es sich um die zweitgrößte Naturkatastrophe, die Kuba in diesem Jahrhundert heimsucht. Mittelfristig ist bisher nur eine positive Folge des Hurrikans absehbar. Die sintflutartigen Regenfälle füllten die kubanischen Stauseen. Damit haben sich die Wasservorräte des Landes beträchtlich erhöht.
Spanische Sozialisten schicken Hilfe
(Havanna, 21. Oktober 1996, prensa latina-POONAL).- Zehn spanische Kommunen aus der Madrider Region, in denen die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE) die Mehrheit hat, wollten Gelder sammeln, um damit eine bessere Brotversorgung von Havanna zu unterstützen. Die vorherige spanische Regierung hatte bereits ein Projekt in der kubanischen Hauptstadt unterstützt, in dessen Rahmen die Bäckereien modernisiert wurden. Der letzte ausstehende Kredit dafür wurde jedoch von der neuen spanischen Regierung zurückgezogen. Mit der Aktion der Madrider Kommunen soll nun das fehlende Geld zusammengebracht und in entsprechende Ausrüstung fürdie Bäckereien investiert werden.
DOMINIKANISCHE REPUBLIK
Bewegung der Vereinten Frauen organisiert Sexarbeiterinnen
(Santo Domingo, September 1996, fempress-POONAL).- Sechzig Sexarbeiterinnen gründeten die Bewegung der Vereinten Frauen. Sie wollen erreichen, daß die Prostituierten als Personen mit Menschen- und Verfassungsrechten behandelt werden, die für alle Dominikaner*innen gelten. Die Initiative ist das Ergebnis einer langfristigen Arbeit des Integralen Orientierungs- und Forschungszentrums (COIN) und den dort arbeitenden „Gesundheitsbotschafterinnen“, ehemaligen Sexarbeiterinnen. „Viele Leute glauben, daß eine Sexarbeiterin das Schlimmste ist, was es gibt. Sie haben weder Verständnis noch Sensibilität und verachten sie. Darum ist eines unserer Ziele, das Selbstbewusstsein zu heben“, erklärt Marina Torres, die bei COIN mit den unabhängigen Prostituierten arbeit. Stolz erzählt sie, wie die Frauen zusammenkamen, diskutierten, jedes Thema analysierten und eine Leitung wählten. Sie bildeten Kommissionen zur Gesundheit, gesetzlichen Aspekten, Öffentlichkeitsarbeit und zur Arbeit vor Ort. Für einen Teil der Öffentlichkeit wird das Ereignis eine folkloristische Nachricht bleiben. Ein anderer Teil sieht die Anstrengung dieser Frauen, von einer demokratischen Praxis, von Würde und gegenseitiger Hilfe, von Recht und Mut zu sprechen, mit wirklicher Bewunderung.
URUGUAY
Kinderprostitution
Von Carina Cobbi
(Montevideo, September 1996, fempress-POONAL).- Im Mai 1995 diskutierte das uruguayische Parlament das inzwischen verabschiedete Gesetz zur BürgerInnensicherheit. Der Abgeordnete Daniel Corbo von der mitregierenden Nationalpartei informierte dabei über die organisierte Prostitution mit Minderjährigen in Uruguay. Untersuchungen des Bildungsministeriums und besonders des Fraueninstitutes hatten den Abgeordneten zu eigenen Nachforschungen gebracht. Er forderte beim Innenministerium Berichte über eine Tatsache an, die auf der Verbrechensseite der Tageszeitungen häufiges Thema ist. Jährlich verschwinden im Land hunderte Minderjähriger. Mehr als hundert dieser Kinder sind unter 15 Jahren, mehr als fünfzig unter 12 Jahren und die Altersgrenze sinkt ständig. Die Kinder werden von ihrer Familie verlassen oder setzen sich von ihr ab. Manchmal führt sie ihr Weg zuerst noch über das Nationalinstitut für Minderjährige, in dessen Einrichtungen sie aber in der Regel nicht bleiben. Der nächste Schritt ist ein Überlebenszyklus, in der Mißbrauch und Ausbeutung, Prostitution und verschiedene Formen der Kriminalität verbreitet sind. Die Antwort des Innenministeriums ergab, daß keine Einrichtung oder Abteilung besteht, die sich speziell mit der Information über die jährlich verschwindenen Mädchen und Jungen befaßt. Das Ministerium konnte auch die Existenz von organisierten Prostitutionsringen, die mit Minderjährigen handeln, nichtbestätigen. Dagegen veröffentlichte die Zeitschrift „Posdata“ im Juni 1995 eine Reihe von Fakten, die eben diese Art derProstitution belegten. Öffentliche Parks, Nachtclubs, Massagehäuser in Montevideo sind die Orte der Händlerringe. Aufgenommen Zeugnisse, manchmal mit, manchmal ohne die Zustimmung der Beteiligten, Preisabsprachen, die die Kuppler*innen der Kinder mit Erwachsenen trafen, waren die Belege. Einzelne Personen konnten identifiziert werden. Die Zeitschrift nannte unter den Beteiligten nicht nur die Eigentümer*innen der einschlägigen Etablissements, sondern auch Parkwächter*innen, Polizeibedienstete und Funktionär*innen des Nationalinstitutes für Minderjährige.
Diese Realität ist mindestens seit 1990 bekannt, als ein zwölfjähriges Mädchen nach einigen Tagen in der Gewalt eines Prostitutionsringes im Rodó Park, einem der größten und bekanntesten in der Hauptstadt, ums Leben kam. Das Mädchen war zuvor aus einer Einrichtung des Institutes für Minderjährige geflohen. 1993 veröffentlichte die Journalistin María Urruzula in der Wochenzeitschrift „Brecha“ einen Bericht über die organisierte Prostitution, die von Uruguay aus international operiert. Mehrere hochrangige Polizisten waren in das Geschäft verwickelt. Ein Teil des Artikels befaßte sich damit, wie Minderjährige rekrutiert werden. Aber die Ausbeutung der schutzlosen Minderjährigen besteht im Rodó Park bis heute. Den Mädchen – manchmal auch Jungen – wird von den Kuppler*innen Schutz angeboten, wenn sie von zu Hause fliehen. Dann werden sie zur Prostitution gezwungen, bedroht und in einigen Fällen ermordet. Die Anleitung zum Drogenkonsum und die Versorgung mit Drogen erhöhen die Abhängigkeitsbeziehung mit den Ausbeuter*innen. Die Kunden sind in der Regel Seeleute von den Schiffen, die im Hafen von Montevideo anlegen. „Im Rodó Park funktioniert ganz deutlich ein Prostitutionsring“, beschrieb der Abgeordnete Corbo dem Innenministerium die Situation. „Wir verfügen über die Information, daß die jüngste Minderjährige dort 13 Jahre alt ist, wir kennen ihren Namen und Nachnamen, wir wissen, daß etwa 20 Minderjährige die Prostitution ausüben. Es gibt eine Schutzgruppe, die aus 27 Männern gebildet wird…“
Die Angaben des Abgeordneten sind zahlreich und genau: mit ihnen kann ein Prostitutionsring mit Minderjährigen zerstört werden, der seit mindestens sechs Jahren operiert. Corbo informiert über weitere Netze an anderen Punkten Montevideos und in anderen Provinzen des Landes. Er weist ebenfalls auf die „Touristensafaris“ hin, die von auf „Jagd“ gehenden Ausländern organisiert werden, denen die Kuppler*innen Mädchen für Sexdienste zuführen. Der Abgeordnete trug Adressen von Häusern, wo die Minderjährigen wohnen oder gefangen gehalten werden, Namen, Decknamen, Tonband- und Videoaufnahmen zusammen. Da die Behörde des Innenministeriums nach wie vor die Existenz solcher Prostitutionsringe in Montevideo abstreitet, übergab Corbo alle seine Belege und wartet auf eine Untersuchung. Von Journalist*innen, Parlamentarier*innen und auch Funktionär*innen des Nationalinstitutes wurde sie bereits gemacht. Sie teilen die Sorge um eine soziale Wirklichkeit, die anscheinend nur die Regierungsspitzen nicht kennen wollen. Die Kinderprostitution betrifft immer jüngere Mädchen und auch Jungen. Der Kampf dagegen ist schwierig, wenn nicht die dahinter stehenden Organisationen zerstört werden. Jetzt ist die Regierung mit einer Antwort an der Reihe.
NICARAGUA
Sandinistischer Traum vergeblich – Hinweise auf Wahlfälschungen
(Mexiko-Stadt, 23. Oktober 1996, POONAL).- Die Stimmen für die nicaraguanische Präsidentschaftswahl vom Sonntag waren am späten Mittwochabend immer noch nicht vollständig ausgezählt. Die sich vom Wahlabend an abzeichnende Tendenz wird sich jedoch kaum mehr umkehren. Arnoldo Alemán, der Kandidat der rechtsgerichteten Liberalen Allianz wird demnach neuer Präsident. Die Nationale Sandinistische Befreiungsfront (FSLN) mit ihrem Kandidaten Daniel Ortega hat ihren Traum, an die Macht und in das Präsidentenamt nach sechsjähriger Abwesenheit zurückzukehren, nicht erreicht. Der Oberste Wahlrat Nicaraguas sprach Alemán nach Auszählung von gut 73 Prozent aller abgegebenen Stimmen einen Anteil von fast 49 Prozent zu, Ortega kommt auf etwas weniger als 39 Prozent. Damit wäre der Kandidat der Liberalen Allianz im ersten Durchgang zum Präsidenten gewählt. Abgesehen von dem drittplazierten Guillermo Osorno vom Christlichen Weg (etwa 4 Prozent) und dem viertplazierten Noel Vidaurre von der Konservativen Partei (etwa 3 Prozent) erzielte keineR der übrigen 19 Präsidentschaftskandidat*innen ein erwähnenswertes Ergebnis. Dieses Schicksal ereilte auch Ex-Vizepräsident Sergio Ramirez, der sich mit seiner Bewegung der Sandinistischen Erneuerung (MRS) von der FSLN abspaltete.
Noch bestehen geringe Möglichkeiten auf einen zweiten Wahlgang. Der Grund liegt in zunehmenden Berichten über Wahlfälschungen zugunsten von Alemán. Die Sandinisten, die Parallelzählungen veranstalteten, machen mindestens 60.000 Stimmen mehr für Ortega geltend. Diese seien auf dem Weg zum Obersten Wahlrat „verloren“ gegangen. Inzwischen haben sich sieben Parteien der FSLN-Forderung nach einer Neuzählung der Stimmen angeschlossen. Außerdem sind sie gegen die Veröffentlichung weiterer vorläufiger Ergebnisse. In vielen Fällen stimmen die Angaben örtlicher Wahlfunktionär*innen nicht mit den Auszählungen überein, die von von Wahlhelfer*innen vor Ort bestätigt und unterschrieben wurden. Guillermo Osorno vom Christlichen Weg fordert sogar die Anullierung der gesamten Wahl. Noel Vidaurre von der Konservativen Partei und Dora Elena Orozco von der Nationalversammlung Kommunistische Partei bekamen offiziell keine einzige Stimme an den Wahlorten, an denen sie selbst und ihre Familien wählten. In Matagalpa fechten 14 Parteien die Wahl an. Aus dem ganzen Land kommen Berichte zusammen, in denen Wahlbetrug durch Mitarbeiter*innen der Liberalen Allianz und Wahlfunktionär*innen gemeldet wird. Das Nicaragua-Netzwerk aus den USA will eine Information vom 23. Oktober haben, nach der die Sandinisten bei der Neuzählung in Matagalpa nahe 50 Prozent liegen, nachdem erst 30 Prozent gemeldet wurden. Auf der Insel Ometepe kehrte die Nachzählung das ursprüngliche Ergebnis um, der Bürgermeisterposten soll nun der FSLN zufallen. Der frühere US- Präsident Jimmy Carter, einer der wenigen internationalen Beobachter, der nicht am Sonntag oder frühen Montag das Land verließ, sprach sich für die Forderungen der politischen Parteien aus, die Wahlergebnisse müßten in Übereinstimmung mit dem Gesetz bestätigt werden. Aufgrund der Ungewissheiten wird das endgültige Ergebnis noch einige Tage auf sich warten lassen. Theoretisch könnten die Wahlberichtigungen und die ausstehenden Ergebnisse Aleman noch unter die 45 Prozentmarke drücken. Für diesen Fallkäme es laut Wahlgesetz zu einer Stichwahl und Daniel Ortega hätte die Chance, seine Aufholjagd in der WählerInnengunst in den vergangenen Monaten sechs Wochen fortzuführen. So wenig derzeitein zweiter Wahlgang möglich scheint, so wichtig kann in Einzelfällen die Wahlkorrektur sein. Denn sie wird Auswirkungen auf die Besetzung der Rathäuser und vor allem der Nationalversammlung haben. Letztere wird voraussichtlich 93 Sitze haben. Diese würden aufgrund ihres Stimmenanteils den drei bestplazierten Verlierern der Präsidentschaftswahl, Ortega, Osorno und Vidaurre, zufallen. Bekäme die Liberale Allianz 47 Sitze, könnte die Opposition ohne Regierungsunterstützung keine eigenen Gesetze verabschieden und auch das Präsidentenveto nicht überstimmen. Bisher ist ein Gegengewicht zur präsidentiellen Macht möglich. Von den 70 nach Provinzen und Direktwahl vergebenen Abgeordnetenplätzen sind bisher 26 der Liberalen Allianz sicher. Die FSLN kann mit 23 Sitzen fest rechnen. Über die verbleibenden 21 Plätze gibt es noch keine endgültige Gewißheit, doch werden sie überwiegend oder ganz den beiden politischen Blöcken zufallen. Bei den nach der Verhältniswahl verteilten 20 Plätze bekommt die Liberale Allianz 9, die FSLN 8 und andere Parteien 3.
Wahrscheinlich werden wenige Sitze am Ende darüber entscheiden, ob die Liberale Allianz über eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung verfügen wird.In einer ersten Bewertung der Wahlen läßt sich folgendes feststellen: Nach der völlig überraschenden Wahlniederlage von Ortega und den Sandinisten vor sechs Jahren ist diesmal ihr Abschneiden wesentlich besser als noch vor Monaten erwartet. Andererseits gaben die Umfragen kurz vor der Wahl der FSLN die Hoffnung auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Dafür reichte es allem Anschein nach nicht. Eher haben die Sandinisten ihr Wahlpotential bei 40 Prozent halten können. Als Einzelpartei ist die FSLN nach wie vor die mit Abstand stärkste Gruppierung im Land und im Parlament, denn Arnoldo Alemán stützt sich auf ein Mehrparteienbündnis. Durch eine geschickte Verhandlungsstrategie könnte die Partei durchaus die politischen Geschickes des Landes beeinflußen. Statt des Traumes von einem neuen Land, wie er 1979 beim siegreichen Einzug der Revolutionäre in Managua bestand, wird es dabei allerdings um die Schadensbegrenzung einer neoliberalen Wirtschaftspolitik gehen, die die Regierung des rechtsgerichteten Alemán verfolgen wird. Siebzehn Jahre nach dem Sturz des Diktators Somozas durch die Sandinisten eine bittere Erfahrung.
BOLIVIEN
Präsident verschmutzt Fluß
(Mexiko-Stadt, 23. Oktober 1996, POONAL).- Die Regierung Boliviens hat die Bevölkerung in der Nähe der Porco-Mine und des Flusses Pilcomayo dringend zur Vorsicht aufgerufen. Der Fluß ist mit Arsenrückständen vergiftet. Durch einen Deichbruch in der Mine Anfang Oktober wurde das verseuchte Wasser in den Fluß geschwemmt. Die Bewohner*innen der Umgebung sollen weder Wasser aus dem Pilcomayo benutzten noch Fische aus dem Fluß essen. Zwei Kinder sollen bereits an durch das Arsen verursachter Cholera gestorben sein, nachdem sie sich im Pilcomayo badeten. Campesinos verlangen Zahlungen für Schaden an ihrem Viehbestand und ihrem Land. Der bolivianischen Regierung wird vorgeworfen, das Ausmaß derVergiftung mehrere Wochen bewußt bagatellisiert zu haben. An der Porco-Mine ist ein Unternehmen beteiligt, das im Besitz der Familie des Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada ist. Lozada bat darum, die Angelegenheit acht Monate vor den allgemeinen Wahlen nicht zu „politisieren“.
VENEZUELA
Nationalgarde begeht Massaker an Häftlingen
(Mexiko-Stadt, 23. Oktober 1996, POONAL).- Mindestens 30 Häftlinge starben am 22. Oktober, erstickt und verbrannt in einem Gefängnis im Westen der venezolanischen Hauptstadt Caracas. Alle Hinweise deuten auf ein grausames Verbrechen von drei Militärs der Nationalgarde hin. Diese sollen etwa 100 Häftlinge in ein Gebäude der Haftanstalt gesperrt und sie dann mit Tränengas beworfen haben. Der Justizminister Enrique Meier wollte nicht ausschließen, daß die Mörder auch Brandbomben warfen und diese das Feuer auslösten. Alle bisher von Abgeordneten, der Regierung, der Presse und dem Gefängnisseelsorger zusammengetragenen Informationen schließen einen Aufstand der Häftlinge aus. Die drei Mitglieder der Nationalgarde handelten allem Anschein nach ohne weiteres Motiv als dem, die Häftlinge quälen wollen. In dem offensichtlichen Versuch, die wirklichen Begebenheiten zu verheimlichen, hielt die Nationalgarde das Gefängnis mehrere Stunden lang besetzt und sprach von einer Rebellion der Insassen. Die Nationalgarde ist für ihre Brutalität berüchtigt. Am 3. Januar 1994 starben während einer Häftlingsmeuterei in der Stadt Maracaibo 117 Personen, als die Nationalgarde die Rebellion unterdrückte. Am 27. November 1992, als in Caracas Häftlinge während des – gescheiterten – Militärputsches die Flucht versuchten, brachten Polizei und Nationalgarde etwa 100 von ihnen um.
BRASILIEN
Straßenbau gegen Geiseln
(Mexiko-Stadt, 21. Oktober 1996, POONAL).- In dem nördlichen Bundesstaat Maranhao hält der Stamm der Guajajara-Indígenas seit einer knappen Woche mehr als 100 Personen als Geiseln fest, um so eine asphaltierte Strasse zwischen den Städten Porto Franco in Maranhao und Teresina im Nachbarbundesstaat Piauí zu erzwingen. Außerdem blockierten sie die Straße, die durch ihr Reservat führt, mit Baumstämmen. Sie drohen damit, weitere Straßen in der Region zu sperren. Bewohner*innen des angrenzenden Landkreises schlossen sich den Protesten der Guajajara an. Sie schlossen Geschäfte und Schulen. Die brasilianische Bundesregierung hat erst mit einigen Tagen Verspätung einen Verhandlungsführer ernannt, um über die Freilassung der Geiseln und den Straßenbau zu sprechen.
KOLUMBIEN
Strafminderung für die Profiteure des Drogenhandels?
(Bogotá, Oktober 1996, ac-POONAL).- Im Kongreß steht ein Gesetz zur Bekämpfung des Drogenhandels zur Debatte, das von den USA gefordert wurde, die an einer Strafverschärfung für Drogenhändler interessiert sind. Die Regierung argumentierte, daß die Annahme dieses Gesetzes eine Diskussion über das Thema der Auslieferung vermeiden würde.Senator Carlos Espinoza Faciolince, der dieses Gesetzesprojekt einreichte, fügte diesem einen erstaunlichen Paragraphen bei. Darin wird zwischen Drogenhändlern einerseits und vom Drogenhandel Begünstigten andererseits unterschieden. Drogenhändler sollen in Zukunft schärfer bestraft werden, Begünstigte sollen dagegen in den Genuß einer Strafminderung kommen. Bei bloßer Begünstigung durch den Drogenhandel könnte sogar der völlige Verzicht auf Strafe in Frage kommen. Dieses neue Gesetz würde auch auf acht Kongreßabgeordneten angewendet, welche zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden.
Proteste von Student*innen und Lehrer*innen gegen Einsparungen
(Bogotá, Oktober 1996, ac-POONAL).- Rund 1000 Personen – Student*innen, Professor*innen und Universitätsangestellte führten einen einwöchigen Protestmarsch von Tunja nach Bogotá (rund 126 km) durch. Sie protestierten gegen die Privatisierung der öffentlichen Schulen und gegen das Defizit im Bildungswesen, das fast 175 Mio. Dollar beträgt. Am Montag, den 7. Oktober 96 erreichte der Protestmarsch die Hauptstadt mit der Absicht, die Regierung zu Verhandlungen über die Bildungspolitik zu bewegen.
Am 25. und 26. September 1996 rief die nationale LehrerInnengewerkschaft FECODE zu einem landesweiten Streik auf und verlangten eine Lohnerhöhung über der Inflationsrate und eine Verbesserung der Sozialleistungen. Mehr als 200 000 Lehrer*innen beteiligten sich am Streik, was das öffentliche Schulwesen völlig lahmlegte. FECODE kündigte an, ab dem 10. Oktober werde ein unbefristeter Streik beginnen, wenn auf die Forderungen der Lehrer*innen nicht eingegangen werde.
Beendigung des Zivilstreiks im Süden des Departements Bolívar
Am 30. September 96 wurde ein Abkommen zischen den 8000 Bäuer*innen und der Regierung erreicht. Es sieht soziale Investitionen in der Region von mehr als 200 Millionen Dollar in den kommenden sieben Jahren vor. Die Bauern hatten während mehrerer Wochen in San Pablo demonstriert.
Bauern und Bäuerinnen protestieren gegen Bombardierungen
4.000 Bauern und Bäuerinnen haben in Barrancabermaja und in Yondó Anlegeplätze an Flüssen besetzt, um gegen die massive Präsenz der Streitkräfte sowie die anhaltenden Bombardierungen und Gefechte zwischen der Armee und der Guerilla zu prostestieren. Die gesundheitlichen Bedingungen der Bauern sind sehr kritisch und bis jetzt haben sie auf ihre Forderungen nach Entwicklungsprojekten und Frieden in der Region keinerlei Antwort bekommen.
Marsch von Soldatenmüttern
32 Mütter von Soldaten, welche sich in Gefangenschaft derGuerillagruppe FARC befinden, führten in Bogotá einen Marsch durch, zu dem die Armee aufgerufen hatte. Die Mütter verlangtendie Freilassung der gefangenen Soldaten. Aufgrund der Verzögerungen bei der Einigung über die Bedingungen der Freilassung, kündigten die Mütter einen Hungerstreik an.
Aufständische legen Waffen nieder
(Bogotá, Oktober 1996, ac-POONAL).- Unerwartet haben die Front Elkin Gonzalez Vàsquez des Volksbefreiungsheers EPL und 25 Guerilleros der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens FARC ihre Waffen niedergelegt. Die Waffenniederlegung der 47 Guerilleros des EPL, kommandiert von David Mesa, der unter dem Namen Kommandante Gonzalo bekannt war, fand am 30. September 96 in Carmen de Viboral im Departement Antioquia statt. Gleichzeitig gaben 25 Guerilleros der FARC in San Pedro ihre Waffen ab. San Pedro gilt als Hauptstützpunkt der Paramilitärs, die von den Brüdern Castaño befehligt werden.Das Innenministerium transportierte die Guerilleros auf die Hacienda Cedro Cocido im Departement Córdoba. Die Guerilleros übergaben ihre Waffen dem Kommandanten der 11. Armeebrigade. Die 73 Guerilleros kamen mit Regierungsvertreter*innen, angeführt von Innenminister Serpa Uribe, zu Verhandlungen über die Eingliederung in die Zivilgesellschaft zusammen. Nach Fernsehberichten stellte die Staatsanwaltschaft für politische Vergehen Straferlasse aus. Es wurde die Übergabe von Land und Krediten und die Gewährung von Sicherheitsgarantien für die Ex-Guerilleros angekündigt. In einer Mitteilung bekräftigen die Paramilitärs, daß sie Vermittler dieser Übergabe waren, während Sprecher des EPL behaupteten, daß die Verhandlungen direkt mit der Regierung geführt wurde.
Freilassung von Familienangehörigen eines Kommandanten des EPL
Am 30. Sept. 96 wurden Guillermo León López (72-jährig), German López und Diana López freigelassen. Sie sind Familienangehörige von Bernardo López Bustos, einem der noch verbleibenden Kommandanten des EPL. 15 weitere Familienmitglieder hatten sich aufgrund von Feindseligkeiten und Drohungen der Paramilitärs gezwungen gesehen, Kolumbien zu verlassen. Inoffizielle Quellen versicherten, daß die Familienangehörigen aufgrund einer Verwechslung freigelassen wurden. Die Paramilitärs, welche die Familienangehörigen in ihrer Gewalt hatten, hätten demnach gemeint, daß der Kommandant Gonzalo (welcher sich ergab) mit Bernardo López identisch sei.Soldaten weiterhin in Gefangenschaft39 Tage nach dem Angriff auf die Militärstation Las Delicias, bei dem rund 60 Soldaten von der FARC gefangen genommen wurden, veröffentlichte die FARC eine Mitteilung, in der sie die Bedingungen für die Übergabe der Gefangenen bekanntgeben.
Die FARC dementierte Behauptungen des Verteidigungsministeriums, wonach die Soldaten gefoltert und grausamer Behandlung unterworfen worden seien. Sie verlangen, daß eine Kommission von Gerichtsmedizinern die körperliche Integrität der Gefangenen bei der Übergabe überprüft. Ebenso verlangt die FARC die Ernennung eines Regierungssprechers, die Präsenz einer internationalen Delegation, der Massenmedien und der Mütter der Soldaten bei derÜbergabe. Am 7. Okt. 96 gab Innenminister Serpa die Ernennung eines hohen Funktionärs bekannt, damit er der Übergabe beiwohntund die dazu notwendigen Schritte einleitet. Serpa unterstrich jedoch, daß dieser Funktionär kein Verhandlungsmandat hat.
Paramilitärs weiter auf dem Vormarsch
(Bogotá, 22. Oktober 1996, ac-POONAL).- Paramilitärische Gruppen sind im Mittleren Magdalenatal und in Urabà weiter auf dem Vormarsch. Das Regionale Menschenrechtskomitee von Sabana de Torres (Dep. Santander) klagte die Präsenz schwerbewaffneter Männer in dieser Erdölförderstadt an. Am 12. September schossen bewaffnete Männer eine Granate in das Haus der Familie Vargas Cala, wobei drei Personen verletzt wurden, darunter ein 10jähriges Kind. Am 2. Oktober durchsuchten acht Bewaffnete Männer die Wohnung von Jesus Espitia und von Luis Antonio Núñez. Beide waren nicht zuhause und entgingen den Paramilitärs. Mindestens 50 Personen haben aufgrund des Terrors von paramilitärischen Milizen die Region in den letzten Monaten verlassen.
General Farouk Yanine Díaz stellt sich
Der im Ausland untergetauchte ehemalige General Farouk Yanine Diaz hat sich am 1. Oktober der kolumbianischen Staatsanwaltschaft gestellt. Er ist angeklagt, beim Verschwindenlassen von 19 Händlern im Jahr 1987 beteiligt gewesen zu sein. Yanine war damals Kommandant der 2. Armeedivision in Bucaramanga (Dep. Santander). Yanine wurde 10 Stunden von den Behörden verhört, er stritt jegliche Verantwortung ab. Der Ex-General ist im Militärgefängnis eines Infanteriebataillons im Norden Bogotàs inhaftiert.
Staatliche Verantwortlichkeit beim Verschwindenlassen von Alirio Pedraza
Das Administrativgericht des Departements Cundinamarca hat den Staat zur Zahlung von 185 000 Dollar wegen der Verhaftung und dem Verschwindenlassen des Anwalts politischer Gefangener, Alirio de Jesus Pedraza, verurteilt. Die Tat geschah im Juli 1990 in Suba, einer zu Bogotà gehörenden Gemeinde. Das Gericht befand, der Staat sei „schwerwiegend und in direkter Weise verantwortlich“ für das Verbrechen, da Geheimdienstagenten direkt beteiligt waren.Terror in UrabàIn der nordöstlichen Region des Departement Chocó an der Grenze zu Panama sind in diesem Jahr rund 20 Morde registriert worden. Zudem wurden dutzende von Menschen verschleppt und rund 100 Familien gewaltsam vertrieben, Lebensmitteln wurden beschlagnahmt und die Einfuhr von Lebensmitteln in die Region verhindert. Verantwortlich für diese Vergehen sind die Armee und eine von den Brüdern Castaño befehligte paramilitärische Organisation.
Priester ermordet
(Bogotá, 20. Oktober 1996, ac-POONAL).- In der Region vonSumapazim Departement Cundinamarca wurde eine Reihe schwerer Vergehen von der Bevölkerung angezeigt. Eine paramilitärische Gruppe, die sich „Tod der verbrecherischen Guerilla“ nennt, bedrohte den Bürgermeister von Venecia und andere Personen des Ortes. Diese paramilitärische Gruppe wird auch für die Ermordung von mindestens sieben Mitgliedern der politischen Partei Union Patritoca UP verantwortlich gemacht. Am 4. Oktober wurde der 36 Jahre alte Ortspfarrer José Luís Botero Henao ermordet. Zu dieser Tat hat sich keine Gruppe bekannt und es gibt verschiedene Versionen über die Täterschaft. Einige behaupten, der Priester sei von den Rebellen der FARC ermordet worden, weil er paramilitärische Gruppen unterstützt haben soll.
Mehr Arbeitslose und steigende Preise
(Bogotá, 22. Oktober 1996, ac-POONAL).- Die kolumbianische Nationalbank hat 1,1 Milliarden Dollar freigegeben, um die schwere Wirtschaftskrise im Land zu mildern. Der Bankrott von mehr als 100 Unternehmen, ein Arbeitslosenrate von fast 15% und Zinsen von mehr als 40% veranlaßten die Nationalbank (Banco de la República) zu der Geldspritze.
Mit dieser Maßnahme hoffen die Währungshüter die Konjunktur anzukurbeln. Allerdings dürfte der Entschluß auch die Inflation anheizen, die auf 18,4 Prozent geklettert ist, knapp anderthalb Punkte mehr als offiziell vorgesehen waren. Es wird damit gerechnet, daß die Inflationsrate in diesem Jahr auf rund 22 Prozent ansteigen wird. Dies hat zur Folge, daß die Zinsen weiterhin hoch bleiben werden, was Investitionen erschwert, die mit dieser Finanzspritze eigentlich erleichtert werden sollen. Einige Beobachter meinen, daß die kolumbianische Wirtschaft nicht nur die Auswirkungen des neoliberalen Wirtschaftmodells zu spüren bekommt, sondern auch die Folgen der politischen Krise und eines möglichen Niedergangs des Drogenhandels. Die Folgen könnten sich noch verschärfen, wenn alle Maßnahmen im Rahmen der Nicht- Zertifizierung durch die USA in Kraft treten. Nach Angaben des Amtes für Statistik DANE sind von der Inflation die Bereiche Bildung, Gesundheit und öffentliche Dienstleistungen am meisten betroffen. Diese Sektoren waren bis vor kurzem staatlich subventioniert und befinden sich jetzt in einem Privatisierungsprozeß.
Exporteure wollen keine weitere Stärkung des Pesos
Vielleicht gibt es keine schlüssige Antwort auf die Frage, warum es eine derart hohe Inflation gibt, obwohl die Nationalbank in den letzten zwei Jahren rigide Maßnahmen zur Bekämpfung der Inflation eingeführt hatte. Auch ist rätselhaft, warum eine so große Menge von US-Dollar im Umlauf sind, obwohl die Wirtschaft in einer schweren Krise steckt.Um das Haushaltsdefizit auszugleichen – dieses Jahr wird es mehr als 2 Milliarden Dollar betragen – welches aufgrund der übermäßigen Bürokratie entsteht, muß sich die Regierung im Ausland verschulden und Dollarkredite aufnehmen, die dann in Pesos umgesetzt werden. Ebenso sind durch die Privatisierungen – auch diese Erlöse werden zur Deckung des Budgetdefizits eingesetzt – neue Dollar ins Land gekommen, dieebenfalls in Pesos gewechselt werden. Die fehlende Wirtschaftsplanung hat zu einem Überschuß an Dollars geführt, was nicht nur einen Kursanstieg des Pesos zur Folge hatte, sondern auch zu einer hohen Inflation führte. Der Peso ist in diesem Jahr um 9,5 Prozent im Wert gestiegen. Das hat die Exportindustrie schwer getroffen, da sich die Produkte im Ausland verteuerten. Zum Beispiel ist durch den Kursanstieg des Pesos allein beim Kaffeeerlös eine Einbuße von 2 Milliarden Dollar in den letzten fünf Jahren zu verzeichnen.Demgegenüber ist der Importsektor – das sind in Kolumbien mehrheitlich multinationale Firmen, die meist billige Konsumprodukte und nicht etwa Technologie für die Industrie einführen – durch die Höherbewertung des Pesos begünstigt worden, denn er muß jetzt weniger Pesos für einen Dollar bezahlen und kann somit mehr Waren einführen.
Weniger Armut?
Die Zahl der Armen in Kolumbien ist über Nacht um 400.000 Menschen geschrumpft. Ein großer Erfolg, der dem Nationalen Planungsbüro zu verdanken ist, das seine Statistik umgestellt hat – in der Realität hat kein einziger Obdachloser eine Wohnung bekommen und ist kein einziger Hungernder von der Straße verschwunden. Im Gegenteil: Die logische Konsequenz dieser statistischen Kosmetik ist, daß in Zukunft weniger Bedürftige von den Sozialprogrammen profitieren.
In Kolumbien wird die Armut mittels einer Skala von nicht gedeckten Grundbedürfnissen gemessen, die bis jetzt 8 Variablen hatte, die für verschiedene minimale Grundbedürfnisse standen. Jetzt wird diese Skala auf 12 Variablen erweitert und mit dieser neuen Methodik wird Kolumbien statistisch nicht mehr 8,5 Millionen, sondern nur noch 8,1 Millionen Arme zählen.
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