Paramiliärischer Angriff und Entführung von Víctor Ayala überschatten Unabhängigkeitsfeiern

von Philipp Gerber, Oaxaca

(Berlin, 17. September 2010, npl).- Die groß angelegte Unabhängigkeitsfeier des so genannten „Bicentenario“ diente in den südlichen Bundesstaaten offensichtlich zum Übertünchen von Angriffen auf soziale Bewegungen. Während die Scheinwerfer auf die Festlichkeiten zum 200. Jahrestag der Unabhängigkeit gerichtet waren, haben in den Unruheregionen Oaxaca und Guerrero schwere Übergriffe auf soziale Bewegungen stattgefunden.

In Oaxaca eskalierte der Konflikt um San Juan Copala, wo sich drei indigene Organisationen um die Vorherrschaft der symbolträchtigen Gemeinde der Triqui-Indigenen streiten. Unabhängige Quellen über die Situation liegen nicht vor, da die Gemeinde seit November 2009 von Bewaffneten der Nachbardörfer El Rastrojo und La Sabana belagert wird.

Laut Jorge Albino, dem Vertreter des autonomen Bezirks, drangen in der Nacht zum 13. September rund 500 Bewaffnete der Organisationen Vereinigung für das Gemeinwohl der Region Triqui UBISORT (Unión de Bienestar Social de la Región Triqui) und Bewegung zur Vereinigung des Kampfes der Triqui MULT (Movimiento de Unificación de Lucha Triqui) nach einer zweistündigen Schießerei bis zum Gemeindesitz vor und konnten ihn einnehmen. Die beiden Organisationen stehen der Partei der Institutionellen Revolution PRI (Partido Revolucionario Institucional) nahe. Die wenigen Familien, je nach Quellen sollen es zwischen 20 und 50 sein, die nach der monatelangen Belagerung der Gemeinde noch zum Projekt des autonomen Bezirks halten, wurden aufgefordert, sich innerhalb von 24 Stunden zu ergeben, sonst würden sie niedergemetzelt. Drei Frauen wurden in den letzten Tagen durch Schüsse verletzt: María Rosa Francisco (35), María Rosa López (55) und Macaria Merino Martínez (85). Diese können nicht medizinisch versorgt werden.

Störfaktor Mahnwache

Erst zu Wochenbeginn hatte die Regierung von Oaxaca den im Exil mit einer Mahnwache demonstrierenden Triqui-Frauen versprochen, dass ein Krankenwagen nach San Juan Copala entsandt werde und dort Polizeipatrouillen stattfinden sollten. Doch diese Versprechen erwiesen sich, ebenso wie die Zusage, dass die hungernden Familien zehn Tonnen Mais geliefert bekämen, als Finte. Denn die kleine Gruppe von rund zwei Dutzend Indigenas hatte sich auf dem Hauptplatz in Oaxaca-Stadt dauerhaft installiert und war dadurch ein Störfaktor für die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag. Nach einer polizeilichen Räumungsdrohung und mit den ausgehandelten Versprechen hatten sich die Triqui darauf eingelassen, für die Dauer der Feiern auf einen alternativen Platz zu gehen.

Nicht viel besser erging es protestierenden Triqui auf dem Hauptplatz in Mexiko-Stadt: Die Stadtregierung der Partei der Demokratischen Revolution PRD (Partido de la Revolución Democrática) entsandte Polizisten, die den dortigen Protest während der Feierlichkeiten hermetisch abriegelten – stundenlang wurde niemand herein und niemand herausgelassen. Während also die Mestiz*innen ihre 200-jährige Unabhängigkeit von Spanien feiern, sind die Indigenen im Land immer noch in Repression und Armut gefangen.

„Es gibt nichts zu feiern“

„Es gibt nichts zu feiern, wir sind immer noch eine Kolonie“, fasste ein Demonstrant in Chilpancingo, Guerrero, diese Stimmung zusammen. In Guerreros Hauptstadt versuchte der Gouverneur Zeferino Torreblanca (PRD), die nächtliche Unabhängigkeitsfeier anzuführen. Doch kaum auf der Bühne, wurde er von einem Großteil des Publikums lautstark niedergeschrien. Nach erstem Zögern verkündete er dann doch die Worte des Priesters Hidalgo, mit denen der Kampf gegen die Spanier vor 200 Jahren begonnen hatte. Das anschließende Glockengeläut, Teil des Rituals, wurde dann aber wegen der allgemeinen Verwirrung über den Volkszorn vergessen.

Bauern-Aktivist Víctor Ayala Tapia entführt

Schon tagsüber hatten am 15. September 17 Organisationen gegen die Kriminalisierung des sozialen Protests im Bundesstaat Guerrero protestiert. Jüngstes Beispiel ist das Verhaften und Verschwindenlassen des Aktivisten Víctor Ayala Tapia am 14. September. Der Anführer der Bauernorganisation „Frente Libre Hermenegildo Galeana“ wurde nach längerer polizeilicher Überwachung seines Hauses just nach dem Abzug der Patrouillen von bewaffneten Männern in einen Wagen ohne Nummernschild gezerrt und gilt seither als verschwunden. Seine Ehefrau bekam in der Nacht nach der Tat ein Dutzend Drohanrufe der Entführer und am Morgen darauf Besuch von der Polizei, die sie zu der Aussage zwingen wollte, dass die Polizei nichts mit dem Verschwinden ihres Ehemannes zu tun habe.

Weitere Informationen:

* Radio-Interview mit Jorge Albino:

* Eilaktion des Kollektivs gegen Folter wg. des Verschwindenlassens von Víctor Ayala de Guerrero: http://enlacezapatista.ezln.org.mx/2010/09/16/el-colectivo-contra-la-tortura-llama-a-una-accion-urgente-por-el-companero-victor-ayala-de-guerrero/

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