Poonal Nr. 256

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 256 vom 4. September 1996

Inhalt


MEXIKO

USA/LATEINAMERIKA

HAITI

PERU

KOLUMBIEN

PARAGUAY

GUATEMALA

URUGUAY

… Vor dieser Aktion wurde durch Interferenzen versucht, unsere

URUGUAY

BRASILIEN

CHILE

KUBA

ARGENTINIEN

BOLIVIEN


MEXIKO

Erneut umstrittenes Urteil gegen angebliche Zapatisten

(Mexiko-Stadt, 30. August 1996, POONAL).- Sieben angebliche Zapatist*innen, die am 9. Februar 1995 in Yanga, Bundesstaat Veracruz verhaftet wurden, wurden nach 19monatiger Untersuchungshaft zu Gefängnisstrafen zwischen sechs und neun Jahren verurteilt. Sie sind des Besitzes, der Fabrikation und des Transortes von Waffen und Explosivstoffen angeklagt. Ihr Fall hat von Anfang an Diskussionen hervorgerufen. Einen Tag nach ihrer Verhaftung wurden sie mit deutlichen Spuren körperlicher Mißhandlung der Öffentlichkeit vorgestellt. Dabei sagten sie aus, zu der Unterschrift unter Geständnisse, in denen sie unter anderem ihre Mitgliedschaft in der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) bestätigen, durch Folter gezwungen worden zu sein. Selbst die staatliche Menschenrechtskommission empfahl, den Fall neu zu eröffnen und die „Unregelmässigkeiten“ bei den Geständnissen zu überprüfen. Der Richter in der Hauptstadt nahm auf die Einwände bei seinem Urteil anscheinend keine Rücksicht. Die Anwältin der angeblichen Zapatisten ist bereits in die Berufung gegangen, unter anderem mit dem Hinweis auf die fehlende Befolgung der CNDH-Empfehlungen. In den vergangenen Tagen protestierten verschiedene Gruppen mehrmals mit Demonstrationen gegen das Urteil.

EPR attackiert weiter

(Mexiko-Stadt, 1. September 1996, POONAL).- Nur einmal in anderthalb Stunden hatte der zweite Regierungsbericht des Präsidenten Ernesto Zedillo vor dem mexikanischen Kongreß für einen kurzen Moment nicht den Charakter einer langweiligen Predigt. Zedillos Stimme überschlug sich fast, als er vom vorher verteilten Redemanuskript abwich und gegen „Gewalt und Terrorismus“ die „ganze Kraft des Staates“ ankündigte. Ein kleiner Hinweis darauf, wie sehr die vor wenigen Tagen begonnenen Attacken der Guerillabewegung Revolutionäre Volksarmee (EPR) die Regierung getroffen haben. Ähnlich wie die zapatischen Rebellen aus Chiapas vor zweieinhalb Jahren dem damaligen Präsidenten Salinas die Feiern zum Eintritt in den NAFTA-Vertrag verdarben, so trübte die EPR das Bild von bevorstehenden besseren Zeiten, die Salinas Nachfolger in seiner Rede beschwor. Die makro-ökonomischen Daten der jüngsten Zeit gaben der Regierung nach langem Warten wieder etwas Rückendeckung: Erstmals wieder steigendes statt fallendes Bruttosozialprodukt, weniger Arbeitslosigkeit, abflachende Inflation und sinkende Kreditzinsen. Doch stattdessen kommt mit der EPR ein weiteres Mal das Thema von sozialer Armut und politischer Unterdrückung auf die Tagesordnung.

Zumindest bis zum Wochenende schienen die Überraschungsgriffe der Revolutionären Volksarmee anzuhalten. Die einzelnen Informationen sind dabei allerdings sehr widersprüchlich. Im Bundesstaat Oaxaca soll es am Freitag und Samstag mehrere kleinere Gefechte gegeben haben. Im zuvor noch nicht betroffenen Bundesstaat Michoacan erklärte sich die EPR in einem Kommuniqué für einen Überfall auf einen Militärkonvoi am hellichten Tag verantwortlich. Die Bundesarmee spricht von einem toten Soldaten, die Guerilla will dem offiziellen Militär mehrere Verluste zugefügt haben. Letzteres ist bei der Suche nach den Gürilleros wenig erfolgreich gewesen. Unter den bisher festgenommenen Personen haben zwei ihre Mitgliedschaft in der EPR angeblich gestanden. Mehrere Campesino- Organisationen, die der Mitgliedschaft in der Revolutionären Volksarmee bezichtigt wurden, haben derartige Verbindungen dementiert.

Im ganzen Land sind verstärkt Soldaten zum Schutz strategischer Punkte wie Stauwerke, Ölanlagen, usw. abgestellt worden. Der Präsident hat zugesagt, den Kampf gegen den „Terrorismus“ zu führen, ohne die individüllen Grundrechte zu „überfahren“. In seinem Regierungsbericht versicherte er auch, die Regierung halte an einer friedlichen Lösung in Chiapas fest, ohne allerdings die EZLN namentlich zu nennen. Dennoch haben die Zapatisten in den Tagen seit Donnerstag direkt oder indirekt soviel Lob von Regierungsseite bekommen wie nie zuvor. Die Trennung zwischen „guten“, dialogbereiten Zapatisten und „bösen“ nicht verhandlungswilligen EPR-Mitgliedern wird auch von vielen anderen nachvollzogen. Mit Spannung wird auf eine erste Reaktion der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) gewartet. Diese müßte spätestens am 4. September kommen, wenn in dem chiapanekischen Ort San Andrés wieder verhandelt wird. So wenig Unterstützung die Aktionen der neuen Guerilla in der mexikanischen Öffentlichkeit finden, so herrscht andererseits Einigkeit darüber, daß die sozialen und politischen Zustände in weiten Landesteilen ihr Entstehen durchaus begründen können. Der Oppositionsführer López Obrador von der Partei der Demokratischen Revolution (PRD) erklärte beispielsweise: „Mit den ausländischen Bankleuten wurde sich gut gestellt, ihnen wird pünktlich gezahlt. Aber gegenüber der mexikanischen Bevölkerung besteht eine grosse Schuld.“

EPR zeigt Präsenz in sechs mexikanischen Bundesstaaten

(Mexiko-Stadt, 29. August 1996, POONAL).- Die Ende Juni erstmals aufgetauchte mexikanische Guerillabewegung „Revolutionäre Volksarmee“ (EPR) hat dem mexikanischen Staat endgültig den Kampf angesagt. In der Nacht auf Donnerstag griff sie in Überraschungsaktionen mehrere Militär- und Polizeiposten in den Bundesstaaten Mexiko, Puebla, Oaxaca und Guerrero an. Dabei gab es nach den vorläufigen Informationen mindestens 17 Tote und mehr als 20 Verletzte. Zusätzlich machte die EPR mit Propagandaaktionen in Chiapas und Tabasco auf sich aufmerksam. An den verschiedenen Aktionen nahmen zusammen weit über hundert Mitglieder der neuen Guerilla teil. Viele Einzelheiten waren am späten Donnerstagabend noch unklar. Zu Gefechten kam es den vorliegenden Berichten nach jedoch vor allem in Oaxaca und Guerrero. Im erstgenannten Bundesstaat war eines der beiden Ziele die Kaserne der in der Bevölkerung wenig beliebten Policia Judicial im Touristenort Huatulco. In Gürrero galten die Aktionen der EPR Einrichtungen im Badeort

Acapulco und drei weiteren Städten. Bisher sind sechs Verhaftungen im Zusammenhang mit den Guerilla-Aktionen bekannt. Unbestätigt bleibt die angebliche Festsetzung von Führungsmitgliedern der Partei der Armen (PROCUP-PdlP). Diese Organisation soll Teil der Demokratischen Revolutionären Volkspartei (PDPR), dem erklärten politischen Arm der Guerillabewegung, sein. In der Vergangenheit galt die PROCUP allerdings als stark von Regierungsagenten durchsetzte Gruppierung.

Präsident Ernesto Zedillo kündigte nach einer Sitzung mit dem Marine- und dem Verteidigungsminister an, gegen die EPR werde mit „aller Härte des Gesetzes“ vorgegangen. Im Gegensatz zur Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) in Chiapas verfüge die Bewegung über keine soziale Basis. Das Innenministerium, das zuvor die Sprachweise des Oppositionspolitikers Cuauthémoc Cárdenas übernommen hatte, der angesichts des öffentlichen Auftauchens der EPR am 28. Juni von einer „Pantomime“ sprach, hat nun die Bezeichnung „Gruppe terroristischen Zuschnitts“ gewählt. Der Präsident des Unternehmerverbandes COPARMEX sprach sich zwischen den Zeilen deutlich für ein rein militärisches Vorgehen gegen die Revolutionäre Volksarmee aus. Gegen die Guerilla könne man nicht mit „Weihwasser“ Erfolg haben. Die Attacken der Rebellen kamen weniger als einen Tag, nachdem eine „ranghohe Quelle der Armee“ die EPR in der Tageszeitung „La Jornada“ noch als möglichen „Kampfhahn“ einer politischen Gruppe charakterisierte. Derselbe Militär ging davon aus, daß es die Guerilla insgesamt auf eine Stärke von nicht mehr als 100 Kämpfern und Kämpferinnen bringe. Er schloß Aktionen in der Hauptstadt und deren Umgebung aus. Auch das mexikanische Innenministerium ging von einer „besonderen Präsenz nur in Gürrero“ aus. Mit dem Auftreten in den Bundesstaaten Mexiko und Pueblo haben sich EPR-Kader nun nicht weit von der Hauptstadt entfernt gezeigt. In Interviews mit der Presse, die in den letzten drei Wochen an geheimen Orten zustande kamen, hat die Guerillaführung auch von Mitgliedern in der Hauptstadt selbst gesprochen.

Die Treffen mit der Presse erlauben trotz vieler offener Fragen ein etwas genaüres Bild von der Revolutionären Volksarmee zu zeichnen. An der Spitze steht eine Generalkommandantur, von der bisher sechs Comandantes – darunter eine Frau – mit ihren Kampfnamen bekannt sind. Die Comandantes befehlen nach eigenen Angaben über Kampfeinheiten, die von vierköpfigen Gruppen bis hin zur grössten Einheit, dem Bataillon, reichen. Die Gesamtstärke wird jedoch als Geheimnis behandelt. Die EPR-Führung bekennt sich zur Gesellschaftsanalyse aus marxistischer Sicht. Ihre Aktionen sieht sie selbst als Akt der Selbstverteidigung und Folge der „Notwendigkeit, eine politische Antwort auf die Militarisierung und die gesteigerte Unterdrückung durch die Regierung im Land und besonders in Guerrero zu geben“. Bei ihren Angriffen auf die Bundesarmee will sie dieser 59 Verluste – Tote und Verwundete – zugefügt haben. Das offizielle Militär sprach bis zum Donnerstag nur von einem Toten. Im Gegensatz zu den Zapatisten in Chiapas hat die neue Guerilla einen Dialog mit der Regierung abgelehnt. Allerdings hat sie mehrmals ihren Respekt vor der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung und deren Weg geäussert. Gleichfalls schließt sie Wahlen als Möglichkeit zur Veränderung nicht von vorneherein aus. Die außergewöhnlich gute Bewaffnung, die die Journalisten bei der Revolutionären Volksarmee feststellten, wird von der Guerilla mit der Finanzierung durch „Bankenenteignung und der Entführung grosser Unternehmer“ erklärt. Die Waffen seien ohne Schwierigkeit auf dem schwarzen Markt zu bekommen. Das Programm der EPR ist in einem „Manifest der Sierra Madre Oriental“, (des Gebirgslandes, das Teile der Bundesstaaten Hidalgo, Veracruz, San Luis Potosí, Tamaulipas und Puebla umfaßt) dargelegt und läßt an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Wir kämpfen um die Macht“.

Es ist momentan kaum denkbar, daß die EPR wirklich die Machtfrage stellen könnte. Sie hat mit ihren jüngsten Überraschungsüberfällen jedoch eine Schlagkraft gezeigt, die niemand ernsthaft von ihr erwartet hätte. Welche Auswirkungen dies auf die mexikanische Innenpolitik haben wird, wird in Ansätzen bereits in den nächsten Wochen sichtbar sein. Denkbar ist unter anderem, daß die für den 6. Oktober in Guerrero vorgesehenen Kommunal- und Parlamentswahlen verschoben werden oder nur eingeschränkt stattfinden können. Mexikos Präsident Ernesto Zedillo hatte sich die Tage vor seinem zweiten Regierungsbericht am 1. September sicher andersvorgestellt.

Kommentar: Alles verworren

Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt

In Mexiko wird die innenpolitische Lage von Tag zu Tag komplizierter. Kurz bevor am Donnerstag, 4. September, die Verhandlungsgespräche zwischen der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) und der Regierung weitergeführt werden sollten, setzten die Zapatisten diese Gespräche einseitig aus. Sie stellen eine Reihe von Bedingungen, um wieder an den Verhandlungstisch zurückzukommen. Unterdessen werden aus dem Bundesstaat Guerrero erneut kleinere Scharmützel zwischen der Bundesarmee und der Revolutionären Volksarmee (EPR) gemeldet. Noch zu Wochenanfang hatte das mexikanische Innenministerium verkündet, es gebe „praktisch“ keine Attacken der Guerilla mehr. Ein dritter sich abzeichnender Spannungsfaktor ist das Verhältnis der beiden Guerillabewegungen züinander. Die Zapatisten haben durch Kommuniques ihres Sprechers und Militärstrategen Subcomandante Marcos in diesen Tagen zum ersten Mal ausführlicher zur EPR Stellung genommen.

Die Zapatisten begründeten ihre vorläufige Absage an die Gespräche mit der Regierung mit deren Unwillen, wirkliche Lösungen zu finden. Ihre „Minimalbedingungen“ beziehen sich auf mehrere Punkte. So fordern sie einen Gesprächspartner vonseiten der Regierung „mit Entscheidungsbefugnis, politischem Verhandlungswillen und Respekt vor der zapatistischen Delegation“. Dies richtet sich eindeutig gegen den bisherigen Delegationsleiter der Regierung, Marco Antonio Bernal. Ein zweiter Punkt betrifft die Freilassung der inhaftierten angeblichen Zapatisten. Viele von diesen wurden erst kürzlich zu hohen Haftstrafen verurteilt, obwohl der Prozeß gegen sie eine Reihe von sehr zweifelhaften Begleitumständen ausweist. Weiter will die EZLN die Vereinbarungen über das abgeschlossene Thema „Indígenarechte und -Kultur“ erfüllt sehen und „ernsthafte und konkrete“ Vorschläge zu dem jetzt ausgesetzten Thema „Demokratie und Gerechtigkeit“. Ein fünfter Punkt bezieht sich auf die Einsetzung einer bereits vor Wochen abgestimmten Überprüfungsinstanz. Schließlich wird auf die Agressionen von Militärs und Paramilitärs in Chiapas eingegangen. Das mexikanische Innenministerium zeigte sich „überrascht“ vom Entschluß der EZLN. Es betonte den Willen, den „Dialog“ fortzuführen. Die vermittelnde Parlamentskommission COCOPA berichtete am Dienstag nach Sondierungsgesprächen mit Regierungsmitgliedern sogar, die meisten der zapatistischen Forderungen seien erfüllbar. Die gemäßigte Reaktion der mexikanischen Regierung kann so verstanden werden, daß diese die Hände gegen die EPR freihaben will. In diesem Moment käme ihr ein endgültiger Bruch bei den Gesprächen mit den Zapatisten absolut ungelegen.

Die herrschenden Politiker mögen sich – nicht grundlose – Hoffnungen machen, die beiden Guerillabewegungen gegeneinander auszuspielen. Subcomandante Marcos hat in den Kommuniques, die auf die jüngsten Ereignisse eingehen, zwar deutlich gesagt, es sei eine Falle der Regierung, zwischen einer schlechten und einer guten Guerilla unterscheiden zu wollen. Er erklärte ebenfalls, die Zapatisten seien anders als die Revolutionäre Volksarmee, jedoch nicht ihre Gegner. Andererseits wies er jegliche Unterstützung durch die EPR zurück. Die Zapatisten bauten auf die Hilfe durch die Zivilgesellschaft und friedliche Mobilisierungen. Waffen und Truppen hätten sie genug. Marcos kritisierte das Erscheinen der EPR auch in Chiapas relativ scharf. Gleichzeitig stellte er den Unterschied der politischen Ziele – Kampf um die Macht bei der EPR, Kampf für Demokratie, Freiheit, Gerechtigkeit bei der EZLN – heraus. Ob die Revolutionäre Volksarmee angesichts der aktüllen Situation auf diese Stellungnahme eingehen wird, ist fraglich. Für Mexiko gilt möglicherweise die Einschätzung des Kommentators Luis Hernssndez Navarro. Der stellte unter dem Hinweis auf fehlenden Friedenswillen der Regierung in den vergangenen zwei Jahren jetzt sarkastisch fest: „Der Krieg kam, um zu bleiben.“

Tepoztlán ein Jahr rebellisch

(Tepoztlán, 26. August 1996, POONAL):- Als die Bewohner des Dorfes Tepoztlán im mexikanischen Bundesstaat Morelos am 24. August 1995 ihren korrupten Bürgermeister aus dem Rathaus warfen, die Polizei verjagten und ein Komitee die Selbstverwaltung des Ortes in die Hand nahm, räumten Beobachter dieser zivilen Rebellion nur wenig Überlebenschancen ein. Allen Unkenrufen und Regierungsbedrängungen zum Trotz feierte der Großteil der Tepoztecos, wie die Bewohner genannt werden, am vergangenen Wochenende den einjährigen Geburtstag der ersten „freien Volksgemeindeverwaltung Mexikos“. Das kaum über 10.000 Einwohner zählende Tepoztlán ist in der Zwischenzeit ein Begriff im ganzen Land und sogar darüber hinaus geworden. Die Gründe dafür sind vielfältig: Der ursprüngliche Protest gegen den geplanten Bau eines Golfplatzes in unmittelbarer Dorfnähe, der die Wasserversorgung der Bevölkerung zu gefährden drohte, entwickelte eine Eigendynamik, in deren Verlauf mit dem vielköpfigen „Komitee der tepoztekischen Einheit“ eine neue Form der demokratischen Selbstverwaltung ohne politische Parteien bis heute relativ erfolgreich erprobt wurde.

Trotz so gut wie vollständig gestrichener Bundes- und Landesmittel funktioniert die Gemeinde erstaunlich gut. Die Polizei ersetzten die Bürger durch einen eigenen Wachdienst. Auch andere Dienste organisierten sie in Eigenregie. Im Rathaus wird ehrenamtlich gearbeitet. Die Einnahmen fließen spärlich, werden aber effizienter als zuvor verwendet. Obwohl es häufig Provokationen vor allem durch die Regierung von Morelos gegeben hat, drei Mitglieder der Bewegung mit fadenscheinigen Begründungen inhaftiert sind und ein weiteres Mitglied bei einem Demonstrationszug am 10. April, dem Todestag des mexikanischen Revolutionshelden Emiliano Zapata, offenbar gezielt von einem Polizisten erschossen wurde, geben die Tepoztecos in ihrer Sache nicht nach. Immer wieder berufen sie sich stolz auf den Geist des nur unweit entfernt geborenen Zapata.

„Das Recht und die Vernunft setzten sich gegen die Unfähigkeit und Plumpheit der Behörden durch. Sie siegten über die Unterdrückung und die Verletzung der individuellen und kommunalen Rechte der Tepoztecos“, erklärte einer der Vertreter des Komitees amWochenende. In der Ausdrucksweise gibt es Parallelen zu den zapatistischen Rebellen in Chiapas. Die Tepoztecos betonen den friedlichen Charakter ihres Kampfes, drücken aber ihren großen Respekt vor den Zapatist*innen aus. Bisweilen überschätzen die Sprecher die Bedeutung ihres Kampfes auch, wenn sie von einem „Vorbildcharakter für die ganze Welt“ reden. Ein bißchen ist der ursprüngliche Elan sicher abgebröckelt und im Komitee sind einige gleicher als andere. Ein gewisser Egozentrismus hat vielleicht verhindert, die eigenen Erfolge bei der für Gemeinden im ganzen Land spannenden und interessanten Autonomiefrage breiter zu diskutieren. Die Einigkeit, wie sie die Gemeinde im Kampf gegen den Golfplatz demonstrierte, bröckelt.

Aber gespalten hat sich die Bewegung der Tepoztecos nicht. Sie kam der Regierung insofern entgegen, als sie sich zur Wahl eines sechsköpfigen Gemeinderates bereit erklärte, für den in Tepoztlán selbst vor wenigen Wochen nur drei Mitglieder gewählt wurden. Die übrigen drei sollen aus zugehörigen Umlandgemeinden kommen, in denen die den Bundesstaat regierende Quasi-Staatspartei PRI ihren Einfluß geltend machen kann. Daß das Komitee der tepoztekischen Einheit durch den Rat abgelöst wird, ist dennoch unwahrscheinlich. Es hat als Vorbedingung unter anderem die Freilassung ihrer inhaftierten Mitglieder, die schriftlich fixierte Absage des Golfplatzprojektes, die wirksame Strafverfolgung der Verantwortlichen für einen Mord am 10. April und die Rückerstattung von Gemeindeland gefordert. Das alles ist derzeit nicht in Sicht. Viele Tepoztecos haben durch Parolen an den Häuserwenden ihre Meinung zu der Regierungstaktik eindeutig kundgetan: „Nein zu den Wahlen. Es lebe die Demokratie!“

USA/LATEINAMERIKA

Drogenhändler CIA

(Montevideo, 24. August 1996, comcosur-POONAL).- Während die verschiedenen US-Regierungen eine Drogenbekämpfungspolitik durchsetzen, die schwerwiegende soziale Auswirkungen auf die Campesinos in Ländern wie Kolumbien und Bolivien hat, brachte die Zeitung „San José Mercury News“ die Verwicklung des Geheimdienste CIA ins Drogengeschäft in einem weiteren Fall ans Licht. Bei ihren Nachforschungen fanden die Journalist*innen heraus, das nicaraguanische Drogenhändler im Dienste des CIA in den 80er Jahren Tonnen von Drogen an Straßenbanden in Los Angeles verkauften und die Gewinne benutzten, die gegen die Sandinist*innen kämpfenden Contras zu finanzieren. Bei einem dieser Verkäufe handelte es sich um fast eine Tonne Kokain, die einen Preis von insgesamt 54 Millionen Dollar erzielte. Der US-Geheimdienst blockierte nach den Angaben der Tageszeitung Untersuchungen des FBI, der nordamerikanischen Drogenbekämpfungsbehörde DEA und anderer Einrichtungen zur Drogenbekämpfung. Der CIA sah die ihm zugestandene Summe von 19,9 Millionen Dollar, die der damalige Präsident Ronald Reagan in einem geheimen Befehl für die Aktionen gegen die sandinistische Regierung freigab, den Informationen von „Mercury News“ nach für zu gering an.

HAITI

Streik der BürgermeisterInnen

(Port-au-Prince, August 1996, hib-POONAL).- Im Rahmen ihrer

ständigen Proteste gegen die Regierung, haben Rathäuser in zwei Provinzen ihre Büros geschlossen. Die Bürgermeister*innen machen über Radio darauf aufmerksam, daß sie nicht bezahlt werden, es keine dezentralisierten Dienstleistungen gibt und die kleineren Städte, Dörfer und Landregionen von der Zentralverwaltung ignoriert werden. Der erste Streik entstand auf Initiative der Vereinigung der Rathäuser von Artibonite (AMA). Darin sind die elf BürgermeisterInnenämter im Artebonite Tal zusammengeschlossen. Alle städtischen Büros in der Region machten vom 12. bis zum 19. August ihre Türen zu. Nach Diskussionen mit dem Innen- und dem Finanzministerium öffneten sie wieder. Aber AMA ist nicht zufrieden.

„Die Minister sagen, das Problem sei gelöst. Sie glauben, sie haben unsere Forderungen befriedigt, weil sie sich entschlossen, uns mehr zu zahlen“, erklärte ein Bürgermeister im Radio. „Aber die Ministerien haben den Sinne unseres Kampfes verfälscht. Wir verteidigen nicht unsere Taschen. Unsere Priorität sind die Steuern, die Einnahmen. Die in den Provinzen erzielten Einnahmen sollten in den Provinzen bleiben. Es geht um ein Problem von Geld für Entwicklung. Um ein Problem von heruntergekommenen Strassen und wir können keinen Traktor oder Wagen finden, um sie zu reparieren. Die Leute denken, die Steuern befinden sich in unseren Händen, aber sie werden alle in die Hauptstadt gesandt, die dann die ländlichen Gebiete ignorieren.“ Die AMA fordert nach wie vor, daß die Regierung die Dezentralisierungsgesetze im dafür vorgesehenen Bulletin „Le Moniteur veröffentlicht.

Am 20. Augsust folgte die Gemeindevereinigung des Südens (AMUS) dem Beispiel und kündigte eine zweiwöchige Schließung der BürgermeisterInnenämter an. Wie im Artebonite Tal sind sich die Bürgermeister*innen in der Südprovinz einig, daß sie der Bevölkerung überhaupt keine Dienstleistungen anbieten können. Der Hauptgrund ist, daß sie von Port-au-Prince an der kurzen Leine gehalten werden. In einem offenen Brief an den Innenminister Jean Moliere, der für die Überprüfung der Kommunen zuständig ist, widersprach AMUS auch der Entscheidung, die ausstehenden Lohnzahlungen auf der Basis des alten Budget zu berechnen. Sie nicht ausgezahlten Gemeindelöhne müssten den Haushalt 1995/96 zur Grundlage haben. Vom Parlament ist diese Forderung angenommen worden, doch der Öffentlichkeit ist die Regelung nie prräsentiert worden. „Wenn irgendeine unserer Forderungen nicht respektiert wird, werden alle Bürgermeister*innen der Südprovinz zurücktreten“, sagt AMUS.

PERU

Fujimori strebt dritte Amtsperiode an

(Mexiko-Stadt, September 1996, POONAL).- Perus Präsident Alberto Fujimori ebnet sich den Weg für einen Verbleib an der Macht bis zum Jahr 2005. Das von ihm und seinen Parteianhänger*innen beherrschte Parlament verabschiedete am 23. August ein Gesetz, das die erneute Wiederwahl erlaubt. Der Oppositon gelang es trotz harscher Kritik nicht, das Projekt zu verhindern. Der ehemalige UNO-Generalsekretär Javier Pérez de Cuellar, eine der wenigenverbliebenen Figuren der politischen Opposition in Peru, sah in den Wiederwahlplänen die „Förderung der juristischen Instabilität“ im Land. Viele der Gegner*innen halten die Gesetzesinitiative für verfassungswidrig. Der Artikel 112 der gültigen Verfassung verbietet die erneute Wahl eines zuvor bereits zwei aufeinanderfolgende Perioden regierenden Präsidenten. In der verabschiedeten Gesetzesfassung wird diese Klausel jedoch durch die Interpretation umgangen, für Fujimori treffe sie nicht zu, da bei seiner ersten Wahl 1990 noch die alte Verfassung galt und nicht die 1993 verabschiedete. Alle 70 Mitglieder der Regierungsfraktion stimmten für den Entwurf. Drei Parlamentarier gaben Gegenstimmen ab und die 47 restlichen Abgeordneten verliessen Minuten vor der Abstimmung aus Protest den Saal. Aus ihren Reihen kam der Vorwurf eines „neuen Staatsstreiches“. Die Anwaltsvereinigung kündigte die Anrufung des Verfassungsgerichtes an. Es handelt sich nicht um das erste Mal, daß Fujimori sich bedenkenlos mit Hilfe der Mehrheitsverhältnisse über alle Einwände der Opposition hinwegsetzt. Seine autoritäre Regierungsweise hat seinem Ansehen in der Bevölkerung bisher wenig geschadet. Im Gegenteil: die Umfragen, die ihm einen Popularitätsgrad von mehr als 60 Prozent bei den Peruaner*innen zuschreiben, dürften zum Entsetzen seiner politischen Gegner*innen im wesentlichen korrekt sein. Fujimori hat Anfang September das erste Mal öffentlich sein Interesse an einer dritten Amtsperiode bekundet.

KOLUMBIEN

Die Cocaleros kämpfen weiter

(Mexiko-Stadt, 30. August 1996, POONAL).- Das ohnehin als brüchig eingeschätzte Abkommen der kolumbianischen Regierung mit Vertretern von mehreren zehntausend Campesinos, die in der Provinz Putumayo die Kokapflanze anbauen, hat bisher wenig Auswirkungen auf andere Regionen des Landes gezeigt. In den Provinzen Caquetá und Guaviare haben sich die Konflikte verschärft. Dort mobilisierten zeitweise bis zu 75.000 Campesinos. Sie fordern eine Pause von wenigstens einem halben Jahr, bevor ihr Koka-Anbau zwangsweise durch andere Agrarprodukte ersetzt wird. Die Regierung weigert sich bisher, dieser Forderung nachzugeben. Ihrer Meinung nach würde dies eine Teillegalisierung des Drogenhandels bedeuten. Die Hauptstadt des Bundesstaates Caquetá, Florencia, wird seit fast einem Monat von etwa 20.000 Campesinos förmlich belagert. Bei dem Versuch, die Stadt mit ihren 120.000 Einwohner*innen enger einzukreisen, ist es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen den Bäuer*innen auf der einen Seite sowie Polizei und Militär auf der anderen Seiten gekommen. Die schwersten Konfrontationen ereigneten sich am 22. und 23. August, als Soldaten von ihren Schußwaffen Gebrauch machten und mehrere Personen ums Leben kamen. Am 22. August hinderten Militärs Campesinos 30 Kilometer von Florencia entfernt daran, eine Brücke zu überqueren. Eine Frau kam ums Leben und 21 Personen wurden verletzt, darunter auch Militärs und Journalist*innen. Einen Tag später gab es zwei tote Campesinos und 20 Verletzte in Belén de los Andaquíes. Dort konzentriert sich ein Teil der Koka-Anbäuer*innen, die Florencia besetzen wollen. In Florencia herrscht eine nächtliche Ausgangssperre.

Präsident Ernesto Samper hat unterdessen „verborgene Interessen“ hinter den sozialen Protesten ausgemacht. Er verglich sie mit Besetzungen der Guerilla in verschiedenen Regionen des Landes. DieDemonstrationen seien von Agitatoren organisiert. Er forderte die Campesinos auf, sich nicht vom „Anarchismus“ leiten zu lassen, sondern auf ihre Landparzellen zurückzukehren. Der Armeekommandant in Caquetá beschuldigte direkt die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) als Urheber der Proteste. Die Vorgänge in Kolumbien machen offensichtlich auch das Nachbarland Venezuela nervös. Der Präsident der Nationalen Fernsehkommission Venezuelas (CNTV) befahl allen Nachrichtensendern, nur die offizielle Information über die Zone zu senden.

PARAGUAY

Ex-Präsident muß um Immunität fürchten

(Mexiko-Stadt, August 1996, POONAL).- Die paraguayischen Justizbehörden haben beantragt, die Immunität des ehemaligen Präsidenten Andrés Rodríguez aufzuheben. Dieser soll während seiner Regierungszeit in Drogengeschäfte verwickelt gewesen sein. General Rodríguez hatte 1989 in einem unblutigen Staatsstreich den langjährigen Diktator Alfredo Strössner abgesetzt. Er ließ sich danach in Wahlen bestätigen. Nach dem Ende seiner Amtszeit wurde er aufgrund einer Verfassungsklausel automatisch Senator auf Lebenszeit – mit allen Vorrechten der Parlamentarier*innen. Jetzt war es eine gemeinsame Untersuchungskommission beider Parlamentskammern, die zu dem Schluß kam, Rodríguez habe Drogen gehandelt und müsse vor Gericht kommen. Der General im Ruhestand, selber nicht unbedingt als grosser Demokrat bekannt, spricht von einer Verleumdnungskampagne gegen ihn, die von den „Nostalgikern“ der Diktatur inszeniert werde. Ein wesentlicher Anhaltspunkt in einem Prozeß könnten die Aussagen des Piloten Amado Recalde sein, der selbst vor Gericht steht. Dieser behauptet, im Auftrag von Rodríguez im Juni 1990 etwa 60 bis 80 Kilo Kokain von Bolivien nach Paraguay geflogen und sie ihm Rahmen einer Operation des Anti-Drogenministeriums (SNA) über der Region Nueva Asunción abgeworfen zu haben. Später habe der Präsident nicht wie vereinbart bezahlt. Wegen einer Verwicklung ins Drogengeschäft steht neben Recalde im selben Fall auch der ehemalige SNA-Minister General David Marcial Samaniego vor Gericht. Eine pikante Note dabei: Samaniego erhielt eine militärische Ausbildung in der West Point Akademie der USA und hatte deren breite Unterstützung während seiner Arbeit als Minister.

GUATEMALA

Endgültige Feuerpause im Oktober

(Oslo, 23. August 1996, cerigua-POONAL).- Die faktisch bereits seit Monaten eingehaltene Feuerpause zwischen guatemaltekischer Regierung und der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) soll im Oktober in Oslo schriftlich und endgültig besiegelt werden. Dies teilte der stellvertretende norwegische Aussenminister Jan Egeland mit „Norwegen ist ein Freund des Friedensprozesses“ sagte er und verwies darauf, daß in Oslo 1990 auch die erste Runde der Friedensgespräche zwischen den Konfliktparteien stattfand. Der Minister sprach sich ebenfalls für zusätzliche Geldmittel von norwegischer Seite für den Friedensprozeß aus. Bisher hat Norwegen dafür 11 Millionen Dollar gespendet. Vorgesehen ist auch, daß in Oslo gleichzeitig einAbkommen über das Thema „Stärkung der zivilen Autorität und die Rolle der Armee in einer demokratischen Gesellschaft“ unterzeichnet wird. Ebenso eine Vereinbarung über die Wiedereingliederung der URNG in das zivile Leben. Über diese Punkte verhandeln guatemaltekische Regierung und Guerilla derzeit noch in Mexiko. Danach würden nur noch ein Akommen über Verfassungsreformen und das Wahlsystem sowie ein genaür Zeitplan für Durchführung und Überprüfung fehlen, bevor der „endgültige und daürhafte Frieden“ die Verhandlungen abschliesst. (In den vergangenen Tagen haben sowohl Guatemalas Präsident Alvaro Arzú als auch die Guerillaführung ihre Absicht bekräftigt, den Frieden noch in diesem Jahre zu unterzeichnen. Die Red.).

Neuer Vorschlag zur Behandlung von Kriegsverbrechen

(Guatemala-Stadt, 28. August 1996, cerigua-POONAL).- Die Allianz Gegen Straflosigkeit hat einen Vorschlag an die Öffentlichkeit gebracht, der es erlauben würde, den Guerilla-Mitgliedern den bewaffneten Aufstand gegen den Staat zu „vergeben“, ohne daß Kriegsverbrechen – auf beiden Seiten – ungestraft blieben. „Die rechtlichen Konsequenzen (von Verbrechen gegen die nicht an den Kämpfen beteiligte Bevölkerung) sind keiner straf- oder zivilrechtlichen Einschränkung unterworfen“, erklärte Karen Fischer, Mitglied der Organisation, gegenüber den Medien. „Die Täter*innen sollten für allgemeine Verbrechen gegen die Menschheit vor die Gerichte kommen“, las sie aus dem Dokument vor. Die guatemaltekische Armee, die in der großen Mehrzahl der Kriegsverbrechen als verantwortlich angesehen wird – einschließlich der Massaker an Zivilist*innen und dem Verschwindenlassen zehntausender Personen – sollten nach Ansicht in der Allianz Gegen Straflosigkeit zusammengeschlossenen Gruppen kein Recht auf Vergebung oder Amnestie haben. „Wir meinen, daß Mitglieder der Armee oder paramilitärischer Kräfte und anderer Sicherheitskräfte nicht Gegenstand der Wiedereingliederung in das soziale, politische und rechtliche Leben des Land sind, da sie staatlichen Einrichtungen angehören und mit staatlicher Zustimmung agieren“, wird in dem Vorschlag ausgeführt. Die Mitglieder der Allianz kamen getrennt mit den Friedensunterhändlern der Regierung und den Guerilla-Kommandanten zusammen, um ihren Plan zu diskutieren. Die Gruppe will ihn im September als eine Gesetzesvorlage einreichen, nachdem er von Rechtsexpert*innen überprüft ist.

Umstrittene Zeitungsschlagzeile

(Guatemala-Stadt, 26. August 1996, cerigua-POONAL).- Ein Artikel der guatemaltekischen Tageszeitung „La República“ hat heftige Auseinandersetzungen zwischen dem Medium und der Führung der Revolutionären Nationalen Einheit Guatemalas (URNG) zur Folge gehabt. Auf der Titelseite vom 17. August veröffentliche die Zeitung als Schlagzeile: „URNG wird Waffen behalten und ihre Militärkraft nach der Friedensunterschrift bewahren“. Ohne ihre Quelle anzugeben, zitierte República zusammenhanglos aus einem internen Dokument der Guerilla. Mit den Zitaten unterstützte sie die Behauptung, die URNG sei nicht wirklich an einem Friedeninteressiert. Die als rechtsgerichtet eingeschätzte Tageszeitung war das einzige Medium, daß diese Nachricht und eine Reihe von weiteren Artikeln dazu brachte.

Die Generalkommandantur der URNG gab am 21. August ein Kommuniqué heraus. Darin hieß es, sie fühle sich zu einer öffentlichen Stellungnahme gegen eine „Desinformationskampagne“ verpflichtet, die den Friedensprozeß gefährden könne. Die URNG forderte La República auf, das gesamte interne Dokument zu veröffentlichen. Dies tat die Zeitung tags darauf. In dieser Ausgabe nannte sie die mexikanische Nachrichtenagentur „Notimex“ als Quelle für ihren ersten Artikel und machte Notimex für jegliche Informationsverfälschung verantwortlich. Ein sorgsames Lesen des Originaldokumentes der URNG zeigt, daß die von República gebrachten Ausschnitte in die Irre führen. Sie beziehen sich auf eine „Übergangszeit“. Das Dokument stellt klar fest, daß die Guerilla nach einem abschließenden Friedensabkommen und der Verabschiedung eines akzeptablen Plans für die Wiedereingliederung in die Zivilgesellschaft (der demnächst verhandelt wird; die Red.) die Waffen abgeben wird und aufhört, eine militärische Kraft zu sein.

URUGUAY

Generalstreik

(Montevideo, 30. August 1996, comcosur-POONAL).- Die am 14. August begonnene Mobilisierung der Schüler*innen für eine Debatte über die von der Koalitionsregierung durchgesetzte Bildungsreform, mündete am Freitag in einen Generalstreik. Zu diesem rief die Gewerkschaftszentrale PIT-CNT auf, nachdem die Koordination der Bildungsverbände eine entsprechende Forderung gestellt hatte. Während der vorhergehenden Tage erhöhte sich die Zahl der besetzten Schulen. Es gab eine Reihe von Erklärungen und Ultimaten, um einen Konflikt zu lösen, dessen Ausgang immer noch offen ist. Mehr als 10.000 junge Leute zogen zum Parlamentsgebäude. Das öffentliche Bildungswesen ist im Gegensatz zu den Privatschulen so gut wie ständig in allen Bereichen lahmgelegt. Das Bildungsministerium drohte mit der Räumung der besetzten Schulen am Wochenende, falls diese nicht freiwillig bis Freitagabend 18 Uhr verlassen würden. Kurz vor dieser Frist deutete jedoch alles darauf hin, daß es nicht zu dieser gewaltsamen Lösung kommen würde. Die Behörden haben zugesagt, alle Vorschläge der Jugendlichen entgegenzunehmen. Ihre Vertreter*innen sollten allerdings „in demokratischer Form“ ausgewählt sein. Es wurde ebenfalls zugesagt, die Besetzer*innen nicht zu bestrafen, falls die Schulen friedlich geräumt würden.

Während der Woche hatte Bildungsminister Germán Rama in einer landesweit in Radio und Fernsehen übertragenen Ansprache den Student*innen noch mit harten Maßnahmen gedroht. Er beschuldigte besonders die Eltern der Schüler*innen. Im Rahmen anderer Erklärungen warnte er vor dem Verlust eines ganzen Schuljahres, falls nicht bald eine Lösung gefunden werde. Die Koordination der Mittelschüler*innen rief am Freitag zu einer Pressekonferenz auf. Während dieser erklärten sie, die Besetzungen seien „ein Mittel und kein Zweck“, um eine nationale Diskussion zu erreichen, an der alle Gesellschaftsgruppen sich beteiligen müßten. Als Bedingungfür die freiwillige Räumung verlangten sie eine schriftliche Garantieerklärung des Bildungsministeriums. Die DozentInnenvereinigung der Mittelschulen sprach sich unterdessen für einen 72stündigen Streik aus. Dies bedeutet, daß die Schulen mindestens bis Mittwoch, den 4. September, geschlossen bleiben.

Die Gesamtgesellschaft blickt zur Zeit auf die Jugendbewegungen, die sich in der Sprache der 90er Jahre ausdrücken und die entfernt von den Parteistrukturen stattfinden, die oft ausdrücklich zurückgewiesen werden. Dies betrifft auch die Linke, deren politischer Teil (will sagen die Parteien; die Red.) sich am deutlichsten mit der Plattform der Schüler*innen solidarisiert hat. In den konservativen Pressekreisen wird versucht, die Bewegung mit falschen und disqualifizierenden Versionen zu charakterisieren. So werden „sexuelle Erfahrungen“ in den besetzten Bildungszentren erwähnt und es wird von alkoholisierten Besetzer*innen gesprochen. Diese Angaben wurden sogar von den Behörden selbst zurückgewiesen.

Durchsuchung bei freien Radios

(Montevideo, 2. September 1996, comcosur-POONAL).- Auf Anordnung eines Strafrichters, der einem Antrag der Nationalen Kommunikationsbehörde (DNC, untersteht dem uruguayischen Verteidigungsministerium) folgte, wurde am 1. September das Community-Radio „El Puente FM 103,5“ durchsucht. Das Radio sendete von freitags bis sonntags aus dem Stadtviertel La Teja im Westen Montevideos. Zwei Mitglieder der DNC, verstärkt durch einen Anwalt und einen Polizisten, nahmen die Sendeanlage und mehrere Studiogeräte mit. Am selben Tag drang die Behörde auch in die Räume des Radiosenders „La Teja Libre“ ein, der vom Sitz der Wohnungsgenossenschaft COVITEA ausstrahlte. Auch dort wurde die Ausrüstung beschlagnahmt. Es ist offensichtlich, daß es sich um eine koordinierte Aktion handelt. Denn die DNC versuchte am 1. September ebenfalls, die Sendegeräte von zwei weiteren Community- Radios zu konfiszieren. Doch bei „Alternativas FM“ im Stadtviertel Belvedere und „Emisora de la Villa“ im Viertel „El Cerro“ fanden sie keine Sendeanlagen vor. Wie Gustavo Gómez, der Leiter von „Pünte FM“ erklärte, handelt es sich bereits um die vierte Durchsuchung, seit das Radio 1994 ohne behördliche Erlaubnis den Betrieb aufnahm. Doch erstmals wurde die Ausrüstung mitgenommen. In einer Pressemitteilung sagt „Puente FM“: „Wir bekräftigen unser legitimes Recht, weiter zu senden. Darum fordern wir die Rückgabe der beschlagnahmten Ausrüstung. Solange dies nicht geschieht, werden wir – mit Ersatzsendern – ab Samstag, 7. September ab 10 Uhr morgens senden.“

Auszug aus der Pressemitteilung von EL Puente FM

Montevideo, 2, September, 1996

… Vor dieser Aktion wurde durch Interferenzen versucht, unsere

normalen Sendungen auf der Frequenz 103,5 MHz einzuschränken. Das

Gleiche geschieht bei den Frequenzen die andere Community-Radios

benutzen… Seit Februar haben wir beantragt, daß uns die freie Frequenz auf 103,5 MHz zuerkannt wird. Wir nutzen diesen Kanal (ohne ein einziges anderes Radio zu stören und mit derUnterstützung unseres ganzen Stadtviertels) seit dem 16. Juli 1994. Die selben Forderungen hat der Zusammenschluß von sieben Sendern, mit denen wir zusammen die Koordination der Community- Radios bilden…

Für El Puente FM Gustavo Gomez, Walter Sena, Alejandro Herrera

URUGUAY

Unerwarteter Jugendprotest

(Montevideo, 24. August 1996, comcosur-POONAL).- Was die verschiedenen Gewerkschaften und politischen Gruppen nicht erreichten, nämlich die autoritär durchgesetzte Bildungsreform zum Thema zu machen, das schafften die Schüler*innen Uruguays. Der Tag der studentischen Märtyrer*innen markierte vor wenigen Tagen den Beginn einer Reihe von Mobilisierungen, bei der mehr als 5.000 Jugendliche mitmachten. Die Besetzung von ursprünglich vier Mittelschulen wurde zum Vorbild für weitere Schulbesetzungen genommen, in der großen Mehrheit in der Hauptstadt Montevideo (die höchste bis zum Wochenende in den Medien genannte Zahl besetzter Schulen war 26; die Red.). Die Jugendlichen, die sich scheinbar den unterschiedlichen Realitäten des Landes gegenüber gleichgültig zeigten, den Ruf von Zeittotschläger*innen hatten und von den Medien der egozentrischen „Selbstverwirklichung“ bezichtigt wurden, haben auf einmal eine Vorreiterrolle übernommen, die die konservativsten Kräfte des Landes alarmiert. Sofort zogen sie die „Gespenster“ der Vergangenheit aus ihrer Mottenkiste: die Gewaltszenen der 60er Jahre würden wiederkehren, die verfassungsmäßige Ordnung des Staates sei in Gefahr. Angeführt wurde auch ein altes Argument: Die Jugendlichen seien lediglich die Handlanger gewisser politischer Organisationen.

Doch der Vergleich der heutigen Geschehnisse mit den Ereignissen in den 60er Jahren führt in die Irre. Die uruguayische Gesellschaft hat begonnen, unterschiedliche Organisationsformen zu bilden, die die Grenzen der Parteistrukturen klar überschreiten und gleichsam deren Defizite aufzeigen. Die Schüler*innen organisieren sich spontan, sie lechzen nicht nach Führungsfiguren und erst recht nicht nach Vorgaben irgendeiner Partei, der sie folgen könnten. Auf einmal sind sie da, besetzen, diskutieren, entscheiden demokratisch und stellen sich der Macht mit einer Frechheit und Reife entgegen, die große Aufmerksamkeit erregt hat.

Die uruguayische Koalitionsregierung mit Präsident Sanguinetti an der Spitze und mit dem den Taktstock schwingenden Professor Germán Rama als Bildungsminister setzte ohne Beratung eine Bildungsreform durch, die nicht einmal ein Produkt eines speziellen Gesetzes ist, sondern als Schmuggelware im Haushaltsgesetz versteckt ist. Die Zukunft eines Landes ist in den jeweiligen Bildungsplänen klar vorgezeichnet. Bei so einem wichtigen Thema ist es gut, wenn die Pläne Ergebnis einer breiten Diskussion sind, an der die gesamte Gesellschaft und besonders die am stärksten betroffenen Gruppen teilnehmen können. Dieser Weg wurde von Rama, einem Fachmann mit großem nationalen und internationalen Prestige, nicht gewählt. Seine Ernennung weckte hohe Erwartungen, doch in der Stunde, als es darauf ankam, zeigte er, daß er die weder die tiefgründigsten noch die alltäglichen Entwicklungen der komplexen Bildungsrealitätdes Landes kannte. Dazu kam ein persönlicher Stil, der auf der Konfrontation und der Abqualifizierung seiner Kritiker*innen baute. Die Kritik der LehrerInnenvereinigungen führte er seinerzeit darauf zurück, daß diese durch „Kommunisten und Tupamaros“ (die ehemalige Stadtguerilla Montevideos; die Red.) kontrolliert seien.

Unterdessen besetzen die Jugendlichen weiterhin Mittelschulen und andere Studienzentren. Was passiert dort? Es wird diskutiert, gespielt, es werden die heruntergekommenen Räume in Ordnung gebracht, Schulbänke neu gestrichen und eigene Regeln aufgestellt. Alkohol und andere Drogen sind verboten. Die Schüler*innen können auf die Unterstützung eines großen Teils der Eltern und Nachbarn zählen. In diesem Kontext, ohne klar festgelegte Strukturen, mit Zweifeln und Unsicherheiten machen sie ihre eigenen Erfahrungen. Ihre Forderung: eine von oben aufgedrückte Reform kennenzulernen, von der sie nicht informiert wurden.

Die Bildungsbehörden zeigen jetzt eine bisher nicht dagewesene Dialogbereitschaft. Sie riefen die Vertreter*innen der besetzten Schulen für ein Treffen zusammen, auf dem sich eine Lösung abzuzeichnen schien. Die Koordination der Schüler*innen der weiterführenden Schulen will „die Aussetzung der Bildungsreform zum Ende des Schuljahres und die Durchführung einer landesweiten Diskussion“. Der Bildungsminister versuchte, die Angelegenheit ins Lächerliche zu ziehen: „Was wollen Sie, eine nationale Debatte im Centenario-Stadium (Fußballstadium in Montevideo; die Red.)? Die Jugendlichen fordern außerdem eine schriftliche Verpflichtung von den Lehrbehörden. Der Ausgang ist ungewiß. Bisher haben die Behörden die Räumung der Schulen vermieden. In dem Maß, wie die Zeit verrinnt, steigt die Wahrscheinlichkeit dieser Maßnahme. Die Vereinigungen der Lehrkräfte und Schulangestellten haben die Plattform der Schüler*innen unterstützt. Bis zum Wochenende war der Unterricht noch ausgesetzt. Das Thema wird weiter Debatten hervorufen. In einem Land, das von Skepsis geprägt ist und das immer weniger an die institutionellen Strukturen glaubt, wird die Mobilisierung der Schüler*innen als hilfreicher Anstoß aufgefaßt. Die Jugendlichen wollen offenbar den Platz einnehmen, den ihnen das verkrustete Establishment verweigert hat. Zur Zeit erreichen sie, daß ihre zahlreichen Stimmen gehört werden.

BRASILIEN

Bischöfe für die Agrarreform

(Montevideo, 30. August 1996, comcosur-POONAL).- In einer deutlichen Erklärung haben mehrere katholische Bischöfe Brasiliens die Millionen von Familien unterstützt, die Land zum Bearbeiten fordern. Laut den kirchlichen Autoritäten hat die Bundesregierung „trotz eines entsprechenden Diskurses zugunsten der Agrarreform nicht genügend Anstrengungen unternommen“. Zwischen Diskurs und Praxis liege eine große Kluft. Der Bischof Irio Conti bezeichnete die Landbesetzungen als „ein legitimes Instrument derer ohne Land, um ihre Rechte einzuklagen. Darum werden wir die Besetzungen weiter unterstützen, obwohl die Kirche über diese Angelegenheit keinen Konsens hat“. Conti schloß mit dem Hinweis auf die katholische Sozialdoktrin. Diese „sagt klar, daß Vermögen eine soziale Funktion haben muß … diejenigen, die das nicht erfüllen, müssen auf dem legalen Weg enteignet werden. Aber die Regierung ist ängstlich und daher wird die Besetzung zur einer legitimenForm, Druck auszuüben.“

CHILE

Frei und die Menschenrechte

(Montevideo, 30. August 1996, comcosur-POONAL).- Die chilenische Regierung hat angekündigt, weiterhin mit den Gerichten zusammenzuarbeiten, um den Verbleib von mehr als 1.100 Verschwundenen während der Diktatur von General Pinochet aufzuklären. Unter Pinochet wurden darüber hinaus 2095 Menschen umgebracht. Nach dem demokratischen Neubeginn wurden in Chile dutzende Personen auf geheimen Friedhöfen gefunden. Im Nachhinein begannen die Gerichte etwa 500 Prozesse gegen Militärs und ehemalige Mitglieder der Geheimpolizei der Diktatur. Aber in vielen Fällen beriefen sich die Angeklagten auf den Schutz der Generalamnestie, die General Pinochet 1978 für sich selbst und seine Gefolgsleute per Gesetz verabschieden ließ.

KUBA

Prostitution – eine Folge des Tourimus

Von Firuzeh Shokooh Valle

(San Juan, August 1996, fempress-POONAL).- Die Prostitution und der Frauenhandel spielen eine wachsende Rolle auf dem internationalen Tourismusmarkt der Karibikländer. Darum wurde das Thema auf der 21. Konferenz der Karibikstudien in San Juan, Puerto Rico, ausgiebig diskutiert. Besonderes Augenmerk lag jedoch auf dem Fall Kuba. Dort hat die Prostitution während der schweren Wirtschaftskrise enorm zugenommen. „Der Tourismus wurde stark ausgebaut, um die Krise zu mildern und eine der Folgen ist nun die Prostitution“, erklärte die Professorin Elena Díaz von der Universität Havanna.

Die Wissenschaftlerin, die zusammen mit zwei Kolleginnen von der Lateinamerikanischen Fakultät der Sozialwissenschaften (FLACSO) eine Untersuchung zum Thema durchführte, versichert: „Die Prostitution „hat sich drei Jahrzehnte lang (1959-1990) nicht als bedeutsames gesellschaftliches Phänomen gezeigt.“ Vor der Revolution habe es bei einer Gesamtbevölkerung von sechs Millionen zwischen 6.000 und 10.000 Prostituierte auf Kuba gegeben. Nach der Revolution hätten diese Frauen Bildungsmöglichkeiten bekommen. Außerdem seien ihnen andere Arbeiten zugewiesen worden. In den Jahren der Krise ab 1989 hätten die kubanischen Frauen einen entscheidene Rolle bei den wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen gespielt, denn „die Alltägssphäre ist die verletzlichste, die allgemeine und plötzliche Knappheit macht den Familienhaushalt zum Kampffeld ums Überleben“, so Díaz.

Im Kontext der „Spezialperiode“ seien die kubanischen Frauen verantwortlich für das wirtschaftliche Überleben ihrer Familien geworden. Dies sei der wichtigste Grund für das sprunghafte Anwachsen der Prostitution auf Kuba. Díaz und ihre Kolleginnen Esperanza Fernández und Tania Carám fanden einige Besonderheiten der Prostitution auf der Karibikinsel heraus. Zum eine werde sie dort „nicht als eine verzweifelte Form des Überlebens“ ausgeübt.Zum anderen hätten die Frauen „mehrheitlich ein mittleres Bildungsniveau“. Und „eine bedeutende Gruppe von Frauen, die sich der Prostitution widmen, hat diese nicht zum Beruf gemacht. Das heißt, sie üben diese Aktivität vorübergehend aus, haben eine andere Beschäftigung oder studieren weiter.“ Ein weiterer Unterschied zu vielen anderen Ländern: „Auf Kuba gibt es in der Mehrheit der Fälle keine Ausbeutung (der Prostituierten) durch eine Einrichtung oder Person.“

Aufgrund dieser besonderen Bedingungen machten die Wissenschaftlerinnen in ihrer Analyse auch ein eigenes Selbstverständnis der kubanischen Prostituierten aus: „Sie selbst fassen sich nicht als Prostituierte auf, selbst wenn sie die Prostitution regelmäßig ausüben; sie weisen diesen Begriff zurück, den sie erniedrigend finden und akzeptieren den der Jinetera, der ihre wirkliche Situation zugunsten einer scheinbaren wirtschaftlichen Unabhängigkeit oder eines sozialen Kampfes verschleiert.“ Die Studie weist auf die verschiedenen theoretischen Ansätze hin, mit denen das Thema Prostitution analyisiert wird. Einer bestehe in dem „Versuch, die Sichtweise zu bewahren, daß die Prostituierten Opfer des gesellschaftlichen Systems und des Frauenhandels sind“. Ein anderer Ansatz „versucht, den Beruf Sexarbeiterinnen zu legitimieren, indem er ihre Rechte auf (freie) Wahl verteidigt und eine Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen fordert“. Der wichtigste Aspekt sei in der Studie jedoch auf der Grundlage feministischer Theorie analysiert: „Die Existenz des Begriffspaares gute Frau/böse Frau verdecke die patriachale Herrschaft in der Gesellschaft.“

Robaina: OAS stellt Blockade der USA bloß

Von Javier Rodrigüz

(Havanna, 26. August 1996, prensa latina-POONAL).- Das Urteil des Rechtskomitees der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) über das Helms-Burton-Gesetz müßte nach kubanischer Auffassung zur sofortigen Aufhebung des Gesetzes führen. Diese Ansicht vertrat der kubanische Außenminister Roberto Robaina gegenüber Prensa Latina. Das OAS-Komitee äußerte seine Meinung auf Bitten der OAS- Generalversammlung. Es kam zu dem Schluß, daß das Gesetz zur Verschärfung der Blockade gegen die Karibikinsel internationales Recht verletzt. Robaina bezeichnete diese Entscheidung als beispiellos. Es sei „das erste Mal, daß eine Struktur der OAS, einer Organisation, die unmöglich als von Kuba manipuliert angeklagt werden kann, sich gegen die feindselige Haltung der Vereinigten Staaten gegen die Insel äußert“. Die juristische Begutachtung des umstrittenen Gesetzes durch die OAS basiert unter anderem auf dem Schutz des Eigentumsrechtes der Einheimischen sowie auf den Grenzen, die das internationale Recht einer Ausweitung nationalen Rechtes außerhalb des eigenen Territoriums setzt. In einigen Punkten nimmt sie ebenfalls auf das seit mehr als 30 Jahren von den USA verfügte Embargo insgesamt Stellung.

Der kubanische Außenminister wies daraufhin, daß das OAS-Komitee die Widersprüchlichkeit der Blockade angesichts der Artikel 18 und 19 der Charta der Organisation der Vereinigten Staaten aufzeigt.Im Artikel 18 wird dem direkten Interventionsrecht in die inneren und äußeren Angelegenheiten eines fremden Staaten eine Absage erteilt und Artikel 19 weist Zwangsmaßnahmen wirtschaftlicher und politischer Art zurück, um auf die souveräne Entscheidung eines Landes Einfluß zu nehmen. Robaina gab zu, es handele sich nur um eine juristische Meinungsäußerung. Sie habe jedoch einen moralischen Wert. „Nun liegt es an den politischen Organen der OAS, sich auf der Grundlage dieses Urteiles zu äußern, natürlich in Abhängigkeit vom Willen und der Möglichkeit, die sie dazu haben“, so der Außenminister. Nach den internen Regeln der OAS muß nun der Ständige Rat der Organisation seine Haltung im Hinblick auf die Generalversammlung im kommenden Jahr festlegen. Robaina sieht die nordamerikanische Regierung auf jeden Fall in einer schwierigen Situation, insbesondere den Präsidentengesandten Stuart Eizenstat und die UNO-Botschafterin Madeleine Albright, die in anderen Ländern um Unterstützung für das Helms-Burton-Gesetz werben sollen. Unter anderem besteht vonseiten der USA die Sorge, die Rio-Gruppe, die sich im nächsten Monat in Bolivien trifft, könne sich scharf gegen die nordamerikanische Gesetzgebung erklären.

ARGENTINIEN

Konfrontation zwischen Gewerschaftskräften

(Montevideo, 24. August 1996, comcosur-POONAL).- Die argentinische Allgemeine ArbeiterInnenzentrale (CGT) trägt ihre Meinungsverschiedenheiten neuerdings mit Schußwaffen aus. Dies war am 20. August bei einer Sitzung des Gewerkschaftsvorstandes der Fall, in deren Rahmen über einen möglichen Generalstreik gegen die Wirtschaftspolitik der Regierung beraten werden sollte. Die ehemals einzige Gewerkschaftsbewegung im Land zeigte sich in der Vergangenheit als treuer Vasall von Präsident Menem, dessen Wirtschaftspolitik sie ohne Abstriche akzeptierte. Gerade wegen dieser Haltung, die die Lohnabhängigen betrifft, hat die CGT eine Reihe von internen Krisen erlebt. So entstand unter anderem die Abspaltung Bewegung der argentinischen Arbeiter*innen (MTA). Als die Gruppe der Transportbeschäftigten, die sich der MTA anschloß, zu den Beratungen des CGT-Vorstandes kommen wollte, empfing sie eine Salve von Schüssen, die ein halbes Dutzend Verletzte als Ergebnis hatte. Die Polizei blieb passive Zeugin der Konfrontation. Die Verhandlungen über einen Generalstreik wurden abgesagt und sollen später wieder aufgenommen werden. Der für 36 Stunden vorgesehene Streik wird innerhalb der kommenden drei Wochen erwartet. Es würde sich um die erste größere Konfrontation zwischen der CGT und der Menem-Regierung in den letzten Jahren handeln. CGT und MTA haben einen „Waffenstillstand“ vereinbart.

Die Bischofsklausel

(Buenos Aires, August 1996, fempress-POONAL).- Ein Teil der argentinischen Bischöfe mit dem Primas Monseñor Quarracino an der Spitze will in das noch zu entwerfende Verfassungsstatut für den Hauptstadtdistrikt die Rechtsfigur „Verteidigung des Lebens vonder Empfängnis an“ einbringen. Eine ähnliche Initiative anläßlich der Reform der nationalen Verfassung im Jahr 1994 scheiterte am hartnäckigen Widerstand der Frauengruppen. Die Oppositionsstrategien wurden dabei von der Aussicht auf die Konsequenzen bestimmt, die solch eine Klausel nicht nur für das Strafrecht (das Ausnahmen von der Straffreiheit für die Abtreibung vorsieht), sondern auch für die ausstehende Gesetzgebung über die Reproduktionsgesundheit hätte. Dieses Mal übernimmt die Gruppe „Frauen für das Recht auf eine freie Entscheidung“, die zahlreiche Vertreterinnen von Frauenorganisationen umfaßt, die Aufgabe, die Öffentlichkeit über den Stand der Dinge und die Aktion der Bischöfe zu informieren. Das Ergebnis dieser Diskussion und die abschliessende Haltung der Mitglieder in der Verfassungsversammlung für die Verabschiedung des Hauptstadtstatutes stehen noch nicht fest.

BOLIVIEN

Erbitterter Streit über Abtreibung

Von Sandra Aliaga Burch

(La Paz, August 1996, fempress-POONAL).- „Sie wollen grünes Licht, um zu töten“, war die sofortige Reaktion der katholischen Kirchenhierachie auf den Vorschlag des bolivianischen Gesundheitsministers Oscar Sandoval Morón, eine breite landesweite Diskussion über die Legalisierung der Abtreibung zu führen. Darauf geschah etwas in Bolivien ungewöhnliches: Die Abtreibung wurde ein wichtiges Nachrichtenthema und nahm monatelang großen Platz in den Medien ein. Nach der kirchlichen Erklärung wird nichts mehr wie vorher sein. Am 10. Mai dieses Jahres sprach der Gesundheitsminister vom Drama der Müttersterblichkeit im Land (390 auf hunderttausend lebend geborene Kinder). Er erinnerte daran, daß mindestens ein Drittel dieser Fälle auf Komplikationen bei schlecht durchgeführten Abtreibungen zurückzuführen seien. Der Minister bezeichnete die geheimen Abtreibungen als großen Schaden für die Gesellschaft. Es sei unwürdig, dem Problem mit Ignoranz zu begegnen. Repression sei jedoch eine falsche Antwort. Der Minister kam zu dem Schluß, die Frauen müßten das Recht auf eine freie Entscheidung haben. Nicht nur die Politik zur Reproduktionsgesundheit und Sexualerziehung müsse verstärkt werden, sondern es müsse ebenfalls eine Debatte über die Legalisierung der Abtreibungspraxis beginnen.

Die Kirche verurteilte die Kampagne der Regierung, die massiv Informationen über Verhütungsmethoden verbreitet und diese der Mehrheit der Bevölkerung zugänglich machen will. Es sind mindestens drei Faktoren, die diese Etappe der ideologischen Auseinandersetzung – die selbstverständlich über die Diskussion der Abtreibung als Praxis hinausgeht – markieren. Erstens zeichnen sich Risse im Schweigen, der Doppelmoral, dem Tabu, über das Thema zu sprechen, ab. Und zwar sowohl in den Medien als auch auf Plätzen und Straßen, institutionellen Anhörungen und zuhause. Zweitens kann man sehen, daß weder in der Regierung, noch in der Gesellschaft, noch in der katholischen Kirche selbst eine einheitliche Meinung zu dem Thema besteht, sonden klare und tiefgehende Meinungsverschiedenheiten existieren. Drittens wirdden Frauen erstmals die Protagonistinnenrolle zugestanden.

Es wird immer deutlicher, daß diejenigen, die sich gewöhnlicherweisen die Vertretungsmacht anmaßten, im Namen der „öffentlichen Meinung“ zu sprechen und diese als konservativ und steiff erschienen ließen, schnell gegenüber der Summe hunderter Überlegungen der Bürger*innen an Legitimität verlieren, die sich von dieser Art, das Leben zu sehen, lossagen. Nur ein Beispiel: in der Stadt Sucre – einem Ort, in dem die Leute traditional für ihre enge Sichtweise und Frömmelei bekannt sind – wurde der Vertreter der katholischen Kirche bei einer öffentlichen Diskussion am 21. Juni von Ärzt*innen, Provinzbehörden, Mitarbeiter*innen von Nicht- Regierungsorganisationen, Universitätsstudent*innen und Jugendlichen, die über die unverhohlene Wirklichkeit Zeugnis ablegten und die Doppelmoral zurückwiesen, in die Ecke gedrängt. Sie sprachen über die Notwendigkeit einer Sexualerziehung in allen Ebenen sowie eine sichere und wirksame Empfängnisverhütung, gerade um die Abtreibungen zu vermeiden. Die Existenz dieser Praxis erkannten sie an, aber auch die Verpflichtung, damit verantwortlich umzugehen. Weder die Gesellschaft, noch die Regierung, noch die katholische Kirche in ihrer Gesamtheit sind bereit, die menschliche Sexualität in Diskurse zu verpacken, die mit der Realität nichts zu tun haben. „Das Moralische“, „das Korrekte“ und „das für die Gesellschaft Akzeptable“ werden dem in der Realität Erlebten immer klarer gegenübergestellt, in offenem Kampf gegen Heuchelei und Doppelmoral. Und schließlich kommen überall Stimmen zu Wort, die den Frauen die wichtigste Rolle einräumen, über das Thema zu sprechen.

CC BY-SA 4.0 Poonal Nr. 256 von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.

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