Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 397 vom 27. August 1999
Inhalt
BRASILIEN
VENEZUELA
KOLUMBIEN
BOLIVIEN
PERU
CHILE
ARGENTINIEN
URUGUAY
GUYANA
KUBA
EL SALVADOR
MEXIKO
GUATEMALA
NICARAGUA
BRASILIEN
Massenproteste in Brasilia setzen Präsident Cardoso unter Druck –
Landlose und Regierung verurteilen Straffreiheit für Polizisten
Von Andres Cañizalez
(Rio de Janeiro, 23. August 1999, npl).- „Es ist traurig, daß in Brasilien die Straflosigkeit eine Festigung der Demokratie verhindert,“ sagte Fernando Henrique Cardoso. Sichtlich erbost kommentierte der Präsident den Freispruch für drei Chefs der Militärpolizei, die gemeinsam mit 147 weiteren Polizisten wegen eines Massakers an landlosen Bauern im April 1996 vor Gericht stehen.
Erstmals scheinen der Präsident und die Landlosenbewegung MST (Movimento Sem Terra), die den Prozeß als Farce bezeichnete und einen „Krieg gegen die Justiz, die Mörder von Bauern, Gewerkschaftern und Anwälten schützt“ ankündigte, an einem Strang zu ziehen. Offenbar tritt Cardoso die Flucht nach vorn an: Seine Regierung steht in der Kritik und die Hauptstadt Brasilia ist dieser Tage Schauplatz riesiger Demonstrationen, in denen Opposition und Bauern ihrem Unmut Luft machen.
19 Tote und 40 Verletzte forderte der Einsatz der Militärpolizei, die vor drei Jahren mit Schußwaffen eine MST-Demonstration für eine schnellere Agrarreform stoppten. Die Fernsehbilder des „Massakers von Carajas“ im Norden des größten lateinamerikanischen Landes gingen um die Welt. Es dauerte 40 Monate, bis sich die Justiz in einem der größten Gerichtsprozesse der brasilianischen Geschichte des Falles annahm. Nur vier Tage brauchten Richter und Geschworene, um den Einsatzleiter und zwei ranghohe Offiziere „aus Mangel an Beweisen“ Ende vergangener Woche freizusprechen.
Trotz Videoaufnahmen und unzähliger Zeugen beharrt die Verteidigung darauf, daß die Landlosen zuerst geschossen hätten. Auch gegenteilige Gutachten hielten Richter Ronaldo Valle nicht davon ab, die drei Hauptangeklagten zu entlasten. Auf seinen Vorschlag hin, das bis Mitte Dezember angesetzte Verfahren gegen die verbleibenden Militärpolizisten fortzusetzen, legte Oberstaatsanwalt Marco Aurelio Nascimento am Freitag sein Amt nieder. Gemeinsam mit den Nebenklägern forderte er das Innenministerium zu einer Stellungnahme auf.
Dieser ungewöhnliche Schritt könnte Erfolg haben, nachdem bereits der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Cardosos Vertrauter Jose Gregori, deutliche Worte fand: „Ein Urteil, das keine Gerechtigkeit schafft, sollte nicht beklagt sondern annulliert werden.“ Zudem ist das Ansehen Brasiliens in Gefahr. Die Menschenrechtsorganisation Americas Watch kritisierte die einseitige Justiz und nannte das Urteil die „Geschichte eines angekündigten Freispruchs“.
Schnell reagierte Agrarminister Raul Jungmann. Schriftlich bat er die MST, die größte und zugleich radikalste soziale Bewegung des Landes, keine gewalttätige Antwort zu geben. Zurecht fürchtet er die Mobilisierungsfähigkeit der Landlosen, die seit Jahren brachliegende Ländereien besetzen und Siedlungen schaffen, um den Millionen verarmten Landarbeitern ein Auskommen zu ermöglichen. Ihr Kampf, der sich gegen die halbherzige Agrarreform der Regierung Cardoso richtet, kostete bereits über 100 Aktivisten das Leben.
Derzeit befinden sich wieder mehrere Tausend MSTler auf einem 1.500 Kilometer langen Marsch Richtung Brasilia. Am 7. Oktober wollen sie auf 100.000 angewachsen sein und die Hauptstadt zum Forum ihrer Forderungen machen. Für Donnerstag (26.8.) hat die Oppositionspartei PT des populären Sozialisten Lula da Silva gemeinsam mit dem Gewerkschaftsdachverband CUT zu einer großem Demonstration in Brasilia aufgerufen, an der ersten Berichten zufolge über 100.000 Menschen teilnahmen. Und die Transportarbeiter, die Ende Juli einen kurzen, aber effektiven Streik ausriefen, wollen ab dem 1. September das Land von Zentrum aus lahm legen.
Es wird eng in Brasilia. Seit Tagen campieren hier bereits 15.000 Landwirte mit 2.000 Lastwagen und Traktoren, die einem Aufruf der Agrarkonföderation CNA folgten. Sie fordern die Halbierung ihrer Schulden bei der Staatsbank, die durch Zinserhöhungen unbezahlbar geworden sind. Cardoso, vom Internationalen Währungsfonds (IWF) zu strikter Sparpolitik angehalten, will jedoch nur einen geringeren Teil der Schulden stunden und bedient sich auch hierbei einer Argumentation, die sonst nur der MST vertritt: Von dem Erlaß würden vor allem Großgrundbesitzer profitieren. In der Tat wird die CNA von Großbauern dominiert, die auch Schutz vor Enteignungen fordern und im Verdacht stehen, Pistoleros gegen MST-Aktivisten anzuheuern.
Die anwachsenden Proteste, auf die Präsident Cardoso bislang ungewöhnlich zurückhaltend reagiert, sind eine Folge des Börsencrashs vom Frühjahr. Damals sah sich die Regierung gezwungen, die Landeswährung trotz Inflationsgefahr um 50 Prozent abzuwerten, wovon sich die Wirtschaft bis heute nicht erholt hat. Hohe Zinsen und ein Anstieg der Benzinpreise um 65 Prozent machen der Bevölkerung schwer zu schaffen. Inzwischen sprechen sich in Umfragen zwei Drittel aller Brasilianer gegen die Politik von Cardoso aus.
Kirche und Gesundheitsministerium wollen Aids bekämpfen
(Brasilia, August 1999, alc-Poonal).- Die katholische Kirche wird sich an einer massiven Bildungskampagne zur Aids-Vorbeugung unter den ärmsten Bevölkerungsgruppen beteiligen. Sie unterschrieb eine entsprechende Vereinbarung mit dem brasilianischen Gesundheitsministerium. Die Kampagne soll sich vor allem an Frauen, Jugendliche und Drogenabhängige richten. Die Kirche wird in Zusammenarbeit mit 15 katholisch ausgerichteten Nicht- Regierungsorganisationen 20 Projekte durchführen. Das Ministerium stellt ihr dafür knapp eine Million Dollar zur Verfügung.
Gesundheitsminister Jose Serra sagte, er wolle mit Hilfe der Kirche die Solidarität mit den Betroffenen fördern. Für die Gesundheitsseelsorge der Bischofskonferenz erklärte Evangelista Figueiredo, die Vereinbarung sei angesichts des Anwachsens der Epidemie im Land unterschrieben worden. Die Kirche werde ihre Kampagne zu Bildung und sexueller Orientation intensivieren und einen größeren Respekt vor den moralischen Werten stärken.
VENEZUELA
Präsidentin des Obersten Gerichtshofes tritt zurück
(Caracas, 26. August 1999, pulsar-Poonal).- Aus Protest gegen das von der Verfassungsgebenden Versammlung verabschiedete Dekret zur Neuordnung des Justizwesens hat die Vorsitzende des Obersten Gerichtshofes Venezuelas ihr Amt aufgegeben. Cecilia Sosa sprach von einer Entscheidung, „sich umzubringen, um nicht ermordet zu werden“. Eine Mehrheit des RichterInnengremiums sprach sich allerdings für das Dekret aus. Bei der Wahl des neuen Gremiums errangen Anhänger des Patriotischen Pols von Präsident Chavez über 90 Prozent der Sitze.
Sosas Auffassung zufolge hat die Verfassungsgebende Versammlung nicht die Befugnis, Regierungsakte vorzunehmen, sondern müsse sich darauf beschränken, eine neue Verfassung auszuarbeiten. In der Praxis hat sich einmal mehr Präsident Hugo Chavez mit seinem Vorhaben durchgesetzt, mit den alten institutionellen Strukturen im Land aufzuräumen. Inwieweit die derzeitige politische Revolution in Venezuela noch im Rahmen eines Rechtsstaates stattfindet, wird unter Beobachtern heiß diskutiert.
Die Konfrontation zwischen Regierung und Opposition in Venezuela verschärfte sich am Mittwoch noch, nachdem die Verfassunggebende Versammlung die Vollmachten des Kongresses erheblich beschnitt. Sitzungen der beiden Kammern und der Parlamentsausschüsse fänden zunächst nicht statt, hieß es in einem von der Versammlung verabschiedeten Dekret. Außerdem wurden die gesetzgebenden Vollmachten erheblich eingeschränkt. Die Abgeordneten sollen künftig vor allem geplante Wirtschafts- und Finanzmaßnahmen der Regierung absegnen und internationale Verträge ratifizieren. Die Oppositionsfraktionen im Kongress stimmten allerdings in der Nacht zum Donnerstag gegen den Erlass und bekräftigten, am Freitag wie geplant zu ihrer nächsten Sitzung zusammenkommen zu wollen.
KOLUMBIEN
UN-Kritik an Kolumbien nach Massaker durch Paramilitärs
Spannungen zwischen Venezuela und Kolumbien nehmen zu
Von Laura Patriacia Barros
(Bogota, 25. August 1999, npl).- Kolumbiens Präsident Pastrana gerät angesichts der ständigen Gewaltakte in seinem Land unter Druck. Am Dienstag kritisierte der UN-Menschenrechtsbeauftragte Anders Kompass, die Regierung unternehme nichts gegen die Mordserien der Todesschwadrone. Trotz Vorwarnung hätten die Behörden versäumt, die Zivilbevölkerung vor den rechten Paramilitärs zu schützen.
Am Wochenende hatten Todesschwadrone der Vereinigten Selbstverteidigungsgruppen Kolumbiens (AUC) die Orte La Gabarra und Tibu nahe der Grenze zu Venezuela überfallen. Sie ermordeten 36 Bauern, 20 weitere gelten seither als verschwunden. Die größte kolumbianische Tageszeitung „El Tiempo“ sieht in den Taten der Paramilitärs den wiederholten Versuch, als politische Kraft anerkannt und in Friedensverhandlungen eingebunden zu werden.
Auch die Interamerikanische Menschenrechtskommission ist der Meinung, daß die kolumbianischen Streitkräfte in den Aufbau der AUC verwickelt sind. „Wir erhalten regelmäßig Informationen, die die Kooperation zwischen paramilitärischen Gruppen und den staatlichen Sicherheitskräften beweisen“, lautet das Resümee eines Sonderberichts der Kommission zur Menschenrechtslage in Kolumbien zwischen 1993 und 1998. Laut Statistiken der Armee, die ihrerseits jede Verbindung zu paramilitärischen Gruppen abstreitet, sind in diesem Jahr bereits 900 Menschen von rechtsextremen Todesschwadronen ermordet worden.
Gespannt ist auch das Verhältnis der Pastrana-Regierung zum Nachbarland Venezuela. Am Montag hatten Unbekannte einen Bombenanschlag auf die kolumbianische Botschaft in der venezolanischen Hauptstadt Caracas verübt. Zwar wurde niemand verletzt, doch der kolumbianische Botschafter ermahnte die venezolanischen Behörden, das Attentat „nicht auf die leichte Schulter zu nehmen“.
Die Spannungen zwischen den beiden Andenstaaten begannen Ende Juli. Auslöser war die Landung eines von Unbekannten entführten venezolanischen Verkehrsflugzeuges im von der kolumbianischen FARC-Guerilla kontrollierten Grenzgebiet. Nachdem die Aufständischen die Rückkehr der unversehrte Insassen nach Venezuela ermöglichten, deutete der linkspopulistische Präsident Venezuelas, Hugo Chavez, mehrmals an, sich mit den FARC – wenn nötig auch ohne Beteiligung der kolumbianischen Regierung – zu treffen. Der konservative Regierungschef Kolumbiens warf Chavez daraufhin „Einmischung in interne Angelegenheiten“ vor. Chavez antwortete mit einer erneuten Provokation: „Wenn er (Pastrana) das Treffen nicht autorisiert, kann mir niemand verbieten, die Guerilla-Chefs nach Venezuela einzuladen.“
Venezuela fürchtet aufgrund der zunehmenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen kolumbianischen Paramilitärs und Guerilla-Organisationen um die eigene Sicherheit entlang der 2.000 Kilometer langen Grenze. Seit die Friedensgespräche zwischen der Regierung Kolumbiens und den FARC im Juli erneut ergebnislos abgebrochen worden waren, ist das Vertrauen in das Verhandlungsgeschick Pastranas gebrochen. Beide Seiten machen sich gegenseitig für das Scheitern verantwortlich: Während die Regierung internationale Beobachter in den FARC-Gebieten zur Voraussetzung für Verhandlungen macht, werfen die Aufständischen Pastrana vor, er zeige keine ernstzunehmenden Absichten bei der Bekämpfung des Paramilitarismus.
Neue Beschuldigungen zu US-Einmischung
(Bogotá, 25. August 1999, pulsar-Poonal).- Campesinos aus den südlichen Provinzen Caquetá und Putumayo haben gegenüber der Presse über US-Flugzeuge in der Region berichtet. Ihren Aussagen nach entladen die Flugzeuge große Mengen Waffen und operierten von der Militärbase „Tres Esquinas“ aus, die in der Nähe der für die stockenden Friedensverhandlungen entmilitarisierten Zone liegt. Von offizieller Seite gibt es bisher keine Reaktion auf die Vorwürfe. Beobachter und Sprecher der kolumbianischen Guerilla- Organisationen halten eine große Militäroffensive der Bundesarmee für möglich, falls die Gespräche zwischen der FARC-Guerilla und der Regierung von Andrés Pastrana endgültig scheitern.
BOLIVIEN
Keine Kandidatinnen in Sicht
Von Ivana Calle
(La Paz, 18. August 1999, recosur-Poonal).- Dem Gesetz nach müssen die politischen Parteien Boliviens bei Wahlen 30 Prozent Frauen aufstellen. Das hat eine Kampagne mehrerer Frauenrechtsorganisationen erreicht. Nach dem neuen Wahlgesetz ist die Beteiligung von Frauen in verschiedenen Instanzen gesichert. Unter vier Kandidat*innen auf einen Senatorposten muss mindestens eine Frau sein, bei Abgeordneten soll das Verhältnis mindestens drei zu eins sein. Auf der kommunalen Ebene müssen mindestens dreißig Prozent Frauen auf den KandidatInnenlisten stehen.
Doch die politischen Parteien haben ein Problem mit dem neuen Gesetz. Denn nach ihren Angaben gibt es, vor allem auf dem Land, zu wenig Frauen, die „die Listen füllen“ könnten. Trotz dieser Schwierigkeiten wollen sie nicht das Gesetz revidieren, sondern sie beschränken sich darauf, die Situation in den eigenen Parteien zu analysieren. Die soziokulturelle Situation im Lande steht einer Beteiligung von Frauen in der Politik oft entgegen. Nur mit einem Gesetz läßt sich der Brauch, Frauen aus den Machtzirkeln auszuschließen, nicht eliminieren. Die Aussage, es gebe nicht genug Frauen für die Listenplätze ist ein Aufruf an die Gesellschaft, die nicht auf diese Frauenrolle vorbereitet ist.
Der Nationale Wahlgerichtshof zeigt sich unbeeindruckt von dem Problem. Listen für die kommenden Kommunalwahlen, die die notwendigen dreißig Prozent Frauenanteil nicht aufweisen, werden nicht zugelassen, heißt es kategorisch. Auch die regionalen Wahlbüros wurden zu einem solchen Vorgehen gemahnt. Die Parteien wollen daher eventuell eine Verlängerung der Austellungsfrist über den 6. September hinaus erreichen. Die Notwendigkeit, irgendwo Frauen für die Listen herzubekommen, könnte dazu führen, daß Frauen ohne jeglich Vorbereitung oder Planung in politische Ämter gelangen. Die 30-Prozent-Regelung allein garantiert noch nicht die Qualität der Beteiligung von Frauen in der Politik. In einer patriarchalischen, von Machismus geprägten, Parteienstruktur laufen die Frauen die Gefahr, lediglich benutzt zu werden. Die Frauenorganisationen wollen daher größeren Wert auf die Vorbereitung der Frauen auf die politische Arbeit legen.
PERU
Religionsunterricht in Gymnasien stößt auf Widerstand
(Lima, 24. August 1999, alc-Poonal).- Die Bemühungen der katholischen Kirche, den Religionsunterricht zum Bestandteil der Abiturfächer zu machen, findet trotz guter Beziehungen der Kirchenhierachie zur Fujimori-Regierung bisher ein sehr begrenztes Echo. Martha Hildebrandt, die Vorsitzende des Kongresses, relativierte das Argument der Bischöfe, ein Pflichtfach Religion in der Oberstufe sei die beste Art und Weise, bei der Jugend ethische und moralische Werte zu festigen. Die menschlichen Werte seien nicht notwendigerweise an die Religion gebunden, so die Abgeordnete.
Derzeit wird die katholische Religion an den staatlichen Grundschulen gelehrt. Eltern anderer Religionen wie der evangelischen können die Befreiung ihre Kinder von diesem Unterricht beantragen. Der Erzbischof von Lima, Juan Luis Cipriani, drängt Bildungsminister Felipe Garcia Escudero, eine Entscheidung zu treffen. Auch Bischof Bambaren, Vorsitzender der peruanischen Bischofskonferenz, hat sich bereits mit dem Minister in der Sache getroffen. In Teilen der Presse wird darauf verwiesen, daß es der katholischen Kirche nicht darum gehe, irgendeine, sondern „ihre“ Religion an der Schule durchzusetzen. Religionskurse könnten in den Gemeinden und an den Privatschulen der Kirche gegeben werden.
CHILE
Regen retten Stromversorgung
(Santiago, 25. August 1999, pulsar-Poonal).- Intensive Regenfälle im Zentrum und Süden des Landes während der vergangenen Wochen haben eine der größten Energiekrisen Chiles in jüngerer Zeit beendet. Dank des Niederschlags füllten sich die für die Wasserkraftwerke errichteten Stauseen. Fehlender Regen und mangelnde Voraussicht des privaten spanisch-chilenischen Konsortiums ENDESA hatten über Monate hinweg für Stromausfälle und Millionenverluste gesorgt. Die aufgebrachte Bevölkerung hatte angesichts dieser Situation mehrfach Proteste organisiert und die Regierung gezwungen, das Gesetz über die Privatisierung der Stromversorgung zu überprüfen. ENDESA mußte mehrere Millionen Dollar an Strafen zahlen, die zum Teil als Entschädigung an die Stromkonsumenten weitergeleitet wurden. Nun soll es zumindest bis Anfang 2000 keine weiteren Stromausfälle mehr geben.
ARGENTINIEN
Korruptions-Ranking
(Buenos Aires, 20. August 1999, comcosur-Poonal).- Korruption hat sich nach der Arbeitslosigkeit als Thema in der argentinischen Gesellschaft einen festen Platz erkämpf. Eine vom Meinungsforschungsinstitut Gallup durchgeführte Studie ist zu dem Ergebnis gekommen, Gewerkschaften, Zoll und Justiz seien die am schlechtesten angesehenen Einrichtungen in Argentinien. Die von Poder Ciudadano, dem argentinischen Ableger von Transparency International in Auftrag gegebene Umfrage versucht, den unterschiedlich hohen Grad von Korruption zu erfassen, den die öffentliche Meinung in Argentinien von den Institutionen im eigenen Land hat. Interessanterweise ist auch das vor kurzem gegründete Büro für Öffentliche Ethik unter den fünf korruptesten Behörden zu finden, zusammen mit dem Kongreß und der Steuerbehörde. Auf Platz sechs folgt das Präsidentenamt. Als ehrenwerte Einrichtungen werden die Standesämter, die katholische Kirche und die Zentralbank betrachtet. Die Ergebnisse der Studie wurden allen Präsidentschaftskandidaten überreicht, damit sie sie für ihre Programme berücksichtigen.
URUGUAY
Linke debattiert Hotelprivatisierung
(Montevideo, 21. August 1999, comcosur-Poonal).- Die linke Stadtverwaltung hat damit begonnen, das letzte von ehemals vier Hotels im Besitz der Kommune zu privatisieren. Das Vorgehen ist nicht unumstritten, da die Linke Privatisierungsprozesse in der Regel ablehnt. In der Hauptstadt mußte der Bürgermeister sogar auf Stimmen der konservativen Fraktionen im Stadtrat zurückgreifen, da eine eigene Mehrheit wegen der Widerstände in der linken Ratsfraktion nicht zustande kam.
Während die Verwaltung damit argumentiert, die Hotels seien seit Jahrzehnten nicht richtig instand gehalten worden, defizitär und nur mit für die Kommune zu teuerem Aufwand wieder herzurichten, meinen die Gegner der Privaitisierung, die Gebäude hätten für soziale Zwecke genutzt werden können. Für die Regierungsparteien ist die Hotelprivatisierung eine willkommene Gelegenheit, auf die Widersprüche im linken Lagen hinzuweisen.
Rezession hilft der Umwelt
(Montevideo, August 1999, comcosur-Poonal).- Der Carrascobach im Grenzgebiet der Provinzen Montevideo und Canelones verdiente sich bis vor kurzem das Prädikat „der verschmutzteste Bach der Welt“. Dies hat sich aufgrund der Wirtschaftskrise in Uruguay offenbar geändert. Fernando Fernández von der Vereinigung zur Rettung des Carrascobache (APRAC), kann eine in den vergangenen Monaten um 30 Prozent verbesserte Wasserqualität vermelden. Hauptgrund ist die Schließung mehrerer der 30 Industriebetriebe, die ihre Abwässer in den Bach leiteten. Dazu kommen die ungefilterten Abwässer aus mehreren tausend Haushalten der Zone. Mit einem von der Stadtverwaltung Montevideos verwalteten Kredit der Interamerikanischen Entwicklungsbank sollen Gebiet und Abwassersysteme saniert werden, um die Wasserqualität um weitere 50 Prozent zu verbessern.
GUYANA
Versprechungen des neuen Präsidenten – Bharrat Jagdeo will Ende
der rassistischen und politischen Auseinandersetzungen
(Georgetown, 23.August 1999, na/ips-Poonal).- Ein in der ehemaligen Sowjetunion ausgebildeter junger Wirtschaftswissenschaftler hat am 11. August den Amtseid für die Präsidentschaft von Guyana abgelegt. In seiner Antrittsrede hat der 35-jährige ehemalige Finanzminister Bharrat Jagdeo angekündigt, er wolle ausländische Investititionen nach Guyana holen und die rassistischen und politischen Spannungen im Lande reduzieren. Der mit einer aus Guyana stammenden Britin verheiratete Jagdeo ist der sechste Regierungschef des 1966 von Großbritannien unabhängig gewordenen Landes. Er tritt die Nachfolge von Präsidentin Janet Jagan an, die wegen eines chronischen Herzleidens von ihrem Amt zurückgetreten war.
Am 8. August hatte Jagan in einer Fernsehansprache diesen Schritt angekündigt und drei Tage später auch formell den Abschied eingereicht. Sie habe wegen ihrer Krankheit keine Energie mehr habe, die Geschicke der ehemaligen Kolonie zu lenken. Die in den USA geborene Jagan heiratete 1943 in Chicago den Zahnarzt und indo-asiatischen Guyaner Cheddi Jagan. Im Alter von 23 Jahren kam sie nach Guyana, um dort eine Krakenschwesternausbildung zu machen. Sieben Jahre später half sie ihrem Mann bei der Gründung der PPP. Als sie 1997 zur Präsidentin gewählt wurde, war sie die erste Frau Guyanas in diesem Amt.
Dem neuen Präsidenten wird zum Teil mit großer Skepsis begegnet. Jagdeo gelang es in den vergangenen zwei Jahren als Finanzminister nicht, die am Boden liegende Wirtschaft des Landes wieder in Bewegung zu bringen. Anfang der 90er Jahre boomte die Wirtschaft Guyanas noch. Zuwachsraten von 7 Prozent pro Jahr waren an der Tagesordnung. 1997 brach die Ökonomie dann zusammen und das knapp eine Million Einwohner zählende Land stand mit 1,5 Milliarden Dollar Auslandschuld da. Daß Jagdeo dennoch ins höchste Staatsamt gelangte, hängt mit der Protektion durch Janet Jagan zusammen.
Auf Betreiben der Ex-Präsidentin hatte die regierende Partido Popular Progresista (PPP) Jagdeos Übernahme sowohl des Premierministerpostens als auch den des Präsidenten in einem umfassenden Nachrückplan betrieben, der Premierminister Sauel Hinds vollständig überging. Dem Gesetz nach wäre eigentlich der amtierende Premierminister Amtsnachfolger auf dem Präsidentinnenstuhl gewesen. Hinds ist jedoch Afroguayaner, die PPP stützt sich aber im Wesentlichen auf die indoasiatische Bevölkerung, der auch Jagdeo angehört.
„Ich trete dieses Amts mit dem Versprechen an, Hoffnungsträger für eine Einigung unserer Gesellschaft zu sein“, sagte Jagdeo bei der Ablegung des Eids zu den rassistischen Problemen. „Ich biete allen an, den Teufelskreis der Unsicherheit zu durchbrechen: Wir müssen einander vertrauen.“ Die Anhänger der PPP zeigten sich tief bewegt: „Es ist ein großer Tag für Guyana, an dem Frau Jagan ihr Amt an einen jungen Mann übertragen hat“, so der Sozialwissenschaftler Hubert Wong unter Bezug auf das Presseecho bezüglich der Amtsübernahme. „Ich bin davon beeindruckt, daß er gesagt hat, er wolle sich der Opposition mit einem Olivenzweig nähern.“
Die Oppositionsparteien hingegen reagierten nicht sehr positiv auf Jagdeos Versöhnungsangebot. Die Arbeitgeber werfen ihm zudem eine viel zu harte Wirtschaftspolitik vor, die im Mai zu einem 57 Tage währenden Streik geführt hatte. „Jagdeo hat nicht das Format zum Präsidenten,“ meint der Generalsekretär der größten Oppositionspartei Congreso Nacional Popular (PNC), Oscar Clarke. „Damit will ich nicht seine Fähigkeit in Frage stellen, die Geschicke eines Landes zu lenken, sondern ich beziehe mich vielmehr auf das Bild eines rachsüchtigen Menschen, das er abgibt“, schätzt Clarke den Versöhnungswillen des neuen starken Mannes völlig anders ein.
Der ehemalige PNC-Vorsitzender Aubrey Norton erklärte, seine Partei werde den neuen Präsidenten eventuell nicht als solchen anerkennen. Die PNC geht zur Zeit rechtlich gegen die Wahlen vom 15. Dezember 1997 vor, bei der Janet Jagan nur mit Wahlbetrug zum Sieg gekommen sein soll. „Wir erkennen die Präsidentschaft von Frau Jagan nicht als legal an, und damit auch die von Jagdeo nicht,“ erläutert Norton. Der amtierende PNC-Vorsitzende und ehemalige Präsident Desmond Hoyte boykottierte mit seinen Parteigenossen die Amtsübernahmefeier. Jagdeo reagierte darauf mit einer Einladung an Hoyte, an einem Treffen zur sozialen und rassistischen Versöhnungspolitik teilzunehmen.
Jagdeo übernimmt die Präsidentschaft, ohne zuvor die PPP geleitet zu haben – auch ein Novum. Führende PPP-Mitglieder erklären, sie akzeptierten die Entscheidung nur zum Wohle aller. Jagdeo könne außerdem nicht für die Präsidentschaftwahl im Januar 2001 für die PPP kandidieren. Der junge Politiker war 1990 nach Beendigung seiner Studien in Morkau nach Guyana zurückgekehrt und wegen der Förderung durch Jagan bereits 1993 stellvertretender Finanzminister. Eine seiner ersten Entscheidungen als Präsident war die Einberufung des Kabinetts zu einer Sondersitzung, da auch einige Kabinettsmitglieder nicht damit einverstanden sind, daß Jagan Jagdeo praktisch im Alleingang zu ihrem Nachfolger bestimmt hat.
Das Programm Jagdeos für die kommenden knapp zwei Jahre sieht Armutsbekämpfung, Verbesserung der Bildungs- und Gesundheitswesens und die Bereitstellung von Trinkwasserversorgung in allen Gemeinden des Landes vor. Er kunedigte außerdem an, weiterhin an der Spitze des Finanzministeriums zu stehen, um die Kontinuität der für die kommenden 12 Jahre geltenden Austeritätsprogramme von IWF und Weltbank zu garantieren. „Ich hoffe, sowohl der Bevölkerung als auch den ausländischen Investoren die Möglichkeit zu geben, in dieses Land investieren zu können,“ sagte er. „Ich habe mir vorgenommen, dieses Ziel mit der Beteiligung aller Handlungsträger in der Gesellschaft zu erreichen.“ Unternehmer und Diplomaten haben wiederholt die investorenfeindliche Verwaltung des Landes kritisiert, die durch Antragsfülle und ineffiziente Investitionsverwaltung die Initiative von Investoren lähme. Wiederholt haben Kommentatoren und die unabhängige Tageszeitung Stabrök News die Entlassung unfähiger Minister verlangt. Jagdeo ließ hierzu nur verlauten, er arbeite mit Kabinettssekretär Roger Luncheon an der Aufstellung einer Prioritätenliste.
KUBA
Atomkraft ungefährlich – sagt Fidels Sohn
(Havanna, 23. August 1999, na-Poonal).- Der Sohn von Präsident Fidel Castro, Fidel Castro Diaz-Balart, hat die Kritik am Bau eines kubanischen Atomkraftwerks zurückgewiesen. Vor allem US- Wissenschaftler hatten die Sicherheits- und Schutzvorkehrungen beim Bau des kubanischen Atomkraftswerks als unzureichend bezeichnet. „Die angebliche Gefahr gibt es nicht,“ erklärte der Physiker Castro Diaz-Balart, der das Atomprogramm der Insel von 1980 bis 1992 geleitet hatte. 1992 hatte Kuba den Bau eines von der Sowjetunion finanzierten Werks in Jaragua wegen des Zusammenbruchs der Handelsbeziehungen zum ehemals sozialistischen Staat gestoppt. Im Mai diesen Jahres kündigten Kuba und China ein gemeinsames Vorgehen angekündigt, um das Projekt zu Ende zu führen. Nach Angaben von Castro Diaz-Balart ist die Kritik am Energieprogramm Kubas von wirtschaftlichen und politische Interessen bestimmt. Ausländische Expert*innen gehen davon aus, daß noch etwa 800 Millionen US-Dollar fehlen, um den ersten Reaktor mit 430 Megawatt Leistung ans Netz gehen lassen zu können.
EL SALVADOR
Neue Regierung wegen Irreleitung von Mitch-Geldern in der Kritik
Von Ivan Castro
(San Salvador, 23. August 1999, npl).- Ausgerechnet ehemalige Paramilitärs bereiten der rechten Regierung El Salvadors Probleme. Mehr als eine Million Dollar internationaler Hilfsgelder für das kleine mittelamerikanische Land sollen vor den Präsidentschaftswahlen im März nicht für die Opfer des Hurrikans Mitch verwendet worden, sondern zwecks Stimmenkauf an die Vereinigung landwirtschaftlicher Produzenten (APROAS) geflossen sein, in der sich die früheren Kollaborateure der Streitkräfte organisiert haben.
Die Enthüllung kommt von der APROAS selbst. Bei einem Zustammenstoß mit der Polizei kamen am 12. August zwei Mitglieder der Organisation um, mehrere wurden verletzt. Nachdem die Hoffnung auf Unterstützung durch die wiedergewählte Republikanische Nationalistische Allianz (ARENA) unter dem neuen Präsidenten Francisco Flores enttäuscht wurde, entschloss sich die Führung der APROAS offenbar, auszupacken. Ihrer Darstellung nach übergaben der Fraktionschef der Regierungspartei, der damalige und heutige Innenminister und ein Militär das Geld zehn Tage vor der Wahl. Die Gegenbedingung: Keine weiteren Proteste sowie Wahlboykottdrohungen mehr gegen die Regierung, sondern Rückhalt für die Kandidatur von Flores. 25.000 T-Shirts für den Endspurt der Wahlkampagne lieferten die ARENA-Abgesandten gleich mit.
Tino Gutierrez, der die Vereinigung der landwirtschaftlichen Produzenten anführt, sagt, bei dem Geld habe es sich um einen „Vorschuß der ARENA“ gehandelt. Für die Zeit nach den Wahlen seien weitere wirtschaftliche und soziale Vorteile für die Organisation versprochen worden. Es sei ein „Pakt unter Ehrenleuten“ gewesen und APROAS habe daraufhin 80.000 Stimmen zum Wahlsieg beigetragen.
Während des zwölfjährigen Bürgerkrieges von 1980 bis 1992 kämpften im Laufe der Jahre insgesamt etwa 300.000 Paramilitärs an der Seite des Militärs gegen die Guerilla. Es gabe zahlreiche Anklagen wegen Menschenrechtsverletztungen gegen sie. In den Friedensvereinbarungen von 1992 fanden sie als Nutznießer von Wirtschafts- und Sozialprogrammen keine Erwähnung. Dies war ein Grund für ihren Zusammenschluß in der APROAS und den Protesten gegen die ihnen ideologisch nahestehende Regierung.
Präsident Flores, der nach dem Sieg gegen Ex-Guerillero Facundo Guardado von der linken FMLN, sein Amt am 1. Juni antrat, wäscht sich die Hände in Unschuld. Er habe „niemals ein Treffen mit den Ex-Patrouillengängern gehabt“, erklärte er auf einer Pressekonferenz. Der stellvertretende Außenminister Hector Gonzalez versichert, „zu keinem Zeitpunkt“ seien internationale Hilfsgelder angerührt worden, die Summe stamme aus einem anderen Fonds. Nachdenklich stimmt dabei jedoch, daß eine Regierungsinstanz den Geldtransfer in die Wege leitete, die für die Koordination internationaler Hilfe zuständig ist. Auch die Aussage von Gonzalez, er habe nicht gewußt, daß sich in der APROAS die früheren Paramilitärs zusammengeschlossen haben, klingt wenig überzeugend.
Innenminister Mario Acosta sagt, die Zahlungen wären an die von Mitch geschädigten Landwirte gegangen. Dem hält Tino Gutierrez entgegen, von den 5.000 Empfängern des Geldes sei die Mehrheit im November 1998 gar nicht von dem Hurrikan betroffen gewesen. ARENA- Fraktionschef Walter Araujo bietet eine eigene Version an und widerspricht dem Minister. Das Geld war seiner Aussage nach für die Opfer von Mitch bestimt und kam sehr wohl aus dem Ausland, nur an das Land mag er sich nicht mehr erinnern.
Die Opposition, allen voran die FMLN, fordert nun eine genaue Untersuchung. Es gehe nicht nur um den Mißbrauch von Geldern, sondern um die Gefährung der internationalen Zusammenarbeit. Der Vorsitzende des salvadorianischen Bundesrechnungshofes hat erste Ermittlungen veranlaßt. Präsident Flores hat nach zweieinhalb Monaten Amts die erste handfeste Legitimationskrise.
MEXIKO
Madrazo, Labastida, Fox oder Cardenas –
Kandidatengerangel und flotte Sprüche im Vorwohlkampf
Von Gerold Schmidt
(Mexiko-Stadt, 25. August 1999, Poonal).- Im Azteken-Stadion schreien mehr als hunderttausend Kehlen den Schlachtruf: „Sí se puede“ – „Ja, es ist möglich“. Die mexikanische Fußballnationalmannschaft hat das Unmögliche wahrgemacht und das Endspiel des Konföderationen-Cups mit 4:3 gegen das scheinbar übermächtige Brasilien gewonnen. Spätestens an diesem Abend Anfang August muß auch dem letzten politischen Beobachter die geniale Werbestrategie von Roberto Madrazo klar werden, der im kommenden Jahr gerne auf den Präsidentensessel in Mexiko möchte.
Mit dem Spruch „Quien dice que no se puede“ – „Wer sagt denn, daß es nicht möglich ist“, betreibt der Ex-Gouverneur des Bundesstaates Tabasco bereits seit Anfang des Jahres Wahlkampf und kommt damit bei großen Teilen der Bevölkerung an. So wie beim Fußball der Heimvorteil und die nicht in Bestbesetzung antretende gegnerische Manschaft kaum Erwähnung finden, so verblassen bei Madrazo die zahlreichen Korruptionsanklagen und der nachgewiesene unbefangene Umgang mit Staatsgeldern in Tabasco. Der eigenen Regierungspartei und auch der Opposition bereitet er damit zunehmend Kopfzerbrechen.
Die das Land jetzt seit mehr als 70 Jahren ununterbrochen regierende Revolutionäre Institutionelle Partei (PRI) hatte sich eigentlich alles ganz anders gedacht. Früher bestimmte der amtierende Präsident ein gutes halbes Jahr vor dem Wahltermin per Fingerzeig seinen Nachfolger. Die Wahlen selbst waren Formsache. Angesichts wachsender politischer Konkurrenz verabreichte sich die faktisch jahrzehntelang als Staatspartei agierende PRI Mitte Mai mit auf den ersten Blick durchgreifenden Reformen einen unvermutet demokratischen Anstrich. So soll am 7. November in einer auch für Nicht-Parteimitglieder zugänglichen Wahl unter vier Bewerbern der Kandidat bestimmt werden, der am 2. Juli 2000 zum allgemeinen Urnengang antritt. Doch letztendlich war und ist der ganze Regierungsapparat darauf eingestellt, den bis vor wenige Wochen amtierenden Innenminister Francisco Labastida Ochoa zum Kandidaten zu küren. Spötter sprechen von einem Dreiervorschlag des Präsidenten Ernesto Zedillo für seine Nachfolge: Francisco oder Labastida oder Ochoa.
Labastida ist von einem hochkarätigen Team umgeben, in dem unter anderem zwei weitere ehemalige Minister engagiert sind. Während die restlichen zwei „Vorkandidaten“ der PRI längst an die Wand gedrückt sind, gelingt es ihm aber nicht, den Underdog Madrazo mundtot zu machen. Das enfant terrible der PRI tritt weiterhin mit feinem Anzug und geschniegeltem Haar vor einer begeisterten Parteibasis auf und verteilt verbale Schläge unterhalb und oberhalb der Gürtellinie – nicht gegen die Opposition, sondern gegen Labastida. Für diejenigen, die mit der neoliberalen und technokratischen Politik ihrer Partei nicht einverstanden sind, ist er ein Star. Das der Wahlkampfkoordinator von Labastida den partei-internen Konkurrenten wegen seiner Propaganda vor einigen Tagen mit Hitler verglich, erwies sich als Boomerang. Fast schon verzweifelt ruft der PRI-Vorsitzende dazu auf, den Streit doch bitte auf ein höheres Niveau zu heben. Präsident Zedillo muß sich ernsthafte Gedanken machen, wie er Madrazo stoppen will, damit sein Kandidat durchkommt. Auf demokratischem Wege wird dies schwierig sein.
Die Opposition aus der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) und der gemäßigt linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD) hat den Bruch in der PRI bisher nicht richtig für sich ausnutzen können. Zum einen besteht die Unsicherheit, gegen welchen Regierungskandidaten denn die Hauptargumente zu richten sind. Vor allem aber ist die Opposition mit sich selbst beschäftigt. Lange Zeit vertrauten sowohl PAN wie PRD darauf, jeweils alleine die Präsidentschaftswahl gewinnen zu können. Nachdem sich die immer wieder totgesagte PRI als zählebig erweist, versucht eine „Verhandlungskommission für die Allianz“, in der neben PAN und PRD auch sechs kleinere Oppositionsparteien sitzen, einen Pakt zustande zu bringen.
Die großen ideologischen Diffenzen vor allen Dingen in Wirtschaftsfragen scheinen dabei weniger schwierig zu lösen als die Frage des Einheitskandidaten. Es stehen sich zwei Persönlichkeiten gegenüber, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Nur in der Eitelkeit ähneln sie sich, selbst wenn sie sich unterschiedlich ausdrückt. Der 56jährige Vicente Fox von der PAN ist für seine eigene Partei untypisch. Der Politiker mit dem unverkennbaren Akzent aus dem Norden Mexikos tritt bevorzugt in Lederstiefeln, Jeans und Cowboyhemd sowie mit breitkrempigen Hut auf. Vor wenigen Wochen gab er sein Gouverneursamt im Bundesstaat Guanajuato zurück, um sich ganz dem Wahlkampf zu widmen. Rastlos wirkend, vermittelt Fox den Eindruck, man müsse nur anpacken, um die Dinge zu regeln. Den seit über fünfeinhalb Jahren ungelösten Konflikt mit den aufständischen Zapatisten im südlichen Chiapas verspricht er als Präsident beispielsweise „in 15 Minuten“ friedlich zu lösen. Pragmatismus, Pragmatismus, Pragmatismus ist seine Devise. Darum zeigt er keine Scheu, sich in herzlicher Umarmung mit Kubas sozialistischem Staatschef Fidel Castro zu präsentieren und „viele Gemeinsamkeiten“ zu erwähnen oder sich in der Abtreibungsfrage wesentlich liberaler als die Mehrheit der Parteikollegen zu äußern. An den grundsätzlichen Strukturen in Guanajato hat Fox nichts geändert. Zwar entwickelten sich die makro-ökonomischen Daten positiv, doch die Unterschiede zwischen arm und reich wuchsen eher noch an. Mit seinem nicht zu beeindruckenden Selbstbewußtsein und dem ständigen Wahlkampf vom Amt aus drückte er der PAN so den Stempel auf, daß sie an seiner endgültigen Nominierung nicht vorbeikommt.
Der so gut wie sichere Kandidat der PRD heißt Cuauhtemoc Cardenas. Der „Sohn des Generals“ – in Anspielung auf seinen in Mexiko legendären Vater Lazaro Cardenas, der das Land von 1934 bis 1940 regierte – ist eigentlich die Gegenthese eines Politikers. Nicht gerade mit rhetorischer Begabung gesegnet und das Gesicht so gequält verziehend, daß ein gutgelauntes Lächeln sofort in den Medien erwähnt wird, zieht die Integrationsfigur der mexikanischen Linken dennoch viele Menschen an. „Sein Charisma liegt in seinem völligen Anti-Charisma“, bemerkt der Kulturkritiker Carlos Monsivais, selbst ein Anhänger von Cardenas, über seinen Landsmann. Cuauhtemoc Cardenas gilt als integer, eine Ausnahme unter den Politikern. Er trennte sich 1987 von der PRI. Bereits zweimal versuchte er, in das Präsidentenamt zu kommen. 1988 wurde ihm nach verbreiteter Ansicht der Sieg an der Spitze einer Linksallianz durch Wahlbetrug gestohlen, 1994 scheiterte er zumindest nach offiziellen Angaben relativ abgeschlagen hinter PRI und PAN. Ein politisches Comeback gelang ihm drei Jahre später. Cardenas wurde der erste nicht vom Präsidenten bestimmte, sondern frei gewählte Bürgermeister von Mexiko-Stadt. Seine Gegner sehen ihn in diesem Amt gescheitert, seine Sympathisanten verweisen auf eine angesichts der von der PRI hinterlassenen Probleme passable Amtsführung. Sie wird irgendwann im September enden, denn auch Cardenas will sich dann voll seiner Kandidatur widmen. Für den 64jährigen ist es wohl die letzte.
Wird der Cowboy für eine geeinte Opposition antreten oder der steife Anti-Charismatiker? Fox und Cardenas haben sich persönlich wenig zu sagen. Beide haben mehrfach deutlich gemacht, nicht freiwillig zugunsten des anderen auf ihre Ambitionen zu verzichten. Ein allseitig akzeptiertes Verfahren, um den Einheitskandidaten festzulegen, haben die Oppositionsparteien noch nicht gefunden. Ebenso ist offen, ob eine reine Wahlallianz das vorrangige Ziel sein soll – das favorisiert Fox – oder eine Regierungskoalition mit genauen Absprachen im Vorfeld – das schlägt Cardenas vor. Ausgeschlossen ist nicht, daß die Opposition am Ende getrennte Weg geht und die PRI die lachende Dritte ist. Die Stimmung an der Basis von PAN und PRD scheint allerdings immer stärker die Allianz zu bevorzugen. Umfragen geben einem Oppositionsbündnis sehr gute Chancen, die Revolutionäre Institutionelle Partei im kommenden Jahr bei halbwegs fairen Wahlen tatsächlich vom Machtsockel zu stoßen. So nehmen viele Oppositionelle den Slogan von Roberto Madrazo auf: „Wer sagt denn, daß es nicht möglich ist?“
GUATEMALA
Justiz und Regierung decken Verbrechen ehemaliger Generäle –
Berichterstatter der UNO prüft Unabhängigkeit der Justiz
Von Stefanie Kron
(Berlin/Guatemala-Stadt, 19. August 1999, npl).- Param Cumaraswamy hat keine dankbare Aufgabe. Zwei Wochen lang soll der UNO- Berichterstatter die Unabhängigkeit der guatemaltekischen Justiz prüfen. Diese gilt auch knapp drei Jahre nach Friedensschluß (Dezember 1996) zwischen Guerilla (URNG) und Regierung als korrupt und ineffektiv. Die fortgesetzte Straflosigkeit der Militärs, die Guatemala während des 36 Jahre dauernden Bürgerkrieges, laut Christian Tomuschat, Leiter der sogenannten Wahrheitskommission der UNO, zu dem Land in Lateinamerika machten, „in dem die meisten Menschenrechtsverletzungen begangen wurden“, machen die Friedensverträge ein ums andere Mal zum Hohn. Eine Reform des Justizwesens wurde im Mai bei einem Referendum über weitreichende Verfassungsänderungen, abgelehnt.
Die Aufstandbekämpfungsprogramme der guatemaltekischen Militärregierungen vor allem während der 80er Jahre – berühmt geworden als „Politik der verbrannten Erde“ – hinterließen ein blutiges Erbe von mehr als 400 zerstörten Orten, 200.000 Verschwundenen, 40.000 Ermordeten und mehr als einer Million Flüchtlinge.
Schon im Vorfeld seines Besuches hatte Cumaraswamy zahlreiche Beschwerdeschriften von guatemaltekischen Menschenrechtsorganisationen erhalten, die dem UNO-Beobachter zufolge „massive Probleme im Justizwesen“ des mittelamerikanischen Landes aufzeigen. Die „Allianz gegen die Straffreiheit“, gegründet von mehr als 17 Menschenrechtsorganisationen nach der Ermordung von Juan Gerardi, Erzbischof von Guatemala-Stadt, im April 1998, legte dem UNO-Berichterstatter bei einem Treffen am Mittwoch (17.8.) die schwerwiegendsten Fälle von Straflosigkeit vor.
Dazu gehört neben dem nach wie vor ungeklärten Mord an Gerardi, der zwei Tage vor seinem Tod den Menschenrechtsbericht der katholischen Kirche vorlegte, worin Militärs namentlich für die meisten Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden, das Massaker von Xaman. Der Ort, eine Rückkehrgemeinde ehemals vom Militär Vertriebener indigener Landarbeiter, wurde im Oktober 1995 Schauplatz einer der letzten systematischen Massaker der guatemaltekischen Streitkräfte. Elf Menschen kamen dabei ums Leben. Vergangene Woche waren zwar zwölf Soldaten wegen ihrer Beteiligung an dem Massaker zu jeweils fünf Jahren Gefängnis verurteilt, aber auch umgehend freigelassen worden, da die Strafen bei Anrechnung der Zeit in Untersuchungshaft als abgegolten beurteilt wurden. Angehörige der Opfer und die Friedensnobelpreisträgerin Rigoberta Menchu erklärten, das niedrige Strafmaß sei ein weiteres „Zeichen der Straflosigkeit“.
Doch es scheint, als ob nicht nur die Justiz, sondern auch die konservative Regierung unter Alvaro Arzu die berüchtigten guatemaltekischen Generäle deckt. Ende Juni konnte General Marco Tulio Espinosa trotz gegen ihn erhobenen Mordvorwürfe, das Amt des Verteidigungsministers antreten. Espinosa gilt als „starker Mann“ hinter Arzu. Wenige Tage zuvor hatte der ehemalige Richter Juan Carlos Solis Anklage gegen den General erhoben. Solis beschuldigte ihn, als Chef der „Präsidentengarde“ (EMP), die er zwischen Januar 1996 und 1997 leitete, die Ermordung von Gerardi geplant zu haben. Laut Solis ist Espinosa Mitglied in der militärischen Geheimorganisation die „Brüderschaft“. Voraussetzung für die Aufnahme sei, einen Mord begangen zu haben. Schon nach dem Mord an dem Weihbischof vergangenes Jahr hatte Arzu zugesagt die Garde aufzulösen.
Anfang August wurden weitere Vorwürfe gegen Espinosa laut. In einem Bericht, veröffentlicht am 9. August von der us- amerikanischen NGO „nationales Archiv für Fragen der Sicherheit“, wird Espinosa, der zwischen 1993 und 1994 Befehlshaber der Luftwaffenstützpunkte im Süden des Landes war, für die Zerstörung eines Militärarchivs verantwortlich gemacht, das Informationen über massive Menschenrechtsverletzungen der Streitkräfte enthielt. Die Zerstörung der Akten, so der Bericht weiter, sei kurz vor der Ankunft einer internationalen UNO-Beobachterkommission vom guatemaltekischen Verteidigungsministerium angeordnet worden. Man fürchtete Konsequenzen wegen des in dieser Zeit „verschwundenen“ Guerilla-Kommandanten Efrain Bamaca. Espinosa selbst streitet alle Vorwürfe ab (siehe dazu auch anschließende Meldung).
Die Verantwortung für systematische Menschenrechtsverletzungen streitet auch Oscar Mejias Victores ab (vgl. Poonal 396). Der General a.D. putschte – nach Aufforderung des CIA – 1983 gegen den bekanntesten guatemaltekischen Schlächter, Efrain Rios Montt, setzte jedoch dessen Politik der verbrannten Erde in seiner Regierungszeit bis 1985 fort. Ende Mai diesen Jahres stellten us- Menschenrechtsorganisationen in Washington der Presse den „Tätigkeitsbericht“ einer guatemaltekischen Todesschwadron vor. Das Dokument enthält eine Liste mit Namen von 183 angeblichen Guerilla-Kämpfern, die die Spezialeinheit der Armee zwischen August 1983 und März 1985 festnahm. Nach der Veröffentlichung des Berichts der UNO-Wahrheitkommission im Februar war dem „nationalen Archiv für Fragen der Sicherheit“ das Militär-Tagebuch von einem ehemaligen guatemaltekischen Armee-Angehörigen zugespielt worden, der es nach eigenen Angaben einem Geheimdienstarchiv entwendet hatte.
Die Liste enthält Anmerkungen, die darauf hinweisen, daß hundert der Gefangenen nach ihrer Festnahme umgebracht wurden. Die zur Partei transformierte URNG bestätigte die Identität ihrer ehemaligen Kämpfer. Der Verband der Angehörigen von Verschwundenen in Guatemala (FAMDEGUA) forderte daraufhin von Arzu und dem guatemaltekischen Verteidigungsministerium die Öffnung der Archive des Militärgeheimdienstes, deren Existenz die Armee hartnäckig immer geleugnet hatte. Während Arzu und mehrere Generäle, darunter Victores, sowohl die Echtheit des Dokuments anzweifelten als auch die Existenz weiterer Archive abstritten, räumte der ehemalige Verteidigungsminister Julio Balconi ein, daß ihm die Liste bekannt sei. Auch Julio Arango Escobar, Präsident der staatlichen Menschenrechtsbehörde, geht von der Authentizität des Dokuments aus, was vom US-Verteidigungsministerium bestätigt wird und die müssen es ja wissen, schließlich ist die enge Zusammenarbeit zwischen CIA und guatemaltekischen Militärs ein offenes Geheimnis.
Anfang August erhob Escobar wegen der Entführung von Rudy Padilla und dem gewaltsamen Verschwindenlassens von Adolfo Hermoslilla, im Jahre 1984, vor der guatemaltekischen Staatsanwaltschaft Anklage gegen Victores sowie gegen acht weitere hohe Generäle. Padilla ist sogar bereit gegen Victores auszusagen, wissend, daß ihn dies das Leben kosten kann. Victores erklärte, daß es in seiner Regierungszeit nicht zu Entführungen und außergerichtlichen Hinrichtungen gekommen sei, schließlich sei damals „einzig und allein die Institutionalität des Landes verteidigt worden.“
GAM Schlägt „Welttag gegen das Verschwindenlassen“ vor
(Guatemala-Stadt, 25. August 1999, cerigua-Poonal).- Die Gruppe für gegenseitige Unterstützung der Familienangehörigen Verhafteter-Verschwundener (GAM) hat einen Antrag bei der UNO eingebracht, den 30. August zum zu erklären. Der Vorschlag liegt der 56. Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission vor.
Verteidigungsminister vernichtete Unterlagen zu Folterungen
(Guatemala-Stadt, 20. August 1999, comcosur-Poonal).- Verteidigungsminister General Marco Tulio Espinoza hat Unterlagen vernichtet, die die Armee in Zusammenhang mit Folterungen und Verschwindenlassen von Menschen bringen. Dies belegt ein von der US-Regierung von der Geheimhaltung freigegebenes Dokument. Aus den US-Unterlagen geht hervor, welche Folterzentren der Armee bis Mitte der achtziger Jahre in Betrieb waren, wann sie zerstört wurden, und erläutert auch wie die Massengräber für Guerrilleros mit Zement übergossen und damit unauffindbar gemacht wurden. Der General soll auch für die Vernichtung einer Reihe von Archiven verantwortlich sein.
NICARAGUA
Konservativer Abgeordneter ermordet
(Managua, 18. August 1999, pulsar-Poonal).- Unbekannte ermordeten am 18. August den Abgeordneten Jose Alfonso Cuadra Garcia von der Konservativen Partei sowie seinen Fahrer und einen weiteren Begleiter. Die drei befanden sich auf dem Weg in die Stadt Matagalpa im Norden des Landes. Über die Hintergründe der Tat herrscht Unklarheit. Ein Raubüberfall wird ebensowenig ausgeschlossen wie ein politisches Motiv. Cuadra Garcia war 1997 Vizepräsident des nicaraguanischen Parlamentes. Er galt sowohl als ein Kritiker der rechtsliberalen Regierung wie der Sandinisten.
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