Ohne Natur kein Leben

Chaco Rodung Waldvernichtung
Wo früher mal Wald war, ist heute nur noch Fläche.
Foto: Fabiana Blasco

(Resistencia, 8. Januar 2023, npla).- Mit mehr als einer Million Quadratkilometern ist der Gran Chaco – auch grüne Lunge genannt – das zweitgrößte Waldökosystem in Südamerika. Er erstreckt sich über Teile Argentiniens, Boliviens und Paraguays. Mit mehr als 50.000 Hektar pro Jahr wird im argentinischen Teil des Gran Chaco mit höherer Geschwindigkeit abgeholzt als im Amazonas. Auch hier, in einem kleinen Ort in der Nähe von Castelli in der ärmsten argentinischen Provinz Chaco, breiten sich nationale und multinationale Großkonzerne aus.

„Man blickt in ein Nichts. Kein einziger Baum mehr. Hunderte Kilometer reine Wüste“

Fabián von der NGO Monte Adentro steht auf einer Schotterstraße. Links von ihm tiefes Waldgestrüpp, Quebracho- und Johannisbrotbäume. Rechts von ihm ein Stacheldrahtzaun, dahinter eine kahle Fläche in der Größe mehrerer Fußballfelder. „Wir befinden uns hier an dem Ort mit der höchsten Walddichte im Chaco. Besser gesagt, dem Bisschen, das vom Wald noch übrig geblieben ist. In anderen Regionen ist der Wald vollständig verschwunden. Dort ist Wüste. Man blickt in ein Nichts. Kein einziger Baum mehr. Hunderte Kilometer reine Wüste”, konstatiert er betrübt. Fabián setzt sich für die Förderung ländlicher Gemeinden im Chaco im Norden Argentiniens ein. Bis zu einem gewissen Grad seien Abholzungen erlaubt, erklärt er. Die sogenannte Waldbewirtschaftung erlaubt, dass für die Tierhaltung oder geringe Bewirtschaftung des Bodens Büsche abgeholzt werden, nicht jedoch die hohen Bäume. Die Großkonzerne, die hier  großflächig rodeten, kämen in der Regel jedoch mit einer kleinen Geldstrafe davon, die sie nicht davon abhalte, weiter zu roden.

„Die Technik, die sie zum Roden anwenden, ist sehr grausam”

Die Abholzung in der Provinz Chaco hat Geschichte. Das Holz des aufgrund seiner besonders stabilen Eigenschaft begehrten Quebrachobaums wurde Mitte des 20. Jahrhunderts für den Aufbau des gesamten argentinischen Schienennetzes verarbeitet. Bis heute wird der Saft des Holzes zur Herstellung von Lederwaren nach Italien exportiert. Weitaus mehr Verantwortung für den Waldschwund trägt heute jedoch der Anbau von Monokulturen wie Soja und Sonnenblumen. Hier geht es nicht um das Fällen einzelner Bäume, sondern um die Rodung ganzer Waldflächen. „Die Technik, die hier zum Roden angewendet wird, ist sehr grausam“, erklärt Natay, sie arbeitet als Wächterin in einem Reservat von knapp 200 Quadratkilometern Wald einige Stunden nordwestlich von Castelli. Bei der Rodung werden zwei Bulldozer rechts und links von einer Waldfläche aufgestellt und mit einer dicken Kette verbunden. Die Bulldozer fahren durch den Wald und reißen alles mit sich, was zwischen ihnen wächst und lebt. Danach wird alles angezündet. Dabei geht nicht nur die Vegetation verloren, sondern auch die gesamte Fauna. Viele Tiere können dem Feuer nicht entkommen und verbrennen in den Flammen, so Natay.

Wälder werden erst ausgetrocknet, dann angezündet

Die Konzerne besprühen den Wald mit Giftstoffen, die die Blätter der Pflanzen austrocknen, erklärt auch der Rechtsanwalt José Ignacio. „Dieselben Firmen, die diese Giftstoffe anwenden, gehen dann zu den Behörden und melden, dass der Wald trocken ist. Damit wird die Brandgefahr größer. Und dann zünden sie heimlich die Wälder an, die durch ihr illegales Handeln bereits ausgetrocknet sind.“ Am Ende sehe es so aus, als sei der Waldbrand auf natürliche Weise zustande gekommen. Der verbrannte Wald gibt den Konzernen wiederum die Berechtigung zu zerstören, was noch übrig ist und den Boden für ihre Produktion nutzbar zu machen.

Der Wald nimmt im Chaco und weltweit eine regulierende Funktion für das Ökosystem ein. Er sorgt für mehr Regen, mehr Niederschläge und verhindert Überschwemmungen. Durch das Fehlen der Bäume an den Flussufern laufen diese schneller über. Der Wald reguliert Temperaturen und fungiert außerdem als eine Art reinigender Wasserfilter. Wasserknappheit ist im Chaco, wo es im Sommer durchaus 60 Grad heiß werden kann, ein großes Problem. Dabei führt nicht nur der kleiner werdende Wald zur Verschmutzung des Wassers. Auch die Verwendung von Pestiziden und Glyphosat für den großflächigen Anbau von Monokulturen wie gentechnisch verändertem Soja verunreinigt die Flüsse und zerstört den Boden und Anbau kleinerer Bäuer*innen in der Region. Dies führt vielerorts zum Viehsterben und zu Erkrankungen bei der ansässigen Bevölkerung.

Erdstürme werden ohne Wald nicht mehr abgebremst

Der Wald sorgt außerdem für die Befestigung des sehr trockenen, sandigen Bodens. Die starken Winde werden durch das Fehlen der Bäume nicht mehr abgebremst, und so kam es seit 2019 zu drei Erdstürmen. „Es ist eine riesige Wolke, die man vom Horizont aus sehen kann. Sie nähert sich mit starkem Wind, und wenn sie dort ankommt, wo du dich befindest, dann wird alles dunkel, man sieht nichts, als wäre es Nacht. Bis sie weiterzieht“, berichtet die Waldwächterin Natay aus eigener Erfahrung.

Waldschutzgesetz: Bildung rechtlicher Grauzonen ungewollt mitbefördert

Um der Abholzung Einhalt zu gebieten, trat 2007 ein viel gelobtes Waldschutzgesetz in Kraft. Die Provinzen sollten Bestandsaufnahmen ihrer noch vorhandenen Wälder machen und diese in drei Schutzzonen einteilen: eine rote, strenge Schutzzone, eine gelbe Zone für gemischte Nutzung von Forst- und Landwirtschaft, aber ohne Abholzung, und eine grüne Zone für weitgehend freigegebene Abholzung. Laut José Ignacio bewegen sich viele Rodungen trotz dieser Vorschriften in einer rechtlichen Grauzone. Auch im Chaco wurde der Wald mit diesen drei Farben ausgewiesen, jedoch verstehe das  Gesetz den Wald als etwas Lebendiges, erklärt José Ignacio. „Der Wald entsteht an einem Ort, wächst an einem anderen weiter, Tiere ziehen von einem Ort zum anderen.“ Hier entstehe also ein Problem, denn das Gesetz sieht eine ständige Aktualisierung dieser Farben vor. Heute sei diese Aktualisierung leider abgelaufen. So sei eine rechtliche Grauzone entstanden, die von mächtigen Konzernen im Sinne ihrer Produktion ausgenutzt wurde. Diese Konzerne hätten kein Interesse daran, dass die Wirtschaftsleistung mit dem Fortbestand künftiger Generationen oder des Waldes in Einklang steht. Sie stünden auch im Widerspruch mit indigenen Sichtweisen auf die Realität und auf alternative Konzeptionen der Beziehung zwischen Mensch und Natur.

„Meine Familie wollte ihr Land nicht verkaufen, also reagieren die Konzerne mit Drohung und Einschüchterung

Die im Chaco lebenden indigenen Gruppen Qom, Wichí und Moqoit führen seit knapp 30 Jahren einen Rechtsstreit um ihre Territorien. Die zweisprachige Lehrerin für Interkulturalität Karina berichtet von Konflikten mit einem in Pampa del Indio ansässigen Konzern und Autoritäten, wo die Comunidad Qom seit Jahren genötigt wird, ihr Land zu verkaufen. „Meine Familie wollte ihr Land nicht verkaufen, also reagieren die Konzerne mit Drohung und Einschüchterung. Hier und da taucht ein toter Indigener auf. Da auch die Polizei mit ihnen verbündet ist, heißt es dann, dass es ein Selbstmord war.” Der durch die Verfassungsreform 1994 festgesetzte Artikel 37 verweist auf das Recht indigener Völker auf Land und auf die Verpflichtung des Staats, ihnen Eigentumsrechte an Territorien zuzugestehen. Er erkennt damit ihre ethnische Präexistenz an, die in der ILO-Konvention 169 festgelegt ist. Die Umsetzung dieses Gesetzes wurde mehr als viermal aufgeschoben. Somit bestehe heute das Problem eines territorialen Notstands, so José Ignacio. Viele Gemeinden seien weiterhin in Gefahr, da ihnen die Eigentumsrechte an ihren Territorien nicht zugestanden wurden.

Einen informativen Audio-Beitrag zu diesem Thema findest du bei Onda.

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