Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 28. Mai 2002

Inhalt


KOLUMBIEN

VENEZUELA

URUGUAY

CHILE

BRASILIEN

KARIBIK


KOLUMBIEN

Rechtsextremer Kandidat gewinnt Präsidentenwahl

Von Roberto Roa

(Bogota/Berlin, 27. Mai 2002, Poonal).- Mit über 50 Prozent der Stimmen gewann Alvaro Uribe Vélez die Präsidentschaftswahl vom vergangenen Sonntag in Kolumbien. Damit wurde der rechtsextreme Dissident der Liberalen Partei bereits im ersten Wahlgang ins höchste Staatsamt gewählt. Sein schärfster Konkurrent, der Liberale Horacio Serpa, kam auf gut 31 Prozent. Von den rund 24 Millionen wahlberechtigten Kolumbianern gaben etwas weniger als die Hälfte ihre Stimme ab, was dem Durchschnitt der vergangenen Wahlen in Kolumbien entspricht.

Der Wahlkampf war ebenso von heftigen politischen Auseinandersetzungen wie durch extrem hohe Sicherheitsmaßnahmen geprägt. Allein Alvaro Uribe Vélez, der seit Monaten in Umfragen mit weitem Abstand vorne lag, wurde von 120 Sicherheitsleuten geschützt. Dennoch musste der Kandidat seinen letzten Auftritt in der Karibikstadt Cartagena absagen, weil dort angeblich ein Attentat auf ihn geplant war – zuletzt war Uribe Vélez am 14. April knapp einem Anschlag entronnen, der mehrere seiner Begleiter tötete.

Der 49-jährige, der Ende der 90er Jahre der liberalen Partei den Rücken kehrte, gilt heute als rechtsextremer Politiker, der Kolumbien mit militärischen Mitteln befrieden will. Die Armee will er auf 100.000 Mann verdoppeln. Sollte dies nicht reichen, um mit der starken Guerilla aufzuräumen, plädiert er – ganz im Sinne der USA – für eine internationale Intervention. Mit diesen Vorgaben setzt er sich eindeutig von seinem konservativen Vorgänger Andres Pastrana ab, der vor vier Jahren die Wahl mit dem Versprechen gewann, den Bürgerkrieg im Land per Verhandlung zu beenden. Dieses Ziel gab Pastrana erst Anfang dieses Jahres auf, als er den Dialog mit der Farc-Guerilla endgültig für gescheitert erklärte. Seitdem nehmen die Kämpfe zwischen Guerilla, dem offiziellen Militär und den berüchtigten paramilitärischen Verbänden wieder zu, während die Zahl der Toten – zumeist Zivilisten – ebenfalls steil ansteigt.

Das Scheitern der Regierung Pastrana führte auch zum Kollaps seiner Konservativen Partei, die bei den Parlamentswahlen Ende März dieses Jahres kaum noch zehn Prozent der Stimmen einfuhr. Das Zweiparteiensystem aus Konservativen und Liberalen, die sich beide jahrzehntelang an der Macht abwechselten, näherte sich so ihrem Ende und wurde durch den klaren Wahlsieg von Uribe Vélez nun endgültig begraben. Mangels eigenem Kandidaten unterstützte ein Teil der Konservativen Partei den Rechtskandidaten Uribe Vélez, der andere Teil den liberalen Kandidaten Horacio Serpa.

Serpa, der bei der vergangenen Wahl Andres Pastrana unterlag, galt als Dinosaurier im diesjährigen Kandidatenspektrum. Zwar will auch er nicht mehr mit der Guerilla verhandeln, doch setzt er eher auf soziale Versprechen wie mehr Arbeitsplätze und Bekämpfung der Armut. Da ihm dies keiner im Land glaubt, führte er vor allem Wahlkampf gegen seinen Kontrahenten Uribe Vélez: Dieser sei der Kandidat der Paramilitärs, erklärte er unumwunden. Und bei seinem letzten Auftritt verbrannte Serpa eine Kopie der angeblich gefälschten Umfrageergebnisse, die ihm lediglich den zweiten Platz voraussagte.

Auch der linke Kandidat vom „Polo Democrático“, Luis Eduardo Garzón, arbeitete sich vor allem an dem Wahlfavoriten ab. „Uribe Vélez tut so, als sei er schon Präsident,“ beschwerte sich der ehemalige Gewerkschafter und verwies auf dessen gute Kontakte zur Armee und zu Washington, das seine Kandidatur sehr wohlwollend betrachtet. Garzón, Kandidat der erstmals seit vielen Jahren halbwegs geeinten zivilen Linken Kolumbiens, gilt als eigentliche Überraschung des Wahlkampfes, denn Linke waren bei Urnengängen in diesem Land meist bedeutungslos oder wurden „rechtzeitig“ durch Todesschwadronen eliminiert. Allerdings waren die knapp sieben Prozent der Stimmen für ihn doch eher eine Enttäuschung. Als einziger plädierte er für erneute Verhandlungen mit der Guerilla, die nach Meinung von Experten aufgrund ihrer massiven Präsenz im ganzen Land kaum militärisch besiegt werden kann: „Nach weiteren Tausenden Toten wird doch sowieso wieder verhandelt,“ so Garzóns lakonisches Argument.

Weitere Kandidaten wie die farblose Ex-Außenministerin Noemí Sanín („Kolumbien braucht eine Frau, weil alle Männer versagt haben“) oder der Hardliner und Ex-General Harold Bedoya konnten bei diesen Wahlen keine gewichtige Rolle spielen. Auch die Grünen-Kandidatin Ingrid Betancourt erlangte nur deswegen weitweit Aufmerksamkeit, weil sie am 23. Februar von der Farc entführt wurde. Nicht einmal Frankreichs Präsident Jacques Chirac gelang es bislang, die Farc dazu zu bewegen, die Professorin, die auch die französische Staatsbürgerschaft inne hat, freizulassen. Nur knapp ein halbes Prozent der Kolumbianer gaben ihr am Sonntag ihre Stimme.

Dass der Rechtsaußen Alvaro Uribe Vélez am 7. August als neuer Präsident vereidigt wird sei für Kolumbien ebenso schrecklich wie es ein Wahlsieg Le Pens für Frankreich gewesen wäre, meinen viele Menschenrechtler in Kolumbien. Mit Uribe Vélez stehe Kolumbien „am Rand eines offenen Krieges, wie es ihn noch nie gegeben hat“, warnt die Aktivistin Blanca Valencia. Hinter diesem Politiker stünden die Paramilitärs, die wiederum mit dem Drogenhandel verquickt seien. Diese Vermutung teilt auch der Kandidat Serpa, der Uribe Vélez vor Gericht verklagte, von „illegalen paramilitärischen Gruppen unterstützt“ zu werden.

In der Tat haben inzwischen eine Vielzahl von Publikationen nachgewiesen, dass der einstige Bürgermeister von Medellin bei der Schaffung paramilitärischer Verbände, die damals noch „Convivir-Gruppen“ hießen, Pate gestanden hat. Auch zahlreiche Verbindungen zu Drogenhändlern, angefangen vom legendären Pablo Escobar bis hin zu heutigen Kartellchefs, konnten Uribe Vélez nachgewiesen werden. In der durchweg korrupten Politikerklasse Kolumbiens ist dies zwar bedenklich, aber nicht weiter verwunderlich. Allerdings müssen sich die USA die Frage gefallen lassen, warum sie einen Kandidaten unterstützen, der mit einer Gruppe kooperiert, die auf der Washingtoner Terroristenliste steht, und trotz seines Saubermann-Image im Drogensumpf steckt.

VENEZUELA

Auf der Suche nach der Wahrheit – Verantwortliche für die Toten während der politischen Krise sollen ermittelt werden

Von Andrés Cañizález

(Caracas, Mai 2002, na-poonal).- Ungeachtet der politischen Polarisierung in Venezuela nach dem gescheiterten Putsch und der anschließenden Wiedereinsetzung von Präsident Hugo Chávez bestehen alle gesellschaftlichen Gruppen darauf, die Wahrheit über den Tod von mehr als 50 Menschen zwischen dem 11. und 14. April heraus zu finden. Am 11. April waren Chávez-Gegner in einer Massendemonstration durch die Strassen von Caracas marschiert und hatten versucht, zum Regierungspalast in Miraflores zu gelangen. In dessen Umgebung hatten sich Anhänger des Präsidenten versammelt. Mindestens 14 Personen starben in der Nähe des Palastes.

Weitere 40 Personen starben in den folgenden 48 Stunden zwischen der Verhaftung und der Amtsrückkehr von Chávez. Als ein Machtvakuum entstand, gingen einige Polizeieinheiten auf eigene Rechnung gegen Funktionäre der Chávez-Administration vor, während andere das Feuer auf Randalierer und Plünderer eröffneten, die das politische Chaos in Caracas und anderen großen Städten ausnutzten.

Menschenrechtsgruppen fürchten, dass die Vorkommnisse niemals eindeutig geklärt werden, speziell die des 11. April. „Foro por la Vida“ (Forum für das Leben), eine Koalition aus Menschenrechtsorganisationen, schlug die Bildung einer unabhängigen Kommission vor, um die Vorfälle zu untersuchen. Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) César Gaviria – der vom 15. bis zum 17. April zu einem Sondierungsbesuch in Caracas war – empfahl eine Wahrheitskommission aus unabhängigen Personen, „die für alle Seiten glaubwürdig sein müssen, da sonst jedes Resultat der Untersuchung nicht angenommen wird“.

Diese Initiativen wurden vom Kongress aufgenommen, der am 25. April die Bildung einer Wahrheitskommission beschloss. Sie soll von neun Personen gebildet werden: sechs aus Menschenrechts-NGOs, ein Vertreter des Kirchenrats und zwei aus Universitätseinrichtungen, die sich mit der Förderung der Menschenrechte beschäftigen. Dennoch wird befürchtet, dass sich die Feststellung der Verantwortlichen lange hinaus zögern wird. So war es in der Vergangenheit bei anderen unklaren Todesfällen oder bei Fällen, in die Polizeieinheiten verwickelt waren.

Laut PROVEA (Programa Venezolano de Educación y Acción en Derechos Humanos – Programm für Bildung und Aktion zu Menschenrechten), wurden in Venezuela zwischen Oktober 2000 und September 2001 241 Todesfälle registriert, die von Polizei oder Militär zu verantworten sind. In einigen Regionen existieren regelrechte „Todesschwadrone“. Das ist die höchste Ziffer, die von der Organisation seit 1989 registriert wurde. Damals begann PROVEA, diese Zahlen zu erfassen. Es war das Jahr, in dem die als „Caracazo“ bezeichneten Proteste stattfanden, die sich gegen die Wirtschaftspolitik des Präsidenten Carlos Andrés Pérez (1989-94) richteten. Mehrere Hundert Menschen wurden getötet, bis heute konnte die exakte Zahl der Toten nicht festgestellt werden.

Der PROVEA-Sprecher Antonio González sagt, dass nach zwei Jahren zuversichtlicher Erwartungen in die Regierung von Präsident Hugo Chávez, der 1999 antrat, sich „in vielen Fällen große Rückschritte gezeigt haben“. Von der Gesamtzahl der von PROVEA erfassten Tötungen seien 78 Prozent von Mitgliedern der Provinzpolizei zu verantworten. „Von den im Jahr 2000 polizeilich bekannten Fällen würden nur 36 Prozent abgeschlossen, von diesen kam es nur bei 2,7 Prozent zu einer Verurteilung vor Gericht. Das zeigt eine minimale Wirksamkeit und ein hohes Niveau an Straflosigkeit auf“, betont Carlos Correa, Haupt-Koordinator von PROVEA.

Die Rückschritte bei den Bürgerrechten und den politischen Rechten, die in dem PROVEA-Bericht aufgezeigt werden, erlaubt geringen Optimismus im Hinblick auf die Arbeit der Wahrheitskommission zu schauen. Einige schöpfen jedoch Hoffnung daraus, dass sie aus unabhängigen Personen gesetzt ist.

URUGUAY

Die Morde in Gefängnissen gehen weiter und alle sehen weg

(Montevideo, 18. Mai 2002, comcosur-poonal).- Zwei weitere Todesfälle erhöhen die Zahl der seit Anfang des Jahres begangenen Ermordungen und „Selbstmorde“ unter den Insassen der beiden wichtigsten uruguayischen Gefängnisse (Libertad und Santiago Vázquez) auf nun mehr zwölf. Zu diesen zwölf kommen weitere zwei Todesfälle, die sich in den Gefängnissen von Rivera und Paysandú ereigneten. Insgesamt starben somit 14 Häftlinge in weniger als 5 Monaten starben an unnatürlichen Todesursachen. Der Dreizehnte wurde erhängt im Gefängniss Libertad aufgefunden und der Vierzehnte erstochen im Gefängnis Santiago Vásquez (Comcar). Trotz der skandalösen Situation schließt der Innenminister, der Notar Guillermo Stirling, merkwürdigerweise aus, dass mangelnde Kontrolle seitens der Sicherheitsbeamten, zu den Todesfällen geführt haben könnte.

Von den Medien befragt, verwechselte der Minister ein Gefängnis mit einem anderen, als er sagte: „…alle Präventivmaßnahmen wurden getroffen, die prekären Bedingungen in Comcar und im Zelltrakt, in denen sich die meisten Gefangenen aufhielten…“. Hiermit bezog er sich auf den einwöchigen Aufstand, der das Gefängnis fast gänzlich zerstörte. Er hatte sich allerdings nicht in Comcar de Santiago Váquez, sondern in Libertad ereignet hatte. Sich aus seiner Verantwortung windet, schob er die Schuld auf die Gefangenen, als er ohne rot zu werden, sagte: „Ich denke, wir sollten uns der vorrausschauenden Worte des Präsidenten des Obersten Gerichtshofes erinnern, als er den Gefangenen sagte, sie sollten aufhören das Gefängnis zu zerstören, denn die Lebensbedingungen würden dadurch sehr schwierig werden…“

Tatsache ist, dass die Sicherheitskräfte seit Beendigung des Aufstandes vor zwei Monaten den Zelltrakt des Gefängnisses Libertad nur noch dann betreten, wenn die Gefangenen zum Hofgang gebracht werden. Das Gefängnis wurde durch seine Insassen bei dem Versuch zerstört, ihre Verlegung in andere Anstalten zu erzwingen, in denen sie ihre Haftstrafen unter menschlich akzeptablen Bedingungen ableisten könnten.

Das Problem hierbei ist die Überbelegung aller weiteren Gefängnisse, weshalb eine Verlegung auch nicht durchzuführen ist. Lediglich die Häftlinge mit guter Führung konnten in die ehemalige Anstalt für geringfügige Rechtsbrechungen La Tablada verlegt werden. Der Rest überlebt wie er kann zwischen den Ruinen: Die Zellen haben keine Türen mehr, es gibt nicht einen heile Fensterscheibe, die Sanitäranlagen sind größten Teils zerstört, in großen Bereichen gibt es weder Strom noch Wasser, etcetera. Minister Stirling erklärte, dass ein Wideraufbau von „Libertad“ nicht geplant sei. Stattdessen beabsichtige man, die Gefangenen in Metallkonstruktionen unterzubringen, deren Lieferung sich aber aufgrund bürokratischer Formalitäten verzögert habe. Zwischenzeitlich wurden etliche Gefangene in Zelten untergebracht und die Unterbringung in zehn Metallcontainern angekündigt, die in der kommenden Woche auf dem Gelände aufgebaut werden sollen.

Zur Lösung der Krise fällt Präsident Batlle nur die Einführung neuer Steuern ein

Von Andrés Capelán

(Montevideo, 12. Mai 2002, comcosur-Poonal).- Es sollte eine wegweisende Rede sein, die Präsident Jorge Batlle halten wollte. Sie stieß auf ein gespannt schweigendes Montevideo, das darauf wartete, die Maßnahmen kennen zu lernen, mit denen er der schweren Wirtschaftskrise, unter der das Land derzeit leidet, entgegen treten will. Mit dem Verstreichen der Minuten und als immer klarer wurde, dass Batlle einmal mehr von Steuererhöhungen sprach, verwandelte sich die respektvolle Stille allmählich in donnerndes Töpfeschlagen, das nach dem Ende der Ansprache noch zehn lange Minuten dauerte.

Der verlorene Sohn nahm eine oberflächliche Analyse der biblischen Heimsuchungen vor, unter denen das Land in der letzten Zeit litt. Batlle gab die Schuld an der Krise den „großen Schicksalsschlägen“, die vom Ausland her kamen, wie etwa die Geldentwertung in Brasilien, der Anstieg des Ölpreises und der Schuldenzinsen sowie die argentinische Krise. In letztere schloss er auch die Maul- und Klauenseuche ein, die den Viehzüchtern Millionenverluste bescherte, und den „Finanz-Angriff“ auf die Galizische Bank und die Handelsbank am Anfang dieses Jahres.

All diese schweren Unglücksfälle haben zu einem Tief der wirtschaftlichen Konjunktur in Uruguay geführt und dadurch zur Verringerung der Steuereinnahmen. Dies wiederum führte ein „Einnahmenloch“ herbei, das unmöglich geschlossen werden kann … ohne neue Steuern. Der Präsident meint, man erreiche die „schnelle und sofortige Reduzierung des Einnahmendefizits“, indem man die Steuer auf Industrie- und Handelsgewinne erhöht, eine Mehrwertsteuer von 23 Prozent auf Trinkwasser und von 14 Prozent auf den Transport erhebt, und indem man die Einkommensteuer der Arbeiter und Rentner mit mittleren und hohen Einkommen erhöht. Er beabsichtigt auch, die nationale Fluglinie PLUNA völlig und endgültig zu privatisieren und das Nationale Institut für Siedlungswesen aufzulösen, indem die Grundstücke an die Siedler verkauft werden.

Wie in jeder offiziellen Erklärung fehlte weder die Aufzählung der großen Erfolge noch der optimistische Blick in die Zukunft. Obwohl die Arbeitslosigkeit nicht aufhört zu steigen versicherte der Präsident, dass „der industrielle Sektor wächst“ und dass es nicht nur „eine große Zahl von Leuten gibt, die gewillt sind, im Land zu investieren“, sondern dass „sie auch angefangen haben, dies zu tun.“ Ebenso verkündete er, er habe bei seinem letzten Treffen mit Fernando Henrique Cardoso, dem Präsidenten Brasiliens, den Bau zahlreicher brasilianischer Industriebetriebe im Land vereinbart.

Jedenfalls versicherte Battle, dass wir „nicht immer darauf warten können, was wir in Brasilien und Argentinien verkaufen können,“ weil „wir nicht an eine Wirtschaft gebunden bleiben können, die uns so viele Schwierigkeiten bringt.“ Um diese Situation zu ändern, kündigte er große Verhandlungen mit Mexiko, Italien, Iran, China und anderen Ländern an. Auf der anderen Seite erklärte er, dass zu der dem Land vom internationalen Finanzsystem bereits zugesagten Milliarde weitere 200 Millionen Dollar hinzukommen würden.

Am Ende der Ansprache war klar, dass alle der Bevölkerung abverlangten Kraftanstrengungen nur ein Ziel haben: die internationalen finanziellen Verpflichtungen erfüllen zu können. Nachdem er bekräftigt hatte, dass die neuen Steuern und die Erhöhung der bestehenden vorübergehende Maßnahmen sind, die zurückgenommen werden, wenn die Konjunktur besser wird, sagte Battle sichtlich bewegt, dass er für die vorgeschlagenen Maßnahmen „die ganze Verantwortung, als Präsident und als Individuum“ auf sich nimmt. Was auch sonst?

CHILE

Die gefährlichen Mapuche und Umweltschutzaktivist*innen

Von Hugo Guzmán

(Montevideo, 19. Mai 2002, comcosur/anchi-Poonal).- Bei der Konferenz der Amerikanischen Heere (CEA), an der hohe Militärs aus der gesamten lateinamerikanischen Region teilnahmen, wurde ein Dokument erstellt (Kombinierte Einschätzung der Subversiven Situation auf dem Kontinent), demzufolge der Konflikt um die Mapuche in Chile zu einem sicherheitsrelevanten Thema werden könnte, ähnlich dem des Terrorismus.

Im Fall Chiles äußern die Militärs ihre Besorgnis darüber, dass sich „die indigene Bewegung durch die Zusammenarbeit mit der Umweltschutzbewegung in ihrer Entwicklung beeinflusst werde“ und in warnendem Ton wird hinzugefügt: „der Konflikt könnte eine ähnliche oder größere Gefahr bergen als bislang stattfindende terroristische Aktionen“. Ein Teil der Arbeit, die sich mit ganz Lateinamerika befasst, beschäftigt sich mit der beunruhigenden „Internationalisierung der ethnischen Konflikte, die eine latente Gefahr darstellt, da politische Bewegungen oder Nichtregierungsorganisationen die Ureinwohner*innen unterstützen und sich auf bestimmte politische Diskurse und umweltpolitische Themen berufen“.

Diese Überlegungen stehen in direkter Verbindung mit Einschätzungen des militärischen Establishments, der Polizei und auch rechtsgerichteter Kreise, die eine „subversive Koordinierung“ zwischen Mapuche-Organisationen, Umweltschutzgruppen und linken Organisationen sehen. Allerdings wird die Bildung einer ländlichen Guerilla in Chile als unwahrscheinlich angesehen.

Bei der Untersuchung der Widerstandsgruppen im als „geheim“ eingestuften Dokument wird davon ausgegangen, dass diese sich zunächst in einer ersten Phase der Agitation und Propaganda befänden und ihre Hauptarbeit in der Reorganisierung, der Anwerbung neuer Aktivist*innen und der Erarbeitung neuer politisch-militärischer Strategien angesichts der aktuellen sozialen Realität. Zum „Frente Patriótico Manuel Rodríguez“ (FPMR) und der Revolutionären Linken Bewegung (MIR) wird festgestellt, dass die beiden genannten Gruppen „in den wichtigsten sozialen Konflikten präsent bleiben, ihnen allerdings die militärische Vorbereitung fehlt, um die eigenen politisch-militärischen Zielsetzungen umsetzen zu können“.

Im Dokument wird nicht genauer auf Abspaltungen der FMPR oder der MIR eingegangen. Auch die Beweggründe der Mapuche-Bewegung und anderer indigener Gruppen werden ebenfalls ausgespart – es wird lediglich eine Verbindung zwischen ihnen und den Umweltschutzgruppen hergestellt. Allerdings geht der Text paradoxerweise in anderer Beziehung einen Schritt weiter und benennt den Neoliberalismus als Ursache für die ganze Misere.

Das Militärdokument spricht im Zusammenhang mit dem lateinamerikanischen Panorama davon, dass „die Einführung des neoliberalen Wirtschaftsmodells in der Mehrzahl der Länder die wahrscheinlich tiefgreifendste und umfassendste Beeinflussung des Verhaltens der großen Basisgruppen auf dem Kontinent war, speziell auf die, welche die Unterentwicklung anklagen“. Die Überlegungen der Militärs der CEA gehen dahin weiter, dass „wir vor einem strategischen Panorama stehen, das unsicher, komplex, unbeständig und anscheinend nur zum Teil stabil und das sich noch nicht feste Formen angenommen hat.“ Was die Ursachen der Aktivitäten der Widerstands- und Oppositionsgruppen und ihre Zukunft angeht, wird in dem Papier die Einschätzung geäußert, dass „die Umsetzung des neoliberalen Modells aufgrund der tiefgreifenden Veränderungen, die ihm zugrunde liegen, weiterhin jene Opposition von Gruppen mit extremistischen Ideologien hervorrufen wird“.

BRASILIEN

Lula will eigene Handlungsspielräume nutzen

(24.Mai 2002, oficina de informações-Poonal).- Vergangenen Dienstag bekräftigte der PT-Präsidentschaftskandidat (Arbeiterpartei) Luis Inácio Lula da Silva in Jaragua do Sul im Bundesstaat Santa Catarina, er werde im Falle seiner Wahl niemals zulassen, dass „der Internationale Währungsfonds (IWF) den politischen Kurs und das Finanzwesen des Landes bestimmen wird. Denn wenn man sich in Ketten legen läßt, hat man jede Handlungsmöglichkeit verspielt“. Er betonte, er werde mit dem IWF „bessere Bedingungen aushandeln“, wenn es nötig sein sollte, den derzeit gültigen Vertrag zu erneuern, der zum Jahresende ausläuft.

In Jaragua do Sul kritisierte Lula den Vorschlag zur Errichtung der amerikanischen Freihandelszone (ALCA), die seiner Meinung nach eher der Vereinnahmung als der Integration von Ländern diene. „Eine Freihandelszone ohne eine zusätzliche ausgleichende Politik ist völlig unakzeptabel“, sagte Lula.

Lula nutzte die Gelegenheit, dem Präsidenten Fernando Henrique Cardoso zu antworten. Dieser hatte am selben Tag geäußert, Brasilien könne das Argentinien von Morgen werden, wenn der zukünftige Präsident inkompetent sei. „Und seht euch das an: Argentinien hatte doch alles getan, was die anderen von ihm wollten, und jetzt interessiert sich niemand mehr dafür“, so Lula. Den Kandidaten der PSDB José Serra kritisierte er für seine Äußerung, den jetzigen Zentralbankvorsitzenden Aminio Fraga im Amt behalten zu wollen, falls er gewählt werde. Lula fand, dies sei nicht der Zeitpunkt, Namen zukünftiger Regierungsmitglieder zu nennen. Fraga habe „zwar seine Fähigkeiten“, aber die PT habe „genauso gute oder bessere“ Namen auf Lager.

Das Risiko, wie Argentinien in Turbulenzen zu geraten, besteht für Brasilien ganz offensichtlich. Aber diese Gefahr hat nichts mit der sogenannten „Kompetenz“ des zukünftigen Präsidenten zu tun, wie Fernando Henrique Cardoso behauptet hatte, als er sich eigentlich für die Beibehaltung des derzeitigen, vom IWF kontrollierten Wirtschaftsmodells aussprach. Der Bundesabgeordnete Delfim Netto äußerte Mitte Mai in Sao Paulo während eines Seminars zur Diskussion zu „Wirtschaftsoptimismus und Wahlkampfzwistigkeiten“, nicht der sogenannte „Lula-Effekt“, also die Angst der Unternehmer, Lula könne in der Wirtschaft den Spieß umdrehen, sei gefährlich für das Land. Die Gefahr ginge vielmehr von den Faktoren aus, die „das Fundament der brasilianischen Wirtschaft“ bilden: „die horrende Verschuldung im Land selbst, selbst trotz des Verkaufs des gesamten Staatsbesitzes“, die Auslandsverschuldung von 400 Milliarden Dollar und der „Erschöpfung des Landes, das seit zu langer Zeit von Arbeitslosigkeit, korrupten Privatisierungsvorgängen und mangelnder Sicherheit gebeutelt wird“.

Vergangen Mittwoch sprach Lula in Porto Alegre erneut die Wirtschaftsprobleme des Landes an, nachdem er sich für eine aggressivere Handelspolitik seitens der brasilianischen Regierung nach US-amerikanischem Vorbild ausgesprochen hatte. Er ließ verlauten, seine Regierung müsse den Kampf gegen Hunger und Elend „verschärfen“. Dies und kein anderes Anliegen sei der Grund für die PT, an die Macht gelangen zu wollen. „Wir wollen einen Bruch mit diesem Wirtschaftsmodell, um Hunger und Elend ein Ende zu bereiten, die Arbeitslosigkeit zu verringern, und die Reformen durchzuführen, die seit langem fällig sind. (…) Deshalb will die PT die Wahlen gewinnen“, schloss er.

Dieser selbstbewusste Ton fördert die Mobilisierung der großen Arbeitermassen, die die PT vertritt. Lulas Beliebtheit bei dem Teil der Bevölkerung, die einen wirtschaftlichen Wandel will und braucht, wird weiter zunehmen. Es wird nichts nützen, denjenigen nach dem Mund zu reden, die sich am jetzigen Wirtschaftssystem bereichern, da sie Kandidaten haben, die mehr im Einklang mit ihren Interessen liegen, und obendrein würde ein solcher Ton diejenigen, die Interesse an Veränderungen haben, vergrämen. Wie Lula sagt: „Man muss die eigenen Handlungsspielräume nutzen, um nicht gefressen zu werden“.

KARIBIK

Korallenriffe in der Karibik in Gefahr – Trotz Umweltgesetzen garantieren nur lokale Eigeninitiativen Schutz vor Zerstörung

Von Charles Arthur

(San Juan, 25. Mai 2002, na-Poonal).- Experten warnen, dass bis zum Jahr 2010 über 40 Prozent der Korallenriffe in der Karibik verschwunden sein werden, wenn nichts gegen die zunehmende Zerstörung dieser einzigartigen Ökosysteme unternommen werde. Hauptgrund für das Absterben der Unterwassergewächse ist die zunehmende Umweltverschmutzung – vor allem in Folge der immer dichteren Besiedlung der Küstenregion, wodurch das ökologische Gleichgewicht beeinträchtigt und das Meer mit Abwässern verschmutzt wird.

Auch vom Wasser her droht Gefahr: Oft lassen die riesigen Kreuzfahrtschiffe ihr giftiges Abwasser direkt ins Meer fließen. Noch mehr Schaden kann die Fischerei anrichten, wenn sie den Fischbestand zu sehr dezimiert oder wenn sie – trotz Verbote – mit Dynamit zu Werke geht. Hinzu kommen jetzt auch noch bislang unbekannte Krankheiten, die die geschundenen Riffe befallen.

Während Touristen, deren Infrastruktur durchaus mitschuldig an den Umweltschäden ist, das Verschwinden ihrer Tauchparadiese bedauern, bedeutet dies für die Anwohner zugleich die Bedrohung ihrer Existenzgrundlage. Einerseits lebt die Mehrzahl der Küstenbewohner vom Fischfang, der durch die Zerstörung der Korallen stark beeinträchtigt wird. Schätzungen zufolge verbringen über 70 Prozent aller Fische weltweit zumindest einen Teil ihres Lebens im seichten Gewässer der Korallen. Andererseits verschwindet mit den Korallenriffen auch der wichtigste Schutz der Küsten vor Stürmen und Hochwasser. Die Folge davon sind nicht nur immer mehr Sturmfluten, sondern auch die alltägliche Erosion an Küsten und Stränden.

In der Mehrzahl der karibischen Staaten existieren inzwischen Gesetze zum Schutz der Fischbestände und der Korallenriffe. Doch zumeist fehlt es den Behörden an Mitteln oder am Willen, die Vorschriften auch umzusetzen. Dies mussten auch die Bewohner im mexikanischen Küstenort Cabo Pulmo erfahren, wo das 1995 erlassene Verbot der kommerziellen Fischerei in der Fünfmeilenzone nie eingehalten wurde. Letzter Ausweg war hier die Eigeninitiative: Pepe Murrieta, Besitzer einer kleinen Tauchschule, beschloss, den Schutz des Korallenriffs in eigene Hände zu nehmen und überzeugte einige Fischer und die Hotelbetreiber des Ortes, Geld für den Kauf von Schnellbooten zur Kontrolle der Küste zu investieren.

Die Kontrolle in Eigenregie funktionierte und laut Pepe Murrieta ist das Korallenriff heute wieder zu 90 Prozent gesund. Auch in anderen Gegenden zeigt sich, dass ohne Engagement der Menschen vor Ort kaum etwas zum Schutz der Korallen unternommen wird. So mussten die Fischer auf Puerto Rico ihre Regierung mehrere Jahre unter Druck setzen, bis diese ein einzigartiges Korallenriff vor der kleinen Insel Culebra zum Naturschutzgebiet erklärte. Bis dahin war es fast zu 40 Prozent abgestorben, da Scharen von Touristen sich hier Korallenzweige als Erinnerungsstücke abbrachen.

Auch in Jamaica schauten die Behörden jahrelang tatenlos zu, wie der berühmte Strand Negril immer kleiner wurde. Allein zwischen 1995 und 1998 trug die Flut zehn Meter des Strandes mit sich. Der Grund für diese Veränderungen wird im Absterben des großen Riffs im Norden Jamaicas gesehen. Erst als sich Fischer, deren Erträge ständig sanken, Vertreter der Tourismusindustrie und Umweltschützer zusammentaten und die Regierung unter Druck setzten, wurden Maßnahmen zum Schutz der Korallen ergriffen.

Dramatischer noch ist die Lage in Haiti, wo Regierung und Staat so wenig entwickelt sind, dass Themen wie Umweltschutz kaum eine Rolle spielen. Das von der Unesco geförderte Umweltschutzprogramm Foprobin hat hier inzwischen die Aufgabe übernommen, mit der betroffenen Bevölkerung Umweltpolitik zu machen. „Wir unterstützen die Gruppen, die gemeinsame Strategien entwickeln und versuchen, die Ressourcen ökologisch nachhaltig zu nutzen,“ erklärt Jean Winter von Foprobin.

 

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