Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen Nr. 429 vom 5. Mai 2000
Inhalt
PUERTO RICO
HAITI
KUBA/USA
MEXIKO
GUATEMALA
NICARAGUA
EL SALVADOR
COSTA RICA
KOLUMBIEN
PERU/KOLUMBIEN
PERU
BOLIVIEN
ARGENTINIEN
BRASILIEN
URUGUAY
PUERTO RICO
Situation in Vieques angespannt
(Vieques, 2. Mai 2000, pulsar-Poonal).- In Vieques herrscht Alarmbereitschaft, da jederzeit mit der Räumung der Protestcamps durch die US-Marine gerechnet wird (vgl. Poonal 428). Die Ankunft von drei weiteren US-Marineschiffen in den Gewässern der zu Puerto Rico gehörenden Insel am Anfang der Woche haben diesen Eindruck verstärkt. Die Demonstranten haben angesichts des ungleichen Kräfteverhältnisses klar gemacht, nur friedlichen Widerstand leisten zu wollen und sich Verhaftungen nicht zu widersetzen.
HAITI
Weiteres Flüchtlingsdrama
(Port-au-Prince, 1. Mai 2000, sicrad-Poonal).- Die Verlockung des nordamerikanischen El Dorados als Alternative zu ihrer heimatlichen Misere hat erneut Todesopfer unter den haitianischen Bootsflüchtlingen gefordert. Für die etwa 600 Überlebende von ihnen, die in der vergangenen Woche versucht hatten heimlich Florida zu erreichen, beginnt in den kommenden Tagen die Rücksendung nach Haiti. Am 26. April waren die Flüchtlinge bei Flamingo Key, einer kleinen unbewohnten Insel in der Nähe der Bahamas gefunden worden. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 14 von ihnen an Hunger und Durst gestorben. Das Boot, das sie transportierte, hatte Schiffbruch erlitten. Die US-Behörden brachten die Menschen nach Nassau, Bahamas, wo viele von ihnen aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes ärztlich versorgt werden mussten.
Wahlen: Skeptiker erhalten Nahrung
(Port-au-Prince, 2. Mai 2000, sicrad-Poonal).- Jüngste Äußerungen von Leon Manus, dem Vorsitzenden des Provisorischen Wahlrates, lassen Zweifel daran aufkommen, dass die neuen Wahltermine tatsächlich eingehalten werden. Falls die Gewalt und aufgeputschte Stimmung im Land bestehen bleibe, „wird es keinen Raum für Wahlen geben“, so Manus am 27. April. Gleichzeitig bekräftigte er den Willen des Wahlrates, den Urnengang durchzuführen. Die Einrichtung sei „technisch“ bereit. Nach einem Treffen zwischen Wahlrat und verschiedenen politischen Parteien und Organisationen herrschte bei vielen Enttäuschung und Skepsis vor. Sie sprechen Manus den Willen ab, die neuen Termine im Mai und Juni wirklich einzuhalten.
Mord an Journalisten wirft viele Fragen auf
Von Jane Reagan und Laurie Richardson
(Port-au-Prince/Fort Lauderdale, April 2000, na-Poonal).- „Punkt Sieben! Radio Haiti! Guten Tag!“. Über Jahre hinweg hörten zehntausende, wenn nicht hunderttausende von Personen jeden Morgen diesen Gruß von Jean Dominique in seinem Radio Haiti Inter. Mehr als 15.000 Menschen kamen am 8. April zusammen, um zum letzten Mal seine Stimme vom Band zu hören. Es war die große Beerdigungsfeier im Nationalstadion im Rahmen einer dreitägigen Staatstrauer, mit der 69-jährige Journalist geehrt wurde. Zwei Männer hatten ihn und Jean- Claude Louissaint, den Wächter des Senders, am 3. April erschossen. Dominique war auf dem Weg ins Studio von Haiti Inter, um sein tägliches Programm vorzubereiten.
Die rauhe, leidenschaftliche, strenge und engagierte Stimme begleitete jahrelang Berufstätige im Stau auf dem Weg zur Arbeit; Mitglieder der über das Land verstreuten Community Radios; Politiker, die auf die Vorgänge im Land achteten; Arbeitslose, die an den Straßenecken auf Gelegenheitsarbeiten warteten , Studenten, Mütter, Bankleute und Geistliche. Sechs Tage in der Woche, grüßte Dominique zusammen mit seiner Frau und dem Journalisten Michéle Montas Haiti und begann eine 90-minütige Nachrichtensendung, die durch professionelle und kritische Berichterstattung der Mitarbeiter*innen gekennzeichnet war. Um 8 Uhr stoppte er manchmal plötzlich und schrie „die Fahne!“ und die Nachrichten machten der Nationalhymne Platz.
Radio Haiti Inter sendete ebenfalls ein beliebtes Interview-Programm von Dominique – „Im Angesicht der öffentlichen Meinung“ – in dem er eine breite Palette von Gästen präsentierte. Angefangen von Ex-Präsident Jean-Bertrand Aristide über internationale Ökonomen sowie Campesinos bis hin zu Arbeitslosen. Gleichfalls leitete er Sendungen über Poesie, Theater, Kunst und Musik, ging auf Frauenthemen und die Situation der Bauern im Land ein. Sein unermüdlicher Einsatz für die Armen machten Dominique zum prominentesten demokratischen und für die Meinungsfreiheit engagierten Journalisten des Landes. Doch er machte sich so auch Feinde. Aber ob Freund oder Feind, fast alle Beteiligten des tumultreichen politischen Leben Haitis stellten seinen Radiosender ein.
Spross einer gutsituierten Familie und mit einem Studienabschluss als Agronom ausgerüstet gründete Dominique Radio Haiti Inter in den 60er Jahren. Sein Bruder, ein Militär, war eines der ersten Opfer der Duvalier-Diktatur. Aber weit davon entfernt, sich einschüchtern zu lassen, machte Dominique seinen Radiosender zu einem Verfechter der Demokratie und zu einem der ersten Sender, der regelmäßig auf Kreolisch übertrug. Die Sprache benutzt die Mehrheit der Bevölkerung, während das Französisch nur von einer Elite verstanden wird. „Ich versuchte, das Kreolisch einzuführen und ich versuchte, Information einzuführen – ein sehr riskantes Unterfangen“, sagte Dominique in einem Interview mit dem nordamerikanischen Kino-Regisseur Jonathan Demme.
1980 versetzte das Regime von Jean-Claude Duvalier Haiti Inter und anderen privaten Radios einen harten Schlag. Es schloss die Sender, schüchterte Journalisten ein und zwang etwa 120 Personen einschließlich Dominique ins Exil. Ein Journalist von Haiti Inter, der Dichter Richard Brisson, wurde zwei Jahre später umgebracht, als er zurückzukehren versuchte. Im Jahr 1986, nach dem Sturz von Duvalier, konnten Dominique und seine Familie wieder ins Land. Am Flughafen wurden sie von einer 50.000-köpfigen Menschenmenge empfang. Haiti Inter ging sofort wieder auf Sendung und übernahm eine führende Rolle in der demokratischen Bewegung.
Der Militärputsch, der 1991 mit Aristide den ersten demokratisch gewählten Präsidenten zu Fall brachte, zwang Dominique und seinen Sender erneut zum Schweigen. Sie hatten den Präsidenten offen unterstützt. Dominique musste wieder ins Exil, wo er aktiv in der Bewegung gegen den Putsch teilnahm. Haiti Inter ging ein weiteres Mal auf Sendung, als 1994 die „demokratische Ordnung“ wieder hergestellt wurde. Die Schusslöcher in der Fassade des Gebäudes von Radio Inter geben jedoch bis heute Zeugnis der anti-demokratischen Kräfte.
Seit der Neuaufnahme des Sendebetriebes hat das Radio umstrittene Themen behandelt, die die Machtstrukturen in Wallung gebracht haben. Mehrmals kritisierte Haiti Inter die Regierung von Aristide und seines Nachfolgers René Préval, obwohl Dominique dem ehemaligen Präsidenten nahe stand und Mitglied des „Privatkabinettes“ von Präsident Préval war.
Im Radio gab es eine Kampagne gegen ein pharmazeutisches Unternehmen im Besitz einer der „fünf Familien“ der haitianischen Elite. Die Firma hatte einen Hustensaft vermarktet, an dem 60 Kinder starben. Haiti Inter klagte eine verdächtige Vereinbarung zwischen der Regierung von Aristide und einer anderen Familie der Elite an. Auch der Gebrauch von importierten Ethanol für einen Likör „Made in Haiti“ deckten die Journalisten auf. Ebenso offen wurde angesprochen, dass die Projekte der Regierung Aristide feiger Klientelwirtschaft nahe kamen. Der Sender kämpfte gegen die Macht der Großgrundbesitzer und beteiligte sich am Regierungsprogramm für Landverteilung. Das Bürgertum klagte er an, die Hautfarbe erneut zum Thema machen zu wollen.
In den zurückliegenden sechs, von Verwirrung, Enttäuschung und Straffreiheit gekennzeichneten Jahren richtete Haiti Inter seine Aufmerksamkeit auf die demokratische Reform. Häufig standen die Kräfte auf der Anklagebank, die Dominique als Hindernisse für die Veränderung ansah. Zuletzt kritisierte er scharf die US-Regierung und deren Rolle bei den Wahlen, die ursprünglich im Januar stattfinden sollten. „Der Wahlprozess, beginnend mit dem Wahlregister, wird sichtbar von einem ausländischen Unternehmen gemanagt, von einer ausländischen Macht finanziert, ohne dass uns haitianischen Bürgern gegenüber Rechenschaft abgelegt wird“, erklärte Dominique im Januar.
Die Mehrheit der Beobachter betrachten den Mord an Dominique als den wichtigsten politischen Mord in der Zeit seit dem Sturz der Militärregierung 1994. Politiker, Menschenrechtsorganisationen, einheimische und ausländische Journalisten äußerten ihre Empörung und verlangen von der Regierung Préval die erforderlichen Maßnahmen, die Verantwortlichen zu finden und zu bestrafen. Viele machten ihrem Zorn gegen die Regierung wegen der allgemeinen Straffreiheit in Haiti Luft. Viele weisen ebenfalls auf die Regierung der USA, und besonders den Geheimdienst CIA, weil sie im geheimen die rechtsgerichteten Gegner der Demokratie unterstützen.
Bischof Willy Romélus, ein weiterer alter demokratischer Aktivist und erster Redner auf der Beerdigung, drückte seinen Verdacht aus. „Wir müssen uns zusammentun und uns denen gegenüber stellen, die hier oder international verhindern möchten, dass Haiti vorwärts kommt“, erklärte er. „So wie Jean uns immer sagte… wir müssen kämpfen, damit niemand kommt und unserem Land seinen Willen aufdrängt. Es lebe die Entwicklung eines freien und gedeihenden Haitis, dass keinem Diktat einer anderen Nation folgt!“
An der Messe nahmen neben Préval und Aristide, die Vertreter verschiedenster Berufsgruppen sowie tausende Bauern aus dem ganzen Land teil. Préval verlieh Dominique posthum einen Staatsorden, doch es war der Journalist und Mitarbeiter von Haiti Inter, Sony Estéus, der vielleicht die beste Ehrung aussprach, indem er die Journalisten des Radios bat, den von Dominique vorgezeichneten Weg weiter zu gehen.
„Solange es Großgrundbesitzer gibt, die die kleinen Landwirte unterdrücken und massakrieren, solange es Bauern ohne Land gibt, solange die Arbeiter keine besseren Bedingungen und Löhne bekommen, solange die Bewohner der Armenviertel in der Misere bleiben, solange es betrügerische Unternehmer gibt, solange Leute Staatsgelder veruntreuen, solange die mächtigen Länder sich wie Aasgeier auf Haiti stürzen, solange wird Haiti Inter präsent sein, stärker als je zuvor. All das ist eine Art, den Mördern von Jean zu sagen, dass sie niemals die Ideen umbringen können, die er verteidigte“, sagte Estéus in dem vollen Nationalstadion.
Haiti Inter nahm wenige Tage nach dem Begräbnis seine regelmäßigen Sendungen wieder auf. Die Asche von Dominique wurde am 16. April in den Fluss Artibonite gestreut.
KUBA/USA
New York Times macht Sinneswandel bei Republikanern im Fall Elian aus
(Washington, 3. Mai 2000, pl-Poonal).- Nach Informationen der Tageszeitung „New York Times“ befinden sich die republikanischen Abgeordneten im US-Kongress im Fall Elian auf dem Rückzug. Sie hatten anfangs energisch die Aktion der Bundesjustizbehörde kritisiert, den kubanischen Jungen mit Gewalt aus dem Haus seiner Verwandten in Miami zu bringen und ihn in die Obhut seines Vaters zu geben. Jetzt stehen die Anhörungen dazu in Frage, weil sich „Republikaner in Senat und Abgeordnetenhaus von der Sache distanzieren“, so die Times. Die Zeitung schreibt dies der zunehmenden Auffassung in der republikanischen Partei zu, man könne sich verkalkuliert haben. In der us-amerikanischen Öffentlichkeit stößt die aggressive Haltung der Anti-Castro-Gemeinde in Miami zunehmend auf Unverständnis.
MEXIKO
Dollarregen der EmigrantInnen
(Mexiko-Stadt, 1. Mai 2000, na-Poonal).- Nach Angaben der mexikanischen Zentralbank schickten im Ausland – vorrangig den USA – lebende Mexikaner*innen im vergangenen Jahr fast 6 Milliarden Dollar an ihre Familienangehörigen. Das entspricht der Hälfte der ausländischen Direktinvestitionen in Mexiko, die 11,56 Milliarden Dollar betrugen oder 60 Prozent der Erdöl-Exporte des Landes. Die Tourismuseinnahmen von 2,8 Millarden Dollar im Jahr 1999 übersteigen die Auslandsüberweisungen von Mexikanern um ein Weites. Sie haben in den zurückliegenden Jahren stark zugenommen. 1995 lagen sie noch bei 3,7 Milliarden Dollar. Zu den Überweisungen von 6 Milliarden müssen noch gut 2 Milliarden Dollar gerechnet werden, die zurückkehrende Mexikaner im vergangenen Jahr aus dem Ausland mitbrachten.
Journalist ermordet aufgefunden
(Ciudad Juarez, 1. Mai 2000, pulsar-Poonal).- Der 29-jährige mexikanische Journalist José Ramírez Puente wurde in der Grenzstadt zu den USA, Ciudad Juarez, ermordet aufgefunden. Die in einem Auto abgelegte Leiche des am Freitag als vermisst Gemeldeten wies mehrere Dutzend Stichwunden auf. Außerdem fanden sich in dem Auto acht Pakete Marihuana. Sie gelten als vom Mörder gelegte Fährte, um die Ermittlungen in die Irre zu leiten. Puente arbeite bei dem Sender Radio Net. Er stand im Ruf, trotz seiner ökomischen Probleme nicht bestechlich zu sein. In Ciudad Juarez sind innerhalb der vergangenen zehn Jahre fünf Journalist*innen auf gewaltsame Weise umgekommen. Nur einer dieser Fälle konnte teilweise aufgeklärt werden.
GUATEMALA
Drei Militärs offiziell wegen Mord an Bischof Gerardi angeklagt
(Guatemala-Stadt, 27. April 2000, alc-Poonal).- Zwei Jahre nach dem Mord an Bischof Juan Gerardi (26. April 1998) hat ein Staatsanwalt offiziell Anklage gegen drei Militärs wegen der Beteiligung an dem Verbrechen gestellt. Die Staatsanwaltschaft beschuldigt Hauptmann Byron Lima Oliva, Oberst a.D. Byron Lima Estrada sowie den Gefreiten Obdulio Villanueva, den Bischof hingerichtet zu haben. Die Anklage erfolgte in letzter Minute. Eine Richterin hatte damit gedroht, den Fall bei Fristverstreichung zu archivieren und gab drei Tage Zeit für die formelle Anklage. Das Ermittlungsverfahren ist von Zwischenfällen geprägt, die viele entmutigt haben. Sie wie auch die katholische Kirche zweifeln sie daran, dass die Motive der Tat aufgeklärt werden und die intellektuell Verantwortlichen gefunden und bestraft werden. Bisher haben drei Staatsanwälte und drei Richter den Fall abgegeben oder ihren Rücktritt erklärt. Fast immer war diesem Schritt der Erhalt anonymer Drohungen vorausgegangen. Einige der Juristen sahen sich veranlasst, ins Exil zu gehen.
Fahrpreis-Erhöhung in Guatemala-Stadt nach schweren Unruhen ausgesetzt
Ausrangierte US-Schulbusse werden zum Symbol der politischen Krise
Von Sandra Corona
(Guatemala-Stadt, 30. April 2000, npl).- Nach tagelangen Ausschreitungen, die vier Todesopfer forderten, hat die Regierung Guatemalas den Rückwärtsgang eingelegt: Sie nahm die Erhöhung der städtischen Buspreise in Guatemala-Stadt um 50 Prozent zurück, die vor Wochenfrist die gewaltsamen Proteste ausgelöst hatte. Zuvor waren am Freitag Bürgermeister Fritz Garcia-Gallont von der oppositionellen PAN mit Präsident Alfonso Portillo (FRG) zusammengetroffen, der hierfür seine Reise nach Costa Rica vorzeitig abbrach.
Die Proteste waren am Donnerstag (27.4.) eskaliert: In der Hauptstadt herrschte Chaos, Tausende kamen nicht zur Arbeit, Märkte, Banken und Restaurants blieben geschlossen. Selbst die Straßenverkäufer gaben ihr Geschäft in Zentrum auf. Die Polizei riegelte die Innenstadt weiträumig ab. Wie leergefegt war der zentrale Busbahnhof in der geschäftigen 18. Straße, wo sonst täglich Hunderttausende aus den Randbezirken der Dreimillionen-Stadt eintreffen. Vier von privaten Wachleuten erschossene Menschen – darunter ein Fotojournalist -, viele Verletzte, an die hundert Festnahmen und über 20 ausgebrannte Busse sind die vorläufige Bilanz der Proteste, die zugleich die erste handfeste Krise der gerade einmal vier Monate alten Portillo-Regierung bedeuten.
Offenbar ließ die rechtsextreme Regierungspartei FRG (Republikanische Guatemaltekische Front) den Bürgermeister der ehemaligen Regierungspartei, konservativen Partei des Nationalen Fortschritts (PAN) ins offene Messer laufen: Die Regierung weigerte sich, den öffentlichen Nahverkehr in Guatemala-Stadt wie bisher zu subventionieren, während sie Bereiche wie Elektrizität oder Saatgut weiterhin finanziell unterstützt. So sah sich Bürgermeister Garcia-Gallont gezwungen, die Preise freizugeben, woraufhin das private Busunternehmer-Monopol die saftige Erhöhung um 50 Prozent verkündete. Dass dies zu Gewaltausbrüchen führen würde, war aus der Vergangenheit gut bekannt, entsprechende Warnungen blieben ungehört.
Die knatternden, stinkenden US-Schulbusse aus den 60er Jahren wurden damit zum politischen Kristallisationspunkt. Die Mehrheit der Hauptstadtbewohner lebt in den Elendsvierteln rund um die Metropole und ist auf den Busverkehr angewiesen, um die oft mehr als einstündigen Wege zur Arbeit zurück zu legen. Dabei müssen viele mehrmals umsteigen und mangels der Existenz von Monatskarten jedesmal wieder neu bezahlen. Schon jetzt entsprechen die Fahrtkosten einem Viertel des durchschnittlichen Monatsgehalts einer Familie. Kein Wunder, dass die Preiserhöhung das Fass zum Überlaufen brachte.
Die Proteste radikalisiert haben aber vor allem die sogenannten „ayudantes“, die von den Busfahrern beschäftigt werden, um das Fahrtgeld in den zumeist überfüllten Bussen zu kassieren und lauthals die Fahrtroute bekannt zu geben. Die FRG will diese Tätigkeit ab dem 1. Juni verbieten. Damit würden etwa 3.000 hauptsächlich minderjährige Männer arbeitslos werden.
Die Unruhen sind auch ein Ausdruck der Frustration vieler Guatemalteken nach 100 Tagen FRG-Wirtschaftspolitik. Nicht nur die Fahrpreise stehen zur Disposition, auch Benzin und Wasser sind teurer geworden. Und die vollmundige Ankündigung des sich populistisch gebenden Staatschefs Portillo, die Löhne aller Beschäftigten um etwa 30 Dollar zu erhöhen, ist bisher nichts als ein leeres Versprechen.
Noch ist unklar, ob die Regierung oder die PAN-Opposition den hässlichen Zank auf dem Rücken der verarmten Bevölkerung gewonnen hat. Präsident Portillo – einst ein Mann der Linken und heute Aushängeschild der rechtsextremen FRG – ist jedenfalls in der Klemme. Bei der Opposition wie in der Bevölkerung macht er sich unbeliebt, und im Regierungslager mangelt es ihm an Rückhalt. Hier ist FRG- Gründer und Parlamentspräsident Efrain Rios Montt der starke Mann. Gern hätte Montt selbst für das höchste Staatsamt kandidiert, doch aufgrund seiner Vergangenheit durfte er nicht. Anfang der 80er Jahre führte der General eine blutige Putschregierung an, und die spanische Justiz ermittelt inzwischen gegen ihn wegen Völkermords.
NICARAGUA
Eklat beim (un-)diplomatischen Empfang
(Managua, 1. Mai 2000, pulsar-Poonal).- Während eines Empfangs des nicaraguanischen Außenministers Eduardo Montealegre für das ausländische Diplomatencorps geriet ein angetrunkener Präsident Arnoldo Aleman beinahe tätlich mit dem kubanischen Botschafter aneinander. Nach Aussagen von Anwesenden soll Aleman auf beleidigende und grobschlächtige Weise seiner bekannten Gegnerschaft zum Regime von Fidel Castro Luft verschafft haben. Der verärgerte Botschafter Damián Arteaga warf daraufhin eine Zigarette in Richtung des nicaraguanischen Präsidenten, die dessen Gesicht streifte. Viele der Eingeladenen verließen nach dem Zwischenfall den Ort. Bei der seiner Ankunft in alkoholisiertem Zustand hatte Aleman zuerst versucht, einen Streit mit dem Repräsentanten des Entwicklungsprogrammes der Vereinten Nationen (PNUD) vom Zaun zu brechen. Diesem gelang es aber, der Provokation auszuweichen. Das Verhalten Alemans wird als Motiv dafür angegeben, dass auf der Konvention der Regierungspartei am Sonntag das diplomatische Korps fast vollständig fehlte. Nur die Botschafter Spaniens und Taiwans zeigten sich.
EL SALVADOR
FMLN vom Parlamentsvorsitz ausgeschlossen
(San Salvador, 2. Mai 2000, pulsar-Poonal).- Obwohl erstmals stärkste Fraktion im Parlament wird die linksgerichtete FMLN nicht die Kongresspräsidentschaft innehalten. Die 29 Abgeordneten der Regierungspartei ARENA schlossen einen Pakt mit den zwei kleineren Rechtsparteien und sicherten sich so eine Stimmenmehrheit für den Beschluss. Die Rechte will den Posten unter den drei Parteien rotieren lassen. Die Vereinbarung verstößt gegen die Tradition des Parlamentes, den Vorsitz über die gesamte Legislaturperiode in den Händen der größten Fraktion zu lassen – in der Vergangenheit hatte es sich dabei allerdings stets um eine rechte oder rechtsextreme Partei gehandelt. Die FMLN will juristisch gegen die Entscheidung vorgehen. Das Zusammengehen von ARENA, der Partei der Nationalen Versöhnung (PCN) und der rechten Christdemokraten (PDC) gibt einen Vorgeschmack auf die weitere Politik im Parlament. Rein rechnerisch erreichen sie 48 von 84 Abgeordneten-Stimmen, eine relative sichere Mehrheit. Die FMLN hat allerdings bei Gesetzen, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern, mit ihren 31 Stimmen eine Sperrminorität.
COSTA RICA
Kranke Ärzte
(San Jose, April 2000, na/ips-Poonal).- Ärzte in Costa Rica leben kürzer als der Durchschnitt der Bevölkerung. Offenbar ist ihr Beruf nach der Studie eines Berufskollegen schädlich für die Gesundheit. Während die allgemeine Lebenserwartung 76 Jahre beträgt, erreichen die costarikanischen Ärzte durchschnittlich nur ein Lebensalter von 62,5 Jahren. Die von Ärzten erteilten Ratschläge für ein ausgewogenes Essen und ein möglichst spannungsfreies Leben werden von ihnen selbst nicht befolgt. Grundlage der Untersuchung sind die Todesfälle von 500 Ärzten zwischen 1975 und 1999. Mit einem Anteil 65 Prozent starb der überwiegende Teil der Ärzte an Herzkrankheiten, 9 Prozent an Lungenproblemen und 2,2 Prozent aufgrund von Krebs. Die übrigen Fälle verteilen sich auf verschiedenste Ursachen. Vom Genießen des Ruhestands kann bei den Ärzten keine Rede sein. Der gesetzliche Eintritt ins Rentenalter stimmt mit ihrer durchschnittlichen Lebenserwartung überein.
KOLUMBIEN
FARC präsentieren politischen Arm
(Bogota, Mai 2000, alai-Poonal).- In der von ihr kontrollierten Zone stellten die Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (FARC) am 29. April offiziell die „Bolivarianische Bewegung für das neue Kolumbien“ vor. Es soll nach dem Willen der wichtigsten Guerillagruppe des Landes ein „ziviles Instrument, eine Alternative zu den traditionellen Parteien“ sein. Mitarbeiten sollen kolumbianische Bürger*innen verschiedenster Herkunft. Hauptthemen werden nach dem Diskurs der FARC die Verteidigung der nationalen Eigenständigkeit, ein anderes und gerechteres Wirtschaftssystem, der Erlass der Auslandsschuld, eine neue nicht am Großgrundbesitz orientierte Agrarpolitik sowie der Umweltschutz sein.
Die neue politische Option wird sich jedoch im Untergrund halten. „Wir werden nicht die Erfahrung der Union Patriotica wiederholen, wo das Heldentum ihrer Mitglied und die Großzügigkeit ihres Engagements brutal niedergeschlagen wurden… bis dass sie praktisch verschwand“, heißt es zur Begründung. In diesem Sinne wird versichert, die Bewegung garantiere ihren Mitgliedern, die politische Zugehörigkeit nicht offenzulegen. Falls das politische System sich positiv ändere, könnten sich allerdings andere Arbeits- und Organisationsformen entwickeln.
Eine „neue Linke“ will Einfluss auf die Politik nehmen
(Bogota, 26. April 2000, ac-Poonal).- Mit dem „sozialen und politischen Bündnis“ ist Mitte April eine linke Sammelbewegung entstanden, die sich zum Ziel gesetzt hat, einen radikalen Wechsel in den Machtbeziehungen des Landes herbeizuführen. In der Linken gibt es leichten Optimismus: Der Eröffnungsakt zur Lancierung des Bündnisses am 12. April Bogota hinterließ den Eindruck, eine gemeinsame Arbeit von sozialen und politischen Organisationen, die in der Vergangenheit derart oft Schiffbruch erlitt, könne möglich sein. Rund 3.000 Personen verschiedenster gesellschaftlicher Gruppen nahmen an der Veranstaltung teil. Darunter politische Bewegungen wie die Unión Patriótica, die Kommunistische Partei und die Bewegung der sozialistischen Erneuerung, aber auch die wichtigsten Gewerkschaftszentralen, angeführt von der CUT, das Bürgerinitiativen-Netz für den Frieden und gegen den Krieg und die nationale Versöhnungskommission.
Die Herausforderungen an das Bündnis sind nicht einfach: Zum einen müssen sie sich vor den extremen Rechtsgruppierungen schützen. Diese haben mit ihren Kugeln die politischen Alternativen mehrmals zum Schweigen gebracht. Der repräsentativste Fall ist dabei der Genozid an der Unión Patriótica (UP), deren Kader regelmäßig und fast vollständig umgebracht wurden. In zweiter Linie gilt es, sich den traditionellen Parteien zu stellen, die mittels der Bürokratie, dem Klientelismus, dem Stimmenkauf und den Medien sich seit mehr als 150 Jahre an der Macht halten. Drittens geht es aber auch um die Überwindung von sektiererischen Praktiken und Diskursen, die mit dazu beigetragen haben, die unbewaffnete Linke in Kolumbien zu marginalisieren.
In seiner Rede bezeichnete CUT-Präsident Luis Eduardo Garzón, gewichtigste Führungsperson in der neuen Organisation, das Bündnis als einen offenen, toleranten und kritischen Raum mit „Farbe, Geschmack und Geruch“, ein kollektives Projekt, das die in ihm vereinten verschiedenen regionalen Interessen und die Autonomie und Identität der sozialen und politischen Bewegungen respektiere und toleriere. Er wies darauf hin, dass die Bewegung nicht geschaffen wurde, um das Land zu polarisieren, sondern um Identitäten zu artikulieren, zu vereinen und aufzubauen. Dabei zeigte er auf das Beispiel des Breiten Bündnisses (Frente Amplio) in Uruguay hin, in dem 28 soziale und politische Organisationen vertreten sind und das bis heute wichtige Erfolge erzielen konnte.
In bezug auf den internen bewaffneten Konflikt bekräftigte Garzón die Unterstützung des Bündnisses für eine politische Lösung. Er sprach sich für die Nationale Konvention der Guerilla-Gruppe ELN sowie den laufenden Friedensprozess mit den FARC aus. Gleichzeitig kritisierte er jedoch die Sprengung von Elektrizitätsleitungsmasten durch die ELN, Massenentführungen und sämtliche Aktionen gegen die Zivilbevölkerung. Ebenso kritisierte Garzón vehement den Plan Colombia und allgemein die Politik der Regierung. Sie polarisiere, verschärfe den militärischen Konflikt und schiebe Lösungen von wichtigen Probleme des Landes wie Arbeitslosigkeit und Armut auf.
Der Gewerkschaftsführer forderte die traditionelle politische Klasse der liberalen und konservativen Partei auf, die Verantwortung für den Zustand des Landes mit einem Wirtschaftsrückgang von 5 Prozent im vergangenen Jahr, einer Arbeitslosigkeit von 20 Prozent und einer Unterbeschäftigtenrate von 58 Prozent zu übernehmen. In Bezug auf das Wirtschaftsmodell schlug er eine gemischte und pluralistische Wirtschaft vor, wobei die Existenz einer Marktwirtschaft anerkannt werden soll. Dabei bezeichnete er jedoch die staatliche Verantwortung im Bereich der sozialen Sicherheit, der Souveränität und der öffentlichen Dienstleistungen wie auch der sozialen Basisdienstleistungen als nicht delegierbar.
Am kommenden 20. Juli ist die Durchführung eines ersten nationalen Kongresses des Bündnisses vorgesehen. Dabei soll seine Funktionsweise, die organische Struktur und die politische und programmatische Mitbeteiligung diskutiert werden. All dies mit der Idee, „eine Chance und nicht eine weitere Frustration zu sein“, wie es in Bogota hieß.
Politischer Hintergrund für Massaker in Gefängnis vermutet
(Bogota, 30. April 2000, pulsar-Poonal).- Bei einem Massaker im Hauptgefängnis von Bogota sind Ende der Woche fast 30 Menschen getötet und über 20 zum Teil schwer verletzt worden. Menschenrechtsorganisationen haben den Verdacht geäußert, es handelt sich um ein gezieltes Verbrechen von inhaftierten Paramilitärs mit der Billigung von Militärs und Gefängnisfunktionären. Sie stützen ihre Ansicht darauf, dass mehr als die Hälfte der Toten und Verwundeten keine gewöhnlichen Kriminellen sind, sondern politische und soziale Führungspersönlichkeiten, denen bei ihrer Verurteilung die Mitgliedschaft in der Guerilla vorgeworfen wurde.
In dem Gefängnis sind die politischen Häftlinge und die Paramilitärs in verschiedenen Blöcken untergebracht. Mehrfach hatte es gegenseitige Anschuldigungen und Attacken gegeben. Die Gewerkschaft der Gefängniswächter und die Familienangehörigen der politischen Häftlinge hatten zuvor erfolglos bei der Regierung auf eine schärfere Trennung der beiden Gruppen plädiert. Der schreckliche Ausgang der jüngsten Auseinandersetzung war möglich, weil es für die Häftlinge offenbar kein Problem war, an automatische Schusswaffen, Pistolen und andere Waffen heran zu kommen.
PERU/KOLUMBIEN
Tödlicher Regen – Die Exzesse der Drogenbekämpfung
Von John Ludwick
(Lima, 1. Mai 2000, na-Poonal).- Anfang Februar flogen drei Helikopter eine kleine Bauerngemeinde im Zentralurwald von Peru. Sie versprühten eine feine Giftmischung, die auf die Tropenvegetation niederrieselte. Stunden später starb in der Gemeinde ein 18 Monate altes Kind, allem Anschein nach an Vergiftung. Das Kind ist das jüngste Opfer der Drogenbekämpfung und laut Auffassung einiger, eines geheimen „schmutzigen Krieges“ gegen die Produzenten der Koka-Pflanzen. Im benachbarten Kolumbien erwägen die Behörden, ein umstrittenes und kaum untersuchtes Gift bei der Vernichtung der Koka-Pflanzungen einzusetzen.
Beim Todesfall in der peruanischen Gemeinde Huancarumi hatte die Mutter des Kindes in einer Pflanzung gearbeitet und ihr Kind auf dem Rücken geschnürt. Einer der drei Polizeihubschrauber soll nach Zeugenaussagen direkt über die beiden hergeflogen sein und die Giftmischung über ihnen abgelassen haben. Der Vorfall sorgte für Entrüstung im Land, besonders bei den Kokaleros. Denn offiziell sind nicht sie persönlich, sondern ihre Pflanzungen das Ziel der Besprühungen. Bevor das Kind starb, klagte es über starke Bauchschmerzen, musste erbrechen und hatte schweren Durchfall. Für viele sind das Beweise für eine Vergiftung.
Wenige Tage später reiste ein Familienangehöriger in die nächstgelegene Stadt, Monzón. Er wollte ein formelle Beschwerde einlegen und eine Autopsie durchsetzen. Die Behörden zögerten die Autopsie erst hinaus und erklärten dann, sie würden sie nur durchführen, wenn die Familie dafür zahlte.
„Die Campesinos der Region machen eine schwierige wirtschaftliche Situation durch. Der Verlust von Pflanzungen hat zu Unterernährung und Tuberkulose geführt“, versichert Félix Huamán, stellvertretender Vorsitzender einer Organisation von Koka-Produzenten im Tal von Alto Huallaga. Die peruanische Regierung wird beschuldigt, mit Hilfe der USA seit mehreren Jahren ein geheimes Sprühprogramm zu fördern. So warnte nach den Zeugen in Huancarumi ein in der Nähe lebender Polizist die Bevölkerung, Wasser zu trinken. Es sei vergiftet. Zwar ließ die Regierung von Präsident Alberto Fujimori Ende März ein neues Gesetz verabschieden, dass die geheimen Sprühmethoden zur Koka-Vernichtung verbietet. Doch Beobachter bezweifeln, dass das Gesetz befolgt wird.
Und trotz des toten Kindes in Huancarumi sowie den Berichten anderer Bauern, leugnet die Regierung weiterhin die Sprühaktionen in den Koka-Regionen. Auch wenn Koka-Pflanzungen das Hauptziel sind, so sind andere Flächer in der Umgebung ebenfalls betroffen. Beispielsweise werden Kaffee- oder Bananenpflanzungen zerstört. Das verschlimmert die Lage für die Campesinos.
Für den Markt zubereitet, nehmen die Koka-Blätter zwei Richtungen: auf den relativ kleinen traditionellen Markt als Kaublätter oder Getränkezusatz sowie den weitaus lukrativeren Markt der Kokain-Produktion. Bis vor zwei Jahren war Peru der wichtigste Koka-Exporteur, inzwischen ist das Land von Kolumbien und Bolivien entthront worden und befindet sich auf dem dritten Platz. Nach Angaben des US-Außenministeriums sind 1999 in Peru 15.000 Hektar Koka-Pflanzungen vernichtet worden. Zwischen 1995 und 1998 soll sich die Anbaufläche bereits um 66 Prozent reduziert haben.
Die peruanischen Kokaleros bestehen darauf, dass weder sie noch die die blätterkauenden Indigenas Verbrecher sind. Sie verweisen auf diejenigen, die für die Verarbeitung zum Kokain verantwortlich sind und die Verkäufer und Konsumenten in den Straßen der USA und Europas. „Wir bauen Koka-Stauden an. Wir würden das nicht machen, wenn es gesetzeswidrig wäre und wir machen es, um zu überleben“, verteidigt sich Simeón Juanán, Präsident der Vereinigung der landwirtschaftlichen und Koka-Pflanzen-Produzenten in der Provinz Leoncio Prado- Tingo María. „Das ist kein Kokain.“
Die kolumbianischen Landwirte haben ihre eigenen Probleme. Die Regierung überlegt, eine Spezie des Pilzes Fusarium Oxysporum, einzusetzen. Umweltschützer befürchten, der zuvor nie in Kolumbien eingesetzte Miko-Organismus könne andere Pflanzen schädigen. Das UNO-Programm zur Internationalen Drogenbekämpfung (PNUFID) verhandelt mit der Regierung Feldversuche. Das Projekt mit Kosten von 23 Millionen Dollar würde von den USA und der UNO finanziert.
Den Pilz entdeckten Forscher der US-Regierung, nachdem er ein Koka-Versuchsfeld auf Hawaii infizierte. Viele Ökologen sind aber gegen Versuche in Kolumbien. „Die Hauptsorge ist, dass damit ein weiteres Mittel in das Programm der zwangsweisen Vernichtung, das schon zuviel Schaden angerichtet hat, eingeführt wird“, sagt Martin Jelsma von Transnational Institute mit Sitz in Holland. „Es wird eine größere Entwaldung und mehr Wanderung geben. Die Menschen werden in das Innere des Amazonasgebietes abgedrängt. Tomás León vom Institut für Umweltstudien stuft den Gebrauch dieses Mikro-Organismus bei bereits durch die Koka-Pflanzungen abgenutzten Böden als „sehr riskant“ ein. Er warnt vor der Anwendung in einem bereits brüchigen Öko-System.
Die Kokain-Produktion ist in Kolumbien ein millionenschweres Geschäft. Die Vereinigung der Finanzeinrichtungen (ANIF) schätzt den Verkaufswert von Kokain, Heroin und Marihuana im vergangenen Jahr auf 195 Millionen Dollar, fast soviel wie der Erlös aus dem Kaffee-Export. Laut ANIF werden etwa 122,500 Hektar Boden dem Anbau der Koka-Pflanze gewidmet. 50.000 Personen sollen ihr Einkommen durch den Anbau von Koka, Opium und Marihuana erzielen.
Eine verbreitete, aber wenig erfolgreiche Option neben dem biologischen und chemischen Krieg in Kolumbien und Peru ist die Vernichtung der Anbauflächen durch das Konzept der alternativen Entwicklung. In Peru sind diese Programme so gut wie überall gescheitert. Es gibt kaum Unterstützung für die Kokaleros, die Landwirte können keine befriedigenden Einkünfte mit anderen Produkten erreichen. So stand der Preis im Tal von Alto Huallaga im zentralen Urwald im September 1999 bei 2,74 Dollar pro Kilo Koka. Im Vergleich dazu erzielten Kaffee, Kakao und Yucca nur Preise von 1,05 bzw. 0,77 und 0,11 Dollar pro Kilo.
Außerdem ist die Koka-Pflanze sehr widerstandsfähig und wächst in verschiedenen Klimazonen. Die Blätter lassen sich leicht lagern und leicht mehrere Kilometer zum Markt transportieren. Bei Gemüseprodukten ist das anders. „Wir haben in vielen Jahren keine positiven Ergebnisse gehabt. Das ist die Realität“, gibt Simeón Juanán zu.
Die Kokaleros beklagen, dass der Großteil des Geldes ausländischer Regierungen für die Programme alternativer Entwicklung von der langsamen Bürokratie und der Regierungskorruption aufgesaugt wird. Für die Bauern bleiben nur 20 Prozent übrig. Sie erklären sich zu Treffen mit den Behörden bereit, wenn die Regierung ernsthaft durchführbare Alternativen vorschlägt. Solange fordern sie einen Stopp der Sprühaktionen. „Im Namen der Campesino-Frauen rufe ich die Zentralregierung und die sie unterstützenden Regierungen auf, die Sprühungen zu unterlassen, denn sie gefährden das Leben unserer Kinder“, sagt Azucena Veramendi, die Vorsitzende der Bäuerinnen im Tal von Monzón.
PERU
Streit zwischen Bischöfen schwelt weiter
(Lima, 2. Mai 2000, alc/pulsar-Poonal).- Die Meinungsverschiedenheiten in der katholischen Kirche über den Wahlprozess machen weiterhin von sich reden. Verantwortlich scheint vor allem die Position des Erzbischofs von Lima, Juan Luis Cipriani, zu sein. Der Vertraute von Präsident Fujimori wehrt sich gegen die Absicht der Mehrheit der Bischöfe, zwischen den beiden Kandidaten für die Stichwahl am 28. Mai zu vermitteln. Er lancierte Briefe an die Presse, die er zuvor allen Bischöfen zugeschickt hatte und in denen er dem Vorsitzenden der peruanischen Bischofskonferenz, Luis Bambaren, vorwirft, „seine Befugnisse überschritten zu haben“.
Die Bischofskonferenz gab Ende der vergangenen Woche ein Kommunique heraus, in dem sie klar stellt, sich mit keinem politischen System oder einer politischen Gruppe zu identifizieren. Sie könne jedoch mit einem moralischen Urteil intervenieren, selbst wenn dies die öffentliche Ordnung in Aufruhr bringe. Es sei Aufgabe der Kandidaten Fujimori und Toledo, der peruanischen Zivilgesellschaft einen vertrauenswürdigen Prozess zu garantieren. Die Bischöfe rufen die Präsidentschaftsanwärter auf, an das Wohl der Bevölkerung und nicht an ihre Interessen zu denken.
Stichwahl am 28. Mai
(Lima, 30. April 2000, pulsar-Poonal).- Das Rennen um das Präsidentenamt zwischen dem aktuellen Regierungschef Alberto Fujimori und seinem Gegenspieler Alejandro Toledo entscheidet sich am 28. Mai. Dieses Datum wurde vom Nationalen Wahlrat für die Stichwahl festgelegt. Erste Kritik gab es vom Ombudsman Jorge Satisteban Noriega. Er hält den 28. Mai für zu früh, um saubere Wahlen zu garantieren und die Manipulationsmöglichkeiten der ersten Runde auszuschalten. Im ersten Wahlgang hat Alberto Fujimori offiziell 49,87 Prozent erhalten, Alejandro Toledo 40,24 Prozent. Nur massiver nationaler und internationaler Druck und die Berichte über zahlreiche Unregelmäßigkeiten zugunsten des amtierenden Präsidenten verhinderten, dass Fujimori mit 50 Prozent der Stimmen zum Sieger im ersten Wahlgang erklärt wurde.
BOLIVIEN
Neues Kabinett
(La Paz, 28. April 2000, comcosur-Poonal).- Umbesetzungen und neue Gesichter kennzeichnen das neue Kabinett von Präsident Hugo Banzer. Nach der sozialen und politischen Krise der vergangenen Wochen war das alte Kabinett geschlossen zurückgetreten. Proteste in der Stadt Cochabamba aufgrund der Erhöhung von Wasserpreisen hatten sich ab Anfang April über das ganze Land ausgebreitet. Die Regierung versuchte mit der Verhängung des Ausnahmezustandes und hartem Vorgehen der Sicherheitskräfte vergeblich, der Lage Herr zu werden. In die Kritik geriet besonders Verteidigungsminister Jorge Crespo, der für die fünf Toten während der Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften verantwortlich gemacht wird. Er gehört zu den Ministern, die nicht mehr im neuen Kabinett vertreten sind. Mit einer Rücknahme der Wasserpreiserhöhung und Versprechungen erreichte Präsident Banzer eine Atempause, doch die schwierige wirtschaftliche Situation Boliviens bereitet potentiell die nächste soziale Krise vor.
ARGENTINIEN
Debatte um katholische Moral
(Buenos Aires, Mai 2000, na/ips-Poonal).- Die Weigerung einer katholischen Schule, eine schwangere 17-jährige Schülerin zum Unterricht zuzulassen, obwohl ein Gericht dies anordnete, hat eine heftige Debatte in Argentinien ausgelöst. Dort ist Sexualerziehung praktisch nicht existent und Abtreibung illegal. „Meine Tochter hat eine Familie, die sie schützt und unterstützt, aber was passiert mit den Mädchen, die von zuhause verstoßen und von der Schule ablehnt werden? Ihnen bleibt nur Abtreibung oder Suizid als Alternative“, so die Mutter der Heranwachsenden. Das schwangere Mädchen besuchte seit dem fünften Lebensjahr die Schule Santa Isabel in der nördlichen Provinz Formosa.
Gewerkschaftsbewegung gespalten
(Buenos Aires, 28. April 2000, comcosur-Poonal).- Mit einigen Konzessionen an die Opposition von der ehemaligen Regierungspartei, PJ, hat die Regierung von Fernando de la Rúa ein „Beschäftigungsgesetz“ durchgebracht, das verschiedene Arbeitsnormen aufweicht. In der mächtigen Gewerkschaftszentrale CGT, die der PJ nahesteht, scheiden sich an dem neuen Gesetz die Geister. Während ein Teil nach politischen Verhandlungen das Gesetz unterstützte, hat ein anderer Teil seine radikale Opposition erklärt und bereits mehrere Mobilisierungen durchgeführt, bei denen es zu Zusammenstößen mit der Bundespolizei kam. Für den 5. Mai kündigten die Gegner des Gesetzes einen landesweiten Streik an, der auch ein Test für den Rückhalt ihrer Position in der Gewerkschaftsbewegung ist. Hugo Moyano, der die CGT-Dissidenten anführt, wirft dem Regierungsbündnis und der PJ- Spitze Verrat vor. Die Regierung habe Angst, sich dem Internationalen Währungsfonds entgegen zu stellen, die die Arbeitsreform aufgezwungen habe. „Die Regierung wählte den leichtesten und bequemsten Weg. Sie verbündete sich mit den Mächtigen, um die einfachen Leute zu unterdrücken“, erklärte Moyano.
Heereschef dementiert Gerüchte über Rebellion
(Buenos Aires, 30. April 2000, pulsar-Poonal).- Die Verhaftungen von inzwischen sieben Offizieren im Zusammenhang mit dem Verschwindenlassen von 30 politischen Häftlingen unter der Militärdiktatur haben Unruhe in der argentinischen Armee ausgelöst. Heereschef General Ricardo Brinzoni dementierte aber Gerüchte, es bahne sich eine Erhebung der Militärs an. Mehr als alles andere handele es sich um eine „Sorge“ über das Schicksal der sieben Offiziere. Die Uniformierten würden aber Justiz und Verfassung respektieren und „niemals“ zu überwundenen Epochen zurückkehren, so Brinzoni in Anspielung auf die Putschversuche in den Jahren 1986 und 1987.
Chefetage des Strafvollzugs in Aufruhr
(Buenos Aires, April 2000, recosur-Poonal).- Das Justizministerium hat den Leiter Strafvollzugssystems und die Führung des geheimen Nachrichtendienstes im Strafvollzug abgesetzt. Minister Ricardo Gil Lavedra zog damit die Konsequenz aus einem immer weitere Kreise ziehenden Skandal. So soll es ein Komplott gegeben haben, den Untersuchungsrichter Alberto Baños umzubringen. Dieser geht Informationen nach, denen zufolge Häftlinge mit dem Einverständnis und teilweise im Auftrag von Funktionären des Vollzugssystems die Gefängnisse zeitweise verlassen konnten, um Verbrechen bis hin zum Mord zu begehen. Die argentinische Regierung ging nicht so weit, dass Strafvollzugssystem vollständig auszuwechseln, wie anfangs spekuliert worden war. Stattdessen haben die neuen Behörden ein Jahr Zeit, die Einrichtung von korrupten Funktionären zu säubern.
Extra-Größen für die Frauen
(Buenos Aires, April 2000, na/ips-Poonal).- Der argentinische Senat erwägt ein Gesetz, dass Textilunternehmen verpflichten soll, auch Kleidung in Extra-Größe für Frauen herzustellen. Ein Ziel ist es, damit krankhafter Schlankheitssucht vorzubeugen, von der ein Zehntel der heranwachsenden Mädchen betroffen ist.
„Wenn der Markt nicht auf die Gesundheit achtet, dann müssen wir das tun“, so die Autorin des Gesetzentwurfe, die Abgeordnete María del Carmen Banzas. Wenn die jungen Leute nicht ausreichend dünn wären, hätten sie Probleme, ihre Größen in den Geschäften zu finden. Nur wenige Marken würden sich auf größere Kleidung spezialisieren, die meisten produzierten nur die kleinsten Konfektionsgrößen.
In Argentinien besteht seit Ende der 80er Jahre eine starke Tendenz zum perfekten Körper. Das hat dem Land den ersten Platz bei der Zahl von Schönheitsoperationen in ganz Lateinamerika eingebracht. Ein hoher Prozentsatz von Heranwachsenden – zu 90 Prozent Frauen – leidet unter Ernährungsstörungen wie Heißhunger und Appetitlosigkeit.
BRASILIEN
Landlose machten am 1. Mai mobil
(Brasilia, 2. Mai 2000, pulsar-Poonal).- Tausende Mitglieder der Landlosenbewegung MST besetzten aus Protest gegen die Agrarpolitik der Regierung mehrere hundert öffentliche Gebäude in ganz Brasilien. Obwohl die Besetzungen in den meisten Fällen friedlich verliefen, gab es mehrere Auseinandersetzungen mit der Polizei. Diese setzte teilweise Tränengas und Gummigeschosse ein. Das hatte zahlreiche Verletzte zur Folge. Nach Angaben der MST nahm die Polizei zu dem mehrere hundert Aktivisten fest.
Den schwersten Zusammenstoß gab es nahe Curitiba, der Hauptstadt des südlichen Bundesstaates Paraná. Dort stoppte die Polizei eine große Buskarawane mit Campesinos und ging brutal gegen Proteste vor. Allein bei diesem Zwischenfall nahm sie 200 Personen fest und verletzte die Mehrheit von ihnen. Von den Besetzungen waren bzw. sind teilweise immer noch die Nationalbank für Wirtschaftliche und Soziale Entwicklung, das Finanzministerium in Sao Paulo, das Gebäuder der Agrarreform-Behörde, das Büro der Steuerbehörde sowie viele andere staatliche Einrichtungen betroffen. Die Landlosenbewegung hat Präsident Präsident Fernando Henrique Cardoso zum direkten Gespräch aufgefordert, um ein für alle Mal eine Lösung für das Landproblem zu finden.
URUGUAY
Klare Mehrheit für Aufklärung und Sühne beim Thema der Verschwundenen
(Montevideo, 27. April 2000, comcosur-Poonal).- Eine für die Tageszeitung „El Observador“ durchgeführte Umfrage ergibt, dass sich 72 Prozent der Bevölkerung dafür aussprechen, dass Schicksal der unter der zivil-militärischen Diktatur der 70er und 80er Jahre Verschwundenen aufzuklären. Das sind zwölf Prozent mehr als bei einer gleichlautenden Umfrage vor drei Jahren. 18 Prozent der Befragten sind der Meinung, das Thema solle vergessen werden.
Eine deutliche Mehrheit von 67 Prozent ist dafür, gegen die Verantwortlichen zu ermitteln und 64 Prozent halten es für notwendig, alle zur Verfügung stehende Information über die Verhafteten-Verschwundenen zu verbreiten. Etwas weniger, aber mit 55 Prozent immer noch eine deutliche Mehrheit, bejahen es als notwendig, dass ebenso die Namen der Verantwortlichen für das Verschwindenlassen genannt werden müssen, um definitiv den Frieden im Land zu erreichen. Von den Befragten meinen 41 Prozent, die Ex-Guerilleros müssten ihre Exzesse zugeben und um Vergebung bitten, von den Militärs verlangen dies 48 Prozent.
Für die Streitkräfte hat General Juan Geymonat klar gemacht, dass diese als Institution nicht daran denke, für Menschenrechtsverletzungen ihrer Mitglieder in der Vergangenheit um Pardon zu bitten. Zuvor hatte schon Verteidigungsminister Luis Brezzo erklärt, die Bitte um Vergebung sei „nicht mit der uruguayischen Idiosynkrasie vereinbar“ und zudem „erniedrigend“. Dagegen antwortete der Chefkommandant der Streitkräfte unter Präsident Luis Lacalle in der Presse, mit Einstellungen wie der von Brezzo sei es schwierig, bei der Befriedung des Landes voranzukommen. Die Bitte um Vergebung sei ein individueller Akt der Demut.
Fast ein Viertel indigener Abstammung
(Montevideo, April 2000, comcosur-Poonal).- Nach einer Untersuchung am Lehrstuhl für Biologische Anthropologie an der Universität der Republik haben 23 Prozent der uruguayischen Bevölkerung indigene Vorfahren. In einer Gesellschaft, die auf ihr „europäisch sein“ stolz ist, ist diese Nachricht auf wenig Publizität gestoßen. Viele Uruguayer*innen begründen einen dunklen Teint lieber mit längerem Sonnenbaden als die Abstammung von Guaraní oder den Charrúa einzugestehen.
Miliärchef abgesetzt
(Montevideo, April 2000, comcosur/na-Poonal).- Der Chef des Generalstabs der Streitkräfte, General Manuel Fernández, wurde von Präsident Battle abgesetzt und zehn Tage unter Hausarrest gestellt. Er hatte in einem Interview versichert, „über kurz oder lang“ müssten die Militärs erneut gegen die inneren Kräfte kämpfen, die „mit der alten marxistisch-leninistischen Doktrin verbunden sind“. Trotz des militärischen Sieges gegen die aufständischen Tupamaros in den 70er Jahren „haben sie in ihrem Kampf nicht aufgehört. Sie konnten die Macht nicht über die Waffen erlangen und sehen den Moment sich näheren, in dem sie sie über den Weg des republikanisch-demokratischen Regierungssystems erlangen“.
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