Von Wolf-Dieter Vogel
(Berlin, 20. Juni 2016, npl).- Wie kaum in einem anderen Friedensprozess spielen Geschlechterfragen im Ringen um ein Ende des kolumbianischen Bürgerkrieges eine zentrale Rolle. Auch in Havanna verhandeln vor allem Männer, doch ein Unterausschuss „Gender“ beleuchtet die weibliche Sicht auf die umstrittenen Themen: auf die Frage der Beteiligung der FARC im politischen Leben, der Landwirtschaft, dem Drogengeschäft und dem Umgang mit den Menschenrechtsverletzungen der Kriegsparteien.
Unterausschuss „Gender“
Es war eine außergewöhnliche Delegation, die am 18. Mai dem Friedensdialog zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla-Organisation FARC in Havanna beiwohnte: 16 Kämpferinnen aus ehemaligen bewaffneten Gruppen nahmen an dem Treffen teil. Darunter Ex-Militante guatemaltekischer, indonesischer und südafrikanischer Organisationen. Die Kolumbianerinnen wollen von den Erfahrungen lernen, die Frauen in anderen Ländern gemacht haben, erklärte die FARC-Guerillera Judith Simanca, alias „Victoria Sandino“. Sie ist optimistisch: „Wir sind vollkommen davon überzeugt, dass die Frauen in Kolumbien künftig maßgebliche Protagonistinnen sein werden.“
Wie kaum in einem anderen Friedensprozess spielen Geschlechterfragen im Ringen um ein Ende des kolumbianischen Bürgerkrieges eine zentrale Rolle. Auch in Havanna verhandeln vor allem Männer, doch ein Unterausschuss „Gender“ beleuchtet die weibliche Sicht auf die umstrittenen Themen: auf die Frage der Beteiligung der FARC im politischen Leben, der Landwirtschaft, dem Drogengeschäft und dem Umgang mit den Menschenrechtsverletzungen der Kriegsparteien.
Dass die Gesprächspartner*innen diese Perspektive einnehmen, ist vor allem dem feministischen Netzwerk „Ruta Pacífica de las mujeres“ zu verdanken. Dieser „friedliche Weg der Frauen“ entstand 1996, mittlerweile sind mehr als 300 Frauenorganisationen eingebunden. “ Wir setzen uns für Verhandlungen zur Beendigung des bewaffneten Konflikts ein, Zugleich machen wir öffentlich, welche Folgen der Krieg für das Leben von Frauen hat“, erklärt Marina Gallego, Sprecherin der Ruta Pacífica.
Frauen werden zur Kriegswaffe
Immer leidet die weibliche Bevölkerung besonders in bewaffneten Konflikten. Frauen werden zur Kriegswaffe: Soldaten vergewaltigen sie, um dem Feind die Überlegenheit zu demonstrieren. Im kolumbianischen Bürgerkrieg wird an zwei von drei Tagen eine Frau vergewaltigt, 84 Prozent aller von sexualisierter Gewalt betroffenen sind Frauen. Die „Ruta Pacífica“ hat eine Wahrheitskommission eingerichtet und 1.000 Frauen befragt. Das Ergebnis: 80 Prozent berichten von Folter, mehr als die Hälfte musste miterleben, dass Angehörige hingerichtet wurden.
In den Angriffen auf Frauen unterschieden sich Sicherheitskräfte und Mitgliedern der FARC sowie der zweiten Guerilla-Organisation ELN nur formal, erklärt Marina Gallego: “Der Unterschied liegt in der Verantwortung. Auf der einen Seite steht die Armee, also staatliche Kräfte, die eigentlich das Leben der Kolumbianerinnen und Kolumbianer schützen sollen.” Das mache die Dinge jedoch nur noch schlimmer, sagt sie. Bei den von der FARC und der ELN verübten Verbrechen handele es sich um Menschenrechtsverletzungen sowie Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, das Zivilistinnen in bewaffneten Konflikten Schutz garantiert. “Aber in der Wirkung unterscheiden sich die Vorfälle nicht, egal, ob sie von staatlichen oder aufständischen Organisationen verübt werden. Bei den Frauen rufen sie dasselbe hervor”, betont die Aktivistin, die jüngst stellvertretend für die Ruta Pacífica mit dem Menschenrechtspreis der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung geehrt wurde.
Aufhören, nur Opfer zu sein
Gallego war selbst nach Havanna gereist, um das Ergebnis der Wahrheitskommission vorzutragen. Ihre Ruta Pacífica bezieht sich explizit auf einen feministischen Ansatz. “Wir wollen die Subjektivität von Frauen und deren Identität als politische und soziale Akteurinnen stärken. Wir müssen aufhören, in diesem Konflikt nur Opfer zu sein und uns als die Verletzlichen darzustellen“, erklärt sie. Daran arbeiten sie mit Frauen aus den einfachen, armen Schichten. Gallego: „Wir bezeichnen uns auch als Pazifistinnen, weil wir eine Verbindung zwischen der alltäglichen und der im Krieg verübten Gewalt ziehen. Schließlich geht es um dieselbe Gewalt. Im bewaffneten Konflikt ist sie lediglich schlimmer, grotesker und drückt sich anders aus als im privaten Leben.“
UN-Resolution zur Beteiligung von Frauen an Friedensgesprächen
Jahrzehnte lang haben weltweit Feministinnen dafür gekämpft, dass die weibliche Bevölkerung bei der Lösung dieser Konflikte mitreden kann. Im Jahr 2000 verabschiedeten die Vereinten Nationen schließlich die Resolution 1325. Diese besagt, dass man Frauen intensiver in Friedensgespräche, Waffenstillstandsverhandlungen sowie den Aufbau einer Nachkriegsgesellschaft einbeziehen soll. „Selbst der Sicherheitsrat konnte feststellen, dass Frauen so gut wie abwesend sind in diesen Kriegs- und Nachkriegssituationen“, erinnert sich die Europaabgeordnete Barbara Lochbihler, die sich intensiv für die Verabschiedung der Resolution 1325 stark machte. Dem Beschluss folgten weitere Vereinbarungen des UN-Sicherheitsrates, die Frauen in der Überwindung bewaffneter Konflikte mehr Einfluss geben sollen.
Am 12. Oktober 2015, zum 15. Jahrestag der Resolution, wurde in New York Resümee gezogen. Die Juristin Radhika Coomaraswamy stellte eine Studie über die Umsetzung des Beschlusses vor. Sie betonte, dass eine weibliche Beteiligung die Nachhaltigkeit von Friedensverträgen stärke und eine bessere wirtschaftliche Erholung verspreche. Sind Frauen an Friedensgesprächen beteiligt, gehen diese eher positiv aus. Dennoch ist ihr Ergebnis frustrierend: Die Beteiligung von Frauen in solchen Verhandlungen stagniert seit 2000 im einstelligen Bereich, noch immer dominieren in den Dialogen und Entscheidungen männliche Führungspersonen. Auch die Europaabgeordnete Lochbihler spricht von einer lückenhaften Umsetzung.
Bisher nur bescheidene Erfolge
Dennoch verweist sie auf kleine Erfolge. So beispielsweise auf die Syrien-Verhandlungen. „Dort hat Schweden als einziger europäischer Staat erklärt, dass schwedisches Geld gezielt und vorwiegend für die Teilnahme von Frauen an diesen Verhandlungen ausgegeben werden solle“, erklärt Lochbihler. In der Folge hätten auch die islamisch orientierten Widerstandsgruppen die Auflage gehabt, einen bestimmten Prozentsatz von Frauen in ihren Delegationen mitzunehmen.
Die Kolumbianerin Marina Gallego hofft, dass die Beteiligung ihrer Ruta Pacífica in Havanna auch die weibliche Rolle in anderen Friedensprozessen stärkt. Ob aber ein Ende des Bürgerkriegs die Gewalt gegen Frauen eindämmen wird?
Die Feministin ist skeptisch. „In den ersten Jahren müssen wir sehr wachsam sein. Wenn die Kämpfer nach Hause zurückkehren, zu ihren Familien, zu früheren Partnern und Kindern, nimmt die Gewalt oft zu“, sagt sie. Denn häufig hätten die Männer noch keine Arbeit, wüssten nicht, was sie mit ihrem Leben anfangen sollten und müssten sich in eine Gesellschaft integrieren, in der sie lange nicht gelebt haben. „Zudem haben sie die Macht verloren, die sie vorher in ihren Reihen oder im Militär hatten“, ergänzt Gallego. „Sie besitzen kein Gewehr und keine andere Waffe mehr, mit der sie in ihrem Umfeld Autorität ausstrahlen. Das Risiko ist also hoch, dass die Gewalt gegen Frauen zunimmt. Wir müssen daran arbeiten, dass diese übliche Konsequenz des bewaffneten Konfliktes so gering wie nur möglich ausfällt.“
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