Poonal Nr. 625

Deutsche Ausgabe des wöchentlichen Pressedienstes lateinamerikanischer Agenturen vom 8. Juni 2004

Inhalt


MEXIKO

GUATEMALA

EL SALVADOR

MITTELAMERIKA

PUERTO RICO

KOLUMBIEN

ARGENTINIEN

URUGUAY

CHILE

BRASILIEN

BOLIVIEN


MEXIKO

Misshandlung Verhafteter in Guadalajara

(Guadalajara, 30. Mai 2004, poonal).- Insgesamt 52 Menschen wurden bei Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Demonstranten Ende Mai in Guadalajara festgenommen. Sie hatten gegen den "3. Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, Lateinamerikas und der Karibik" demonstriert. Viele der Verhafteten berichteten, dass sie in den Tagen im Gefängnis misshandelt oder gefoltert worden seien. Acht festgenommene Ausländer und Ausländerinnen wurden abgeschoben.

Das gesamte Zentrum der westmexikanischen Sechs-Millionen-Metropole war in den Tagen um den Gipfel (28. Mai 2004) von Sicherheitskräften hermetisch abgeriegelt worden. Die Innenstadt war nur noch für Politiker, Journalisten und Anwohner zugänglich. Aus Sicherheitsgründen, wie es hieß. Dennoch konnte das massive Polizeiaufgebot nicht verhindern, dass es auf der Abschlussdemonstration am 28. Mai zu Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und etwa 500 Demonstranten und Demonstrantinnen kam. Zahlreiche Scheiben von Banken und Geschäften wurden eingeschlagen, ein Supermarkt geplündert.

Zuvor hatten etwa 5.000 Gewerkschafter, Anarchisten und Mitglieder linker Parteien gegen den Gipfel und die Freihandelspolitik demonstriert. In der Nacht zum 28. Mai hatten starke Polizeikräfte ein anarchistisches Camp umstellt. Erst nach langen Verhandlungen und zu später Stunde zogen die Beamten wieder ab.

Die aus 58 Ländern angereisten Staatsoberhäupter, Minister und hohe Beamte einigten sich indes auf ein über 100 Punkte umfassendes Programm, das die "strategische Allianz" der beiden Blöcke konsolidieren soll. Bis zum Oktober soll der Freihandelsvertrag zwischen der EU und dem Mercosur, dem "Gemeinsamen Markt des Südens" von Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay unter Dach und Fach sein. Eine Verurteilung der Folter, in der namentlich die Misshandlungen irakischer Gefangener durch US-Soldaten erwähnt wird, scheiterte am Veto der Europäer.

Bundeskanzler Gerhardt Schröder bekräftigte den Willen Deutschlands, einen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu bekommen. "Ich habe hier niemanden getroffen, der sich dagegen ausgesprochen hat," erklärte Schröder auf einer Pressekonferenz in Guadalajara.

Ministerium droht mit Schließung von drei Basisradios

(Buenos Aires, 3. Juni 2004, púlsar).- Das für Kommunikation zuständige Ministerium hat gedroht drei Basisradioradiosender zu schließen und unterbricht somit den von der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte eingeleiteten Dialogprozess.

Der Weltverband der Basis- und Communityradios AMARC (Asociación Mundial de Radios Comunitarias) sowie verschiedene Menschenrechtsorganisationen verurteilen die Schließungsdrohung gegen die schon lang existierenden Basisradiosender "La Voladora Radio", "Radio Calenda" und "Radio Bemba". Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatten die drei Sender einen Antrag auf Legalisierung an die entsprechende Behörde gerichtet. Anstatt diesem zu entsprechen, teilten die Kommunikationsbehörden den Vertretern der Sender nun mit, man würde die technische Ausrüstung "in Gewahrsam" nehmen, sollten die Sender ihre Übertragungen nicht in den nächsten Tage einstellen, so AMARC.

Mit diesen Maßnahmen "findet der gesamte Dialogprozess, der seit dem 14. April zwischen den Vertretern der Basisradios, der mexikanischen Kommission zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte, dem Innenministerium und dem Ministerium für Kommunikation und Transport besteht, ein jähes Ende".

GUATEMALA

Parlamentarier sollen Freihandelsabkommen beurteilen

(Guatemala-Stadt, 29. Mai 2004, cerigua-poonal).- Nach der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens TLC (Tratado de Libre Comercio) zwischen Zentralamerika und den Vereinigten Staaten haben die Kongresse der Region nun die Aufgabe sich die Initiative näher anzusehen, sie anzunehmen und zu ratifizieren. Einige Wirtschaftsanalytiker meinen jedoch, dass das Handelsabkommen von den US-Parlamentariern nicht gut geheißen werden würde.

Laut der Lokalpresse unterschrieben am 28. Mai die Wirtschaftsminister und Verhandlungsbeauftragten der unterzeichnenden Staaten im Sitz der Organisation Amerikanischer Staaten OAS in Washington das Abkommen zur Errichtung der Freihandelszone. Die Ergebnisse dieser Verhandlungen werden nun an die jeweiligen Gesetzgeber zur Beurteilung übermittelt.

Beobachter wie Pablo Rodas Martini bekräftigten die Vermutung, dass es sei unwahrscheinlich, dass die US-Kongressmitglieder den Vertrag ratifizieren. Es gäbe in den USA eine äußerst starke Opposition, da politische Interessen "auf dem Spiel stünden". Außerdem sei das Land mitten im Wahlkampf, was eine Nicht-Ratifizierung des Vertrages durch das Parlament noch wahrscheinlicher mache. "Sollte John Kerry die Wahlen gewinnen, so wird der Entwurf keine Zustimmung finden", erläuterte der Experte.

Die gesetzmäßige Vorgangsweise schreibt die Ausarbeitung eines Endtextes vor, welcher im kommenden Monat jedem der Unterzeichnerstaaten zur abschließenden Beurteilung und zur notwendigen Ratifizierung übermittelt wird. Man erwarte, dass der Vertrag daraufhin im Jahr 2005 in Kraft trete.

Die guatemaltekische Regierung suche nach anderen Möglichkeiten, so die Aussage von Regierungsbeamten. Sie erklärten auch, dass eines der Ziele des III. Gipfels der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten mit der Europäischen Union im mexikanischen Guadalajara, die Einigung zur Unterzeichnung eines Handelsabkommens mit Europa sei.

EL SALVADOR

FMLN-Präsidentschaftskandidat spricht von Wahlbetrug

(San Salvador, 27. Mai 2004, adital-poonal).- Nach dem Ergebnis der Wahlen vom 21. März, durch die der jetzige Präsident Antonio Saca von der Republikanisch-Nationalen Allianz ARENA (Alianza Republicana Nacionalista) an die Regierung kam, stellte der Kandidat der FMNL (Frente Farabundo Marti para la Liberación Nacional), Schafik Jorge Handal, klar, dass er den Erfolg der Partei nicht anerkenne. Während einer Rede in San Salvador rief er die Bevölkerung auf gegen Projekte der ARENA- Regierung wie das Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten zu kämpfen. Nach ungefähr drei Monaten des Schweigens veröffentlichte Handal einen Artikel, in dem er behauptet, dass das Wahlergebnis gefälscht sei.

Einer der schwersten Vorwürfe bezieht sich auf die mögliche Sperrung der Überweisungen von Salvadorianern, die in den USA leben, an ihre Familien. 28 Prozent der Salvadorianer ist in beträchtlichem Maß von diesen Überweisungen abhängig. Laut Handal seien in den USA Funktionäre der salvadorianischen Regierung, angeführt durch den Botschafter in Washington und die konsularischen Funktionäre, damit beschäftigt gewesen, Unruhe unter salvadorianischen Immigranten zu schüren. Bei Telefonanrufe hieß es, dass die US-Regierung Überweisungen nach El Salvador verbieten könne und salvadorianische Einwohner in irgendein Land ausweisen könne, falls die FMLN die Wahlen gewinnt. Man bot den Migranten kostenlose Telefonate mit ihren Angehörigen in El Salvador an, um sie zu bitten, für die ARENA zu stimmen und sagte ihnen dies sei das einzige Mittel die Überweisungen und ihr Aufenthaltsrecht auf nordamerikanischem Boden zu bewahren.

In seinem Artikel rechnet der FMLN-Repräsentant ab und versucht zu belegen, dass die ARENA-Partei eine Angstkampagne entwickelte, um durch psychischen Terror die Wahl zu gewinnen. "Rechnen wir das mal durch: Die ARENA bekam 1.314.436 Stimmen. Wenn wir davon die 580.000 Stimmen abziehen, die durch unfreiwillige Entscheidung und unter Angst und Druck zustande kamen, bleiben noch 734.436 Stimmen. Dies könnte dem wirklichen Wahlergebnis entsprechen. Die FMNL erzielte 812.519 Stimmen, die von Angst und Druck gefiltert waren. Das ist Ausdruck des gehobenen Niveau einer bürgerlichen Erkenntnis und es sind absolut legitime Stimmen. Diese Zahlen zeigen, ob nun ein paar Punkte hin oder her, dass das wirkliche Ergebnis mit großer Wahrscheinlichkeit einen zweiten Wahlgang gebracht hätte", berichtet das Dokument.

Eine weitere sehr ernste Anklage wurde in dem Artikel von Handal über das Höchste Wahlgericht TSE (Tribunal Superior Electoral) gemacht: "Die TSE gab einem unbekannten Druckereiunternehmen, das Eigentum von niemand geringerem als dem ältesten Fernseh- und Radiounternehmen dieses Landes und der FMLN feindlich gestimmt ist, den Auftrag, die Stimmzettel zu drucken. Nach einer merkwürdigen Ausschreibung erhielt das bevorzugte Unternehmen den Zuschlag, ohne dass es die festgelegten Bedingungen erfüllte."

MITTELAMERIKA

Angst vor Kostenexplosion im Gesundheitssektor

Von Jill Replogle und Roberto Roa

(Guatemala-Stadt, 7. Juni 2004, npl).- Fachleute in Gesundheitsfragen warnen vor den Auswirkungen des zentralamerikanischen Freihandelsabkommens CAFTA. Die Freihandelszone, die bis Jahresende von Guatemala, Honduras, El Salvador, Costa Rica, Nicaragua, der Dominikanischen Republik und den USA besiegelt werden soll, werde zukünftig den Zugang zu Generika unmöglich machen. Das Abkommen stelle die Profitinteressen von Unternehmen über das Leben der Menschen, so der Vorwurf der Kritiker. Zudem würden die schwachen Gesundheitssysteme in Zentralamerika durch die geplante Deregulierung gefährdet.

"Die Rechte von Patenteigentümern werden höher bewertet als die Menschenrechte, insbesondere im Gesundheitsbereich," erklärte Guillermo Murillo, Vizechef der Menschenrechtsorganisation Agua Buena in Costa Rica. Die CAFTA-Befürworter hingegen sagen, dass das Abkommen den Zugang zu sicherer und qualitativ hochwertiger Medizin sichere. Dafür würden die vereinbarten Kontrollen und pharmazeutischen Standards sorgen. Außerdem werden sie zu Investitionen in diesem Bereich angeregt.

Dass der Gesundheitssektor ein sensibles Feld ist und dass die Interessen von Investoren die öffentliche Gesundheit negativ beeinflussen könnten, befand sogar die Welthandelsorganisation WTO. Auf ihrer vierten Ministerkonferenz in Doha 2001 verabschiedete sie eine Vereinbarung über Patente und Handel (ADPIC), mit der der staatliche Gesundheitssektor und der Zugang zu bezahlbaren Medikamenten geschützt werden sollte.

Den Kritikern zufolge unterlaufen die CAFTA-Richtlinien die im ADPIC-Abkommen vereinbarten Standards. Robert Weissmann, Aktivist bei Essential Action in Washington, monierte, dass viele der in der WTO durchgesetzten Errungenschaften in diesem Bereich in Mittelamerika keine Gültigkeit mehr haben würden. Kein bisheriges Freihandelsabkommen sei im Patente- und Gesundheitsbereich so weitgehend wie der CAFTA.

Konkret wird das Problem, wenn lokale Firmen Generika, also billigere Imitate von neuen, patentierten Medikamenten herstellen wollen. Dazu sind sie auf umfassende und sichere Informationen der Hersteller angewiesen. Laut CAFTA-Text können Pharmazie-Unternehmen genau diese Informationen fünf Jahre lang zurückhalten. Damit würden sie sich für einen Zeitraum von bis zu zehn Jahren ein komplettes Monopol sichern, analysiert der Wissenschaftler Murrilo.

Kein Wunder, dass die Pharma-Industrie dem Abkommen einhellig applaudiert. Es sei ein Schutz für die 900 Millionen US-Dollar Investitionssumme, die durchschnittlich für ein Medikament ausgegeben würden. "Wir wollen einen gerechten Markt," sagte Rodolfo Lambour, Sprecher des Verbandes der pharmazeutischen Industrie in der Region. "Wir sind nicht gegen Generika, aber sie sollten erst auf den Markt kommen, wenn die Rechte am intellektuellen Eigentum erloschen sind," so Lambour.

Insbesondere Aktivisten der AIDS-Bewegung sind von den CAFTA-Richtlinien alarmiert. In den sechs Ländern Mittelamerikas und der Karibik sind derzeit 300.000 Menschen HIV-positiv. Von den 35.000 Patienten, die regelmäßig Medikamente benötigen, werden schon jetzt nur 6.000 ausreichend versorgt. Unter den CAFTA-Bedingungen wird die Lage für AIDS-Kranke noch prekärer werden, befürchten Kritiker. "Entweder wird der Gesundheitsetat erhöht oder die Unterversorgung wird weiter zunehmen" fasst Luis Villa, Sprecher von Ärzte ohne Grenzen in Guatemala, die Zukunftsperspektive zusammen.

PUERTO RICO

Karibikinsel Vieques: Von Bombodrom der US-Armee zum Paradies für Ökotouristen?

Von Larry Luxner und Roberto Roa

(Vieques, 30. Mai 2004).- Auf der kleinen Insel Vieques ist es ruhig geworden. Kein Flugzeuglärm, Panzerrattern und vor allem keine Bombenabwürfe mehr. Seit vor einem Jahr die US-Armee das 135 Quadratkilometer große Eiland vor der Küste Puerto Ricos verlassen hat, hat sich das Leben der 9.300 Einwohner vollkommen geändert. Sogar unbekannte, bislang militärisch gesperrte Strände können sie jetzt neu entdecken. Fast alle sind sich einig: Der Kampf um Vieques war lang und hart, aber es hat sich gelohnt.

Jetzt setzt die Gemeinde Vieques auf Tourismus. Es geht ihnen aber nicht um die Pauschalurlauber, die auf der Hauptinsel in großen Hotelburgen unterkommen. Geplant ist sanfter, ökologischer Tourismus, der die neugewonnene Ruhe nicht gleich wieder zerstört. "Wir planen unauffällige, bescheidene Unterkünfte und ein breites Naturangebot bis hin zu Zentren für Meeresbiologie," sagt die Aktivistin Miran Pagán, die auf fast jeder Demonstration gegen das Bombodrom dabei gewesen ist. Natürlich werde es auch einige große Hotels geben, aber die dürften nicht direkt am Strand liegen und die lokale Bevölkerung nicht ausschließen, ergänzt Parán.

José Suárez, Direktor des Tourismusbüros von Vieques, ist gleicher Meinung: "Diese kleine Insel birgt eine riesige Chance für Puerto Rico – nachhaltiger, umweltbewusster Tourismus als Alternativmodell in der Karibik."

Seit dem Zweiten Weltkrieg nutzte das US-Militär zwei Drittel der Fläche von Vieques für Artillerieübungen und als Bombodrom. Da Puerto Rico kein selbständiger Staat sondern mit den USA assoziiert ist, war gegen diese Nutzung rechtlich keine Handhabe möglich. Doch fast alle Bewohner der Insel waren gegen die Armeepräsenz und organisierten über Jahre hinweg den Widerstand. Es war auch das einzige Thema, bei dem sich die politischen Parteien Puerto Ricos einig waren: Von den Linken über die Befürworter einer Unabhängigkeit von den USA bis zur Rechten schlossen sich alle dem Protest an, einzelne Parteiaktivisten mussten sogar wegen den oftmals gewalttätigen Auseinandersetzungen ins Gefängnis.

Zur breiten Bürgerbewegung mauserte sich der Widerstand aber erst seit dem 19. April 1999. Damals wurde ein lokaler Sicherheitsbeamter durch eine Bombe getötet. Die Aufregung und massiven Proteste führten schließlich zu einer Volksabstimmung im Juli 2001, bei der sich 68 Prozent der Bewohner für den sofortigen Abzug der Armee aussprach.

Am 30 April 2003 packten die US-Militärs für immer ihre Koffer und verließen die letzten 5.600 Hektar, die noch von der Armee genutzt wurden. Doch auf die volle Verfügung über ihr Gebiet warten die Insulaner nach wie vor: Derzeit wird dieses Gebiet mit wunderschönen Sandstränden und Dünen von einem Fischereidienst verwaltet, das dem US-Innenministerium untersteht.

"Die Armee hat uns immer unterdrückt," erinnert sich Nazario Cruz, mit 94 Jahren der älteste Bewohner von Vieques. "Jetzt können wir endlich unsere Strände selbst nutzen," ergänzt er träumerisch. Gegen Touristen hätte er nichts einzuwenden, wenn es nicht zu viele sind.

Ein Beispiel für den Fremdenverkehr auf kleiner Stufe, wie er den Behörden vor Ort vorschwebt, ist die Hacienda Tamarindo. Nahe der Südküste sind dort 16 Unterkünfte zu finden, unauffällig und schlicht eingerichtet. Der Eigentümer Burr Vail ist vor sieben Jahren hergekommen, jetzt hofft er, dass der Politrummel um Vieques auch touristisches Interesse nach sich ziehen wird. Kein Verständnis hat er für die Pläne eines Bürgermeisters, mit einem neuen Landsteg große Kreuzfahrtschiffe anzulocken. "Solche Besucher geben nie mehr als drei Dollar aus und kaufen nur bedruckte T-Shirts," wettert Vail. Auch der Aktivist Roberto Rabín will die Dinge lieber in eigene Hände nehmen: "Wir wissen am besten, wie die Insel zu entwickeln ist, besser jedenfalls als die Bürokraten in Washington oder in unserer Hauptstadt San Juan," meint Rabín.

KOLUMBIEN

Tote bei Militäreinsatz

(Bogotá, 28 Mai 2004, adital-poonal).- Ein Kollektiv kolumbianischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen machte darauf aufmerksam, dass das kolumbianische Militär seit dem 10. Mai in einem Gebiet, das über 30 ländliche Gemeinden der Region Arauca umfasst, mit der "Operation Borrasca I" begonnen hat. Dabei "werden sämtliche Rechte der dort ansässigen Bevölkerung verletzt, z.B. durch illegale, massive und willkürliche Verhaftungen sowie durch Personalkontrollen und Hausdurchsuchungen ohne richterliche Anordnung". Diese Aktivitäten des Militärs hätten sich in den letzten Tagen intensiviert und es sei zu verstärkten Anwendung von Gewalt gekommen.

"Das Militär benutzt die Zivilbevölkerung als menschliches Schutzschild und ist für zahlreiche Plünderungen von Häusern und ganzen Dörfern verantwortlich", klagen die Organisationen an, die von über 60 vertriebenen Familien sprechen.

Laut den Organisationen findet im Rahmen der Militäroperation "Borrasca I" eine Zusammenarbeit mit ca. 200 Paramilitärs statt, "die in die verschiedenen Gemeinden eingedrungen sind und dabei den Tod von über 20 unbewaffneten Bauern verursacht haben. Dabei wurden viele mit äußerster Brutalität ermordet, indem ihnen Augen und Zunge herausgerissen und ihre Körper zerstückelt wurden". Weiterhin bestätigen die Organisationen, dass zusätzlich zum barbarischen Vorgehen der Paramiltärs ebenfalls Soldaten für zahlreiche Enthauptungen verantwortlich seien.

Diese Straftaten, begangen von illegalen bewaffneten Gruppen, die gemäß der politischen Vereinbarung mit der Regierung Uribe eigentlich nicht mehr aktiv sein dürften, finden unter dem Schutz des Militärs statt. "Wie schon aus vorherigen Anklagen durch die Bewohner*innen der Region bekannt, wurden die Paramilitärs, die Abzeichen der Vereinten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens AUC (Autodefensas Unidas de Colombia) trugen, durch das Eingreifen der regulären Truppen geschützt. Diese gewährleisten, dass die "Paras" ungestört in die Gebiete eindringen können, um ihre Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen und sich anschließend wieder zurückziehen zu können, ohne von den Truppen "ertappt" zu werden", erklärt das Kollektiv der Menschenrechtsgruppen.

Das Kollektiv, das aus den Menschenrechtsorganisationen Minga, dem Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo, dem juristischen Verein für Menschlichkeit HVCJ (Humanidad Vigente Corporación Jurídica), dem Netzwerk der widerständigen Gemeinden RECORRE (Red de Comunidades en Ruptura y Resistencia), der Bäuerlichen Vereinigung von Arauca ACA (Asociación Campesina de Arauca) und dem Menschenrechtskomitee Joel Sierra (Comité de DD. HH. Joel Sierra) besteht, fordert die Präsenz einer international anerkannten Kommission in Arauca, um die Straftaten zu untersuchen.

Präsident Uribe schlägt freien Handel mit Zentralamerika vor

(Buenos Aires, 2. Juni 2004, púlsar-poonal).- Der kolumbianische Präsident Álvaro Uribe schlug ein Freihandelabkommen mit den zentralamerikanischen Ländern vor, die gerade ein ähnliches Projekt mit den Vereinigten Staaten entwickeln. "Ich glaube die Anden-Gemeinschaft muss in diesem Sinne ein Abkommen mit den zentralamerikanischen Ländern treffen. Dieser erste Schritt bringt uns Zentralamerika sehr viel näher und wir müssen einen Vertrag mit ihnen abschließen, weil das gut passt zu dem Gesamtamerikanischen Freihandelsabkommen ALCA", erklärte Uribe.

Am 18. Mai begannen zwischen Kolumbien, Ecuador und Peru die Verhandlungen über einen Freihandelsvertrag mit den Vereinigten Staaten. Verschiedene zentralamerikanische Länder haben bereits einen Vertrag dieser Art mit Washington unterschrieben.

ARGENTINIEN

Justiz untersucht weitere Fälle von Verschwundenen

(Montevideo, 30. Mai 2004, comcosur-poonal).- Die argentinische Justiz wird sich nach einem Ersuchen der Menschenrechtskommission des argentinischen Justizministeriums mit dem Fall des am 18. Mai 1976 in Buenos Aires entführten und anschließend verschwundenen Arztes Manuel Liberoff beschäftigen. Dies teilte dessen Sohn Benjamin Liberoff der Presse mit. Eine Woche zuvor hatte das "Argentinische Zentrum für Juristische und Soziale Studien" (Centro de Estudios Legales y Sociales de Argentina) die Justiz um ein Verfahren im Fall der Entführung und der Ermordung des damaligen Senators Zelmar Michelini und des damaligen Präsidenten der Abgeordnetenkammer, Héctor Gutiérrez Ruiz, ersucht.

In der Nacht zum 19. Mai 1976 waren die drei uruguayischen Staatsbürger in Buenos Aires von Sicherheitskräften der Militärdiktatur entführt worden. Zelmar Michelini wurde aus dem Hotel Liberty entführt, die beiden anderen aus ihren Wohnungen, im Beisein ihrer Familien. Die Ehefrau von Gutiérrez Ruiz konnte eine vierte Entführung vereiteln, indem sie den Betroffenen, Wilson Ferreira Aldunante, telefonisch warnte. Am Tag danach wurden die Leichen von Michelini und Gutiérrez sowie von Rosario Barredo und William Whitelaw, die beide bereits vorher verhaftet worden waren, in einem Fahrzeug in Buenos Aires aufgefunden. Manuel Liberoff taucht nie wieder auf.

Einige Tage davor hatte es ein geheimes Treffen des Außenministers der uruguayischen Diktatur Juan Carlos Blance mit seinem argentinischen Gegenpart an Bord einer Jacht gegeben. Die fünf Entführten waren der uruguayischen Diktatur ein Dorn im Auge. Sie bildeten zusammen mit anderen eine antidiktatorische Gruppe, die Aktionen koordinierte, die die Verbrechen der Diktatur anprangern sollten. Liberoff war Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen und Michelini hatte vor dem internationalen Russell-Tribunal eine anklagende Rede gehalten, die weltweit Beachtung gefunden hatte. Rosario Barredo und Willian Whitelaw waren hingegen Mitglieder bewaffneter Gruppen gewesen und so war dieser gemeinsame Fund der Leichen im Fahrzeug der Versuch, die Erstgenannten mit dem bewaffneten Widerstand gegen die Diktatur in Verbindung zu bringen und damit zu diskreditieren.

Regierung klagt ehemaligen Chef von Folterzentrum an

(Montevideo, 30. Mai, comcosur-poonal).- Rubén Víctor Visuara, Oberst a. D. und Leiter des während der Militärdiktatur geheimen Folterzentrums Automotores Orletti in Buenos Aires, wurde am 29. Mai vom argentinischen Außenministerium vor der staatlichen Justizbehörde angeklagt für das "Verschwinden" verschiedener Personen verantwortlich zu sein. Belastende Dokumente wurden im Ministerium selbst und in Militärarchiven gefunden.

Automotores Orletti war ein zentrales Folterzentrum des ´Plan Condors´, der berüchtigten koordinierten Repressionsstrategie der Diktaturen im Cono Sur (Argentinien, Chile, Paraguay, Uruguay). Zudem war es der Ort, an dem 1976 Dutzende Uruguayer gefangengehalten, gefoltert und ermordet wurden oder "verschwanden". Einige derer, die später illegal nach Montevideo überführt wurden, wurden vor Gericht gestellt und treten nun als Zeugen jener Geschehnisse auf.

Visuara wurde als einer der Tischgäste eines anscheinend "verschwörerischen" Abendessens identifiziert, das eine Gruppe oppositioneller Militärs und Zivilisten am 20. Mai diesen Jahres im Regiment Patricios veranstaltete. Dort wurden sie von Verteidigungsminister José Pampureo überführt, der von Präsident Kirchner informiert worden war. Die Anklage des Außenministeriums, über die die argentinische Tageszeitung Página/12 in einem Artikel der Journalisten Víctoria Ginzberg und Sergio Moreno berichtete, wurde Bundesrichter Rodolfo Canicoba Corral vorgelegt, der in einem anderen Fall, der auch die uruguayischen Rechtsfälle mit einschließt, über den "Plan Cóndor" verhandelt.

Monsanto will genveränderten Mais und Soja anbauen

(Buenos Aires, 1. Juni 2004, púlsar).- Der Direktor des Agrobiotech-Unternehmens Monsanto, Alfonso Alba, versicherte, dass in Argentinien zwischen drei und fünf Millionen US-Dollar in die Forschung und Entwicklung von neuen genveränderten Pflanzen investiert wird. Für den Chef der argentinischen Filiale des amerikanischen Konzerns basiert die Entwicklung von neuen Pflanzen wie dem genveränderten Mais auf kommerziellen Kriterien und der Rentabilität.

Die Forschung und Tests mit genverändertem Mais werden mit Sicherheit im nächsten Jahr beginnen. Laut Stimmen im Unternehmen könne der kommerzielle Absatz im Jahr 2009 beginnen. Wenn der Plan von Monsanto Erfolg hat, werden in Argentinien in den nächsten Jahren 14 Millionen Hektar Land mit genverändertem Mais und Soja bebaut.

Laut der Umweltorganisation "Grupo de Reflexion Rural", zieht der Anbau von genmanipulierten Produkten den Sauerstoff aus dem Boden und führt zur Vertrocknung von Böden, die wenig für den Anbau derartiger Pflanzen geeignet sind. Die Organisation setzt sich seit den 90er Jahren gegen den Anbau von genmanipulierten Pflanzen ein. Demgegenüber gibt es in der Welternäherungsorganisation der Vereinten Nationen noch kein Einverständnis darüber, ob der Konsum von genveränderten Nahrungsmitteln gesundheitsschädigend ist.

Gegen Truppenentsendung nach Haiti

(Buenos Aires, 31. Mai 2004, ecupress-poonal).- "Wir finden es gut, dass die Regierungen der Länder Lateinamerikas und der Karibik Vereinbarungen treffen, um gemeinsam für Frieden einzutreten. Aber wir sind strikt gegen die Entsendung von Truppen nach Haiti", heißt es in einer Erklärung, die von verschiedenen Personen und sozialen Organisationen unterzeichnet wurde. Unterschrieben haben u.a. der Friedensnobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel, die "Madres de Plaza de Mayo, Línea Fundadora" und die Ökumenische Bewegung für Menschenrechte MEDH (Movimiento Ecuménico por los Derechos Humanos). In Kürze wird die argentinische Regierung über die Beteiligung Argentiniens an der UN-Mission entscheiden.

Als einer der Gründe für die Ablehnung militärischer Intervention in Haiti wird das Eingeständnis des argentinischen Außenministers Bielsa genannt, die Truppenentsendung sei auf ausdrückliches Ersuchen der US-Regierung vorgeschlagen worden. "Diese Regierung betrieb im Jahr 1991 den Sturz von Präsident Aristide und 1994 seine Wiedereinsetzung als Präsident. Sie veranlasste Aristide, eine neoliberale Wirtschaftspolitik umzusetzen, in deren Folge es zu einer Verschärfung der Armut, verstärkter Kapitalflucht und Konzentration des Reichtums sowie schließlich brutaler Repression kam. Die haitianische Bevölkerung organisierte einen erstarkenden demokratischen Widerstand und forderte den Rücktritt Aristides sowie konkrete Maßnahmen zur Überwindung der humanitären, sozialen und politischen Krise im Land."

Es sei eben diese US-Regierung gewesen, "die monatelang das Entstehen der angeblichen ‚Rebellengruppen‘ unterstützte, jener Banden aus vorwiegend Kriminellen, derer man sich auch schon vorher bedient hatte und mit Hilfe derer man nun, nachdem Aristide in Ungnade gefallen und aufgegeben worden war, dessen Entführung und ‚erzwungenen Rücktritt‘ Ende Februar vorbereitet hatte."

Angesichts dieser Tatsachen verlangen die Unterzeichner der Erklärung: "Die Regierungen Argentiniens, Brasiliens und der übrigen Staaten der Region dürfen sich nicht für eine falsche Legitimierung der Hegemonialpolitik hergeben, die von anderen Regierungen mit anderen Zielen betrieben wird, selbst wenn sie nachträglich den Stempel einer UNO trägt, die dem Druck und der Manipulation durch die Stärkeren nicht gewachsen ist."

URUGUAY

Amnesty kritisiert Regierung

(Montevideo, 27. Mai. 2004, comcosur-poonal).- Am 26. Mai veröffentlichte Amnesty International (AI) Uruguay den Jahresbericht 2003 über die aktuelle Menschenrechtssituation weltweit. In dem Kapitel über Uruguay weist die Menschenrechtsorganisation darauf hin, dass die Regierung Batlle signalisiert habe das derzeit geltende Amnestiegesetz auf Zivilisten auszudehnen. Das Gesetz, das Militärs und Polizisten grundsätzlich für Menschenrechtsverstößen während der Militärdiktatur amnestiert, soll nun auf Zivilisten erweitert werden, die in ähnliche Straftaten verwickelt waren. Konkretes Beispiel ist der Ex-Außenminister der Diktatur, Juan Carlos Blanco, der zur Zeit für den Mord an der festgenommenen und verschwundenen Elena Quinteros angeklagt wird.

Der Bericht erklärt, dass "im April 2003 von den Behörden Anzeichen kamen das Amnestiegesetz in einigen Bereichen zu erweitern" und dass die Vorschläge Zivilisten in das Gesetz aufzunehmen, "in Zusammenhang mit der Festnahme des Ex-Außenminister stünden". Es wird hervorgehoben, dass die Anklage gegen Juan Carlos Blanco das erste Mal sei, "das jemanden wegen Menschenrechtsverstößen während der Militärdiktatur, festgenommen wurde".

Zum Vorgehen der von Präsident Battle gegründeten Friedenskommission, die über Festnahmen und Verschwundene aufklären soll, weist AI daraufhin, dass trotzdem "der Schlussbericht der Kommission zu dem Ergebnis kommt, dass 26 Uruguayer während der Militärdiktatur an den Folgen von Foltermaßnahmen gestorben sind, niemand für die schlimmen Menschrechtsverstöße angeklagt wurde". AI erinnert daran, dass "sowohl die Familien als auch die Menschenrechtsorganisationen ihre Zufriedenheit für die von der Kommission erreichten Fortschritte bei der Aufklärung der Menschenrechtsverstöße bzw. bei der Suche nach der Wahrheit ausdrückten. Trotzdem bestanden sie darauf, dass es nicht genüge die Wahrheit aufzudecken und dass es eine Versöhnung ohne Gerechtigkeit nicht möglich sei."

CHILE

Immunität von Ex-Diktator Pinochet aufgehoben

(Santiago de Chile, 28. Mai 2004, adital-poonal).- Letztendlich wird es doch noch möglich sein, den chilenischen Ex-Diktator, Augusto Pinochet Ugarte, für seine Beteiligung am Verschwinden von Hunderten von Opfern während der sog. "Operation Condor" vor Gericht zu bringen. Ein Berufungsgericht entschied am 28. Mai den Antrag auf Aufhebung der Immunität Pinochets, dem ehemaliger Oberkommandierenden des Militärs, zuzulassen.

Dieser Antrag war von mehreren Menschenrechtsanwälten eingebracht worden, die so erreichen wollen, dass Pinochet wegen der von ihm begangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt wird. Der Verteidiger Pinochets, Anwalt Ambrosio Rodríguez, legte dar, dass das gegenwärtige Urteil mit der Doktrin des Plenums dieses Berufungsgerichtes und dessen drei vorhergehenden Urteilen breche und über den Obersten Gerichtshof hinweggehe. Er fügte hinzu, dass er abwarten werde, bis ihm das Urteil vorliege, um Berufung einzulegen.

Die "Operation Condor" war eine koordinierte Aktion der Geheimdienste der Militärregierungen des Cono Sur, die dazu diente linke Oppositionelle in Argentinien, Brasilien, Bolivien, Chile, Paraguay und Uruguay zu beseitigen. In Chile leitet der Richter Juan Guzmán seit 1998 die Untersuchungen über das Verschwinden von mehr als hundert Chilenen, die in den Nachbarländern seit 1973 verhaftet worden waren.

Ein Urteil des Berufungsgerichtes im Jahr 2002 hatte den Ex-Diktator auch in weiteren Gerichtsverfahren beschützt. Mit diesem hatte das Berufungsgericht einem Urteil des Obersten Gerichtshofes zugestimmt und so ein Verfahren gegen Pinochet wegen des Mordes an 75 Personen während der sog. "Todeskarawane" eingestellt. Begründet wurde die Entscheidung mit dem geistigen Verfall Pinochets.

BRASILIEN

Präsidentenveto gegen Gesetz über sexuelle und reproduktive Rechte

(Montevideo, 29. Mai 2004, púlsar-poonal).- Trotz der Beschwerde von verschiedenen Organisationen der bolivianischen Zivilgesellschaft legte Präsident Carlos Mesa ein Veto gegen das Gesetz über sexuelle und reproduktive Rechte ein, das vor Kurzem vom Kongress verabschiedet worden war.

Elena Crepo, Geschäftsführerin des Netzwerkes von Arbeiterinnen des Informations- und Kommunikationsbereiches (Red-Ada) bekräftigte, dass "sie keine Ruhe geben werden, um der Stimme aller Organisationen, die sich an dieser Aktion beteiligt haben, Gehör zu verleihen". Crepo erklärte, dass "man die Ablehnung eines Gesetzes nicht zulassen könne, das für die Erfüllung und den Respekt von gleichen Rechten für Männer und Frauen steht und außerdem eine Forderung der bolivianischen Gesellschaft darstellt".

Das Gesetz, welches eine Politik der Gleichheit und Freiheit zwischen den Geschlechtern festlegt, ist von der bolivianischen Regierung aufgrund des Drucks der katholischen Kirche abgelehnt worden.

BOLIVIEN

Proteste und Zusammenstöße

Von Andreas Behn

(Berlin, 2. Juni 2004, npl).- In Bolivien wird das Tauziehen zwischen der Regierung und den schlagkräftigen sozialen Bewegungen um die Wirtschaftspolitik immer heftiger. Demonstrationen und Streiks bestimmen den Alltag, immer wieder kommt es zu Straßenblockaden und Auseinandersetzungen. Neben sozialen Forderungen geht es vor allem um den Umgang mit den bolivianischen Erdgasvorkommen: Am 18. Juli soll ein Referendum darüber befinden, ob das Gas weiterhin von transnationalen Konzernen ausgebeutet werden darf oder ob es nationalisiert werden soll. Allerdings ist auch die Basisbewegung in sich gespalten und zerstritten.

Mindestens zwei Bauern und ein Soldat wurden am Dienstag (1.6.) bei Zusammenstößen in der Provinz Beni getötet. Landarbeiter hatten dort seit über einer Woche Straßen blockiert, um den Rücktritt des Gouverneurs zu erzwingen. Am Tag zuvor war es auf der Autobahn zwischen der Hauptstadt La Paz und der riesigen Armenstadt El Alto nahe dem internationalen Flughafen zu heftigen Protesten gekommen. Seit Wochen demonstrieren hier Lehrer und Dozenten für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen. Mit Tränengas und Knüppeln räumte die Polizei die Protestler, die die Autobahn blockiert hatten. Im Gegensatz dazu beendeten die LKW-Fahrer ihren Ausstand, nachdem es ihnen gelang, die Regierung zur Senkung der Kraftstoffpreise zu bewegen.

Wichtigster Konfliktpunkt ist derzeit aber das Erdgas. Bolivien verfügt nach Venezuela über die größten Gasreserven in Lateinamerika. Im Rahmen der seit 1985 vorherrschenden neoliberalen Wirtschaftspolitik werden Bodenschätze zu Billigpreisen an transnationale Unternehmen verkauft, während der bolivianische Staat nur einen Bruchteile der Gewinne behält. Der Plan, Erdgas unter diesen Bedingungen über einen Hafen in Chile – dem Erzfeind Boliviens – zu exportieren, führte im Herbst vergangenen Jahres zu einer Revolte und dem Sturz des Präsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada.

Carlos Mesa, der das Präsidentenamt von dem geflüchteten Sánchez de Lozada erbte, hat zugesagt, über die zukünftige Exportpolitik abstimmen zu lassen. Geplant ist ein Referendum, eine verfassungsgebenden Versammlung und eventuell eine Änderung des Bodenschatz-Gesetzes. Doch linke Opposition und Aktivisten zweifeln, dass Mesa die Zusage wirklich einhält. So wird einerseits über die höchst komplizierten und eher zweideutigen Formulierungen der Fragen im Referendum debattiert. Anderseits ist noch nicht ausgemacht, ob das Referendum – wie zugesagt – am 18. Juli stattfinden wird: Kritiker befürchten, dass Präsident Mesa, das Militär oder andere Fraktionen, die Ex-Präsident Sánchez de Lozada nahe stehen, das Referendum mit Tricks und Provokationen noch verhindern wollen.

Präsident Mesa hat sich mehrfach gegen eine Nationalisierung des Erdgas' ausgesprochen. Nur "radikale Grüppchen", so der Amtsinhaber, plädierten dafür. Zudem würden 78 Verträge mit multinationalen Unternehmen gebrochen werden, was das Land Vertragsstrafen in Höhe von 7,5 Milliarden US-Dollar bescheren würde.

Große Teile der sozialen Bewegungen, und vor allem die Indígenas, die in der Cidob (Konföderation der Indígena-Völker Boliviens) zusammengeschlossen sind, beharren strikt auf der Durchführung des Referendums. "Das Referendum ist die Tür zu einem neuen Gesetz über die Ausbeutung unseres Erdgas'," so eine Cidob-Erklärung. Den Guarani-Indígenas geht das jedoch nicht weit genug: Da ein Referendum Millionen koste und gar nicht den eigentlichen Besitz der Rohstoffe thematisiere, lehnt ihre politische Vertretung die Durchführung des Referendums ab. Auch der große Gewerkschaftsverband COB (Central Obrera Boliviana) ist nicht einverstanden. Er plädiert eher für Neuwahlen, statt eine thematisch eingegrenzte Volksbefragung durchzuführen.

Zerstritten sind auch weiterhin die beiden bekanntesten politischen Führer der sozialen Bewegung, der Cocalero Evo Morales und der Indígena-Sprecher Felipe Quispe. Im Mai hatte Quispe neue Mobilisierungen angekündigt und vollmundig auch einen bewaffneten Kampf nicht ausgeschlossen. Am Dienstag nun legte er auch sein Abgeordneten-Mandat nieder mit der Begründung, dass das Parlament "nur den Interessen der Reichen dient".

Quispe verurteilt Evo Morales und seine Partei MAS (Bewegung zum Sozialismus) in scharfem Ton, weil er mit der Regierung Mesa verhandelt und "sich anbiedert". Morales hingegen wirft Quispe Aktionismus "ohne ideologischen Hintergrund" vor und setzt eher auf den kontinuierlichen Aufbau einer Protestbewegung. Nur so habe die soziale Bewegung eine Chance, später auch wirklich die Macht in Bolivien zu übernehmen, verlautete aus MAS-Kreisen.

 

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