Von Nils Brock und Darius Ossami
(Berlin, 13. August 2017, npl).- Der Amazonas wird gerne als die „grüne Lunge“ unseres Planeten bezeichnet. Doch der Lunge geht es schlecht: Wie eine nimmersatte Raupe arbeiten sich von allen Seiten profitorientierte Industrien durch den Regenwald : Ölbohrungen, Bergbau, Wasserkraftwerke, Flussbegradigungen und Soja-Monokulturen. Jede einzelne Industrie ist ein Baustein für die drohende Klimakatastrophe. Wie soll man diesen Wahnsinn stoppen? Indigene Gruppen aus dem Amazonasgebiet haben nun einen neuen, mutigen Plan vorgelegt: Cuencas Sagradas – „Die heiligen Quellen der Flüsse Napo und Marañon“.
Das Dörfchen Mamayake liegt abgelegen in einer der artenreichsten Ecken des peruanischen Amazonasgebietes. An schlechten Tagen stehen hier nur Maniok und Reis auf dem Speiseplan. Dafür ist die Gemeinde der Awajun-Indígenas ein idyllischer Rückzugsort vor Kettensägen, Sojawüsten und Ölbohrtürmen. Auf den ersten Blick zumindest. “Doch dann schlugen flussabwärts illegale Goldschürfer ihr Lager auf und mit ihnen kam das Quecksilber”, erzählt Nerio Kuncham, ein Gemeindevertreter bei einer Erkundungsfahrt im Kanu mit Zweitaktmotor. Wasserproben ergaben erwartungsgemäß eine erhöhte Umweltbelastung. „Doch noch viel beunruhigender für uns war, dass auch flussaufwärts Cyanid und andere Stoffe im Wasser gefunden wurden“, fährt Kuncham fort. „In dem Wasser, das wir trinken, in dem wir baden, in dem wir fischen“.
Immer tiefer dringt der extraktivistische Rohstoffabbau in den Amazonas vor. Auch im großen Stil investieren Bergbaumultis wie Anaconda Peru in die nahegelegene Cordillera del Cóndor. Eine fatale Entwicklung, denn aus diesem Gebirgszug entspringen einige der wichtigsten Quellflüsse des Amazonas. Hier mit Chemikalien und schwerem Gerät zu arbeiten ist nachhaltige Selbstzerstörung, findet Elvia Dagua von der Confeniae, dem Dachverband der Indigenen des ecuadorianischen Amazonasgebietes: „Diese Verschmutzung trifft uns alle: Arme, Reiche, Indigene. Deshalb werden wir immer gegen den Extraktivismus kämpfen; denn es gibt nur wenige millionenschwere Bergbau-Unternehmen. Wir Indigenen dagegen, die auf dem Land leben, sind viele“.
20 Millionen Hektar sollen Schutzgebiet werden
Gemeinsam mit ihrem Kollegen Domingo Peas wirbt Elvia auf Veranstaltungen wie dem Panamazonischen Sozialforum immer wieder für einen ehrgeizigen Plan: Die Quellgebiete von zwei der wichtigsten Zuflüssen des Amazonas, die Flüsse Napo und Marañon, sollen zu einem Schutzgebiet erklärt werden. Und was für eins: Gigantische 20 Millionen Hektar soll das Areal umfassen. Es würde Gebirge und Tiefland auf den Staatsgebieten von Ecuador und Peru beinhalten, auf einer Fläche fast so groß wie die ehemalige Bundesrepublik. In den Augen von Elvia Dagua ist das kein Größenwahn, sondern überlebenswichtig: „Unser Plan ist der letzte der uns noch bleibt“, beschwört sie immer wieder.
Das Vorhaben ähnelt der weltweit bekannten Yasuní-Initiative. Auch diese setzte auf eine gerechtere Klimapolitik. Doch bekanntlich scheiterte das Vorhaben, gegen Kompensationszahlungen auf die Ölförderung zu verzichten, vor vier Jahren – mit tatkräftiger Kollaboration der damaligen schwarz-gelben Bundesregierung und des Entwicklungshilfe-Ministers Dirk Niebel. „Ich versuche mit zugenähten Taschen durch die Welt zu reisen“, beschrieb Niebel seine Rolle damals süffisant. Entwicklungsgelder sollten nur fließen, wenn sich das wirtschaftlich für Deutschland lohne. Diese Haltung ärgert Tadzio Müller von der Rosa-Luxemburg-Stiftung noch heute: „Yasuní hatte den Anspruch zu sagen, die ecuadorianische Regierung und die indigenen Gemeinschaften, die auf den Ressourcen wohnten, entscheiden, diese nicht zu fördern; und dafür zahlt der Rest der Welt.“ Dass ein FDP-Minister dieses Projekt quasi im Alleingang gekillt habe, mache Müller noch immer „fuchsteufelswild“.
Doch stehen die Zeichen für einen Neuanlauf heute günstiger? „Es ist kein neues Yasuní-Projekt, sondern eher eine Erweiterung“, verteidigt Benito Bonilla das 20 mal größere Vorhaben. Für den Mitarbeiter der ecuadorianischen NGO Terra Mater steht außer Frage, dass der massive Raubbau an der Natur nur mit einem ebenso massiven Gegenvorschlag zu stoppen ist, an dem er selbst mitgearbeitet hat. „Wir reden hier von ungefähr zehn Prozent des Amazonasgebietes. Hier liegen die Quellflüsse, die zu den Ozeanen führen. Es ist der Teil des Amazonas, der während der Eiszeit nicht zugefroren ist. Deshalb ist hier die Biodiversität noch höher als anderswo“, schwärmt Bonilla.
„Cuencas Sagradas“ von Indigenen vor Ort initiiert
Derzeit setzen die Regierungen Ecuadors und Perus verstärkt auf Einkünfte aus dem Erdölsektor, anstatt sich mit ökologischen und ökonomischen Alternativen zu beschäftigen. So verwundert es nicht, dass Cuencas Sagradas eine Initiative von unten ist, initiiert von den Indigenen, die vor Ort leben und den mit ihnen verbündeten Organisationen der Zivilgesellschaft. Von Beginn an dabei ist auch der Achuar-Indigene Domingo Peas. An den Mythos, dass die Rohstoffgewinnung zwingend nötig sei, um ein Land zu entwickeln, glaubt er schon lange nicht mehr: „Wir sind verschuldet, weil wir Öl fördern! Die Großkonzerne haben unseren Ländern zwar Kredite gewährt; aber jetzt sind Peru und Ecuador mit Millionen von Dollar verschuldet und fördern, um die Vorschüsse zurückzuzahlen. Sollen wir ewig so weiter machen?“ Es müsse darum gehen, Leben zu retten; diejenigen, die den Kontinent zerstören, sollten fortan zum Schutz des Waldes beitragen.
Dafür gibt es seit dem Pariser Weltklimagipfel COP im Jahr 2015 auch international Unterstützung. Dort haben 170 Länder das grüne Klimaabkommen unterzeichnet und sich verpflichtet, 100 Millionen Dollar in einen Fonds für Kompensationszahlungen des Klimawandels einzuzahlen. Benito Bonilla von Terra Mater hofft, bei der UNO mit dem Projekt der Cuencas Sagradas auf offene Ohren zu stoßen: „Jetzt müssen wir eine Form finden, wie wir zwei Drittel der fossilen Brennstoffe, die sich noch unter der Erde befinden, dort lassen können. Das Projekt Cuencas Sagradas del Rio Napo y Marañon steht genau in dieser Logik des Abkommens von Paris“.
Schutzgebiet soll in Bonn präsentiert werden
Die Indígena-Dachverbände aus Ecuador und Peru planen, ihr Konzept auf der diesjährigen Cop 23 in Bonn im November erstmals der Weltöffentlichkeit vorzustellen. Bis dahin wollen sie mit Wissenschaftler*innen eine griffige Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen. Auch ein Teilerlass der ecuadorianischen Schulden bei China wird intern diskutiert. Denn die Öffentlichkeit muss von dem Projekt überzeugt und Geldgeber gefunden werden. Und die Gegenseite schläft nicht; in der Cordillera del Cóndor haben chinesische Firmen unlängst mit dem Abbau von Kupfer begonnen. In direkter Nachbarschaft zum scheinbar so idyllischen Mamayake. Es bleibt also nicht mehr allzu viel Zeit, das ersehnte Cuencas Sagradas-Schutzgebiet Wirklichkeit werden zu lassen. Domingo Peas jedenfalls ist überzeugt: „Es reicht! Keine Zerstörung des Waldes, denn das ist unsere Mutter Erde. Wir brauchen ein anderes, ein nachhaltiges Wirtschaftssystem. Deswegen laden wir alle Interessierten ein, an dem Projekt teilzuhaben; zusammen werden wir einen neuen Weg der Entwicklung einschlagen, der der ganzen Menschheit und den zukünftigen Generationen dienen wird!“
Den Audiobeitrag zum Thema findet ihr hier.
Cuencas Sagradas – Ach du heiliger Quellfluss! von Nachrichtenpool Lateinamerika ist lizenziert unter Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0 international.
Neue Strt-up-Unternehmen schießen wiePilze aus dem Boden. Sie alle besorgen sich Geld von Privatpersonen oder kleineren Gruppen, um den Unternehmensstart ohne Bankengeld zu finanzieren. Könnte man durch Ausgabe einer Art Umweltbeteiligungsanteile an eine große Zahl der Bevölkerung einzelner Länder (alle Verbraucher großer Mengen von Bodenschätzen) die Auszahlung von Firmen finanzieren, die am Abbau der Rohstoffe im Amazonas-Gebiet interessiert sind? Die Verzinsung/Profit für die Anteile wäre für die Privatpersonen dann eben saubere Luft und die Rettung der Lunge der Erde.
Ein diskussionswürdiger Vorschlag.
Vermutlich würden sich aber zu Wenige finden, um die riesigen Investitionssummen aufzubringen.